Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.11.2002

OVG NRW: verwaltungsbehörde, gemeinde, stadt, satzung, beitragsabrechnung, planungsverfahren, meinung, vollstreckung, gesetzesänderung, bauwesen

Oberverwaltungsgericht NRW, 3 A 3531/99
Datum:
29.11.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 A 3531/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 3 K 3467/96
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des auf Grund der Kostenentscheidung
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu voll- streckenden
Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Erbbauberechtigte der im unbeplanten Innenbereich von - gelegenen
Grundstücke Gemarkung Flur 14 Flurstücke 158 und 204. Das 7.919 qm große Flurstück
158 grenzt in Ecklage mit etwa 17 m an die straße und mit etwa 300 m an den weg. Das
gegenüber liegende, 6.268 qm große Flurstück 204 grenzt mit etwa 32 m an die straße
und mit etwa 190 m an den weg. Beide Grundstücke sind mit Mehrfamilienhäusern
(einschließlich Nebenanlagen) bebaut; ihre Erschließung für Fußgänger und Fahrzeuge
erfolgt ausschließlich über den weg.
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Die straße beginnt an der straße in der Orts- mit- te von , verläuft zunächst ca. 80 m in
östlicher Richtung und an- schließend in etwa nördlicher bzw. nordöstlicher Richtung
weitere ca. 450 m bis zur Kreuzung mit dem weg, von der ab sie alsbald in den
Außenbereich übergeht. Nachdem die Straße in den Jahren von 1974 bis 1994
ausgebaut worden war, zog der Beklagte die Klägerin durch zwei Bescheide vom 13.
September 1996 für die erstmalige Herstellung der straße (Teilstück von der straße bis
zum weg) unter Gewährung von Eckermäßigungen zu Erschließungsbeiträgen heran,
und zwar für das Flurstück 158 in Höhe von 99.553,36 DM und für das Flurstück 204 in
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Höhe von 78.156,55 DM. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Klägerin wies der
Beklagte durch Widerspruchsbescheide vom 21. Oktober 1996 als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat jeweils am 15. November 1996 Klage erhoben, und zwar wegen des
Flurstücks 158 im Verfahren 3 K 3468/96 und wegen des Flurstücks 204 im Verfahren 3
K 3467/96. Durch Beschluss vom 2. Juli 1999 hat das Ver- waltungsgericht die beiden
Klagen verbunden und unter dem Aktenzeichen 3 K 3467/96 fortgeführt. Zur
Begründung ihres Klagebegehrens hat die Klägerin im wesentlichen geltend gemacht:
Die angefochtenen Bescheide seien rechtswid- rig, weil die veranlagten Grundstücke
nur zu einem sehr geringen Teil durch die straße erschlossen seien. Die Möglichkeit,
die Grundstücke in voller Tiefe zu bebauen, resultiere nicht aus der
Erschließungswirkung der straße, sondern sei nur durch die Tatsache zu erklären, dass
die Grundstücke am weg lägen und maßgeblich durch diesen erschlossen seien. Es
komme hinzu, dass die jeweils in Ecklage an straße und weg gelegenen Bau- körper
(das Haus weg 2 und das Doppelhaus weg 1/3) die restli- chen Grundstücksteile für
eine von der straße her weiter in die Tiefe gehende Nutzung abriegelten. Angesichts
dieser Umstände müsse davon aus- gegangen werden, dass sich die von der straße
ausgehende Erschlie- ßungswirkung erkennbar eindeutig nur auf eine Teilfläche der
veranlagten Grundstücke beziehe. Die Klägerin hat beantragt,
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die Heranziehungsbescheide des Beklagten vom 13. September 1996 und dessen
Widerspruchsbescheide vom 21. Oktober 1996 aufzuheben.
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Der Beklagte hat sich hiergegen mit dem Klageabweisungsantrag gewandt, zur
Begründung auf die angefochtenen Widerspruchsbescheide verwiesen und im
wesentlichen ausgeführt: Da beide Grundstücke über die Tiefenbegrenzung auf 30 m
hinaus baulich genutzt würden, müssten sie nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts in vollem Umfang als erschlossen behandelt werden. Eine
abweichende Beurteilung ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur sog. beschränkten Erschließungswirkung. Beide
Grundstücke könnten nicht als sog. durchlaufende Grundstücke angesehen werden, da
sie jeweils durch beide Anbaustraßen in vollem Umfang erschlossen seien. Zudem
seien beide Grundstücke einheitlich bebaut mit Verbindungswegen ohne jegliche
Begrenzung zu den bauordnungsrechtlich notwendigen Spielplätzen auf den
Grundstücken. Bei diesen tatsächlichen Gegebenheiten könne nicht angenommen
werden, dass sich die von jeder der Straßen ausgehende Erschließungswirkung
erkennbar eindeutig lediglich auf eine Teilfläche des Grundstücks erstrecke.
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Durch das angefochtene Urteil, auf das Bezug genommen wird, hat das
Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Nachdem der Senat die Berufung durch
Beschluss vom 28. August 2001 gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen hat, trägt
die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung vor:
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Zunächst sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, die
Rechtmäßigkeit der Straßenherstellung gemäß § 125 Abs. 2 BauGB n.F. sei ungeachtet
des Umstandes anzunehmen, dass der zuständige Planungs- und Bauausschuss am
10. September 1984 lediglich die Ausbauplanung für im Bereich zwischen weg und weg
"abgesegnet" habe. In materieller Hinsicht könne der Auffassung des
Verwaltungsgerichts, aus den vorhandenen tatsächlichen Gegebenheiten sei keine
begrenzte Erschließungswirkung der straße für die veranlagten Grundstücke
herzuleiten, nicht gefolgt werden. Zu diesen Gegebenheiten gehörten die Übergröße der
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beiden Parzellen, das Angrenzen beider Parzellen an die straße mit einer Schmalseite,
die im Verhältnis zur gesamten Länge sehr gering sei, und schließlich aber nicht zuletzt
die Stellung der Baukörper auf der jeweiligen Parzelle. Die im unbeplanten
Innenbereich entsprechend der Baugenehmigung realisierte Bebauung verwirkliche -
vergleichbar einem Bebauungsplan im beplanten Bereich - die Planungsabsicht der
Gemeinde und bilde den vom Verwaltungsgericht vermissten Anhaltspunkt für die
Frage, wie weit die Erschließungswirkung der straße reiche. Dieser Anhaltspunkt der
vorhandenen Bebauung sei auch eindeutig und unmissverständlich im Sinne der
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 1989 (8 C 78.88) mit dem
Ergebnis, dass nur der jeweilige "Bauplatz", der unmittelbar an die straße angrenze, von
dieser erschlossen werde.
Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Ein
Beschluss des zuständigen Ausschusses über die Ausbauplanung der straße zwischen
straße und weg sei im Jahre 1984 als nicht erforderlich angesehen worden, da dieser
Bereich von dem in der Aufstellung befindlichen Bebauungsplans Nr. 45 "Ortsmitte "
erfasst gewesen sei. Die von der Klägerin angeführten tatsächlichen Gegebenheiten
rechtfertigten keine Aufteilung der veranlagten Grundstücke in mehrere "Bauplätze".
Das gelte sowohl für die Grundstücksgröße als auch für die im Verhältnis zur
Grundstücksgröße geringe Schmalseite. Das gelte aber auch für die Stellung der
Baukörper. Es gebe keine eindeutigen Grenzen zwischen einzelnen "Bauplätzen" auf
den veranlagten Grundstücken, da diese in einem Zug mit Häusern bebaut worden
seien, die in etwa gleichartig und gleich gelegen seien und durch Wege als
"Binnenerschließung" verbunden seien, zumal auf beiden Grundstücken jeweils ein
Spielplatz zentral angeordnet sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und des Sachverhalts im
übrigen wird auf die gerichtliche Streitakte nebst Beiakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
15
Die Berufung ist nicht begründet. Die Erschließungsbeitragsbescheide des Beklagten
vom 13. September 1996 und dessen Widerspruchsbescheide vom 21. Oktober 1996
sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen
für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht erfüllt sind und dass die angefochtenen
Beitragsfestsetzungen auch der Höhe nach nicht zu beanstanden sind.
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Mit dem Verwaltungsgericht ist zunächst anzunehmen, dass die straße i.S.v. § 132 Nr. 4
BauGB endgültig hergestellt ist. Allerdings ist der Zustand endgültiger Herstellung
bereits auf Grund der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der
Stadt (Westf.) vom 15. August 1988 (EBS 1988) eingetreten. Hierfür bedurfte es nicht
einer Merkmalsregelung für das Straßenbegleitgrün, wie sie in § 8 EBS 1988 gefehlt
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hat, nunmehr aber in § 8 Abs. 2 c) der Satzung über die Erhebung von
Erschließungsbeiträgen in der Stadt vom 9. Juni 1999 (EBS 1999) enthalten ist. Denn
die in der straße angelegten, einen Straßenbestandteil darstellenden und somit
unselbständigen Grünflächen (Straßenbegleitgrün) gehören nicht zu den Bestandteilen
einer Anbaustraße wie Fahrbahn, Entwässerung und Beleuchtung, für die allein eine
Norm über die endgültige Herstellung in der Merkmalsregelung der Satzung erforderlich
ist.
Vgl. den Beschluss des Senats vom 8. August 1991 - 3 B 758/90 - (zu unselbständigen
Parkflächen).
18
Zudem ist im vorliegenden Fall auch das sog. formlose Bauprogramm erfüllt, wovon
nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Entstehung der
Erschließungsbeitragspflichten unter dem Gesichtspunkt der endgültigen Herstellung
gleichfalls abhängt.
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Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl., § 11 Rn. 38 ff. (m.w.N.).
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Für die Aufstellung dieses Programms war nach § 8 Abs. 2 Nr. 2.2 der
Zuständigkeitsordnung des Rates der Stadt vom 26. Februar 1980 der Planungs- und
Bauausschuss zuständig. In der Ausschußsitzung vom 10. September 1984 wurde die
Ausbauplanung straße von Herrn , Leiter der Tiefbauabteilung der Stadt , erläutert. Nach
dem zu den Ge- richtsakten gereichten Vermerk des Herrn vom 12. November 2002
bezog sich diese erläuterte und vom Ausschuss gebilligte Ausbauplanung nicht nur, wie
es im Ausschussprotokoll heißt, auf die Teilstrecke der " straße zwischen weg und
weg", die wegen des geplanten Vollausbaus intensiver diskutiert wurde, sondern auch
auf die Teilstrecke zwischen der Dorfmitte an der straße und dem weg. Danach ist
anzunehmen, dass der Planungs- und Bauausschuss entsprechend der ihm
zugewiesene Zuständigkeit die Ausbauplanung und mithin das sog. formlose
Bauprogramm für die gesamte Abrechnungsstrecke beschlossen hat und dass dieses
Programm durch den hier abgerechneten Ausbau umgesetzt worden ist.
21
Dem Verwaltungsgericht ist des weiteren in der Beurteilung zu folgen, dass für die
Herstellung der straße eine Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gemäß §
125 Abs. 2 BauGB a.F. erforderlich war und dass - mangels Einholung einer solchen
Zustimmung - die Rechtmäßigkeit der Straßenherstellung nunmehr nach § 125 Abs. 2
BauGB in der seit dem 1. Januar 1998 geltenden Fassung zu beurteilen ist, die auf Art. 1
BauROG vom 18. August 1997, BGBl I S. 2081, zurückgeht (§ 125 Abs. 2 BauGB n.F.).
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Insoweit folgt der Senat nicht der Ansicht, vor dem 1. Januar 1998 begonnene
Erschließungsmaßnahmen, für die eine Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde
erforderlich gewesen sei, seien generell nach § 125 Abs. 2 BauGB a.F. "abzuwickeln".
23
Vgl. Stadler, Umlegungsrecht und Erschließungsrecht - Änderungen durch die BauGB-
Novelle 1998, ZfBR 1998, 12 (15 f.).
24
Hierfür findet sich nämlich im Gesetz kein genügender Anhaltspunkt, na- mentlich nicht
in dem hierfür angeführten § 233 BauGB. Dabei kann dahin- stehen, ob die
letztgenannte Vorschrift überhaupt Anwendung finden kann, wogegen Bedenken
bestehen.
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Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl., § 7 Rn. 19; a.A. Bat-
tis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 125 Rdn. 14,
Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 1. August 2002, § 125 Rn. 7b.
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§ 233 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestimmt die Weitergeltung früheren Rechts nur für
Verfahren, die vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung förmlich eingeleitet worden
sind. Das Zustimmungsverfahren nach § 125 Abs. 2 BauGB a.F. kann nicht ab Beginn
oder Abschluss der bautechnischen Herstellung der Erschließungsanlage, sondern erst
ab Stellung eines entsprechenden Antrags der Gemeinde bei der höheren
Verwaltungsbehörde als in diesem Sinne eingeleitet angesehen werden, woran es hier
fehlt.
27
Vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, sowie Battis/Krautzberger/Löhr, jeweils
a.a.O.
28
Vielmehr ist nach Auffassung des Senats § 125 Abs. 2 BauGB n.F. anzu- wenden. Die
hiernach geforderte Prüfung ist allein auf das Vorliegen der Anforderungen des § 1 Abs.
4 bis 6 BauGB bezogen, deren Feststellung nach Maßgabe der alten Fassung der
Vorschrift der höheren Verwaltungsbehörde oblag. Damals und nunmehr geht es einzig
um die Frage, ob die gewählte Ausbauvariante rechtmäßiges Resultat einer den
Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB genügenden Planung sein kann.
29
Vgl. zum alten Rechtszustand: BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 8 C 77.88 -, ZMR
1990, 352.
30
§ 125 Abs. 2 BauGB n.F. verlangt hingegen nicht die Vornahme eines Planungsakts,
erfordert also nicht einen der Gemeinde und dort dem nach Kommunalverfassungsrecht
zuständigen Organ vorbehaltenen Abwägungsvorgang gemäß § 1 Abs. 5 und 6 BauGB.
31
So allerdings insbesondere Driehaus, a.a.O., § 7 Rn. 24 ff.
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Dagegen spricht nach Auffassung des Senats durchgreifend der Umstand, dass mit der
Neufassung des § 125 Abs. 2 BauGB einzig ein Zuständigkeitswechsel beabsichtigt
war.
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So im Ausgangspunkt auch Driehaus, a.a.O., § 7 Rn. 18; vgl. auch den Bericht des
Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, BT-Drucks. 13/7589, S. 28.
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Dies verdeutlicht der Wortlaut des Gesetzes, der als Gegenstand der früher von der
höheren Verwaltungsbehörde und nunmehr von der Gemeinde vorzunehmenden
Prüfung wortgleich die "in § 1 Abs. 4 bis 6 bezeichneten An- forderungen" nennt, ohne
ausdrücklich oder auch nur mittelbar etwaige nach der Gesetzesneufassung
einzuhaltende Verfahrensanforderungen anzusprechen. Demgegenüber besteht kein
durchgreifender Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber über einen Zuständigkeitswechsel
hinaus zugleich eine Änderung des Prüfungsinhalts herbeiführen wollte, nämlich die
Ersetzung der Rechtsprüfung durch ein Planungsverfahren. Die Annahme einer solchen
Gesetzesänderung i.S. der Normierung eines Planungsaktes, der bei gegebenem
Anlass im erschließungsbeitragsrechtlichen Streitverfahren incidenter zu überprüfen
wäre,
35
vgl. dazu die Ausführungen bei Driehaus, a.a.O., § 7 Rn. 22, 24 f., und Ludyga/Hesse,
36
Erschlie- ßungsbeitrag, 17. EL Oktober 2001, § 125 BauGB Rn. 56,
hätte in der Praxis nur schwer zu bewältigende Auswirkungen. Der Gemeinde wäre
nämlich ein Planungsverfahren auferlegt, das mangels jedwe- der Regelung von
Förmlichkeiten besonders angreifbar und fehleranfällig wäre. So sichert beim
Bebauungsplan etwa ein vom Gesetzgeber bis in die Einzelheiten vorgeschriebenes
Beteiligungsverfahren (§ 3 ff. BauGB) die vollständige Erfassung aller
abwägungsrelevanten Belange. Ähnliche Ver- fahrensvorschriften gewährleisten auch
die materiell rechtmäßige Durchführung von Planfeststellungsverfahren (vgl. etwa § 17
Bundesfernstraßengesetz). Darüber hinaus sind mit den vorgenannten Gesetzen
Vorschriften erlassen worden, die nachträgliche Einwendungen gegen ergangene
Planungsakte beschränken oder ausschließen (vgl. etwa § 4 Abs. 3, § 214 Abs. 3 Satz
2, § 215 BauGB, § 17 Abs. 4 und 6c Bundesfernstraßengesetz). Die Annahme, dass der
Gesetzgeber den Gemeinden gerade im Anwendungsbereich des § 125 Abs. 2 BauGB,
also in Fällen, in denen die städtebauliche Entwicklung und Ordnung keine
Bauleitpläne erfordert (§ 1 Abs. 3 BauGB), sondern eine Grobabstimmung reicht,
37
vgl. Ludyga/Hesse, a.a.O.,
38
ein Planungsverfahren ohne ein derartiges "sicherndes Netz" aufbürden wollte, liegt
hiernach fern. In dieser Richtung bietet auch das Gesetzge- bungsverfahren keine
Anhaltspunkte. Die Neufassung des § 125 Abs. 2 BauGB ist offensichtlich unter dem
Gesichtspunkt der Zuständigkeitskonzentration und damit als Verfahrensvereinfachung -
als Konsequenz aus dem Wegfall des Anzeigeverfahrens für Bebauungspläne und zur
Stärkung der kommunalen Planungshoheit - betrachtet worden; die vorerwähnten
verfahrensrechtlichen Besonderheiten eines Planungsverfahrens wurden dabei nicht
ansatzweise in den Blick genommen.
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Vgl. erneut den Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,
a.a.O.
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Nach Vorstehendem kommt es - abweichend von der Auffassung des
Verwaltungsgerichts - unter dem Gesichtspunkt des § 125 Abs. 2 BauGB n.F. nicht
darauf an, in welcher Art und in welchem Umfang der Planungs- und Bauausschuss mit
der Ausbauplanung für die straße befasst worden ist. Auch kann offenbleiben, ob aus
dem Vermerk der Stadtplanungsabteilung vom 14. Juni 1999 zu entnehmen ist, dass
eine den Anforderungen des § 1 Abs. 6 BauGB entsprechende Abwägung stattgefunden
hat. Diesem Vermerk und auch den vorliegenden Plänen kann immerhin entnommen
werden, dass Anhaltspunkte für eine Verfehlung der im dargelegten Sinne
aufzufassenden Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB nicht gegeben sind; unter
dem Blickwinkel dieser Auslegung des § 125 Abs. 2 BauGB n.F. sind solche
Anhaltspunkte auch nicht im Vorbringen der Klägerin zu finden.
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Hinsichtlich der anlagebezogenen Faktoren, von denen die Beitragshöhe abhängt
(Abgrenzung der Erschließungsanlage sowie des Erschließungsgebiets im
allgemeinen, Erschließungsaufwand, Anwendung des Verteilungsmaßstabs) ergeben
sich weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch im übrigen Gesichtspunkte, unter
denen die Beitragsabrechnung des Beklagten in Zweifel zu ziehen wäre. Entgegen der
Auffassung der Klägerin ist dem Verwaltungsgericht auch in der Beurteilung zu folgen,
dass der Beklagte bei der Bemessung der Erschließungsbeiträge zu Recht nicht nur
eine geringe Teilfläche der veranlagten Grundstücke, sondern jeweils nahezu die
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gesamte Grundstücksfläche (mit Ausnahme der Freiflächen jenseits der letzten
Baukörper) zugrunde gelegt hat.
Da die Grundstücke der Klägerin von Bebauung umgeben sind, liegen sie im
"zentralen" unbeplanten Bereich i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Angesichts dieser
Lage müssten sie von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Tiefenbegrenzung
auf 30 m (§ 6 Abs. 3 Nr. 2 a) EBS 1988) ausscheiden, falls der Meinung zu folgen wäre,
kraft Bundesrechts sei die Anwendung von Tiefenbegrenzungsregelungen auf solche
unbeplanten Grundstücke beschränkt, die an den Außenbereich angrenzten bzw. in ihn
übergingen.
43
Vgl. Driehaus, a.a.O., § 17 Rn. 31 ff. (m.w.N. aus der Verwaltungsrechtsprechung).
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Dieser Meinung schließt sich der Senat jedoch nicht an, und zwar aus folgenden
Erwägungen:
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Die Auffassung, die Tiefenbegrenzung sei auf "Randgrundstücke" zu beschränken, hebt
vor allem auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ab, der darin liege, dass im
beplanten Gebiet die volle Grundstücksfläche, im "zentralen" unbeplanten Gebiet
jedoch nur eine Grundstücksteilfläche in die Beitragsbemessung Eingang finde, obwohl
auch dort die volle Grundstücksfläche baulich nutzbar sei.
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Vgl. insbesondere OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Januar 1999 - 9 M 3626/98 -,
NVwZ-RR 2000, 249, sowie Driehaus, a.a.O., § 17 Rn. 34, 39.
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Diese Auffassung dürfte auf einem Missverständnis der Tiefenbegrenzung und der für
ihre Bemessung heranzuziehenden Kriterien beruhen, das wahrscheinlich auf das erste
zur Tiefenbegrenzung ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (vom 3. Juni
1971 - IV C 28.70 -, KStZ 1971, 244) zurückgeht; dort wird zur Rechtfertigung der
Tiefenbegrenzung die Erwägung angeführt, eine bauliche Nutzung über die Tiefe von
50 m hinaus sei in aller Regel nur unter besonderen Umständen zweckmäßig und
möglich. Für die Bemessung der Tiefenbegrenzung ist aber nicht die ortsübliche
rückwärtige Grenze der Bebauung, sondern die ortsübliche Tiefe der Baugrundstücke
zur Richtschnur zu nehmen.
48
Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 27. Juni 1996 - 3 B 2735/95 -, NVwZ-RR 1997, 66,
sowie VGH München, Urteil vom 26. Februar 1998 - 6 B 94.3817 -, KStZ 1999, 179; vgl.
auch (zum Straßenbaubeitragsrecht) OVG Münster, Urteil vom 30. Oktober 2001 - 15 A
5184/99 -, NWVBl. 2002, 275.
49
Bei Betrachtung der tatsächlichen Bebauungsverhältnisse in der Masse der Gemeinden,
die sich insoweit in den letzten 30 oder 40 Jahren nicht grund- legend geändert haben,
tritt als am häufigsten vorkommend und damit für eine Typenbildung geeignet das
Grundstück hervor, das mit einem Einfamilienhaus oder mit einem kleinen
Mehrfamilienhaus bebaut ist. Bei einer üblichen Tiefe des Vorgartens von ca. 5 bis 10 m
und des Hauses von ca. 10 bis 12 m ergibt das eine Bebauungstiefe von ca. 15 bis 20
m; die restliche Tiefe, die bei einer Tiefenbegrenzung von 50 m demnach ca. 30 m
ausmacht, entfällt auf die Freiflächen, die bei typisierender Betrachtung im unbeplanten
Bereich nicht bebaubar sind. Nichts anderes gilt für die "kleineren" Tiefenbegrenzungen
auf 25 m oder (wie im vorliegenden Fall) auf 30 m. Diese "kleineren"
Tiefenbegrenzungen zeichnen die im Laufe der letzten Jahrzehnte eingetretene
50
Verkleinerung der Baugrundstücke auf ca. 400 qm (oder weniger) nach, die vor allem
durch das Ansteigen der Baulandpreise und die Ausrichtung der
Wohnungsbauförderung auf kleinere Baugrundstücke bedingt ist. Ist demnach davon
auszugehen, dass eine beispielsweise auf 50 m bemessene Tiefenbegrenzung sich
zutreffend nicht an der ortsüblichen Tiefe der Bebauung, sondern der Baugrundstücke
im unbeplanten Bereich orientiert hat, so kann von einer unzulässigen
Ungleichbehandlung und von einer Missachtung des Vorteilsprinzips durch die
Anwendung der Tiefenbegrenzung auch im "zentralen" unbeplanten Bereich keine
Rede sein. Das wird an dem Beispiel einer Straßenseite deutlich, an der sämtliche
Grundstücke eine Breite von 20 m haben, die allermeisten auch die einheitliche Tiefe
von 50 m, einzelne Grundstücke hingegen eine Tiefe von 100 m. Die
Beitragsabrechnung nach dem verbreiteten Grundstücksflächen/Geschosszahlmaßstab
führt ohne Tiefenbegrenzung dazu, dass die Anlieger der übertiefen Grundstücke
jeweils einen doppelt so hohen Beitrag tragen müssen wie ihre Nachbarn, obwohl sich
gemäß § 34 BauGB die Nutzung ihrer Grundstücke nach Art und Maß in die Eigenart
der näheren Umgebung einfügen muss, womit ihnen häufig verwehrt ist, "in zweiter
Reihe" ein weiteres Wohnhaus zu errichten. Dieser Ungleichbelastung, die unter dem
Gesichtspunkt der Abgabengerechtigkeit bedenklich ist, kann zwar nicht durch eine
Billigkeitsregelung nach § 135 Abs. 5 BBauG/BauGB, jedoch durch die ortsrechtliche
Tiefenbegrenzung gerade auch im "zentralen" unbeplanten Bereich vorgebeugt werden.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 1976 - IV C 65 und 66.74 -, KStZ 1977, 72, und vom 10.
Juni 1981 - 8 C 20.81 -, NVwZ 1982, 246.
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Die Tiefenbegrenzungsregelung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 a) EBS 1988 ist demnach
vom Beklagten zutreffend auch im vorliegenden Fall für anwendbar gehalten worden.
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Die umstrittene Beitragsabrechnung ist aber auch sofern nicht zu bean- standen, als ihr
die Annahme zugrunde liegt, die Tiefengrenze sei gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 EBS 1988
bis zum Ende der "übergreifenden Nutzung" (d.h. bis zum Ende der Bebauung) zu
verschieben. Das entspricht der revi- sionsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der eine
in der Erschließungsbei- tragssatzung geregelte Tiefenbegrenzung nicht anwendbar ist,
"wenn und soweit ein Grundstück über die Grenze hinaus tatsächlich baulich oder ge-
werblich genutzt wird".
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So BVerwG, Urteil vom 19. Februar 1982 - 8 C 27.81 -, DVBl 1982, 552.
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Hiernach ist die jenseits der Tiefengrenze gelegene, baulich (oder vergleichbar)
genutzte Fläche des unbeplanten Grundstücks als erschlossen anzusehen, und zwar
unabhängig davon, ob für die "übergreifende Nutzung" tatsächlich die abgerechnete
Erschließungsanlage oder aber (wie im vorliegenden Fall) eine andere
Erschließungsanlage in Anspruch genommen wird.
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Von der ortsrechtlichen Tiefenbegrenzung abgesehen, hat das Klagebegehren auch
keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt der (allgemeinen) "beschränkten
Erschließungswirkung", der im Mittelpunkt der Erörterung der Parteien und auch des
angefochtenen Urteils steht. Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen des
angefochtenen Urteils Bezug, die auch durch das Berufungsvorbringen nicht in Zweifel
gezogen werden. Deshalb kann offenbleiben, inwieweit die Rechtsfigur der
beschränkten Erschließungswirkung einer Anbaustraße, die vor allem für beplante
Gebiete entwickelt worden ist, im unbeplanten Bereich neben der Tiefenbegrenzung
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Raum findet.
Vgl. Driehaus, a.a.O., § 17 Rn. 41 ff. (insbes. 42, 46).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Senat
hat die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen wegen grundsätzlicher
Bedeutung der hier aufgeworfenen Frage, wann eine im unbeplanten Bereich
hergestellte Erschließungsanlage insbesondere den Anforderungen des § 125 Abs. 2
BauGB n.F. i.V.m. § 1 Abs. 6 BauGB entspricht.
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