Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.01.2000

OVG NRW: zweigniederlassung, wirtschaftsprüfer, leiter, genehmigung, ermächtigung, zahl, verwaltungsverfahren, wettbewerbsfähigkeit, hauptniederlassung, behörde

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 3311/97
28.01.2000
Oberverwaltungsgericht NRW
4. Senat
Urteil
4 A 3311/97
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 3 K 1092/97
Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29. August
1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1997
verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Erteilung einer unbefristeten
Ausnahmegenehmigung gemäß § 47 Satz 2 Wirtschaftsprüferordnung
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
bescheiden.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Kläger und
die Beklagte jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der
Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe
leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wurde durch Urkunde vom 31. Juli 1987 als vereidigter Buchprüfer bestellt.
Außerdem ist er als Steuerberater und Rechtsbeistand zugelassen. Sein Geschäftssitz
befindet sich seit 1979 in O. . Seit Mitte 1990 unterhält er zusätzlich ein Büro in E. .
Mit Schreiben vom 23. Dezember 1994 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er für seine
Zweigniederlassung in E. noch keinen Berufsangehörigen als Leiter habe finden können.
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Da der Geschäftsumfang, insbesondere hinsichtlich seiner Tätigkeit als vereidigter
Buchprüfer, gering sei, bitte er darum, ihm gemäß § 47 Satz 2 Wirtschaftsprüferordnung
(WPO) zu gestatten, die Zweigniederlassung selbst zu leiten. Die Beklagte erteilte Anfang
Januar 1995 die entsprechende Genehmigung befristet bis zum 31. Dezember 1995 und
wies zugleich darauf hin, daß mit einer weiteren Verlängerung nicht gerechnet werden
könne. Unter dem 14. November 1995 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und
bat darum, auch weiterhin eine Ausnahme zuzulassen. Zur Begründung führte er aus: Er
sei im wöchentlichen Turnus jeweils eine volle Woche in der Zweigniederlassung
persönlich anwesend und seine Praxis sei durch 8 Mitarbeiter ständig ansprechbar. Die
Leitungsfunktion könne nur von ihm persönlich wahrgenommen werden. Durch
organisatorische Maßnahmen sei von Anfang an gewährleistet, daß er seine
Berufspflichten gewissenhaft und eigenverantwortlich ohne Einschränkung erfüllen könne.
Insbesondere würden die Tätigkeiten im Bereich der Buch- und Bilanzprüfungen nur durch
ihn persönlich durchgeführt, so daß die erforderliche berufliche Zuverlässigkeit auch
weiterhin gewährleistet sei. Die Beklagte verlängerte daraufhin die
Ausnahmegenehmigung bis zum 30. Juni 1996 mit dem Bemerken, daß eine weitere
Verlängerung nicht in Betracht komme.
Mit Schreiben vom 11. Juni 1996 beantragte der Kläger, ihm über den 30. Juni 1996 hinaus
eine unbefristete Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Trotz intensiver Bemühungen sei es
ihm nicht gelungen, in der Zwischenzeit einen Berufsträger als Leiter einzustellen.
Arbeiten, die im Bereich seiner beruflichen Aufgaben als vereidigter Buchprüfer anfielen,
würden ausschließlich von ihm wahrgenommen. Dadurch sei seine Eigenverantwortlichkeit
und Zuverlässigkeit gewährleistet.
Die Beklagte beschied den Kläger unter dem 29. August 1996 dahin, daß entsprechend
einem Vorstandsbeschluß die Ausnahmegenehmigung letztmalig bis zum 31. Dezember
1996 verlängert werde. Der Vorstand werde weitere Verlängerungsanträge negativ
bescheiden, weil hinreichend Gelegenheit bestanden habe, in der Zwischenzeit
Überlegungen für eine ordnungsgemäße Besetzung bzw. für andere berufsgerechte
Lösungen zum Abschluß zu bringen. Eine Rechtsmittelbelehrung war diesem Bescheid
nicht beigefügt.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 1996 legte der Kläger gegen die Ablehnung der
Ausnahmegenehmigung für den Zeitraum ab 31. Dezember 1996 Widerspruch ein, den er
wie folgt begründete: Einen Leiter für die Zweigniederlassung habe er bisher nicht finden
können, da es in E. nur wenige Berufskollegen mit seiner Qualifikation gebe. Mit der in § 47
Satz 1 WPO enthaltenen Regelung solle den Berufspflichten der Gewissenhaftigkeit und
der Eigenverantwortlichkeit Rechnung getragen werden. Die Einhaltung dieser Pflichten
sei in seinem Falle gewährleistet, da er alle Tätigkeiten in seiner Berufseigenschaft als
vereidigter Buchprüfer ausschließlich selbst ausführe. Das sei möglich, weil er im
wöchentlichen Turnus jeweils eine volle Woche in der Zweigniederlassung persönlich
anwesend, diese mit langjährigen und fähigen Mitarbeitern besetzt und der Umfang der
Prüfungsaufträge sowohl in O. als auch in E. äußerst gering sei. Der Gesetzgeber habe
durch die Änderung des § 47 WPO eine Lockerung der Regelungen über
Zweigniederlassungen herbeiführen wollen. Soweit Gewissenhaftigkeit und
Eigenverantwortlichkeit gewährleistet seien, müsse eine Ausnahme nach § 47 Satz 2 WPO
zwingend zugelassen werden. Es sei zu berücksichtigen, daß er im Vertrauen auf die
Rechtslage im Jahre 1991 in E. neue Büroräume angeschafft und sich diesbezüglich
finanziell belastet habe. Bei einer Schließung der Zweigniederlassung befürchte er
erhebliche finanzielle Verluste und sehe sich Rückforderungsansprüchen wegen
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Investitionszulagen und Sonderabschreibungen ausgesetzt.
Durch Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1997 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück: Anläßlich seiner Sitzung am 19./20. August 1996 habe der Vorstand
beschlossen, generellen Verlängerungsanträgen für Zweigniederlassungen in den neuen
Bundesländern letztmalig bis zum 31. Dezember 1996 stattzugeben. Deshalb sei der auf
eine unbefristete Verlängerung gerichtete Antrag abzulehnen gewesen. Die Berufspflichten
könnten nur dann ordnungsgemäß erfüllt werden, wenn am Ort der Hauptniederlassung
und der Zweigniederlassung jeweils vereidigte Buchprüfer leitend ansässig seien. Die
Höchstpersönlichkeit der Leistungserbringung ergebe sich aus § 47 Satz 1 WPO. Deshalb
könne der in Satz 2 geregelte Ausnahmefall nur vorübergehender Natur sein, weil
anderenfalls eine ordnungsgemäße Berufsausübung auf Dauer nicht sichergestellt sei.
Auch aus der vergleichbaren Regelung des § 34 Abs. 2 Steuerberatungsgesetz ergebe
sich, daß unbefristete Ausnahmegenehmigungen gesetzlich ausgeschlossen sein sollten.
Der Kläger hat Klage erhoben und ergänzend vorgetragen: Den Gesetzesmaterialien sei zu
entnehmen, daß eine Ausnahme nach § 47 Satz 2 WPO in Betracht komme, wenn ein in
Einzelpraxis tätiger Wirtschaftsprüfer Zweigniederlassungen im Inland begründe wolle und
der Geschäftsumfang es erlaube, daß ein Wirtschaftsprüfer mehrere Zweigniederlassungen
leite. § 47 Satz 2 WPO ermögliche es der Beklagten daher, Ausnahmen auch unbefristet
zuzulassen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des mit Schreiben vom 29. August 1996 mitgeteilten
Beschlusses des Vorstands und des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1997 zu
verpflichten, für seine Zweigniederlassung in E. eine Ausnahme vom Leitererfordernis
gemäß § 47 Satz 1 WPO auch über den 31. Dezember 1996 hinaus zuzulassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat im wesentlichen die Gründe des Widerspruchsbescheides wiederholt und weiter
darauf verwiesen, daß der vorliegende Sachverhalt nicht den Fallgruppen zuzurechnen sei,
bei denen sie nach ihrer Ermessenspraxis Ausnahmen zulasse. Aufgrund eines
Vorstandsbeschlusses vom 22. September 1994 müsse ab 1. Januar 1997 in den neuen
Bundesländern jede noch bestehende Zweigniederlassung eines Wirtschaftsprüfers und
eines vereidigten Buchprüfers von einem anderen Berufsangehörigen mit Berufssitz unter
der Anschrift der Zweigniederlassung geleitet werden. Soweit sich der Kläger für seine
gegenteilige Auffassung auf die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Änderung des § 47 WPO beziehe, sei diese Begründung offensichtlich in Unkenntnis der
Entscheidungspraxis des Vorstandes der Beklagten verfaßt worden.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil, auf das Bezug
genommen wird, abgewiesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt, die er unter Wiederholung und Vertiefung
seines bisherigen Vorbringens wie folgt begründet: Entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts sei die Ausnahmeregelung des § 47 Satz 2 WPO nicht auf die
Gründungsphase von Zweigniederlassungen beschränkt. Nach dem Wortlaut des § 47
WPO sei eine atypische Ausnahmesituation gerade nicht erforderlich. Auch § 39 Nr. 3 b
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WPO gebe nichts dafür her, daß die Ausnahmegenehmigung nur vorübergehend oder
beschränkt auf die Gründungsphase erteilt werden dürfe. Ein Vergleich der neuen und der
alten Fassung des § 47 WPO mache deutlich, daß der Gesetzgeber durch die Neufassung
eine Sonderregelung zugunsten von Einzelpraxen habe schaffen wollen, um diese zu
stärken und ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhalten. Der Umfang der in E. anfallenden
Tätigkeiten sei mit zwei Prüfungsaufträgen pro Jahr sehr gering. Überdies erfordere der
Aufbau einer freiberuflichen Praxis einen außerordentlich langen Zeitraum, so daß die
Befristung der Ausnahmegenehmigung auf insgesamt zwei Jahre unverhältnismäßig
gewesen sei. Bei dieser Sachlage habe er zumindest einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Neubescheidung.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
29. August 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1997 zu
verpflichten, ihm für seine Zweigniederlassung in E. eine unbefristete
Ausnahmegenehmigung gemäß § 47 Satz 2 WPO auch über den 31. Dezember 1996
hinaus zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt im wesentlichen ihr früheres Vorbringen und trägt ergänzend vor, daß sich
der Umfang der Tätigkeiten des Klägers nicht nur nach den Prüfungsmandaten, sondern
mit Rücksicht auf § 129 WPO nach dem Gesamtumfang der in der Zweigniederlassung
erbrachten beruflichen Leistungen bestimme. Die dem Kläger erteilten
Ausnahmegenehmigungen erfassten im übrigen einen Zeitraum von weit mehr als zwei
Jahren
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs sowie auf die von der
Beklagten überreichten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat teilweise Erfolg.
Der Senat läßt die Frage offen, ob in der Übertragung des Rechtsstreits auf den
Einzelrichter der Kammer des Verwaltungsgerichts, die ohne vorherige Anhörung der
Beteiligten erfolgt ist, ein wesentlicher Verfahrensmangel zu sehen ist. Sollte dies der Fall
sein, so sieht der Senat in Ausübung des ihm eröffneten Ermessens von der gemäß § 130
Abs. 1 Nr. 2 VwGO möglichen Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht ab. Denn die
Sache ist entscheidungsreif und den Beteiligten ist mit einem zügigen Abschluß des
Berufungsverfahrens am ehesten gedient.
Die Klage, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist nur zum Teil begründet.
Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 29. August 1996 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1997 erweist sich als rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist zwar nicht verpflichtet, die vom Kläger
beantragte unbefristete Ausnahmegenehmigung zu erteilen, weil die Sache nicht spruchreif
ist. Sie ist aber verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Maßgeblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist § 47 WPO in der seit dem 1. Januar
1995 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 36 und Art. 4 des Dritten Gesetzes zur Änderung der
Wirtschaftsprüferordnung vom 15. Juli 1994, BGBl. I S. 1569). Diese Vorschrift, die gemäß
§ 130 Abs. 1 Satz 1 WPO auf vereidigte Buchprüfer entsprechende Anwendung findet, hat
folgenden Wortlaut:
Zweigniederlassungen müssen jeweils von wenigstens einem Wirtschaftsprüfer geleitet
werden, der seine berufliche Niederlassung am Ort der Zweigniederlassung hat. Für
Zweigniederlassungen von in eigener Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern kann die
Wirtschaftsprüferkammer Ausnahmen zulassen."
Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Regelung der Berufsausübung im Sinne des Art.
12 Abs. 1 Satz 2 GG in Form eines repressiven Gebots mit Befreiungsvorbehalt.
Die Voraussetzungen des § 47 Satz 2 WPO für eine Befreiung vom Leitererfordernis des §
47 Satz 1 WPO liegen vor. Der Kläger unterhält neben seiner Hauptniederlassung in O.
eine Zweigniederlassung in E. . Weil hier auch Prüfaufgaben im Sinne des § 129 Abs. 1
WPO durchgeführt werden, ist dies zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Kläger ist
des weiteren auch in eigener Praxis tätig (vgl. dazu § 3 WPO, der auf vereidigte Buchprüfer
ebenfalls entsprechend anwendbar ist).
Die Zulassung einer Ausnahme steht deshalb gemäß § 47 Satz 2 WPO im Ermessen der
beklagten Wirtschaftsprüferkammer. Diese hat gemäß § 40 VwVfG ihr Ermessen
entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens einzuhalten. Ob das geschehen ist, haben die Gerichte gemäß § 114 Satz 1
VwGO nachzuprüfen. Diese Prüfung ergibt, daß die Beklagte von ihrem Ermessen nicht in
einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Der Zweck der in § 47 Satz 2 WPO enthaltenen Ermächtigung geht dahin, Ausnahmen vor
allem dann zuzulassen, wenn der Geschäftsumfang es erlaubt, daß ein Wirtschaftsprüfer
neben seiner Niederlassung eine oder mehrere Zweigniederlassungen selbst leitet. Dies
erschließt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, der Gesetzessystematik und der
Zielrichtung des repressiven Gebots nach § 47 Satz 1 WPO.
Nach der bis zum 31. Dezember 1994 geltenden Fassung des § 47 Abs. 1 WPO
(Bekanntmachung der Neufassung der Wirtschaftsprüferordnung vom 5. November 1975,
BGBl. I S. 2803 - WPO a.F.) durften Wirtschaftsprüfer neben ihrer Niederlassung nur eine
weitere berufliche Niederlassung begründen (vgl. auch § 3 Abs. 2 WPO a.F.), wenn auch
am Ort der weiteren Niederlassung ein dort ansässiger Wirtschaftsprüfer deren fachliche
Leitung übernahm. Die Wirtschaftsprüferkammer konnte hiervon Ausnahmen zulassen.
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften unterlagen bezüglich der Zahl ihrer
Zweigniederlassungen keinen Beschränkungen. Ihre Zweigniederlassungen mußten nach
§ 47 Abs. 2 WPO a.F. von wenigstens einem Wirtschaftsprüfer geleitet werden. Dieser
mußte seinen Wohnsitz am Ort der Zweigniederlassung haben, wobei die
Wirtschaftsprüferkammer ihm zur Vermeidung von Härten gestatten konnte, an einem
anderen Ort zu wohnen. Im Interesse einer Deregulierung wurde mit der Neufassung des §
47 WPO die Begrenzung der Zahl der Zweigstellen bei Wirtschaftsprüfern aufgegeben.
Sowohl bei Wirtschaftsprüfern als auch bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wird nur
noch verlangt, daß der Leiter seine berufliche Niederlassung am Ort der
Zweigniederlassung hat. Ausnahmen vom Leitererfordernis sieht die Neufassung
allerdings nur bei in eigener Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern, nicht aber bei
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Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vor. Insgesamt verfolgt das Dritte Gesetz zur Änderung
der Wirtschaftsprüferordnung die Zielsetzung, die Leistungsfähigkeit der
wirtschaftsprüfenden Berufe durch eine Auflockerung berufsrechtlicher Regelungen zu
stärken,
vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16. September 1993, BT-Drucks. 12/5685 S.
1 (A).
Dementsprechend heißt es in der Begründung der Bundesregierung zur Neufassung des §
47 WPO,
Gesetzentwurf vom 16. September 1993, aaO, S. 28:
Nicht verzichtet werden kann grundsätzlich darauf, daß jede Zweigniederlassung von
wenigstens einem Wirtschaftsprüfer geleitet werden muß, der seine berufliche
Niederlassung am Ort der Zweigniederlassung hat. Wie bisher soll die
Wirtschaftsprüferkammer aber für Zweigniederlassungen von in eigener Praxis tätigen
Wirtschaftsprüfern Ausnahmen zulassen können. Derartige Ausnahmen werden vor allem
dann in Betracht kommen, wenn ein in Einzelpraxis tätiger Wirtschaftsprüfer oder eine aus
wenigen Wirtschaftsprüfern bestehende Sozietät Zweigniederlassungen im Inland und ggf.
auch im Ausland begründen will und der Geschäftsumfang es erlaubt, daß ein
Wirtschaftsprüfer mehrere Zweigniederlassungen leitet. Diese Möglichkeit soll im Interesse
der Wettbewerbsfähigkeit der Inhaber von Einzelpraxen und der Sozietäten erhalten
bleiben."
Es steht außer Frage, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Zulassung von
Ausnahmen maßgeblich vom konkreten Geschäftsumfang abhängen soll. Dem
Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit kommt demgegenüber - entgegen der Auffassung
des Verwaltungsgerichts - keine Bedeutung zu. Die entsprechende Passage in der
Gesetzesbegründung will lediglich erläutern, weshalb auf der Tatbestandsseite der Norm
bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften generell auf eine einzelfallbezogene Prüfung des
Geschäftsumfangs verzichtet wird; sie besagt aber nicht, daß im Rahmen der
Ermessensbetätigung, also auf der Rechtsfolgenseite, bei Einzelpraxen eine individuelle
Prüfung der Wettbewerbsfähigkeit erfolgen soll.
Bestätigt wird dies durch die Systematik des Gesetzes und die Zielrichtung des
gesetzlichen Gebots. Das in § 47 Satz 1 WPO enthaltene Gebot, eine Zweigniederlassung
nur mit einem qualifizierten Leiter zu unterhalten, ist Ausfluß der in § 3 Abs. 3 WPO
enthaltenen Regelung. Danach dürfen Wirtschaftsprüfer und
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften - entsprechendes gilt gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 WPO für
vereidigte Buchprüfer - Zweigniederlassungen "nach den Vorschriften dieses Gesetzes
begründen". Damit ist nichts anderes gemeint, als daß die Ausübung des Berufs von einer
Zweigniederlassung aus grundsätzlich den gleichen Regeln unterliegt wie die berufliche
Betätigung im Rahmen der Hauptniederlassung. Hier wie dort haben Wirtschaftsprüfer bzw.
vereidigte Buchprüfer ihren Beruf unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen,
eigenverantwortlich und unparteiisch auszuüben (§ 43 Abs. 1 WPO). Insofern dient das
Gebot in § 47 Satz 1 WPO dazu, eine gewissenhafte und eigenverantwortliche Tätigkeit
auch bei Begründung einer Zweigniederlassung zu gewährleisten. Dieser Schutzzweck
steht folgerichtig bei der Zulassung von Ausnahmen gemäß § 47 Satz 2 WPO im
Vordergrund. Ist im Einzelfall in der Zweigniederlassung aufgrund des geringen
Geschäftsumfangs eine gewissenhafte und eigenverantwortliche Tätigkeit auch ohne einen
dort beruflich niedergelassenen qualifizierten Leiter sichergestellt, so besteht kein Grund,
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die Ausnahmegenehmigung zu verweigern. Die Ausnahmeregelung des § 47 Satz 2 WPO
soll mithin die schematisierende Strenge des Gesetzes mildern und Härten und
Schwierigkeiten begegnen, die sich ergeben können, wenn aufgrund der besonderen
Umstände des jeweiligen Einzelfalles der Anwendungsbereich des Gesetzes und seine
materielle Zielsetzung nicht miteinander übereinstimmen.
Zum Sinn von Ausnahmegenehmigungen vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Dezember 1987 - 7
C 57.85 -, BVerwGE 78, 357, 360, und 14. Juli 1972 - 4 C 69.70 -, BVerwGE 40, 268, 271.
Insoweit unterscheidet sich diese Regelung von § 34 Abs. 2 Steuerberatungsgesetz, der
eine Ausnahme vom Leitererfordernis nicht (mehr) vorsieht.
Den so umrissenen Zweck der Ermächtigung hat die Beklagte bei ihrer
Ermessensbetätigung außer Acht gelassen. Sie ist von vornherein davon ausgegangen,
daß der in § 47 Satz 2 WPO geregelte Ausnahmefall nur vorübergehender Natur sein
könne und eine Verlängerung der Ausnahmegenehmigung über den 31. Dezember 1996
hinaus deshalb nicht in Betracht komme. Der Frage, ob der Geschäftsumfang es erlaubt,
daß der Kläger die Zweigniederlassung in E. selbst leitet, hat sie keine Bedeutung
beigemessen und ist deshalb insoweit auch nicht in eine einzelfallbezogene Prüfung
eingetreten. Dafür wäre es erforderlich gewesen, die Zahl der Geschäftsvorfälle und den
Aufwand, der mit ihrer Abwicklung für den Kläger verbunden ist, zu ermitteln.
Geschäftsvorfälle sind in diesem Zusammenhang alle Tätigkeiten, durch die der Kläger in
der Haupt- und Zweigniederlassung, sei es als Rechtsbeistand, Steuerberater oder
vereidigter Buchprüfer beruflich in Anspruch genommen wird. Denn seine gesamte
berufliche Inanspruchnahme ist entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob er die
Zweigniederlassung in E. gewissenhaft und eigenverantwortlich leiten kann. Weil dies
nicht geschehen ist, hat die Beklagte den Anspruch des Klägers auf eine fehlerfreie
Ermessensausübung verletzt.
Das Ermessen der Beklagten ist jedoch nicht in der Weise reduziert, daß sie gehalten
wäre, dem Kläger die begehrte unbefristete Erlaubnis zu erteilen. Ob der Geschäftsumfang
eine Leitung der Zweigstelle durch den Kläger zuläßt, hat die Beklagte bisher nicht
aufgeklärt. Außerdem bedarf es, wenn diese Klärung erfolgt ist, einer Prognose hinsichtlich
des zukünftigen Geschäftsumfangs. Den damit verbundenen Unwägbarkeiten kann die
Beklagte ggf. durch eine befristete Ausnahmegenehmigung, die verlängert werden kann,
Rechnung tragen. In Betracht kommt ggf. aber auch die Erteilung einer unbefristeten
Genehmigung verbunden mit einer Auflage, durch die in zeitlichen Abständen eine
Überprüfung des Geschäftsumfangs sichergestellt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Die Revision ist zuzulassen, weil die im Beschluß des Senats vom 15. März 1999
aufgeworfene Frage der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleiht.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu.
Die Revision ist bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen,
Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der
Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, eingelegt
wird. Die Revision muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.
Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Hardenbergstraße 31, 10623
Berlin, einzureichen.
Für das Revisionsverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der
Revision. Danach muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen.
Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch
Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren
Dienst vertreten lassen.
Dr. Fischer Köntopp Dr. Heinrich
B e s c h l u s s :
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 20.000,-- DM festgesetzt.
Dr. Fischer Köntopp Dr. Heinrich
Hinweis:
Sollte der Kläger wider Erwarten (vgl. GA Bl. 47, 119, 120 R) hilfsweise eine befristete
Ausnahmegenehmigung beantragen, so wäre die Klage mit einem solchen Hilfsantrag
unzulässig, weil es an einem entsprechenden Antrag an die Behörde fehlte.
Bei dem Erfordernis, vor Erhebung der Verpflichtungsklage an die Behörde einen
entsprechenden Antrag zu richten, handelt es sich um eine grundsätzlich unverzichtbare
Sachurteilsvoraussetzung,
vgl. etwas BVerwG, Beschluß vom 6. Mai 1993 - 1 B 201.92 -, n.v., und Urteil vom 14.
Dezember 1978 - 5 C 1.78 -, BVerwGE 57, 205, 210, Kopp/Schenke, VwGO, 11. Auflage
1998, Vorbemerkung § 40 Rdnr. 51.
Denn so lange ein Antrag nicht gestellt ist und die Behörde nicht Gelegenheit hatte, die
angesprochenen Fragen in dem gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahren zu klären,
sind die Verwaltungsgerichte wegen der verfassungsrechtlich verankerten
Kompetenzverteilung zu einer sachlichen Entscheidung nicht befugt,
vgl. schon Senatsurteil vom 20. Januar 1987 - 4 A 1556/85 -, n.v.
Der Kläger hat jedoch im Verwaltungsverfahren ausdrücklich einen unbefristeten Antrag
gestellt. Ob ein derartiger Antrag zugleich - konkludent hilfsweise - einen Antrag auf
Erteilung einer befristeten Genehmigung einschließt, läßt sich nicht generell beantworten,
sondern hängt von der jeweiligen Interessenlage ab. Vorliegend hatte der Kläger bereits
mehrfach befristete Ausnahmegenehmigungen erhalten. Die damit verbundenen
Unsicherheiten wollte er offensichtlich nicht länger hinnehmen, so daß ihm an einer
befristeten Genehmigung gerade nicht gelegen war. Deshalb ist davon auszugehen, daß
der im Verwaltungsverfahren gestellte Antrag auf Erteilung einer unbefristeten
Genehmigung nicht zugleich hilfsweise auf eine befristete Ausnahmegenehmigung
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gerichtet war.