Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.02.2000

OVG NRW: eltern, auskunftserteilung, unterhaltspflicht, anfechtungsklage, zivilrecht, unterhaltsklage, leistungsfähigkeit, meinung, darlehen, wechsel

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 4493/99
Datum:
28.02.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 A 4493/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 1 K 2497/96
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Zulassungsverfahrens.
G r ü n d e :
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe
des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO nicht greifen.
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Eine Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO würde voraussetzen, dass das
Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von
einem in dem vom Kläger angeführten Urteil des OVG NRW vom 13. November 1996 -
16 A 4461/95 - (FamRZ 1997, 647 = NWVBl 1997, 232) oder im Urteil des BVerwG vom
25. Februar 1982 - 5 C 104.79 - (NJW 1983, 131 = FamRZ 1982, 1040) aufgestellten
ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen wäre.
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Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328
m.w.N.
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Das ist hier jedoch nicht der Fall. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verhält sich zum
deliktisch angelegten eigenständigen Schadensersatzanspruch des § 47a BAföG. Das
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts befasst sich demgegenüber mit dem
Rechtsinstitut der sog. Überleitungsanzeige nach § 37 Abs. 1 BAföG a.F., das seit 1981
nicht mehr existiert, und das genannte Urteil des Senats betrifft die Gewährung von
Vorausleistungen nach § 36 BAföG. Soweit in beiden Entscheidungen die
Rechtsansicht erwähnt wird, im Falle der Gewährung von Vorausleistungen und der
anschließenden Geltendmachung der übergeleiteten bzw. übergegangenen
Unterhaltsansprüche könnten die Eltern eine fehlende Unterhaltspflicht im
zivilrechtlichen Unterhaltsprozess geltend machen, ist das Verwaltungsgericht von
dieser Rechtsansicht offensichtlich nicht abgewichen.
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Die Berufung kann auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden. Eine Rechtssache hat
grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Rechtsmittelverfahren
klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Frage des
materiellen oder formellen Rechts aufwirft, die über ihre Bedeutung für den konkreten
Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung oder
für die Weiterentwicklung des Rechts hat.
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Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 1997 - 11 B 1136/97 -, NVwZ 1998, 306
m.w.N.
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Die Klärungsbedürftigkeit etwaiger rechtsgrundsätzlicher Fragen scheitert hier nicht
bereits daran, dass das Studentenwerk Münster der falsche Beklagte ist. Mit dem
Wechsel zur Universität K. zum Sommersemester 1996 trat zwar gemäß § 45a Abs. 1
BAföG das Studentenwerk Schleswig- Holstein für sämtliche Verwaltungshandlungen
einschließlich des Vorverfahrens an die Stelle des (beklagten) Studentenwerks Münster,
und zwar auch bezüglich der Geltendmachung des Ersatzanspruchs nach § 47a BAföG.
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Vgl. Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 5. Lfg. Oktober 1992, § 45a Rn. 18, 2. Absatz, sowie
Tz 45a.3.1 Satz 2 BAföG-VwV.
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Der Senat könnte aber anregen, die Klage gegen den richtigen Beklagten umzustellen.
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Die Klärungsbedürftigkeit scheitert auch nicht bereits daran, dass der
Schadensersatzanspruch geltend gemacht worden ist, bevor der Vorbehalt gemäß § 24
Abs. 3 BAföG aufgelöst worden ist, und dass die Ausbildungsförderung zum Teil nur als
Darlehen bewilligt worden ist. Diese Rechtsproblematik betrifft nicht Rechtsfragen, die
vorrangig zu beantworten sind und jede weitere Klärung von Rechtsfragen
ausschließen.
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Der auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Zulassungsantrag scheitert aber daran, dass
der Kläger nicht - wie das gemäß § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO vorgesehen ist -
klärungsbedürftige Rechtsfragen im oben umschriebenen Sinne benannt hat, die in
einem nachfolgenden Berufungsverfahren grundsätzlich geklärt werden könnten.
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Der Senat entnimmt dem Zulassungsantrag vom 22. Oktober 1999, dass der Kläger die
Fragen geklärt haben möchte, (1) ob er im Schadensersatzprozess nicht nur
herangezogen werden könne "nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts", d.h. dann nicht,
wenn er nicht unterhaltspflichtig sei, (2) ob die Rechtsgrundsätze aus der
Senatsentscheidung vom 13. November 1996 - 16 A 4461/95 - auch im
Schadensersatzprozess zugrunde gelegt werden müssten, weil anderenfalls der
Beklagte über den Umweg eines Schadensersatzprozesses die dem Kläger vom Senat
zugestandenen Befugnisse und Rechte beschneiden und ihn rechtswidrig belasten
würde, und schließlich, (3) ob ein Schaden nicht nur dann entstanden sein könne, wenn
der Kläger bei vollständiger Auskunftserteilung zu Leistungen hätte herangezogen
werden können, wobei wiederum auf die bürgerlichen Unterhaltsansprüche abzustellen
sei.
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Die Beantwortung der ersten Frage - Heranziehung nur nach Maßgabe des bürgerlichen
Rechts - ergibt sich bereits aus dem Gesetz. Die Auskunftspflicht der Eltern besteht
gemäß § 47 Abs. 4 BAföG i.V.m. § 60 SGB I unabhängig davon, ob die Eltern
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gegenüber dem Auszubildenden unterhaltspflichtig sind oder nicht. Dementsprechend
knüpft die Ersatzpflicht des § 47a BAföG an eine vorsätzliche oder fahrlässige
fehlerhafte Auskunftserteilung der Eltern an, ohne dass es darauf ankommt, ob sie
gegenüber dem Auszubildenden unterhaltspflichtig sind oder nicht.
Auch für die Beantwortung der weiteren Frage - Anwendung der Rechtsgrundsätze des
genannten Senatsurteils im Schadensersatzprozess - bedarf es nicht der Durchführung
eines Berufungsverfahrens. Es trifft zunächst nicht zu, dass der Beklagte über "den
Umweg eines Schadensersatzprozesses" Ansprüche gegenüber dem Kläger geltend
macht. Da für den ersten Bewilligungszeitraum Vorausleistungen nicht beantragt und
bewilligt worden sind, ist ein etwaiger Unterhaltsanspruch der Auszubildenden
gegenüber ihrem Vater nicht auf das Land übergegangen, so dass als
Anspruchsgrundlage ausschließlich § 47a BAföG in Betracht kommt. Auch im
Schadensersatzprozess können allerdings die Eltern förderungsrechtliche
Einwendungen erheben, nämlich ihr Einkommen und Vermögen habe etwa nach § 11
Abs. 3 BAföG außer Betracht zu bleiben oder die Anrechnung sei nach den Vorschriften
der §§ 21 bis 30 BAföG nicht richtig vorgenommen worden und es müssten ihnen auf ihr
eigenes Einkommen höhere Freibeträge gewährt werden. Wenn die
Ausbildungsförderung in unzutreffender Anwendung der förderungsrechtlichen
Bestimmungen zu Unrecht zu hoch bewilligt und geleistet wird, beruht dieser Schaden
insoweit nicht auf den fehlerhaften Angaben der Eltern und kann daher die insoweit zu
viel geleistete Ausbildungsförderung von ihnen nicht gemäß § 47a BAföG
zurückverlangt werden. Der unterhaltsrechtliche Einwand, wegen fehlender
Leistungsfähigkeit nicht unterhaltsverpflichtet zu sein, kann allerdings nur in einem
zivilrechtlichen Unterhaltsprozess geltend gemacht werden und nicht im Rahmen einer
verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage gegenüber einem Bescheid, durch den der
deliktische Schadensersatzanspruch gemäß § 47a BAföG geltend gemacht wird. Die
Frage der Unterhaltspflicht der Eltern spielt wie bereits ausgeführt bei der Anwendung
der §§ 47 Abs. 4 und 47a BAföG keine Rolle.
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Schließlich bedarf auch die Klärung der Frage, auch bei vollständiger
Auskunftserteilung sei wegen des Nichtbestehens der Unterhaltsverpflichtung ein
Schaden nicht entstanden, nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Es mag
sein, dass im Schadensersatzprozess sich ein Schädiger darauf berufen kann, auch bei
rechtmäßigem Alternativverhalten wäre der Schaden eingetreten.
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Vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, 59. Aufl., Vorbem. vor § 249 Rn. 105 - 107.
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Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor; denn bei ordnungsgemäßer Angabe der
Betriebsrente durch den Kläger hätte das Förderungsamt aller Voraussicht nach die
Ausbildungsförderung unter Anrechnung dieses Einkommens niedriger festgesetzt.
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Sollte dem Kläger bei dieser Frage vorgeschwebt haben, dass bei vollständiger
Auskunftserteilung zwar zunächst ein niedrigerer Förderungsbetrag bewilligt, dann aber
im Wege der Vorausleistung doch wieder der bisher bewilligte Förderungsbetrag
festgesetzt worden wäre, ohne dass der sodann gemäß § 37 Abs. 1 BAföG
übergegangene Unterhaltsanspruch seiner Tochter wegen seiner fehlenden
Unterhaltsverpflichtung vom Förderungsamt ihm gegenüber hätte durchgesetzt werden
können, so dass letztlich ein Schaden nicht eingetreten wäre, so hat der Kläger eine so
verstandene Rechtsfrage nicht i.S.d. § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO hinreichend dargelegt,
so dass der Senat sich mit ihr nicht befassen muss. Der Senat weist aber in diesem
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Zusammenhang auf Folgendes hin: Selbst wenn man den Einwand eines solchen
hypothetischen Geschehensablaufs im Ansatz anerkennen würde, würde er doch
letztlich so von den konkreten Umständen des Einzelfalls beeinflusst, so dass eine
allgemeine rechtliche Aussage möglicherweise nicht erwartet werden könnte. Es hängt
zunächst von den Umständen des Einzelfalls ab, ob wegen § 36 Abs. 3 BAföG die
Vorausleistungen in derselben Höhe festgesetzt worden wären, wie es jetzt bei den
Förderleistungen geschehen ist. Es kommt vor allem hinzu, dass der hypothetische
Geschehensablauf entscheidend davon abhängt, ob die Auszubildende bis zum Ablauf
des Bewilligungszeitraums (Ende September 1995) überhaupt einen Antrag auf
Vorausleistung gestellt hätte. Im Zivilrecht wird überwiegend die Meinung vertreten,
dass die nur mögliche "schadensursächliche Alternative" unbeachtet bleibe
- vgl. etwa Medicus in Staudinger, BGB, 12. Aufl., § 249 Rn. 113 -
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und der Einwand versage, wenn der Geschehensablauf von der ungewissen
Antragstellung eines Dritten abhänge.
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Vgl. etwa Heinrichs, a.a.O., Rn. 106.
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Ob ein Auszubildender einen Vorausleistungsantrag stellt, hängt von vielen Umständen
des Einzelfalles ab, etwa von der Höhe des angerechneten und nicht geleisteten
Unterhaltsbetrages, ob etwa ohnehin erst unter Vorbehalt geleistet ist, wie das
Verhältnis zu den Eltern ist, die dann mit einer Unterhaltsklage seitens des
Förderungsamtes überzogen werden können usw. Gerade im vorliegenden Fall
erscheint es sehr fraglich, ob die Tochter des Klägers einen Vorausleistungsantrag
gestellt hätte; denn die Bewilligung erfolgte ohnehin zunächst unter Vorbehalt im
Hinblick auf das Einkommen sowohl ihres Vaters als auch ihrer Mutter, die
Vorausleistung hätte sich allenfalls auf einen Betrag von 83,- - DM monatlich belaufen
können und im nachfolgenden Bewilligungszeitraum 10/95 - 09/96, als das
Förderungsamt Einkommen ihres Vaters in Höhe von 59,06 DM angerechnet hat, hat sie
- soweit aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen ersichtlich - keinen
Vorausleistungsantrag gestellt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss, mit dem das angefochtene Urteil gemäß § 124a Abs. 2 Satz 3 VwGO
rechtskräftig wird, ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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