Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.03.2009

OVG NRW: arzneimittel, dosierung, lokal, zusammensetzung, gleichwertigkeit, gutachter, kinderarzt, toxikologie, medizin, verkehr

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 1022/08
Datum:
19.03.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 1022/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 7 K 4694/05
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 19. Februar 2008wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 100.000 Euro
festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die von der Klägerin genannten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2
VwGO nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch
auf erneute Entscheidung über ihren Nachzulassungsantrag habe. Einer Verlängerung
der Zulassung stehe entgegen, dass die angegebene therapeutische Wirksamkeit nach
dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unzureichend
begründet worden sei (vgl. § 105 Abs. 4f Satz 1, Abs. 5 Satz 2 i. V. m. § 25 Abs. 2 Nr. 4
Alt. 2 AMG). Da Wirksamkeit und Dosierung nicht belegt seien, lasse sich auch keine
positive Nutzen-Risiko-Bewertung des Arzneimittels vornehmen (vgl. § 25 Abs. 2 Nr. 5
AMG). Die dagegen erhobenen Einwände der Klägerin vermögen ernstliche Zweifel an
der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht aufzuzeigen.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Verwaltungsgericht von einem
zutreffenden rechtlichen Prüfungsmaßstab ausgegangen.
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Gemäß § 105 Abs. 4a Satz 1, § 22 Abs. 2 AMG sind im Rahmen des
Nachzulassungsantrags die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen
Versuche (Nr. 2) und die Ergebnisse der klinischen Prüfungen oder sonstigen
ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Erprobung (Nr. 3) vorzulegen. An Stelle der
Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG kann der Antragsteller den Nachweis mit
"anderem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial" i. S. v. § 22 Abs. 3 AMG erbringen
("bibliographischer Zulassungsantrag"). Auch Altarzneimitteln können die
Erleichterungen des § 22 Abs. 3 AMG zugute kommen (§ 105 Abs. 4a Satz 1 Hs. 2
AMG).
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 2008 - 3 C 23.07 und 3 C 24.07 -, juris; OVG
NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 - 13 A 2085/07 -, vom 20. Januar 2009 - 13
A 4306/06 -, vom 24. Februar 2009 - 13 A 813/08 -, jeweils juris.
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An Stelle der Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG kann daher anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden, und zwar bei einem
Arzneimittel, dessen Wirkstoffe seit mindestens zehn Jahren in der Europäischen Union
allgemein medizinisch oder tiermedizinisch verwendet wurden, deren Wirkungen und
Nebenwirkungen bekannt und aus dem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial
ersichtlich sind (Nr. 1). § 22 Abs. 3 Nr. 1 AMG ist durch Art. 1 Nr. 15 lit. c des 14. AMG-
Änderungsgesetzes neu gefasst worden. Die Zulassungsvorschrift wird nunmehr für
Arzneimittel mit bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen ("well established use") i.
S. v. Art. 10a der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 i. d. F. der Richtlinie
2004/27/EG vom 31. März 2004 konkretisiert. Der Senat hat zur Auslegung und
Anwendung von § 22 Abs. 3 AMG bereits mehrfach entschieden, dass das
Erkenntnismaterial nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie nach Art. 10a Satz 2 der
Richtlinie 2001/83/EG dergestalt beschaffen sein muss, das es in etwa den Ergebnissen
nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG entspricht.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2007 - 13 A 328/04 -, juris, Beschlüsse vom 16.
Dezember 2008 - 13 A 2085/07 - und vom 24. Februar 2009 - 13 A 813/08 -, a. a. O.
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Die Annahme einer ausreichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit muss
auch hinreichende Darlegungen zur Zweckmäßigkeit der angegebenen Dosierung
enthalten. Dies lässt sich bereits aus § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AMG ableiten, dem
zufolge aus dem klinischen Gutachten die Zweckmäßigkeit der vorgesehenen
Dosierung hervorgehen muss.
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Hierzu OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2009 - 13 A 4306/06 -, a. a. O.
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Das Verwaltungsgericht hat im Hinblick auf die Frage, welchen Anforderungen das
wissenschaftliche Erkenntnismaterial zu genügen hat, zu Recht auf die einschlägigen
Arzneimittelprüfrichtlinien i. S. v. § 26 AMG und insbesondere auf die
Arzneimittelprüfrichtlinie vom 11. Oktober 2004 (BAnz. Nr. 197 vom 16. Oktober 2004)
hingewiesen, die im Hinblick auf eine "allgemeine medizinische Verwendung" im
Wesentlichen dem Anhang 1 Teil II Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/EG i. d. F. der Richtlinie
2003/63/EG vom 25. Juni 2003 entspricht. Nach Teil II Nr. 1 lit. d des Anhangs 1 dieser
Richtlinie muss im Rahmen eines bibliographischen Antrags gezeigt werden, inwiefern
vorgelegte Daten, die ein anderes als das in den Verkehr zu bringende Arzneimittel
betreffen, für die Beurteilung des zuzulassenden Arzneimittels relevant sind. Schließlich
hat das Verwaltungsgericht als Beurteilungsparameter für die hier fraglichen topisch
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anzuwendenden Arzneimittel die "Leitlinie zu den klinischen Anforderungen an lokal
anwendbare, lokal wirksame Produkte mit bekannten Bestandteilen"
(CPMP/EWP/239/95 final) der Europäischen Agentur für die Beurteilung von
Arzneimitteln (EMEA) angeführt. Die Leitlinien ihres Ausschusses für Humanarzneimittel
entfalten zwar keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung. Sie sind aber wie die
nach § 26 Abs. 1 AMG vom zuständigen Bundesministerium zu erlassenden
Arzneimittelprüfrichtlinien wie "antizipierte Sachverständigengutachten" bei der
Anwendung arzneimittelrechtlicher Bestimmungen heranzuziehen, die sich auf
außerrechtliche Erkenntnisquellen wie etwa den "jeweils gesicherte(n) Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse" (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4, Satz 3 AMG)
beziehen, weil sie regelmäßig widerspiegeln, was auf europäischer Ebene dem
gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Februar 2009 - 13 A 813/08 -, a. a. O., m. w. N.
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Die Klägerin hat ernstliche Zweifel, dass das Verwaltungsgericht die einschlägigen
arzneimittelrechtlichen Bestimmungen und Leitlinien auch zutreffend angewendet hat,
nicht substantiiert aufgezeigt. Rechtsanwendungsfehler kann der Senat im Übrigen nicht
erkennen.
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Die Klägerin hat sich zum Beleg der Wirksamkeit der Arzneimittel auf anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial i. S. v. § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG berufen und
unter anderem ein Gutachten von Prof. Dr. O. vom 22./24. Januar 2001 zur Medizin und
zur Pharmakologie und Toxikologie vorgelegt. Dieses Gutachten benennt kein Präparat,
dessen Zusammensetzung und dessen Wirkstoffgehalt mit den streitigen "B. "-Salben
vergleichbar ist, so dass nur noch deren therapeutische Gleichwertigkeit zu belegen
gewesen wäre. Im Hinblick auf die Wirksamkeit von Benzocain bei Hauterkrankungen
wird zwar ein Teil der im Nachzulassungsverfahren beanspruchten Anwendungsgebiete
erfasst. Indessen fehlt es an einem hinreichenden Beleg der Wirksamkeit. Soweit sich
der Gutachter auf den Einsatz verschiedener Zubereitungen mit Benzocain und jeweils
unterschiedlichem Wirkstoffgehalt bei rund 1.500 Kindern mit Hauterkrankungen stützt,
beruhen seine Ausführungen auf dem sog. Ergebnisbericht einer Drug- Monitoring-
Studie (Dr. S. , Über die Wirkungsweise von B. -Salben und - Creme, in: Der Kinderarzt
1989, 1829-1830). Die dort gegebenen Übersichten, das Zahlenmaterial und die
zusammenfassende Beschreibung sind nicht näher erläutert, nicht ausdifferenziert und
damit mangels Überprüfbarkeit als Wirksamkeitsbeleg ungeeignet. Außerdem lässt das
Gutachten nicht erkennen, in welcher Dosierung das Arzneimittel wirksam sein soll, da
es hierzu keine Begründung und keinen Beleg enthält. Die in der
Anwendungsbeobachtung von Herrn Dr. S. beschriebenen Präparate sollen in
unterschiedlichster Wirkstoffkonzentration bei unterschiedlichen Indikationen verwendet
worden sein. Es ist aber nicht erkennbar, welche Wirkstoffmengen welcher Präparate in
Bezug auf welche Anwendungsgebiete erfolgreich eingesetzt worden sein sollen.
Zudem kamen zum Teil mehrere Arzneimittel nebeneinander zur Anwendung, so dass
ein Rückschluss auf die Verwendung der "B. "-Salben aufgrund des vorgelegten
Datenmaterials nicht möglich ist. Dass die Klägerin vor dem Hintergrund fehlender
klinischer Studien für die jeweiligen Anwendungsgebiete unter dem 30. Juli 2002 eine
reduzierte Indikation "Zur Lokalanästhesie bei Juckreiz und Schmerzen im Haut- und
Schleimhautbereich" vorgeschlagen hat, indes ohne eine Änderungsanzeige
vorzunehmen, kann hieran nichts ändern. Auch wenn die Anwendungsgebiete
beschränkt würden, läge kein hinreichender Beleg für eine Wirksamkeit vor.
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Von den vorstehenden Ausführungen ausgehend weist die Rechtssache keine
besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2
VwGO). Der Rechtssache kommt zudem keine grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat legt in
Verfahren betreffend die Zulassung eines Arzneimittels einen Betrag von 50.000 Euro
pauschalierend zugrunde, wenn nicht ein Jahresreingewinn in anderer Höhe
nachvollziehbar dargelegt wird. Da die Klägerin die Nachzulassung von zwei
Fertigarzneimitteln begehrt hat, ist der Streitwert auf 2 x 50.000 = 100.000 Euro
festzusetzen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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