Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.12.2009

OVG NRW (kläger, bundesrepublik deutschland, rücknahme, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, indien, deutschland, aufenthaltserlaubnis, zeitpunkt, botschaft, einbürgerung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 A 1787/06
Datum:
03.12.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 A 1787/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 10 K 242/05
Schlagworte:
Doppelehe Ehegattennachzug Rücknahme Aufenthaltserlaubnis
erschlichen unvollständige Angaben Frist Ermessen
Verhältnismäßigkeit Einbürgerung Indien Hindu-Ehe
Normen:
VwVfG NRW § 48 Abs. 1; AuslG 1990 § 85 Nr. 2; StGB § 172
Leitsätze:
1 Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Rücknahme eines
Aufenthaltstitels ist jedenfalls dann der Zeitpunkt der behördlichen
Entscheidung maßgeblich, wenn die Rücknahme unmittelbar weder zur
Rechtswidrigkeit des aktuellen Aufenthalts noch zur Ausreisepflicht führt.
2. Die Erteilung bzw. Verlängerung einer zum Ehegattennachzug
erteilten Aufenthaltserlaubnis ist rechtswidrig, wenn der Ausländer eine
Doppelehe führt.
3. Ob Angaben unvollständig sind, beurteilt sich nicht nur nach der
Gestaltung etwa verwendeter Antragsformulare, wenn die
Erforderlichkeit weiterer Angaben offensichtlich ist.
4. Wird ein Verwaltungsakt, der die tatbestandlichen Voraussetzungen
für einen später erlassenen Verwaltungsakt begründet, mit Wirkung für
die Vergangenheit zurückgenommen, so führt dies zur anfänglichen
Rechtswidrigkeit des anknüpfenden Verwaltungsaktes.
5. Eine starre zeitliche Grenze neben § 48 Abs. 4 VwVfG (NRW) für die
Rücknahme erschlichener Aufenthaltserlaubnisse besteht nicht.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig voll-streckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der ihm 1990 bzw. 1993 seinerzeit im
Hinblick auf die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen erteilten
Aufenthaltstitel.
2
Der Kläger ist am 19. Februar 1958 als indischer Staatsangehöriger in N. B.
(Punjab/Indien) geboren. Er ist - nach deren Geburtsurkunden und seinen Angaben -
Vater von vier Kindern indischer Staatsangehörigkeit. Die Kinder sind am 15. April 1986,
am 1. Juni 1987, am 16. März 1989 und am 4. Dezember 1995 geboren. Mutter der
Kinder ist die am 25. Februar 1965 geborene Frau H. . Mit ihr ist der Kläger ausweislich
einer entsprechenden indischen Heiratsurkunde jedenfalls seit dem 19. Januar 2003
verheiratet.
3
Der Kläger reiste erstmals am 12. Juni 1986 ins Bundesgebiet ein. Nach eigenen
Angaben ist er später noch mehrfach nach Indien zurückgereist. Er hat sich, soweit
bekannt, in Deutschland eher in geringfügigem Maße strafbar gemacht: Gegen ihn ist in
den Jahren 1988 bis 1995 zweimal ein Strafbefehl ergangen (wegen Unterschlagung
eines Fahrrads sowie wegen Trunkenheit im Verkehr); zweimal ist er zu Geldstrafen
verurteilt worden (wegen Falschbeurkundung sowie wegen Trunkenheit im Verkehr). Zu
der Zeit seit seiner Einbürgerung im Jahre 2000 liegen hierzu Erkenntnisse nicht vor.
Der Kläger ist, soweit bekannt, erwerbstätig.
4
Der Kläger betrieb in Deutschland zunächst unter zutreffenden, dann nochmals unter
Aliaspersonalien erfolglos Asylverfahren. Sein erster Asylantrag wurde mit Bescheid
vom 9. Juni 1987 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Im Anschluss an das dies
bestätigende Urteil vom 5. Mai 1988 tauchte der Kläger unter und stellte am 12. Juli
1988 einen weiteren Asylantrag unter den falschen Personalien K. T. . Nachdem er
im September 1989 die falschen Angaben richtig gestellt hatte, weil er heiraten wollte,
wurde auch der weitere Asylantrag am 12. April 1990 als offensichtlich unbegründet
abgelehnt.
5
Am 10. Mai 1990 schloss der Kläger mit Frau V. -I. , geb. 1957, die Ehe. Die
Eheleute vereinbarten in einem Ehevertrag Gütertrennung und schlossen einen
Versorgungsausgleich aus. Ebenfalls am 10. Mai 1990 beantragte der Kläger die
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Am 20. Juli 1990 wurde ihm eine bis 19. Juli 1993
befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, auf seinen Antrag vom 8. Juli 1993 am 26. August
1993 schließlich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Dabei machte der Kläger auf
den entsprechenden Formularen unter anderem Angaben zu einer Ehefrau nur bezogen
auf Frau V. -I. . Zu Kindern machte er keine Angaben.
6
1996 stellte der Kläger erstmals einen Einbürgerungsantrag, den er 1997 zurücknahm.
7
Am 20. Oktober 2000 wurde der Kläger eingebürgert
.
gemeinsamen Ehewohnung aus. Auf den Antrag vom Juni 2002 wurde die Ehe mit Frau
V. -I. am 11. Oktober 2002 geschieden. Im Zuge des Scheidungsverfahrens
bezichtigte Frau V. -I. den Kläger, eine Doppelehe geführt und während der mit ihr
geführten Ehe "jede Unterhaltspflicht vernachlässigt" zu haben, um seiner indischen
Familie Geld zukommen zu lassen. Sie bestätigte den Vorwurf der Doppelehe im
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. In diesem Zusammenhang wurde ein
Affidavit der Frau H. vom 23. Oktober 1997 vorgelegt, in dessen Übersetzung es heißt:
8
"Gebe ich hiermit folgende eidesstattliche Versicherung ab:
9
1. Dass mein Ehemann J. ins Ausland nach Deutschland gegangen ist und die
Staatsangehörigkeit in Deutschland bekommen hat, dass ich zwei Töchter S. ,
K1. und zwei Söhne T1. und S1. habe.
10
2. Dass meine Ernte durch Regenfälle vernichtet wurde.
11
3. Dass ich keine Beschäftigung für meinen Lebensunterhalt habe und
arbeitssuchend bin.
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4. Dass meine Situation sehr geschwächt ist und ich kaum etwas zum Leben habe.
13
5. Dass ich meinen Ehemann um Hilfe bitte. Meine Kontonummer bei der
Statebank of India lautet: ."
14
Der Kläger erklärte dazu, die Darstellung der Frau H. in der eidesstattlichen
Versicherung sei insofern unzutreffend, als sie nicht mit ihm verheiratet sei. Richtig sei,
dass er diese Frau persönlich und intim kenne und mit ihr vier gemeinsame Kinder
habe. Es handele sich allerdings um eine außereheliche Verbindung.
15
Frau V. -I. ließ in einem auf ihre Anzeige eingeleiteten staatsanwaltlichen
Ermittlungsverfahren mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. April 2002 vortragen, dass sie
bei einer Reise nach Indien zusammen mit dem Kläger auf dessen Familie und Frau
H. getroffen sei. Die Familie sei von ihrem Besuch unangenehm berührt gewesen; es
habe kein Zweifel bestanden, dass der Kläger mit Frau H. verheiratet gewesen sei.
Dabei sei es nicht nur um intime Beziehungen gegangen. Frau H. habe den Kläger als
"husband" bezeichnet. Das Ermittlungsverfahren wurde im Juni 2002 gemäß § 170 Abs.
2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
16
Im Juni 2003 stellten Frau H. und die Kinder Visumsanträge. Hierzu nahm die
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Neu Delhi mehrfach Stellung. In den
Stellungnahmen ist u.a. ausgeführt, die Prüfung des Personenstandes der Braut vor der
Ehe erscheine angebracht, da die Braut für traditionelle indische Verhältnisse
ungewöhnlich alt und es unwahrscheinlich sei, dass die Kinder nichtehelich geboren
worden seien. Vielmehr sei die Ehe vermutlich schon sehr viel früher geschlossen
worden. Weiter heißt es in einer Stellungnahme der Botschaft vom 3. November 2003:
17
"Herr J. I. hatte seine indische Frau H. bereits vor - vor - ca. 20 Jahren
geehelicht. Noch zu einem Zeitpunkt vor der Eheschließung mit der dt. StA H1.
18
I. , welche er wohl nur zur Erlangung eines anderweitig nicht erreichbaren
Aufenthaltstitels am 10.05.1990 heiratete (Rechtskraft Scheidung: 11.10.02). Diese
Vorgehensweise ind. Männer ist der Botschaft aus zahlreichen Beispielen bekannt!
Rechtslage ist nun folgende: Die vorgelegte Heiratsurkunde mit dem falschen
Eheschließungsdatum vom 19.01.03 ist echt aber inhaltlich falsch. Da aufgrund der
vor ca. 20 Jahren erfolgten Eheschließung eine rechtl. voll wirksame Ehe vorliegt,
besteht aus dieser Sicht keinerlei rechtl. Möglichkeit, den Zuzug wegen des
Betruges mit der inhaltl. falschen Urkunde zu verhindern. Vielmehr besteht ein
Rechtsanspruch auf Visaerteilung! Außer Sie finden eine Einbürgerungsbehörde,
die die durch eine Zweckehe erlangte deutsche Staatsbürgerschaft zurücknimmt!
Dies ist mir in meiner 3 ½-jährigen Tätigkeit in der Botschaft in Neu Delhi erst
einmal untergekommen."
In einer ergänzenden Stellungnahme der Botschaft vom 8. Dezember 2003 ist unter
anderem ausgeführt:
19
"In Indien gibt es keine Normen, welche die Registrierung einer
Eheschließungszeremonie verpflichtend vorschreiben. Deshalb besteht für eine
große Anzahl von Eheschließungen – dies insbes. aus früheren Zeiten – keinerlei
Nachweis mittels Registrierungsurkunde. Hier sei in diesem Zusammenhang
besonders darauf hingewiesen, dass in Indien die örtliche Nachbarschaft, das
soziale Umfeld insbes. unter der indischen Landbevölkerung die weitaus
zuverlässigste und effektivste soziale Kontroll- u. Sanktionsinstanz ist. Es ist
ausgeschlossen, dass gerade bedeutende Ereignisse wie Hochzeiten
(Scheidungen/Geburten) von der Nachbarschaft falsch erinnert werden. Dies mag
dem deutschen Rechtsverständnis von der Bedeutung des Urkundenbeweises
widersprechen, entspricht aber in Indien der örtlichen Gegebenheit und der
heutigen Realität. Außer den eindeutigen Erinnerungen aus dem sozialen Umfeld
der Eheleute ist ein weiteres Indiz, dass die Ehe zwischen Frau H. und Herrn
J. I. schon sei längerer Zeit besteht, die drei aus dieser Ehe
hervorgegangenen Kinder T1. , geb. 01.06.87, I1. L. , geb. 16.03.89 und
S2. , geb. 02.12.95. Eine nichteheliche Geburt – und hier gleich mehrere – ist auf
dem Lande völlig undenkbar. Es gibt in Indien auf dem Lande keine – keine –
unehelichen Geburten. Nichteheliche Kinder würden umgehend abgetrieben bzw.
nach der anonymen Geburt sofort getötet werden (...). Bei nichtehelichen Kindern
würde die Nichtehelichkeit im Geburtseintrag vermerkt werden. Da alle drei
Geburtseinträge diesen Eintrag nicht haben, ist davon auszugehen, dass zum
Zeitpunkt der Geburt die Kindesmutter mit dem Kindesvater verheiratet war. (...) Die
Botschaft kann also außer dem Ermittlungsbericht mit den festgehaltenen
Aussagen Dritter keinen schriftlichen Beleg/Nachweis für die frühere
Eheschließung vorlegen. Die vorgenannten Punkte sprechen jedoch eindeutig für
den Fakt, dass eine wesentl. frühere Eheschließung stattfand!"
20
Beigefügt war der Bericht eines indischen Privatdetektivs vom 3. November 2003, der
dem Senat wegen der Bitte der Botschaft, den Namen des Ermittlers unbedingt geheim
zu halten, erst im März 2008 zugeleitet wurde. In dem Bericht heißt es nach
Ausführungen zur Heiratsurkunde und zu den Geburtsurkunden, die später vom Kläger
selbst eingereicht worden sind, in Übersetzung auszugsweise:
21
"Bezug: Untersuchung betreffend Frau H. geboren 25. Februar 1965.
22
(...)
23
Zusätzliche Untersuchung der Verhältnisse:
24
Der Ermittler besuchte dann das Dorf N. B. , das sich etwa 20 km entfernt von
T2. befindet. Während seines Aufenthalts in dem Dorf traf der Ermittler in der
Nähe des Hauses von Frau H. auf Frau H2. L. , die Witwe von Herrn Q. . Sie
erklärte, dass Frau H. seit ihrer Heirat vor etwa 20 Jahren in dem Dorf lebe. Von
der Hochzeit der Frau H. am 19. Januar 2003 wusste sie nichts. Der Ermittler traf
in der Nähe des Hauses von Frau H. weiter Frau T3. , die Witwe von Herrn
T4. M. . Sie erklärte, dass Frau H. Herrn J. etwa vor 20 Jahren geheiratet
habe.
25
Der Ermittler traf Frau H. im Haus ihres Ehemannes an. Der Vater ihres
Ehemannes, Herr T5. S3. , starb vor etwa 10 Jahren. Er hatte vier Söhne und
eine Tochter. Herr J. ist der älteste. Er ging 1985/1986 nach Deutschland. Frau
H. erklärte, dass sie seit 1984 unverheiratet mit Herrn J. zusammenlebe. Sie
gab zu, dass aus dieser Beziehung vier gemeinsame Kinder hervorgegangen
seien, bestand aber darauf, dass sie nicht vor dem 19. Januar 2003 mit Herrn J.
verheiratet gewesen sei. Als der Ermittler hervorhob, dass auf den
Geburtsurkunden dreier ihrer Kinder als Name des Vaters jeweils J.
angegeben sei und zudem das ganze Dorf bestätige, dass sie mit diesem schon
verheiratet gewesen sei, als er sich ins Ausland begeben habe, erklärte sie, dies
sei in ihrer Gemeinschaft (sie gehören zur Kaste der Balmiki) üblich und erlaubt.
Als der Ermittler sie daraufhin bat, eine Dame aus ihrer Gemeinschaft, aus jenem
Dorf oder aus ihrem eigenen Dorf zu nennen, die mit einem Mann ohne
Eheschließung zusammen lebe und mit diesem gemeinsame Kinder
hervorgebracht habe, blieb sie einfach still.
26
Bei weiterer Befragung gab sie an, dass sie in dem Haus eines Verwandten in dem
Dorf K2. in der Nähe von K3. D. geheiratet habe. Sie sagte, es sei eine
sehr einfache Hochzeit nach Hinduriten gewesen, durchgeführt von einem Pandit
aus dem nahegelegenen Dorf N1. . Zum Beleg der Eheschließung zog sie zwei
Fotografien von der Hochzeit hervor, von denen der Ermittler zwei Fotografien
nahm, welche als Beweisstücke "B" und "C" beigefügt sind. Sie sagte, dass sie das
Haus in K2. , in dem sie geheiratet habe, nicht kenne, weil ihre Schwester alles
organisiert habe. Sie gab weiter an, dass eine ihrer Schwestern der Hochzeit
beigewohnt habe. Als der Ermittler sie bat, eine Person aus ihrem Dorf zu
benennen, die der Hochzeit beigewohnt habe, erklärte sie, es seien einige wenige
Menschen da gewesen, aber nur ihr Ehemann habe diese gekannt. Als der
Ermittler frage, ob noch Zeremonien in dem Haus nach der Eheschließung
stattgefunden hätten, sagte sie, es sei eine sehr einfache Hochzeit gewesen, das
sei nicht der Fall gewesen.
27
In dem Dorf N1. machte der Ermittler dann den Pandit T6. L1. ausfindig, der
in der Nähe eines Devi Dwala Tempels wohnt. Der Ermittler zeigte ihm die
Bescheinigung über eine religiöse Eheschließung, die von ihm unterzeichnet ist. Er
sah das Dokument an und bestätigte, dass er es unterschrieben habe. Er erklärte,
dass Herr J. über einen gemeinsamen Freund auf ihn zugekommen sei und ihn
gebeten habe, die Eheschließung von Frau H. und Herrn J. durchzuführen,
um so einen Beleg für die Ehe zu erlangen, damit er seine Ehefrau nach
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Deutschland mitnehmen könne. Er sagte, er habe gewusst, dass Herr J. bereits
mit Frau H. verheiratet gewesen sei und dass er aus dieser Ehe drei gemeinsame
Kinder habe, stellte aber klar, dass die Religion niemandem verbiete, seine Frau
ein zweites Mal zu heiraten.
Der Ermittler begab sich dann weiter in das Dorf N2. , das Dorf, in dem Frau H.
geboren ist und das sich etwa 8 km entfernt von O. befindet. In dem Dorf traf der
Ermittler Herrn E. D1. , Sohn von Herrn G. D1. , der den Ermittler zum Haus
von Herrn K4. S3. , dem Vater von Frau H. , führte. Er sagte, Frau H. habe
schon vor langer Zeit geheiratet, etwa vor 20 oder 22 Jahren, und lebe im Dorf ihres
Ehemannes. Der Ermittler traf weiter Herrn L2. , Sohn von Herrn T5. S3. , im
Balmikiviertel, der ebenfalls erklärte, dass Frau H. bereits vor langer Zeit
geheiratet habe und der von einer nochmaligen Eheschließung am 19. Januar
2003 nichts wusste. Der Ermittler traf weiter Herrn C. in der Nähe des Hauses
von Herrn K4. , der ebenfalls das bestätigte, was der Ermittler bereits vorher
erfahren hatte.
29
Der Ermittler ging dann zum Haus von Herrn K4. und traf dort die Ehefrau seines
Sohnes und Frau H´s. Mutter, Frau T7. . Herr K4. starb bereits vor etwa
6 Jahren. Er hatte einen Sohn und drei Töchter. Sein Sohn Herr I2. ist in Dubai.
Frau T7. versuchte, dem Ermittler die gleiche Geschichte zu erzählen wie Frau
H. . Sie sagte, dass sie keinen Beleg einer Eheschließung habe. Auf Befragen
durch den Ermittler gab sie zu, dass sie der Eheschließung am 19. Januar 2003
nicht beigewohnt habe, und außerdem, dass Frau H. tatsächlich bereits vor 20
Jahren geheiratet habe und dass die Eheschließung am 19. Januar 2003 nur eine
Formalität gewesen sei.
30
Zusammenfassung:
31
Aus der vorstehend dargestellten Untersuchung schließen wir, dass die
Heiratsurkunde von Frau H. und Herrn J. über ihre Eheschließung am
19. Januar 2003, ausgestellt vom Standesbeamten K3. , ein echtes Dokument
ist. Es ist erlangt worden, indem das tatsächliche Datum der Eheschließung 20
Jahre zuvor verschwiegen worden ist.
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Die Untersuchung in den Dörfern N. und N2. hat bestätigt, dass Frau H.
Herrn J. bereits 1984 geheiratet hat. Herr J. ist etwa 1986 nach
Deutschland gegangen. Das Paar hat vier gemeinsame Kinder. Frau H. lebt seit
1984 in dem Dorf ihres Ehemannes in dessen Haus. Die Geburtsurkunden aller
Kinder weisen Herrn J. als Vater aus. Die Angabe der Frau H. , dass sie
unverheiratet mit Herrn J. zusammengelebt und mit ihm vier gemeinsame
Kinder hervorgebracht hat, stimmt nicht mit dem Ethos und dem, was in dörflichen
Gemeinschaften in Indien als sozial angemessen erachtet wird, überein.
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Das Paar beruft sich allerdings darauf, eine Hochzeitszeremonie nach Hinduriten
durchgeführt zu haben, die entfernt von ihren Dörfern durchgeführt worden ist, um
prüfende Blicke der Verwandten und Bekannten zu vermeiden, und mit der ein
Beleg für die Eheschließung erlangt werden sollte. Sie haben tatsächlich eine
Urkunde über die religiöse Eheschließung von einem Priester ausgestellt
bekommen, der sehr genau wusste, dass er eine Eheschließung bei einem bereits
verheirateten Paar vornahm. Niemand in einem der beiden Dörfer weiß etwas von
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der Eheschließungszeremonie am 19. Januar 2003."
Mit Bescheid vom 19. April 2004 wurde die Einbürgerung des Klägers zurückgenommen
und insoweit die sofortige Vollziehung angeordnet. Nach erfolglosem
Widerspruchsverfahren erhob der Kläger am 8. September 2004 Klage gegen die
Rücknahme der Einbürgerung. Jenes Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Mit
Beschluss vom 23. September 2004 stellte das Verwaltungsgericht Arnsberg (1 L
1294/04) die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her. Es führte aus, es spreche
viel dafür, dass die Rücknahme der Einbürgerungen rechtswidrig sei. Der Kläger sei
seinerzeit im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen, die aufgrund einer
verschwiegenen Eheschließung zwar möglicherwiese rechtswidrig, nicht aber nichtig
und bislang auch nicht zurückgenommen sei.
35
Am 29. September 2004 wurde der Kläger zur Rücknahme der Aufenthaltstitel angehört.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2004 nahm die Beklagte die Aufenthaltserlaubnisse vom
20. Juli 1990 und vom 26. August 1993 jeweils mit Wirkung für die Vergangenheit
zurück. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, der Kläger habe bei
Beantragung der Aufenthaltserlaubnisse seine Ehe mit Frau H. und seine Kinder
verschwiegen. Nur deshalb seien ihm die Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 23 Abs. 1
Ziff. 1 AuslG i.V.m. § 17 Abs. 1 AuslG bzw. gemäß § 25 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 1 AuslG
erteilt worden. Der Kläger habe damit auch die Strafvorschrift des § 92 Abs. 2 Ziff. 2
AuslG erfüllt. Es werde zudem bezweifelt, dass er in Deutschland eine eheliche
Lebensgemeinschaft geführt habe. Dass es dem Kläger insoweit an der notwendigen
Ernsthaftigkeit gefehlt habe, werde daran deutlich, dass er während der Ehe mit Frau
V. noch ein Kind in Indien gezeugt habe, dass er nunmehr seine indische Familie
nachziehen lassen wolle und dass er nach eigenen Angaben seine indische Familie mit
Frau V. einmal jährlich besucht habe. Die Rücknahme sei auch ermessensgerecht.
Der Kläger sei eine Ehe eingegangen, die lediglich darauf angelegt gewesen sei, ihm
ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Eine eheliche Lebensgemeinschaft habe zu keinem
Zeitpunkt bestanden. Anderen Ausländern müsse verdeutlicht werden, dass ein solcher
Missbrauch nicht hingenommen werde. Schützenswertes Vertrauen stehe nicht
entgegen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht habe der Kläger nicht erworben.
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Im Oktober 2004 teilte die Staatsanwaltschaft mit, ein auf Anzeige der Beklagten
eingeleitetes weiteres Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Doppelehe sei wegen
Verjährung eingestellt worden.
37
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2005 wies die Bezirksregierung B1. den
Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2004 zurück. Sie führte
unter anderem aus, die dem Kläger erteilten Aufenthaltserlaubnisse könnten gemäß §
48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW zurückgenommen werden. Der Kläger sei, wie die
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Neu Delhi festgestellt habe, bereits seit
ca. 20 Jahren in Indien verheiratet. Dies habe er verschwiegen; nur so habe er Frau V.
heiraten und hierfür Aufenthaltserlaubnisse erlangen können. Eine "tatsächliche
eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und Frau V. " habe nicht
bestanden. Dieser habe die Ehe mit Frau V. lediglich zu dem Zweck geschlossen, sich
ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen und später seine
indische Familie nachreisen zu lassen. Da er zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits
in Indien mit Frau H. verheiratet gewesen sei und mit dieser gemeinsame Kinder
gehabt habe, habe ihm der ernsthafte Wille gefehlt, eine tatsächliche eheliche
Lebensgemeinschaft zu führen. Darüber hinaus habe er sich, während die Ehe mit Frau
38
V. bestand, regelmäßig in Indien bei seiner Familie aufgehalten und dort ein weiteres
Kind gezeugt.
Da eine durch Art. 6 GG und damit auch von § 23 i.V.m. § 17 AuslG geschützte eheliche
Lebensgemeinschaft mit Frau V. nicht bestanden habe, seien die
Aufenthaltserlaubnisse zur Familienzusammenführung rechtswidrig erteilt bzw.
verlängert worden. Da der Kläger die Ehe mit Frau V. in der Absicht eingegangen sei,
die Ausländerbehörde zu täuschen und so ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, genieße er
keinen Vertrauensschutz. Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse auch für die
Vergangenheit sei gerechtfertigt. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Die
Bundesrepublik Deutschland habe ein erhebliches Interesse daran, dass sich die
Zuwanderung von Ausländern aus Nicht-EG-Staaten in geordneten Bahnen vollziehe.
Durch die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse werde auch anderen Ausländern vor
Augen geführt, dass das missbräuchliche Eingehen einer Ehe alleine zur Erlangung
eines Aufenthaltsrechts nicht hingenommen werde. Das Interesse des Klägers an einem
weiteren Verbleiben in Deutschland müsse hinter den Belangen der Allgemeinheit
zurückstehen.
39
Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahre 2005 wurde die Klage gegen die
Ablehnung der Visumsanträge von Ehefrau und Kindern des Klägers zurückgenommen.
40
Am 3. Februar 2005 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Im Mai 2005 hat er
mitgeteilt, er sei von T8. nach G1. verzogen.
41
Der Kläger hat beantragt,
42
den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B1. vom 28. Januar
2005 aufzuheben.
43
Die Beklagte hat beantragt,
44
die Klage abzuweisen.
45
Die Klage wurde mit dem angegriffenen Urteil, auf das verwiesen wird, abgewiesen.
46
Mit Beschluss vom 15. November 2006 hat der Senat die Berufung des Klägers
zugelassen.
47
Der Kläger macht mit der fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung geltend, er
sei während seiner Ehe in Deutschland nicht bereits mit der indischen Frau H.
verheiratet gewesen. Selbst wenn es so gewesen wäre, wäre die Ehe mit der deutschen
Staatsangehörigen I. gültig gewesen. Er habe mit seiner deutschen Ehefrau eine
eheliche Lebensgemeinschaft geführt, wie der Beklagte selbst einräume. Er hält ferner
den Bericht des eingeschalteten Ermittlers nicht für aussagekräftig; es sei bekannt, dass
solche Personen von der Botschaft mit einer bestimmten Erwartungshaltung beauftragt
würden, denen diese dann gerecht zu werden versuchten. Ferner bezweifelt er, dass es
trotz der großen Bevölkerungszahl in Indien tatsächlich keinerlei nichteheliche Geburten
gebe.
48
Auf entsprechende Aufforderung hat der Kläger im September 2008 Kopien der
49
Geburtsurkunden seiner Kinder nebst Übersetzungen eingereicht. Danach ist er auf
allen Geburtsurkunden als Vater der Kinder angegeben, mindestens auf den die drei
älteren Kinder betreffenden Urkunden ohne weiteren Zusatz.
Der Kläger beantragt,
50
das angegriffene Urteil zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom
18. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der
Bezirksregierung B1. vom 28. Januar 2005 aufzuheben.
51
Die Beklagte beantragt,
52
die Berufung zurückzuweisen.
53
Sie hat zu ihren Ermessenserwägungen ergänzend klargestellt, dass nach ihrer Ansicht
eine nach deutschem Recht schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft zwischen
dem Kläger und Frau V. nicht bestanden habe. Dass zwischen den Eheleuten eine
Lebensgemeinschaft als solche in der Vergangenheit durchaus bestanden habe, werde
nicht verkannt.
54
Im April 2008 hat die Deutsche Botschaft in Neu Delhi auf gerichtliche Anfrage unter
anderem zur Prüfung der Voraussetzungen für Eheschließungen in Indien, zur
Eintragung des Vaters bei Geburten, zur Wahrscheinlichkeit nichtehelicher Geburten in
Indien und zur Zulässigkeit der Mehrehe bei Hindus ergänzend Stellung genommen. In
der Auskunft ist unter anderem ausgeführt:
55
"
Frage 1
56
Die Registrierung einer Eheschließung (Ausstellung einer Heiratsurkunde) war in
Indien bisher nicht obligatorisch. Viele Eheschließungen, insbesondere solche, die
bereits länger zurückliegen, wurden deshalb nicht registriert. Zeitungsmeldungen
folgend, ändert sich hier aber zumindest in einzelnen Bundesstaaten aufgrund
einer entsprechenden Direktive vom Februar 2006 die Rechtslage (vgl.
anliegenden Artikel des Indian Express vom 26.10.2007). Viele Bundesstaaten
haben die Direktive bereits vollständig umgesetzt und die obligatorische
Registrierung aller Ehen gesetzlich verankert, andere haben die obligatorische
Registrierung nur für Ehen, die auf Grundlage des "Hindu Marriage Act"
geschlossen wurden, eingeführt, nicht aber für Ehen der Moslems, Christen und
anderer Gruppen.
57
Zur Frage der Prüfung der Vorlage der materiell-rechtlichen
Eheschließungsvoraussetzungen durch den Registerbeamten der Registrierung
der Eheschließung, d.h. vor Ausstellung der Heiratsurkunde, muss hier
unterschieden werden nach der Art der Eheschließung:
58
A) religiöse Eheschließung nach den Bestimmungen des "Hindu Marriage Act"
(Heirat nach hinduistischen Riten)
59
Bei Registrierung einer Eheschließung nach den Bestimmungen des "Hindu
Marriage Act" findet in der Regel keine Prüfung der Vorlage der materiell-
rechtlichen Eheschließungsvoraussetzungen beider Eheleute durch den
60
Registerbeamten statt. Vielmehr wird er – wie im vorliegenden Fall – nach der
Vorlage einer Bescheinigung eines Tempels (Mandir oder Gurudwara) davon
ausgehen, dass der Priester, welcher die religiöse Eheschließungszeremonie
durchgeführt hat, die Ehefähigkeit geprüft und für gegeben angesehen hat.
Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass die täglich
zu machende Erfahrung der Visastelle der Botschaft New Delhi zeigt, dass
Tempel-Bescheinigungen falschen Inhalts in Bezug auf das Datum der
Eheschließung oft auf Zuruf und gegen Zahlung von Schmiergeldern ausgestellt
werden. So wird im Visumverfahren versucht, eine frühere Eheschließung zu
verheimlichen. Neben der üblichen Gebühr (einige hundert Rupees) für die
Eheschließung werden dem Tempel "Spenden" zugeführt, die den von den
Eheleuten gewünschten Inhalt der auszustellenden Bescheinigung sicherstellen.
Es ist insofern nachvollziehbar, dass der Priester auch in Anbetracht der geringen
regulären Gebühr keine Anstrengungen und Ermittlungen unternehmen wird, um
Sicherheit zum Familienstand der Brautleute zu erhalten. Der Botschaft New Delhi
liegt aus einem Visumverfahren eine Blanko-Bescheinigung eines Tempels vor,
welche außer dem offiziellen Kopfbogen und der Unterschrift eines Priesters keine
weiteren Schriftzeichen trägt. Den Ausführungen des Einreichens dieser
Bescheinigung folgend, wurde die Bescheinigung unter Leistung geldwerter
Vorteile an den Tempel erlangt und sollte nach Bedarf und Geschmack des
"Käufers" durch diesen ausgefüllt werden, um dann im Visumverfahren vorgelegt
zu werden. Es muss leider auch festgestellt werden, dass die Vorlage gefälschter
bzw. inhaltlich falscher Urkunden im Visumverfahren letztlich zum Kavaliersdelikt
verkommen ist und der Visumbewerber in Indien diesbezüglich keine
Konsequenzen zu fürchten hat.
61
Der Registerbeamte prüft grundsätzlich nur folgende Punkte:
62
Alter der Eheleute; hier wird grundsätzlich die Vorlage einer Geburtsurkunde
verlangt, um feststellen zu können, ob die Brautleute im heiratsfähigen Alter waren
Ausschluss einer Zwangsheirat; hier wird die Anwesenheit von Zeugen verlangt,
die bei der Durchführung der religiösen Eheschließungszeremonie zugegen
waren und die Freiwilligkeit der Ehe bestätigen. Unter Umständen kann die
Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen der Eltern der Eheleute verlangt
werden.
63
64
B) Eheschließung nach dem "Special Marriage Act" (standesamtliche Heirat)
65
Sofern bei einer standesamtlichen Eheschließung nach dem "Special Marriage
Act" deutsche Staatsangehörige beteiligt sind, verlangen die indischen Behörden
die Vorlage eines durch die Deutsche Botschaft oder ein Deutsches
Generalkonsulat in Indien ausgestellten "Non Objection Certificate (NOC)", das
dem deutschen Beteiligten auf Grundlage eines vom zuständigen deutschen
Standesamt ausgestellten Ehefähigkeitszeugnisses erteilt wird. Bei indischen
66
Staatsangehörigen prüft der zuständige indische Standesbeamte die Vorlage der
materiell-rechtlichen Eheschließungsvoraussetzungen selbst.
Es kommt allerdings nach Erfahrungen der Botschaft New Delhi recht häufig vor,
dass die Verlobten dem indischen Standesbeamten Vorehen (sowohl in
Deutschland als auch religiöse Eheschließungen in Indien) verschweigen und
dieser in Unkenntnis dieser eine Eheschließung nach dem "Special Marriage Act"
vornimmt.
67
Frage 2
68
In Bezug auf die Registrierung von Geburten kennen die indischen
Rechtsvorschriften die Fallkonstellation der vorehelichen Geburt. In einem solchen
Falle hat der die Geburt beurkundende Beamte im Register in der Spalte
"Bemerkungen" die Vorehelichkeit zu vermerken. Die Eintragung eines Vaters
erfolgt nur dann, wenn die Eltern verheiratet sind oder der Vater eines vorehelich
geborenen Kindes gemeinsam mit der Mutter die Vaterschaft gegenüber der
Urkundsperson anerkennt (vgl. hierzu Handbook on Civil Registration, Office of the
Registrar General, India, Ministry of Home Affairs). Geburtsurkunden, die also
bereits einen Vater ausweisen, lassen den Schluss zu, dass dieser zum Zeitpunkt
der Geburt mit der Kindesmutter rechtmäßig verheiratet war oder aber die
Vaterschaft entsprechend indischer Ortsform (Randvermerk) anerkannt hat.
69
Frage 3
70
Auch wenn das indische Recht Verfahrensvorschriften für den Fall einer
vorehelichen Geburt vorsieht, ist ohne Zweifel festzustellen, dass eine solche
Geburt mit schwerwiegenden Sanktionen für die Kindesmutter und das Kind selbst
verbunden sind. Es wird davon ausgegangen, dass die Ausführungen des
Kollegen E1. aus dem Jahre 2003 auf nachprüfbarem Material (Medienhinweise
etc., tägliche Erfahrung aus dem Arbeitsbereich Visa) basieren. Es muss hierbei
auch berücksichtigt werden, dass die ältesten Kinder bereits in den Jahren
1986/1987/1989 geboren wurden. Es kann allerdings auch heute noch zweifelsfrei
festgestellt werden, dass die Geburt von nichtehelichen Kindern in Indien ein
Stigma für die ganze Familie und insofern grundsätzlich auszuschließen ist. Dies
gilt insbesondere für ländliche Gegenden. Die Mutter solcher Kinder würde mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit des Elternhauses verwiesen, unter
Umständen auch von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen werden. Unter keinen
Umständen würde ihr Wohnraum im Hause der Eltern des Erzeugers der Kinder
gewährt (wie im vorliegenden Fall seit 1986 geschehen).
71
Anliegende Zeitungsartikel aus dem Zeitraum von August 2006 bis Februar 2008
befassen sich mit der Frage nach Gewalt gegen Frauen und das ungeborene Kind
in Indien. Es ist demnach offensichtlich, welche Maßnahmen im Rahmen der
Selbstjustiz ergriffen werden, wenn gegen Traditionen und seit Generationen
bestehendes Rechtsempfinden verstoßen wird. Es fällt daher nicht schwer zu
folgern, welche Konsequenzen drohen und mitunter folgen, wenn dem sozialen
Tabu des vorehelichen Geschlechtsverkehrs zuwider gehandelt wird mit der
anschließenden Geburt vorehelicher Kinder.
72
Frage 4
73
Die Mehrehe ist in Indien nur bei Muslimen zulässig, bei Hindus jedoch nicht.
Vielmehr ist nach dem für Hindus geltenden Recht eine bigamische Ehe "null and
void" (=nichtig). Dies ist bei der Prüfung der Wirksamkeit der 1990 geschlossenen
Ehe für den deutschen Rechtsbereich zu berücksichtigen."
74
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen
Unterlagen Bezug genommen.
75
Entscheidungsgründe:
76
Die Berufung ist zurückzuweisen, weil die Klage unbegründet ist. Die Rücknahme der
dem Kläger erteilten Aufenthaltstitel vom 20. Juli 1990 und vom 26. August 1993 durch
Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
77
Die Rücknahme findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 48 Abs. 1 VwVfG NRW. Die
Vorschrift ist im Ausländerrecht anwendbar, wie § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nunmehr
verdeutlicht. Dort ist das Erlöschen eines Aufenthaltstitels durch Rücknahme
vorgesehen; eine spezielle Rücknahmevorschrift gibt es aber im AufenthG nicht. Auch
im Hinblick auf Aufenthaltstitel nach dem AuslG 1990, wie sie hier in Rede stehen,
wurde die Rücknahme gestützt auf § 48 VwVfG NRW für möglich gehalten.
78
Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1995 - 1 C 3.94 -, BVerwGE 98, 298;
Senatsbeschluss vom 19. August 2002 18 B 1278/02 -.
79
Der Anwendung des § 48 VwVfG NRW steht auch nicht - was lediglich im Hinblick auf
die erste, am 20. Juli 1990 und damit noch unter Geltung des AuslG 1965 erteilte
Aufenthaltserlaubnis im Ansatz in Betracht kommt - § 7 Abs. 4 AuslG 1965 entgegen.
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht seinerzeit entschieden, die bundesrechtliche
Spezialvorschrift des § 7 Abs. 4 AuslG 1965 über die nachträgliche zeitliche
Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis stehe der Anwendung der landesrechtlichen
Vorschriften über Widerruf und Rücknahme (jedenfalls) mit Wirkung für die Zukunft
entgegen.
80
Vgl. BVerwG Urteil vom 23. März 1982 - 1 C 20.81 -, BVerwGE 65, 174.
81
Abgesehen davon, dass fraglich ist, ob nicht eine zeitliche Beschränkung nur bei einer
noch geltenden Aufenthaltserlaubnis möglich ist bzw. war, ist jedoch vorliegend zu
berücksichtigen, dass die 1990 erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Inkrafttreten des AuslG
1990 zum 1. Januar 1991 gemäß § 94 Abs. 3 Nr. 4 AuslG 1990 als befristete
Aufenthaltserlaubnis nach letzterem Gesetz fort galt, so dass der Anwendung des § 48
VwVfG NRW nach dem oben Ausgeführten jedenfalls von diesem Zeitpunkt an
Bedenken nicht entgegenstanden.
82
Die Anwendbarkeit der Vorschrift ist im vorliegenden Fall auch nicht mit Blick auf das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 -,
83
BVerfGE 116, 24,
84
zur Rücknahme erschlichener Einbürgerungen zu verneinen. Die dort aufgezeigten
Bedenken im Hinblick auf die Heranziehung von § 48 VwVfG gründen maßgeblich auf
Art. 16 Abs. 1 GG, der hier nicht einschlägig ist, sowie auf kompetenzrechtlichen
Erwägungen, die vorliegend nicht greifen. Auch die Überlegung, weil der Bestimmtheit
und Voraussehbarkeit von Eingriffen sowie der Stabilität von Statusentscheidungen im
Staatsangehörigkeitsrecht besondere Bedeutung zukomme, müsse sowohl für den
Einzelnen als auch für das Gemeinwesen hinreichend klar sein, ab welchem Zeitpunkt
der Statusentzug ausgeschlossen ist, ist mangels Statusentscheidung auf die
Rücknahme von Aufenthaltstiteln nicht übertragbar.
85
Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte war insbesondere
zuständig für die Rücknahme. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Rücknahme
und auch für die Frage der Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung
maßgeblich,
86
vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 - 7 C 42.98 -, BVerwGE 110,
226; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25. August 2008 - 13 S 201/08 -,
juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 29. November 2006 - 1 K 1631/05 -, juris,
87
so dass der Umzug des Klägers von T8. in den G2.er Raum nach Klageerhebung
unerheblich ist. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum nach
Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 28. August 2007 maßgeblichen
Beurteilungszeitpunkt bei Ausweisungsverfügungen,
88
vgl. Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20; auch
Urteil vom 13. Januar 2009 - 1 C 2.08 -, juris,
89
folgt jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung nicht, dass auch für die Frage der
Rechtmäßigkeit der Rücknahme eines Aufenthaltstitels auf den Zeitpunkt der letzten
gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen ist. Denn
kennzeichnend für die jener Rechtsprechung zugrunde liegende Fallgestaltung ist es,
dass durch die streitbefangene Maßnahme die Rechtmäßigkeit des aktuellen
Aufenthalts beseitigt und die Ausreisepflicht des betreffenden Ausländers begründet
wird. So liegt es hier nicht. Die dem Kläger erteilten Aufenthaltserlaubnisse haben
vielmehr ihre Regelungswirkungen bereits zu einem deutlich in der Vergangenheit
liegenden Zeitpunkt verloren, so dass ihre Rücknahme die Rechtmäßigkeit des
aktuellen Aufenthalts unberührt lässt und keine aktuelle Ausreisepflicht herbeiführt. Für
diesen Fall lassen sich Anhaltspunkte für ein Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten
tatsachengerichtlichen Entscheidung aus dem materiellen Recht nicht gewinnen.
90
Vgl. Nds. OVG, Urteile vom 10. September 2008 - 13 LB 82/07 -, und vom
14. Mai 2009 - 8 LB 18/07-, jeweils juris.
91
Zum Zeitpunkt der behördlichen Rücknahmeentscheidung lebte der Kläger in T8. , so
dass die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Beklagten als Ausländerbehörde
gegeben war.
92
Der angegriffene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
93
Gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch
94
nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft
oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen
der Bestimmung sind erfüllt (1.); die Ermessensausübung begegnet keinen Bedenken
(2.).
1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW sind gegeben.
95
Mit der Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltstitel liegen Verwaltungsakte vor, die
- soweit es hierauf ankommt - auch noch Regelungswirkung entfalten, nämlich für die
Zeit ab Erteilung bzw. Verlängerung bis zur Einbürgerung des Klägers im Oktober 2000
(1990-2000). Dass jedenfalls die zuletzt gültige Aufenthaltserlaubnis mit der
Einbürgerung des Klägers ihre (weitere) Regelungswirkung verloren und sich erledigt
haben mag,
96
vgl. Senatsbeschluss vom 31. Januar 2008 - 18 A 4547/06 -, NWVBl. 2008,
300; dagegen Marx, InfAuslR 2009, 303 (304),
97
ändert daran nichts.
98
Die Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse an den Kläger erweisen
sich, wie § 48 Abs. 1 VwVfG NRW weiter voraussetzt, als rechtswidrig.
99
Die Rechtmäßigkeit der dem Kläger am 20. Juli 1990 erteilten Aufenthaltserlaubnis
bemisst sich nach dem damals geltenden Ausländergesetz vom 28. April 1965 (BGBl. I
S. 353), gültig vom 1. Oktober 1965 bis Ende 1990. Nach dessen § 2 Abs. 1 bedurften
Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten wollten, einer Aufenthaltserlaubnis. Eine
solche durfte erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der
Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigte. Bei Ausländern, die mit Deutschen
verheiratet waren, hatten nach der einschlägigen Verwaltungsvorschrift (Nr. 4a) Belange
der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem staatlichen Belang, Ehe und Familie
zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten. Dies galt allerdings nicht, wenn ein
Sachverhalt vorlag, der nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes die Ausweisung rechtfertigte und
die Gründe für die Ausweisung im Einzelfall schwer wogen.
100
Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AuslG 1990 in der 1993 - dem Zeitpunkt der Verlängerung -
gültigen Fassung war die dem Ehegatten eines Deutschen erteilte Aufenthaltserlaubnis
in der Regel nach drei Jahren unbefristet zu verlängern, wenn die eheliche
Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen fortbestand und die in § 24 Abs. 1 Nr. 4 und 6
des Gesetzes bezeichneten Voraussetzungen vorlagen. § 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1990
verlangte, dass kein Ausweisungsgrund gegeben war.
101
Die Bewertung der Aufenthaltstitel als rechtswidrig beruht erstens darauf, dass der
Kläger eine Doppelehe geführt hat (dazu nachfolgend a). Daneben hat er sich gemäß §
(damals) 171 bzw. (heute) 172 StGB sowie § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 bzw. § 92 Abs.
1 Nr. 7 AuslG 1990 strafbar gemacht, so dass Ausweisungsgründe gemäß § 10 Abs. 1
Nr. 6, 7 AuslG 1965 bzw. § 46 Nr. 2 AuslG 1990 erfüllt sind, was ebenfalls zur
Rechtswidrigkeit der jeweiligen Aufenthaltserlaubnis führt (b).
102
Insoweit kann auf sich beruhen, ob die Aufenthaltstitel aus den nachfolgend genannten
Gründen nicht nur rechtswidrig, sondern sogar gemäß § 44 Abs. 2 Nr.6 VwVfG NRW
wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig waren.
103
So für eine vergleichbare Fallgestaltung VG Regensburg, Urteil vom 27. Mai
2009 - RN 9 K 08.01658 -, juris.
104
Dies begegnet Zweifeln. Jedenfalls aber kann - Erst-Recht-Schluss - auch ein nicht nur
rechtswidriger, sondern auch ein nichtiger Verwaltungsakt nach § 48 VwVfG NRW
zurückgenommen werden.
105
Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, § 48 Rn. 18 mit weiteren
Nachweisen.
106
a) Die Erteilung bzw. Verlängerung der zum Ehegattennachzug erteilten Aufenthaltstitel
war rechtswidrig, weil der Kläger eine Doppelehe geführt hat. Denn er war sowohl zum
Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 20. Juli 1990 als auch
zum Zeitpunkt der unbefristeten Verlängerung derselben am 26. August 1993 in
Doppelehe mit der indischen Staatsangehörigen Frau H. (seit ca. 1983/1984) und mit
der deutschen Staatsangehörigen Frau V. -I. (seit dem 10. Mai 1990) verheiratet.
107
Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund folgender Erkenntnisse:
108
Bereits die Geburtsurkunden der Kinder des Klägers sind ein eindeutiger Beleg dafür,
dass der Kläger mindestens seit der Geburt des ältesten Kindes im April 1986 mit der
als Mutter angegebenen Frau H. verheiratet war. Denn jedenfalls auf den
Geburtsurkunden der drei älteren Kinder ist der Kläger ohne weiteren Zusatz als deren
Vater angegeben. Daraus ist nach der Auskunft der Deutschen Botschaft vom 2. April
2008, S. 3,
109
ebenso Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht,
Loseblatt, Teil Indien, S. 26,
110
zu schließen, dass er schon bei deren Geburt mit der Mutter verheiratet war. Wären die
Eltern nicht verheiratet gewesen, wäre dies ausdrücklich vermerkt worden. Dem
Umstand, dass sich auf dem Original der das jüngste Kind betreffenden Urkunde ein
handschriftlicher Zusatz findet, der indessen erstens nicht lesbar und zweitens nicht
übersetzt ist, muss nicht nachgegangen werden, da durch die ersten drei Urkunden
belegt ist, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Geburt der älteren Kinder als mit der Mutter
der Kinder verheiratet anzusehen war.
111
Überdies ist es nach den ausführlichen Auskünften der Deutschen Botschaft,
insbesondere der Auskunft der Deutschen Botschaft vom 2. April 2008, einschließlich
der beigefügten Zeitungsartikel zumal in der ländlichen Gegend des Punjab, aus der der
Kläger und seine Ehefrau stammen, in sehr hohem Maß unwahrscheinlich ("völlig
undenkbar"), dass ein in den Verhältnissen des Klägers und seiner Ehefrau lebendes
indisches Paar ein - und hier sogar vier -gemeinsames Kind bekommen würde, ohne
verheiratet zu sein. Danach ist die Geburt von nichtehelichen Kindern in Indien und
insbesondere in ländlichen Gegenden ein Stigma für die ganze Familie und insofern
grundsätzlich auszuschließen. Die Mutter solcher Kinder würde der Auskunft zufolge mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit des Elternhauses verwiesen, unter
Umständen auch von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen werden. Unter keinen
Umständen würde ihr Wohnraum - wie im vorliegenden Fall seit 1986 geschehen - im
Hause der Eltern des Erzeugers der Kinder gewährt.
112
Vgl. auch VG Saarland, Urteil vom 11. März 2009 - 5 K 1724/08 -, juris, unter
Bezug auf eine Auskunft der Botschaft vom 5. Juli 2007, wonach es im
ländlichen und konservativen Punjab gesellschaftlich völlig inakzeptabel
sei, ein uneheliches Kind zu bekommen.
113
Hinzu kommt, dass Frau H. , die Ehefrau des Klägers, selbst in ihrem Affidavit vom 23.
Oktober 1997 angegeben hat, der Kläger sei ihr Ehemann. Die Stellungnahme des
Klägers hierzu - die Darstellung der Frau H. in der eidesstattlichen Versicherung sei
insofern unzutreffend, als sie nicht mit ihm verheiratet sei; richtig sei allerdings, dass er
diese Frau persönlich und intim kenne und tatsächlich mit ihr vier gemeinsame Kinder
habe; es handele sich allerdings um eine außereheliche Verbindung - versucht
auffälligerweise nicht einmal eine Erklärung dazu, warum Frau H. zwar ansonsten
richtige Aussagen machen, aber zu Unrecht behaupten sollte, mit ihm verheiratet zu
sein, wenn es nicht wahr wäre. Eine derartige Erklärung ist auch sonst nicht ersichtlich.
114
In Übereinstimmung damit hat die zweite Ehefrau des Klägers, Frau V. -I. , dem im
Ermittlungsverfahren eingereichten anwaltlichen Schriftsatz vom 25. April 2002 zufolge
angegeben, sie sei einmal mit dem Kläger in Indien gewesen. Dort habe sie Frau H.
kennen gelernt. Die Familie sei unangenehm überrascht gewesen, dass sie Frau V. -
I. - als "Zweitfrau" nach Indien gekommen sei. Es habe kein Zweifel bestanden,
dass Frau H. mit dem Kläger verheiratet gewesen sei. Frau H. sei eifersüchtig und
unfreundlich gewesen. Sie habe den Kläger als "husband" (englisch für Ehemann)
bezeichnet. Zwar ist nicht auszuschließen, dass Frau V. -I. im Zuge der Trennung
in der Absicht, dem Kläger zu schaden, eine falsche Aussage gemacht haben könnte.
Abgesehen davon aber, dass dafür kein konkreter Anhalt besteht, sind die Angaben
detailliert und plausibel und decken sich mit den zuvor aufgeführten Anhaltspunkten.
115
Der bereits aufgrund dieser Erkenntnisse zu gewinnende Befund, dass der Kläger mit
Frau H. bereits seit Mitte der 80er Jahre verheiratet ist, wird schließlich gestützt durch
den erst im März 2008 dem Senat übersandten Ermittlungsbericht eines von der
Botschaft eingeschalteten Ermittlers vom November 2003. In diesem Bericht legt der
Ermittler eingehend und unter Nennung zahlreicher Einzelheiten dar, dass er - unter
anderem - von mehreren Nachbarn der Frau H. sowohl aus ihrem Heimatdorf als auch
aus dem Heimatdorf des Klägers, in dem sie lebt, ferner nach anfänglichem Leugnen
auch von deren Mutter sowie von dem Pandit (einem indischen religiösen Gelehrten)
T6. L1. die Erklärung erhalten hat, der Kläger und Frau H. seien bereits seit ca.
20 Jahren verheiratet. Der Geistliche etwa hat dem Bericht zufolge angegeben, er habe
bei der zweiten Eheschließung davon gewusst, dass die Eheleute bereits verheiratet
waren; es sei aber aus religiösen Gründen nichts dagegen einzuwenden, wenn bereits
Verheiratete nochmals heiraten. Die Angaben sind durchweg nachvollziehbar und
insbesondere in ihrer Detailfülle hinsichtlich der befragten Personen glaubhaft. Der
Kläger selbst hat die Richtigkeit der Feststellungen in dem ihm bekannten Bericht in
keiner Weise substantiiert in Zweifel gezogen. Abgesehen hiervon besteht keinerlei
Anhalt dafür, dass und warum der Ermittler falsche Angaben gemacht haben könnte.
Dafür, dass er daran irgendein Interesse gehabt haben könnte, ist nichts ersichtlich.
Dass er aufgrund einer entsprechenden Erwartungshaltung der Botschaft unzutreffende
Angaben gemacht haben könnte, wie der Kläger mutmaßt, ist schon wegen der Fülle
der von dem Detektiv genannten nachprüfbaren Einzelheiten in hohem Maße
unwahrscheinlich. Gegen eine Belastungstendenz des Detektivs spricht überdies, dass
er im Hinblick auf die vorgelegten Urkunden deren Echtheit bestätigt und auch
116
aufgenommen hat, dass etwa die Ehefrau des Klägers nicht zugegeben hat, schon seit
rund 25 Jahren mit dem Kläger verheiratet zu sein. Für die Richtigkeit der Angaben des
Detektivs streitet schließlich, dass seine Angaben in Bezug auf die Geburtsurkunden
der Kinder des Klägers - etwa zu Registrierungsnummer und -datum - durch die später
im Gerichtsverfahren vorgelegten Kopien der Urkunden bestätigt worden sind.
Gegenüber diesen erdrückenden Anhaltspunkten ist es von geringem Aussagewert,
dass die Mutter des Klägers in einem Affidavit (wohl vom 21. November 1989)
angegeben hat, ihr Sohn sei nicht verheiratet. Es kann angenommen werden, dass die
Mutter in der Absicht, ihrem Sohn zu helfen, auch eine falsche Angabe machen bzw.
gemacht haben würde, zumal mit wiederum hoher Wahrscheinlichkeit davon
ausgegangen werden kann, dass sie dafür selbst dann nicht mit Sanktionen zu rechnen
hätte, wenn dergleichen in Indien strafbar wäre. Insoweit ist schon unwahrscheinlich,
dass die indischen Strafverfolgungsbehörden davon überhaupt Kenntnis erlangen
würden. Nach Auskunft der Deutschen Botschaft ist das entsprechende Vorgehen
indischer Männer gängig, Konsequenzen seien selbst für den Visumsbewerber nicht zu
befürchten.
117
Nur sehr geringer Beweiswert kommt aus ähnlichen Gründen den Erklärungen zweier
weiterer Personen aus Indien zu, zu denen auch nichts weiter vorgetragen ist. Nach
Auskunft der Deutschen Botschaft kommt die Ausstellung und Vorlage falscher
Bescheinigungen, etwa "Tempelbescheinigungen", häufig vor.
118
Der Kläger schließlich bestreitet zwar die Eheschließung mit Frau H. vor 2003.
Auffällig ist allerdings schon, dass er es an einer Auseinandersetzung mit den
zahlreichen gegen seine Darstellung der Dinge sprechenden Erkenntnissen im
Wesentlichen fehlen lässt und sich auf ein schlichtes Bestreiten beschränkt. So fehlt es
auch nur an dem Versuch einer Erklärung für den Umstand, dass er als - mit der Mutter
verheirateter - Vater der Kinder auf den Geburtsurkunden angegeben ist, ferner für die
Behauptung der Frau H. in ihrem Affidavit, seine Ehefrau zu sein, und schließlich zu
den detaillierten Angaben des Ermittlers in Indien. Zudem hat der Kläger ein erhebliches
Interesse daran, dass das Gericht ihm glaubt. Nimmt man hinzu, dass der Kläger auch
schon durch Asylverfahren unter Aliaspersonalien und einer Verfolgungslegende ein
Aufenthaltsrecht zu sichern versucht hat, können seine Angaben nicht als glaubhaft
angesehen werden. Angemerkt sei, dass der Kläger auch letztgenannte Täuschung erst
bzw. genau dann aufgegeben hat, als er infolge der Eheschließung mit einer Deutschen
mit einem Aufenthaltsrecht rechnen konnte und er dazu seinen Pass brauchte.
119
Die Eheschließung des Klägers mit Frau H. Mitte der 80er Jahre ist ferner als - auch
nach deutschen Recht - wirksam anzusehen. Die Wirksamkeit einer im Ausland
geschlossenen Ehe richtet sich nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts.
Maßgeblich ist grundsätzlich des Heimatrecht der Eheschließenden, sofern nicht
Gesichtspunkte des ordre public entgegenstehen. Vorliegend ist die Ehe nach dem
Heimatrecht der Eheleute wirksam; ordre-public-Gesichtspunkte stehen nicht entgegen.
120
Die Wirksamkeit dieser traditionell erfolgten Eheschließung beurteilt sich nach den
Bestimmungen des Hindu-Ehegesetzes Nr. 25 vom 18.5.1955 (abgedruckt bei
Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, a.a.O., S. 29).
Nach Sect. 7 Abs. 1 dieses Gesetzes kann eine Hindu-Ehe nach den Riten und
Zeremonien einer der Parteien geschlossen werden. Der Wirksamkeit der
Eheschließung steht auch nicht entgegen, dass diese zunächst nicht registriert worden
121
ist. Zwar sieht Sect. 8 Abs. 1 des Hindu-Ehegesetzes die Möglichkeit vor, die Ehe zu
Beweiszwecken registrieren zu lassen, was der Kläger im Jahre 2003 getan hat. Nach
Sect. 8 Abs. 5 des Hindu-Ehegesetzes wird die Gültigkeit einer Hindu-Ehe aber durch
die Unterlassung einer solchen Eintragung nicht berührt. Der Beweis des Vorliegens
einer Ehe wird dann durch das Zeugnis der dabei anwesenden Personen geführt. Es
besteht eine feste Vermutung für die Gültigkeit einer Ehe und die Ehelichkeit der
Nachkommenschaft, wenn seit der angeblichen Eheschließung die Eltern allgemein als
Mann und Frau angesehen werden, wie es nach dem oben Ausgeführten hier der Fall
ist.
Vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Loseblatt,
a.a.O., S. 26, 32.
122
Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Jahre 1990 und deren Verlängerung im Jahr
1993 waren demnach rechtswidrig, weil die nach den Angaben des Klägers bestehende
eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen, die diesen
Maßnahmen zugrunde lag, nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stand.
123
Eine Doppelehe entfaltet - ungeachtet ihrer rechtlichen Wirksamkeit -
124
die Ehe wäre heute nach deutschem Recht gemäß § 1314 Abs. 1 i.V.m. §
1306 BGB (nur) aufhebbar -
125
zugunsten des Ausländers grundsätzlich keine ausländerrechtlichen Wirkungen, weil
sie nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht.
126
Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Januar 2009 - 18 B 1914/08 - und
vom 11. Dezember 2006 - 19 B 883/06 -; VGH Baden-Württemberg,
Beschlüsse vom 21. August 2007 - 11 S 995/07 -, NJW 2007, 3453, und
vom 15. August 2005 - 13 S 951/04 -, juris, sowie Urteil vom 11. Januar
2006 - 13 S 2345/05 -, AuAS 2006, 149, jeweils mit weiteren Nachweisen;
OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 1998 Bs VI (VII) 213/95 -, juris.
127
Gesetzliche Regelungen, die an diejenige Lebensgemeinschaft zwischen Frau und
Mann anknüpfen, die als Ehe den Schutz der Verfassung genießt, müssen die
wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Strukturprinzipien beachten, die sich
aus der Anknüpfung des Art. 6 Abs. 1 GG an vorgefundene, überkommene
Lebensformen in Verbindung mit dem Freiheitscharakter des verbürgten Grundrechts
und anderen Verfassungsnormen ergeben. Hierzu gehört unter anderem das Prinzip der
Einehe.
128
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58,
und vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323; BVerwG,
Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 -, BVerwGE 71, 228; OVG NRW,
Beschlüsse vom 25. April 2007 - 19 A 3047/06 - und vom 11. Dezember
2006 - 19 B 883/06 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. März 2004 10 A
11717/03.OVG -; Nds. OVG, Urteil vom 6. Juli 1992 - 7 L 3634/91 -, juris.
129
Die Anwendung zu strenger oder zu geringer Voraussetzungen bei der Auslegung und
Anwendung von an das Institut der Ehe anknüpfenden gesetzlichen Regelungen ist mit
den sich aus der Verfassung selbst ergebenden Strukturprinzipien unvereinbar.
130
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 -, a.a.O.; BVerfG,
Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 -, a.a.O.
131
Dass die Familiennachzugsbestimmungen nicht Ehegatten aus polygamen
Beziehungen erfassen sollten, ist auch der Gesetzesbegründung zu § 17 AuslG (BT-
Drucksache 11/6321 S. 60) zu entnehmen. Dort heißt es:
132
"Der ausdrückliche Hinweis auf Art. 6 GG hat (…) eine begrenzende Funktion.
Familienangehörige aus einer Mehrehe von Deutschen und Ausländern sollen nicht
nachzugsberechtigt sein. (…) Maßgebend ist die Institution von Ehe und Familie, wie sie
sich im abendländischen Rechts- und Kulturkreis herausgebildet hat. Das Prinzip der
Einehe gehört zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der
Bundesrepublik Deutschland und damit zu den der ausländergesetzlichen Regelung
vorgegebenen Wertsetzungen."
133
Die gesetzlich gewollte Durchsetzungskraft des Verbotes der Doppelehe zeigt sich
weiter an seiner Strafbewehrtheit gemäß § 172 StGB (vorher § 171 StGB) sowie der eng
begrenzten Möglichkeit des Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§
1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Ausländerrecht ist im Einklang mit diesem
Verbot auszulegen.
134
Ein zivilgerichtliches Monopol zur Bewertung einer Ehe besteht dabei nicht. Insoweit ist
der Sachverhalt vergleichbar mit dem Fall einer sog. Scheinehe, d.h. einer Ehe, die nur
zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen
wird. Zwar liegt auch hier eine zivilrechtlich wirksame Eheschließung vor; dennoch ist
etwa anerkannt, dass die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis beim Vorliegen einer
Scheinehe zulässig ist und insbesondere nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, weil es
sich (auch) dabei nicht um eine dem Schutz dieses Grundrechts unterfallende Ehe
handelt.
135
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, FamRZ 2003,
1000.
136
Dass das Verwaltungsgericht zu einer eigenständigen Bewertung der Ehe als
ausländerrechtlich schützenswert befugt ist, zeigt neben dem Vergleich mit der
Scheinehe auch der von den Strafgerichten zu prüfende Straftatbestand der Doppelehe.
Dieser Straftatbestand kann verwirklicht sein, obwohl die zweite Ehe zivilrechtlich noch
gültig ist.
137
Vgl. zum Ganzen Senatsbeschluss vom 6. Januar 2009 - 18 B 1914/08 - mit
weiteren Nachweisen.
138
Auch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebietet nicht, die zivilrechtlich
wirksame Eheschließung auch im Ausländerrecht als wirksam zu behandeln. Vielmehr
ist es gerade nicht ausgeschlossen, die Wirkungen einer solchen Ehe für verschiedene
Rechtsbereiche unterschiedlich auszugestalten.
139
Vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 1998 - Bs VI (VII)
213/95 -, a.a.O.
140
Im Fall einer unzulässigen Doppelehe liegt es für den Bereich des Zivilrechts deshalb
nahe, diese nur mit Wirkung ex nunc aufzuheben, weil andernfalls zahlreiche in der
Vergangenheit eingetretene Ehewirkungen einer Neuregelung bedürften, welche mit
beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Dies gilt etwa für den Fall, dass aus der
Ehe gemeinsame Kinder hervorgegangen sind, die bei einer rückwirkenden Aufhebung
der Ehe nachträglich nichtehelich würden. Daraus kann aber nicht gefolgert werden,
dass es geboten wäre, eine aufhebbare Doppelehe auch in anderen Rechtsbereichen,
also etwa im Ausländerrecht, bis zu ihrer Aufhebung als wirksam zu behandeln.
141
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. August 2005 13 S
951/04 -, a.a.O.
142
Hinzu kommt vorliegend, dass fraglich ist, ob eine Aufhebung der Ehe überhaupt noch
möglich wäre. Dass eine Doppelehe vorlag bzw. vorliegen könnte, ist nämlich erst 2003
bekannt geworden, als die Ehe bereits geschieden war. Gegebenenfalls wäre der Frage
nachzugehen, ob für ein derartiges Aufhebungsverfahren nach Scheidung der (zweiten)
Ehe noch ein Bedürfnis anerkannt würde.
143
Vgl. hierzu OLG Nürnberg, Urteil vom 30. Juni 1997 7 UF 1117/97 -, juris.
144
An alldem führt schließlich nicht vorbei der Grundsatz des - bis zum Inkrafttreten des
Eheschließungsrechtsgesetzes (BGBl. 1998 I 833) am 1. Juli 1998 gültigen - § 23 EheG,
wonach sich niemand auf die Nichtigkeit etwa einer Doppelehe berufen konnte, solange
diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden war. Der genannte
Grundsatz modifizierte nicht etwa das früher in den §§ 5, 20 EheG bzw. seit 1. Juli 1998
in § 1306 BGB geregelte Verbot der Doppelehe. Die gesetzlich gewollte
Durchsetzungskraft dieses Verbotes zeigte sich auch seinerzeit an seiner
Strafbewehrtheit gemäß § 172 StGB sowie der eng begrenzten Möglichkeit des
Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1
BGB. Die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Verstoßes
gegen das Verbot der Doppelehe wurde nicht als Berufung auf die Nichtigkeit der Ehe
im Sinne des früheren § 23 EheG angesehen, vielmehr als verfassungskonforme
Anwendung der ausländerrechtlichen Normen.
145
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. August 2007 - 11 S
995/07 -, a.a.O.
146
b) Darüber hinaus erweisen sich die dem Kläger erteilten Aufenthaltserlaubnisse auch
deshalb als rechtswidrig, weil bei deren Erteilung bzw. Verlängerung
Ausweisungsgründe gemäß § 10 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 AuslG 1965 bzw. § 46 Nr. 2 AuslG
1990 verwirklicht waren. Denn der Kläger hat sich einerseits wegen Führens einer
Doppelehe gemäß § 171/172 StGB und andererseits gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG
1965 bzw. § 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG 1990 strafbar gemacht, indem er mindestens
unvollständige Angaben gemacht hat, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu
beschaffen. Damit folgt die Rechtswidrigkeit der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
unmittelbar aus § 25 Abs. 3 AuslG 1990 i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1990 bzw., da die
Ausländerbehörde dies seinerzeit mangels Kenntnis vom Gegebensein der
Ausweisungsgründe nicht berücksichtigen konnte, für die Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis mindestens aus dem Umstand, dass ein wesentlicher
Ermessensgesichtspunkt verfehlt wurde (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 i.V.m. Nr. 4a
der AuslVV zu § 2).
147
Ein Ausweisungsgrund möglicherweise im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG 1965,
jedenfalls aber im Sinne von § 46 Nr. 2 AuslG 1990 ist gegeben, weil der Kläger gegen
§ 171/172 StGB (Doppelehe) verstoßen hat. Nach § 46 Nr. 2 AuslG 1990 in der
seinerzeit maßgeblichen Fassung konnte ausgewiesen werden, wer einen nicht nur
vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat.
Gemäß § 171 StGB in der vom 1. April 1987 bis 31. März 1998 gültigen Fassung wurde
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Ehe schließt,
obwohl er verheiratet ist, oder wer mit einem Verheirateten eine Ehe schließt. Dem
entspricht heute § 172 StGB.
148
Hierbei kann angesichts der Angaben der Nachbarn aus den Heimatdörfern des Klägers
und seiner Ehefrau, der Mutter des Klägers, des Geistlichen sowie schließlich und
namentlich seiner Ehefrau selbst nicht zweifelhaft sein, dass der Kläger selbst sich - wie
alle diese Personen - als seit ca. 1984 verheiratet angesehen hat und insoweit
vorsätzlich eine Doppelehe eingegangen ist. Bereits wegen der anderslautenden
Aussagen all jener Personen liegt es auch fern, dass der Kläger einem Rechtsirrtum
derart unterlegen wäre, dass er die nach Hindu-Ritus geschlossene Ehe als nicht
rechtswirksam angesehen hat. Hinzu kommt, dass sich der Kläger dahin nie geäußert
hat, sondern den Umstand der Eheschließung als solchen bestritten hat und weiter
bestreitet.
149
Bei dem Verstoß des Klägers gegen § 171/172 StGB handelte es sich auch um einen
nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften, weshalb
dieser einen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG 1990 darstellte. Ein
Rechtsverstoß ist insoweit nämlich nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und
geringfügig ist, also andererseits immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht
geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist.
150
Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. September 1996 1 C 9.94 -, BVerwGE 102,
63, und vom 18. November 2004 1 C 23.03 -, BVerwGE 122, 193.
151
Eine - wie hier - vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht geringfügig im
Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG 1990 bzw. heute des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.
152
Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. September 1996 1 C 9.94 -, a.a.O.; vom 17.
Juni 1998 - 1 C 27.96 -, BVerwGE 107, 59, und vom 18. November 2004,
a.a.O.; zum Ganzen auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Januar
2006 - 13 S 2345/05 -, a.a.O., und OVG Hamburg, Beschluss vom
28. August 2001 - 3 Bs 102/01 -, juris.
153
Der Kläger hat sich außerdem gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 bzw. § 92 Abs. 1 Nr.
7 AuslG 1990 in der seinerzeit geltenden Fassung strafbar gemacht, indem er
mindestens unvollständige Angaben gemacht hat, um für sich eine
Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen.
154
Ebenso in ähnlichen Fallgestaltungen VGH Baden-Württemberg, Beschluss
vom 15. August 2005 - 13 S 951/04 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 28.
August 2001 - 3 Bs 102/01 -, jeweils a.a.O.; VG Gießen, Urteil vom 7. Juni
2004 - 10 E 2666/03 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 18. November 2004 - 24 K
2720/03 -; VG Oldenburg, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 11 A 746/03 ,
155
jeweils juris.
Nach § 47 Abs. 1 Nr. 6 AuslG 1965 machte sich strafbar, wer unrichtige oder
unvollständige Angaben machte oder benutzte, um für sich Urkunden für den Aufenthalt
im Geltungsbereich des AuslG zu beschaffen, oder der eine so beschaffte Urkunde
wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr benutzte. Nach § 92 Abs. 2 Nr. 7 AuslG in
der Fassung vom 26. Juni 1992, gültig vom 1. Juli 1992 bis 31. August 1993, machte
sich strafbar, wer unrichtige oder unvollständige Angaben machte oder benutzte, um für
sich oder einen anderen eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen,
oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr
gebrauchte.
156
Dabei kommt es für die Entscheidung, ob Angaben unvollständig sind, nicht auf die
Gestaltung etwaig verwendeter Antragsformulare an, wenn offensichtlich ist, dass
weitere Angaben erforderlich sind.
157
Vgl. auch VG Oldenburg, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 11 A 746/03 -,
a.a.O., mit weiteren Nachweisen.
158
Unrichtige bzw. unvollständige Angaben finden sich hiervon ausgehend zunächst im
Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 10. Mai 1990. Hier ist bereits die
Angabe zum Namen der Ehefrau ("H4. M1. I. ") unter 7. in wesentlicher
Beziehung unvollständig, da es nach deutschen Recht von wesentlicher Bedeutung ist,
ob jemand nur einmal oder mehrfach verheiratet ist und es keinen Hinweis darauf gibt,
dass nur die zuletzt geheiratete Ehefrau anzugeben ist. Dies musste dem Kläger auch
klar sein; sein Verhalten insgesamt kann nur so gedeutet werden, dass er seine Ehefrau
und auch seine Kinder zeit seines Aufenthalts in Deutschland bis zu deren
Visumsantrag bewusst verschwiegen hat. Mindestens in wesentlicher Beziehung
unvollständig ist ferner die Angabe unter 6. "verheiratet seit 10.5.58" (gemeint wohl:
10.5.90, 1958 ist das Geburtsjahr des Klägers). Die Angabe ist bezogen auf die zweite
Ehe richtig; es gibt in der entsprechenden Rubrik aber keinerlei Hinweis darauf, dass
nur die letzte Ehe gemeint sein könnte.
159
Ebenso in vergleichbaren Fällen OVG Hamburg, Beschlüsse vom 17.
Februar 1998 - Bs VI/VII 213/95 - und vom 28. August 2001 - 3 Bs 102/01 -,
jeweils a.a.O.
160
In wesentlicher Beziehung unvollständig sind schließlich die Angaben unter 8. zu
Kindern; hier hat es der Kläger an jeglichen Angaben fehlen lassen, obwohl er, wie er
wusste, Vater von mehreren Kindern war. Ob die Angabe unter 18. auf die Frage "Sollen
Familienangehörige mit einreisen oder nachkommen?" ("nein") zumindest damals noch
richtig war, steht dahin. Sämtliche Fehler (Angaben "verheiratet seit", zur Ehefrau, zu
Kindern) finden sich auch im Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 8.
Juli 1993.
161
Ohne dass dies für die Verwirklichung des Straftatbestandes und damit für die Erfüllung
eines Ausweisungsgrundes erforderlich wäre,
162
vgl. näher Senatsbeschluss vom 22. Juni 2004 18 B 876/04 - mit weiteren
Nachweisen,
163
sind die Aufenthaltserlaubnisse auch aufgrund jedenfalls der unvollständigen Angaben
zu den Ehefrauen erteilt bzw. verlängert worden; denn die Maßnahmen beruhten auf der
Vorstellung, dass der Kläger nur mit Frau V. -I. verheiratet war, und wären
andernfalls nicht ergangen.
164
Liegen nach allem die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG
NRW vor, so liegt die Rücknahme im Ermessen der Behörde. Soweit die
Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht
nach § 114 Satz 1 VwGO, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder
Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
165
Insoweit hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der
Rücknahme von Aufenthaltserlaubnissen Folgendes zu gelten: Bei der
Ermessensentscheidung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwVfG NRW sind die für die
Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes und den Bestandsschutz sprechenden
Gesichtspunkte, insbesondere das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen analog §
48 Abs. 2 VwVfG NRW gegen das öffentliche Interesse an der Herstellung des
gebotenen Rechtszustandes abzuwägen. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG
verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt dabei voraus, dass die
Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des
Ermessens hat leiten lassen. Die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis kann nur
Bestand haben, wenn die Behörde die erforderliche Abwägung öffentlicher Interessen
und schutzwürdiger privater Belange vorgenommen und dabei die wesentlichen
Gesichtspunkte des Einzelfalles berücksichtigt hat. Der Umstand, dass eine
Aufenthaltserlaubnis durch falsche Angaben erschlichen worden ist, schließt zwar eine
Berufung auf Vertrauensschutz aus (§ 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2
VwVfG NRW), ändert aber nichts an dem Erfordernis einer derartigen Abwägung. Es
bestehen auch keine ermessenslenkenden Vorgaben, die für den Fall der Rücknahme
einer Aufenthaltserlaubnis auf ein sogenanntes intendiertes Ermessen hinweisen.
166
Vgl. näher BVerwG, Urteil vom 5. September 2006 - 1 C 20.05 -, NVwZ
2007, 470, mit weiteren Nachweisen, und Senatsbeschluss vom 13. Juli
2007 - 18 B 150/07 -.
167
Gemessen hieran bestehen keine Bedenken gegen die getroffene
Ermessensentscheidung.
168
Schutzwürdiges Vertrauen war auf Seiten des Klägers nicht zu berücksichtigen. Dies ist
jedenfalls entsprechend § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW ausgeschlossen. Nach
dieser Bestimmung kann sich auf Vertrauensschutz nicht berufen, wer den
Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder
unvollständig waren. Dass der Kläger die Erteilung bzw. Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis durch solche Angaben erwirkt hat, ist oben bereits dargelegt
worden.
169
Ferner ist die Berufung auf Vertrauensschutz gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VwVfG
NRW ausgeschossen. Dies setzt voraus, dass der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Eine
Parallelwertung in der Laiensphäre ist hier ausreichend. Nachdem der Kläger von
170
Beginn seines Aufenthalts in Deutschland an seine Ehefrau und seine Kinder
verschwiegen hat, spricht alles dafür, dass dies geschehen ist, um sich zumindest die
Möglichkeit offenzuhalten, durch die Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen ein
Bleiberecht zu sichern, von dem er wusste, dass es ihm eigentlich nicht zugestanden
hätte.
Anderweitige Ermessensfehler sind nicht gegeben.
171
Ein Ermessensfehler ergibt sich nicht daraus, dass die Behörde von unzutreffenden
oder unvollständigen rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist.
Dies war allerdings in Betracht zu ziehen, weil die Beklagte gemeint hat, "zudem" habe
"auch die eheliche Lebensgemeinschaft selbst bei Annahme des Bestehens einer
wirksamen Ehe in Deutschland zu keinem Zeitpunkt bestanden" bzw. "eine tatsächliche
eheliche Lebensgemeinschaft" zwischen dem Kläger und Frau V. -I. habe nicht
bestanden. Der Frage, was damit genau gemeint war und ob die betreffende Annahme
zutreffend war, muss nicht weiter nachgegangen werden. Denn die Beklagte hat
ergänzend klargestellt, dass es nach ihrer Ansicht an einer nach deutschem Recht
schützenswerten ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und Frau V.
gefehlt habe. Dass zwischen den Eheleuten eine Lebensgemeinschaft als solche in der
Vergangenheit durchaus bestanden habe, werde nicht verkannt.
172
Damit hat die Beklagte ihre Erwägungen zulässigerweise nach § 114 Satz 2 VwGO
ergänzt. Nach dieser Bestimmung kann die Verwaltungsbehörde ihre
Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Ein solches Nachschieben von Gründen
ist nach allgemeiner Meinung zulässig, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt nicht
ausgewechselt wird oder Ermessenserwägungen ausgetauscht werden und damit der
Verwaltungsakt nicht in seiner Identität verändert wird.
173
Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1971 - II C 17.70 -, BVerwGE 38,
191; Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 2008, §
113 Rn. 81, 84 ff. und § 114 Rn. 208; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009,
§ 113 Rn. 72.
174
Über § 114 Satz 2 VwGO hinaus ist die Zulässigkeit der Ergänzung von
Ermessenserwägungen an dem einschlägigen materiellen Recht sowie dem
Verwaltungsverfahrensrecht zu messen. Der Regelungsgehalt des § 114 Satz 2 VwGO
ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
175
- vgl. Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 C 17.97 -, BVerwGE 106, 351 = Buchholz
402.240 § 45 AuslG Nr. 13; ebenso Senatsbeschluss vom 20. Februar 2001
- 18 A 1520/92 -, NVwZ 2001, 1424 = NWVBl. 2001, 435 -
176
die auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses zu dieser
Neuregelung (BT-Drs. 13/5098 Seite 24) Bezug nimmt, in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise so zu verstehen, dass die Verwaltung auch noch während des
gerichtlichen Verfahrens "materiell-rechtlich relevante Ermessenserwägungen" in den
Prozess einführen kann. Die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen
bestimmt sich demzufolge nicht allein nach § 114 Satz 2 VwGO, sondern nach dem
einschlägigen materiellen Recht. Aus dem materiellen Ausländerrecht sind jedoch keine
einer nachträglichen Ergänzung von Ermessenserwägungen entgegenstehenden
177
Gründe ersichtlich, sofern sie auf den für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt
bezogen werden.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998, a.a.O.; Senatsbeschlüsse vom 20.
Februar 2001, a.a.O., und vom 25. Oktober 2002 - 18 A 955/02 -.
178
Die demnach zu beachtenden Grenzen für das Nachschieben von
Ermessenserwägungen sind gewahrt. Die streitgegenständliche Rücknahme wird durch
die Klarstellung nicht in ihrem Wesen verändert. Die nachträglich von dem Beklagten
angeführten Erwägungen hätten auch schon bei Erlass des Rücknahmebescheids
angeführt werden können und der Kläger wird in seiner Rechtsverteidigung nicht - über
den in § 114 Satz 2 VwGO angelegten Umfang hinaus - beeinträchtigt.
179
Ein Ermessensfehler liegt ferner nicht darin, dass die Beklagte die Konsequenzen der
Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse für die Einbürgerung unzureichend
berücksichtigt hat. Vorliegend ist die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers
Gegenstand eines gesonderten Verfahrens; die damit in Zusammenhang stehenden
Folgen sind dort zu berücksichtigen. Dies gilt namentlich für die Frage, ob der Kläger mit
der Rücknahme der Einbürgerung staatenlos wird. Hierin liegt der wesentliche
Unterschied zu der Fallgestaltung, die dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
5. September 2006 - 1 C 20/05 -, a.a.O., zugrunde liegt. Dort waren - was das
Bundesverwaltungsgericht beanstandet hat - die Folgen der Rücknahme der einer
Mutter erteilten Aufenthaltserlaubnis für ihr Kind, welches die deutsche
Staatsangehörigkeit erlangt hatte, unberücksichtigt geblieben. Die Notwendigkeit, die
Konsequenzen der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse für solcherart betroffene
Dritte in die Erwägungen einzubeziehen, besteht vorliegend nicht, denn sie gibt es hier
nicht.
180
Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse ist ferner nicht deshalb unverhältnismäßig,
weil der mit der Rücknahme verfolgte Zweck nicht erreicht werden kann. Die
Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse dient hier allein dazu, eine Grundlage für die
Rücknahme der Einbürgerung zu schaffen. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen,
dass dieser Zweck erreicht werden kann. Dabei ist die Frage der Rechtmäßigkeit der
Rücknahme der Einbürgerung grundsätzlich der Beurteilung der insoweit zuständigen
Spruchkörper zu überlassen. Ob diesbezüglich eine Evidenzkontrolle möglich ist, kann
auf sich beruhen. Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, besteht kein Anhalt
dafür, dass die Rücknahme der Einbürgerung evident rechtswidrig ist.
181
Die Rücknahme der Einbürgerung ist nicht deshalb evident rechtswidrig, weil zum
Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über sie die Aufenthaltserlaubnisse noch
nicht zurückgenommen waren. Das gilt auch dann, wenn für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Maßnahme auf diesen Zeitpunkt abgestellt wird. Denn die
Aufenthaltserlaubnisse sind zwar nach Erlass des Widerspruchsbescheides über die
Rücknahme der Einbürgerung, aber mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückgenommen worden. Damit ist maßgeblich die rechtliche Fiktion, dass die
Rechtslage schon immer so war wie mit der Rücknahmeentscheidung angeordnet. Ist
deshalb nach der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse davon auszugehen, dass eine
Aufenthaltserlaubnis weder erteilt noch verlängert worden ist, so war die Einbürgerung
von Anfang an rechtswidrig. Bei Rücknahme eines Verwaltungsakts, an den - wie hier
wegen § 85 Nr. 2 AuslG 1990 - ein anderer Verwaltungsakt anknüpft, mit Wirkung für die
Vergangenheit wird der darauf aufbauende Verwaltungsakt ebenfalls bezogen auf
182
diesen Zeitpunkt rechtswidrig.
Vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 113 Rn. 109; Kopp/Schenke, a.a.O., §
113 Rn. 46; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 57; Ehlers, Jura 2004, 176
(180); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage 2006, S. 286.
183
Vergleichbar liegt es in Fällen von Rechtsänderungen mit Rückwirkung.
184
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 25. November 1981 - 8 C 14.81 -, BVerwGE
64, 218.
185
Mithin ist zugrunde zu legen, dass seit 1990 und auch zum Zeitpunkt der Rücknahme
der Einbürgerung ein rechtmäßiger, von Aufenthaltserlaubnissen abgedeckter
Voraufenthalt des Klägers nicht gegeben war. Die Einbürgerung war hiervon ausgehend
schon rechtswidrig erlassen, so dass es insoweit auf die Frage des maßgeblichen
Zeitpunkts für die Beurteilung ihrer Rechtswidrigkeit nicht ankommt. Unerheblich ist
ferner, ob die Behörde dies seinerzeit erkennen konnte.
186
Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7.
Auflage 2008, § 44 Rn. 16 (anders nur im hier nicht gegebenen Fall, dass
das materielle Recht gerade auf einen bestimmten Erkenntnisstand abstellt,
Beispiel: Stand der Technik).
187
Die Rücknahme der Einbürgerung ist ferner nicht deshalb evident rechtswidrig, weil die
hierfür geltenden Fristen nicht beachtet worden sind. Nach dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2008 - 5 C 32.07 - liegt die Grenze für die
Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung bei fünf Jahren (so jetzt auch § 35 Abs. 3
StAG). Diese Grenze ist nicht überschritten: Der Kläger ist im Oktober 2000 eingebürgert
worden; die Einbürgerung ist im April 2004 zurückgenommen worden.
188
Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse ist schließlich nicht unverhältnismäßig im
engeren Sinne, obwohl der Kläger sich seit 1986 - also inzwischen seit etwa 23 Jahren -
in Deutschland aufhält und ihm die streitgegenständlichen Aufenthaltserlaubnisse
bereits 1990 und 1993 erteilt wurden.
189
Insoweit waren die Folgen der Begründung einer Ausreisepflicht des Klägers im
vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen, weil eine solche Pflicht durch die
Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse nicht begründet wird. Der Kläger bleibt vielmehr
Deutscher. Die Ausreisepflicht kann erst mit Bestandskraft der Rücknahme der
Einbürgerung entstehen; insofern ist dies im Rahmen jener Entscheidung zu
berücksichtigen. Eine doppelte Prüfung derselben Erwägungen ist nicht geboten.
190
Ungeachtet dessen erscheint die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse trotz der
erheblichen Dauer des Aufenthalts des Klägers in Deutschland aus folgenden Gründen
nicht unverhältnismäßig:
191
Der Kläger, der bereits zuvor im Wege der Asylantragstellung unter Aliaspersonalien
seinen Aufenthalt durch Täuschung zu sichern versucht hatte, ist für die jetzt gegebene
Situation allein verantwortlich. Seine Täuschung ist nachhaltig und langdauernd,
nämlich von Beginn seines Aufenthalts an allen behördlichen Stellen gegenüber. Erst
im Jahre 2003, als der Kläger ein Aufenthaltsrecht für seine Familie erlangen wollte, hat
192
er die Existenz seiner indischen Ehefrau und seiner Kinder angegeben. Über das
Bestehen seiner Ehe seit ca. 1984 täuscht er trotz der erdrückenden Indizienlage noch
immer. Auch muss angenommen werden, dass der Kläger von Anfang an planvoll
gehandelt hat. Er hat von Beginn seines Aufenthalts in Deutschland an seine Ehe und
seine Kinder verschwiegen und seine zweite Ehe mit Frau V. -I. wenige Monate
nach seiner Einbürgerung aufgegeben. Hier kann dem Kläger auch nicht zugute
gehalten werden, dass er zwölf Jahre lang an der Ehe festgehalten und erst im Jahre
2000 das Einbürgerungsverfahren betrieben hat; denn bereits 1996 hatte er einen
Einbürgerungsantrag gestellt, den er jedoch 1997 zurückgenommen hat. Für das
Verschweigen seiner Ehe und seiner Kinder von Anfang an ist nur der Grund ersichtlich,
dass der Kläger bereits bei Einreise beabsichtigte, sich über den möglichen Weg der
Ehe mit einer Deutschen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu sichern und später seine
Familie nachzuholen. Insofern rücken Integrationsleistungen des Klägers in den
Hintergrund. Dabei kann auch nicht argumentiert werden, bei dem Verschweigen der
indischen Ehefrau und der Kinder handele es sich nur um einen einzelnen
Handlungskomplex. Denn hat der Kläger gegenüber verschiedenen Behörden in
verschiedenen Verfahren wiederholt unvollständige Angaben gemacht. An den seine
Ehe betreffenden Behauptungen hält er im Übrigen weiter fest.
Von Gewicht ist weiter, dass es Angehörige, deren Interessen durch die Rücknahme
beeinträchtigt werden könnten, hier in Deutschland nicht gibt. Im Gegenteil halten sich
die Ehefrau und die Kinder des Klägers noch immer in Indien auf und beabsichtigen
nach Angaben des Klägers nicht mehr, nach Deutschland zu kommen. Von einer
Entwurzelung von seinem Heimatland kann auch anderweitig keine Rede sein. Der
Kläger hat den Kontakt nach Indien gehalten, wie seine Reisen dorthin zeigen. Die
fortbestehende Verbundenheit mit seiner indischen Familie wird ferner an der vom
Kläger geleisteten finanziellen Unterstützung deutlich, die dieser etwa in Erklärungen
über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegeben hat. Für
erhebliche Unterstützungsleistungen des Klägers an seine Familie in Indien sprechen
auch die Äußerungen der Frau V. -I. im Scheidungsverfahren, wonach der Kläger
während der mit ihr geführten Ehe ihr gegenüber "jede Unterhaltspflicht vernachlässigt"
habe, um seiner indischen Familie Geld zukommen zu lassen. Nicht zuletzt muss der
Kläger in Indien mit seiner indischen Ehefrau im Jahre 1988 - nach ca. zwei Jahren in
Deutschland - sein drittes Kind und 1994 - nach ca. acht Jahren in Deutschland - sein
viertes Kind gezeugt haben.
193
Für eine nennenswerte Integration des Klägers in Deutschland ist nichts vorgetragen
und - trotz des langen Aufenthalts - auch nichts ersichtlich. Im Erörterungstermin war
festzustellen, dass beim Kläger einfache Deutschkenntnisse gegeben sind; diese
reichten jedoch gerade für eine einfach gehaltene Verständigung. Es deutet auf einen
geringen Kontakt mit Deutschen und ein geringes Interesse am Erwerb der deutschen
Sprache hin, nach einem über 20jährigen Aufenthalt in Deutschland und einer
zwölfjährigen Ehe mit einer Deutschen nur über vergleichsweise dürftige
Sprachkenntnisse zu verfügen. Der Kläger war, soweit bekannt, zwar in Deutschland
überwiegend erwerbstätig, dabei handelte es sich aber um - teils befristete -
Hilfstätigkeiten. Bekannt gewordene Straffälligkeiten sind eher untergeordnet, aber
immerhin vorhanden.
194
Wenn es - wie die Deutsche Botschaft ausführt - bei indischen bzw. auch
pakistanischen Männern häufiger vorkommt, dass sie zur Erlangung eines
Aufenthaltsrechts in westlichen Staaten durch die Heirat mit einer Staatsbürgerin des
195
entsprechenden Staates über eine bereits im Heimatland bestehende Ehe täuschen,
besteht zudem insoweit ein erhebliches generalpräventives öffentliches Interesse daran
zu verdeutlichen, dass ein solches Verhalten nicht folgenlos bleibt.
Auch die Frage, ob es im Rahmen der Ermessensausübung im Hinblick auf die
Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse zu berücksichtigen wäre, wenn der Kläger bis
zum Zeitpunkt seiner Einbürgerung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben hätte,
kann auf sich beruhen. Denn der Kläger hatte ein solches Aufenthaltsrecht nicht
erworben. Namentlich war dies nicht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 AuslG 1990 der Fall. Die
Ehe zwischen dem Kläger und der deutschen Staatsangehörigen Frau V. -I.
bestand nicht im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1990 mindestens vier Jahre
rechtmäßig im Bundesgebiet. Dem steht bereits entgegen, dass der Kläger, solange er
Ausländer war und als solcher ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach dem AuslG
überhaupt erwerben konnte, sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt.
Insbesondere war während seiner formell mit Frau V. -I. bestehenden Ehe der
Aufenthalt nicht rechtmäßig, weil der Kläger - wie oben ausgeführt - eine rechtlich nicht
schützenswerte Doppelehe geführt und die Beklagte die insoweit erteilten
Aufenthaltserlaubnisse mit der angefochtenen Ordnungsverfügung rückwirkend auf den
Zeitpunkt der Erteilung zurückgenommen hat.
196
Die Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG NRW ist jedenfalls eingehalten: Die
Mitteilungen der Botschaft über die bereits bestehende Ehe sind im November bzw.
Dezember 2003 erfolgt. Der Rücknahmebescheid datiert vom 18. Oktober 2004.
197
Eine anderweitige starre, also einzelfallunabhängige zeitliche Grenze für die
Rücknahme erschlichener Aufenthaltserlaubnisse besteht nicht. Namentlich ist aus den
oben genannten Gründen die für die Rücknahme erschlichener Einbürgerungen
geltende Grenze von fünf Jahren nicht übertragbar.
198
Vgl. auch VG Saarland, Urteil vom 11. März 2009 - 5 K 1724/08 -, a.a.O.
199
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen. Ein Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2
VwGO liegt nicht vor.
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