Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.07.2007

OVG NRW: staatsangehörigkeit, ukraine, erwerb, russische föderation, aufenthalt im ausland, gleichheit im unrecht, zwangslage, geburt, wahrscheinlichkeit, familie

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 1715/05
Datum:
12.07.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 1715/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 872/04
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Kläger begehren die Erteilung von Staatsangehörigkeitsausweisen. Zur
Begründung machen sie geltend, die Klägerin zu 1. habe die deutsche
Staatsangehörigkeit durch Geburt von ihrem Vater erworben. Dieser wiederum habe
seine deutsche Staatsangehörigkeit zusammen mit seinem Vater, dem Großvater
väterlicherseits der Klägerin zu 1. nach der Verordnung über die Verleihung der
deutschen Staatsangehörigkeit an die in die Deutsche Volksliste der Ukraine
eingetragenen Personen vom 19. Mai 1943, RGBl. I S. 321, erlangt. Soweit hierfür die
Eintragung nachzuweisen sei, werde diese durch eine Reihe von Indizien belegt. Durch
den Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit im Jahr 1996 habe die Klägerin zu 1.
ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren. Die Kläger zu 2. und 3. hätten die
3
deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt (1991 bzw. 1999) von ihrer Mutter erworben.
Wegen des Sachverhalts im übrigen und des gerichtlichen Verfahrens in der ersten
Instanz wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen
Urteils Bezug genommen.
4
Wegen des Sachvortrags der Kläger im Berufungsverfahren wird auf Blatt 68 - 70, 79 -
86, 98, 99, 120 - 125, 171 - 176, 195, 196 der Gerichtsakte verwiesen.
5
Die Kläger beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu
erkennen.
7
Die Beklagte beantragt,
8
die Berufung zurückzuweisen.
9
Sie ist der Auffassung, dass die erforderliche Eintragung in die Volksliste nicht
nachgewiesen und im Übrigen der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25
RuStAG eingetreten sei.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
11
II.
12
Über die Berufung kann gem. § 130a VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil
der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a Satz 1 VwGO). Die
Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2 VwGO i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO mit
gerichtlicher Verfügung vom 21. März 2007 und mit weiterer gerichtlicher Verfügung vom
4. Juni 2007 angehört worden.
13
Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist.
14
Der ablehnende Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 2. Juni 2003 in der
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Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2004 ist rechtmäßig und verletzt
die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben keinen
Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung von Staatsangehörigkeitsausweisen. Sie
haben nicht nachgewiesen, dass sie deutsche Staatsangehörige sind.
16
Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 1. von ihrem Vater
gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG vom 22. Juli 1913, RGBl. S. 583, in der im Zeitpunkt der
Geburt der Klägerin (1962) geltenden Ursprungsfassung ist nicht nachgewiesen. Es
kann zu Lasten der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin,
17
vgl. BVerwG. Urteil vom 27. Juli 2006
18
- 5 C 3.05 -, DVBl. 2007, 194 ff.,
19
nicht mit dem erforderlichen, vernünftige Zweifel ausschließenden Grad an
Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden,
20
vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006 - 5 C 3.05 -, a.a.O.,
21
dass der im Jahr 1937 geborene Vater der Klägerin zu 1. im Zeitpunkt ihrer Geburt
deutscher Staatsangehöriger gewesen ist. Für eine Einzeleinbürgerung des Vaters der
Klägerin zu 1. vor ihrer Geburt ist nichts ersichtlich. Entsprechendes gilt für einen Erwerb
der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 1 Abs. 1 Buchstabe f) des Gesetzes zur
Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (StAngRegG) vom 22. Juli 1955, BGBl. I
S. 65, i.V.m. der Verordnung über die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an
die in die Deutsche Volksliste der Ukraine eingetragenen Personen vom 19. Mai 1943,
RGBl. I S. 321. Auch der erforderliche konstitutive Eintrag,
22
vgl. BVerwG. Urteil vom 27. Juli 2006
23
- 5 C 3.05 -, a.a.O.,
24
des Vaters der Klägerin zu 1. in diese Liste ist nicht - etwa durch Vorlage eines
Volkslistenausweises - belegt.
25
Gleiches gilt auch für den im Jahr 1910 geborenen Großvater väterlicherseits der
Klägerin zu 1. Unterlagen über eine Einzeleinbürgerung, wie etwa eine
Einbürgerungsurkunde, über einen Staatsangehörigkeitserwerb nach der Deutschen
Volksliste der Ukraine oder über die Eintragung in diese Volksliste liegen nicht vor.
26
Die ersatzweise für eine Eintragung des Großvaters väterlicherseits und des - seinerzeit
minderjährigen - Vaters der Klägerin zu 1 in die Deutsche Volksliste der Ukraine
angeführten Indizien,
27
Ansässigkeit des Großvaters innerhalb des Reichskommissariats Ukraine,
28
Ausbleiben von Zwangsmaßnahmen, die ansonsten gegen "Fremd-völkische" oder
"deutschstämmige unverbesserliche Renegaten" durchgeführt wurden,
29
Militärdienst des Großvaters in der Wehrmacht/SS,
30
sind weder für sich genommen noch in der Gesamtschau geeignet, dem Senat über eine
nicht quantifizierbare Wahrscheinlichkeit hinaus die Gewissheit oder zumindest eine
nach der Lebenserfahrung der Gewissheit gleichkommende oder vernünftige Zweifel
Einhalt gebietende Wahrscheinlichkeit für eine Eintragung der genannten Personen in
die Volksliste Ukraine zu vermitteln.
31
Diesen Umständen käme nur dann eine schlüssige Indizwirkung zu, wenn
32
im Reichskommissariat Ukraine eine umfassende Erfassung und Eintragung der
deutschen Volkszugehörigen erfolgt wäre und
33
die Volkslistenerfassung in dem Sinne Grundlage der Evakuierungen gewesen wäre,
dass ausschließlich und vorrangig Eingetragene evakuiert worden wären oder
34
seit dem Inkrafttreten der VolkslistenVO Ukraine die Volkslistenerfassung regelmäßige
Voraussetzung für den Dienst in der deutschen Wehrmacht/SS gewesen wäre.
35
Von einer umfassend durchgeführten Überprüfung und Erfassung der volksdeutschen
Wohnbevölkerung kann indes auch unter Berücksichtigung des Vermerks des Leiters
der Einwandererzentralstelle in Litzmannstadt vom 22. September 1943 nicht
ausgegangen werden. Auch lässt sich nicht feststellen, dass ausschließlich oder
vorrangig die in der Volksliste Ukraine Eingetragenen evakuiert worden sind.
36
Vgl. BVerwG. Urteil vom 27. Juli 2006
37
- 5 C 3.05 -, a.a.O.
38
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von den Klägern in Kopie vorgelegten
Strafurteil des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik aus dem
Jahr 1963 - 1 Zst (I) 1/63 - gegen den damaligen Staatssekretär im Bundeskanzleramt
Globke. Dabei kann dahinstehen, ob und ggf. inwieweit mit Blick auf die seinerzeit in der
DDR gewährleisteten rechtsstaatlichen Garantien derartigen Gerichtsurteilen ein
Aussagewert zukommt. Denn - bezeichnenderweise - finden sich in den Darstellungen
des Gerichts keinerlei nachprüfbare zeitgeschichtliche Quellen zum tatsächlichen
Ablauf und Umfang der Volkslistenerfassung im Reichskommissariat Ukraine und zum
Zusammenhang zwischen der Volkslistenerfassung und den Evakuierungen, so dass
den Ausführungen kein über eine Parteibehauptung hinausgehender Beweiswert
zuzumessen ist.
39
Soweit unter Bezugnahme auf die Stellungnahme vom 2. Mai 2007 von Dr. Ingo Haar
von der Universität Wien geltend gemacht wird, es habe in der Ukraine ein mehrfach
überprüftes Verfahren gegeben, und darüber hinaus habe es hinsichtlich der bis Ende
1944 in den Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle zusammengeführten
Volksdeutschen aus der Ukraine ein Überprüfungsverfahren gegeben, welches
entweder die deutsche Staatsangehörigkeit auf der Basis der Volkslistenverordnung
bestätigt habe oder allenfalls zur Verleihung der Staatsbürgerschaft auf Widerruf geführt
habe, dieser Widerruf jedoch nicht erfolgt sei, ist dies hier nicht geeignet, eine
schlüssige Indizwirkung dahingehend zu begründen, dass der 1910 geborene
Großvater und/oder der 1937 geborene Vater der Klägerin zu 1. tatsächlich in eine der
Abteilungen der Volksliste Ukraine eingetragen worden ist/sind.
40
Aus der in Bezug genommenen Stellungnahme von Dr. Haar lassen sich schon
konkrete Anhaltspunkte für eine lückenlose Erfassung und Eintragung deutscher
Volkszugehöriger in die Volksliste Ukraine, wie sie für eine schlüssige Indizwirkung
erforderlich sind, nicht gewinnen. Abgesehen davon, dass auch Dr. Haar keinerlei
nachprüfbare zeitgeschichtliche Quellen für die von ihm aufgestellten Behauptungen
angegeben hat, hat er in seiner Stellungnahme selbst eingeräumt, dass eine lückenlose
Erfassung aller Personen, die die Kriterien der Volksliste Ukraine erfüllten, nicht
stattgefunden hat. So sollen nach seinen Angaben die "Schwarzmeerdeutschen" bis
Ende 1943 nicht erfasst worden sein, des weiteren habe "ein geringer Teil der zu
erfassenden Deutschen mit dem Zusammenbruch der Frontlinien 1943 und dem
Rückzug der deutschen Truppen nicht mehr oder nur unvollständig registriert werden"
41
können und schließlich habe ein "zahlenmäßig geringer Teil der auf dem Land
lebenden Volksdeutschen in der Ukraine von den eingerichteten Kommissionen der
DVL nur schwer erfasst" werden können. Soweit die Kläger hierzu ergänzend vortragen,
es sei nicht ausgeschlossen, dass entsprechende "Nacherfassungen" erfolgt seien,
stellt das den Befund einer nur lückenhaften Erfassung schon deshalb nicht
durchgreifend in Frage, weil es sich insoweit um eine durch nichts belegte Vermutung
handelt.
Schon angesichts dieser - pauschal - beschriebenen Erfassungslücken ist die
Stellungnahme von Dr. Haar nicht geeignet, dem Senat über eine nicht quantifizierbare
Wahrscheinlichkeit hinaus die Gewissheit oder zumindest eine nach der
Lebenserfahrung der Gewissheit gleichkommende oder vernünftigen Zweifeln Einhalt
gebietende Wahrscheinlichkeit für eine lückenlose Erfassung zu vermitteln. Auf eine
Quantifizierung der Erfassungslücken kommt es dafür nicht an.
42
Abgesehen davon sind konkrete Zahlenangaben bzw. sonstige Belege für eine
Quantifizierung der Erfassungslücken der Stellungnahme nicht beigefügt. Vielmehr regt
Dr. Haar am Ende seiner Stellungnahme selbst an: "Ein Gutachten sollte Aufschluss
darüber geben, nach welchen besonderen oder allgemeinen Kriterien die
Staatsbürgerschaft in der Ukraine vergeben wurde, wo die DVL Ukraine aufgrund des
Zusammenbruchs der Fronten nicht zum Einsatz kam und welche Personen
43
(oder Personengruppen) aus welchen regionalen Zusammenhängen nicht der
Registrierung zugeführt werden konnten oder gar nicht erst zur Registrierung kamen".
Damit wird offenbar, dass nachprüfbare, substantiierte und belastbare Erkenntnisse
hinsichtlich des Grades der im Reichskommissariat Ukraine durchgeführten Erfassung
der dort ansässigen Volksdeutschen nicht vorliegen und - abgesehen von der
eingeräumten Tatsache, dass eine lückenlose Erfassung tatsächlich nicht erfolgt ist - die
Bestimmung und die Quantifizierung der nicht erfassten Personengruppen (die
"Schwarzmeerdeutschen", "geringer Teil", "zahlenmäßig geringer Teil") letztlich auf
vagen Vermutungen beruht.
44
Die damit vorliegenden Darlegungs- und Substantiierungsdefizite wiegen umso
schwerer, als das Reichskommissariat Ukraine keinen statischen Gebietsbestand
aufwies, sondern erst im September 1942 unter Einbeziehung der ostwärts des Dnjepr
gelegenen Gebiete der ehemaligen Oblaste Dnjepopetrowsk und Saporoshje - dem
Gebiet, in dem der Großvater väterlicherseits und der Vater der Klägerin zu 1. nach
Angaben der Kläger geboren sind - die größte Ausdehnung nach Osten erreichte,
jedoch schon im Laufe des Jahres 1943 Zug um Zug zurückerobert wurde.
45
Vgl. etwa:
46
http://de.wikipedia.widearea.org./wiki/Reichskommissariat_Ukraine.
47
Das Zeitfenster, in dem auf der Grundlage der erst unter dem 19. Mai 1943 erlassenen
Volkslistenverordnung Ukraine in dem vorgenannten Gebiet eine Erfassung der
verbliebenen Volksdeutschen durchgeführt und eine zur deutschen Staatsangehörigkeit
(ggf. auf Widerruf) führende Eintragung vorgenommen werden konnten, ist daher relativ
eng bemessen gewesen, so dass auch deshalb die u.a. durch das schnelle
Zurückweichen der Frontlinie bedingten Lücken der Erfassung in der Ukraine nicht ohne
weiteres als völlig unwesentlich angesehen werden können. Denn die Sowjetarmee
48
hatte bereits bis zum 30. September 1943 den gesamten Unterlauf des Dnjepr von
Gomel bis Saporoshje erreicht und damit auch den östlich von Saporoshje gelegenen
Rayon Nowo-Nikolajewski zurückerobert, in dem sich nach Antragsangaben der
Geburtsort des Großvaters väterlicherseits und des Vaters der Klägerin zu 1. befand. Im
Dezember 1943 hielt die deutsche Front nur noch bei Mogilew, südlich Kiew und im
Mündungsgebiet von Nikopol bis Cherson. Anfang 1944 waren nur noch die
Kreisgebiete Brest, Kobryn und Pinsk im Generalbezirk Wolhynien-Podolien unbesetzt.
Zum letzteren vgl.
49
http://de.wikipedia.widearea.org./wiki/Reichskommissariat_Ukraine -; zum Frontverlauf
Anfang Oktober 1943 vgl. etwa Putzger, Historischer Weltatlas, 103. Aufl. 2006, S. 183;
zu den Kämpfen der Heeresgruppe Süd um die Dnjepr-Linie vom 24. September bis 31.
Dezember 1943 (mit Darstellung u. a. der Frontverläufe am 25. September, 10. Oktober
und 2. November 1943) vgl. ferner Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Das
Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 8: Die Ostfront 1943/44, 2007, Karte
Seite 352.
50
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die durch die schnellen und
massiven Vorstöße der Sowjetarmee bedingten Erfassungslücken durch das von der
Klägerin angeführte Prüfungsverfahren ausgeglichen worden sind und deshalb
innerhalb des verbliebenen Zeitfensters eine umfassende Erfassung der
Volksdeutschen in der Ukraine erfolgen konnte. Aufgrund der Kriegsgeschehnisse
gelangten nämlich bereits seit Januar 1943, mithin deutlich vor dem Inkrafttreten der
Volkslistenverordnung Ukraine, Umsiedler aus der Ukraine in den Warthegau und nach
Wolhynien. Aus Wolhynien wurden diese Personen infolge Vorrückens der
sowjetischen Truppen im Spätsommer 1943 ebenfalls in den Warthegau bzw. ins
Altreichsgebiet umgesiedelt.
51
Vgl. Bundesarchiv, Stellungnahme vom 2. Juni 1970
52
- 9165 a/53 -.
53
Damit hatten bereits Personen die Ukraine verlassen, bevor die Volkslistenverordnung
Ukraine in Kraft getreten war und das angeblich hierauf beruhende
Überprüfungsverfahren auf diese Personen Anwendung finden konnte. Hierzu gehörte
offenbar auch der Großvater der Klägerin zu 1. So ist im Aufnahmeantrag der Klägerin
zu 1. vom 18. Dezember 1996 angegeben, dass sich der Großvater väterlicherseits
bereits 1943 in Deutschland aufgehalten habe.
54
Abgesehen davon fehlt es an jeglicher Konkretisierung des behaupteten "mehrfach vom
Reichssicherheitshauptamt, dem Reichsinnenministerium, dem SD, der Volksdeutschen
Mittelstelle der SS und der EWZ-Lodz" implementierten und von diesen Institutionen
überprüften Verfahrens der "Deutschen Volksliste (DVL)". Nach Dr. Haar soll dies schon
allein durch einen Blick in die rechtlichen Regelungen der Volkslistenverordnung
bestätigt werden. Diese enthält jedoch keine konkretisierenden Verfahrensregelungen,
geschweige denn Regelungen des behaupteten mehrfachen
55
Überprüfungssystems durch die o.g. Stellen.
56
Soweit mit den Ausführungen,
57
"Hier bekannten sich zur Gruppe der Volksdeutschen ohnehin nur Familien, die in den
Augen des NS-Regimes ganz eindeutig deutsch waren. Hinzu kam die religiöse
Differenz der deutschen Minderheit, die in der Regel nicht jüdisch, römisch- katholisch
oder griechisch bzw. russisch-orthodox waren. Insofern wurden die Verhältnisse, was
die deutsche Herkunft anbelangte, aus der Sicht der VoMi viel klarer als im besetzten
Polen eingeschätzt",
58
trotz der kriegsbedingten Unwägbarkeiten eine einfachere, zügigere und damit
umfassende Erfassung der Volksdeutschen in der Ukraine im Rahmen des behaupteten
Prüfungsverfahrens suggeriert werden soll, kann dem schon wegen der insoweit
bestehenden Konkretisierungsdefizite nicht gefolgt werden.
59
Es ist allerdings bekannt, dass die Volksliste Ukraine gegenüber der Deutschen
Volksliste in den eingegliederten Ostgebieten modifiziert zur Anwendung kam. Die
gemäß Verordnung vom 4. März 1941, RGBl. I S. 118, in den eingegliederten
Ostgebieten eingerichtete Deutsche Volksliste (DVL) wurde auf Weisung des
Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKFV) vom 8. September
1942 durch Verordnung des Reichskommissars für die Ukraine (RKU) vom 15.
September 1942, VOBl. RKU I S. 111, in der Ukraine eingeführt. Die "sinngemäße
Anwendung" der durch Erlass des ehemaligen Reichsministers des Innern vom 13.
März 1941
60
(Ie 5152/41-5000 Ost) festgelegten Richtlinien, nach welchen vier Abteilungen
vorgesehen waren, erwies sich jedoch als nicht praktikabel. Die auf dem Lande
ansässigen Volksdeutschen lebten in fast rein deutschen Dörfern (mit Ausnahme des
Generalbezirks Shitomir), während die Volksdeutschen in den Städten nahezu völlig
russifiziert waren. In Beratungen des Reichsministers des Innern mit dem RKFV, der
Volksdeutschen Mittelstelle und dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete
(RmbO) wurde die vom RKU durchgeführte direkte Übernahme der DVL zwar formell
beibehalten, inhaltlich aber abgewandelt. Die Veränderungen fanden in den am
61
7. Dezember 1942 vom RKU erlassenen "Richtlinien über die Durchführung der
Aufnahme der Volksdeutschen in die Deutsche Volksliste" ihren Niederschlag. Danach
wurden in die Gruppe I "alle von zwei rein deutschen Elternteilen abstammenden
Deutschen, die noch in Sprache und Haltung ihr Deutschtum bewahrten,"
aufgenommen. Eingetragen in die Gruppe II wurden "alle Deutschen und der
fremdvölkische Ehepartner sowie die aus dieser Mischehe stammenden Kinder", wenn
das Bekenntnis zum "Deutschtum" erklärt wurde. Die Gruppe III galt offenbar
vornehmlich für die Volksdeutschen in den Städten. In diese Gruppe sollten eingereiht
werden die "reinblütigen Deutschen" mit überwiegend oder ganz nichtdeutscher
Haussprache, Deutschstämmige in Mischehen, in denen der "fremdvölkische" Teil sich
durchgesetzt hatte und die "Mischlinge" mit "deutschem Blutanteil", sofern sie nicht in
die Gruppe II aufgenommen worden waren. Von der Einrichtung einer vierten Gruppe
62
- ähnlich der Abteilung IV der DVL in den eingegliederten Ostgebieten - wurde
abgesehen.
63
Vgl. Bundesarchiv, Stellungnahme vom 10. November 1970 - 9165 a/53 -.
64
Angesichts dieser Kategorien, die eine umfassende Überprüfung der Abstammung
65
sowie der sonstigen familiären Umstände erforderten, kann von einer grundsätzlich
einfacheren Erfassung nicht ausgegangen werden. Die mit der Umsetzung dieser
Richtlinie verbundenen komplexen Probleme und Schwierigkeiten bestätigen dies. So
verzögerten technische und juristische Schwierigkeiten, wie Abstammungsnachweis,
Überprüfung der rassischen und erbbiologischen Merkmale, Interpretationen des
sowjetischen Eherechts und Personalmangel bei den DVL- Zweigstellen die
Durchführung des Volkslistenverfahrens. Bis zum 8. Oktober 1943 waren nur 800
Volksdeutschen aus Saporoshje die DVL-Ausweise ausgehändigt worden. In einer
Besprechung am 19. Oktober 1943 stellte der Vertreter der Volksdeutschen Mittelstelle
fest, dass Ausweise an "reine Ukrainer" ausgefolgt worden sind. Das Reichs-
ministerium für die besetzten Ostgebiete teilte am 3. Februar 1944 dem RKFV mit, vom
Abschluss des Volkslistenverfahrens könne noch nicht gesprochen werden. Damit war
auch die Durchführung der Verordnung vom 19. Mai 1943 über die Verleihung der
deutschen Staatsangehörigkeit in Frage gestellt.
Vgl. Bundesarchiv, Stellungnahme vom 10. November 1970 - 9165 a/53 -.
66
Hieraus wird offenkundig, dass entgegen den - ohnehin unsubstantiierten -
Ausführungen von Dr. Haar bis Ende 1943/Anfang 1944 weder von einem
implementierten, mehrfachen Überprüfungssystem noch von einer geordneten sowie
einer umfassenden Erfassung aller Volksdeutschen ausgegangen werden kann;
offenkundig ist danach auch, dass Personen in die Volksliste eingetragen worden sind,
die als "reine Ukrainer" nicht einmal ansatzweise die Voraussetzungen für eine
Eintragung erfüllten.
67
Ebenso ist danach die - wiederum nicht belegte - Behauptung, das Gros des DVL-
Verfahrens sei 1943/44 abgeschlossen gewesen, nicht nachzuvollziehen. Infolge der
Veränderung der militärischen Situation musste die Abwicklung des
Volkslistenverfahrens gemäß der DVL Ukraine vielmehr verlegt werden. Angesichts des
schnellen Vorrückens der sowjetischen Truppen verwundert es daher nicht, dass unter
den Flüchtlingen aus der Ukraine, die Aufnahme im Bezirk Bialystok, im
Generalgouvernement und in den eingegliederten Ostgebieten gefunden hatten,
Personen waren,
68
- die in die DVL aufgenommen worden waren und damit einen Ausweis erhalten hatten,
69
- Personen, die in die DVL aufgenommen worden waren, jedoch keinen Ausweis
erhalten hatten,
70
- Personen, die bereits erfasst worden waren, deren Unterlagen jedoch verloren
gegangen waren und auch
71
- Personen, die noch gar nicht erfasst worden waren.
72
Vgl. Bundesarchiv, Stellungnahme vom 10. November 1970 - 9165 a/53 -.
73
Danach kann weder von einer umfassend durchgeführten noch von einer abge-
schlossenen Erfassung sämtlicher Volksdeutschen - und nur der Volksdeutschen - in
der Ukraine ausgegangen werden.
74
Dies wird durch die Bezugnahme der Kläger auf die Literaturquelle Meir Buchsweiler,
75
Volksdeutsche in der Ukraine am Vorabend und Beginn des Zweiten Weltkriegs
- ein Fall doppelter Loyalität?, Schriftenreihe des Minerva Instituts für deutsche
Geschichte Universität Tel Aviv, Bd. 07, 1984, bestätigt. Auf S. 353 des von den Klägern
vorgelegten Auszugs heißt es: "Wegen des Rückzugs erhielt ein erheblicher
(Hervorhebung durch den Senat) Teil der Volksdeutschen die deutsche
Staatsangehörigkeit schon nicht mehr in der Ukraine; viele bekamen sie dann während
des Aufenthalts im Warthegau". Viele Volksdeutsche bekamen danach die deutsche
Staatsangehörigkeit - wenn überhaupt - erst im Warthegau, viele aber eben auch dort
nicht.
76
Angesichts dieses tatsächlichen Vollzugs erweist sich der Hinweis der Klägerin auf die
Verordnung des Oberbefehlshabers der 11. Armee über den Schutz der Volksdeutschen
in der Ukraine vom 15. August 1941 als unergiebig. Es mag durchaus sein, dass
genaue Vorstellungen darüber bestanden, wo Volksdeutsche ansässig waren. Die von
den Klägern bemühte Indizwirkung ergibt sich jedoch in erster Linie nicht aus
Vorstellungen, sondern aus dem tatsächlichen Vollzug des Volkslistenverfahrens, der
wie oben im einzelnen dargelegt, den von den Klägern - zudem unsubstantiiert -
aufgestellten Behauptungen entgegensteht. Entsprechendes gilt für den Verweis der
Kläger auf die Abhandlung von Ingeborg Fleischhauer, Das Dritte Reich und die
Deutschen in der Sowjetunion, und die dort referierte "Anweisung des Reichsministers
des Innern I StaR 5264/44/4160 GR T 81, R 265, F 2384029f. Der hieraus ersichtliche
Wille, "einwandfrei deutschstämmige Personen und Fremdstämmige, die als völlig
eingedeutscht anzusehen sind", zu einem Antrag auf Eintragung in die Deutsche
Volksliste zu zwingen, gibt auch nicht ansatzweise Aufschluss darüber, wie dieser Wille
trotz des schnellen Vormarsches der sowjetischen Truppen in der Ukraine tatsächlich
umgesetzt worden ist. Abgesehen davon spricht der Umstand, dass, wie oben dargelegt,
unter den Flüchtlingen aus der Ukraine, die Aufnahme im Bezirk Bialystok, im
Generalgouvernement und in den eingegliederten Ostgebieten gefunden hatten,
Personen waren, die noch gar nicht erfasst worden waren, ersichtlich gegen die
behauptete umfassende Erfassung der Volksdeutschen.
77
Ebenso kann danach nicht festgestellt werden, dass die Volkslistenerfassung in dem
Sinne Grundlage der Evakuierungen gewesen wäre, dass ausschließlich oder vorrangig
Eingetragene evakuiert worden wären.
78
Vgl. hinsichtlich der insoweit fehlenden Indizwirkung auch: BVerwG, Urteil vom 27. Juli
2006 - 5 C 3.05 -, a.a.O.
79
Dafür, dass bei den sich anschließenden Überprüfungen der aufgenommenen
Flüchtlinge aus der Ukraine, bei der die EWZ für die Durchführung des
Volkslistenverfahrens herangezogen werden sollte, die Verleihung der
Staatsbürgerschaft jedoch dem RKU vorbehalten blieb, sämtliche aufgenommenen
Volksdeutsche tatsächlich noch eingebürgert worden sind, gibt es ebenfalls keine
konkreten Anhaltspunkte. Diesbezügliche Zahlenangaben lassen sich hierzu nicht
ermitteln,
80
vgl. Bundesarchiv, Stellungnahme vom 10. November 1970 - 9165 a/53 -;
81
die von der Klägerin angeführte Literaturstelle, wonach viele Volksdeutsche im
Warthegau die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hätten, spricht im Übrigen
82
deutlich dagegen.
Der Umstand, dass nach den Ausführungen von Dr. Haar die bereits erfolgten
Einbürgerungen der Volksdeutschen aus der Ukraine nur geprüft und nicht, oder nur zu
einem geringen Teil neu vergeben worden seien, steht dem nicht entgegen, da sich die
Ausführungen lediglich auf die zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen, nicht aber
die auf die noch offenen Fälle etwa der Personen, deren Unterlagen verloren gegangen
waren oder der Personen, die noch gar nicht erfasst worden waren, beziehen.
83
Hinzu kommt, dass in Bezug auf den Großvater väterlicherseits und den Vater der
Klägerin zu 1. nichts dafür ersichtlich ist, dass diese an den von den Klägern
behaupteten Überprüfungsverfahren in der Ukraine teilgenommen oder Ende 1944 in
den Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle mit anderen Volksdeutschen
zusammengeführt und dort - mit welchem Ergebnis? - überprüft worden sind.
84
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass seit dem Inkrafttreten der VolkslistenVO Ukraine in
der Regel nur diejenigen im Reichskommissariat Ukraine Ansässigen Dienst in der
deutschen Wehrmacht leisteten, die zuvor in die Volksliste Ukraine, mindestens in
Abteilung 3, eingetragen worden waren, sind nicht gegeben. Die von den Klägern
angegebenen Wehrmachtserlasse vom 16. Mai 1941 - Schenckendorff, Vertriebenen-
und Flüchtlingsrecht, C 21.5.40 -, vom 4. August 1943 - Schenckendorff, a.a.O., C
21.5.80 - und vom 20. August 1943 - Schenckendorff, a.a.O., C 21.5.90 - betreffen die in
die Deutsche Volksliste und nicht in die Volksliste Ukraine eingetragenen
Wehrpflichtigen (C 21.5.40), den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch
Wehrmachtsangehörige polnischen Volkstums (C 21.5.80) und regeln die
Rechtsstellung "insbesondere" der Soldaten, "die die deutsche Staatsangehörigkeit auf
Widerruf" besitzen (C 21.5.90), ohne dies als für den Dienst in der Wehrmacht zu
erfüllenden Regeltatbestand auszuweisen.
85
Soweit nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 1995
86
- 9 C 113.95 -, BVerwGE 100, 139 ff., in aller Regel davon ausgegangen werden kann,
dass die nach dem 2. Oktober 1942 zur Wehrmacht Einberufenen zuvor jedenfalls in
Abteilung 3 der Deutschen Volksliste eingetragen worden waren und damit die
deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf erworben hatten, lässt dies keinerlei
Anhaltspunkte für eine gleichartige Umsetzung im Geltungsbereich der VolkslistenVO
Ukraine erkennen.
87
Unabhängig davon ist nicht nachgewiesen, dass der Großvater väterlicherseits der
Klägerin zu 1. nach dem genannten Zeitpunkt zum Wehrdienst einberufen worden ist.
88
Auch nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere
zum Vertriebenen- und Asylrecht entwickelten Grundsätzen des Beweisnotstandes,
welche es zulassen, bei einem unverschuldeten Beweisnotstand, in dem sich etwa
Bewerber um einen Vertriebenenausweis vielfach befinden, in großem Umfang auch
Tatsachen festzustellen, die nur vom Antragsteller vorgetragen sind, sofern die zur
Entscheidung berufene Stelle dem Vortrag des Antragstellers glaubt, ergibt das
Vorbringen der Kläger keine ausreichend verlässlichen Anhaltspunkte für die
Eintragung des Großvaters väterlicherseits der Klägerin zu 1. in die Volksliste Ukraine.
Die genannten Grundsätze betreffen nur die Überzeugung von der Wahrheit von
Parteivorbringen, nicht aber die Einschätzung des quantitativ- statistischen
89
Wahrscheinlichkeitsgrades behaupteter Tatsachen und ermöglichen es, eigenen
Erklärungen der beweisbelasteten Partei größere Bedeutung beizumessen, als dies
sonst in der Prozesspraxis der Fall ist, und den Beweiswert einer Aussage im Rahmen
des Möglichen wohlwollend zu beurteilen.
Vgl. BVerwG. Urteil vom 27. Juli 2006
90
- 5 C 3.05 -, a.a.O.
91
Da im vorliegenden Fall keinerlei persönliche Erkenntnisse über den tatsächlichen
Hergang der Eintragung des Großvaters väterlicherseits und des Vaters der Klägerin zu
1. in die Volksliste Ukraine vorgetragen sind, greifen die Grundsätze des
Beweisnotstandes nicht ein.
92
In Ermangelung der Darlegung konkreter, substantiierter Anhaltspunkte, die
demgegenüber und gegenüber der der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht
zugrundeliegenden Erkenntnislage die Annahme der Kläger stützen, es sei eine
umfassende Erfassung und Eintragung sämtlicher Volksdeutscher in der Ukraine in die
Volksliste Ukraine erfolgt, diese sei Grundlage der Evakuierungen gewesen und die
vorgenommenen Eintragungen seien nachträglich nicht oder nur bei einer geringen
Anzahl von Personen abgeändert worden, und in Ermangelung eines in Bezug auf den
Großvater väterlicherseits und des Vaters der Klägerin zu 1. schlüssig dargelegten
individuellen Umsiedlungsschicksals ist der Senat nicht gehalten, in eine
Beweiserhebung einzutreten und etwa die auf den Seiten 4 und 5 des Schriftsatzes vom
14. Mai 2007 sowie die auf Seite 5 bzw. in der Anlage des Schriftsatzes vom 27. Juni
2007 bezeichneten Übersichten, Sammellisten, Literaturstellen und Archive - ins Blaue
hinein - auszuwerten.
93
Soweit die Kläger beantragt haben, Sachverständigengutachten zu den Fragen
einzuholen,
94
ob die deutschen Volkszugehörigen im Gebiet des ehemaligen Reichskommissariats
Ukraine auch ohne Eintragung in die Deutsche Volksliste die deutsche
Staatsangehörigkeit mit der Eingliederung erworben haben,
95
ob aufgrund des Schicksals der Klägerin, namentlich des Schicksals des Großvaters der
Klägerin davon auszugehen, dass eine Eintragung in die Deutsche Volksliste erfolgt ist,
96
ob und unter welchen Umständen der Großvater der Klägerin durch die Deutsche
Volksliste Ukraine, durch die Einwandererzentralstelle oder durch alternative
Erfassungen und Listen der Sonderkommandos oder durch andere Behörden des
Deutschen Reiches als Volksdeutscher erfasst worden ist und ggf. damit als in die
Deutsche Volksliste aufgenommen galt oder die deutsche Staatsangehörigkeit
erworben hat,
97
ist der Senat aus Gründen des Prozessrechts daher nicht gehalten, diesen Anträgen zu
entsprechen. Der Beweisantrag stellt sich - auch in der durch die Bennennung von Dr.
Haar als Sachverständigen konkretisierten Fassung - nach wie vor als unzulässiger
Ausforschungsbeweisantrag dar, der erst zur Ermittlung derjenigen tatsächlichen
Umstände führen soll, die vorzubringen der Klägerin obliegt. Entsprechendes gilt für den
sinngemäßen Antrag im Schriftsatz vom 14. Mai 2007,
98
Beweis darüber zu erheben, dass aus dem Kriegsschicksal, dem Herkunftsort und der
Art und Weise, wie die Betroffenen ins Reich gekommen sind, rückgeschlossen werden
kann, ob die maßgeblichen Vorfahren durch die Deutsche Volksliste der Ukraine erfasst
waren oder nicht.
99
Der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) bedeudet nicht, dass Darlegungs-,
Substantiierungs- und Konretisierungsdefizite im Vorbringen der Beteiligten vom Gericht
zu beheben sind.
100
Unabhängig davon hätte die Klägerin zu 1. - unterstellt, sie wäre deutsche
Staatsangehörige gewesen - nach ihrem Umzug und dem Umzug ihrer Familie nach
Russland durch den auf ihren Antrag im Jahr 1996 ausgestellten russischen
Inlandspass und den damit - unstreitig - einhergegangenen Erwerb der russischen
Staatsangehörigkeit ihre deutsche Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 RuStAG (jetzt:
§ 25 StAG) verloren. Für einen Staatsangehörigkeitserwerb kraft Gesetzes,
101
vgl. etwa Art 13 des hier maßgebenden Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der
Russischen Föderation vom 28. November 1991 i.d.F. der Änderungen vom 17. Juni
1993 und vom 6. Februar 1995, abgedruckt bei Bergmann-Ferid, Internationales Ehe-
und Kindschaftsrecht, Russische Föderation, Stand: 30. April 2000, S. 15 ff.,
102
ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Der danach auf entsprechenden
Antrag i.S.d. § 25 Abs. 1 RuStAG,
103
vgl. zu den inhaltlichen Anforderungen an einen Antrag i.S.d. § 25 RuStAG etwa: OVG
NRW, Beschluss vom 15. Februar 2002 - 19 A 4586/01 -, m.w.N.; zur Erforderlichkeit
einer den vorgenannten Anforderungen genügenden gesonderten Erklärung zum
Erwerb der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation durch Ehegatten und Kinder
von russischen Staatsangehörigen: Art. 18 i.V.m. Art 37 f. des
Staatsbürgerschaftsgesetzes,
104
erfolgende Erwerb der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation ist freiwillig
erfolgt. Für eine die freie Willensentschließung ausnahmsweise ausschließende
Fallgestaltung ist ebensowenig etwas ersichtlich wie dafür, dass die Verwaltungspraxis
der russischen Behörden von den gesetzlichen Vorgaben in dem hier maßgeblichen
Zeitraum abgewichen ist, und diese Behörden den Betroffenen die Staatsangehörigkeit
der Russischen Föderation regelmäßig auch ohne eine diesbezügliche
Erwerbserklärung verliehen haben. Der Hinweis der Kläger auf die Entscheidung des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. März 1999 - 11 B 96.2183 - und der darin
beurteilten Handhabung des Antragserfordernisses im Nachkriegspolen (1946/1947)
geht sowohl in örtlicher (hier: Russische Föderation) als auch zeitlicher Hinsicht (hier:
keine Einbürgerung in 1946/1947, sondern im Jahr 1996) völlig an dem hier zu
entscheidenden Fall vorbei.
105
Das Gesetz will in den Fällen freiwilliger Hinwendung zu einem anderen Staat durch die
Anordnung des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit doppelte
Staatsangehörigkeit ausschließen.
106
Vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 22. Juni 1990
107
- 2 BvR 116/90 -, NJW 1990, 2193 f., vom 10. August 2001 - 2 BvR 2101/00 -, DVBl.
2001,1750 f., und vom 8. Dezember 2006 - 2 BvR 1339/06 -, FamRZ 2007, 267 ff.;
BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1995 - 1 B 118.94 -, Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr.
8, Urteile vom 28. September 1993 - 1 C 25.92 -, NVwZ 1994, 387, vom 21. Mai 1985 - 1
C 12.84 -, Buchholz 130 § 25 RuStAG, Nr. 5, S. 9 (13) und vom 7. Oktober 1965
108
- I C 33.63 -, Buchholz 130 § 25 RuStAG, Nr. 3, S. 3 (4); OVG NRW, Beschlüsse vom 15.
Februar 2002 - 19 A 4586/01 -, vom 9. Oktober 1997 - 25 A 854/94 -, ju-ris, und vom 8.
April 1994 - 25 A 59/93 -, juris, sowie Urteile vom 15. Juni 1999 - 8 A 4522/98 -, juris,
und vom 28. April 1971 - IV A 1231/70 -, OVGE 26, 260 (262 ff.); BayVGH, Urteil vom 22.
März 1999 - 11 B 96.2183 -, DVBl. 1999, 1218.
109
Dieses Ziel würde weitgehend verfehlt, wenn bereits jeder Druck in Richtung auf den
Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit die Rechtsfolge des § 25 Abs. 1 RuStAG
hindern würde. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit desjenigen Landes, in welchem der
Lebensmittelpunkt besteht, ist nämlich häufig, wenn nicht gar typischerweise, mit
Vorteilen verbunden, die für den Betroffenen existentielle Ausmaße haben können. Das
gilt insbesondere, wenn etwa Aufenthalt, Eheschließung und Arbeitserlaubnis von der
Verleihung der Staatsangehörigkeit abhängig sind. Die Entscheidungsfreiheit bleibt
jedoch im Kern unberührt, solange der Betroffene die (Wahl-)Alternative hat, auf den
Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit zu verzichten. Dies schließt ein, ggf. - sofern
etwa der Aufenthalt in dem neuen Staat von dem Erwerb der Staatsangehörigkeit des
Aufenthaltsstaates abhängig sein sollte - in das Land der bisherigen
Staatsangehörigkeit zurückzukehren. Insofern verbietet es der Grundsatz der
Rechtssicherheit, dem gerade im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts besondere
Bedeutung zukommt, den Eintritt der in § 25 Abs. 1 RuStAG vorgesehenen Rechtsfolge
davon abhängig zu machen, in welchem Maße dem jeweils Betroffenen im Einzelfall an
dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit liegt.
110
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Oktober 1997
111
- 25 A 854/94 -, a.a.O.
112
Dementsprechend lassen wirtschaftliche Schwierigkeiten im Staat der neuen
Staatsangehörigkeit die Freiwilligkeit der Antragstellung regelmäßig nicht entfallen. Ein
freier Willensentschluss kommt jedoch ausnahmsweise dann nicht mehr in Betracht,
wenn dem Betroffenen in Bezug auf den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit auch
unter Berücksichtigung der Regelung in § 25 Abs. 2 RuStAG eine
Entscheidungsalternative nicht verbleibt. Solches ist etwa dann anzunehmen, wenn er
durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zur Abgabe einer Erklärung auf Erwerb der
Staatsangehörigkeit veranlasst wurde.
113
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Oktober 1997
114
- 25 A 854/94 -, a.a.O.; Bay VGH, Urteil vom
115
22. März 1999 - 11 B 96.2183 -, a.a.O.
116
Eine derartige Zwangslage wird von der Klägerin zu 1. jedoch nicht geltend gemacht.
117
Eine der o.g. Gewichtung entsprechende, die freie Willensentschließung
118
ausschließende Zwangslage mag darüber hinaus ausnahmsweise auch dann in
Betracht kommen, wenn die Annahme der neuen Staatsangehörigkeit die einzige
Möglichkeit darstellt, das wirtschaftliche Existenzminimum und damit das Überleben zu
sichern. Von einem derartigen Fall kann hier jedoch nicht ausgegangen werden.
Dass es für die Klägerin zu 1. im Jahr 1996 - über möglicherweise auch beträchtliche
Schwierigkeiten hinaus - keine andere Möglichkeit gegeben hat, als die
Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation anzunehmen, um zu überleben, ist nicht
dargelegt. Die insoweit thematisierten Gesichtspunkte wie die Erforderlichkeit der
Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation für die Anmeldung mit Wohnsitz in
Russland sowie für die Inanspruchnahme von Kindergärten und die Erlangung von
Arbeit, Krankenversicherungsschutz und Kindergeld kennzeichnen das Bemühen um
eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, lassen jedoch eine existenzielle
Zwangslage im o.g. Sinn nicht erkennen.
119
So ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass ein Verbleib der Familie in
Kirgistan oder ggf. auch ein Umzug in die Republik Kasachstan, in der die Klägerin zu 1.
im Jahr 1962 geboren ist, aus zwingenden Gründen nicht in Betracht gekommen ist. Es
ist nicht erkennbar, dass die Klägerin zu 1., die die Hochschule abgeschlossen hatte
und eine eigene Berufstätigkeit in Frunse (heute: Bischkek)/Republik Kirgistan ausgeübt
hat, und ihre Familie aus existentiellen Gründen gezwungen waren, ihren Aufenthalt in
die Russische Föderation zu verlagern. Als Grund ist hierfür lediglich die nicht weiter
konkretisierte und ein individuelles Verfolgungs- / Vertreibungsschicksal nicht einmal
ansatzweise begründende "Entstehung von nicht stabilen zwischennationalen
Beziehungen" angegeben. Soweit in diesem Zusammenhang nunmehr geltend
gemacht wird, es dürfe als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden, dass mit dem Zerfall
der ehemaligen Sowjetunion Anfang der 90iger Jahre in Kirgisien, Tadschikistan,
Usbekistan usw. muslimische Republiken erreichtet worden seien und mit dieser
Errichtung eine Vertreibung der russischen Bevölkerungsminderheit sowie anderer
Minderheiten einhergegangen sei, wird mit dieser pauschalen Beschreibung ebenfalls
ein gerade die - im Übrigen nichtrussische - Klägerin zu 1. und ihre Familie treffendes
Verfolgungs- / Vertreibungsschicksal auch nicht ansatzweise dargelegt, geschweige
denn nachgewiesen. Wie unschlüssig das diesbezügliche Vorbringen der Kläger ist,
zeigt der Umstand, dass der russische Ehemann der Klägerin zu 1. bereits im Januar
1992 seinen ständigen Wohnsitz mit dem Bau des Hauses in T. P. /Russische
Föderation begründet hat, während die Klägerin - trotz der angeblichen "Entstehung von
nicht stabilen zwischennationalen Beziehungen" - zunächst mit ihrem 1984 geborenen
Sohn N. und ihrem 1991 geborenen Sohn L. , dem Kläger zu 2., allein in C.
zurückblieben ist, ehe sie im September 1994, mithin nach mehr als 2 Jahren, ihrem
Ehemann nachgefolgt ist. Wenn tatsächlich Verfolgungs- oder Vertreibungsmaßnahmen
gegenüber russischen und sonstigen nichtmuslimischen Minderheiten konkret gedroht
hätten, hätte für die Klägerin mit ihren zwei kleinen Kindern nichts näher gelegen, als
die Republik Kirgistan zum frühestmöglichen Zeitpunkt zusammen mit ihrem Ehemann
zu verlassen; dies gilt umso mehr, als die Kläger geltend machen, der Kläger zu 2. sei
damals schwer erkrankt gewesen. Dass der Kläger zu 2. seinerzeit nicht reisefähig
gewesen ist, wird weder substantiiert dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich. Schon
angesichts dieses unsubstantiierten bzw. widersprüchlichen/unschlüssigen Vorbringens
ist der Senat nicht gehalten, dem Beweisantrag zur Verfolgungslage in den oben
genannten Republiken und dem Beweisantrag zur Vernehmung des Ehemannes der
Klägerin zu 1. als Zeugen (Bl. 172 der Gerichtsakte) zu entsprechen.
120
Selbst wenn man unterstellt, dass die Aufenthaltsnahme in der Russischen Födera-tion
im September 1994 der einzige Weg gewesen ist, um zu überleben, kann von einer die
freie Willensentschließung ausschließenden Zwangslage im Zeitpunkt der Ausstellung
des russischen Inlandspasses am 29. März 1996 nicht ausgegangen werden. Konkrete
Anhaltspunkte, geschweige denn Referenzfälle dafür, dass im Jahr 1996 in Russland
Familien, in denen der Familienvater - wie hier - bereits die russische
Staatsangehörigkeit besitzt, nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt
sicherzustellen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Ehemann der
Klägerin zu 1. war immerhin in der Lage, ein - wenn auch möglicherweise kleines -
Haus für die Familie zu bauen, das nach eigenen Angaben der Kläger zudem mit einem
Gemüsegarten mit einer Fläche von ca. 600 qm ausgestattet ist, der sich zum
Gemüseanbau eignet. Dass das Einkommen des Ehemanns, der bereits seit 1992 als
Kraftfahrer beschäftigt war, für einen, wenn auch bescheidenen, Lebensunterhalt der
Familie nicht ausgereicht hat, ist zwar behauptet, jedoch nicht substantiiert dargelegt
worden. Hinzu kommt, dass, wie die Klägerin zu 1. in ihrer Stellungnahme vom 1. April
2004 selbst vorträgt, sie von ihren seit 1992 in der Bundesrepublik Deutschland
lebenden Eltern unterstützt worden ist, so dass insgesamt davon auszugehen ist, dass
der existentielle Lebensunterhalt gesichert gewesen ist. Auch aus diesem Grund war
den Beweisanträgen zur Verfolgungslage in den oben genannten Republiken und dem
Beweisantrag zur Vernehmung des Ehemannes der Klägerin zu 1. als Zeugen (Bl. 172
der Gerichtsakte) nicht nachzugehen.
121
Die mit Schriftsatz vom 27. Juni 2006 vorgelegten Entscheidungen und Erkenntnisse zur
Verfolgungslage für tschetschenische Volkszugehörige und für Menschen dunk-ler
Hautfarbe (Kaukasier, Zentralasiaten, Afrikaner) in der Russischen Föderation sind
unergiebig. Aus der besonderen (Verfolgungs-)Lage der Angehörigen dieser
Personenkreise kann nichts zugunsten der Kläger, die keinem dieser Personenkreise
angehören, abgeleitet werden.
122
Soweit die Klägerin zu 1. behauptet, im Zeitpunkt des Erwerbs der Staatsangehörig-keit
der Russischen Föderation keine Kenntnis vom Bestehen ihrer deutschen
Staatsangehörigkeit gehabt zu haben, ist dies im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG
unbeachtlich.
123
Vgl. den den Prozessbevollmächtigten der Kläger bekannten Beschluss des
beschließenden Senats vom 8. Juni 2007 - 12 A 2053/05 -.
124
Entgegen der Auffassung der Kläger erfordert ein Antrag nach § 25 Abs. 1 RuStAG
nicht, dass der Antragsteller Kenntnis davon oder zumindest hinreichende
Anhaltspunkte dafür hatte,
125
vgl. zum Erfordernis hinreichender Anhaltspunkte: VG Minden, Urteil vom 8 Dezember
2004
126
- 11 K 4392/03 -,
127
deutscher Staatsangehöriger zu sein. Der Wortlaut des § 25 Abs. 1 RuStAG normiert
eine derartige Tatbestandsvoraussetzung nicht. Die Normstruktur differenziert zwi-schen
dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit als Tatbestandsvoraussetzung
einerseits und dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit als Rechtsfolge
andererseits. Während die Rechtsfolge, d.h. der Verlust der deutschen
128
Staatsangehörigkeit, kraft Gesetzes automatisch mit der Verwirklichung der
Tatbestandsvoraussetzung, dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit, eintritt,
vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 2000 - 1 B 53.00 -, Buchholz 130 § 25
StAG Nr. 11; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht,
129
4. Aufl. 2005, Rn. 6 zu § 25 StAG; Marx in GK-StAR, Loseblattsammlung Stand: Juli
2006, Rn. 9 zu § 25 StAG,
130
sofern nicht die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 RuStAG gegeben sind, setzt lediglich
der Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit einen Antrag voraus. Soweit für
einen derartigen Antrag eine freie und selbstverantwortliche Willensentschließung
vorausgesetzt wird, bezieht sich dieses subjektive Tatbestandsmerkmal nach der
gesetzlichen Konzeption daher allein auf die Tatbestandsvoraussetzung, den Erwerb
der ausländischen Staatsangehörigkeit, nicht aber auf die Rechtsfolge, den kraft
Gesetzes mit dem Erwerb einhergehenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit.
131
Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 13. Oktober 2000
132
- 1 B 53.00 -, a.a.O., ausdrücklich ausgeführt hat, kommt es darauf an, ob der An-
tragsteller den Willen zum Ausdruck gebracht hat, die ausländische Staatsangehörigkeit
zu erwerben. "Bejahendenfalls trat bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen mit dem
Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit
- auch ohne oder gar gegen den Willen des Antragstellers (Hervorhebung durch den
Senat) - kraft Gesetzes ein, ohne dass darin ein Verstoß gegen Art 16 Abs. 1 Satz 1 GG
läge."
133
Wer, wie die Klägerin zu 1. für sich in Anspruch nimmt, keine Kenntnis vom Bestehen
der deutschen Staatsangehörigkeit hat, vermag bei dem Erwerb einer fremden
Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag einen Willen hinsichtlich des Verlustes der
deutschen Staatsangehörigkeit nicht zu bilden, er ist i.S.d. vorstehenden
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit "ohne Willen", geht danach
jedoch gleichwohl seiner ihm nicht bekannten deutschen Staatsangehörigkeit verlustig.
134
Die gesetzliche Konstruktion eines außerhalb einer beachtlichen Zwangslage ange-
siedelten, bewussten und gewollten Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit
und eines daran anknüpfenden automatischen Verlusts der deutschen
Staatsangehörigkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass mit der im Antrag auf Erwerb
der ausländischen Staatsangehörigkeit zum Ausdruck gekommenen bewussten und
gewollten Hinwendung zu und Identifizierung mit dem neuen Staat in der Regel zu-
gleich impliziert wird, dass der Antragsteller eine Treue- und Pflichtenstellung nun-mehr
(nur noch) im Verhältnis zu dem neuen Staat anerkennen und sich damit aus seiner
bisherigen statusrechtlichen Stellung vollständig lösen will; das Bewußtsein von und
das Einverständnis mit dem Verlust werden vom Gesetz gleichsam vermutet.
135
Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 1. Februar 1978
136
- VII 196/76 -; DÖV 1978, 657 ff.
137
Dies wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Das Gesetz über die Erwerbung
und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870, BGBl. 355,
138
kannte einen § 25 Abs. 1 RuStAG vergleichbaren Verlusttatbestand nicht. Auch im Fall
des Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit kam ein Verlust der
Staatsangehörigkeit nur auf entsprechenden Entlassungsantrag in Betracht (§§ 13 Nr. 1,
14 ff. des Gesetzes), es sei denn, der Betreffende hatte das Reichsgebiet verlassen und
hielt sich 10 Jahre ununterbrochen im Ausland auf (§ 21 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes),
was im wesentlichen die Fälle der Auswanderung erfasste; in diesen Fällen erlosch die
Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes. Bei der Schaffung des RuStAG war beabsichtigt,
die am meisten angefochtene Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes von 1870
zu beseitigen und auf einen willensabhängigen Ver- lusttatbestand abzustellen.
Gleichzeitig wurde mit § 25 Abs. 1 RuStAG 1913 der damals in vielen nationalen
Rechtsordnungen anerkannte Grundsatz in das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht
eingeführt, demzufolge der Erwerb einer fremden den Verlust der bisherigen
Staatsangehörigkeit nach sich zieht.
Vgl. Lichter/Hoffmann, Staatsangehörigkeitsrecht,
139
3. Aufl. 1961, S. 156 f.; Marx in GK-StAR, a.a.O., Rn. 1 zu § 25 StAG.
140
Dementsprechend wurde aufgrund des durch den Antrag ausdrücklich erklärten Er-
werbswillens für den Regelfall davon ausgegangen, dass die deutsche
Staatsangehörigkeit für den Antragsteller keinen Wert mehr hat: "Das neue Gesetz geht
davon aus, dass der Verlust der Staatsangehörigkeit nicht durch Versäumung einer
Formalität herbeigeführt werden kann, sondern durch Umstände bedingt ist, die den
Willen des Beteiligten, seinem Vaterland nicht weiter anzugehören, deutlich erkennen
lassen. Im allgemeinen wird es zutreffen, dass ein im Ausland lebender Deutscher, der
auf seinen ausdrücklichen Antrag eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, auf die
Reichsangehörigkeit keinen Wert mehr legt".
141
Vgl. Lichter/Hoffmann, Staatsangehörigkeitsrecht,
142
3. Aufl. 1961, S. 157.
143
Die Annahme einer diesbezüglichen Bewusstseins- und Willenslage ist insbesondere
dann gerechtfertigt, wenn - wie hier - der Antragsteller nicht in der Bundesrepublik
Deutschland, sondern bereits im Land seiner zukünftigen Staatsangehörigkeit dauerhaft
lebt, so dass für seine zukünftige Lebensgestaltung der bisherige
staatsangehörigkeitsrechtliche Status regelmäßig ohne Bedeutung ist und faktisch nicht
(mehr) "gelebt" wird.
144
Ist danach aufgrund der mit der freiwilligen Hinwendung zu dem neuen Staat regel-
mäßig dokumentierten Bedeutungslosigkeit der bisherigen
staatsangehörigkeitsrechtlichen Bindungen, die - wie hier - durch die Lebensführung
faktisch bestätigt wird, davon auszugehen, dass in der Regel kein Interesse mehr an der
Aufrechterhaltung dieser Bindungen besteht, gewinnt das mit § 25 Abs. 1 RuStAG
verfolgte, immer noch aktuelle und verfassungsrechtlich legitime Ziel, sowohl im
Interesse der Staaten als auch im Interesse der Bürger zur Vermeidung von
Treuekonflikten und Pflichtenkollisionen doppelte und mehrfache Staatsangehörigkeiten
nach Möglichkeit zu vermeiden oder zu beseitigen,
145
vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2006 - 2 BvR 1339/06 -, a.a.O.;
Kammerbeschluss vom 16. September 1990 - 2 BvR 1864/88 -, NJW 1991, 633, m.w.N.,
146
Hailbronner/Renner, a.a.O., Rn. 3 zu § 25 StAG,
gegenüber einer "Vorratshaltung von Staatsangehörigkeiten" überragendes Gewicht
und rechtfertigt die Normierung der an die freiwillige Hinwendung anknüpfenden
gesetzlichen Rechtsfolge des Erlöschens der deutschen Staatsangehörigkeit.
147
Soweit dennoch im Einzelfall ausnahmsweise ein Interesse des Betroffenen an der
Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit bestehen sollte, hat der Gesetz- geber
mit § 25 Abs. 2 RuStAG die Möglichkeit geschaffen, trotz des freiwilligen Antrags auf
Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit den Verlust der deutschen Staats-
angehörigkeit zu vermeiden. Hierfür ist nach § 25 Abs. 2 Satz 1 RuStAG jedoch ein
gesonderter Antrag auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung und eine diesem
Antrag entsprechende, gesonderte staatliche Ermessensentscheidung erforderlich, die
der Antragsteller noch vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit erhalten
haben muss.
148
Damit hat der Gesetzgeber im Falle des außerhalb einer beachtlichen Zwanglage
stattfindenden freiwilligen Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit die
Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit einem eigenen Antragsregime mit
einer gesonderten staatlichen Ermessensentscheidung unterstellt. Die
antragsabhängige Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit setzt allerdings
voraus, dass der Betreffende Kenntnis von der deutschen Staatsangehörigkeit hat, so
dass er in der Lage ist, einen auf deren Beibehaltung gerichteten Antrag zu formulieren.
Die verfahrensmäßige Verselbständigung der Beibehaltung der deutschen
Staatsangehörigkeit lässt damit keinen Raum für eine abweichend von § 25 Abs. 2 Satz
1 RuStAG ohne diesbezüglichen Antrag und ohne gesonderte staatliche Entscheidung
wirkende Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit, die ihren rechtfertigenden
Grund zudem allein aus dem Umstand schöpft, dass der Betreffende gerade keine
Kenntnis von seiner deutschen Staatsangehörigkeit hat.
149
Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber schlichte Unkenntnis oder sonstige Wis-
sens- bzw. Willensmängel in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht gleichwohl im
Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG privilegieren wollte, sind nicht ersichtlich. Sie sind
auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG schützt lediglich
gegen eine staatliche Entziehung der Staatsangehörigkeit, d.h. eines allein auf dem
Willen des Staates zur Wegnahme der deutschen Staatsangehörigkeit beruhenden
Aktes, nicht aber gegen einen Verlust, der außerhalb einer beachtlichen Zwangslage
maßgeblich an die freiwillige, d.h. bewusste und gewollte, Neuorientierung der
staatsbürgerlichen Bindungen durch den Betreffenden selbst anknüpft. Eine dabei etwa
bestehende Tatsachen- und oder Rechtsunkenntnis ist unbeachtlich, weil der
Bedeutungslosigkeit der bisherigen staatsangehörigkeitsrechtlichen Bindungen, die mit
der Beantragung der - auch schon gelebten - Neuorientierung nach außen dokumentiert
wird, nicht durch den subjektiven und inneren Umstand entgegengewirkt werden kann,
dass derartige Bindungen im Zeitpunkt des Erwerbs der neuen Staatsangehörigkeit dem
Betreffenden gar nicht bekannt sind. Eine Staatsangehörigkeit, von der der Inhaber
nichts weiß und die aufgrund der Lebensgestaltung im Staat der neuen
Staatsangehörigkeit auch faktisch ohne jeden Einfluss auf seine Treue- und
Pflichtenstellung und damit nicht die effektive Staatsangehörigkeit ist,
150
vgl. zur effektiven Staatsangehörigkeit: BVerfG, Senatsbeschluss vom 21. Mai 1974
151
- 1 BvL 22/71 u.a. -, BVerfGE 37, 217 ff. (242),
152
ist im Zeitpunkt des Erwerbs der neuen Staatsangehörigkeit auch nicht mehr
schutzwürdig und gegenüber dem gewichtigen staatlichen Ziel der Vermeidung
doppelter oder mehrfacher Staatsangehörigkeiten nachrangig.
153
Soweit das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit bis zum Erwerb der neuen
Staatsangehörigkeit dem Betreffenden erst nach dem Erwerb der neuen Staatsange-
hörigkeit bekannt werden sollte, besteht die Möglichkeit, als ehemaliger deutscher
Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland gemäß § 13 StAG die
Wiedereinbürgerung zu beantragen, bei der auch die besonderen Umstände des
jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen sind.
154
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Au-gust 2001 - 2 BvR 2101/00 -, a.a.O.
155
Dementsprechend ist es im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG unerheblich, welche
subjektiven Vorstellungen in der Person des Antragstellers über Art und Umfang des mit
dem Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit ggf. verbundenen Verlustes seines
bisherigen staatsangehörigkeitsrechtlichen Status bestehen. So kommt es etwa nicht
darauf an, ob der Antragsteller seine deutsche Staatsangehörigkeit mit der Stellung des
Antrags nach § 25 Abs. 1 RuStAG aufgeben will oder nicht oder sich der Betref-fende
über die Folgen des Erwerbs der ausländischen Staatsangehörigkeit irrt.
156
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Oktober 2000
157
- 1 B 53.00 -, a.a.O., und vom 21. Mai 1985
158
- 1 C 12.84 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2000 - 8 A 1570/96 -, juris,
Beschluss vom 8. April 1994 - 25 A 59/93 -, a.a.O.; Hailbronner/Renner, a.a.O., Rn. 10
zu § 25 StAG; Marx in GK-StAR, a.a.O., Rn. 33 zu § 25 StAG.
159
Allein eine enge Auslegung des Antragsbegriffs und die hierdurch bewirkte
Berücksichtigung von subjektiven Vorstellungen und Absichten nur in Bezug auf den
Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit wird dem mit § 25 Abs. 1 und 2 RuStAG
verfolgten, verfassungsrechtlich legitimen Ziel der Vermeidung doppelter und
mehrfacher Staatsangehörigkeiten gerecht. Anderenfalls könnte diese Zielsetzung und
könnten die verfahrensmäßigen Vorkehrungen, die der Gesetzgeber für die
Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit in § 25 Abs. 2 RuStAG getroffen hat,
durch etwaige, den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit betreffende
Mentalvorbehalte oder - wie hier - schlichte Unkenntnis sowie durch diesbezügliche,
kaum zu verhindernde Manipulationen ohne weiteres unterlaufen und in Fällen des
freiwilligen Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit die Entwicklung der Mehr-
staatigkeit einer staatlichen Steuerung entzogen werden.
160
Dass Manipulationsmöglichkeiten zur Umgehung der staatlichen Beschränkung oder
Verringerung der Mehrstaatigkeit dort, wo sie das Gesetz eröffnet, auch massiv genutzt
werden, zeigt etwa die - ursprünglich nicht vorgesehene - Streichung der Inlandsklausel
in § 25 Abs. 1 RuStAG, weil diese Klausel vielfach genutzt wurde, um unmittelbar nach
dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit die ursprüngliche Staatsangehörigkeit
verlustfrei wiederzuerwerben.
161
Vgl. Hailbronner/Renner, a.a.O., RN. 2 zu § 25 RuStAG; BT-Drucks. 14/533, S. 12 u. 15;
BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2006
162
- 2 BvR 1339/06 -, a.a.O.
163
Darüber hinaus trägt die hier vertretene Auffassung dem Grundsatz der Rechtssi-
cherheit, dem gerade im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts besondere Bedeutung
zukommt,
164
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Oktober 1997
165
- 25 A 854/94 -, a.a.O.,
166
angemessen Rechnung. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt nach § 25
Abs. 1 RuStAG mit dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit ein. Dies
schließt die Berücksichtigung nachträglich - oftmals erst Jahre später - eintretender
Umstände, wie hier die Kenntniserlangung vom Bestehen der deutschen
Staatsangehörigkeit, die auf einem möglicherweise Generationen zurückliegenden
Erwerbstatbestand beruhen kann, und erst recht die Berücksichtigung etwaiger, auf
dieser Grundlage geltend gemachter hypothetischer Geschehensabläufe - wenn das
Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit bekannt gewesen wäre, wäre ein Antrag
auf Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit nicht gestellt oder dieser noch vor dem
Erwerb zurückgenommen worden - grundsätzlich aus.
167
Vgl. zur Unbeachtlichkeit einer rückwirkenden Entziehung der fremden
Staatsangehörigkeit: BVerwG, Urteil vom 1. Juni 1965 - I C 112.62 -, BVerwGE 21, 200
ff.
168
Andernfalls bliebe der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auf unabsehbare Zeit
in der Schwebe, ein Zustand, der gerade im Staatsangehörigkeitsrecht ersicht-lich nicht
gewollt ist. Zudem kann eine auf den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit
gerichtete freiwillige Antragstellung nach den o.g. Kriterien im Regelfall relativ einfach
und zuverlässig festgestellt werden, während im Falle des antragsgemäßen Erwerbs
der ausländischen Staatsangehörigkeit der (Fort-)Bestand der deutschen
Staatsangehörigkeit von den Unwägbarkeiten der Feststellung von im Wesentlichen
inneren subjektiven Vorstellungen und Absichten abhängig wäre, die zudem Jahre oder
Jahrzehnte zurückliegen könnten.
169
Der Hinweis der Kläger auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
8. Dezember 2006 - 2 BvR 1339/06 -, a.a.O., rechtfertigt keine andere Bewer-tung.
Soweit die 2. Kammer des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in der
genannten Entscheidung ausgeführt hat, zur Verlässlichkeit des
Staatsangehörigkeitsstatus, die Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisten wolle, gehöre
auch die Vorhersehbarkeit eines Verlustes und damit ein ausreichendes Maß an
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der Verlustregelungen, wird dem durch
die hier vertretene Auffassung in besonderer Weise Rechnung getragen. Denn wenn es
nur auf die Freiwilligkeit des Erwerbs der ausländischen Staatsangehörigkeit außerhalb
einer beachtlichen Zwangslage, nicht aber auf subjektive Vorstellungen über den
Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und darüber hinaus auch auf - ggf. durch
Beweiserhebung zu klärende - hypothetische Verhaltensweisen ankommt, ist für jeden
Antragsteller aus der Norm klar ersichtlich, dass mit dem freiwilligen Erwerb der
170
ausländischen Staatsangehörigkeit und ohne Antrag nach § 25 Abs. 2 Satz 1
RuStAG/StAG eine etwa bestehende deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes
erlischt.
Etwaige Unklarheiten, wie sie andernfalls sowohl bei den Anforderungen an den
Kenntnisstand hinsichtlich der bestehenden deutschen Staatsangehörigkeit auftreten
können -
171
(nur) positive Kenntnis sämtlicher - oder nur wesentlicher - tatsächlicher Umstände, die
in rechtlicher Hinsicht für den Erwerb/Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit
erforderlich sind,
172
oder zusätzlich positive Kenntnis in rechtlicher Hinsicht;
173
möglicherweise auch nur die grob fahrlässige Unkenntnis oder die fahrlässige
Unkenntnis, ggf. kombiniert mit einer - im Regelfall - bestehenden Obliegenheit, bei
hinreichenden Anhaltspunkten weitere Informationen bei sachkundigen Stellen
einzuholen, etc. -
174
als auch in Bezug auf die - kumulativ zu berücksichtigenden - Anforderungen an die
hypothetische Willensbetätigung naheliegend sind -
175
vgl. etwa BSG, Urteil vom 22. Mai 1985 - 12 RK 20/84 -, VersR 1985, 1065 f.: wenn nicht
anzunehmen ist, dass auch bei Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit die fremde
erworben worden wäre;
176
denkbar wäre, von einem derartigen Willen auch bereits dann auszugehen, wenn er
nicht auszuschließen ist, oder für einen derartigen Willen ein - festzulegender - Grad von
Wahrscheinlichkeit spricht -,
177
werden durch die hier vertretene Auffassung im Interesse der im
Staatsangehörigkeitsrecht in besonderem Maße erforderlichen Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit von vornherein vermieden.
178
In der weiteren Passage der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
auf die sich die Kläger beziehen, wonach das Vorhaben eines deutschen
Staatsangehörigen, den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit zu
beantragen, bereits als solches Veranlassung biete, sich über etwaige Auswirkungen
auf den Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit zuverlässig zu informieren, werden
Informationsobliegenheiten des Betroffenen beschrieben, die nach Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts in Verbindung mit weiteren Umständen zum Wegfall des
Vertrauensschutzes gegenüber einer Abschaffung des Inlandsprivilegs geführt haben.
Die vorliegende Fallgestaltung betrifft jedoch weder derartige Obliegenheiten noch
Fragen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes im Rahmen einer sog.
tatbestandlichen Rückanknüpfung.
179
Ebenso wenig ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
10. Juli 1958 - 1 BvR 532/56 -, a.a.O., dass der jeweilige Antragsteller im Rahmen des §
25 Abs. 1 RuStAG Kenntnis davon oder zumindest hinreichende Anhaltspunkte dafür
haben muss, deutscher Staatsangehöriger zu sein. Soweit das
Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung ausgeführt hat, der Verlust
180
der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 RuStAG setze voraus, dass der
Betroffene im Zeitpunkt des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit effektiv im Besitz
der deutschen Staatsangehörigkeit gewesen sei, und dass dies nicht der Fall sei, wenn
er zur fraglichen Zeit nicht in der Lage gewesen sei, sich auf seine deutsche
Staatsangehörigkeit zu berufen, betraf dies einen mit dem vorliegenden Fall nicht zu
vergleichenden Sonderfall eines nationalsozialistisch verfolgten deutschen
Staatsangehörigen jüdischen Glaubens, der im Jahr 1934 seinen Wohnsitz in
Deutschland aufgegeben und sich einige Zeit später in den USA niedergelassen hatte,
1938 ausgebürgert worden war und 1946 die Staatsangehörigkeit der USA erhalten
hatte. In diesem - auch nach dem oben Dargelegten maßgebenden - Zeitpunkt war nach
der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts der Betreffende aufgrund der
Ausbürgerung nicht in der Lage, sich auf seine deutsche Staatsbürgerschaft zu berufen,
da zu diesem Zeitpunkt Art. 116 Abs. 2 Satz 2 GG, der derartige Ausbürgerungen unter
bestimmten Voraussetzungen für ungültig erklärt, noch nicht in Kraft getreten war.
Soweit das Bundesverfassungsgericht ausführt, der Betroffene habe deshalb im
entscheidenden Moment (1946) keine Veranlassung gehabt, die im deutschen
Staatsangehörigkeitsrecht für den Fall des Erwerbs einer ausländischen
Staatsangehörigkeit vorgesehenen Rechtsfolgen in den Kreis seiner Erwägungen
einzubeziehen, kennzeichnet dies die besondere subjektive Bewusstseinslage in einer
wegen der Ausbürgerung auch 1946 noch fortdauernden Verfolgungssituation und
damit in einer im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG schon auf der Ebene der
Tatbestandsvoraussetzung beachtlichen Zwangslage, die die Hinwendung des
Betroffenen zu dem neuen Staat als notgedrungen und damit als nicht freiwillig
erscheinen lässt, weil er andernfalls ohne den Schutz einer staatlichen Gemeinschaft
gewesen wäre.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 1999
181
- 8 A 4522/98 -, a.a.O., m.w.N.
182
Eine derartige Verfolgungssituation ist im vorliegenden Fall im Zeitpunkt des Erwerbs
der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation im März 1996 jedoch nicht gege-
ben.
183
Abgesehen davon hat das Bundesverfassungsgericht in der vorgenannten Entschei-
dung seine Auffassung mit der ansonsten eintretenden Vereitelung des Zwecks der
Wiedergutmachung begründet, ebenfalls ein Gesichtspunkt, der dem vom
Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall ein besonderes Gepräge verleiht, im
vorliegenden Fall jedoch keine Rolle spielt.
184
In diesem Kontext der Wiedergutmachung ist auch das Urteil des Bundessozialgerichts
vom 22. Mai 1985 - 12 RK 20/84 -, a.a.O., zu sehen, das ebenfalls eine während der NS-
Zeit "ausgebürgerte" Verfolgte betraf.
185
Selbst wenn man davon ausginge, dass im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG positive
Kenntnis vom Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit erforderlich ist, wäre im
vorliegenden Fall mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation
seitens der Klägerin zu 1. der Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit eingetreten.
186
Es kann nämlich nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Klägerin zu 1. im
März 1996, hätte sie gewusst, dass sie - möglicherweise - deutsche Staats- angehörige
187
ist, auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation verzichtet und
die nach ihrem Vorbringen damit verbundenen erheblichen wirt- schaftlichen
Schwierigkeiten bis zur - ungewissen, u.U. Jahre dauernden - Erlangung eines
gesicherten Nachweises ihrer deutschen Staatsangehörigkeit gegenüber der
Bundesrepublik Deutschland hingenommen hätte.
Geht man - alternativ - davon aus, dass eine positive Kenntnis vom Bestehen der
deutschen Staatsangehörigkeit nicht erforderlich ist, sondern es genügt, wenn der
Antragsteller hinreichende Anhaltspunkte dafür hatte, hätte die Klägerin zu 1. ihre
deutsche Staatsangehörigkeit ebenfalls mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit der
Russischen Föderation nach § 25 Abs. 1 RuStAG verloren. Denn die Klägerin zu 1.
hatte hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sie möglicherweise deutsche Staats-
angehörige war. Die Klägerin zu 1. hat nicht behauptet, dass ihr das Schicksal ihres
Großvaters väterlicherseits und ihres Vaters während des Zweiten Weltkriegs
unbekannt geblieben ist; eine derartige Behauptung wäre angesichts der familiären
Verbundenheit auch nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Die danach bekannten und
im Aufnahmeantrag der Klägerin zu 1. vom 18. Dezember 1996 auch aufgeführten
Umstände lieferten genügend konkrete Anhaltspunkte für eine möglicherweise
bestehende deutsche Staatsangehörigkeit. Wenn gleichwohl eine weiter-gehende
Aufklärung unterblieben ist, deren Ergebnis in den Kreis der Überlegungen bei der
Erklärung zum Erwerb der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation im März
1996 hätte einbezogen werden können, ist dies keine zwingend über eine erweiternde
Auslegung des § 25 Abs. 1 RuStAG aufzufangende Konfliktsituation.
188
Der Kläger zu 2. hat eine etwaige mit Geburt (1991) von seiner Mutter erworbene
deutsche Staatsangehörigkeit ebenfalls dadurch verloren, dass er - wie durch eine im
Verwaltungsverfahren abgegebene Erklärung seiner Eltern vom 29. April 2002 bestätigt
wird - die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation erworben hat. Eine
vormundschaftsgerichtliche Genehmigung war nach § 25 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 2
RuStAG nicht erforderlich. Schon im Hinblick auf die von der Klägerin zu 1. mit
Schreiben vom 27. August 2002 geltend gemachten Gründe für die Annahme der
russischen Staatsangehörigkeit ist nämlich davon auszugehen, dass der Erwerb der
Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation durch den Kläger zu 2. darauf be- ruht,
dass die Klägerin zu 1. im März 1996 nicht nur eine Erwerbserklärung für sich
abgegeben, sondern auch i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1 RuStAG zusammen mit ihrem
Ehemann den Willen erkennbar dahin betätigt hat, die Einbürgerung des gemeinsamen
Kindes herbeizuführen. Demgegenüber bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der
Erwerb der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation im März 1996
ausschließlich auf die Klägerin zu 1. begrenzt gewesen sein könnte. Auch kommt es in
diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob das Recht der Russischen Föderation für
die Einbürgerung des Kindes einen Antrag voraussetzt und ob die Klägerin zu 1. und ihr
Ehemann eine etwaige deutsche Staatsangehörigkeit ihres Kindes aufgeben wollten.
189
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1985
190
- 1 C 12.84 -, a.a.O.
191
Da die Klägerin zu 1. danach bei der Geburt des Klägers zu 3. im Jahr 1999 eine etwa
erworbene deutsche Staatsangehörigkeit jedenfalls im Jahr 1996 bereits wieder
verloren hatte, kommt für den Kläger zu 3. ein Erwerb der deutschen Staatsange-
hörigkeit nicht in Betracht.
192
Schließlich ergibt sich ein Anspruch der Kläger auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Sollten
auch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2006
193
- 5 C 3.05 -, a.a.O., noch Ungleichbehandlungen wegen divergierender
Verwaltungspraxis in einzelnen Bundesländern auftreten, weil dort für
Inlandsantragsteller lediglich auf die Ansässigkeit im Reichskommissariat Ukraine und
die Erfüllung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Deutschen Volksliste
Ukraine, nicht jedoch auf die tatsächliche Eintragung abgestellt wird, um vom Erwerb
der deutschen Staatsangehörigkeit auszugehen - wofür allerdings keine Referenzfälle
benannt worden sind -, führte dies gleichwohl nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs.
1 GG und den hierüber geschützten Anspruch auf Rechtsanwendungsgleichheit.
Hierbei kann es sich allenfalls um eine unzutreffende Gesetzesauslegung und damit um
eine unrichtige Entscheidung handeln. Von Verfassungs wegen besteht jedoch kein
Anspruch auf Gleichheit im Unrecht und Fehlerwiederholung.
194
Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. November 1988 - 1 BvR 1298/88 -,
195
HFR 1989, 683 ff.
196
Abgesehen davon ist dieser Gesichtspunkt angesichts des eingetretenen
Staatsangehörigkeitsverlusts ohnehin unbeachtlich.
197
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit erfolgt gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
199
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1
und 3 GKG.
200
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