Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.06.2004
OVG NRW: wiedereinsetzung in den vorigen stand, behörde, ermessen, post, fristversäumnis, verwaltung, stellenausschreibung, verschulden, verspätung, briefkasten
Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 1114/04
Datum:
24.06.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 1114/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 1 L 411/041
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist nicht begründet. Die auf die dargelegten Gründe beschränkte
Überprüfung der angefochtenen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) führt nicht zu einem Erfolg des Rechtsmittels.
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Das Verwaltungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss dem Antragsgegner im
Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, zwei näher bezeichnete Planstellen eines
Studiendirektors, ausgeschrieben im Amtlichen Schulblatt für den Regierungsbezirk E.
vom 00.00.0000, durch Ernennung eines anderen Bewerbers zu besetzen, bis der
Antragsteller am Auswahlverfahren teilgenommen hat. Es hat weiterhin dem
Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, den Antragsteller
vorläufig zum Auswahlverfahren für die beiden Planstellen zuzulassen. Zur Begründung
hat es ausgeführt: Der Antragsgegner habe dem Antragsteller zu Unrecht die
Berücksichtigung seiner Bewerbungen auf die ausgeschriebenen Stellen verweigert.
Allerdings habe der Antragsteller die am 00.00.0000 endende Bewerbungsfrist nicht
eingehalten, denn die beiden Bewerbungsschreiben seien ausweislich der
Eingangsvermerke der Bezirksregierung E. erst am 00.00.00004 dort eingegangen. Da
es sich bei der im Rahmen einer Stellenausschreibung gesetzten Bewerbungsfrist nicht
um eine Ausschlussfrist, sondern um eine Ordnungsfrist handele, liege es im
pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, ob sie eine verspätete Bewerbung noch
berücksichtigen oder zurückweisen wolle. Bei summarischer Prüfung habe der
Antragsgegner dieses Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil der Antragsteller das
Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen glaubhaft gemacht habe. Im Rahmen des der
Behörde bei der Nichteinhaltung einer Ordnungsfrist zustehenden Ermessens könne der
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in den § 32 Abs. 1 VwVfG und § 60 Abs. 1 VwGO zum Ausdruck kommende allgemeine
Rechtsgedanke nur dazu führen, dass das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen in
die Ermessenentscheidung einbezogen werde. Da die vorliegende Fristversäumnis nur
einen Tag betrage und damit eine Berücksichtigung auch der Bewerbungen des
Antragstellers noch zu keiner Beeinträchtigung des Ablaufs des gesamten
Bewerbungsverfahrens habe führen können, könne bei einer Abwägung der Interessen
des Antragstellers und öffentlicher Belange nur die Entscheidung als
ermessensfehlerfrei angesehen werden, den Antragsteller zum Auswahlverfahren für
die zwei Studiendirektorenstellen, auf die er sich beworben habe, zuzulassen.
Mit seiner Beschwerde macht der Antragsgegner im Wesentlichen geltend: Selbst bei
der Klassifizierung einer Bewerbungsfrist als Ordnungs- statt als Ausschlussfrist komme
dieser die Funktion zu, einen für alle Bewerber und die beteiligten Entscheidungsträger
verbindlichen und exakt im Voraus bestimmbaren Stichtag festzulegen, an dem die
Bewerbungen vorzuliegen haben. Eine entsprechende Heranziehung des
Rechtsgedankens der Wiedereinsetzungsregelungen des
Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung komme nicht in
Betracht. Andernfalls würde die Setzung eines verbindlichen und eindeutigen
Endtermins unmöglich. Hinzu komme, dass bei der Sichtweise des Verwaltungsgerichts
grundsätzlich eine Missbrauchsgefahr eröffnet werde. Seitens der ausschreibenden
Behörde sei nicht generell wirksam zu kontrollieren, ob Wiedereinsetzungsgründe
tatsächlich vorgelegen hätten. Es drohe ein Aushöhlen der Funktion der
Bewerbungsfrist. Das Verwaltungsgericht habe zudem die Grenzen des § 114 VwGO
überschritten, weil es bezüglich der Zulassung des Antragstellers zu den
Auswahlverfahren zu Unrecht eine Ermessensreduktion auf Null angenommen habe.
Selbst unter Berücksichtigung einer unverschuldeten Fristversäumnis falle die
Abwägung zuungunsten des Antragstellers aus. Die Setzung eines verbindlichen
Endtermins sowie die Vermeidung einer Missbrauchsgefahr überwögen das private
Interesse des Antragstellers. Dies gelte insbesondere, weil der Antragsteller zur
Einreichung den Dienstweg benutzt habe. In der Ausschreibung sei aber ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass die Bewerbung fristgerecht in seinem Hause vorzuliegen
habe. Wähle der Antragsteller in einem solchen Falle ohne Veranlassung den "Umweg"
über den Dienstweg, so könnten Umstände, die sich aufgrund der freiwilligen Wahl
dieses Einreichungsweges ergäben, nicht dazu führen, dass der Rechtsgedanke der
Wiedereinsetzung das Interesse an der Wahrung der Fristen-Funktionen überwiege.
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Damit ist nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht die vom Antragsteller beantragte
einstweilige Anordnung nicht hätte erlassen dürfen. Der Senat hält die angefochtene
Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch unter Würdigung des
Beschwerdevorbringens für zutreffend.
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Dem Verwaltungsgericht ist zunächst darin beizupflichten, dass es sich bei der im
Rahmen einer Stellenausschreibung gesetzten Bewerbungsfrist nicht um eine
Ausschlussfrist, sondern um eine Ordnungsfrist handelt mit der Folge, dass es im
pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde liegt, ob sie eine verspätete
Bewerbung noch berücksichtigt oder zurückweist.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Beschlüsse vom 26. Juni 2000 - 12 B 52/00 - und vom 5. April 2002 - 1 B 1133/01 -;
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10. März 1965 - 2 A 77/64 -;
Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 7 LBG, Rdnr. 107;
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Schnellenbach, ZBR 1997, 169.
Dass die vom Antragsgegner hervorgehobene Funktion der Bewerbungsfrist im
Stellenbesetzungsverfahren im Rahmen der hiernach zu treffenden
Ermessensentscheidung von ausschlaggebender Bedeutung sein kann, liegt auf der
Hand. Dementsprechend ist anerkannt, dass sich der Dienstherr in der Regel nicht
ermessenswidrig verhält, wenn er eine nach Ablauf der Bewerbungsfrist eingehende
Bewerbung ohne Sachprüfung zurückweist, sofern das Besetzungsverfahren im
Zeitpunkt des Eingangs der Bewerbung schon weit fortgeschritten bzw. die
Auswahlentscheidung (intern) bereits getroffen war.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Juni 2000 - 12 B 52/00 - und vom 5. April 2002 - 1
B 1133/01 -; Schnellenbach, ZBR 1997, 169.
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Dies schließt es aber keineswegs aus, dass auch Umstände aus der Sphäre des
Stellenbewerbers in die Ermessensentscheidung einzustellen sind, namentlich solche,
die im Falle der Versäumung einer gesetzlichen Frist die Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand rechtfertigen würden. Die gegenteilige Auffassung des Antragsgegners
vermag den Senat nicht zu überzeugen. Jede Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist
beeinträchtigt die Funktion, deren Wahrung die Frist dient. Gleichwohl sieht das Gesetz
in den Verwaltungsverfahrensgesetzen und den Prozessordnungen die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, ohne dass damit ein "Aushöhlen der Frist"
droht, wie es der Antragsgegner hier offenbar befürchtet. Selbst im Falle gesetzlicher
Ausschlussfristen ist anerkannt, dass unter bestimmten Voraussetzungen - wenn die
Einhaltung der Frist infolge höherer Gewalt unmöglich war - Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren ist.
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Vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. April 1985 - 9 C 7/85 -, NJW 1986,
207.
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Daran gemessen kann es nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass der Gesichtspunkt der
unverschuldeten Fristversäumung auch im Falle einer von der Verwaltung gesetzten
Ordnungsfrist in die zu treffende Ermessensentscheidung einzustellen ist.
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Der vom Antragsgegner befürchteten Missbrauchsgefahr kann durch die Forderung
begegnet werden, die Tatsachen, aus denen der Stellenbewerber den
Wiedereinsetzungsgrund herleitet, glaubhaft zu machen (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 2 VwVfG,
§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Auch insoweit gilt nichts anderes als im Falle gesetzlicher
Fristen.
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Welches Gewicht dem Gesichtspunkt der unverschuldeten Fristversäumung im Rahmen
der Ermessensentscheidung einzuräumen ist, ist eine Frage des Einzelfalles. Von
maßgeblicher Bedeutung dürfte dabei sein, wie weit das Bewerbungsverfahren zum
Zeitpunkt der Einreichung der verspäteten Bewerbung bereits fortgeschritten war und ob
durch eine Berücksichtigung der verspäteten Bewerbung die durch die Bewerbungsfrist
geschützten legitimen Interessen der Verwaltung konkret beeinträchtigt werden. Der
Senat sieht sich zu einer weiteren Klärung der angesprochenen Problematik hier aber
nicht veranlasst, weil er mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung ist, dass angesichts
der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur die Entscheidung als
ermessensfehlerfrei angesehen werden kann, den Antragsteller zum Auswahlverfahren
für die beiden zu besetzenden Stellen zuzulassen.
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Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass den Antragsteller kein Verschulden an
der Versäumung der Bewerbungsfrist trifft. Dies hat das Verwaltungsgericht
überzeugend und erschöpfend ausgeführt. Der Einwand des Antragsgegners, der
Antragsteller habe ohne Veranlassung den "Umweg" über den Dienstweg gewählt, führt
nicht weiter, weil der glaubhaft gemachte Grund für die Verspätung nicht in der
Einreichung der Bewerbung auf dem Dienstweg, sondern in der überlangen Laufzeit bei
der Post lag. Der Antragsteller hat seine Bewerbungen am Donnerstag, dem
00.00.0000, seinem Schulleiter übergeben. Noch am gleichen Tage (um 15.00 Uhr) ist
der Brief von der Schulsekretärin in den Briefkasten der Hauptpost F. eingeworfen
worden. Eine dem Antragsteller anzulastende Verzögerung kann hierin nicht gesehen
werden. Hätte der Antragsteller selbst die Bewerbungen am Nachmittag des 00.00.0000
an gleicher Stelle zur Post aufgegeben, ohne sie zuvor seinem Schulleiter vorzulegen,
wäre der Brief ebenfalls erst am Dienstag, dem 00.00.0000, also einen Tag nach Ablauf
der Bewerbungsfrist, bei der Bezirksregierung E. eingegangen. An dem Vorliegen eines
Wiedereinsetzungsgrundes würde dies nichts ändern.
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Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zu Recht hervorgehoben, dass eine
Berücksichtigung der Bewerbungen des Antragstellers angesichts der nur eintägigen
Fristüberschreitung noch nicht zu einer Beeinträchtigung des Ablaufs des gesamten
Bewerbungsverfahrens habe führen können. Dem ist der Antragsgegner nicht
substantiiert entgegen getreten. Selbst wenn in diesem Zusammenhang nicht auf den
Tag des Eingangs der (verspäteten) Bewerbungen, sondern auf die Kenntnis des
Antragsgegners von den Gründen der Fristversäumung ankommen sollte, würde dies im
Ergebnis nichts ändern. Der Antragsgegner hat mit dem am 00.00.0000 eingegangenen
Widerspruchsschreiben und den beigefügten eidesstattlichen Versicherungen Kenntnis
von den die Annahme einer unverschuldeten Fristversäumung rechtfertigenden
Umständen erlangt. Selbst zu diesem Zeitpunkt war aber das Auswahlverfahren für die
beiden zu besetzenden Stellen noch nicht so weit fortgeschritten, dass die
Berücksichtigung der Bewerbungen des Antragstellers zu einer Beeinträchtigung des
Ablaufs geführt hätte. Der Antragsgegner hat auf entsprechende Anfrage dem
Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 00.00.0000, also etwa zwei Monate später,
mitgeteilt, dass sich die Auswahlverfahren zu den beiden zu besetzenden Stellen
zurzeit im Beurteilungsverfahren befänden. Die Beurteilungsverfahren für die Bewerber
würden voraussichtlich bis Mitte/Ende 00.00.00 andauern. Danach könnte das
personalvertretungsrechtliche Verfahren beginnen. Diese Angaben belegen, dass die
Bewerbungen des Antragstellers auch noch Mitte Februar (nach Eingang des
Widerspruchsschreibens) ohne weiteres in das Auswahlverfahren hätten einbezogen
werden können.
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Bei dieser Sachlage kann nur die vom Antragsteller begehrte Entscheidung, nämlich
seine Zulassung zum Auswahlverfahren für die beiden ausgeschriebenen Planstellen
als Studiendirektor, als ermessensgerecht angesehen werden.
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Die Kostentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf
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§ 20 Abs. 3 i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes.
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