Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.11.2010

OVG NRW (aufschiebende wirkung, lwg, anordnung, land, satzung, erlass, wirkung, behörde, beitrag, aufgaben)

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 1374/10
Datum:
10.11.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 1374/10
Tenor:
Der Beschluss wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antrag-stellerin vor dem
Verwaltungsgericht Münster – 1 K 1745/10 – gegen die
kommunalaufsichtsrechtliche Anordnung des Antragsgegners vom 22.
Juli 2010 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e:
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Die zulässige Beschwerde, mit der die Antragstellerin ihren erstinstanzlichen Antrag
weiterverfolgt,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 1 K 1745/10 vor dem
Verwaltungsgericht Münster gegen die kommunalaufsichtsrechtliche
Anordnung des Antragsgegners vom 22. Juli 2010 wiederherzustellen,
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hat Erfolg. Das besondere öffentliche Vollzugsinteresse hinsichtlich der
kommunalaufsichtsrechtlichen Anordnung vom 22. Juli 2010, mittels derer der
Antragstellerin aufgegeben worden ist, bis zum 31. August 2010 eine näher bestimmte
Satzung zur Erhebung des Aufwandes für die Wiederherstellung der Emsdeiche
("Deichbau-Beitragssatzung") zu erlassen, überwiegt nicht deren Interesse an der
aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Denn die angegriffene Anordnung erweist sich
aus den im Beschwerdeverfahren dargelegten, allein maßgeblichen Gründen (§ 146
Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) als offensichtlich rechtswidrig.
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Die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung beurteilt sich nach der Vorschrift des §
123 Abs. 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW).
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Danach kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass die Gemeinde innerhalb einer
bestimmten Frist das Erforderliche veranlasst, wenn sie die ihr kraft Gesetzes
obliegenden Pflichten oder Aufgaben nicht erfüllt. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
für die Rechtmäßigkeit einer derartigen Anordnung ist der Zeitpunkt, in dem sie erlassen
wird.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. März 2010 – 15 B 27/10 – und vom 17.
Dezember 2008 – 15 B 1755/08 – sowie Urteil vom 16. Juli 1991 – 15 A
2054/88 -, NWVBl. 1992, 58.
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Hier hat der Antragsgegner angenommen, die Antragstellerin sei mit Blick auf ihre
Haushaltslage nach § 77 GO NRW gehalten, die von ihr getätigten Aufwendungen für
die in Rede stehenden Deichunterhaltungsmaßnahmen gemäß § 108 Abs. 5 Satz 1 des
Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LWG) vorteilsgerecht von
denjenigen Grundstückseigentümern ersetzt zu verlangen, deren Grundstücke durch
den Deich geschützt werden. Zwecks Geltendmachung dieses
Aufwendungsersatzanspruchs hat es der Antragsgegner für erforderlich gehalten, dass
die Antragstellerin eine dies ermöglichende, u. a. auf das Kommunalabgabengesetz für
das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) gestützte "Deichbau-Beitragssatzung" erlässt. Da
die Antragstellerin eine solche aber nicht erlassen hat, hat der Antragsgegner hierin ein
pflichtwidriges Unterlassen im Sinne von § 123 Abs. 1 GO NRW gesehen und den
Satzungserlass durch die Antragstellerin nach vorgenannter Norm angeordnet.
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Diese Anordnung war offensichtlich rechtswidrig, weil der Erlass einer Satzung zur
Geltendmachung des Anspruches nach § 108 Abs. 5 Satz 1 LWG nicht erforderlich im
Sinne von § 123 Abs. 1 GO NRW ist. Dies ergibt sich aus folgenden systematischen
Erwägungen:
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§ 108 Abs. 5 LWG bestimmt in seinem ersten Satz, dass die Aufwendungen für
Unterhaltung und Wiederherstellung von Deichen nach dem Maß ihres Vorteils von
denjenigen zu tragen sind, deren Grundstücke durch den Deich geschützt werden. Satz
2 vorgenannter Norm regelt, dass "im Streitfall" die zuständige Behörde nach Anhörung
der Beteiligten den (Aufwendungs-)Beitrag festsetzt. Damit sieht § 108 Abs. 5 LWG für
den Ersatz der getätigten Deichbauaufwendungen ein zweistufiges Verfahren vor: Auf
der ersten Stufe ist ein konsensuales Verfahren vorgeschrieben, was sich aus der nur
für den Streitfall vorgesehenen Beitragsfestsetzungsbefugnis der zuständigen Behörde
gemäß § 108 Abs. 5 Satz 2 LWG ergibt. Das Gesetz geht also davon aus, dass der
Deichunterhaltungsverpflichtete seinen Anspruch gegenüber den von einer
Deichunterhaltungsmaßnahme begünstigten Grundstückseigentümern unter
Berücksichtigung des ihnen durch die Maßnahme gewährten Vorteils zunächst formlos
geltend macht und Letztere sich dem unterwerfen können, dass es also einer auf
hoheitliche Handlungsinstrumente gestützten Durchsetzung des Anspruchs in einem
ersten Schritt nicht nur nicht bedarf, dass sie vielmehr hier unzulässig sein soll. Diese
gesetzliche Konstruktion macht auch Sinn. Denn der Aufwendungsersatzanspruch nach
§ 108 Abs. 5 Satz 1 LWG ist zwar ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, aber kein allein
der öffentlichen Hand zustehender Anspruch. Deichunterhaltspflichtig können sowohl
Private als auch öffentlich-rechtliche Körperschaften sein (vgl. § 108 Abs. 2 LWG). Das
beschriebene konsensuale Verfahren erlaubt damit den Erlass einer auf hoheitliche
Durchsetzung des Aufwendungsersatzanspruch gerichteten Beitragssatzung auf der
ersten Stufe nicht.
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Dies gilt gleichermaßen auch für die zweite Stufe des Verfahrens, die einen Streit über
den Beitrag zum Aufwendungsersatz im Sinne von § 108 Abs. 5 Satz 1 LWG
voraussetzt. Auf dieser zweiten Stufe ist für die nunmehr hoheitliche Festsetzung des
Beitrags nicht etwa der Bürgermeister der deichunterhaltspflichtigen Antragstellerin die
zuständige Behörde im Sinne von § 108 Abs. 5 Satz 2 LWG; zuständig ist vielmehr
gemäß Artikel 15 des Gesetzes zur Kommunalisierung von Aufgaben des Umweltrechts
(= Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz) § 4 i. V. m. Ziffer 21.61 des Anhangs II zur
vorgenannten Verordnung die Bezirksregierung (GV NRW 2007, 661, 678). Auch damit
ist eindeutig klargestellt, dass die Antragstellerin keine Befugnis zur hoheitlichen
Durchsetzung des ihr zustehenden Aufwendungsersatzanspruchs hat, dass also auch
deshalb ein Satzungserlass im vom Antragsgegner verlangten Sinne ausscheiden
muss.
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Nach dem Vorstehenden ist es auch konsequent, dass die vom Antragsgegner als
Rechtsgrundlagen für den Erlass der hier in Rede stehenden Satzung herangezogenen
Vorschriften des Landeswassergesetzes keine Verweisung auf das
Kommunalabgabengesetz – insbesondere nicht auf die dortigen Regelungen zur
Satzungsbefugnis – enthalten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den
Streitwert ergibt sich auch §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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