Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.01.1997

OVG NRW (1995, antragsteller, vorläufiger rechtsschutz, bauarbeiten, sommer, verfügung, dach, streitwert, verwaltungsgericht, firma)

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 3125/96
Datum:
16.01.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 3125/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5 L 1939/96
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird - unter gleichzeitiger Änderung der erstinstanzlichen
Festsetzung - auf 21.448,50 DM festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen
Vollziehung der Ordnungsverfügung vom 6. August 1996, durch die der Antragsgegner
dem Antragsteller untersagt hat, "die in und an dem Remisengebäude auf dem
Grundstück Straße 155, Gemarkung -Stadt, Flur 45, Flurstück 370, begonnenen
Erneuerungs- und Renovierungsarbeiten selbst oder durch Dritte fortzuführen",
überwiegt das Interesse des Antragstellers, von einer Vollziehung vorläufig verschont zu
bleiben.
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Nach derzeitigem Erkenntnisstand des Senats wird der Antragsteller die Aufhebung der
Ordnungsverfügung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht erreichen.
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Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, daß der Antragsgegner in seiner
Eigenschaft als Bauaufsichtsbehörde gemäß § 61 Abs. 1 BauO NW die Stillegung eines
Bauvorhabens anordnen kann, wenn es entweder nicht genehmigungspflichtig, aber
materiell illegal oder genehmigungspflichtig und (zumindest) formell illegal ist. Dem
Verwaltungsgericht ist ferner darin zuzustimmen, daß die an der Remise durchgeführten
Dacharbeiten, die sich nicht nur auf eine Neueindeckung des Dachs beschränkten,
sondern erhebliche Arbeiten an der tragenden Dachkonstruktion umfaßten und daher
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eine statische Prüfung erforderlich machten, gemäß § 63 Abs. 1 BauO NW
genehmigungspflichtig gewesen sind. Die Notwendigkeit der Einholung einer
Baugenehmigung entfiel weder gemäß § 65 Abs. 2 Nr. 1 BauO NW noch gemäß dessen
Nr. 2, da es sich bei den Bauarbeiten weder um eine "geringfügige, die Standsicherheit
nicht berührende Änderung tragender oder aussteifender Bauteile" noch lediglich um
eine "Instandhaltung von baulichen Anlagen" handelte.
Der Antragsteller hat die erwähnten Arbeiten ferner ohne Baugenehmigung, d.h. formell
illegal durchgeführt.
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Der weiteren Einschätzung des Verwaltungsgerichts, daß die Baumaßnahme mit den
Dacharbeiten abgeschlossen und die Stillegungsverfügung zur Gefahrenabwehr
ungeeignet und damit zugleich ermessensfehlerhaft gewesen sei, vermag sich der
Senat indessen nicht anzuschließen.
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Allerdings kann für das vorliegende Verfahren unterstellt werden, daß die die Remise
betreffenden Arbeiten am Dach und an dessen Tragekonstruktion bereits im Sommer
1995 beendet waren. Hierfür sprechen jedenfalls die von dem Antragsteller überreichten
Rechnungen der Firma vom 9. Juni 1995 (über Zimmererarbeiten an Scheune,
Stallgebäude und Haupthaus) und der Firma . vom 23. Juni 1995 (über
Dachdeckerarbeiten an Scheune, Wohnhaus mit Tenne und Stallung). Diese
Rechnungen beziehen sich nach überschlägiger Prüfung auch auf die Remise (=
Stallgebäude bzw. Stallung). Da Handwerkerrechnungen üblicherweise nach
Fertigstellung der Arbeiten erteilt werden und der Antragsteller ausweislich der in Kopie
überreichten Kontoauszüge Ende Juni 1995 die Rechnungsbeträge beglichen hat,
erscheint sein Vortrag, daß die Arbeiten "im Sommer oder Herbst 1995 abgeschlossen"
gewesen seien, ohne weiteres glaubhaft. Der Einwand des Antragsgegners, das dem
Bauantrag vom 18. Juli 1995 beigefügte Foto in Beiakte 3 Blatt 8 beweise, daß die
Bauarbeiten im Sommer 1995 noch nicht beendet gewesen seien, greift nicht durch. Die
Rückseite des Fotos, das neben der Fassade des Haupthauses das - noch nicht
eingedeckte - Dach der Remise zeigt, trägt den Stempel des Entwicklungslabors "April
95". Ein Widerspruch zu den Angaben des Antragstellers, daß die Dacharbeiten im
Sommer bzw. Herbst 1995 beendet gewesen seien, folgt daraus nicht.
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Im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts vermag der Senat indessen nicht
festzustellen, daß die Bauarbeiten mit dem Abschluß der Dacharbeiten insgesamt ihr
Ende gefunden hätten und die Gefahr weiterer illegaler Baumaßnahmen an der Remise
im Zeitpunkt des Ergehens der Ordnungsverfügung nicht (mehr) bestanden habe. Die
Umstände des vorliegenden Falls legen vielmehr die Annahme nahe, daß es sich bei
den Dacharbeiten lediglich um einen Teil einer - bisher nicht beendeten -
Gesamtbaumaßnahme handelt. Der Antragsteller ist offensichtlich daran interessiert, die
Remise, deren Dach und Dachstuhl er mit erheblichem Kostenaufwand erneuert hat und
die bisher - nach den dem Senat vorliegenden Lichtbildern - lediglich der Lagerung
geringer Mengen von Baumaterialien zu dienen scheint, einer wirtschaftlich sinnvollen
Verwendung zuzuführen. Bestätigt wird diese Einschätzung dadurch, daß der
Antragsteller mit dem Vorbescheidsantrag vom 29. August 1995 die Genehmigung einer
Nutzungsänderung für die Remise mit dem Ziel beantragt hat, in dem Gebäude
Wohnungen für seinen Sohn und seine Tochter zu errichten. Auch durch den weiteren
Vorbescheidsantrag vom 21. Mai/8. Juli 1996, nunmehr gerichtet auf einen Ausbau der
Remise als zu vermietende Bürofläche, hat der Antragsteller deutlich gemacht, daß die
gegenwärtige Nutzung durch eine andere ersetzt werden soll und daß in diesem
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Zusammenhang weitere bauliche Änderungen geplant sind. In Anbetracht dieser
tatsächlichen Umstände lassen sich die bereits verwirklichten Dacharbeiten lediglich als
Beginn einer weit umfassenderen Baumaßnahme begreifen, so daß im Zeitpunkt des
Erlasses der Stillegungsverfügung die Gefahr der Fortsetzung der illegalen
Baumaßnahme nicht von der Hand zu weisen war. Dies gilt unabhängig von der Frage,
ob die in der Remise von dem Antragsgegner vorgefundenen Baumaterialien tatsächlich
auf weitere beabsichtigte Baumaßnahmen schließen ließen oder ob die Materialien - so
der Vortrag des Antragstellers - von dem Voreigentümer dort zurückgelassen worden
waren.
War demnach von einer beabsichtigten, über die Dacharbeiten hinausgehenden
Gesamtbaumaßnahme auszugehen, durfte der Antragsgegner die Stillegungsverfügung
auf sämtliche "begonnenen Erneuerungs- und Renovierungsarbeiten" beziehen, ohne
daß es erforderlich gewesen wäre, nach genehmigungspflichtigen und -freien
Baumaßnahmen zu unterscheiden.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 3. August 1988 - 7 B 601/88 - und vom 27. April 1989 -
10 B 1000/88 -.
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Ohne Einfluß auf die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist die im gerichtlichen
Verfahren vorgebrachte Behauptung des Antragstellers, seit der Beendigung der
Dacharbeiten hätten mehrere Ortstermine mit verschiedenen Mitarbeitern des
Antragsgegners stattgefunden, wobei diese die Arbeiten gesehen und nicht beanstandet
hätten. Selbst wenn diese von dem Antragsgegner bestrittene Behauptung als
zutreffend unterstellt wird, ändert das an der oben dargestellen Rechtslage nichts.
Weder hat der Antragsgegner insoweit nachträglich eine Baugenehmigung erteilt, noch
ist seine aus § 61 Abs. 1 BauO NW herrührende Verpflichtung, über die Einhaltung der
öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften zu wachen, in irgendeiner Form eingeschränkt
worden. Insbesondere läßt der Umstand, daß der Antragsgegner die
Baurechtswidrigkeit der Dacharbeiten nicht sofort erkannt hat bzw. nicht gegen sie
eingeschritten ist, die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung unberührt.
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Das für den Fall einer Nichtbeachtung der Ordnungsverfügung angedrohte Zwangsgeld
begegnet nach Grund und Höhe ebenfalls keinen Bedenken.
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Spricht demnach derzeit mehr für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Ordnungsverfügung als für deren Rechtswidrigkeit, überwiegen die öffentlichen
Interessen an einer Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung. Den
öffentlichen Interessen daran, daß eine Verfestigung oder gar Ausdehnung
baurechtswidriger Zustände, die erfahrungsgemäß nur mit erheblichem
Verwaltungsaufwand wieder beseitigt werden können, unterbleibt, kommt hohes
Gewicht zu. Dahinter müssen die Interessen des Antragstellers, für sich betrachtet
genehmigungsfreie Arbeiten an der Remise ausführen zu dürfen, zurücktreten.
Nachdem er genehmigungspflichtige Arbeiten ohne Baugenehmigung begonnen hat,
weitere Arbeiten beabsichtigt sind (vgl. seine Darlegung im Schriftsatz vom 16. August
1996) und er die Genehmigungsbedürftigkeit der an der Dachkonstruktion
durchgeführten Arbeiten noch im vorliegenden Verfahren unter Hinweis auf angebliche
Bestandssicherung rechtsirrig verneint hat, muß ohne die Aufrechterhaltung der
sofortigen Vollziehbarkeit auch dieses Teils der Verfügung damit gerechnet werden,
daß er den Umfang beabsichtigter, genehmigungsfreier Sanierungsmaßnahmen in
Verkennung der Rechtslage erneut zu weit zieht. Es ist ihm daher zumutbar, vorläufig
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bis zu einer positiven Bescheidung seines Vorbescheidsantrags oder eines Erfolgs in
einem etwaigen Klageverfahren auf die Durchführung sämtlicher die Remise
betreffender Bauarbeiten unabhängig von ihrer grundsätzlichen Genehmigungsfreiheit
zu verzichten bzw., soweit es um Sicherungsmaßnahmen der vorhandenen
Bausubstanz geht, hierfür eine gesonderte Genehmigung einzuholen, wie dies die
angefochtene Verfügung vorsieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §
20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG. Für Streitigkeiten, die die Anfechtung einer
Stillegungsverfügung zum Gegenstand haben, setzt der Senat in ständiger
Rechtsprechung den Streitwert in Höhe des Jahresnutzwertes bzw. -mietwertes des
betreffenden Vorhabens fest.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 27. Januar 1994 - 10 B 3290/93 - und vom 24. Januar
1995 - 10 B 331/95 -, jeweils m.w.N.
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Im vorliegenden Fall errechnet sich der Streitwert aus der Grundfläche der Remise
(45,25 m x 7,90 m = 357,475 qm), multipliziert mit einem geschätzten, auf die
beabsichtigte Verwendung bezogenen Quadratmeterpreis von 10,- DM und dem
Zeitraum von 12 Monaten. Der sich hierdurch ergebende Betrag (42.897,- DM) ist auf die
Hälfte, d.h. auf 21.448,50 DM, zu vermindern, da nur vorläufiger Rechtsschutz begehrt
worden ist.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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