Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.12.2002

OVG NRW: nachhaltigkeit, verfügung, auskunft, bad, verfahrensmangel, meinung, absicht, ausnahme, landwirtschaft, abweisung

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 A 2400/02
Datum:
30.12.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 A 2400/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 5 K 906/99
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. mit Ausnahme
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2., die diese selbst
trägt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.225 EUR
festgesetzt.
Gründe:
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Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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Die innerhalb der Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO von der Klägerin dargelegten
Gründe rechtfertigen eine Zulassung der Berufung nicht.
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Soweit das Verwaltungsgericht seine Entscheidung, die Klage abzuweisen, darauf
gestützt hat, das streitgegenständliche Vorhaben diene bei Zugrundelegung des von der
Klägerin zu ihrer landwirtschaftlichen Betätigung Dargelegten nicht einem
landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, sind die von der
Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht gegeben.
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Die Klägerin macht geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass
beabsichtigt sei, den bestehenden - auf fünf Jahre befristeten - Vertrag über die
Anpachtung von 2,3 ha Grünland um weitere fünf Jahre zu verlängern, und die Aussicht
bestehe, in absehbarer Zeit weitere 2 ha Grünland in der Nähe der vorhandenen
Flächen anzukaufen.
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Dieser mit der Zulassungsbegründung in das Verfahren neu eingeführte Sachvortrag
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der Klägerin vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht zu
begründen. Die bloße Absicht, weitere Flächen anzukaufen und bestehende
Pachtverträge zu verlängern, stellt die Flächen dem Betrieb noch nicht tatsächlich zur
Verfügung.
Letzteres gilt auch, soweit die Klägerin - im Übrigen in unsubstantiierter Weise -
behauptet, es bestehe zudem die Möglichkeit einer Wanderschafhaltung "für das Gebiet,
welches als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist".
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Soweit die Klägerin vorträgt, das Verwaltungsgericht habe die Beweidung von
öffentlichen Flächen entlang der S. auf den S1.-auen und -stränden nicht berücksichtigt,
übersieht sie, dass nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 2. im Ortstermin eine
Wanderschafhaltung auf diesen öffentlichen Aueflächen wegen der Aufforstung
jedenfalls für mehrere Jahre nicht in Betracht zu ziehen ist. Abgesehen davon, hat die
Klägerin auch nichts dazu vorgetragen, zur Beweidung dieser in fremdem Eigentum
stehenden Flächen durch ihre Schafe berechtigt zu sein.
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Fehl geht auch der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe nicht
berücksichtigt, dass 1 ha Grünland für zehn Mutterschafe reiche und demnach die
bewirtschaftete Gesamtfläche von etwa 4,8 ha Grünland, bestehend aus Eigenland und
Pachtland, eine Futtergrundlage für den Tierbestand darstelle.
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Das Verwaltungsgericht hat seiner Einschätzung, die Fläche von 1,85 ha Eigenland -
unterstellt, es handele sich dabei vollends um Grünland - reiche als Futtergrundlage für
die zu haltenden Schafe nicht aus, in schlüssiger Weise die klägerischen Angaben zum
Viehbestand und zum Grünland sowie das Gutachten des Sachverständigen C. vom 18.
Dezember 1997 zu Grunde gelegt. Nach den klägerischen Angaben stehen von den
2,44 ha Eigenland 0,6 ha als Futtergrundlage nicht zur Verfügung, weil es sich dabei um
Waldfläche handelt. In seinem Gutachten geht der Sachverständige davon aus, eine
Großvieheinheit brauche eine Futtergrundlage von 0,9 ha, und kommt auf der
Grundlage, dass ein Mutterschaf mit einem Zehntel einer Großvieheinheit anzusetzen
ist, zum Ergebnis, der im Gutachten auf Seite 2 angeführte Viehbestand von zwanzig
Mutterschafen mit einem Zuchtbock und der Nachzucht benötige 3,06 ha Grünland als
Futtergrundlage. Das Verwaltungsgericht hat demnach zutreffend seine Entscheidung
darauf gestützt, die Klägerin sei zur Schaffung einer eigenen Futtergrundlage für den
Tierbestand ihres Unternehmens auf die Zupacht von Grünlandflächen angewiesen.
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Der Einwand der Klägerin vermag ernstliche Zweifel an dem Urteil auch insoweit nicht
zu begründen, als das Gericht seine Entscheidung darauf gestützt hat, wegen der zu
verlangenden Nachhaltigkeit des landwirtschaftlichen Betriebes und im Hinblick auf das
Erfordernis der unmittelbaren Bodenertragsnutzung müssten dem Unternehmen
langfristig als Futtergrundlage ausreichende Betriebsflächen gesichert sein. Die
zugepachteten Grünlandflächen von ca. 2,3 ha seien wegen der Laufzeit des
Pachtvertrages von lediglich fünf Jahren und damit wegen einer nicht hinreichend
langfristigen Pachtdauer als nicht zureichend gesicherte Futtergrundlage
unberücksichtigt zu lassen.
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Diese Begründung steht nicht im Widerspruch zur bundesverwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung, wonach der zu schonende Außenbereich grundsätzlich nur einer auf
Dauer angelegten landwirtschaftlichen Betätigung zur Verfügung stehen darf. Für die
Sicherung der Dauerhaftigkeit bzw. Nachhaltigkeit insbesondere einer
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Nebenerwerbslandwirtschaft - wie hier - ist der Umstand von Bedeutung, dass der
Zugriff auf die Fläche, die in landwirtschaftlicher Weise Gegenstand der unmittelbaren
Bodenertragsnutzung sein soll, dauerhaft gesichert ist. In aller Regel erfordert dies eine
eigentumsrechtliche oder anderweitige sachenrechtliche Zuordnung. Das schließt ein
Hinzupachten benötigter Flächen nicht aus. Indessen genügt eine unmittelbare
Bodenertragsnutzung auf weit überwiegend fremdem Grund und Boden in aller Regel
ebenso wenig dem Erfordernis der Nachhaltigkeit wie eine mit dem Gesichtspunkt der
Nachhaltigkeit nicht vereinbare, zu kurz bemessene Pachtdauer wegen der lediglich
schuldrechtlichen Begründung des Pachtverhältnisses.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. Februar 1989 - 4 B 14.89 - BRS 49 Nr. 92 und vom 19.
Juli 1994 - 4 B 140.94 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 301.
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Es liegt im Wesen der Pacht als einer nur schuldrechtlichen Beziehung, dass sie
einerseits privatrechtlich weniger verlässlich als dingliche Rechte das Bestehen eines
bestimmten Zustands auf Dauer sichert und dass andererseits bei ihr Änderungen der
Rechtslage einer bodenrechtlichen Kontrolle völlig entzogen sind.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1972 - IV C 9.70 - BRS 25 Nr. 60.
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Bei der Prüfung, ob sich durch den Abschluss von Pachtverträgen die Sicherung
dauerhafter landwirtschaftlicher Betätigung erreichen lässt, ist deshalb Zurückhaltung
geboten. Zu einer solchen Zurückhaltung besteht bei Nebenerwerbsbetrieben verstärkt
Anlass. Die Schwäche, die der Pacht als einer nur schuldrechtlichen Beziehung
innewohnt und die ihre Eignung vermindert, die Existenz eines bestimmten Zustandes
auf unabsehbare Dauer verlässlich zu sichern, wirkt sich in gesteigertem Maß aus,
wenn es nur um einen kleinen Betrieb und dementsprechend auch nur um Pachtflächen
von verhältnismäßig unbedeutender Größe geht.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. August 1979 - 4 C 3.77 - BRS 35 Nr. 60.
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Davon ausgehend ist eine langfristige Pachtbindung der als Futtergrundlage benötigten
Flächen jedenfalls dann zu fordern, wenn der vorgebliche Betrieb zu wesentlichen
Teilen gerade auf diese Flächen angewiesen ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteile vom 26.Oktober 1973 - X A 653/70 - BRS 27 Nr. 67 und vom 25.
Februar 1982 - 7 A 2729/79 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 30. August 1988 - 1 A 164/86 -
BRS 48 Nr. 59.
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Eine Pachtdauer von fünf Jahren mit der "festen Aussicht" auf Verlängerung um weitere
fünf Jahre reicht insoweit nicht aus.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 1970 - X A 104/69 - BRS 23 Nr. 58; vgl. auch OVG
Lüneburg, Urteil vom 30. August 1988 - 1 A 164/86 - BRS 48 Nr. 59 (vierzehn Jahre
unzureichend).
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Vielmehr ist in aller Regel erst bei einer Pachtdauer von etwa achtzehn Jahren
gewährleistet, dass betriebswirtschaftlich und sozial gewünschte Pachtverhältnisse
entstehen, bei denen der Pächter ein starkes eigenes Interesse an einer
ordnungsgemäßen Bewirtschaftung hat, was für die Nachhaltigkeit der
landwirtschaftlichen Betätigung spricht.
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 1970 - X A 104/69 - BRS 23 Nr. 58; OVG Lüneburg,
Urteil vom 30. August 1988 - 1 A 164/86 - BRS 48 Nr. 59.
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Das Gesetz zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts vom 8. November
1985 (BGBl. I S. 2065) steht dem nicht entgegen. Auch die nunmehr einschlägige
Vorschrift in § 595 Abs. 3 Nr. 3 BGB knüpft an denselben langen Zeitraum an.
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Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 30. August 1988 - 1 A 164/86 - BRS 48 Nr. 59.
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Zudem hat dieses Gesetz die prinzipielle Abhängigkeit des Pachtgrundes von
schuldrechtlichen Abreden nicht beseitigt. Die Neufassung des § 595 BGB - verbesserte
Stellung des Pächters - hat daran nichts geändert.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 B 140.94 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB
Nr. 301; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 7. August 1991 - 3 S 1075/90 - BRS 52 Nr. 73; a.
A. zuvor teilweise VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25. März 1988 - 5 S 2611/87 -, BRS 48
Nr. 60.
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Im Übrigen ist weder ersichtlich noch von der Klägerin dargelegt, wieso das Urteil die
Voraussetzung des "Dienens" - im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB - bzw. der
"unmittelbaren Bodenertragsnutzung" verkannt haben sollte.
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Die Rechtssache weist entgegen der Auffassung der Klägerin auch keine besonderen
rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO im Hinblick auf das
Erfordernis unmittelbarer Bodenertragsnutzung im Zusammenhang mit § 35 Abs. 1 Nr. 1
BauGB auf.
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In welchem Umfang Eigen- und Pachtland für die Haltung von fünfzig Mutterschafen als
Futtergrundlage zur Verfügung stehen muss, ist keine Rechtsfrage. Die von der Klägerin
außerdem gestellte Frage, mit welcher Dauer Pachtland - als Futtergrundlage - zur
Verfügung stehen muss, damit von dem Erfordernis der unmittelbaren
Bodenertragsnutzung ausgegangen werden könne, rechtfertigt ebenfalls keine
Berufungszulassung wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten. Die
landwirtschaftliche Nutzung von Pachtland als Futtergrundlage stellt eine unmittelbare
Bodenertragsnutzung dar. Davon zu unterscheiden ist der für das Vorliegen eines
privilegierten landwirtschaftlichen Betriebes im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 in
Verbindung mit § 201 BauGB erforderliche Gesichtspunkt seiner Dauerhaftigkeit bzw.
Nachhaltigkeit. Insoweit unterliegt das Urteil des Verwaltungsgericht - wie vorstehend
ausgeführt - weder ernstlichen Zweifeln, noch weist die Rechtssache aus den
vorstehenden Gründen besondere rechtliche Schwierigkeiten auf.
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Die Rechtssache hat im Hinblick auf § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB auch nicht die geltend
gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn durch sie eine
grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufgeworfen
wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts gerichtlicher
Klärung bedarf. Mit ihrem allgemein gehaltenen Vortrag, die Begriffe der
"Dauerhaftigkeit" sowie der "unmittelbaren Bodenertragsnutzung" würden insbesondere
bei der Schafhaltung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nur uneinheitlich
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gesehen, hat die Klägerin keine Rechtsfrage formuliert, der ihrer Meinung nach
grundsätzliche Bedeutung zukommen soll.
Die Klägerin macht im sachlichen Zusammenhang mit den Entscheidungsgründen des
erstinstanzlichen Urteils zu § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB schließlich geltend, die
Klageabweisung beruhe auf einem Verfahrensmangel. Dazu trägt sie vor, das
Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung die Auskunft der Landwirtschaftskammer
Rheinland vom 13. August 1998 zu Grunde gelegt, welche den Betrieb - der Klägerin -
zum damaligen Zeitpunkt nicht als "Landwirtschaft im Sinne des Baugesetzbuches"
anerkannt habe; diese Auskunft sei jedoch fehlerhaft und veraltet. Deshalb wäre es
erforderlich gewesen, weiter gehende Erkundigungen - etwa durch
Sachverständigengutachten - anzustellen.
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Ein Zulassungsgrund im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist jedoch schon deshalb
nicht gegeben, weil die Auffassung der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe diese
Auskunft seiner Entscheidung "zugrunde gelegt", fehl geht. In den
Entscheidungsgründen des Urteils hat das Verwaltungsgericht zur Abweisung der
Klage darauf nicht abgestellt, weder sachlich noch ausdrücklich. Die Auskunft wird dort
nicht erwähnt. Lediglich im Tatbestand des Urteils wird mitgeteilt, dass der Beklagte die
Ablehnung des Bauantrages der Klägerin mit Bescheid vom 6. Oktober 1998 u. a. auf
diese Auskunft gestützt hat.
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Soweit das Verwaltungsgericht die Klageabweisung ferner darauf gestützt hat, dem
Vorhaben der Klägerin stünden zudem auch öffentliche Belange des Naturschutzes und
der Landschaftspflege entgegen, macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit des Urteils, besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache und ihre
grundsätzliche Bedeutung geltend (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO).
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Eines Eingehens auf den klägerischen Vortrag im Einzelnen bedarf es insoweit nicht.
Die dazu erhobenen Einwände sind nicht geeignet, die Zulassung der Berufung zu
rechtfertigen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts begründen weder ernstliche
Zweifel an der Klageabweisung, noch würde sich in einem Berufungsverfahren die von
der Klägerin aufgeworfene Frage stellen.
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Nach § 35 Abs. 1 BauGB ist ein privilegiertes Vorhaben nicht zwingend schon dann
unzulässig, wenn es öffentliche Belange beeinträchtigt, sondern ihm müssen
grundsätzlich öffentliche Belange entgegenstehen. Insofern war - einen
landwirtschaftlichen Betrieb unterstellt - für das Verwaltungsgericht "zudem"
entscheidungserheblich, ob öffentliche Belange entgegenstehen. Allerdings sind die
Ausführungen zum Naturschutz nicht entscheidungserheblich, wenn die
landwirtschaftliche Privilegierung - wie es das Verwaltungsgericht zutreffend getan hat -
verneint wird.
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Der Zulassungsantrag hat demnach keinen Erfolg.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig
(vgl. § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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