Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.12.2003

OVG NRW (erste instanz, einfriedung, schallschutzwand, grundstück, interesse, gewerbe, verwaltungsgericht, streitwert, zweck, höhe)

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 1249/03
Datum:
02.12.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 1249/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 25 L 1070/03
Tenor:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des
Verfahrens je zur Hälfte. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen
sie jeweils selbst.
Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung
für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,-- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.
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Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO beschränkt ist, gibt keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in
Frage zu stellen, wonach die mit der angefochtenen Baugenehmigung zugelassene
grenzständige Lärmschutzwand die gemäß § 6 BauO NRW vorgeschriebene
Abstandfläche nicht einhält.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht mit zutreffenden Erwägungen festgestellt, dass die
streitige Schallschutzwand keine Einfriedung im Sinne des § 6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 2
BauO NRW darstellt. Als Einfriedung ist anzusehen, was ein Grundstück oder einen Teil
eines Grundstücks von Verkehrsflächen, Nachbargrundstücken oder auch Bereichen
desselben Grundstücks abschirmen soll, um Witterungs- oder Immissionseinflüsse
(Wind, Lärm, Straßenschmutz) abzuwehren oder das Grundstück oder Teile davon
gegen unbefugtes Betreten oder Einsichtnahme zu schützen. Eine Einfriedung im Sinne
des § 6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 2 BauO NRW stellt damit ein Hindernis für alle von Außen
her den Frieden des Grundstücks störenden Beeinträchtigungen dar.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. September 2003 - 10a B 1390/03.NE -; Beschluss
vom 7. Juni 2001 - 7 A 953/01 -; Urteil vom 12. Juli 1982 - 7 A 2198/80 -, BRS 39 Nr.
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111; Boeddinghaus- Hahn-Schulte, BauO NRW, Loseblattsammlung, Stand: 1. August
2003, § 6 Rdnr. 89 m.w.N.
Danach handelt es sich bei der mit der streitigen Baugenehmigung zugelassenen Wand
nicht um eine Einfriedung im dargestellten Sinn. Die Wand dient offensichtlich allein
dazu, die vom Betrieb der Beigeladenen auf das Nachbargrundstück der Antragsteller
einwirkenden Lärmimmissionen zu reduzieren, um die mit der streitigen
Baugenehmigung vom 11. März 2003 gleichzeitig legalisierte betriebliche Nutzung zur
Nachtzeit zu ermöglichen.
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Die Beschwerdeführer berufen sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung auf
die Rechtsprechung des früheren 11. Senats des beschließenden Gerichts (Urteil vom
21. April 1988 - 11 A 1555/86 -). Nach dieser Entscheidung soll die Sonderregelung in §
6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 2 BauO NRW für Einfriedungen in Gewerbe- und Industriegebieten
einem gesteigerten Interesse an Abschirmungen in größerer Höhe als 2 m dienen. Ein
solches Interesse bestehe für Gewerbe- oder Industriebetriebe in aller Regel nur in
Richtung von Innen nach Außen, z.B. zum Zwecke des Schallschutzes. "Nur" dieser
Zweck lasse die Regelung als sinnvoll erscheinen.
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Dem kann nicht gefolgt werden. Die Zulassung von (u.a.) Einfriedungen in Gewerbe-
und Industriegebieten in unbegrenzter Höhe erklärt sich vielmehr zum einen aus der im
Vergleich zu anderen Gebietsarten in Bezug auf die durch § 6 BauO NRW geschützten
Belange (Sozialabstand, Belichtung, Besonnung und Belüftung) geringeren
Schutzwürdigkeit der in diesen Gebieten regelmäßig zulässigen Nutzungen. Zum
anderen dient die fragliche Regelung dem Zweck, einem gesteigerten Schutzbedürfnis
im Hinblick auf unbefugtes Betreten des Grundstücks Rechnung zu tragen. So besteht
für gewerblich oder industriell genutzte Grundstücke in der Regel ein besonderes
Interesse, die dort errichteten Anlagen oder dort gelagerten Gegenstände vor fremden
Zugriffen zu schützen.
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Das Verwaltungsgericht hat ferner in rechtlich nicht zu beanstandender Weise
angenommen, dass von der fraglichen Schallschutzwand Wirkungen im Sinne des § 6
Abs. 10 BauO NRW ausgehen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im
angefochtenen Beschluss vom 27. Mai 2003 wird verwiesen. Diese Bewertung wird
durch den Vortrag im Beschwerdeverfahren nicht in Frage gestellt. Die Beantwortung
der Frage, ob von einer (baulichen) Anlage oder anderen Einrichtungen Wirkungen wie
von Gebäuden ausgehen, hängt nicht davon ab, von welcher Art das Baugebiet ist, in
dem das betroffene Grundstück gelegen ist. Der vom Gebietscharakter der näheren
Umgebung bestimmten unterschiedlichen Schutzwürdigkeit einzelner Grundstücke in
Bezug auf die durch § 6 BauO NRW geschützten Belange trägt bereits die Regelung
des § 6 Abs. 5 BauO NRW Rechnung und steht damit einer erneuten Berücksichtigung
im Rahmen des § 6 Abs. 10 BauO NRW entgegen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, Abs. 3, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO,
§ 100 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 2
GKG. Die Streitwertbemessung berücksichtigt die objektive Bedeutung der Streitsache
für die Antragsteller, die durch die genehmigte Schallschutzwand erheblich
beeinträchtigt werden. Mit Blick auf die den Antragstellern drohenden
Beeinträchtigungen geht der Senat für das Hauptsacheverfahren von einem Streitwert
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von 10.000,-- EUR aus, der wegen des hier nur begehrten vorläufigen Rechtsschutzes
auf die Hälfte herabgesetzt worden ist. Insoweit hat der Senat den Streitwert zugleich
von Amts wegen für die erste Instanz geändert.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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