Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.11.2004

OVG NRW: bevölkerung, gewerbe, versorgung, verbraucher, unterbringung, ausschluss, bebauungsplan, gemeinde, beschränkung, satzung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberverwaltungsgericht NRW, 10a D 38/02.NE
12.11.2004
Oberverwaltungsgericht NRW
10a Senat
Urteil
10a D 38/02.NE
Die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 11 - B. Ost - Teil 2 Blatt 3 "von-
C. -Straße" der Stadt B. ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Antragsteller wendet sich mit dem Normenkontrollantrag gegen die 2. Änderung des
Bebauungsplans Nr. 11 - B. Ost - Teil 2 Blatt 3 "von-C. - Straße" der Antragsgegnerin.
Er ist Eigentümer der an der von-C. -Straße beziehungsweise an der T.---------- straße in B.
gelegenen zusammenhängenden Flurstücke 43, 44 und 89 sowie Erbbauberechtigter
hinsichtlich des Flurstücks 31. Sämtliche Flurstücke liegen im Geltungsbereich des
vorgenannten Bebauungsplans und weisen insgesamt eine Fläche von etwa 2 ha auf.
Der Bebauungsplan ist in der Fassung der 1. Änderung seit Februar 1988 rechts- wirksam.
Das Flurstück 31 ist als Gewerbegebiet (GE), die Flurstücke 43, 44 und 89 sind als
Industriegebiet (GI) festgesetzt. Die Flächen sind im Hinblick auf die Art der dort zulässigen
Betriebe und Anlagen sowie deren besondere Bedürfnisse und Eigenschaften
entsprechend dem Abstandserlass gegliedert. In der Planurkunde sind Abstandsradien
dargestellt, die die jeweiligen Abstände zum nächstliegenden Wohngebiet kennzeichnen.
Das Plangebiet, liegt im Osten der Ortslage B. zwischen den Straßen T1.---------ring , T2.----
-----straße , Parallelstraße und I. Straße (B 70).
Im Geltungsbereich des Bebauungsplans sind nach dem unwidersprochen gebliebenen
Vortrag des Antragstellers sowohl kleinere Handwerksbetriebe als auch Betriebe des
produzierenden Gewerbes, Einzelhandelsbetriebe und Freizeitanlagen angesiedelt.
Das auf dem Flurstück 44 aufstehende gewerblich genutze Gebäude beansprucht eine
Grundfläche von etwas mehr als 3.000 qm. Das Flurstück 89 ist sowohl mit einem
Wohnhaus als auch mit einem gewerblich genutzten Gebäude - etwa 750 qm Grundfläche -
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bebaut. Die Flurstücke 31 und 43 sind unbebaut.
Am 22. Februar 2000 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die 2. Änderung des
Bebauungsplans Nr. 11 - B. Ost - Teil 2 Blatt 3 "von-C. -Straße" aufzustellen und öffentlich
auszulegen. Ziel der Planänderung war die Einschränkung des Einzelhandels in Gewerbe-
und Industriegebieten. Der Beschluss wurde am 1. März 2000 öffentlich bekannt gemacht.
Die öffentliche Auslegung des Planentwurfs erfolgte in der Zeit vom 8. März bis
einschließlich 7. April 2000. Die Träger öffentlicher Belange wurden beteiligt. In seiner
Sitzung vom 18. Mai 2000 befand der Rat über die während der öffentlichen Auslegung des
Planentwurfs eingegangenen Anregungen der Bürger und der Träger öffentlicher Belange
und beschloss die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 11 - B. Ost - Teil 2 Blatt 3 "von-C. -
Straße" als Satzung. Der Satzungsbeschluss wurde am 26. Juni 2000 ortsüblich bekannt
gemacht.
Zeitgleich wurden entsprechende Änderungsverfahren für vierzehn weitere
Bebauungspläne beziehungsweise Teilbebauungspläne eingeleitet und durchgeführt.
Die angegriffene Planänderung beinhaltet folgende textliche Festsetzungen:
(1) In dem GE-Gebiet/GI-Gebiet sind Einzelhandelsbetriebe sowie sonstige
Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Ver-braucher nicht zulässig,
wenn das angebotene Sortiment ganz oder teilweise folgende Waren (Neu- und
Gebrauchtwaren) enthält:
01. Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren 02. Medizinische und orthopädische Artikel,
kosmetische Artikel und Körperpflegemittel, Drogerieartikel 03. Haustextilien, Kurzwaren,
Schneidereibedarf, Handarbeiten, Handarbeitsbedarf sowie Me- terware für Bekleidung
und Wäsche 04. Bekleidung, Bekleidungszubehör und Kürschnerwaren 05. Schuhe, Leder-
und Täschnerwaren 06. Beleuchtungsartikel 07. Haushaltsgegenstände aus Eisen, Metall
und Kunststoff 08. Feinkeramik und Glaswaren für den Haushalt 09. Heimtextilien und
Teppiche 10. Holz-, Korb-, Kork-, Flecht-, Schnitz- und Formstoffwaren (ohne Möbel) sowie
pflanzliche Flechtstoffe 11. Kinderwagen 12. Elektrische Haushaltsgeräte 13. Alarm- und
Sicherheitsgeräte 14. Rundfunk-, Fernseh- und phonotechnische Geräte und Zubehör 15.
Musikinstrumente und Musikalien 16. Bücher, auch in Form von elektronischen
Publikationen, Zeitschriften, Zeitungen, Schreibwaren und Bürobedarf 17.
Kunstgegenstände, Bilder, kunstgewerbliche Erzeugnisse, Briefmarken, Münzen, Galan-
teriewaren und Geschenkartikel 18. Blumen, Pflanzen, zoologischer Bedarf, lebende Tiere
und Sämereien 19. Feinmechanische, Foto- und optische Erzeugnisse 20. Büromaschinen,
Geräte und Einrichtungen für die automatisierte Datenverarbeitung sowie Software 21.
Endgeräte der Kommunikationstechnik (am Ende der Postleitung) 22. Uhren,
Edelmetallwaren und Schmuck 23. Spielwaren, Fest- und Scherzartikel, Feuerwerksartikel,
Bastelsätze für den Modellbau, zum Schmelzen, Brennen, Emaillieren, Batiken,
Modellieren, Gießen u.ä., Bastelbedarf 24. Fahrräder, Fahrradteile und -zubehör 25. Sport-
und Campingartikel (ohne Campingmöbel, Sport- und Freizeitboote) 26.
Organisationsmittel für Bürozwecke 27. Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel, Bürstenwaren
28. Handelswaffen, Munition, Jagd- und Angelgeräte 29. Antiquitäten, Sammlungen und
Sammlungsstücke, Antiquariate
(2) Ausnahmsweise zugelassen werden können Einzelhandelsbetriebe sowie sonstige
Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher, wenn 1. das
zulässige Sortiment durch einzelne der in der vorstehenden Liste aufgeführten Warenarten
ergänzt wird, ohne dass Auswirkungen i.S. des § 11 (3) BauNVO zu erwarten sind, 2. das
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angebotene Sortiment ausschließlich zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet
arbeitenden Bevölkerung dient oder 3. das angebotene Sortiment aus eigener Herstellung
stammt und der Betrieb aufgrund der von ihm ausgehenden Belästigungen oder Störungen
typischerweise nur in einem Gewerbe- oder Industriegebiet zulässig ist (§ 1 (5) und (9)
BauNVO).
Die Planänderung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass gewerbliche Bauflächen
vorwiegend der Unterbringung von Betrieben des produzierenden und verarbeitenden
Gewerbes dienten und durch die nunmehr getroffenen Festsetzungen die
Inanspruchnahme gewerblicher Bauflächen durch Einzelhandelsbetriebe und sonstige
Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher verhindert
werden solle. Einzelhandelsbetriebe, einschließlich ladenmäßig betriebener Handwerks-
und sonstiger Dienstleistungsbetriebe dienten vorwiegend der Versorgung der
Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen. Sie sollten ihren Standort in Abhängigkeit
von ihrer Versorgungsfunktion entweder in den Wohngebieten oder in den zentralen
Bereichen der Stadt und ihrer Ortsteile finden. Durch den Ausschluss beziehungsweise die
Einschränkung des Einzelhandels an anderen als den genannten Standorten solle
sichergestellt werden, dass neue Einzelhandelsbetriebe - einzeln oder im
Zusammenwirken mit anderen Einzelhandelsbetrieben - die verbrauchernahe Versorgung
der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs an Wohnstandorten sowie die Funktion
und Attraktivität der zentralen Bereiche als Handels- und Versorgungszentren nicht
gefährdeten. Einzelhandelsbetriebe, deren Ansiedlung in den Versorgungszentren der
Stadt nicht möglich oder wünschenswert sei (zum Beispiel Möbelmärkte, Bau- und
Heimwerkermärkte, Gartencenter oder Kraftfahrzeughandel), sollten, soweit sie für die
allgemeine Versorgung der Bevölkerung von Bedeutung seien, an geeigneten, möglichst
innenstadtnahen Standorten zusammengefasst werden, etwa auf dem ehemaligen
Betriebsgelände der Baumwollspinnerei H. an der Parallelstraße. Sonstige
Einzelhandelsbetriebe und Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte
Verbraucher, die nicht solche im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 seien, könnten
gerade in kleinen Orten oder Ortsteilen dieselben nachteiligen städtebaulichen
Auswirkungen haben, wie die in dieser Vorschrift genannten Einzelhandelsbetriebe. § 15
BauNVO, der die allgemeinen Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und
sonstiger Anlagen regele, sei in seinen Anwendungsmöglichkeiten begrenzt und daher im
Hinblick auf die Ziele der Planung als Regulativ ungeeignet. Aus diesem Grunde setze der
Bebauungsplan fest, dass in den Gewerbe- und Industriegebieten Einzelhandelsbetriebe
nicht zulässig seien, wenn das angebotene Sortiment ganz oder teilweise Waren enthalte,
die typischerweise der städtebaulichen Integration bedürften.
Der Antragsteller hat am 24. April 2002 den Normenkontrollantrag gestellt.
Er trägt vor, die Planänderung sei unter Verletzung des Abwägungsgebotes zu Stande
gekommen. Die textlichen Festsetzungen erfassten sämtliche Einzelhandelsnutzungen,
unabhängig davon, ob diese bei verantwortlicher Beurteilung innenstadtrelevant seien oder
nicht. Aus der Planbegründung ergebe sich nicht, dass sich die Antragsgegnerin - etwa
durch eine Markt- und/oder Standortuntersuchung - hinreichendes Abwägungsmaterial
beschafft habe. Weder die Auswirkungen der Einzelhandelseinschränkung noch deren
Notwendigkeit seien auch nur ansatzweise ermittelt worden. So seien beispielsweise
objektiv nicht innenstadtrelevante Branchen wie Büromaschinen, Sport- und
Campingartikel, Blumen, Pflanzen und Sämereien oder Organisationsmittel für Bürozwecke
erfasst. Städtebauliche Gründe für die Einzelhandelseinschränkung fehlten. Eine konkrete
Gefährdung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen
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Bedarfs werde nicht nachgewiesen. Im Ergebnis bezwecke der Plangeber
Wettbewerbsschutz für die Einzelhandelsbetriebe in den Zentren der Stadt und eine
Begünstigung der von der Antragsgegnerin selbst vorgehaltenen Gewerbeflächen. Die
Aufzählung der ausgeschlossenen Warengruppen sei unbestimmt. Die Unbestimmtheit
folge aus der Vielzahl der aufgelisteten Waren, die - im Hinblick auf partielle
Überschneidungen und Ungenauigkeiten - ein diffuses Regelungsgeflecht schafften, bei
welchem der Bauantragsteller nicht abschätzen könne, inwieweit seinem Antrag
entsprochen werde. So seien einerseits Möbel von dem Einzelhandelsausschluss nicht
erfasst, andererseits aber Antiquitäten undifferenziert ausgeschlossen. Der Begriff
"elektrische Haushaltsgeräte" sei inhaltlich nicht bestimmbar. Die Aufzählung sei
widersprüchlich, soweit Möbel zulässig, Büromöbel dagegen unzulässig seien.
Branchenspezifischen Besonderheiten werde nicht Rechnung getragen. Es sei
schlechterdings nicht vorstellbar, dass ein Möbelhandel sein Sortiment um Heimtextilien,
Teppiche, Holz-, Kork-, Flecht-, Schnitz- und Formstoffware bereinigen könne. Gleiches
gelte für die in Möbelhäusern üblicherweise angebotenen Beleuchtungsartikel. Letztlich
lasse die Auflistung die Realität des Marktgeschehens und die Beteiligungsformen des
Handels, die fortlaufenden Veränderungen unterworfen seien, außer Betracht. Die
Nutzungsinteressen der Grundstückseigentümer seien nicht genügend berücksichtigt
worden. Ziffer 2 der textlichen Festsetzungen sei unbestimmt, da unklar sei, ob die unter 1
bis 3 getroffenen Regelungen kumulativ oder alternativ gelten sollen. Unklar sei auch,
welchen Umfang die ausnahmsweise zulässige Sortimentsergänzung durch an sich
ausgeschlossene Waren habe dürfe. Der Antragsteller beantragt,
die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 11 - B. Ost - Teil 2 Blatt 3 "von-C. -Straße" der
Antragsgegnerin für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, zur Sicherung der sich aus der Bebauungsplanbegründung ergebenden
Planungsziele sei es erforderlich, den zentren- beziehungsweise
nahversorgungsrelevanten Einzelhandel an städtebaulich nicht integrierten Standorten
auszuschließen. Bei den Gewerbe- und Industriegebieten im Plangebiet handele es sich
ausnahmslos um Standorte, die nach ihrer Lage nicht geeignet seien,
Nahversorgungsfunktionen zu übernehmen und die auch nicht dem Innenstadtbereich
zuzuordnen seien. Hohe Fluktuation, zunehmende Leerstände und erkennbare Trading-
Down-Ansätze gefährdeten die Innenstadt als Handels- und Versorgungszentrum und
damit ihre Funktion insgesamt. Die so skizzierten Mängel seien augenscheinlich und
bedürften keiner umfassenden Analyse um ein Planerfordernis zu begründen. Das
"Entwicklungskonzept Innenstadt B. " auf dessen Grundlage der Rat am 23. Mai 2002 die
förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets Innenstadt als Satzung beschlossen habe,
solle eine Vielzahl von Maßnahmen zur Stärkung der Attraktivität und Funktionsfähigkeit
der Innenstadt, zur Beseitigung funktionaler und gestalterischer Mängel sowie zur
Förderung privater Investitionen im Hinblick auf deren räumliche, sachliche, zeitliche und
finanzielle Durchführung koordinieren. Das Entwicklungskonzept solle in den nächsten
Jahren Schritt für Schritt, beginnend mit der Umgestaltung der Fußgängerzone, umgesetzt
werden. Die auf städtebaulich nicht integrierte Standorte bezogene
Einzelhandelseinschränkung solle dazu beitragen, die Ziele des Entwicklungskonzeptes
und die damit verbundenen öffentlichen und privaten Investitionen zu sichern. Angesichts
der Dichte der Nahversorgungsstandorte im Stadtgebiet seien weitere Standorte,
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insbesondere Standorte ohne Nahversorgungsfunktion nicht erforderlich. Die Zulassung
von Einzelhandelsbetrieben mit nahversorgungsrelevantem Sortiment an Standorten, die
aufgrund ihrer Lage keine Nahversorgungsfunktion erfüllten, würde angesichts der
bestehenden Sättigung zu keiner Ergänzung der Nahversorgungsstruktur führen, sondern
eine Umverteilung zu Lasten vorhandener Nahversorgungsstandorte bewirken. Damit
würde das Planungsziel, die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des
täglichen Bedarfs an Wohnstandorten zu stärken, konterkariert. Das städtebauliche Ziel,
wonach gewerbliche Bauflächen vorwiegend der Unterbringung von Betrieben des
produzierenden und verarbeitenden Gewerbes dienten, stehe selbstständig neben den
vorstehend dargestellten Planungszielen. Zur Sicherung dieser Zielsetzung wäre es
eigentlich erforderlich, den Einzelhandel insgesamt auszuschließen. Der Plangeber habe
jedoch auf eine derart weitgehende Beschränkung des Einzelhandels verzichtet, weil für
bestimmte großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentren- oder
nahversorgungsrelevantem Sortiment außerhalb der Gewerbe- und Industriegebiete keine
geeigneten Flächen zur Verfügung stünden. Für solche Betriebe - Möbelmärkte, Bau- und
Heimwerkermärkte, Gartencenter - könnten als Randsortiment ausnahmsweise auch die in
Ziffer 1 aufgelisteten Waren zugelassen werden, sofern Auswirkungen im Sinne des § 11
Abs. 3 BauNVO nicht zu erwarten seien. Diese Differenzierung berücksichtige marktübliche
Gegebenheiten. Die Bestimmtheit der getroffenen Festsetzungen stehe außer Frage. Die
im Einzelnen aufgelisteten Waren seien - auch unter Berücksichtigung der örtlichen
Verhältnisse - als zentren- oder nahversorgungsrelevant einzustufen. Soweit die
Regelungen in Ziffer 2 durch das Wort "oder" verbunden seien, würden sie alternativ
gelten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Aufstellungsvorgänge (Beiakte Heft 5), des Entwicklungskonzeptes
Innenstadt B. (Beiakte Heft 6) sowie auf den Flächennutzungsplan und die vorgelegten
Bebauungsplanurkunden (Beiakten Hefte 1 bis 4) ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der zulässige Normenkontrollantrag ist begründet. Die 2. Änderung des Bebauungsplans
Nr. 11 - B. Ost - Teil 2 Blatt 3 "von-C. -Straße" der Antragsgegnerin ist unwirksam.
Der textlichen Festsetzung (1), die die Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben und
sonstigen Gewerbebetrieben mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher in
GE- und GI-Gebieten durch den Ausschluss von bestimmten Waren erheblich einschränkt,
fehlt die erforderliche städtebauliche Rechtfertigung.
§ 1 Abs. 5 und 9 BauNVO gestatten - soweit die allgemeine Zweckbestimmung des
Baugebiets gewahrt bleibt und besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen - den
Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben differenziert nach Branchen oder Sortimenten,
wenn die Differenzierung marktüblichen Gegebenheiten entspricht.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1998 - 4 BN 31.98 -, BRS 60 Nr. 29.
Eine auf die vorgenannten Vorschriften gestützte Planung muss mit Argumenten begründet
werden, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben und geeignet
sind, die jeweilige Abweichung von den in den §§ 2 bis 10 BauNVO vorgegebenen
Gebietstypen zu tragen. Das "Besondere" an den städtebaulichen Gründen nach § 1 Abs. 9
BauNVO besteht nicht notwendig darin, dass die Gründe von größerem oder im Verhältnis
zu § 1 Abs. 5 BauNVO zusätzlichem Gewicht sein müssen. Vielmehr ist mit "besonderen"
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städtebaulichen Gründen in § 1 Abs. 9 BauNVO gemeint, dass es spezielle Gründe gerade
für die gegenüber § 1 Abs. 5 BauNVO noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen
Nutzungen geben muss.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 77.84 -, BRS 47 Nr. 58.
Die vom Rat der Antragsgegnerin für die Einzelhandelseinschränkung benannten Gründe
tragen die Festsetzung nicht.
Unter B 1. heißt es in der Planbegründung, gewerbliche Bauflächen dienten vorwiegend
der Unterbringung von Betrieben des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes.
Durch die Einschränkung des Einzelhandels solle verhindert werden, dass gewerbliche
Bauflächen durch Einzelhandelsbetriebe und sonstige Gewerbebetriebe mit
Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher in Anspruch genommen würden.
Der erste Satz dieses Begründungsteils offenbart ein falsches Verständnis der §§ 8 und 9
BauNVO im Hinblick auf die allgemeine Zweckbestimmung von Ge- werbe- und
Industriegebieten, die offenkundig gemeint sind, wenn von "gewerblichen Bauflächen" die
Rede ist. Nach § 8 Abs. 1 BauNVO dienen Gewerbegebiete vorwiegend der Unterbringung
von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Maßgebliches Kriterium für die
Wahrung der Zweckbestimmung ist mithin das Störungspotenzial, das ein Gewerbebetrieb
aufweist. Ob es sich bei einem Gewerbebetrieb um einen produzierenden oder
verarbeitenden Betrieb handelt, ist dagegen im Rahmen des § 8 BauNVO ohne Bedeutung.
Dementsprechend sind gemäß § 8 Abs. 2 BauNVO in GE-Gebieten neben
Gewerbebetrieben aller Art - zu denen auch Handels- und Dienstleistungsbetriebe gehören
- beispielsweise öffentliche Betriebe, Büro- und Verwaltungsgebäude sowie Anlagen für
sportliche Zwecke allgemein zulässig, soweit von ihnen keine erheblichen Belästigungen
ausgehen. Eine Rangfolge der aufgezählten Nutzungsarten in dem Sinne, dass etwa
produzierende oder verarbeitende Betriebe bezogen auf die allgemeine Zweckbestimmung
des Baugebietes Vorrang genießen, gibt die Baunutzungsverordnung nicht vor.
Für Industriegebiete gemäß § 9 BauNVO gilt prinzipiell nichts anderes. Nach Abs. 1 dieser
Vorschrift dienen Industriegebiete ausschließlich der Unterbringung von
Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten
unzulässig sind. Der Regelungszusammenhang mit den §§ 2 bis 8 BauNVO zeigt, dass
auch für die allgemeine Zweckbestimmung von Industriegebieten maßgeblich auf den
Störfaktor abzustellen ist, den ein Gewerbebetrieb darstellt. Vorwiegend sollen in
Industriegebieten solche Gewerbebetriebe angesiedelt werden, von denen erhebliche
Belästigungen ausgehen. Es mag zwar sein, dass in der Realität Betriebe des
produzierenden beziehungsweise verarbeitenden Gewerbes häufig zu den erheblich
belästigenden Gewerbebetrieben im Sinne des § 9 BauNVO zählen, doch rechtfertigt diese
mehr oder weniger zufällige Überschneidung im Einzelfall nicht den in der Vorschrift an
keiner Stelle angelegten Schluss, Industriegebiete dienten überwiegend der Unterbringung
produzierender und verarbeitender Betriebe. Allgemein zulässig sind vielmehr
Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze, öffentliche Betriebe und Tankstellen.
Sofern der in die Planbegründung aufgenommene Satz, wonach gewerbliche Bauflächen
vorwiegend der Unterbringung von Betrieben des produzierenden und verarbeitenden
Gewerbes dienten, entgegen seinem Wortlaut nicht die vom Rat der Antragsgegnerin
angenommene objektiv-rechtliche Ausgangssituation für die Festsetzung eines GE- oder
GI-Gebietes beschreibt, sondern so zu verstehen ist, dass nach dem Willen des Rates
sämtliche als GE- oder GI-Gebiet festgesetzten Flächen im Plangebiet - und in den übrigen
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von der Satzung erfassten Bebauungsplänen und Teilbebauungsplänen - vorwiegend dem
produzierenden und verarbeitenden Gewerbe vorbehalten bleiben sollen, ist die konkret
vorgenommene Einschränkung des Einzelhandels zur Erreichung dieses Ziels ungeeignet.
Zwar kann unter Umständen ein vollständiger Einzelhandelsausschluss für Gewerbe- und
Industriegebiete - verbunden mit weiteren Nutzungsausschlüssen - mit der städtebaulichen
Zielsetzung gerechtfertigt werden, die überplanten Flächen vorwiegend produzierenden
und verarbeitenden Betrieben vorzubehalten, nicht aber ein Einzelhandelsausschluss, der -
wie hier - nur bestimmte Warengruppen erfasst und im Übrigen die gesamte
Nutzungspalette der §§ 8 Abs. 2 und 9 Abs. 2 BauNVO unberührt lässt. Da
Einzelhandelsbetriebe, deren Kernsortiment beispielsweise aus Kraftfahrzeugen, Möbeln
sowie Bau- und Heimwerkerbedarf besteht, ebenso genehmigungsfähig sind wie
Dienstleistungs- und Großhandelsbetriebe oder andere flächenintensive Nutzungen wie
Tankstellen, Lager-häuser, Speditionen oder Anlagen für sportliche Zwecke, vermag die
Festsetzung eine Vorhaltung von Flächen für produzierendes und verarbeitendes Gewerbe
in keiner Weise zu sichern. Dies räumt auch die Antragsgegnerin in ihrer
Antragserwiderung ein, wenn sie ausführt, zur Sicherung der besagten Zielsetzung sei es
eigentlich erforderlich gewesen, den Einzelhandel insgesamt auszuschließen. Die
mitgelieferte Erklärung, wonach auf eine derart weitgehende Beschränkung des
Einzelhandels verzichtet worden sei, weil für bestimmte großflächige
Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentren- oder nahversorgungsrelevantem Sortiment
außerhalb der Gewerbe- und Industriegebiete keine geeigneten Flächen zur Verfügung
stünden, entzieht dem hier in Rede stehenden Begründungselement jegliche Schlagkraft.
Sie macht deutlich, dass der Plangeber die Bauflächen in den GE- und GI-Gebieten
entgegen seiner erklärten Absicht eben nicht vorrangig den produzierenden und
verarbeitenden Gewerbebetrieben vorbehalten, sondern sie be-wusst auch für die
Ansiedlung flächenintensiver Handelsnutzungen offen halten wollte. Das allgemeine
Offenhalten aller GE- und GI-Gebiete im Plangebiet - und in den anderen von der Satzung
erfassten Bebauungsplan- und Teilbebauungsplangebieten - für flächenintensive
Handelsnutzungen steht zudem im Widerspruch zur Planbegründung, in der es heißt,
Einzelhandelsbetriebe, deren Ansiedlung in den Versorgungszentren der Stadt nicht
möglich oder wünschenswert sei (zum Beispiel Möbelmärkte, Bau- und Heimwerkermärkte,
Gartencenter oder Kraftfahrzeughandel), sollten, soweit sie für die allgemeine Versorgung
der Bevölkerung von Bedeutung seien, an geeigneten, möglichst innenstadtnahen
Standorten zusammengefasst werden, etwa auf dem ehemaligen Betriebsge-lände der
Baumwollspinnerei H. an der Parallelstraße.
Der Ausschluss von Einzelhandel mit bestimmten Warensortimenten wäre mit der
gewählten Begründung allenfalls dann zu rechtfertigen, wenn der Rat - durch Tatsachen
gestützt - plausibel dargelegt hätte, dass gerade der von dem konkret ausgeschlossenen
Einzelhandel ausgehende Ansiedlungsdruck im Stadtgebiet oder im Bereich des
Bebauungsplans eine Verdrängung des verarbeitenden und produzierenden Gewerbes
aus den GE- und GI-Gebieten erwarten lässt, während von den sonstigen in den GE- und
GI-Gebieten allgemein zulässigen Nutzungen eine solche Verdrängungswirkung nicht
ausgeht. Darlegungen dieser Art sind in den Bebauungsplanunterlagen nicht einmal
ansatzweise vorhanden.
Nach allem liegt der Aussage, die gewerblichen Bauflächen vorwiegend dem
produzierenden und verarbeitenden Gewerbe vorbehalten zu wollen, kein schlüssiges
Plankonzept zu Grunde.
Ein weiteres Begründungselement für die Einschränkung des Einzelhandels durch die
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textliche Festsetzung (1) findet sich in der Planbegründung unter B 2. Dort heißt es,
Einzelhandelsbetriebe sollten ihren Standort in Abhängigkeit von ihrer
Versorgungsfunktion entweder in den Wohngebieten oder in den zentralen Bereichen der
Stadt und ihrer Ortsteile haben. Durch den Ausschluss beziehungsweise die
Einschränkung des Einzelhandels an anderen als den genannten Standorten solle
sichergestellt werden, dass neue Einzelhandelsbetriebe - einzeln oder im
Zusammenwirken mit anderen Einzelhandelsbetrieben - die verbrauchernahe Versorgung
der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs an Wohnstandorten sowie die Funktion
und Attraktivität der zentralen Bereiche als Handels- und Versorgungszentren nicht
gefährdeten.
Wenn - wie hier - Einzelhandel mit ausgewählten Warensortimenten im Hinblick auf seine
"Zentrenschädlichkeit" ausgeschlossen werden soll, bedarf es konkreter Angaben dazu,
weshalb jegliche Form von Einzelhandel der besagten Art - würde er im betroffenen
Baugebiet angesiedelt - die gewachsenen Einzelhandelsstrukturen in den Zentren der
Gemeinde unabhängig von der Art und dem Umfang des jeweiligen Warenangebots
schädigen würde. Auch der Einzelhandelserlass von 1996 geht unter 2.2.5 davon aus,
dass das Anbieten der darin als zentrenrelevant bezeichneten Warensortimente
regelmäßig nur dann negative Auswirkungen auf die Zentrenstruktur einer Gemeinde
erwarten lässt, wenn es überdimensioniert an nicht integrierten Standorten erfolgt. Die
Planbegründung lässt jegliche Angaben zur Einzelhandelsstruktur in den Zentren des
Stadtgebietes vermissen. Insbesondere fehlt eine auf diese Zentren bezogene Bestands-
aufnahme, die die Grundlage für Aussagen über die Zentrenschädlichkeit bestimmter,
andernorts angebotener Waren bilden könnte. Einer solchen aussagekräftigen
Planungsgrundlage bedarf es vor allem dann, wenn - wie hier - eine den Einzelhandel stark
einschränkende Festsetzung getroffen werden soll, die die ausgeschlossenen
Warengruppen übermäßig differenziert und nach der der Ausschluss weit mehr
Warengruppen erfasst, als in der Anlage 1 Teil A des Einzelhandelserlasses als
zentrenrelevant genannt sind. Das vorgelegte "Entwicklungskonzept Innenstadt B. "
vermag eine auf den Einzelhandel in den Stadtzentren bezogene Bestandsaufnahme in
keiner Weise zu ersetzen. Es befasst sich vorwiegend mit Verkehrsführung und
gestalterischen Aspekten der Innenstadtentwicklung. Einzelhandel spielt in diesem
Konzept untergeordnet nur insoweit eine Rolle, als im Innenstadtbereich eine Markthalle
vorgesehen ist und die Flächen des ehemaligen Kirmesplatzes zum Teil als
Einzelhandelsflächen ent-wickelt werden sollen. Differenzierte Angaben zu Warengruppen,
Verkaufsflächen, Umsatzzahlen, Ansiedlungsmöglichkeiten usw. fehlen vollständig.
Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für den Fall, dass Einzelhandel mit
ausgewählten Warengruppen an bestimmten Standorten ausgeschlossen werden soll, um
die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs an
Wohnstandorten zu sichern. Auch insoweit bedarf es konkreter - hier fehlender - Angaben
dazu, weshalb jeglicher im Plangebiet stattfindender Handel mit
"nahversorgungsrelevanten" Gütern die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung an
bestimmten anderen Stellen des Gemeindegebietes gefährden würde.
Die textliche Festsetzung (2) ist insgesamt unklar formuliert und bedarf der Auslegung.
Nr. 1 dieser Festsetzung ist so auszulegen, dass diejenigen Einzelhandelsbetriebe und
sonstigen Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher, die
unter Berücksichtigung der in der textlichen Festsetzung (1) enthaltenen
Warenausschlüsse in den GE- und GI-Gebieten zulässig sind, ihr Sortiment
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ausnahmsweise durch einzelne der in der Liste der textlichen Festsetzung (1) aufgeführten
Warenarten ergänzen dürfen, wenn durch die Ergänzung Auswirkungen im Sinne des § 11
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nicht zu erwarten sind.
Die so zu verstehende Festsetzung widerspricht letztlich dem Planungskonzept, da nach
den sich aus der Planbegründung ergebenden Vorstellungen des Rates jeglicher Verkauf
von Waren aus der in der textlichen Festsetzung (1) enthaltenen Liste die Versorgung der
Bevölkerung im Einzugsbereich des Betriebes und die Entwicklung zentraler
Versorgungsbereiche in der Gemeinde gefährdet und somit Auswirkungen im Sinne des §
11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO hat.
Der Begriff der "Ergänzung" ist zudem ungenau, denn er beinhaltet eine Beschränkung,
deren Reichweite nicht annähernd festgelegt ist. Insbesondere vermag der Adressat der
Vorschrift nicht zu erkennen, in welchem Umfang die in der textlichen Festsetzung (1)
aufgelisteten Warenarten ergänzend angeboten werden dürfen. Zwar können textliche
Festsetzungen in einem Bebauungsplan auch mit unbestimmten Rechtsbegriffen getroffen
werden, wenn sich ihr näherer Inhalt unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und
des erkennbaren Willens des Normgebers erschließen lässt,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1995 - 4 NB 3.95 -, BRS 57 Nr. 26 = BauR 1995,
S. 662,
doch fehlt es hier gerade an der Bestimmbarkeit des Festsetzungsinhalts. Der Senat
versteht die Festsetzung als eine solche, die vor allem die Zulässigkeit von
"zentrenrelevanten" Randsortimenten regeln soll. Im Einzelhandelserlass heißt es dazu
unter 2.2.5, das Randsortiment diene der Ergänzung des Angebots und müsse sich dem
Kernsortiment deutlich unterordnen. Dass der Rat diese Formu-lierung des
Einzelhandelserlasses im Auge hatte, lässt sich nicht feststellen, da er sich nicht auf den
Erlass bezogen hat. In jedem Fall hätte er aber kenntlich machen müssen, was er unter
einer "deutlichen Unterordnung" versteht, denn auch dieser Begriff ist nicht bestimmt
genug, um eine sichere Handhabung in der Praxis zu gewährleisten. Ob dem Begriff
"Ergänzung" neben der quantitativen auch eine qualitative Bedeutung insoweit zukommen
soll, als das "zulässige Sortiment" und die "ergänzenden Warenarten" in irgendeiner Weise
zusammenpassen müssen, ist weder der Planbegründung noch den übrigen
Planunterlagen zu entnehmen.
Die textliche Festsetzung (2) Nr. 2 ist so auszulegen, dass Einzelhandelsbetriebe sowie
sonstige Gewerbebetriebe mit Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher -
vorbehaltlich der Regelungen in § 11 Abs. 3 BauNVO - in den GE- und GI-Gebieten
ungeachtet der angebotenen Waren unbeschränkt zulässig sind, wenn das jeweils
angebotene Sortiment ausschließlich zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet
arbeitenden Bevölkerung dient.
Die Festsetzung ist ebenfalls unbestimmt. Wann ein Sortiment im Sinne der Festsetzung
"zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung dient", ergibt
sich weder aus der Planbegründung noch aus den sonstigen Aufstellungsvorgängen. Zwar
ist der in § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO verwendete Rechtsbegriff der "Deckung des täglichen
Bedarfs" an sich ohne erhebliche Schwierigkeiten so auszulegen, dass er der Verwaltung
keine uferlose und durch die gerichtliche Überprüfung nicht mehr eingrenzbare
Ermächtigung eröffnet,
vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Februar 1968 - 4 C 190 und 191.65 -,
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doch stellt sich hier - weil auf den täglichen Bedarf der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung
abgestellt ist - die Frage, ob damit der tägliche Bedarf allgemein oder nur der sich während
der täglichen Arbeitszeit ergebende Bedarf gemeint sein soll. Insoweit ist die Festsetzung
nicht eindeutig. Wenn der tägliche Bedarf allgemein gemeint sein sollte, das heißt den im
Gebiet arbeitenden Personen Gelegenheit gegeben werden soll, dort vor oder nach der
Arbeit ihre täglichen Einkäufe zu erledigen, wäre Einzelhandel in einem größeren Umfang
und mit einem anderen Warenangebot zulässig als im Falle der anderen Auslegungs-
variante.
Ebenso wenig eindeutig ist die Abgrenzung des Gebiets, das den Maßstab für den
zulässigen Kundenkreis bilden soll. Der Plangeber könnte sich dabei das gesamte
jeweilige Bebauungsplangebiet, die Gesamtheit der im jeweiligen Plangebiet festgesetzten
Industrie- und Gewerbeflächen oder auch nur die einzelne als GI- oder GE-Gebiet
festgesetzte Fläche vorgestellt haben. Abgesehen von der Unbestimmtheit der Festsetzung
fehlt auch die Ermächtigungsgrundlage für die Ausnahmeregelung. Auf § 1 Abs. 5 und 9
BauNVO kann sich der Plangeber insoweit nicht stützen.
Der Bebauungsplan beziehungsweise dessen Begründung müssen erkennen lassen, dass
mit den Festsetzungen nach § 1 Abs. 9 BauNVO ein bestimmter Typ von baulichen oder
sonstigen Anlagen erfasst wird. Die Erläuterung des vom planerischen Zugriff erfassten
Anlagentyps ist nicht gleichzusetzen mit den nach § 1 Abs. 9 BauNVO erforderlichen
besonderen städtebaulichen Gründen. Es bedarf vielmehr einer eigenständigen
Begründung dafür, warum die beschriebenen Anlagen eine bestimmte Art von Anlagen
darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 77.84 -, a.a.O.
§ 1 Abs. 9 BauNVO erweitert die Festsetzungsweise auf Nutzungsunterarten, welche die
Baunutzungsverordnung selbst nicht anführt. Ziel der Vorschrift ist es, die allgemeinen
Differenzierungsmöglichkeiten der Baugebietstypen nochmals einer "Feingliederung"
unterwerfen zu können, um die Vielfalt der Nutzungsarten im Plangebiet zu mindern.
Jedoch muss sich der Ausschluss auf eine Nutzungsart beziehen, die es in der sozialen
und ökonomischen Realität bereits gibt. § 1 Abs. 9 BauNVO eröffnet keine Befugnis der
Gemeinde, neue Nutzungsarten zu "erfinden". Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 1998 -
4 BN 31.98 -, BRS 60 Nr. 29. Nach diesen Grundsätzen ist die Festsetzung, nach der
Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, wenn das jeweils angebotene Sortiment
ausschließlich zur Deckung des täglichen Bedarfs der im Gebiet arbeitenden Bevölkerung
dient, nicht von § 1 Abs. 9 BauNVO gedeckt. Die Festsetzung beschreibt keine
Nutzungsart, die es bereits in der sozialen und ökonomischen Realität gibt.
Die textliche Festsetzung (2) Nr. 3 ist so auszulegen, dass Gewerbebetriebe mit
Verkaufsflächen für den Verkauf an letzte Verbraucher in den GE- und GI-Gebie-ten
ungeachtet der angebotenen Waren unbeschränkt zulässig sind, wenn das jeweils
angebotene Sortiment aus eigener Herstellung stammt, die Waren im selben GE-
beziehungsweise GI-Gebiet hergestellt werden und der Betrieb auf Grund der von ihm
ausgehenden Belästigungen oder Störungen typischerweise nur in einem GE- oder GI-
Gebiet zulässig ist.
Die Beschränkung der Privilegierung auf Betriebe, die auf Grund der von ihnen
ausgehenden Belästigungen oder Störungen typischerweise nur in einem GE- oder GI-
Gebiet zulässig sind, ist städtebaulich nicht hinreichend begründet. Das
Begründungselement, die Flächen dem produzierenden und verarbeitenden Gewerbe
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vorbehalten zu wollen, würde - wäre es nicht ohnehin ungeeignet, die getroffenen
Festsetzungen zu rechtfertigen - die Beschränkung nicht tragen. Produzierendes oder
verarbeitendes Gewerbe ist nicht zwingend mit Belästigungen oder Störungen verbunden,
die über die Mischgebietsverträglichkeit hinausgehen. Sonstige Gründe für die
Ungleichbehandlung produzierender beziehungsweise verarbeitender
mischgebietsverträglicher Gewerbebetriebe sind nicht ersichtlich. Im Übrigen wird die nach
§ 1 Abs. 7 BauGB erforderliche Abwägung der öffentlichen und privaten Belange den
besonderen Anforderungen, die bei der Änderung eines Bebauungsplans zu erfüllen sind,
nicht gerecht.
Der Senat kann bei der im Normenkontrollverfahren gebotenen objektiven Prüfung den
Bebauungsplan auch auf solche Abwägungsfehler untersuchen, die der Antragsteller mit
seinem Normenkontrollantrag nicht geltend gemacht hat, denn die Frist des insoweit noch
maßgeblichen § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F., wonach Mängel der Abwägung unbeachtlich
werden, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren seit Bekanntmachung der Satzung
schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind, ist noch nicht
abgelaufen. Die Unbeachtlichkeit eines Abwägungsfehlers gemäß § 215 Abs. 1 Nr. 2
BauGB a.F. hängt von zwei Voraussetzungen ab, nämlich dem Fristablauf und dem
Nichtvorliegen einer Mängelrüge. Die Frist ist ein entscheidendes Element der
Fehlerfolgenregelung. Erst nach Ablauf der festgelegten Zeit soll, wenn niemand eine
Rüge erhoben hat, der an sich beachtliche Fehler unbeachtlich werden. Bis zum Fristablauf
ist die uneingeschränkte Kontrolle eines Bebauungsplans auf Abwägungsfehler möglich
und im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz auch geboten.
Besteht - wie hier - ein Recht zur Bebauung, kommt der normativen Entziehung oder
Beschränkung desselben erhebliches Gewicht zu, das sich im Rahmen der Abwägung
auswirken muss. Beim Erlass wie bei der Änderung eines Bebauungsplans muss daher im
Rahmen der planerischen Abwägung das private Interesse am Erhalt bestehender
baulicher Nutzungsrechte mit dem öffentlichen Interesse an der gewollten städtebaulichen
Neuordnung des Plangebiets abgewogen werden. Dabei ist in die Abwägung einzustellen,
dass sich der Entzug der baulichen Nutzungsmöglichkeiten für den Betroffenen wie eine
(Teil-)Enteignung auswirken kann. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1
BvR 1402/01 - BRS 60 Nr. 6 = NVwZ 2003, S. 727 = BauR 2003, S. 1338 = NuR 2003, S.
350.
Demnach setzt eine ordnungsgemäße Abwägung voraus, dass alle maßgeblichen
Gesichtspunkte in den Abwägungsprozess eingestellt werden und der Rat von einem
zutreffenden Sachverhalt ausgeht. Die von Amts wegen gebotene Ermittlung der
abwägungsrelevanten Gesichtspunkte erfordert bei der Überplanung eines teilweise
bereits bebauten Gebiets eine erkennbare Bestandsaufnahme. In welchem Umfang eine
solche Bestandsaufnahme im Einzelnen zu erfolgen hat, lässt sich nicht allgemein
beantworten. Der erforderliche Umfang der Bestands-aufnahme bestimmt sich jeweils nach
den Planungsabsichten der Gemeinde und demjenigen, was hierbei relevant in die
Abwägung einzustellen ist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. August 1989 - 4 NB 24.88 -, BRS 49 Nr. 22.
Dieser allgemeine Grundsatz erlangt bei der Überplanung von vorhandenen Industrie- und
Gewerbegebieten besondere Bedeutung, wenn im Plangebiet künftig bestimmte
Nutzungen ausgeschlossen sein sollen und damit möglicherweise bereits vorhandene
Nutzungen unzulässig und nur auf den Schutz des Bestandes beschränkt werden. Die
Beachtung der Belange der Wirtschaft (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 BauGB) verlangt mehr als die
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Berücksichtigung des durch Art. 14 GG garantierten Bestandsschutzes. Sie beinhaltet auch
die Abwägung etwaiger in den Blick genommener Kapazitätserweiterungen und
Modernisierungen von Anlagen, die zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit notwendig sind.
Hiervon ausgehend musste sich der Plangeber bei einer Planung der vorliegenden Art im
Rahmen der Aufbereitung des Abwägungsmaterials - auch ohne dass es entsprechender
Hinweise Planbetroffener bedurft hätte - Klarheit darüber verschaffen, welche Folgen
insbesondere die von ihm beabsichtigten Nutzungsausschlüsse für die weitere Existenz
der bereits vorhandenen Gewerbebetriebe haben konnten. Er hatte zu gewichten, ob etwa
eintretende negative Folgen für den Fortbestand und die diesen sichernde weitere
Entwicklungsmöglichkeit bereits vorhandener Nutzungen gegenüber den anderen, mit dem
Plan verfolgten Zielsetzungen die Planentscheidung rechtfertigten.
Nichts davon ist geschehen. Der angegriffenen Planänderung liegt nicht einmal eine
konkrete Bestandserhebung für den Geltungsbereich des Bebauungsplans zu Grunde.
Vielmehr hat der Rat die vorhandenen Betriebe - wie sich aus der Planbegründung ergibt -
gänzlich undifferenziert auf den Bestandsschutz verwiesen.
Der vorstehend festgestellte Abwägungsmangel ist auch erheblich im Sinne des § 214 Abs.
3 Satz 2 BauGB a.F., denn er ist offensichtlich und auf das Abwä- gungsergebnis von
Einfluss gewesen.
Ein Mangel ist offensichtlich, wenn konkrete Umstände positiv und klar auf einen solchen
Mangel hindeuten. Das ist hier der Fall. Die mangelhafte Aufbereitung des
Abwägungsmaterials ergibt sich aus den Aufstellungsvorgängen und der Planbegründung.
Auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist ein Abwägungsmangel dann, wenn
nach konkreter Betrachtungsweise die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung besteht.
Davon ist hier auszugehen. Hätte der Rat den Bestand im Plangebiet - und in den anderen
von der Satzung erfassten Bebauungsplan- und Teilbebauungsplangebieten - untersucht,
hätte er möglicherweise andere Festsetzungen - beispielsweise nach § 1 Abs. 10 BauNVO
- getroffen, um den Belangen der in den GE- und GI-Gebieten bereits angesiedelten
Gewerbebetriebe im Einzelfall gerecht zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in
Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht
gegeben sind.