Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 06.02.2003

OVG NRW: grundstück, dachgeschoss, aufschiebende wirkung, nutzungsänderung, wohngebäude, öffentliche bekanntmachung, einfluss, wohnung, wohnhaus, duldung

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 A 3666/99
Datum:
06.02.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 A 3666/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 9 K 7800/97
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger begehren von dem Beklagten die Erteilung einer
Nutzungsänderungsgenehmigung. Sie sind Eigentümer des Grundstücks I. straße 4 in
Heiligenhaus. Sie errichteten auf dem Grundstück gemäß Baugenehmigung vom 26.
Oktober 1995 und Nachtragsgenehmigung vom 11. Juli 1996 ein zweigeschossiges
Bürogebäude mit ausgebautem Dachgeschoss und Doppelgarage. In dem
Bürogebäude, das eine Geschossfläche von insgesamt 587,40 qm hat, betreiben die
Kläger eine Industrievertretung mit sieben Mitarbeitern. Im Obergeschoss des
westlichen Gebäudeteils befindet sich eine ca. 83 qm große Wohnung, die gemäß § 8
Abs. 3 BauNVO als Wohnung für Betriebsinhaber/Betriebsleiter genehmigt (insoweit
durch Baulast gesichert) und an den hauptberuflich anderweitig beschäftigten
Hausmeister vermietet ist.
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Das klägerische Grundstück liegt in einem Bereich, für den im Jahre 1989 die
Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 46 "Reithalle/I. -Südost" beschlossen wurde. In
seiner Sitzung vom 25. August 1999 hob der Rat der Stadt Heiligenhaus den früheren
Aufstellungsbeschluss auf und beschloss die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 46 "I.
-Südost", der das Vorhabengrundstück erfasst und hierfür die Festsetzung
Gewerbegebiet mit besonderen Einschränkungen vorsieht. Weiterhin beschloss der Rat
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eine auf diesen Planbereich bezogene Veränderungssperre. Die öffentliche
Bekanntmachung der Satzung über die Veränderungssperre erfolgte am 1. September
1999. Die zweijährige Geltungsdauer der Veränderungssperre wurde durch
Ratsbeschluss vom 31. Juli 2001, öffentlich bekannt gemacht am 15. August 2001, bis
zum 31. August 2002 und sodann nochmals durch Dringlichkeitsbeschluss vom 27.
August 2002, bekannt gemacht am 31. August 2002 und bestätigt durch Ratsbeschluss
vom 18. September 2002, bis zum 1. September 2003 verlängert. Der letzten
Verlängerung, die mit dem Erfordernis weiterer Bodenuntersuchungen aus Anlass eines
Anschüttungsfundes im November 2001 und einem Neuplanungsbedarf wegen einer
geänderten Trassenführung der geplanten A 44 begründet wurde, stimmte die
Bezirksregierung Düsseldorf durch Verfügung vom 28. August 2002 zu.
Die Nutzung der Grundstücke in der näheren Umgebung des Grundstücks der Kläger
stellt sich wie folgt dar:
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Das nördlich angrenzende Grundstück I. straße 4a ist mit einem
eineinhalbgeschossigen Wohnhaus bebaut und für allgemeine Wohnzwecke mit Stall
genehmigt. Der auf dem Grundstück ferner betriebene Textilzwischenhandel ist, soweit
ersichtlich, baurechtlich (noch) nicht genehmigt. Das nordöstlich angrenzende
Grundstück mit der Bezeichnung W. Straße 188, das im Eigentum der Stadtwerke
Heiligenhaus steht, ist mit einem Wasserbehälter, einer Pumpstation und einem - für
betriebliche Zwecke genehmigten - Wärterhaus bebaut. In diesem wohnt die Witwe des
ehemaligen Leiters der Stadtwerke. Nach Osten schließen sich Flächen an, die von
einer Gärtnerei genutzt werden und auf denen sich Gewächshäuser und Nebengebäude
sowie ein an den Betrieb gebundenes Wohngebäude (vgl. Nutzungsdarstellungen in BA
Hefte 24 und 25) befinden. Gegenüber der Gärtnerei, südlich der I. straße, befinden sich
auf einem Gelände der Stadtwerke mehrere Wasserhochbehälter sowie ein zugehöriges
Funktionsgebäude. Das südlich der I. straße, gegenüber dem Grundstück der Kläger,
gelegene Haus I. straße 7 wurde durch Bauschein vom 2. August 1977 als Büro- und
Wohnhaus genehmigt. Die in dem Haus befindliche Wohneinheit war durch Baulast
vom 13. Juli 1977 als Wohnung für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie
Betriebsinhaber und -leiter an den gewerblichen Betrieb auf dem Grundstück I. straße
11 gebunden. Nach Herausparzellierung des Hausgrundstücks I. straße 7 löschte der
Beklagte Ende 1995 von Amts wegen die bestehende Baulast für das Wohnhaus I.
straße 7. Das Haus dient derzeit sowohl im Erdgeschoss als auch in dem darüber
liegenden Dachgeschoss allgemeiner Wohnnutzung. Der im Jahre 1999 als Ladenlokal
genehmigte Anbau (Wintergarten) wird als Ausstellungs- und Verkaufsfläche für einen
Textilhandel genutzt. Das Haus I. straße 9 wurde ausweislich der Bauakten als
Bürogebäude mit betrieblicher Wohnung genehmigt. Es wird außer für eine bei der
Gewerbemeldestelle als "Versicherungsagentur" und "Immobilienmakler" angemeldete
gewerbliche Tätigkeit überwiegend für allgemeine Wohnzwecke genutzt. Das
Grundstück I. straße 11, auf dem sich eine Lagerhalle und ein Bürogebäude befinden
und das große, teilweise befestigte Freiflächen aufweist, wurde ursprünglich von einem
Transportunternehmen genutzt. Dieses erweiterte später seinen Betrieb auf einen
Abschleppdienst und Kfz-Handel. Nach gewerblicher Abmeldung des Unternehmens im
Jahre 1986 erfolgten auf dem Grundstück zunächst betriebliche Tätigkeiten eines
Metall- und Grundstoffverarbeitungsbetriebs mit Schmelzanlage und später eine
Aufbereitung von Rohstoffen und Großhandel. Hierfür war eine Genehmigung gemäß §§
4 und 6 BImSchG erteilt worden. Die Gewerbeeinstellung erfolgte im Februar 1998.
Seitdem wird das Grundstück als Abstellfläche für LKW und Trafos genutzt. Diese
Nutzung wurde durch Baugenehmigung vom 11. Januar 2001 nachträglich genehmigt.
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Hiergegen haben die Kläger Nachbarwiderspruch erhoben, über den - soweit ersichtlich
- noch nicht entschieden worden ist. Das Grundstück I. straße 2 weist Produktions- und
Büroräume einer Elektrotechnik-Firma auf, die sich vornehmlich mit der Fertigung von
Trafos befasst. Auf dem Nachbargrundstück I. straße 4 steht eine große Halle, die von
derselben Firma gewerblich genutzt wird. Auf dem Grundstück I. straße 1 - 3, das im
Eigentum einer Speditionsfirma steht, befinden sich eine große Lagerhalle, ein
Bürogebäude und mehrere Betriebswohnungen. Das Grundstück, das etwa 3 m tiefer
liegt als das Grundstück der Kläger (I. straße 4) und das Grundstück I. straße 4a und
deshalb zu den genannten Grundstücken hin durch senkrechte Stützmauern gesichert
ist, verfügt des Weiteren über ausgedehnte, asphaltierte Freiflächen (Abstellflächen für
LKW und Ladeeinheiten, Rangierzonen, sowie eine Gebäudeumfahrung entlang der
östlichen und südlichen Grundstücksgrenzen). Die Errichtung der baulichen Anlagen
erfolgte auf der Grundlage der Baugenehmigung vom 19. Oktober 1972, die u.a. die
Auflage enthält, dass die "Lautstärke der verursachten Betriebsgeräusche , gemessen
0,5 m vor dem Fenster des nächsten Nachbarn im Gewerbegebiet tagsüber 65 dB(A)
und nachts 50 dB(A) nicht überschreiten" darf. Das Betriebsgelände wird nach Angaben
des Inhabers der Speditionsfirma im Ortstermin zweiter Instanz Tag und Nacht von den
LKW der Firma und der beauftragten Subunternehmen angefahren und wieder
verlassen. Auf dem Grundstück W. Straße 160/160a/162 befinden sich im südlichen
Teil, zur I. straße hin orientiert, ein Schreinereigebäude und im nördlichen Teil, zur W.
Straße (Bundesstraße B 227) hin ausgerichtet, zwei Wohngebäude, die allgemeiner
Wohnnutzung dienen.
Am 4. November 1996 beantragten die Kläger, noch bevor das genehmigte
Bürogebäude fertiggestellt war, eine Nutzungsänderungsgenehmigung für die
Umwandlung von Räumen, für die eine gewerbliche Nutzung genehmigt war, in je eine
Wohnung im Obergeschoss und im Dachgeschoss. Die Räume, die in den der
ursprünglichen Baugenehmigung zugrunde liegenden Bauvorlagen als
Aufenthaltsraum, Teeküche, Lager, Bad und Loggia (Obergeschoss) bzw. als Archiv,
Abstellraum und Loggia (Dachgeschoss) gekennzeichnet sind, nehmen insgesamt eine
Geschossfläche von etwa 87 qm ein. Das Gebäude ist abweichend von den
genehmigten Bauvorlagen um ca. 28 cm zu hoch errichtet worden. Dies erklärt sich im
Wesentlichen durch eine nachträgliche Erhöhung des Drempels im Dachgeschoss.
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Durch Bescheid vom 18. Dezember 1996 lehnte der Beklagte die begehrte
Nutzungsänderung ab. Er führte aus, das Vorhaben füge sich nicht in die als
Gewerbegebiet zu beurteilende Umgebung ein. Eine Notwendigkeit für
betriebsbezogenes Wohnen sei nicht nachgewiesen. Die Nutzungsänderung sei auch
städtebaulich nicht vertretbar, da Wohnbebauung die plangewollte Nutzung des
Gebietes als Gewerbegebiet zurückdrängen würde. Die im Baugebiet vorhandenen
Wohnhäuser I. straße 4a, 7 und 9 seien unbeachtlich, da diese die Umgebung nicht
beherrschten. Prägend seien die gewerblichen Baukörper I. straße 2, 3, 4, I. straße 11
sowie die Versorgungsanlagen des Wasserwerks - Wasserbehälter - östlich des
klägerischen Grundstücks.
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Den gegen den ablehnenden Bescheid erhobenen Widerspruch der Kläger wies der
Oberkreisdirektor des Kreises Mettmann durch Widerspruchsbescheid vom 20. August
1997 im Wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Die Zulassung einer
allgemeinen Wohnnutzung verstieße gegen das Gebot der nachbarlichen
Rücksichtnahme. Das Grundstück der Kläger grenze im Westen an einen
Speditionsbetrieb an. Der Betriebsinhaber habe im Rahmen der Anhörung bereits
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darauf hingewiesen, dass er bei der Nutzung des Hauses der Kläger als reines
Wohnhaus Beschwerden der Mieter befürchte. Diese Befürchtungen seien nicht
unbegründet, zumal auch während der Nachtzeit LKW das Betriebsgelände anführen
und verließen. Die übrigen im fraglichen Bereich gelegenen Wohngebäude lägen weiter
von dem Speditionsbetrieb entfernt.
Mit ihrer Klage haben die Kläger vorgetragen, ihr Vorhaben sei planungsrechtlich
zulässig. Ferner bestehe dringender Wohnbedarf in Heiligenhaus. Nachbarrechte
würden durch die Zulassung einer weiteren Wohnnutzung neben der bereits auf fünf
Grundstücken in der näheren Umgebung vorhandenen Wohnnutzung nicht
beeinträchtigt.
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Die Kläger haben beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, ihnen unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheides
vom 18. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des
Oberkreisdirektors des Kreises Mettmann vom 20. August 1997 die Genehmigung zur
Nutzungsänderung der im Obergeschoss links (Sozialeinheit) sowie der im
Dachgeschoss links des Hauses I. straße 4 in Heiligenhaus gelegenen Gewerbeflächen
zu Wohnzwecken zu erteilen.
11
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
bezogen.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das angefochtene Urteil stattgegeben und
den Beklagten zur Erteilung der begehrten Nutzungsänderungsgenehmigung
verpflichtet. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des
Verwaltungsgerichts Bezug genommen.
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Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Beklagte vor: Das
Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der prägenden
Umgebungsbebauung des Vorhabens nicht um ein homogenes Baugebiet im Sinne
eines faktischen Gewerbegebietes (§ 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 8 BauNVO)
handele und dass das geplante Vorhaben sich nach § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere
Umgebung einfüge. Die Umgebung des zu beurteilenden Vorhabens werde maßgeblich
durch die Grundstücke der Spedition und der Trafo-Firma geprägt. Die in dem Bereich
vorhandene singuläre Wohnnutzung führe nicht dazu, eine Gemengelage oder ein
Mischgebiet anzunehmen. Die Wohnnutzung stelle vielmehr einen klassischen
"Fremdkörper" in einem Gewerbegebiet dar. Selbst wenn das Gebiet nicht nach § 34
Abs. 2, sondern nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen wäre, wäre das angefochtene
Urteil fehlerhaft. Das geplante Vorhaben füge sich nämlich deshalb nicht in die Eigenart
der durch Gewerbebetriebe geprägten Umgebung ein, da es sich stärkeren
Belästigungen aussetzen würde als die bereits vorhandene Wohnnutzung. Dieser
könne nämlich entgegengehalten werden, dass eventuelle Abwehransprüche gegen die
gewerbliche Nutzung in der Umgebung verjährt bzw. verwirkt seien. Überdies dürfe das
geplante Vorhaben auch deshalb nicht genehmigt werden, weil seine Zulassung zu
ungesunden Wohnverhältnissen führen würde. Die Klage könne ferner deshalb keinen
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Erfolg haben, weil der Rat der Stadt Heiligenhaus in seiner Sitzung vom 25. August
1999 einen Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 46 "I. - Südost", der das
Plangrundstück erfasse, und eine auf diesen Planbereich bezogene
Veränderungssperre beschlossen habe. Schließlich sei das Vorhaben auch aus
bauordnungsrechtlichen Gründen nicht genehmigungsfähig. Das vorhandene Gebäude
sei wegen der von der Baugenehmigung abweichenden Bauweise formell illegal. Auf
eine Nutzungsänderung eines solchen Vorhabens bestehe kein Anspruch. Abgesehen
davon halte es als Wohnbauvorhaben die erforderliche Tiefe der Abstandflächen
gegenüber mehreren Nachbargrundstücken nicht ein.
Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
17
Die Kläger beantragen,
18
die Berufung zurückzuweisen,
19
hilfsweise,
20
den Beklagten zu verpflichten, die begehrte Baugenehmigung zur Sicherung der
Abstandfläche mit einer Nebenbestimmung gemäß § 7 BauO NRW zu versehen,
21
weiter hilfsweise,
22
den Beklagten zur Erteilung einer Bebauungsgenehmigung zu verpflichten.
23
Sie tragen vor: Das Verwaltungsgericht habe der Klage zu Recht stattgegeben. Die
erstrebte Nutzungsänderungsgenehmigung sei planungsrechtlich genehmigungsfähig.
Das Verwaltungsgericht habe zutreffend kein homogenes Baugebiet im Sinne des § 34
Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 8 BauNVO angenommen. Die Umgebungsbebauung
werde in größerem Umfang von allgemeiner Wohnnutzung durchzogen. Dies betreffe
die Grundstücke I. straße 4a, I. straße 7 und 9, W. Straße 160/162, W. Straße 188 und I.
straße 13. Kleinere gewerbliche Nutzungen (Textilzwischenhandel, Ladenlokale, kleine
Näherei) seien für ein Gewerbegebiet im Sinne des § 8 BauNVO nicht typisch. Sie
könnten nach Art und Umfang ohne Weiteres in einem Mischgebiet, wenn nicht sogar in
einem allgemeinen Wohngebiet, zulässigerweise ausgeübt werden. Das geplante
Vorhaben sei auch nicht rücksichtslos. Aus der Nähe des Wohngebäudes zur
Gebäudeumfahrung auf dem Speditionsgelände könne ein Rücksichtnahmeverstoß
nicht abgeleitet werden, da es für die Umfahrung an einer baurechtlichen Genehmigung
fehle. Unabhängig davon müsse die Spedition bereits jetzt auf die vorhandene
Wohnnutzung Rücksicht nehmen und erleide durch das hinzutretende Vorhaben keine
immissionsschutzrechtlichen Nachteile. Der Hinweis des Beklagten auf eine angebliche
Verjährung/Verwirkung von Nachbarrechten sei nicht verständlich, da aus einem etwa
rechtswidrigen Verhalten der Spedition in der Vergangenheit kein Vertrauensschutz für
die Zukunft hergeleitet werden könne. Die Ordnungsbehörde könne bei Verstößen
gegen Lärmschutzauflagen jederzeit zur Gefahrenabwehr einschreiten. Im Übrigen
hätten jüngste Überprüfungen vor Ort ergeben, dass die Spedition nur geringe
nächtliche Betriebsaktivitäten entfalte. Hierzu werde auf die die Zeit vom 16. Juni bis 1.
Juli 2002 betreffende Dokumentation Bezug genommen. Auch die beschlossene
Veränderungssperre könne dem mit der Klage verfolgten Anspruch nicht
entgegengehalten werden. Die Veränderungssperre sei ihnen, den Klägern, gegenüber
bereits abgelaufen. Auch Bauordnungsrecht stehe der Erteilung der beantragten
24
Nutzungsänderungsgenehmigung nicht entgegen. Zwar überschreite das Gebäude die
nach den Bauvorlagen genehmigte Höhe um bis zu 30 cm. Die beabsichtigte
Drempelerhöhung sei aber seinerzeit zwischen dem Architekten F. bzw. dem Bauleiter
E. und der Mitarbeiterin im Bauordnungsamt T. erörtert worden. Diese habe die
Notwendigkeit eines Nachtragsbauantrags verneint. Es sei seit Jahrzehnten
unbeanstandete Verwaltungspraxis des Bauordnungsamtes des Beklagten gewesen,
Nachträge, soweit sie offensichtlich genehmigungsfähig gewesen seien, auf bloße
Anzeige hin in die genehmigten Bauvorlagen aufzunehmen. Der in den Bauvorlagen
befindliche Vermerk der Mitarbeiterin T. , wonach das Architektenbüro zur Einreichung
eines Nachtrags aufgefordert worden sei, gebe den Gesprächsinhalt nicht richtig wieder.
Das folge auch aus dem Schreiben des Zeugen E. vom 18. März 1996, in dem dieser
ausdrücklich um einen Hinweis gebeten habe, ob ein Nachtrag erforderlich sei.
Angesichts dessen verhalte sich der Beklagte in hohem Maße treuwidrig, wenn er heute
die begehrte Nutzungsänderungsgenehmigung unter Hinweis auf eine von den
Bauvorlagen abweichende Bauausführung und ein angebliches Erlöschen der
Ursprungsbaugenehmigung verweigere. Diese Fragen einschließlich der Frage der
Einhaltung der Abstandflächen stünden nicht mehr zur Prüfung. Im Übrigen wäre aber
auch hinsichtlich der Abstandflächenunterschreitungen eine Abweichung gemäß § 73
BauO NRW auszusprechen. Denn die Abstandflächen lägen, soweit sie bei Anwendung
des Faktors 0,8 teilweise das Nachbargrundstück in Anspruch nähmen, auf einer
privaten Verkehrsfläche, die nicht überbaut werden dürfe, da sie die einzige
Erschließung für das Hintergrundstück darstelle. Gegebenenfalls könne der Beklagte
die Baugenehmigung auch mit einer Nebenbestimmung gemäß § 7 BauO NRW
versehen.
Der Berichterstatter hat am 23. Mai 2002 eine Ortsbesichtigung durchgeführt. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift
Bezug genommen.
25
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der
Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgängen des Beklagten. Diese waren Gegenstand
der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
26
Entscheidungsgründe:
27
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
28
Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch das
angefochtene Urteil zu Unrecht stattgegeben. Sie ist sowohl hinsichtlich des
Hauptantrags als auch hinsichtlich der beiden - erstmals im Berufungsverfahren
gestellten - Hilfsanträge unbegründet.
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I. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihnen die mit dem
Hauptantrag begehrte Baugenehmigung zur Umnutzung bürogenutzter in allgemein
wohngenutzte Räume in ihrem Hause I. straße 4 in Heiligenhaus erteilt.
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Das Vorhaben der Kläger ist nicht genehmigungsfähig, da ihm öffentlich- rechtliche
Vorschriften des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts entgegenstehen (§ 75 Abs. 1
Satz 1 BauO NRW).
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1. Die - genehmigungspflichtige - Nutzungsänderung ist bereits bauplanungsrechtlich
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unzulässig. Das Vorhaben verstößt gegen § 34 Abs. 1 (a) und 2 (b) BauGB sowie gegen
Bestimmungen der Veränderungssperre (c).
a) Da ein Bebauungsplan für das Grundstück der Kläger nicht existiert und der in
Aufstellung befindliche Bebauungsplan Nr. 46 "I. -Südost", der für das klägerische
Grundstück die Festsetzung "Gewerbegebiet" trifft, noch nicht rechtswirksam ist, beurteilt
sich das Vorhaben planungsrechtlich ausschließlich nach § 34 BauGB. Dessen
Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
33
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten
Ortsteile - um einen solchen handelt es sich hier - zulässig, wenn es sich nach Art und
Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut
werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung
gesichert ist. Das Vorhaben fügt sich jedenfalls seiner Art nach nicht in die Eigenart der
näheren Umgebung ein.
34
Der gemäß § 34 Abs. 1 BauGB als "nähere Umgebung" den Beurteilungsmaßstab für
das Einfügen bildende Bereich, der so weit reicht, wie sich die Ausführung des zur
Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits
den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst,
35
vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1998 - 4 B 79.98 -, BRS 60 Nr. 176,
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besteht im vorliegenden Fall aus der Bebauung südlich der - nach Norden hin eine
Zäsur bildenden - Bundesstraße B 227 zwischen I. straße und I. straße sowie der
Bebauung beidseits der I. straße zwischen B 227 und Einmündung der I. straße und
beidseits der I. straße zwischen B 227 und Einmündung in die I. straße.
37
Hinsichtlich der Frage, ob sich ein Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt,
ist - gleichsam auf der ersten Stufe der Betrachtung - alles an Bebauung in den Blick zu
nehmen ist, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Auszuscheiden ist
allerdings von vornherein jegliche Bebauung, die nicht genehmigt oder dauerhaft
geduldet ist.
38
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1998 - 4 B 29.98 -, BRS 60 Nr. 82 und vom
11. Februar 2000 - 4 B 1.00 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 197; OVG NRW,
Beschluss vom 26. Oktober 1999 - 10 A 1941/98 -.
39
Eine Beschränkung auf das, was von der vorhandenen Bebauung städtebaulich
wünschenswert oder auch nur vertretbar ist, darf insoweit nicht vorgenommen werden.
40
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, BRS 50 Nr. 75.
41
Nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung bestimmt jedoch ihren
Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung - zweitens - auf das Wesentliche
zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die vorhandene
Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind zum
einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild
(Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren
Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande
wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff "Fremdkörper" nichts zu tun, sondern
42
ist Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Zum anderen können auch
solche Anlagen aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung
auszusondern sein, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber
nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung
anzutreffenden Bebauung herausfallen. Das wird namentlich dann anzunehmen sein,
wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht.
In Betracht kommen insbesondere solche baulichen Anlagen, die nach ihrer - auch
äußerlich erkennbaren - Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig sind.
Sie erlangen die Stellung eines "Unikats" umso eher, je einheitlicher die nähere
Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz ihrer deutlich in Erscheinung tretenden
Größe und ihres nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen
sie nicht deren Eigenart, weil sie wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägt vom
übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert dastehen.
Grundlage für ein solches Ausklammern ist zwar auch das tatsächlich Festgestellte; als
Ergebnis beruht es aber auf einer überwiegend wertenden Betrachtung. Derartige
Anlagen dürfen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung aber nur dann
als "Fremdkörper" ausgeklammert werden, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit und
Einzigartigkeit den Charakter ihrer Umgebung letztlich nicht beeinflussen können. Ob
dies der Fall ist, muss - auf einer dritten Stufe - unter Würdigung des tatsächlich
Vorhandenen ermittelt werden. Ausschlaggebend kann erneut die Größe der
andersartigen Anlage sein. Einzelne bauliche Anlagen von stark abweichendem
Charakter können nach Ausdehnung, Zahl und anderen Quantitätsmerkmalen ein
solches Gewicht entfalten, dass sie trotz ihrer herausstechenden Andersartigkeit in einer
abweichend und verhältnismäßig einheitlich strukturierten Umgebung ihrerseits
tonangebend wirken. Dafür kommen neben der Größe des Gebäudes auch die
Ausstrahlungswirkungen (Immissionen) einer einzelnen baulichen Anlage auf die
nähere Umgebung in Betracht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, a.a.O.
43
Die hiernach erforderliche Betrachtung der maßgeblichen Bebauung ergibt im
vorliegenden Fall Folgendes:
44
Als Bebauung, nach deren Nutzung sich die Eigenart der näheren Umgebung bestimmt,
sind zunächst die auf dem Grundstück der Kläger vorhandenen baulichen Anlagen
anzusehen.
45
Vgl. dazu, dass auch das jeweilige Vorhabengrundstück in die Betrachtung
einzubeziehen ist, BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, BRS 50 Nr. 75.
46
Es handelt sich um ein zweigeschossiges Gebäude mit ausgebautem Dachgeschoss,
das ausweislich der den Klägern erteilten Baugenehmigung vom 26. Oktober 1995 mit
Ausnahme einer 83 qm großen betriebsgebundenen Wohnung vollständig einer
Büronutzung dient. Beide genehmigten Nutzungen sind gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2
(Bürogebäude) bzw. Abs. 3 Nr. 1 (Wohnungen u.a. für Aufsichts- und
Bereitschaftspersonen) BauNVO in einem Gewerbegebiet zulässig.
47
Das nördlich angrenzende Grundstück I. straße 4a ist gemäß Baugenehmigung vom 31.
Juli 1951 mit einem Einfamilienwohnhaus in eineinhalbgeschossiger Bauweise bebaut.
Es dient allgemeiner Wohnnutzung. Auf dem Grundstück wird ferner ein
Textilzwischenhandel betrieben, der nach der dem Senat vorliegenden Hausakte
48
indessen baurechtlich nicht genehmigt ist.
Das nordöstlich an das Klägergrundstück angrenzende Grundstück mit der
Bezeichnung W. Straße 188, das im Eigentum der Stadtwerke Heiligenhaus steht, ist
entsprechend der Baugenehmigung vom 17. Dezember 1956 u.a. mit einem
betriebsbezogenen Wärterhaus bebaut. In diesem wohnten ursprünglich der Leiter der
Stadtwerke und seine Ehefrau. Es handelte sich mithin um eine Nutzung im Sinne des §
8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Nach dem Versterben des Leiters der Stadtwerke wird das
Haus allein noch von dessen - betagter - Witwe bewohnt. Es kann dahinstehen, ob darin
nunmehr faktisch eine allgemeine Wohnnutzung zu sehen ist. Diese könnte jedenfalls
die rechtlich maßgebliche Eigenart der Grundstücksnutzung nicht prägen, da es an
einer dauerhaften Duldung durch die zuständige Behörde fehlt.
49
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1998 - 4 B 29.98 -, a.a.O. und vom 11.
Februar 2000 - 4 B 1.00 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 1999 - 10 A
1941/98 - .
50
Eine dauerhafte Duldung im vorstehenden Sinne kann insbesondere nicht darin
gesehen werden, dass der Beklagte im Laufe des vorliegenden Verfahrens Kenntnis
von der fraglichen Nutzung erhalten hat und hiergegen zur Zeit ersichtlich nicht
einschreiten will. Für die Annahme einer derartigen Duldung bedarf es Handlungen
oder Willensäußerungen der Behörde, aus denen unmissverständlich geschlossen
werden kann, dass sie sich auf Dauer mit dem illegalen Zustand abgefunden hat.
51
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 1965 - IV B 108.65 -, Buchholz 406.11 § 35
BBauG Nr.23.
52
Von einer solchen Fallgestaltung kann hier keine Rede sein. Es ist offensichtlich, dass
der Beklagte, wie er auch im Ortstermin II. Instanz zum Ausdruck gebracht hat, aus
Rücksichtnahme auf das hohe Alter der Bewohnerin und deren besondere
Lebenssituation ("Alte Bäume verpflanzt man nicht") eine etwaige
bauplanungsrechtliche Fehlnutzung vorübergehend hinnimmt. Damit wird aber der
grundsätzlich betriebliche Charakter des Wohnhauses nicht in Frage gestellt.
53
So auch OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 1999 - 10 A 1941/98 - (Duldung einer
illegalen Wohnnutzung bis zum Auszug bzw. Versterben der gegenwärtigen Mieter).
54
Für erkennbar befristete Duldungen gilt nämlich nichts anderes als für befristete oder
widerruflich genehmigte Nutzungen, die ebenfalls nicht in der Lage sind, die Eigenart
der näheren Umgebung zu prägen.
55
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1998 - 4 B 29.98 -, BRS 60 Nr. 82.
56
Nach Osten schließen sich an das Wärterhaus ein Wasserbehälter der Stadtwerke und
mehrere Pumpstationen an, die als Bestandteile eines "öffentlichen Betriebs" im Sinne
des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO grundsätzlich (nur) in einem Gewerbegebiet zulässig sind.
Das Gleiche gilt für die auf der gegenüber liegenden Seite der I. straße befindlichen drei
Wasserhochbehälter und ein Funktions(Trafo- )gebäude.
57
Das am östlichen Ende der I. straße, unmittelbar vor deren Einmündung in die
Bundesstraße, gelegene Grundstück wird durch einen Gartenbaubetrieb genutzt. Auf
58
dem Grundstück sind sowohl gärtnerisch genutzte Freiflächen als auch ein
Gewächshaus, mehrere sonstige Funktionsgebäude und ein dem betrieblichen Wohnen
vorbehaltenes Gebäude vorhanden.
Südlich der I. straße befindet sich auf dem Grundstück I. straße 7 ein Gebäude, das
ausweislich der Baugenehmigung vom 2. August 1977 als Büro- und Wohnhaus
errichtet worden ist. Die Wohnung war gemäß Baulast vom 13. Juli 1977 ausschließlich
für Aufsichtspersonen bzw. Betriebsinhaber oder Betriebsleiter vorbehalten (§ 8 Abs. 3
Nr. 1 BauNVO). Seinerzeit war das Grundstück I. straße 7 noch Bestandteil des
Grundstücks I. straße 11. Die Nutzung der Wohnung war daher an den auf dem
Grundstück I. straße 11 ausgeübten Gewerbebetrieb (Transportunternehmen)
gebunden. Nach gewerblicher Abmeldung des Unternehmens im Jahre 1986 wurde der
Teil des Grundstücks, auf dem das Wohngebäude steht, herausparzelliert und durch
Teilungsgenehmigung vom 16. September 1988 abgetrennt. Am 7. Dezember 1995
löschte der Beklagte von Amts wegen die für die Wohnnutzung bestehende Baulast im
Hinblick auf die Teilungsgenehmigung. Seitdem findet in dem Wohnhaus faktisch
allgemeine Wohnnutzung statt. Die Löschung der Baulast hat indessen lediglich den
Fortfall des Sicherungsmittels der Betriebsbezogenheit der Wohnnutzung bewirkt. Im
Übrigen hat sie den Bestand der Baugenehmigung (mit dem Inhalt einer ausschließlich
betriebsbezogenen Nutzung) unberührt gelassen. Eine Prägung des Grundstücks in
Richtung auf eine allgemeine Wohnnutzung ergibt sich daraus jedenfalls nicht. Durch
Baugenehmigung vom 19. April 1999 wurde des Weiteren die Errichtung eines Anbaus
an das vorhandene Wohngebäude für Zwecke eines Textilhandels genehmigt. Auf den
Textilhandel weist ein Schild "O. ", das straßennah aufgestellt ist, hin. Während des
Ortstermins II. Instanz wurde der Anbau als Verkaufsraum genutzt, in dem zahlreiche
Kleiderständer mit Textilien aufgestellt waren. Insgesamt vermittelt das Grundstück -
unter Berücksichtigung der Genehmigungslage - eher den Eindruck einer gewerblichen
als einer Wohnnutzung.
59
Das weiter südlich gelegene Hinterliegergrundstück I. straße 9 weist ein Gebäude auf,
das durch Baugenehmigung vom 6. Januar 1989 als Bürogebäude mit Wohnräumen für
den Betriebsinhaber genehmigt worden ist. Ausweislich einer Auskunft der
Gewerbemeldestelle ist in dem Haus u.a. eine
"Versicherungsagentur/Immobilienmakler" gemeldet. Nach den im Ortstermin II. Instanz
gewonnenen Erkenntnissen (Klingelschilder) spricht allerdings einiges dafür, dass das
Gebäude gegenwärtig zumindest teilweise, möglicherweise auch überwiegend
allgemeiner Wohnnutzung unterliegt. Das rechtfertigt indessen nicht die Annahme, es
liege eine dauerhafte Duldung einer solchen Nutzung vor. Auch insoweit gilt, dass eine
dauerhafte Duldung nicht darin gesehen werden kann, dass der Beklagte nicht
unverzüglich gegen die ihm im Laufe des vorliegenden Verfahrens bekannt gewordene
Fehlnutzung eingeschritten ist. Abgesehen davon, dass dem Beklagten ein
angemessener zeitlicher Spielraum für seine Sachverhaltsprüfung und seine
Entscheidung, ob und wie er bauordnungsrechtlich vorgehen wolle, zugebilligt werden
muss, setzt eine dauerhafte Duldung mehr als ein Untätigbleiben voraus. Erforderlich
wären Bekundungen oder Handlungen des Beklagten, aus denen die Betroffenen
unmissverständlich hätten schließen können, dass der illegale Zustand auf Dauer
geduldet werden soll. Für eine solche Fallgestaltung liegen Anhaltspunkte nicht vor.
Den Gebietscharakter prägende Wirkung entfaltet eine etwaige (teilweise Fehl-)
Nutzung daher nicht.
60
Das Grundstück I. straße 11, das ursprünglich von einem Transportunternehmen
61
(Baugenehmigung vom 25. Mai 1979) , später mit Abschleppdienst und Kfz-Handel,
sodann von einem Metall- und Grundstoffverarbeitungsbetrieb mit Schmelzanlage und
später durch eine Firma zur Aufbereitung von Rohstoffen und für Großhandelszwecke
genutzt worden war, weist eine große, im Zeitpunkt des Ortstermins nicht weiter
genutzte Halle und ausgedehnte, befestigte Freiflächen auf. Letztere werden als
Stellfläche für LKW und Trafos und damit gewerblich genutzt (Baugenehmigung vom 11.
Januar 2001). Da der von den Klägern gegen die Baugenehmigung erhobene
Nachbarwiderspruch gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung hat,
ist weiterhin von einer genehmigten gewerblichen Nutzung des Grundstücks
auszugehen.
Auf dem westlich an das Grundstück der Kläger angrenzenden Grundstück I. straße 1
bis 3 findet eine gewerbliche Nutzung in Form eines Speditionsbetriebs statt (§ 8 Abs. 2
Nr. 1 BauNVO). Das Grundstück, auf dem eine Speditionshalle (ca. 60 x 60 x 8 m) und
ein von der Grundfläche her kleineres, aber mehrgeschossiges Bürogebäude stehen,
hat eine Ausdehnung von ca. 110 x 70 m. Die Speditionstätigkeit geht auf die
Baugenehmigung vom 19. Oktober 1972 zurück. Angaben des Betriebs zufolge werden
57 gewerbliche und 30 kaufmännische Mitarbeiter an zwei Standorten beschäftigt. Es
werden an dem hier interessierenden Standort 10 LKW bis 7,5 to Ges.-Gewicht und 19
LKW über 7,5 to Ges.-Gewicht mit 22 Anhängern und 20 Wechselbrücken eingesetzt.
Ferner werden täglich ca. 10 Fremdfahrzeuge abgefertigt. Nach den Angaben des
Betriebsinhabers im Ortstermin II. Instanz verlassen LKW - abhängig von der Entfernung
des Fahrtziels - auch nachts das Betriebsgelände. Der Warenumschlag erfolgt im
Wesentlichen über innenliegende Rampen an der Nordseite der Speditionshalle bzw.
zwei Andockstationen an der Hallensüdseite.
62
Auf dem Grundstück I. straße 2 befindet sich ein mehrgeschossiges Büro- und
Produktionsgebäude eines Elektrotechnik-Betriebs, der u.a. Trafos fertigt. Angrenzend,
auf dem Grundstück I. straße 4, steht eine große Verladehalle desselben Betriebs. Die
Halle und das zweigeschossige Büro- und Produktionsgebäude Gebäude haben
zusammen genommen eine Grundfläche von ca. 60 x 40 m bei einer Grundstücksgröße
von ca. 110 x 50 m. Die Nutzung ist gewerblicher Art (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO).
63
Das auf dem südlichen Teil des Grundstücks W. Straße 162 befindliche
Schreinereigebäude, das lagemäßig zur I. straße, mithin zu den Gewerbebetrieben der
nächsten Umgebung (I. straße 1-3 und 2-4), ausgerichtet ist, wird gewerblich genutzt (§
8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Die im nördlichen Grundstücksteil vorhandenen beiden
Wohngebäude (W. Straße 160/160a und 162), die zur W. Straße (Bundesstraße B 227)
hin orientiert sind, dienen hingegen allgemeiner Wohnnutzung.
64
Die zu bestimmende Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB
stellt sich nach der obigen Bestandsaufnahme als ganz wesentlich durch gewerbliche
Nutzungen geprägt dar.
65
Bereits das auf dem Grundstück der Kläger befindliche Bürogebäude hat in dieser
Hinsicht erheblichen Einfluss. Das Gebäude überragt die in der nächsten Umgebung
befindlichen - teilweise auch wohngenutzten - Gebäude (I. straße 9, W. Straße 188, I.
straße 4a und I. straße 7), um jeweils ein Geschoss. Es tritt auch aufgrund seiner großen
Grundfläche (und der Geschossfläche von insgesamt 587,40 qm) gegenüber der
erwähnten Bebauung in jeder Hinsicht als dominant in Erscheinung.
66
Dem Gebäude W. Straße 188, das, wie oben ausgeführt, trotz seiner gegenwärtig
andersartigen Nutzung seine Bindung an einen öffentlichen Betrieb im Sinne des § 8
Abs. 2 Nr. 1 BauN VO nicht verloren hat, kommt zwar wegen seiner geringen Größe und
Grundfläche sowie seiner von der I. straße deutlich abgesetzten Lage nur geringer
Einfluss auf die Eigenart der näheren Umgebung zu. Festzuhalten bleibt aber, dass es
sich um eine gewerbegebietstypische Nutzung handelt.
67
Diesen Nutzungscharakter weisen auch die weiteren Einrichtungen der Stadtwerke
Heiligenhaus auf den benachbarten Grundstücken auf. Zu erwähnen sind hier die
verschiedenen Wasserhochbehälter, Pumpstationen und ein Funktions(Trafo-)gebäude.
Insbesondere die Wasserhochbehälter treten aufgrund ihrer Durchmesser von gut 30 m
und ihrer Höhe von mehreren Metern augenfällig in Erscheinung und setzen sich von
einer Wohnumgebung deutlich ab.
68
Die am östlichen Ende der I. straße befindliche Gärtnerei hat ebenfalls gewerblichen
Charakter. Ihr prägender Einfluss auf das klägerische Grundstück ist allerdings nicht
allzu groß. Denn zum einen beträgt die Entfernung zu dem klägerischen Grundstück
bereits mehr als 100 m, zum anderen handelt es sich bei den baulichen Anlagen
überwiegend um Gewächshäuser und Behelfsbauten zur Aufnahme von Arbeitsgeräten,
von denen nur eine mäßig prägende Wirkung auf die Umgebungsbebauung ausgeht. Zu
dem wenig bedeutsamen Einfluss auf den Gebietscharakter trägt schließlich die
periphere Lage der Baulichkeiten bei.
69
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1983 - 4 C 67.78 -, a.a.O.
70
Überragende Bedeutung für die Eigenart der näheren Umgebung hinsichtlich der
Nutzungsart hat demgegenüber der auf dem - dem Klägergrundstück benachbarten -
Grundstück I. straße 1 - 3 befindliche Speditionsbetrieb. Die Größe des Grundstücks
(110 x 70 m) in Verbindung mit der Größe der Halle (ca. 60 x 60 m) und deren Höhe von
8 m bilden zweifellos den baulichen Schwerpunkt der gesamten zu betrachtenden
Umgebung. Auch von der Nutzungsintensität und den von dem Betrieb bewirkten
Lärmimmissionen her - es sind 29 betriebseigene LKW mit 22 Anhängern und 20
Wechselbrücken sowie weitere ca. 10 betriebsfremde LKW tags und teilweise nachts im
Einsatz - kommt der Grundstücksnutzung außergewöhnlicher Einfluss auf die Eigenart
der Umgebung des klägerischen Grundstücks in nutzungsmäßiger Hinsicht zu.
71
Ein ebenfalls starker Einfluss geht auch von der Nutzung des Grundstücks I. straße 11
aus, das von der Speditionsfirma - zusätzlich zu ihrem Grundstück I. straße 1 - 3 - mit
ihren zahlreichen Lkw zu Rangier- und Abstellvorgängen sowie von dem Elektrotechnik-
Betrieb (I. straße 2 - 4) zur Aufstellung von Trafos genutzt wird.
72
Auch das Betriebsgebäude des zuletzt genannten Betriebs (I. straße 2 - 4) hat aufgrund
seiner Grundfläche (ca. 60 x 40 m), seiner Zweigeschossigkeit, des großen
Firmenparkplatzes sowie der in ihm ausgeübten gewerblichen Nutzung (Fertigung von
Trafos) in erheblicher Weise prägende Wirkung auf den nach Art der Nutzung zu
bestimmenden planungsrechtlichen Charakter der Umgebungsbebauung.
73
Der Schreinereibetrieb auf dem Grundstück W. Straße 162 stellt gleichfalls eine
gewerbliche Nutzung dar. Die prägende Wirkung des Betriebs mit seinen relativ kleinen,
eingeschossigen Baulichkeiten ist indessen nicht sehr groß, zumal er vom Grundstück
der Kläger bereits ca. 100 m entfernt liegt und eine unmittelbare Sichtverbindung infolge
74
der Höhe des dazwischen liegenden Speditionsgebäudes (I. straße 1 - 3) nicht gegeben
ist.
Den dem Schreinereibetrieb nördlich benachbarten Wohngebäuden W. Straße 160a
und 162 kommt für die Prägung des Gebietscharakters praktisch keine Bedeutung mehr
zu. Abgesehen davon, dass die beiden eineinhalb- bzw. zweieinhalbgeschossigen
Gebäude nur über eine geringe Grundfläche verfügen - diese entspricht zusammen
genommen nur der Grundfläche des angrenzenden Schreinereigebäudes -, beträgt die
Entfernung zum Grundstück der Kläger bereits deutlich mehr als 100 m und besteht
ebenfalls keine Sichtverbindung. Hinzu kommt, dass die Wohngebäude W. Straße
160a/b und 162 nach Lage, Eingang etc. erkennbar zur W. Straße hin ausgerichtet sind
und sich in peripherer Lage an der äußersten Grenze der zu betrachtenden
Umgebungsbebauung befinden. Sie können daher für die Bestimmung des
Gebietscharakters nahezu unbeachtet bleiben.
75
Vgl. zu der verminderten Prägewirkung eines in peripherer Lage befindlichen
Vorhabens BVerwG, Urteil 27. Mai 1983 - 4 C 67.78 -, a.a.O.
76
Die für das Klägergrundstück maßgebliche Umgebungsbebauung wird hiernach, soweit
es die Art der Nutzung angeht, nicht nur quantitativ, sondern insbesondere qualitativ in
wesentlicher Hinsicht durch den Speditionsbetrieb (I. straße 1 - 3/ I. straße 11), den
Elektrotechnik-Betrieb (I. straße 2 - 4/ I. straße 11) sowie die Anlagen der Stadtwerke
Heiligenhaus entlang des östlichen Teils der I. straße geprägt. Hinzu kommt eine -
deutlich geringere - gewerbliche Prägung durch die Büronutzung auf dem
Klägergrundstück selbst, die Schreinereinutzung auf dem Grundstück W. Straße 162
und die genehmigten betrieblichen Wohnnutzungen W. Straße 188 und I. straße 9.
Insoweit sei klargestellt, dass betriebsgebundene Wohnungen im Sinne des § 8 Abs. 3
Nr. 1 BauNVO nicht etwa prägende Wirkung in Richtung auf eine allgemeine
Wohnnutzung entfalten, sondern dem Charakter nach einer üblichen Nutzung in
Gewerbegebieten zuzurechnen sind.
77
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1983 - 4 C 67.78 -, a.a.O.
78
In die Beurteilung des planungsrechtlichen Charakters des maßgeblichen Gebiets sind
nach den obigen Darlegungen - außer den in erster Linie bedeutsamen gewerblichen
Nutzungen - lediglich noch die beiden überwiegend wohngenutzten Gebäude I. straße 4
a und I. straße 7, die allerdings auch gewerblich genutzt werden (Textilzwischenhandel
bzw. Textileinzelhandel), einzubeziehen. Insoweit handelt es sich aber jeweils nur um
eineinhalbgeschossige Wohnhäuser mit geringer Grundfläche, die schon von daher
nicht in der Lage sind, wesentlichen Einfluss auf das Erscheinungsbild der
Umgebungsbebauung zu nehmen. Dies trifft auf das Gebäude I. straße 4 a umso mehr
zu, als dieses auf einem - von der I. straße aus betrachtet - Hinterliegergrundstück
errichtet ist und aus diesem Grunde sowie wegen des von Süd nach Nord deutlich
abfallenden Geländes und des vorgebauten klägerischen Gebäudes von der I. straße
aus kaum in Erscheinung tritt. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass das
Grundstück I. straße 4 a (ursprüngliche Bezeichnung: W. Straße 186) bereits durch
Bauschein vom 31. Juli 1951 genehmigt worden ist, als die umliegenden Grundstücke
sämtlich noch nicht bebaut waren. Es wurde in der Folgezeit faktisch als
Betriebswohnung durch den Inhaber des auf dem Grundstück I. straße 11 ursprünglich
ansässigen Transportunternehmens genutzt. Dieser hat es seinerzeit hingenommen,
dass gewerbliche Nutzungen, die mit einer allgemeinen Wohnnutzung unvereinbar
79
waren (insbesondere Spedition und Elektrotechnik-Betrieb), sich in der Umgebung
angesiedelt und das Gebiet eindeutig in Richtung einer gewerblichen Nutzung geprägt
haben. Hinsichtlich des Gebäudes I. straße 7 besteht ferner die bereits erwähnte
Besonderheit, dass es sich um ein ursprünglich betriebsbezogen genehmigtes Gebäude
gehandelt hat und dass dieser eingeschränkte Nutzungszweck durch Baulast gesichert
war. Deren Löschung nach Grundstücksteilung hat der Beklagte zwar ausweislich eines
in der Hausakte befindlichen Vermerks als rechtlich bedenklich erkannt, aber später
gleichwohl mit inhaltsleerer Begründung von Amts wegen vorgenommen. Angesichts
dieser Vorgeschichte des Grundstücks und der aufstehenden Bebauung ist es
gerechtfertigt, das vorhandene Gebäude als Fremdkörper zu werten.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1983 - 4 C 67.78 -, a.a.O. (Annahme eines
Fremdkörpers bei einem Wohnhaus, das nach einer Grundstücksteilung von einem
Betrieb losgelöst wurde).
80
Nach der sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebenden tatsächlichen und
rechtlichen Situation würde sich die von den Klägern beabsichtigte Umwandlung von
Büroräumen in allgemeine Wohnnutzung hinsichtlich der Art der Nutzung nicht in die
Umgebungsbebauung einfügen. Zwar zwingt der Umstand, dass ein Vorhaben im
unbeplanten Innenbereich den aus der Umgebung hervorgehenden Rahmen
überschreitet, indem es dort kein "Vorbild" oder keine "Entsprechung" findet, für sich
allein noch nicht dazu, das Vorhaben wegen fehlenden Einfügens für unzulässig zu
halten. Letzteres hängt vielmehr - zusätzlich - davon ab, ob das Vorhaben geeignet ist,
bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu
begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen, ob es - anders ausgedrückt - die
ihm vorgegebene Situation gleichsam in Bewegung bringt und damit eine "Unruhe"
stiftet, die potenziell ein Planungsbedürfnis nach sich zieht.
81
Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Mai 1978 -, BRS 33 Nr. 36, und vom 27. Mai 1983 - 4 C
67.78 -, a.a.O. sowie Beschluss vom 17. Juni 1993 - 4 B 17.91 -, BRS 55 Nr. 72.
82
Die von den Klägern erstrebte Nutzungsänderungsgenehmigung würde die
vorgegebene bodenrechtliche Situation in diesem Sinne in Bewegung bringen und
ausgleichsbedürftige Spannungen begründen. Denn es wäre absehbar, dass nicht nur
für das Bürogebäude der Kläger selbst, das bei 7 Mitarbeitern und einer Geschossfläche
von ca. 587 qm für einen Bürobetrieb weit überdimensioniert ist und nach den
genehmigten Grundrissen eine von vornherein beabsichtigte allgemeine Wohnnutzung
erkennen lässt, Nutzungsänderungsanträge hinsichtlich weiterer Räumlichkeiten zu
erwarten wären, sondern dass auch in Bezug auf das Gebäude I. straße 9, das bereits
faktisch teilweise allgemeiner Wohnnutzung zugeführt worden ist, mit einem
Nutzungsänderungsantrag zu rechnen wäre. Nicht auszuschließen wäre auch, dass auf
Grundstücken der Umgebung (I. straße 4 a, W. Straße 188, I. straße 9) weitere nicht
betriebsbezogene Wohngebäude entstehen könnten, wenn auf dem Grundstück der
Kläger eine vorbildhafte Bebauung vorhanden wäre. Es bestünde mithin die Gefahr,
dass der bisher durch die großen Gewerbebetriebe und die Anlagen der Stadtwerke
dominierte Charakter des Gebietes schleichend umgewandelt würde und eine
Verschärfung des bisher lediglich in Ansätzen vorhandenen städtebaulichen
Missstandes (Zusammentreffen von gewerblicher und vereinzelter allgemeiner
Wohnnutzung bzw. Mischnutzung) zu gewärtigen wäre. Entweder müssten die Lärm
emittierenden Gewerbebetriebe mit erheblichen Betriebseinschränkungen rechnen oder
die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse wären entgegen den Anforderungen
83
des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht mehr gewahrt.
Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben ist im Übrigen auch deshalb
planungsrechtlich unzulässig, weil es nicht die gebotene Rücksicht auf die umliegenden
Nutzungen nimmt.
84
Das objektive Gebot der Rücksichtnahme folgt aus dem in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB
enthaltenen Tatbestandsmerkmal des Sich-Einfügens. Ein Vorhaben verstößt u.a. dann
gegen das Gebot der Rücksichtnahme, wenn es bodenrechtlich beachtliche
Spannungen mit sich bringt, etwa eine Situation "verschlechtert", "stört" oder "belastet".
85
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 -, BRS 33 Nr. 36; Beschluss vom 25.
März 1999 - 4 B 15.99 -, BRS 62 Nr. 101; OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 2001 - 10 A
4605/98 -.
86
Die von den Klägern geplante Wohnnutzung würde neben den bereits erwähnten
Spannungen, die aus der Anstoßfunktion des klägerischen Vorhabens für eine
Umwandlung des bodenrechtlichen Charakters der näheren Umgebung resultieren,
Spannungen auch insoweit erzeugen, als mit Blick auf zu erwartende Lärmimmissionen
Konfliktsituationen vorprogrammiert wären. Ein Nebeneinander von emittierenden
Gewerbebetrieben (wie hier etwa der Spedition) und nicht betriebsgebundenen
Wohngebäuden ist nämlich sowohl aus betrieblichen wie aus Gründen des
Gesundheitsschutzes (der in § 34 Abs. 1 BauGB als öffentlicher Belang ausdrücklich
genannt ist) bedenklich und muss deshalb im Interesse beider Nutzungsarten möglichst
vermieden werden.
87
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. August 1978 - XI A 1439/77 -, BRS 33 Nr. 48.
88
Entgegen der Ansicht der Kläger ist die Immissionssituation nicht unter Ausblendung
der benachbarten Spedition zu beurteilen. Zwar sind auf dem Speditionsgelände im
Jahre 2000 bauliche Veränderungen ohne Baugenehmigung vorgenommen worden.
Die Änderungen haben sich jedoch darauf beschränkt, dass ein großes Rolltor durch
zwei kleinere (mit insgesamt geringerer Fläche und entsprechenden Torabdichtungen)
ersetzt worden ist und innenliegende Andockstationen, die Lade- und Entladevorgänge
ausschließlich innerhalb der Lagerhalle erlauben, errichtet worden sind. Damit ist das
Vorhaben nicht zu einem aliud, d. h. zu einem in bauplanungs- bzw.
bauordnungsrechtlich anderer Weise zu beurteilenden Vorhaben, geworden mit der
Folge, dass die Wirksamkeit der ursprünglichen Baugenehmigung erloschen wäre.
Insbesondere haben die vorgenommenen baulichen Änderungen und die damit
zusammenhängenden geänderten Betriebsabläufe keine immissionsrechtlich
nachteiligen Folgen. Der nach außen dringende Lärm durch Verladetätigkeiten ist
vielmehr infolge der Torabdichtungen und der Lärmdämmwirkung des in der Toröffnung
stehenden LKW ersichtlich geringer als bei den früher möglichen Hallendurchfahrten
der LKW von der Süd- zur Nordseite der Halle bei geöffneten großflächigen Toren.
Diese ließen auch den im Inneren der Halle entstehenden Verladelärm weitgehend
ungehindert nach außen dringen.
89
Der Annahme, dass sich die bodenrechtlichen Spannungen bei Genehmigung des
klägerischen Vorhabens verschärfen würden, lässt sich auch nicht die von den Klägern
und dem Verwaltungsgericht vertretene Auffassung entgegen halten, die Spedition
müsse auf das streitige Vorhaben keine größere Rücksicht nehmen als auf die bereits
90
vorhandene Wohnbebauung.
Zum einen würde damit verkannt, dass etwaige Abwehrrechte der Eigentümer der
übrigen Wohngrundstücke gegen Lärmimmissionen, anders als die neu entstehenden
Rechtsschutzmöglichkeiten der Kläger, verwirkt und entsprechende Rechtsbehelfe
damit aussichtslos sein dürften.
91
Zum anderen würde aber auch übersehen, dass die vorhandene Wohnbebauung nicht
in gleicher Weise durch den Lärm der Spedition betroffen ist wie das Vorhaben der
Kläger. Dies folgt aus den vor Ort bestehenden tatsächlichen Verhältnissen, wie sie sich
aus den bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Fotos und den im Ortstermin
gewonnenen Erkenntnissen, die der Berichterstatter dem Senat vermittelt hat, ergeben.
Die für die Wohnnutzung vorgesehenen Räume im Gebäude der Kläger wären den
Lärmimmissionen der Spedition wesentlich stärker als die auf anderen Grundstücken
vorhandenen Wohnnutzungen ausgesetzt. Zwar befindet sich die Hauptzu- und -abfahrt
des Speditionsgeländes im nordwestlichen Grundstücksbereich, so dass das südöstlich
gelegene Gebäude der Kläger durch die Speditionshalle gegen den im nördlichen
Grundstücksbereich entstehenden Fahrzeug- und Verladelärm weitgehend abgeschirmt
wird. Zu berücksichtigen ist aber, dass es eine weitere Zu- und Abfahrt gibt, die südlich
der Speditionshalle verläuft und Bestandteil der Gebäudeumfahrung ist. Gegen
Kraftfahrzeuglärm, der durch Benutzung dieser Zufahrt oder der Umfahrung
hervorgerufen wird, ist das Gebäude der Kläger ebenso wenig geschützt wie gegen
Lärm durch Verladevorgänge an der Ostseite der Halle. Insoweit besteht vielmehr eine
unmittelbare Sichtverbindung (mit der Folge einer ungehinderten Schallausbreitung) zu
den im ersten Obergeschoss und Dachgeschoss des Gebäudes der Kläger gelegenen,
für eine Wohnnutzung vorgesehenen Räumen auf der Südwestseite (vgl. Beiakte Heft
24a, Bl. 2). Dass die Umfahrung entlang der I. straße mit Bäumen abgepflanzt ist,
bewirkt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für das Gebäude der Kläger
keinen Lärmschutz. Die Lärmausbreitung wird in Richtung auf das genannte Gebäude,
d.h. parallel zu der vorgenommenen Abpflanzung, in keiner Weise eingeschränkt.
92
Das Gebäude der Kläger ist dem Lärm der Spedition auch in erheblich höherem Maße
ausgesetzt als etwa das Gebäude I. straße 4a. Letzteres ist gegen den Lärm der
nordwestlichen und südlichen Zufahrt sowie der Verladevorgänge am Südtor jeweils
durch den Hallenkörper der Spedition wirksam abgeschirmt. Auch der von der östlichen
Gebäudeumfahrung ausgehende Lärm erreicht das Gebäude I. straße 4a nur in
vermindertem Maße. Dies beruht darauf, dass die Umfahrung etwa 3 m tiefer liegt als
das Grundstück I. straße 4a (die Stützmauer zzgl. der aufgesetzten Mauer hat sogar eine
Höhe von 4 - 5 m), dass das Gebäude lediglich eineinhalbgeschossig ist und das
Gelände nach Norden hin deutlich abfällt. Das Dachgeschoss des Hauses I. straße 4a
liegt damit tiefer als das Obergeschoss des klägerischen Vorhabens (und erst recht als
dessen Dachgeschoss); es weist keine unmittelbare Sichtverbindung zu der Umfahrung
des Speditionsgebäudes auf und ist damit nur einer verminderten Schallausbreitung
ausgesetzt.
93
Das ebenfalls wohngenutzte und - seit 1995 - entsprechend genehmigte
eineinhalbgeschossige Gebäude I. straße 7 ist gegen Betriebslärm, der auf der
Nordseite der Speditionshalle entsteht, durch diese wirkungsvoll abgeschirmt und
aufgrund der größeren Entfernung zu den Umfahrungs- und Ladevorgängen auf der
Süd- und Ostseite der Speditionshalle, aber auch wegen der Tieflage des
Speditionsgeländes, nochmals geringeren Lärmimmissionen ausgesetzt als das
94
Gebäude I. straße 4a. Auch insoweit ist - im Gegensatz zum Gebäude der Kläger - eine
Sichtverbindung zur Gebäudeumfahrung und eine daraus folgende ungehinderte
Schallausbreitung nicht gegeben.
Als Ergebnis der Auswertung des dem Senat vorliegenden Kartenmaterials und der
diese bestätigenden und ergänzenden Erkenntnisse aus dem Ortstermin, die der
Berichterstatter dem Senat vermittelt hat, ist daher festzuhalten, dass das Gebäude der
Kläger aufgrund seiner räumlichen Nähe zu dem Speditionsgrundstück und seiner Höhe
in besonderem Maße Immissionsbelastungen durch die Spedition ausgesetzt ist und bei
Wohnnutzung einen bereits bestehenden Nutzungskonflikt verschärfen würde. Dies gilt
unabhängig davon, ob der Speditionsbetrieb, wie die Kläger vortragen, derzeit,
insbesondere nachts, nur geringe betriebliche Aktivitäten entfaltet und die ihm
zugestandenen Lärmwerte nicht ausschöpft. Denn entscheidend ist, dass das
Speditionsunternehmen jedenfalls in seinen durch die bestandskräftige
Baugenehmigung vom 19. Oktober 1972 (BA 19, Bl.63) eröffneten Möglichkeiten der
Betriebsgestaltung, insbesondere des Nachtbetriebs, durch die hinzutretende
Wohnnutzung mit Einschränkungen zu rechnen hätte. Nur ergänzend weist der Senat
darauf hin, dass nach der Abstandsliste (RdErl. des Ministeriums für Umwelt,
Raumordnung und Landwirtschaft vom 2. April 1998, MinBl NRW S. 743), die
unmittelbar allerdings nur im Rahmen der Bauleitplanung Anwendung findet, die
Abstände zwischen Speditionen und reinen oder allgemeinen Wohngebieten
grundsätzlich 300 m nicht unterschreiten sollen (Nr. 2.2.2 in Verbindung mit lfd. Nr. 153).
Zum Schutz von Mischgebieten kann ein Abstand von 100 m ausreichend sein (Nr. 2.2.2
in Verbindung mit 2.2.2.5). Unterhalb einer Entfernung von 100 m ist eine
Einzelfallprüfung erforderlich (Nr. 2.2.2.5). Bei Überplanung gewachsener
Gemengelagen, die keine ausreichenden Schutzabstände zwischen emittierender
gewerblicher Nutzung und Wohnbebauung aufweisen, sollen Maßnahmen des aktiven
und passiven Schallschutzes vorgesehen werden (Nr. 2.2.2.1). Auch wenn die
vorstehenden Planungsgrundsätze für das Baugenehmigungsverfahren rechtlich keine
Geltung beanspruchen, kann ihnen gleichwohl der Gedanke entnommen werden, dass
durch ein zu dichtes Heranrücken von Wohnbebauung an eine Spedition (hier: bis auf
12 m, gerechnet von der Gebäudeumfahrung) ein städtebaulicher Missstand
hervorgerufen wird und sich dies für den emittierenden Betrieb wegen zu befürchtender
Betriebseinschränkungen als rücksichtslos darstellt.
95
b) Nach den obigen Ausführungen zum hier maßgeblichen Gebietscharakter (I. 1.a)
scheitert das Begehren der Kläger auf Erteilung einer Nutzungsänderungsgenehmigung
auch schon an § 34 Abs. 2 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist ein Bauvorhaben nur
zulässig, wenn es in dem entsprechenden Gebiet bei Anwendung der
Baunutzungsverordnung zulässig wäre. Da die Eigenart der näheren Umgebung, wie
dargelegt, fast ausschließlich durch gewerbliche bzw. gewerbegebietstypische
Nutzungen (Spedition, Elektrotechnik-Betrieb, Stadtwerke, Schreinerei, Gärtnerei) sowie
genehmigtes betriebsbezogenes Wohnen (I. straße 9, W. Straße 188) bestimmt wird und
die vereinzelt anzutreffenden gemischten Wohn-/Gewerbenutzungen wegen ihrer
geringen Ausstrahlungskraft (I. straße 4a und 7) und auch wegen ihrer Eigenschaft als
Fremdkörper (I. straße 7) als für die Gebietsprägung bedeutungslos aus der Betrachtung
ausgeschieden werden können, kann die Umgebungsbebauung hinsichtlich der Art der
Nutzung als faktisches Gewerbegebiet im Sinne des § 8 BauNVO eingeordnet werden.
In einem solchen Baugebiet ist eine allgemeine Wohnnutzung gemäß § 8 BauNVO
weder als Regelnutzung noch als ausnahmsweise zulässige Nutzung
genehmigungsfähig.
96
c) Dem mit dem Hauptantrag geltend gemachten Begehren der Kläger steht ferner die
Satzung der Stadt Heiligenhaus vom 31. August 1999 über die Anordnung einer
Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen
Bebauungsplans Nr. 46 "I. -Südost" vom 26. Juni 1996 in der Fassung der Satzungen
vom 31. Juli 2001 (Verlängerung der Geltungsdauer der Veränderungssperre bis zum
31. August 2002) und vom 27. August 2002 (Verlängerung der Geltungsdauer der
Veränderungssperre bis zum 1. September 2003) entgegen. Bedenken gegen die
Wirksamkeit der Veränderungssperre sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Insbesondere liegt die gemäß § 17 Abs. 2 BauGB erforderliche Zustimmung der
Bezirksregierung Düsseldorf zur zweiten Verlängerung der Veränderungssperre vor.
Auch hat die Stadt Heiligenhaus "besondere Umstände" im Sinne des genannten
Vorschrift für diese Verlängerung dargelegt. Insoweit kann dahinstehen, ob die im
Plangebiet bei Bohrungen aus Anlass der Prüfung der Eignung der
Versickerungsfähigkeit des Bodens gefundene Aufschüttung und der daraus
resultierende Verdacht einer Altlastenablagerung, der durch weitere
Bodenuntersuchungen abgeklärt werden sollte, in zeitlicher Hinsicht geeignet waren,
eine nochmalige Verlängerung der Veränderungssperre zu rechtfertigen. Jedenfalls
erforderte die noch nicht abgeschlossene straßenrechtliche Fachplanung bezüglich des
Verlaufs der Trasse der A 44, die das Plangebiet des in Aufstellung befindlichen
Bebauungsplans in dessen südlichem Bereich anschneidet, ohne weiteres die
nochmalige Verlängerung der Veränderungssperre. Deren Geltungsdauer (1.
September 2003) ist derzeit noch nicht abgelaufen.
97
Für die Kläger gilt auch keine abweichend hiervon zu berechnende individuelle
Geltungsdauer (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB). Eine förmliche Zurückstellung ihres
Baugesuchs gemäß § 15 Abs. 1 BauGB ist nicht erfolgt. Es liegt auch kein Fall einer
faktischen Zurückstellung vor. Insoweit käme hier nur der Fall einer etwa rechtswidrigen
Ablehnung eines Baugesuchs in Betracht. Wie sich aus den obigen Ausführungen
ergibt, haben und hatten die Kläger aber seit Einreichung ihres Baugesuchs (22.
Oktober 1996) zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erteilung der begehrten
Baugenehmigung. Die Ablehnung ihres Baugesuchs war damit rechtmäßig. Ist die
Veränderungssperre mithin auf das geplante Vorhaben der Kläger anwendbar, ist
dieses gemäß § 2 Buchst. a) der Satzung über die Veränderungssperre nicht zulässig.
Denn in dem von der Veränderungssperre betroffenen Planbereich, der auch das
Grundstück der Kläger erfasst, dürfen Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht
durchgeführt werden. Die von den Klägern begehrte Nutzungsänderung zählt hierzu.
98
2. Das Gebäude der Kläger würde infolge der begehrten Nutzungsänderung gegen
Vorschriften des Bauordnungsrechts verstoßen. Auch aus diesem Grunde ist das
geänderte Vorhaben nicht genehmigungsfähig. Es würde die abstandflächenrechtlichen
Erfordernisse des § 6 BauO NRW nicht einhalten.
99
a) Nach § 6 Abs. 1 BauO NRW sind vor Außenwänden von Gebäuden Flächen von
oberirdischen Gebäuden freizuhalten (Abstandflächen). Die Abstandflächen müssen
gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 auf dem Grundstück selbst liegen (die in § 6 Abs. 2 Satz 2 und
§ 7 Abs. 1 Satz 1 genannten Ausnahmen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben).
Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 BauO NRW bemisst sich die Tiefe der Abstandfläche, die
senkrecht zur Wand gemessen wird, nach der Wandhöhe. Dabei gilt gemäß § 6 Abs. 4
Satz 2 BauO NRW als Wandhöhe das Maß von der Geländeoberfläche bis zur
Schnittlinie der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Das
100
sich ergebende Maß H (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 6 BauO NRW) beträgt gemäß § 6 Abs. 5
Satz 1 BauO NRW grundsätzlich 0,8 H und lediglich in Kerngebieten, Gewerbegebieten
und Industriegebieten 0,5 H. Nach der Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW
genügt vor zwei Außenwänden eines Gebäudes auf einer Länge von nicht mehr als 16
m als Tiefe der Abstandfläche die Hälfte der nach Abs. 5 Satz 1 erforderlichen Tiefe,
mindestens jedoch 3 m (Schmalseitenprivileg).
b) Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben der Kläger verstößt in mehrfacher Hinsicht
gegen die aus den vorstehend zitierten Vorschriften sich ergebenden
Abstandflächenerfordernisse.
101
aa) Es kann dahinstehen, ob die Abstandflächen, die durch die nördliche Traufwand
(Länge: 9 m) und die von dieser südwestlich abknickenden Traufwand (Länge: 11,35 m)
ausgelöst werden, in voller Tiefe auf dem klägerischen Grundstück liegen. Entgegen der
von dem Beklagten überreichten Abstandflächenberechnung vom 4. September 2002,
die hinsichtlich der abknickenden Traufwand einen Abstandflächenverstoß annimmt,
wäre dieser allerdings dann nicht gegeben, wenn das Schmalseitenprivilegs des § 6
Abs. 6 Satz 1 BauO NRW nicht nur für den 9 m langen Wandabschnitt (Abstandfläche T
2), sondern für weitere 7 m des davon südwestlich abknickenden Wandabschnitts
(Abstandfläche T 1) angewendet werden könnte. Voraussetzung hierfür wäre, dass es
sich bei den beiden Wandabschnitten im Rechtssinne um eine einheitliche Wand
handelte. Wäre nämlich von zwei eigenständigen Wänden auszugehen, käme das
Schmalseitenprivileg nur noch für eine der beiden Wände zur Anwendung, da das
Schmalseitenprivileg bereits in Bezug auf die Abstandfläche der südöstlichen
Giebelwand (T 6) in Ansatz gebracht worden ist und seine Anwendung auf zwei
Außenwände beschränkt ist (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW).
102
bb) Das Vorhaben der Kläger verletzt die Anforderungen des Abstandflächengebots
aber jedenfalls hinsichtlich der Tiefe der Abstandflächen T 5 und T 8. Dabei wird die
Abstandfläche T 5 durch die von Nordwest nach Südost verlaufende Traufwand auf der
nordöstlichen Seite des Gebäudes und die Abstandfläche T 8 durch die in einem Winkel
von 90 ° hierzu von Südwest nach Nordost verlaufende Seitenwand des
vorspringenden Treppenhausturms ausgelöst.
103
Nach der Abstandflächenberechnung vom 9. Oktober 2002 , die die Kläger nicht
substantiiert angegriffen haben und die Fehler nicht erkennen lässt, beträgt die
erforderliche Tiefe der Abstandfläche T 5 insgesamt 5,70 m, wobei der Berechnung das
Maß 0,8 H zugrunde liegt, das sowohl bei Vorliegen eines Mischgebiets (§ 6 BauNVO)
als auch bei einer Gemengelage - nur bei dieser planungsrechtlichen Ausgangslage
käme die Erteilung der begehrten Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung von
gewerblicher in allgemeine Wohnnutzung in Betracht - anwendbar wäre.
104
Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land NRW; Loseblattkommentar,
Stand: Okt. 2002, § 6 Rn. 181; Gädtke/Temme/Heintz, Landesbauordnung NRW, 10.
Aufl. 2003, § 6 Rn. 234.
105
Von der erforderlichen Abstandflächentiefe von 5,70 m lägen aber lediglich ca. 4,70 m
(abgegriffen aus dem zur Baugenehmigung gehörigen amtlichen Lageplan, BA Heft 3,
Bl. 291) auf dem klägerischen Grundstück. Die erforderliche Tiefe der Abstandfläche T 8
misst nach der obigen Berechnung, die auch insoweit keinen Bedenken hinsichtlich
ihrer Richtigkeit begegnet, 6,74 m. Tatsächlich beträgt die Entfernung zwischen
106
Außenwand und Nachbargrenze aber nur ca. 5,0 m (ebenfalls abgegriffen aus dem
amtlichen Lageplan, a.a.O.).
Angesichts der erheblichen Unterschreitungen der einzuhaltenden Tiefen der
Abstandflächen von ca. 1,0 m bzw. 1,74 m bedurfte es für die Entscheidung des Senats
keiner nachträglichen Vermessung der Grenzabstände (die übrigens gemäß § 3 Abs. 1
Nr. 12 BauPrüfVO seitens der Kläger in den amtlichen Lageplan hätten eingetragen
werden müssen). Bei Abweichungen der vorliegenden Größenordnung kann der Senat
sich damit begnügen, die Grenzabstände durch Abgreifen zu ermitteln.
107
cc) Die Nichteinhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Tiefen der Abstandflächen ist
nicht deshalb rechtlich unerheblich, weil die Abstandflächen, soweit sie das
Nachbargrundstück I. straße 4a in Anspruch nehmen, auf einer privaten Zuwegung
liegen, die die einzige Erschließung des Hinterliegergrundstücks darstellt und aus
diesem Grunde nicht überbaut werden kann. Abgesehen davon, dass
Grundstücksgrenzen, - zuschnitte und -zuwegungen Veränderungen unterliegen können
und daher nicht auf alle Zeit von einer gleich bleibenden Grundstückssituation
ausgegangen werden kann, sind die Kläger auch unter keinem Gesichtspunkt
berechtigt, mit ihrem Baukörper so nahe an die Grundstücksgrenze heranzurücken, dass
die Abstandflächen teilweise bereits auf dem Nachbargrundstück liegen.
108
dd) Der Abstandflächenverstoß ist auch nicht gemäß § 6 Abs. 15 BauO NRW
rechtsunerheblich. Nach dieser Vorschrift können bei Nutzungsänderungen sowie bei
geringfügigen baulichen Änderungen bestehender Gebäude ohne Veränderung von
Länge und Höhe der den Nachbargrenzen zugekehrten Wände unter Würdigung
nachbarlicher Belange geringere Tiefen der Abstandflächen gestattet werden, wenn
Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen. Die Vorschrift soll
bestandsgeschützte Gebäude privilegieren.
109
Vgl. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2002 - 10 B 2092/99 -, NVwZ 2001,340 = NWVBl
2001, 138.
110
Das Gebäude der Kläger genießt indessen keinen Bestandsschutz. Es kann sich
entgegen der Ansicht der Kläger insbesondere nicht auf eine formelle Legalität stützen.
Die Baugenehmigung vom 26. Oktober 1995 ist erloschen, da das Gebäude
abweichend von den genehmigten Bauvorlagen errichtet worden ist. Nach den jeweils
mit einem Zugehörigkeitsstempel versehenen und damit zum Bestandteil der
Baugenehmigung vom 26. Oktober 1995 gewordenen Bauzeichnungen "Schnitte und
Ansichten West und Ost" sowie "Ansichten Süd und Nord" ist die geplante Firsthöhe
jeweils - für das gesamte Gebäude durchgehend - mit 247,485 m ü.NN. angegeben. Wie
das Vermessungsbüro Q. ermittelt hat, beträgt die tatsächliche Firsthöhe des westlichen
Gebäudeteils jedoch 247,66 ü.NN (Vermessung vom 4. September 2002) und die
Firsthöhe des östlichen Gebäudeteils sogar 247,76 m ü.NN (Vermessung vom 9.
Oktober 2002). Damit überschreitet die tatsächliche Höhe des Gebäudes die
genehmigte Höhe bis zu 27,5 cm. Das tatsächlich errichtete Gebäude stellt damit ein
aliud gegenüber dem genehmigten Vorhaben dar. Denn es macht sowohl in
bauordnungsrechtlicher als auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht eine erneute
Prüfung erforderlich. Es liegt auf der Hand, dass eine größere Gebäudehöhe Einfluss
auf die Berechnung der Abstandflächen und die Statik des Gebäudes hat und dass eine
Erhöhung des Gebäudes, die nach Behauptungen der Kläger auf eine Erhöhung des
Drempels im Dachgeschoss zurückzuführen sein soll, planungsrechtliche
111
Auswirkungen haben, etwa die Entstehung eines Vollgeschosses im Dachgeschoss
bewirken kann. Unerheblich für die Frage des Vorliegens eines aliud ist, ob das
abweichend von der Baugenehmigung errichtete Vorhaben genehmigungsfähig ist oder
nicht. Dieser Frage ist in dem sich anschließenden bauordnungsrechtlichen
Genehmigungsverfahren nachzugehen.
Die Auffassung der Kläger, das Gebäude sei mit seiner tatsächlichen Höhe genehmigt
und damit formell legal, da die Mitarbeiterin der Bauordnungsbehörde T. durch den
Architekten F. bzw. dessen Projektleiter E. auf die beabsichtigte Drempelerhöhung
angesprochen worden sei und die Notwendigkeit einer Nachtragsgenehmigung verneint
habe, geht fehl. Zwar ergibt sich aus dem in den Bauakten befindlichen Schreiben des
Architekturbüros F. vom 14. März 1996, dass der Unterzeichner E. mit der Mitarbeiterin
T. die Frage einer Drempelerhöhung um 10 cm erörtert und diese ihr Einverständnis
erklärt habe. Auf der Rückseite des Schreibens findet sich indessen ein
handschriftlicher Vermerk der Mitarbeiterin T. vom 15. März 1996 mit folgendem
Wortlaut: "Gemäß telefonischer Rücksprache mit dem Architekturbüro F. wird bezüglich
der Drempelanhebung ein Nachtrag eingereicht." Dieser Vermerk belegt, dass entgegen
dem Vorbringen der Kläger ein Nachtrag für erforderlich, jedenfalls aber nicht für
entbehrlich gehalten worden ist. Dafür, dass der Vermerk den Inhalt des geführten
Gesprächs, wie von den Klägern behauptet, unrichtig wiedergäbe, liegen nicht die
geringsten Anhaltspunkte vor. Dass die Mitarbeiterin T. von einer beabsichtigten
zweiten Drempelerhöhung um weitere 20 cm in Kenntnis gesetzt worden wäre, lässt
sich den Bauakten nicht entnehmen. Das von den Klägern als Kopie vorgelegte, an das
Bauordnungsamt der Stadt Heiligenhaus, z. Hd. Frau T. , adressierte Schreiben des
Architektenbüros vom 18. März 1996 ist nicht zu den Bauakten gelangt. Es liegen auch
keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mitarbeiterin T. von dem Inhalt des Schreibens
auf andere Weise, etwa telefonisch, erfahren hätte. Im Übrigen wäre es nicht
nachvollziehbar, dass sie bei einer ursprünglich beabsichtigten Drempelerhöhung um
10 cm einen Nachtrag für erforderlich gehalten hat, bei einer Drempelerhöhung um
weitere 20 cm aber die Notwendigkeit eines Nachtrags verneint haben sollte.
112
Unabhängig von dem Vorstehenden wäre das Gebäude aber auch dann formell illegal
errichtet worden, wenn die Mitarbeiterin T. von der von den Bauvorlagen abweichenden
Bauausführung informiert gewesen sein sollte und auf die Einreichung eines
Nachtragsbauantrags ausdrücklich verzichtet hätte. Denn eine Baugenehmigung bedarf
gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BauO NRW der Schriftform. Mündliche Absprachen
zwischen Bediensteten der Bauverwaltung und dem Bauwilligen bzw. seinem
Architekten sind für den Inhalt der erteilten Baugenehmigung regelmäßig ohne
Bedeutung.
113
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Januar 2001 - 10 B 1827/00 -, BRS 64 Nr. 162
m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2003 - 10 A 3157/01 -.
114
Entscheidend für den Inhalt der Baugenehmigung sind daher die Angaben in den mit
Zugehörigkeitsvermerk zur Baugenehmigung versehenen Bauvorlagen. Diese sehen
aber eine (durchgehende) Firsthöhe von nur 247,485 m vor. Ob es, wie die Kläger
behaupten und was der Beklagte bestreitet, einer ständigen Übung beim
Bauordnungsamt des Beklagten entsprach, Abweichungen von den Bauvorlagen ohne
einen Nachtragsbauantrag durch Grüneintrag in den Bauvorlagen zu kennzeichnen,
kann im vorliegenden Fall offenbleiben. Denn ein solcher Nachtrag ist hier unstreitig
nicht erfolgt. Eine Genehmigung der abweichend ausgeführten Firsthöhe des Gebäudes
115
und damit eine Genehmigung des Gesamtgebäudes besteht nach alledem nicht.
b) Entgegen der Auffassung der Kläger kommt die Erteilung einer Abweichung gemäß §
73 BauO NRW im Hinblick auf die Abstandflächenverstöße nicht in Betracht. Insoweit ist
in Rechtsprechung und Kommentarliteratur anerkannt, dass strenge Anforderungen an
die Erteilung einer Abweichung im Zusammenhang mit Abstandflächenverstößen zu
stellen sind.
116
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. August 1995 - 7 B 2117/95 -, BRS 57 Nr. 141, und
Urteil vom 17. Juni 2002 - 7 A 1829/01 -; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für
das Land Nordrhein-Westfalen, Loseblatt-Kommentar, Stand: Oktober 2002, § 73 Rn.
18.
117
Auszugehen ist davon, dass § 6 BauO NRW eine in sich geschlossene Regelung mit
eigenen Abweichungsregelungen in Absatz 1 Sätze 3 und 4, Absätzen 13, 14, 15 und
16 darstellt. Die Abweichungsregelung des § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW ermöglicht
es der Bauaufsichtsbehörde angesichts der erwähnten rechtlichen Ausgangslage nicht,
von dem Regelungskonzept des § 6 BauO NRW abzuweichen, nur weil dies mit
öffentlichen Belangen vereinbar erscheint. Die Abstandvorschriften regeln eingehend
die gegenläufigen Interessen benachbarter Grundeigentümer. Was die Würdigung der
nachbarlichen Interessen insoweit verlangt, ist regelmäßig in den Abstandvorschriften
abschließend festgelegt. Die Zulassung einer Abweichung nach § 73 Abs. 1 Satz 1
BauO NRW kommt insoweit nur in Betracht, wenn eine atypische Grundstückssituation
vorliegt, die von dem Normalfall, welcher der gesetzlichen Regelung der
Abstandflächen zugrundeliegt, in so deutlichem Maße abweicht, dass die strikte
Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führt, die der Zielrichtung der Norm nicht
entsprechen. Die Abweichung ist somit kein Instrument zur Legalisierung gewöhnlicher
Rechtsverletzungen.
118
Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., m.w. Rechtsprechungsnachweisen.
119
Im vorliegenden Fall sind Anhaltspunkte für eine atypische Grundstückssituation im
vorbeschriebenen Sinne nicht ersichtlich. Klarstellend sei bemerkt, dass eine atypische
Grundstückssituation noch nicht bei einem - hier nicht einmal gegebenen - atypischen
Grundstückszuschnitt vorliegt, sondern darüber hinaus voraussetzt, dass eine
bautechnisch und/oder wirtschaftlich sinnvolle Bebauung des Grundstücks bei strikter
Anwendung der Abstandflächenvorschriften nicht möglich ist. Von einer solchen
Fallgestaltung kann hier keine Rede sein. Die abstandflächenrechtlichen Probleme
rühren allein daher, dass die Kläger das Grundstück, das bisher entsprechend der
erteilten Baugenehmigung gewerblich genutzt worden ist, nunmehr teilweise einer
Wohnnutzung zuführen möchten und dass hierfür strengere abstandflächenrechtliche
Anforderungen gelten.
120
II. Die Klage mit dem ersten Hilfsantrag, der die Verpflichtung des Beklagten zum
Gegenstand hat, die begehrte Baugenehmigung zur Sicherung der Abstandfläche mit
einer Nebenbestimmung gemäß § 7 BauO NRW (Baulast) zu versehen, ist gleichfalls
unbegründet. Die Erteilung einer Baugenehmigung kann, unabhängig von der
bauordnungsrechtlichen Abstandflächenfrage schon deshalb nicht erfolgen, weil das
Vorhaben, wie oben dargelegt, auch planungsrechtlich nicht genehmigungsfähig ist. Im
Übrigen bestehen im Hinblick auf die mit der Erteilung einer Baugenehmigung
verbundene Baufreigabe aber auch grundsätzliche Bedenken, die Baugenehmigung
121
von der aufschiebenden Bedingung des Zustandekommens einer Baulast - eine Auflage
käme von vornherein nicht in Betracht - abhängig zu machen.
Vgl. hierzu Bay VGH, Beschluss vom 15. September 1998 - 20 ZB 98.2402 -, BRS 60
Nr. 144.
122
III. Die Klage kann schließlich auch mit dem zweiten Hilfsantrag keinen Erfolg haben.
Die begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines planungsrechtlichen
Vorbescheides (Bebauungsgenehmigung) scheitert daran, dass das Vorhaben, wie
oben ausgeführt, planungsrechtlich unzulässig ist.
123
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO, die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO.
124
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
125