Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.09.2004

OVG NRW: vergabeverfahren, anbieter, leistungserbringer, auffordern, rechtsverletzung, leistungsfähigkeit, wirtschaftlichkeit, hauptsache, rechtfertigung, dienstleistungsvertrag

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 B 1390/04
Datum:
27.09.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 B 1390/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 5 L 756/04
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4
Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen
Beschlusses.
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Ohne Erfolg bleiben die Einwände gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dem
Antragsteller stehe summarischer Prüfung zufolge der mit dem Antrag zu 1. geltend
gemachte Anspruch auf Unterlassung einer mit Ausschließlichkeitszusage erfolgenden
Vergabe von Vereinbarungen nach §§ 93 ff. BSHG über Leistungen des ambulant
betreuten Wohnens für suchtkranke Menschen im Kreis X. zu, weil durch die hoheitliche
Maßnahme der Vergabe eines Vereinbarungsabschlusses gemäß dem
Vereinbarungsentwurf (Anlage E der Ausschreibungsunterlagen) rechtswidrig in
subjektive Rechte des Antragstellers eingegriffen werde. Insoweit kann dahinstehen, ob
die - eher als ergänzende Begründung angeführte - Annahme des Verwaltungsgerichts
zutrifft, durch das streitgegenständliche Ausschreibungsverfahren werde die in Art. 12
Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit des Antragstellers verletzt.
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Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerwG, Urteil vom 13. Mai 2004 - 3 C 2.04 -,
Juris, wonach eine Regelung der Investitionsförderung für ambulante Pflegedienste in
der Weise, dass in jedem räumlichen Betreuungsbereich nur ein Pflegedienstträger
gefördert wird, das Grundrecht der konkurrierenden Anbieter auf freie Berufsausübung
verletzt.
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Denn das Verwaltungsgericht hat das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs auch
damit begründet, dass die Vergabe eines Vereinbarungsabschlusses mit Gebietsschutz
den Anspruch des Antragstellers auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung über den
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Abschluss einer Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG verletzt. Jedenfalls diese
insoweit selbständig tragende Begründung der angefochtenen Entscheidung wird durch
das Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.
Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 des Entwurfs der ausgeschriebenen Vereinbarung räumt der
Sozialhilfeträger dem Leistungserbringer, der den Zuschlag erhält, das alleinige Recht
ein, Personen zu betreuen, die der in § 2 Abs. 1 des Vereinbarungsentwurfs
beschriebenen Zielgruppe angehören, in dem angegebenen Einzugsgebiet wohnen
und einen Sozialhilfeanspruch haben. Durch dieses Alleinbetreuungsrecht ist der
Antragsgegner nach Erteilung des Zuschlags gehindert, während der zweijährigen
Geltungsdauer der Vereinbarung (vgl. § 12 des Entwurfs) mit einem anderen
Einrichtungsträger eine Vereinbarung für den Leistungsbereich des ambulant betreuten
Wohnens in dem jeweiligen Losgebiet abzuschließen; er könnte der Aufforderung zu
entsprechenden Verhandlungen (vgl. § 93b Abs. 1 Satz 2 BSHG) schon aus diesem
Grunde nicht nachkommen. Der beschließende Senat teilt die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, dass durch die Bindungswirkung einer Vereinbarung mit
Gebietsschutz der Anspruch anderer Einrichtungsträger und damit auch des
Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer
Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG,
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vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30. September 1993 - 5 C 41.91 -, FEVS 44, S. 353 (355),
sowie Urteil vom 1. Dezember 1998 - 5 C 29.97 -, FEVS 49, S. 345 (349),
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verletzt wird. Da der Antragsgegner den Abschluss weiterer Vereinbarungen ohne
Prüfung der in § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG genannten Kriterien schon deshalb ablehnen
muss, weil er dem Leistungserbringer, der den Zuschlag erhalten hat, ein
Alleinbetreuungsrecht eingeräumt hat, liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor.
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Entgegen der in der Beschwerdebegründung geäußerten Auffassung des
Antragsgegners kann eine Rechtsverletzung des Antragstellers nicht mit der
Begründung verneint werden, dessen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie
Entscheidung werde durch das konkrete Vergabeverfahren nicht nur nicht beeinträchtigt,
sondern im Gegenteil sogar gesichert, weil die im Rahmen der Ermessensentscheidung
zu berücksichtigenden Kriterien (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Leistungsfähigkeit)
bereits in die Verdingungsunterlagen Eingang gefunden hätten. Das gilt schon deshalb,
weil der Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung nicht mit dem Abschluss
des Vergabeverfahrens erlischt, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus besteht. So
könnte der Antragsteller beispielsweise für den Fall, dass er bzw. die
Bietergemeinschaft, der er angehört, im Vergabeverfahren den Zuschlag nicht erhielte,
anschließend den Antragsgegner zu Verhandlungen über den Abschluss einer
Vereinbarung auffordern. Diese Aufforderung müsste der Antragsgegner im Hinblick auf
das dem erfolgreichen Bieter eingeräumte Alleinbetreuungsrecht ablehnen. Darin läge
eine Verletzung des Rechts des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.
Die Argumentation des Antragsgegners, er übe sein Ermessen ausschließlich im
Rahmen des Vergabeverfahrens aus und sei zu Ermessensentscheidungen außerhalb
dieses Verfahrens nicht verpflichtet, dürfte mit den Regelungen der §§ 93 ff. BSHG nicht
im Einklang stehen. Danach können Einrichtungsträger den zuständigen
Sozialhilfeträger jederzeit zu Verhandlungen über den Abschluss einer Vereinbarung
auffordern und müssen sich nicht darauf verweisen lassen, die Durchführung eines
Vergabeverfahrens zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuwarten. Die vom Antragsgegner
angeführte Vorschrift des § 93b Abs. 1 Satz 1 BSHG regelt lediglich, für welchen
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Zeitraum die Vereinbarungen abzuschließen sind, besagt aber nicht, dass
Aufforderungen zum Abschluss einer Vereinbarung nur zu bestimmten Terminen
ergehen können. Dass die Entscheidung über eine solche Aufforderung zeitnah
getroffen werden muss und nicht bis zum nächsten Vergabeverfahren, das
möglicherweise erst nach mehreren Jahren stattfindet, aufgeschoben werden darf, ergibt
sich aus § 93b Abs. 1 Satz 2 BSHG, der dem Sozialhilfeträger für den Abschluss einer
Vereinbarung nach § 93a Abs. 2 BSHG eine Frist von lediglich sechs Wochen einräumt
und dem Einrichtungsträger nach Ablauf dieser Frist die Möglichkeit eröffnet, die
Schiedsstelle anzurufen, welche unverzüglich über die Gegenstände entscheidet, über
die keine Einigung erreicht werden konnte.
Der Antragsgegner kann das von ihm beabsichtigte Vorgehen, einen neuen Anbieter auf
die Wiederholung des Vergabeverfahrens zu einem späteren Zeitpunkt zu verweisen,
auch nicht durch die Selbstbindung rechtfertigen, die er sich durch den Gebietsschutz
auferlegt hat. Denn diese Selbstbindung ist rechtswidrig, weil die Zuerkennung eines
Gebietsschutzes in dem Sinne, dass für ein bestimmtes Gebiet Leistungen an
Hilfebedürftige nur durch einen Einrichtungsträger erbracht werden, gegen den in §§ 93
ff. BSHG verankerten Grundsatz der Anbieterkonkurrenz verstößt. Der Antragsteller
weist in der Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hin, dass der Gesetzgeber mit
dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 die Voraussetzungen
für einen Leistungswettbewerb der gemeinnützigen und gewerblichen Träger um die
Hilfesuchenden als Nachfrager geschaffen hat. Ein solcher Wettbewerb ist nur möglich,
wenn in ein und demselben Gebiet verschiedene Einrichtungsträger ihre Leistungen
anbieten können.
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Vgl. zu der die Sozialhilfe prägenden pluralen Angebotsstruktur auch Mrozynski, Die
Vergabe öffentlicher Aufträge und das Sozialrecht, ZFSH/SGB 2004, S. 451 (456, 461);
ferner Münder in LPK- BSHG, 6. Aufl. 2003, vor § 93 Rn. 3
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Von einem Nebeneinander verschiedener Anbieter geht auch die Bestimmung des § 93
Abs. 1 Satz 3 BSHG aus, die im Übrigen zeigt, dass das Bestehen einer Vereinbarung
mit einem bestimmten Einrichtungsträger den Sozialhilfeträger nicht daran hindert,
weitere Vereinbarungen mit anderen Trägern abzuschließen. Der Antragsgegner darf
den Abschluss derartiger Vereinbarungen jedenfalls nicht mit der Begründung
ablehnen, durch das einem Leistungserbringer eingeräumte Alleinbetreuungsrecht und
die von ihm eingegangene Verpflichtung, den Betreuungsbedarf der Zielgruppe im
Einzugsgebiet vollständig zu decken (vgl. § 2 Abs. 4 des Vereinbarungsentwurfs), sei
sichergestellt, dass die erforderlichen Hilfeleistungen durch diesen Anbieter erbracht
würden, so dass es der Zulassung weiterer Einrichtungsträger nicht bedürfe. Das liefe
auf eine Einbeziehung von Bedarfsgesichtspunkten in das Abschlussermessen des
Sozialhilfeträgers hinaus, die indes mit Blick auf die in § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG
normierten Kriterien der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit und die
ihnen beigelegte angebotssteuernde Wirkung nicht zulässig ist.
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Vgl. das Urteil des Senats vom 26. April 2004 - 12 A 858/03 - m.w.N., und Mrozynski,
a.a.O., S. 460 f.
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Verletzt der Abschluss einer Vereinbarung mit Gebietsschutz danach den Antragsteller
in seinem Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, so kann dahingestellt bleiben,
ob die Durchführung eines Vergabeverfahrens mit ausschließlichem Leistungsrecht
gegen weitere sozialhilferechtliche Vorschriften (z.B. § 93b und § 3 Abs. 2 BSHG)
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verstößt und ob der Antragsteller aus derartigen Verstößen einen
Unterlassungsanspruch wegen eines Eingriffs in eigene Rechte herleiten könnte.
Ferner ist nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei der vom Antragsgegner
beabsichtigten Vereinbarung um einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1
GWB handelt, für den grundsätzlich die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB über das
Vergabeverfahren gelten. Wenn man diese Frage - wie das Verwaltungsgericht -
verneint, besteht schon deshalb keine gesetzliche Verpflichtung des Antragsgegners zur
Durchführung eines Vergabeverfahrens und somit keine Rechtfertigung für den darin
liegenden Eingriff in das subjektiv-öffentliche Recht des Antragstellers auf
pflichtgemäße Ermessensentscheidung. Aber auch dann, wenn man - wie der
Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf in seinem Beschluss vom 8.
September 2004 - die Auffassung vertritt, bei der hier in Rede stehenden Vereinbarung
handele es sich um einen entgeltlichen Dienstleistungsvertrag im Sinne von § 99 Abs. 1
GWB, folgt daraus nicht zwingend, dass ein Vergabeverfahren durchgeführt werden
darf. Denn die Unzulässigkeit eines solchen Verfahrens kann sich aus gesetzlichen
Bestimmungen außerhalb des Vergaberechts ergeben, worauf auch das OLG
Düsseldorf hingewiesen hat. So verhält es sich hier. Die Gebietsschutzklausel in § 2
Abs. 3 des Vereinbarungsentwurfs des Antragsgegners dürfte - wie oben ausgeführt -
mit dem Prinzip der Angebots- und Trägervielfalt, das den §§ 93 ff. BSHG zugrunde
liegt, nicht zu vereinbaren sein und das Recht der übrigen Einrichtungsträger auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer Vereinbarung nach § 93
Abs. 2 BSHG verletzen. Bei dieser Sachlage darf ein Vergabeverfahren, das auf den
Abschluss einer derartigen Vereinbarung gerichtet ist, nicht durchgeführt und
insbesondere ein den Vertragsschluss bewirkender Zuschlag nicht erteilt werden.
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Die Einwände, die der Antragsgegner gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichts
erhebt, der Antragsteller habe hinsichtlich des Antrags zu 1. das Vorliegen der
tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1
VwGO dargelegt und glaubhaft gemacht, greifen ebenfalls nicht durch. Da es für diese
Beurteilung auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt,
geht der Hinweis auf den vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 115 Abs. 3, 118 Abs. 1 Satz
3 GWB ins Leere; denn das Nachprüfungsverfahren ist inzwischen durch den Beschluss
des Vergabesenats des OLG Düsseldorf vom 8. September 2004 rechtskräftig
abgeschlossen. Durch die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts wird
entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht in unzulässiger Weise die
Hauptsache vorweggenommen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass im
vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig sei, ist
nicht zu beanstanden. Im angefochtenen Beschluss wird zutreffend ausgeführt, dass
dem Antragsteller bei einer Erteilung des Zuschlags - aller Wahrscheinlichkeit nach an
einen konkurrierenden Anbieter - ein unzumutbarer, im Hauptsacheverfahren nicht mehr
zu beseitigender Nachteil droht, der darin besteht, dass sich der Antragsgegner wegen
der Gebietsschutzklausel am Abschluss einer Vereinbarung mit dem Antragsteller
gehindert sähe. Der Hinweis des Antragsgegners auf den geringen Umfang der
ausgeschriebenen Leistungen verfängt nicht, weil sich die Unzumutbarkeit, eine
Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten, nicht aus der wirtschaftlichen
Bedeutung der Angelegenheit, sondern daraus ergibt, dass nur durch eine einstweilige
Anordnung die dem Antragsteller drohende Rechtsverletzung verhindert werden kann.
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Aus den vorstehenden Ausführungen folgt schließlich, dass das Beschwerdevorbringen
auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Anträge zu 2. und 3. nicht zu
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erschüttern vermag. Es bedarf der mit dem Antrag zu 2. begehrten Verpflichtung, weil im
Rahmen des Vergabeverfahrens eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung des
Antragsgegners nicht gewährleistet ist. Die Vergütungshöhe ist im Hinblick auf § 93
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG notwendiger Bestandteil der Verhandlungen mit dem
Antragsteller, zu deren Aufnahme der Antragsgegner verpflichtet ist, so dass auch
hinsichtlich des Antrags zu 3. ein Anordnungsanspruch besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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