Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.02.2011

OVG NRW (sicherheitsleistung, anordnung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, anlage, stand der technik, sanierung, entsorgung, höhe, betreiber, reinigung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 B 1675/10
Datum:
02.02.2011
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 B 1675/10
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin ¬gegen den Be-schluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 17. November 2010 wird
zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 180.386,10
Euro festgesetzt.
G r ü n d e:
1
I. Der Senat legt den mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag der Antragstellerin
dahin aus, dass er auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage(n)
gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 5. August 2010, geändert durch
Bescheid vom 24. September 2010, gerichtet ist. Die Antragstellerin wendet sich in den
erstinstanzlichen Klageverfahren 8 K 3599/10 und 8 K 4601/10 gegen die mit Bescheid
vom 5. August 2010 nachträglich angeordnete Sicherheitsleistung, die durch
Änderungsbescheid vom 24. September 2010 auf 1.803.861,- Euro erhöht worden ist.
2
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das
Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO beschränkt ist, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht infrage.
3
Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen
Interessenabwägung maßgeblich auf die Erfolgsaussichten der erhobenen Klage
abgestellt und angenommen, dass einer nachträglichen Anordnung einer
Sicherheitsleistung nach § 17 Abs. 4 a BImSchG nicht die Möglichkeit entgegenstehe,
auf der Grundlage des Vollstreckungsrechts vorzugehen. Die tatbestandlichen
Voraussetzungen der Norm lägen vor, insbesondere sei gegen die Höhe der
angeordneten Sicherheitsleistung, die sich an der Höhe der Kosten für die Erfüllung der
Pflichten nach § 5 Abs. 3 BImSchG orientieren müsse, nichts zu erinnern. Die
nachträgliche Anordnung der Sicherheitsleistung sei auch verhältnismäßig und beachte
die Grundrechte der Antragstellerin. Das Beschwerdevorbringen stellt diese tragenden
4
Erwägungen nicht in Frage. Hiervon ausgehend fällt die Interessenabwägung zulasten
der Antragstellerin aus.
1. Die angegriffene Anordnung einer erhöhten Sicherheitsleistung durch Bescheid vom
24. September 2010 stützt sich zu Recht auf § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG.
5
a) Nach dieser Vorschrift soll bei Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Abs. 1
Satz 1 BImSchG auch eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. Die Regelung will
sicherstellen, dass die Nachsorgepflichten des Betreibers einer
genehmigungspflichtigen Abfallentsorgungsanlage nach Einstellung des Betriebs auf
dessen Kosten - und nicht auf Staatskosten - erfüllt werden (aa). Eine
Sicherheitsleistung kann auch dann nachträglich angeordnet werden, wenn - wie hier -
bereits eine Umweltbelastung und -gefährdung eingetreten ist (bb). Ob nach endgültiger
Einstellung des gesamten Betriebs noch die nachträgliche Anordnung einer
Sicherheitsleistung zulässig ist, kann offen bleiben, da dieser Fall nicht vorliegt (cc). Die
Anordnung einer Sicherheitsleistung hat sich an der voraussichtlichen Höhe der Kosten
für die Erfüllung dieser Nachsorgepflichten zu orientieren (dd).
6
aa) Nach § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG, der erst seit März 2010 in Kraft ist, "soll" bei
Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, zu denen auch der
Betrieb der Antragstellerin gehört, zur Erfüllung der Pflichten nach § 5 Abs. 3 BImSchG -
sog. Nachsorgepflichten oder Pflichten in der Nachbetriebsphase - auch eine
Sicherheitsleistung angeordnet werden. Durch die Neuregelung wurde die frühere
Fassung ("kann") verschärft, nachdem das Bundesverwaltungsgericht klargestellt hatte,
dass vom Betreiber einer Abfallentsorgungsanlage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG zur
Sicherstellung der Anforderungen nach § 5 Abs. 3 BImSchG eine Sicherheitsleistung
auch ohne Zweifel an dessen Liquidität gefordert werden kann.
7
BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 -, BVerwGE 131, 11,
nachgehend BVerfG, Beschluss vom 1. November 2009 - 1 BvR 1370/08 -,
NVwZ 2009, 1484.
8
Parallel zu § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG, der nachträgliche Anordnungen betrifft, wurde
auch § 12 Abs. 1 Satz 2 BImSchG (Nebenbestimmungen zur Genehmigung) neu
gefasst. Danach muss nunmehr im Regelfall sowohl bei Neu- als auch bei
Bestandsanlagen eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. Nur wenn atypische
Umstände vorliegen, steht die Entscheidung im Ermessen der Behörde.
9
Vgl. zur neuen Rechtslage Kopp-Assenmacher, Neues in Sachen
Sicherheitsleistung für Abfallentsorgungsanlagen, AbfallR 2010, 150 ff., und
Diekmann, Sicherheitsleistung "reloaded", UPR 2010, 178 ff.
10
Sinn und Zweck der Vorschriften ist es sicherzustellen, dass die öffentliche Hand bei
Zahlungsunfähigkeit des Betreibers einer Abfallentsorgungsanlage nicht die zum Teil
erheblichen Sicherungs-, Sanierungs- und Entsorgungskosten zu tragen hat. Gerade bei
diesen Anlagenarten besteht nach Einschätzung des Gesetzgebers typischerweise die
Gefahr der Annahme und Lagerung von Abfällen ohne Verwertungsabsicht oder
hinreichendes Verwertungskonzept und damit die Gefahr hoher Kosten für die
öffentliche Hand bei Insolvenz des Betreibers.
11
Vgl. BT-Drucks. 14/4926, S. 6.
12
Die Nachsorgepflichten des § 5 Abs. 3 BImSchG, deren Erfüllung durch die Anordnung
einer Sicherheitsleistung gewährleistet werden soll, entstehen erst nach der gleich aus
welchem Grund erfolgenden - Betriebseinstellung und damit zu einem bei
Bescheiderlass nicht vorhersehbaren künftigen Zeitpunkt. Ob dann der
Anlagenbetreiber noch liquide sein wird, ist im Allgemeinen nicht vorhersehbar. Etwas
anderes gilt nur für Betreiber, bei denen eine Insolvenz von vornherein ausgeschlossen
ist, etwa wenn die Anlage von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts betrieben
wird. Der Gesetzgeber wollte zudem eine Regelung schaffen, die einen äußerst
geringen, nicht quantifizierbaren zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursacht.
13
BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 -, BVerwGE 131, 11 = juris,
Rn. 28 ff.
14
bb) Aus dem Vorstehenden folgt, dass eine Sicherheitsleistung - entgegen der
Auffassung der Antragstellerin - auch dann noch nachträglich angeordnet werden kann,
wenn - wie hier - bereits eine Umweltbelastung und -gefährdung eingetreten ist, auf die
die Behörde schon mit nachträglichen Anordnungen nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG
reagiert hat, die sie gegebenenfalls nach Maßgabe des Vollstreckungsrechts
zwangsweise durchsetzen und für deren voraussichtliche Ersatzvornahmekosten sie
sogar - jedenfalls in Nordrhein-Westfalen, anders z.T. in anderen Bundesländern - gem.
§ 59 Abs. 2 Satz 1 VwVG NRW den Betroffenen im Voraus in Anspruch nehmen kann.
Durch diese landesrechtlich vorgesehenen Vollstreckungsmöglichkeiten wird die
bundesrechtlich geregelte nachträgliche Anordnung der Sicherheitsleistung nicht
"verdrängt"; sie wird auch keineswegs überflüssig, solange es weiterhin in Betracht
kommt, dass nach endgültiger Betriebseinstellung Nachsorgepflichten in dem von der
Sicherheitsleistung vorausgesetzten Umfang entstehen können.
15
Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Sicherheitsleistung auch für solche
Ersatzvornahmekosten in Anspruch genommen werden kann, die vor einer endgültigen
Betriebseinstellung anfallen. Dies ist nach dem oben Ausgeführten zu verneinen. Die
Sicherheitsleistung soll allein die voraussichtlichen Kosten der Nachsorgepflichten nach
endgültiger Betriebseinstellung absichern.
16
Werden durch Sanierungsmaßnahmen - gleich ob vor oder nach einer
Betriebseinstellung - spätere Nachsorgepflichten ganz oder teilweise erfüllt, ist die
Sicherheitsleistung entsprechend der Realisierung einzelner Nachsorgepflichten zu
reduzieren bzw. freizugeben.
17
Vgl. Grete/Küster, NuR 2002, 467 (471); Jarass, BImSchG, Kommentar, 8.
Aufl. 2010, § 12 Rn. 18.
18
cc) Offen bleiben kann, ob eine nachträgliche Sicherheitsleistung nach § 17 Abs. 4a
Satz 1 BImSchG auch noch nach einer endgültigen Betriebsstilllegung angeordnet
werden kann. Das Gesetz enthält hierzu keine Regelung. Für eine solche Möglichkeit
könnte sprechen, dass das immissionsschutzrechtliche Instrumentarium erst nach
Ablauf eines Jahres nach Einstellung des gesamten Betriebs endet (vgl. § 17 Abs. 4a
Satz 2 BImSchG, der für sämtliche Anlagen - nicht nur für Abfallentsorgungsanlagen -
gilt). Der Senat muss der Frage aber nicht weiter nachgehen, da hier keine endgültige
Stilllegung des gesamten Betriebes vorliegt (s. unten unter 1. b) aa).
19
dd) Da die Sicherheitsleistung der Erfüllung der verschiedenen Nachsorgepflichten
nach § 5 Abs. 3 BImSchG dienen soll, hat sich die Anordnung einer Sicherheitsleistung
an der voraussichtlichen Höhe der Kosten für die Erfüllung dieser Pflichten zu
orientieren.
20
Nach § 5 Abs. 3 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten, zu
betreiben und stillzulegen, dass auch nach einer Betriebseinstellung von der Anlage
oder dem Anlagengrundstück keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige
Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und
die Nachbarschaft hervorgerufen werden können (Nr. 1), vorhandene Abfälle
ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der
Allgemeinheit beseitigt werden (Nr. 2) und die Wiederherstellung eines
ordnungsgemäßen Zustandes des Betriebsgeländes gewährleistet ist (Nr. 3). Die
genannten Pflichten beziehen sich ihrem Inhalt nach auf die Zeit nach Einstellung des
Anlagenbetriebs, d.h. nach vollständiger und dauerhafter Einstellung des Betriebs. Für
eine zeitweilige Betriebseinstellung gilt § 5 Abs. 3 BImSchG nur dann, wenn sie in
Anlehnung an § 18 BImSchG länger als drei Jahre dauern soll oder tatsächlich drei
Jahre überschreitet.
21
Jarass, a.a.O., § 5 BImSchG Rn. 108; Dietlein, in: Landmann/Rohmer,
Umweltrecht, Kommentar, Band 1, Stand: September 2010, § 5 BImSchG
Rn. 214 f.
22
Zwar dürften bei ordnungsgemäßer Errichtung und ordnungsgemäßem Betrieb einer
Anlage unter Beachtung der genannten Grundpflichten grundsätzlich weder von der
Anlage noch von dem Anlagengrundstück Gefahren ausgehen. Häufig wird aber erst
nach Stilllegung offenkundig, dass die genannten Pflichten nicht oder nicht vollständig
erfüllt wurden, indem Bodenverunreinigungen und/oder die Ablagerung schädlicher
Stoffe in der Anlage entdeckt werden. Die Regelung dehnt deshalb die Verantwortung
des Betreibers auf die Zeit nach Betriebseinstellung aus; Schutzzweck ist die Sicherung
der Umweltverträglichkeit einer genehmigungsbedürftigen Anlage auch für die Zeit nach
Betriebsende.
23
Dietlein, a.a.O., § 5 BImSchG Rn. 209 und 213.
24
Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass zu den Nachsorgepflichten des Betreibers
einer Abfallentsorgungsanlage nicht nur die Entsorgung der in der Anlage
zulässigerweise, sondern darüber hinaus auch der nicht genehmigungskonformen
Abfälle gehört.
25
Grete/Küster, NuR 2002, 467 (470).
26
Nicht geschuldet ist die völlige Befreiung des Anlagengrundstücks, des Bodens und des
Grundwassers von Verunreinigungen und Belastungen, insbesondere besteht keine
Pflicht zur Wiederherstellung des Zustands, der vor der Genehmigungserteilung
bestanden hat. Auch als Vorsorgemaßnahmen zu qualifizierende Vorkehrungen hat der
ehemalige Betreiber nicht zu treffen. Eine Sanierung ist vielmehr nur in dem Umfang
erforderlich, wie weiterhin drohende schädliche Umwelteinwirkungen, sonstige
Gefahren, erhebliche Nachteile und Belästigungen zu beheben sind.
27
Dietlein, a.a.O., § 5 BImSchG Rn. 225 f.
28
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen wird der Bescheid des Antragsgegners vom
5. August 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. September 2010 bei
summarischer Prüfung den Anforderungen des § 17 Abs. 4a BImSchG gerecht.
29
aa) Der Umstand, dass bereits vor Betriebseinstellung schädliche Umwelteinwirkungen
und sonstige Gefahren von dem Betriebsgrundstück der Antragstellerin ausgehen, auf
die der Antragsgegner mit Ordnungsverfügungen vom 28. Mai und 31. August 2010
reagiert hat, hinderte nicht die Anordnung einer Sicherheitsleistung. Denn im
vorliegenden Fall bestehen hinreichende Anhaltspunkte, dass die von der PCB-
Belastung des Betriebsgrundstücks ausgehenden Gefahren möglicherweise nicht vor
endgültiger Betriebseinstellung beseitigt werden, so dass Nachsorgepflichten in dem
von der Sicherheitsleistung vorausgesetzten Umfang entstehen können.
30
Der Betrieb der Antragstellerin ist noch nicht endgültig eingestellt, so dass es auf die
Frage, ob die Anordnung einer Sicherheitsleistung nach § 17 Abs. 4a BImSchG auch
noch nach endgültiger Betriebseinstellung zulässig ist, nicht ankommt. Mit
Ordnungsverfügung vom 6. Mai 2010 hat der Antragsgegner zunächst nur eine
Teilstilllegung der Halle 55 verfügt. Auch mit den Ordnungsverfügungen vom 20. Mai
2010 (mündlich) bzw. 28. Mai 2010 (schriftlich) wurde keine endgültige
Betriebsstilllegung angeordnet. Denn die auf § 20 Abs. 2 BImSchG gestützte
Maßnahme - Stilllegung der Abfallentsorgungsanlage - wird damit begründet, dass in
der Anlage in erheblichem Umfang ein nicht genehmigter Umgang mit PCB-haltigen
Materialien stattgefunden habe. Dadurch befinde sich die Anlage insgesamt in einem
nicht genehmigten Betriebszustand, der eine nicht genehmigte wesentliche Änderung
darstelle (Ordnungsverfügung vom 28. Mai 2010, S. 9 und 11); zugleich werden der
Antragstellerin - gestützt auf § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG - bestimmte Reinigungs- und
Abfallbeseitigungsmaßnahmen auferlegt. Damit eröffnet die Ordnungsverfügung die
Möglichkeit, dass der Betrieb nach Durchführung der genannten Maßnahmen - in dem
bislang genehmigten Umfang bzw. nach Einholung einer Änderungsgenehmigung -
weiterbetrieben werden kann. Auch ein Verzicht der Antragstellerin auf die
Genehmigung, der einer endgültigen Betriebseinstellung gleichgestellt werden könnte,
31
Dietlein, a. a. O., § 5 BImSchG Rn. 216,
32
liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat im Gegenteil - zuletzt im Schriftsatz vom
20. Januar 2011 - betont, dass sie den Betrieb fortführen will, sich hieran allerdings
durch die Höhe der festgesetzten Sicherheitsleistung gehindert sieht.
33
Nicht zutreffend ist allerdings die Annahme im Änderungsbescheid vom 24. September
2010, die bereits erbrachte Sicherheitsleistung in Höhe von 81.450,- Euro, die mit
Genehmigungsbescheid vom 20. März 2009 festgesetzt worden ist, könne für die Kosten
bereits durchgeführter Ersatzvornahmen sowie weiterer bereits angedrohter
Ersatzvornahmen vor einer endgültigen Betriebseinstellung verwendet werden
(Bescheid, S. 6 f.); denn die Sicherleistung soll und darf allein die voraussichtlichen
Kosten der Nachsorgepflichten nach endgültiger Betriebseinstellung absichern. Dies
führt jedoch nicht zur (teilweisen) Rechtswidrigkeit des Bescheides, weil - angesichts
der inzwischen vorliegenden neueren Erkenntnisse - davon auszugehen ist, dass die
angeordnete Sicherheitsleistung in vollem Umfang für die Erfüllung späterer
Nachsorgepflichten - nach endgültiger Betriebseinstellung - benötigt wird (dazu noch
unten). Die Frage der späteren Verwendung der Sicherheitsleistung ist nicht
34
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin führt die Anordnung der
Sicherheitsleistung nicht dadurch zu einer unzulässigen Doppelbelastung, dass die
Antragstellerin sowohl für die ihr aufgegebene Sanierung als auch für die
Sicherheitsleistung Geld aufbringen muss. Vielmehr hat der Antragsgegner in seinem
Änderungsbescheid vom 24. September 2010 (S. 7 unten) ausdrücklich klargestellt,
dass er die Sicherleistung entsprechend der Umsetzung einzelner Nachsorgepflichten
reduzieren bzw. freigeben wird.
35
Die wiederholte Rüge der Antragstellerin in ihrer Beschwerde, der Antragsgegner habe
ohne nachvollziehbare Begründung die Sanierungskonzepte der Antragstellerin
verworfen, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Diese Frage gehört nicht
zum Streitgegenstand des Verfahrens; ihr ist gegebenenfalls im Zusammenhang mit den
Sanierungsanordnungen bzw. den vollstreckungsrechtlichen Maßnahmen
nachzugehen. Im Übrigen entbindet die Sicherheitsleistung die Antragstellerin nicht
davon, den Sanierungsanordnungen des Antragsgegners nachzukommen.
36
bb) Die festgesetzte Sicherheitsleistung ist auch weder dem Grunde noch der Höhe
nach zu beanstanden.
37
(1) Bei Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG geht die
Verwaltungspraxis im Regelfall pauschal von den voraussichtlichen Entsorgungskosten
der maximal genehmigten Abfallmenge aus. Die Sicherheitsleistung wird aus den
Faktoren der maximal genehmigten Gesamtlagermenge und den durchschnittlichen
Entsorgungskosten je Tonne des jeweiligen Abfalls gebildet. Zu den Entsorgungskosten
kommen insbesondere Analyse- und Transportkosten hinzu.
38
Vgl. etwa Erlass Nr. 5/1/10 "Sicherheitsleistungen bei
Abfallentsorgungsanlagen" des Ministeriums für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz (Brandenburg) vom 18. Oktober 2010, Amtsblatt für
Brandenburg 2010, S. 1778; RdErl. d. MU (Niedersachsen)
"Sicherheitsleistungen bei Abfallentsorgungsanlagen im Bereich des
Immissionsschutzes" (n.v.) vom 30. September 2004 - 35-40500/1/2/18
(http://www.mu1.niedersachsen.de); vgl. neuerdings auch Erlass des
Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und
Verbraucherschutz des Landes NRW "Festsetzung von
Sicherheitsleistungen zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten gemäß § 5
Abs. 3 Nr. 2 BImSchG bei Abfallentsorgungsanlagen i.S.d. Bundes-
Immissionsschutzgesetzes" (ohne Datum und Az., Übersendungsschreiben
vom 5. Januar 2011).
39
Abfälle, die einen sog. positiven Marktwerkt haben, sind dabei nicht zu berücksichtigen;
denn es ist nicht Sinn der Sicherheitsleistung, dass der Staat zum Erhalt des
Sicherungsmittels am Markt teilnimmt, um bei dem Verkauf von auf dem
Betriebsgrundstück verbliebenem Abfall möglichst günstige Preise zu erzielen. Ebenso
wenig kann eine etwaige Abfallbehandlung durch den von der Sicherheitsleistung
betroffenen Betreiber (oder einen Dritten) mit der Folge einer Erhöhung des Marktwertes
unterstellt werden. Vielmehr ist bei der Bestimmung des Marktwertes der Abfall im
Augenblick der Anlieferung maßgeblich. Dies folgt aus Sinn und Zweck der
Sicherheitsleistung, die der präventiven Durchsetzung der Nachsorgepflichten nach
40
endgültiger Betriebsstilllegung dient, also den Fall der faktischen Einstellung aller
Handlungen - auch etwaiger Behandlungsmaßnahmen - meint.
Vgl. Kopp-Assenmacher, AbfallR 2010, 150 (152), Diekmann, UPR 2010,
178 (180) sowie Nds. OVG, Urteil vom 16. November 2009 - 12 LB 344/07 -,
UPR 2010, 151 = juris Rn. 41 ff.; Sächs. OVG, Beschluss vom 5. Juli 2010 -
4 B 129/07 -, AbfallR 2010, 310 = juris Rn. 6.
41
Hiervon ausgehend käme man im vorliegenden Fall - bei pauschaler Betrachtung
einschließlich Transportkosten - allein für die Entsorgung der maximal zugelassenen
Menge an gefährlichen Abfällen bereits zu einer Sicherheitsleistung in Höhe von
1 Million Euro (bei einer unterstellten Entsorgung in der UTD Herfa Neurode -
Rechnung: 2.500 t Gesamtkapazität x 400,- Euro/t Entsorgungskosten, vgl. hierzu
Kostengutachten, S. 43) bzw. in Höhe von 3,75 Millionen Euro (bei einer unterstellten
thermischen Beseitigung, Rechnung: 2.500 x 1.500,- Euro/t, S. hierzu Aktenvermerk vom
20. Januar 2011). Sofern der Einwand der Antragstellerin zutreffen sollte, dass eine
Entsorgung in der UTD Herfa Neurode nicht möglich ist, würde dies allenfalls zu dem für
sie ungünstigeren Ergebnis führen, dass auf die teurere Alternative zurückgegriffen
werden müsste; eine günstigere Entsorgungsmöglichkeit hat die Antragstellerin nicht
substantiiert aufgezeigt. Die "Entsorgung" im Betrieb der Antragstellerin selbst scheidet
jedenfalls deshalb aus, weil für die Sicherheitsleistung lediglich die Situation nach
Betriebseinstellung zu betrachten ist.
42
(2) Der Antragsgegner hat die voraussichtlich entstehenden Nachsorgepflichten
allerdings nicht nach den vorstehenden pauschalen Berechnungsfaktoren veranschlagt,
sondern ein umfangreiches "Gutachten zur Kostenschätzung des voraussichtlichen
Sanierungsaufwandes für das Anlagengelände der ENVIO Recycling GmbH & Co KG"
des Gutachterbüros U. vom 23. September 2010 (im Folgenden Kostengutachten) in
Auftrag gegeben, um ausgehend von der festgestellten hohen PCB-Belastung des
Betriebsgrundstücks, der darauf befindlichen Anlagen sowie des dort gelagerten Abfalls
- die im konkreten Fall veranlassten Sanierungs- und Entsorgungskosten - überschlägig
- zu ermitteln sowie den weiteren Untersuchungsbedarf aufzuzeigen. Dabei ging er
ersichtlich von der Vorstellung aus, dass die bereits eingetretene Umweltbelastung und
-gefährdung durch PCB weit über das übliche Maß hinausgehende Nachsorgepflichten
zur Folge haben wird, so dass eine Pauschalbetrachtung die voraussichtlichen Kosten
nicht realitätsnah abgebildet hätte. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Ist - wie
hier - durch eine Abfallentsorgungsanlage eine Umweltbelastung und -gefährdung
schon eingetreten, so können in die Sicherheitsleistung - erst recht - auch solche Kosten
einbezogen werden, die voraussichtlich für die Beseitigung der schon konkret
eingetretenen Störungen entstehen werden. Denn dann haben sich die mit dem Betrieb
von Abfallentsorgungsanlagen durch private Betreiber typischerweise verbundenen
Gefahren, denen der Gesetzgeber mit der verpflichtenden Anordnung einer
Sicherheitsleistung gerade für die Abfallbranche begegnen wollte,
43
vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. September 2009 1 BvR 1370/08 -, NVwZ
2009, 1484 = juris Rn. 26, unter Hinweis auf BR-Drucks 408/00 (Beschluss),
S. 3; BT-Drucks. 14/4599, S. 128 f.; BT-Drucks. 14/4926, S. 1,
44
sogar schon realisiert.
45
(3) Die der Sicherheitsleistung zugrunde liegende Prognose des Antragsgegners zu den
46
möglichen Kosten der Nachsorgepflichten ist im gerichtlichen Verfahren nur
eingeschränkt überprüfbar.
Die Anordnung einer Sicherheitsleistung betrifft in der Zukunft liegende
Nachsorgepflichten. Die Behörde muss abschätzen, ob und ggf. in welchem Umfang
diese Pflichten entstehen werden. Eine solche Prognose ist schon ihrem Wesen nach
stets mit Unwägbarkeiten hinsichtlich ungewisser zukünftiger Entwicklungen belastet.
Hier kommt erschwerend hinzu, dass das Ausmaß der PCB-Belastung im vorliegenden
Fall - soweit ersichtlich - in Deutschland beispiellos ist, so dass der Antragsgegner
weder für die Bestandsaufnahme noch für die erforderliche PCB-Sanierung auf
belastbare Erfahrungswerte zurückgreifen konnte.
47
Vor diesem Hintergrund einer nur sehr schwer abzuschätzenden Prognose ist der
Prüfungsumfang des Senats beschränkt. Die Anordnung der Sicherheitsleistung ist
lediglich daraufhin zu überprüfen, ob der Antragsgegner bei seiner Entscheidung den
zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat und ob die Prognose der Behörde über die
voraussichtlichen Sanierungs- und Entsorgungskosten vertretbar ist.
48
(4) Hiervon ausgehend ist die Prognose des Antragsgegners keinen durchgreifenden
Bedenken ausgesetzt. Der Antragsgegner hat Grund und Höhe der Sicherheitsleistung
plausibel und nachvollziehbar dargelegt.
49
Die von der Antragstellerin an dem Gutachten geübte Kritik ist weitgehend unberechtigt.
Soweit sie hinsichtlich einiger im Kostengutachten beschriebener Einzelpositionen zu
Recht Bedenken äußert, wirken sich diese jedenfalls im Ergebnis nicht aus. Dies zeigt
sich schon an der oben erwähnten pauschalen Berechnung der Sicherheitsleistung, die
- unter Außerachtlassung der im vorliegenden Fall bestehenden besonderen
Schwierigkeiten einer PCB-Sanierung des Grundstücks - , je nach unterstellter
Entsorgungsmethode eine Summe zwischen 1 Million und 3,75 Millionen Euro ergäbe.
Auch der eigene Gutachter der Antragstellerin hat die voraussichtlichen
Sanierungskosten auf ca. 1,5 Millionen Euro geschätzt (s. Aktenvermerk des
Antragsgegners vom 2. August 2010, Anlage 1 der Beschwerdeerwiderung). Hierbei ist
er allerdings von den aus Sicht der Antragstellerin zu strengen Sanierungszielwerten
des Antragsgegners ausgegangen. Es kommt hinzu, dass der Antragsgegner auf neuere
Erkenntnisse verweist (das Kostengutachten wurde inzwischen fortgeschrieben,
nachdem die im ersten Kostengutachten erwähnte Bestandsaufnahme zwischenzeitlich
durchgeführt worden ist), wonach die Eindringtiefe der PCB in Böden und Wände
stärker als bisher angenommen ist. Auch hätten die Untersuchungen der Dachflächen
Kontaminationen ergeben, so dass der Sanierungsaufwand dementsprechend höher
ausfallen werde. Das Gutachterbüro U. hat diese Angaben telefonisch bestätigt und
näher erläutert. Auf den Telefonvermerk vom 20. Januar 2011, der den Beteiligten
übersandt worden ist, wird Bezug genommen. Danach ist mit erheblich höheren
Sanierungskosten zu rechnen, insbesondere müssten auch Abrisskosten veranschlagt
werden. Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, dass die
Kostenprognose des Antragsgegners, die der Anordnung der Sicherheitsleistung
zugrundeliegt, im Ergebnis überhöht ist.
50
Im Einzelnen liegen dem folgende Erwägungen zugrunde:
51
Bei den im Bescheid vom 24. September 2010 genannten Arbeiten, die im
Kostengutachten näher erläutert werden - insbesondere Reinigung der Hallen- und
52
Freiflächen, der Dachflächen und der Büros von PCB-Belastungen sowie
Entsorgungskosten - geht es dem Grunde nach um voraussichtliche Kosten für die oben
näher beschriebenen Nachsorgepflichten. Durch die Reinigungsmaßnahmen soll
verhindern werden, dass durch die festgestellte hohe PCB-Belastung schädliche
Umwelteinwirkungen etwa durch Bodenverunreinigungen, Staubverwehungen sowie
Anhaftungen an und in Gebäuden und an Anlageteilen entstehen (§ 5 Abs. 3 Nr. 1
BImSchG); zugleich sollen die bei der Reinigung anfallenden Abfälle (Stäube, Wasser)
ordnungsgemäß entsorgt werden (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG). Hinsichtlich der auf dem
Betriebsgrundstück befindlichen gefährlichen Abfälle (insbesondere PCB-belastete
Transformatoren und Kondensatoren), deren Reinigung und Verwertung gerade der
Betriebszweck der Antragstellerin war, geht es ebenfalls um die ordnungsgemäße und
schadlose Abfallverwertung (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 BImSchG).
Bereits angefallene Kosten für die Reinigung der Außenflächen, die im Wege der
Ersatzvornahme durchgeführt worden sind, sowie Kosten weiterer bereits angedrohter
Ersatzvornahmen, bei denen es sich nach den obenstehenden Ausführungen (vgl. unter
II. 1. a) bb) jeweils nicht um "Kosten nach Betriebseinstellung" handelt, sind in dieser
Kostenschätzung ausdrücklich nicht enthalten (vgl. Bescheid, S. 6).
53
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die festgesetzte Sicherheitsleistung auch die
Umsatzsteuer, Analysekosten sowie einen Sicherheitszuschlag für
"Unvorhergesehenes" von 10 % umfasst (vgl. Bescheid, S. 7, sowie Kostengutachten,
S. 45). Letzteres ist zwar für den "Normalfall" einer Sicherheitsleistung umstritten.
54
Vgl. Grete/Küster, NuR 2002, 467 (470); für die
55
Zulässigkeit eines Sicherheitszuschlags etwa VG Frankfurt, Urteil vom
26. November 2009 5 K 1315/05 -, juris Rn. 34.
56
Angesichts der bereits jetzt erkennbaren Komplexität der erforderlichen Sanierung
erscheint dem Senat der Sicherheitszuschlag allerdings ohne Weiteres nachvollziehbar;
denn die Abschätzung der Kosten für die Sanierung von PCB-belasteten Gegenständen
und Flächen ist mit großen Unsicherheiten aufgrund unvorhersehbarer Probleme
verbunden. Dies wird nicht zuletzt durch die bereits erwähnte Fortschreibung des
Gutachtens belegt, der zufolge mit erheblich höheren Sanierungskosten als bislang
angenommen zu rechnen ist.
57
Soweit die Antragstellerin die im Kostengutachten zugrundegelegten
Sanierungszielwerte unter Hinweis auf die Gegenauffassung des Instituts Prof. L.
vom 3. September 2010 als zu restriktiv ansieht, schließt sich der Senat im Grundsatz
der Auffassung des Verwaltungsgerichts an: Unter Berücksichtigung der grundsätzlich
anerkannten gesundheitlichen Gefahren von PCB, deren Inverkehrbringen auch für
geschlossene Systeme aufgrund der Richtlinie 96/59/EG des Rates vom 16. September
1996 - in Deutschland umgesetzt durch die PCB/PCT-Abfallverordnung vom 26. Juni
2000 (BGBl. I , 932), zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 5 der Verordnung vom
20. Oktober 2006 (BGBl. I, 2298) - verboten ist, ist derzeit von den eher strengeren
Zielwerten auszugehen, die das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz
Nordrhein-Westfalen (LANUV) für die Sanierung vorgeschlagen und plausibel erläutert
hat. Hinsichtlich der Einzelheiten verweist der Senat auf die vom LANUV überreichte
Übersicht "Zusammenstellung von Beurteilungswerten für PCB und PCDD/F"
von Oktober 2010 sowie die Stellungnahme vom 14. Januar 2011, in der der
58
Reinigungszielwert von 2,5 mg PCB/m2 für befestigte Industrie- und Gewerbeflächen
sowie der Beurteilungswert von 300 ng PCB/gesamt/m3 für die Raumluft näher erläutert
wird.
Dass der Grenzwert von 50 mg PCB/kg entgegen der Auffassung der Antragstellerin als
genereller Sanierungszielwert Bedenken ausgesetzt ist, hat das LANUV
nachvollziehbar dargelegt (vgl. Anlage 3 zur Beschwerdeerwiderung vom 4. Januar
2011). Der genannte Grenzwert legt nach der PCB/PCT-Abfallverordnung lediglich fest,
dass Stoffe, die mehr als 50 mg PCB/kg enthalten oder bei denen ein solcher Verdacht
besteht, als Abfall entsorgt werden müssen. Dieser Konzentrationswert bezieht sich
damit etwa auf anhaftendes Öl ("Stoffe"), kann aber nicht auf - unter Umständen
tonnenschwere - ölbehaftete Metalle übertragen werden. Im Übrigen beantwortet die
genannte Verordnung nicht die Frage, unterhalb welchen Grenzwertes ein PCB-
belastetes Metall als soweit gereinigt angesehen werden kann, dass es in den
Wirtschaftskreislauf zurückgegeben werden darf (Recycling), was insbesondere
voraussetzt, dass von ihm keine Gesundheitsgefahren ausgehen. Das LANUV hat
hierzu in einer weiteren Stellungnahme vom 13. Januar 2011 erläutert, dass der im
Kostengutachten zugrundegelegte Flächengrenzwert von 1 mg/m2 auf Studien der
amerikanischen Umweltbehörde EPA (U.S. Environmental Protection Agency) beruhe,
bei dem gesundheitsbezogene Aspekte berücksichtigt worden seien. Bei Annahme
dieses Wertes sei in Bezug auf das Krebsrisiko kein unzumutbares Gesundheitsrisiko
("unreasonable risk") für Arbeiter oder die Allgemeinbevölkerung gegeben. Der Wert ist
nach ersten Ergebnissen laufender Untersuchungen nach Angaben des LANUV auch
als erreichbar anzusehen, so dass er derzeit den "Stand der Technik" in Bezug auf die
Reinigungsmöglichkeiten für PCB-belastete Stoffe abbilde. Dass das LANUV bisher
weder die Plausibilität der amerikanischen Bewertung noch deren heutige Aktualität
geprüft hat - ein Forschungsvorhaben läuft derzeit - spricht deshalb mangels besserer
Erkenntnisse nicht gegen die - jedenfalls vorläufige - Zugrundelegung des genannten
Flächengrenzwertes bei einer PCB-Sanierung.
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Hiervon ausgehend durfte das Kostengutachten - entgegen dem Vorbringen der
Antragstellerin - bei der Reinigung von Anlagen und Anlagenteilen ebenso wie beim
Lagergut von dem vom LANUV vorgeschlagenen Flächengrenzwert ausgehen.
Hierdurch sollte sichergestellt werden, dass es im Rahmen der Sanierung/Entsorgung
nicht zu weiteren Kontaminationen mit PCB kommt, die etwa durch Direktkontakt von
Menschen (z.B. von Arbeitern bei der Entsorgung) oder durch Anhaftungen an
Schrottpressen o.Ä. zu befürchten wären. Konsequenterweise war es auch notwendig,
sowohl Kosten für die zunächst gründliche Reinigung als auch Kosten für die
anschließende Entsorgung anzusetzen (vgl. zur Entsorgung des Lagerguts
Kostengutachten, S. 44; für die Entsorgung der Anlagenteile - PER-Anlage, Schredder,
Containment, Destillation etc. - wird ein Mittelwert von 175.000 Euro angenommen, vgl.
Kostengutachten, S. 36).
60
Von unzulässigen "Doppelberechnungen" der Reinigung und Entsorgung, die die
Antragstellerin unter 2.2.8 und 2.2.9 ihrer Beschwerdebegründung rügt, kann deshalb
keine Rede sein. Im Falle der Trafo-Bleche spielt der Reinigungszielwert von 1 mg/m2
ohnehin keine Rolle. Bei den hierfür angesetzten Kosten (ca. 40.000 Euro) handelt es
sich ausschließlich um geschätzte Entsorgungskosten ohne eine vorausgehende
Reinigung (vgl. Gutachten, S. 43). Lediglich bezüglich des Zeltes, das inzwischen im
Wege der Ersatzvornahme gereinigt und entsorgt worden ist (vgl.
Beschwerdeerwiderung, S. 17), müsste die festgesetzte Sicherheitsleistung im Hinblick
61
auf die obigen Ausführungen zur Anpassung an erfolgte Sanierungsleistungen um die
hierfür im Gutachten angesetzten Kosten (68.800,- Euro) reduziert werden. Insoweit geht
der Senat jedoch davon aus, dass dieser Abzug durch nachvollziehbar dargelegte
Mehrkosten (s. dazu oben genauer unter Hinweis auf den Telefonvermerk vom
20. Januar 2011) ausgeglichen wird.
Ohne Erfolg bleibt die Rüge der Antragstellerin, dass sich das Kostengutachten nicht
ausschließlich auf solche Flächen und Objekte beziehe, die zu den genehmigten
Anlagen i.S.d. § 3 Abs. 5 BImSchG gehören. Entgegen der Auffassung der
Antragstellerin ist von einem weiten Anlagenbegriff auszugehen, zu dem auch
Lagerflächen und Bürogebäude zählen.
62
Jarass, a.a.O., § 3 BImSchG Rn. 71.
63
Das Kostengutachten hat ebenfalls berücksichtigt, dass die Antragstellerin nur einen
Teil des Bürogebäudes und der Halle 55 nutzt (vgl. Kostengutachten, S. 7 Mitte, S. 10,
S. 14, S. 30 und 31).
64
Zwar trifft den Betreiber grundsätzlich keine Pflicht, Nachbargrundstücke zu sanieren;
auch im Bereich der Nachsorgepflichten besteht kein Folgenbeseitigungsanspruch.
65
Dietlein, a.a.O., § 5 Rn. 223 m.w.N; vgl. auch Jarass, a.a.O., § 5 BImSchG
Rn. 111.
66
Ob deshalb die Erstreckung der Kostenschätzung auf die Sanierung von nicht zum
Anlagengrundstück gehörenden Flächen ausscheidet oder ob hier angesichts der
besonderen Fallumstände - erhebliche Rekontaminationsgefahr durch
Nachbargrundstücke - eine Freiflächensanierung nur unter Einbeziehung auch von
Fremdflächen möglich ist, kann letztlich dahinstehen. Denn selbst wenn man auch
hierfür einen Teilbetrag abzöge, wirkte sich dies kostenmäßig auf das Ergebnis des
Gutachtens kaum aus. Insoweit nimmt der Senat ebenfalls auf den Telefonvermerk mit
dem Gutachterbüro U. vom 20. Januar 2011 Bezug. Im Übrigen würde der
prognostizierte Gesamtbetrag von ca. 1,8 Millionen Euro aufgrund der inzwischen
festgestellten stärkeren Eindringtiefe des PCB und der sich hieraus ergebenden
erhöhten Abfräskosten auf den zum Betriebsgrundstück gehörenden Flächen ohnehin
im Ergebnis erreicht.
67
2. Die Ermessensentscheidung des Antragsgegners begegnet keinen durchgreifenden
Bedenken.
68
Da § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG eine Soll-Vorschrift ist, muss die Sicherheitsleistung
im Regelfall angeordnet werden. Atypische Umstände, die es der Behörde ermöglichen
würden, von der Anordnung der Sicherheitsleistung abzusehen oder einen niedrigeren
als den prognostizierten Betrag festzusetzen, sind nicht ersichtlich.
69
Die Rüge, die nachträgliche Anordnung der Sicherheitsleistung sei unverhältnismäßig,
ist unbegründet.
70
a) Es kommt nicht darauf an, ob der Sicherheitsleistung im Ergebnis eine erdrosselnde
Wirkung zukommt. Der Ausgang des Insolvenzverfahrens ist nach derzeitigem Stand
offen. Es besteht weiterhin die im angegriffenen Bescheid näher beschriebene
71
Möglichkeit, dass die Envio AG die Antragstellerin bei der Erbringung der
Sicherheitsleistung finanziell unterstützt (vgl. Bescheid, S. 5), etwa durch die
Beibringung einer insolvenzsicheren Konzernbürgschaft, so dass eine Insolvenz noch
abgewendet werden kann. Im Übrigen hat - sollte es zur Insolvenz kommen - nicht der
Antragsgegner die Antragstellerin "bewusst in die Insolvenz getrieben", wie die
Antragstellerin geltend macht. Vielmehr besteht - wie oben unter 1. ausgeführt - gerade
bei Abfallentsorgungsunternehmen jederzeit ein latentes Insolvenzrisiko, das sich im
Falle der Antragstellerin in erster Linie durch den eingetretenen kostspieligen
Sanierungsfall und nicht durch das behördliche Vorgehen realisiert hätte. Zudem weist
der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass angesichts der seit März 2010 geltenden
neuen Rechtslage betriebswirtschaftliche Rücklagen zur Erbringung der
Sicherheitsleistung hätten vorgesehen werden müssen.
b) Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin muss auch nicht zu ihren Gunsten
berücksichtigt werden, dass "erhebliche Verursachungsbeiträge vom Vornutzer der
Anlagen" (ABB) stammen und dass der Anlagenbetrieb trotz der vorhandenen
Vorbelastungen genehmigt worden ist. Die genaue Vorbelastung vor Inbetriebnahme
der Anlage durch die Antragstellerin, die zum 1. März 2004 erfolgte (vgl. Beiakte H 9, Bl.
37), steht - soweit ersichtlich - nach derzeitiger Aktenlage ohnehin nicht fest, so dass es
für die von der Antragstellerin begehrte Berücksichtigung schon an tatsächlichen
quantifizierbaren - Anhaltspunkten fehlen dürfte. Hiervon unabhängig ist Adressat der
Grundpflichten des § 5 Abs. 3 BImSchG, an die die Sicherheitsleistung anknüpft, der
letzte Anlagenbetreiber, hier also die Antragstellerin. Insbesondere die Pflicht zur
Wiederherstellung des Grundstücks trifft den letzten Betreiber selbst dann, wenn die
schädlichen Umwelteinwirkungen von einem anderen Betreiber verursacht worden sind.
72
Dietlein, a.a.O., § 5 Rn. 220 f.
73
c) Die Antragstellerin kann sich auch nicht entlastend darauf berufen, dass bei
Genehmigungserteilung möglicherweise die Vorstellung bestand, ein
Reinigungszielwert von 50 mg/m² würde genügen, so dass die nun deutlich erhöhten
Zielvorgaben für die Sanierung (s.o.) unangemessen seien. Die Antragstellerin ist nicht
davor geschützt, dass nachträglich - wie hier - neue Hinweise auf Gesundheitsgefahren
im Umgang mit PCB gewonnen werden oder die Erkenntnisse über die erforderlichen
Toxizitätsschwellen bei PCB sich ändern. Dementsprechend muss sie grundsätzlich
damit rechnen, sich nachträglich auch auf neue Anforderungen einstellen zu müssen.
Nach dem vorliegenden Akteninhalt ist im Übrigen nicht erkennbar, dass ein
Reinigungszielwert von 50 mg/m² in der Genehmigung vorgegeben worden wäre.
Dessen ungeachtet stünde die immissionsschutzrechtliche Genehmigung unter dem
Vorbehalt der dynamischen Betreiberpflichten.
74
Hinzu kommt, dass nach derzeitiger Aktenlage die Antragstellerin die erhebliche PCB-
Belastung gerade auch durch eine nicht von der Genehmigung erfasste Betriebsweise
verursacht hat. Denn sie hat Metallteile mit hohen PCB-Verunreinigungen im sogen.
Weißbereich, der für PCB-arme Materialien vorbehalten war, gelagert und hierdurch die
gesamte Anlage kontaminiert und in einen nicht genehmigten Betriebszustand versetzt.
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die den Beteiligten
bekannte Stilllegungsanordnung vom 28. Mai 2010, von deren Feststellungen bis auf
Weiteres auszugehen ist.
75
Auf die Frage, ob der Antragsgegner mit seiner Genehmigungspraxis möglicherweise
76
die Belastungen im Dortmunder Hafengebiet mitverursacht hat, wie es die
Antragstellerin vorträgt, kommt es deshalb nicht entscheidend an.
d) Grundrechtsverletzungen sind weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich.
Insbesondere liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine gleichheitswidrige
Benachteiligung der Antragstellerin vor. Selbst wenn in Nordrhein-Westfalen bislang
keine vergleichbar hohe Sicherheitsleistung angeordnet worden sein sollte, läge wegen
der oben näher beschriebenen besonders hohen PCB-Belastung kein gleich gelagerter
Sachverhalt vor.
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3. Hiervon ausgehend überwiegt selbst unter Berücksichtigung bereits im Wege der
Ersatzvornahme durchgeführter Sanierungen das Vollzugsinteresse des
Antragsgegners. Letzteres wird auch nicht durch das Insolvenzverfahren in Frage
gestellt. Insoweit genügt, dass der Antragsgegner davon ausgeht, dass die
Antragstellerin noch über Vermögenswerte verfügt, so dass nicht ausgeschlossen sei,
dass jedenfalls ein Teil der geforderten Sicherheitsleistung realisierbar sei.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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