Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.09.2001

OVG NRW: diabetes mellitus, sozialhilfe, gleichheit im unrecht, grundsatz der prozessökonomie, unbestimmter rechtsbegriff, medikamentöse behandlung, diät, zeitliche wirkung, behörde, auflage

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 5644/99
Datum:
28.09.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 A 5644/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 3 K 8128/95
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleis-tung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die 1927 geborene Klägerin stand zunächst an ihrem früheren Wohnort K. /Freistaat
Sachsen im Bezug ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Hinblick darauf, dass sie
seit Januar 1993 an einem Diabetes mellitus erkrankt ist, erhielt sie u.a. eine Diätzulage
in Höhe von zuletzt 165,- DM monatlich. Die Diplom-Medizinerin und Fachärztin für
Allgemeinmedizin T. hatte auf einem formularmäßigen Attestvordruck am 15. Dezember
1994 bescheinigt, dass die 152 cm große, 57,5 kg schwere Klägerin an einem Diabetes
mellitus Typ IIb leide und Krankenkost benötige, die wesentlich teurer als Normalkost
sei.
2
Zum 1. Juli 1995 zog die Klägerin, die sich seit März 1995 zunächst besuchsweise bei
ihrer in D. lebenden erkrankten Schwester aufgehalten hatte, endgültig in den
Zuständigkeitsbereich des Beklagten, der ihr ergänzende regelsatzmäßige Hilfe zum
Lebensunterhalt sowie Unterkunftskosten gewährt.
3
Am 4. Juli 1995 beantragte die Klägerin zusätzlich die Gewährung eines Mehrbedarfs
wegen kostenaufwendiger Ernährung. Sie legte dabei das auf einem Formular des
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Beklagten erteilte ärztliche Attest der sie seinerzeit behandelnden Ärztin für
Allgemeinmedizin Dr. H. vom 4. Juli 1995 vor, in der ein Körpergewicht von 56 kg bei
148 cm Größe beschrieben und durch Ankreuzen unter I. a) ein "Diabetes mellitus (bei
Kindern und Jugendlichen)" bescheinigt wurde.
Der um Stellungnahme gebetene Amtsarzt Dr. K. teilte daraufhin unter dem 31. Juli 1995
mit, dass es sich vorliegend um eine Kostform handele, die nach der Art der Erkrankung
und des Alters der Hilfe Suchenden gegenüber der Nor-malernährung keine Mehrkosten
erfordere. Es handele sich nicht um eine jugendliche Diabetikerin.
5
Mit dieser Begründung lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 2. August 1995 den
Antrag auf Gewährung einer Krankenkostenzulage ab. Den dagegen gerichteten
Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 6. November 1995
zurück.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen
kostenaufwendiger Ernährung weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie ausgeführt:
Diabetes mellitus zähle bereits nach seinem Krankheits- und Behandlungsbild nicht nur
bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen zu den Erkrankungen, die ohne
weiteren Nachweis mit Mehrkosten verbunden seien. Sie sei auf die Einhaltung einer
kostenaufwendigeren Diät angewiesen. Ihre Zuckerwerte hätten sich bereits merklich
verschlechtert, weshalb eine medikamentöse Behandlung erforderlich sei. Im Übrigen
sähen auch die Empfehlungen des nordrhein-westfälischen Ministers für Arbeit und
Soziales dem Grunde nach eine Krankenkostzulage bei Diabetes mellitus vor. Die
Klägerin hat ärztliche Bescheinigungen über die Notwendigkeit der Einhaltung einer
Diät zu den Gerichtsakten gereicht, u. a. weitere Bescheinigungen der Ärztin für
Allgemeinmedizin Dr. med. H. vom 27. November 1995 und 20. November 1997 und
Atteste des Arztes für Allgemeinmedizin B. N. vom 3. und 9. Februar 1996, 18.
September 1997 sowie 17. und 19. November 1997. In den letztgenannten Attesten wird
bescheinigt, dass die Klägerin an einem Diabetes mellitus Typ IIa leide. In der
Bescheinigung vom 19. November 1997 wird beispielhaft dargelegt, wie die Ernährung
der Klägerin zusammengestellt werden solle. Ferner heißt es darin:
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"Bezüglich dieser Diät gilt anzumerken, dass der nicht- insulinpflichti-ge Diabetiker
seine Mahlzeiten in Bezug auf die Kalorienwahl und die Gestaltung der BE- Verteilung
(BE = Broteinheiten) frei einteilen kann. Voraussetzung dafür sind nüchtern Zuckerwerte
unter 120 mg/dl und ein normales Körpergewicht, was zur Zeit unter der Behandlung mit
14 bis 16 BE pro Tag bei Frau G. zutrifft."
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Auf die Aufforderung des Verwaltungsgerichts, für den im Streit befindlichen Zeitraum
einen ärztlich verordneten Diätplan vorzulegen sowie die verbrauchten Lebensmittel
aufzulisten, hat die Klägerin verschiedene Ernährungsvorschläge ihrer Ärzte und eine
Aufstellung von Diätprodukten vorgelegt, die sie in der Vergangenheit konsumiert habe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August 1995 und des
Widerspruchsbescheides vom 6. November 1995 zu verpflichten, ihr einen
Krankenkostzuschlag in Höhe von monatlich 165,- DM ab 1. Juli 1995 zu zahlen,
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hilfsweise,
12
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August 1995 und des
Widerspruchsbescheides vom 6. November 1995 zu verpflichten, ihr einen
angemessenen Krankenkost- zuschlag zu zahlen,
13
äußerst hilfsweise,
14
ihren Antrag vom 4. Juli 1995 auf Gewährung eines Krankenkostzuschlages unter
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
15
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Gestützt auf Stellungnahmen seines Gesundheitsamtes hat er die Auffassung vertreten,
für erwachsene Zuckerkranke komme es durch eine Diabetesdiät grundsätzlich nicht zu
einer finanziellen Mehrbelastung gegenüber gesunden Sozialhilfeempfängern. Anders
verhalte es sich nur bei körperlich schwer arbeitenden insulinpflichtigen Diabetikern.
Der Beklagte hat ein gemeinsames Schreiben des Direktors der Klinischen Abteilung
des Diabetes-Forschungsinstituts an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Prof. Dr.
S. und der seinerzeitigen Vorsitzenden des Ausschusses Ernährung der Deutschen
Diabetes-Gesellschaft Dr. T. vom 17. Juli 1998 sowie einen Schriftwechsel
verschiedener Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens vorgelegt, die 1998 an der
Arbeitsgruppe Krankenkostzulagen der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in
D. beteiligt gewesen sind.
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Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten durch das angefochtene Urteil verpflichtet,
der Klägerin einen Mehrbedarfszuschlag für die Zeit von Juli bis November 1995 in
Höhe von 71 DM monatlich zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
19
Gegen die zeitliche und höhenmäßige Begrenzung der Verpflichtung des Beklagten
richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin. Sie verweist darauf, dass
andere Städte in Nordrhein-Westfalen, etwa Bochum und Witten, beim gleichen
Krankheitstypus einen Mehrbedarfszuschlag von 165 DM monatlich gewährten, und rügt
insoweit eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Der genannte Betrag könne nicht
als überhöht angesehen werden, weil es darum gehe, ausgewogene Nahrung, nämlich
"Klasse statt Masse", zu sich zu nehmen. Erfahrungsgemäß verteuerten sich die
Lebenshaltungskosten in diesem Bereich um mindestens 50 v.H. Bei der
Pauschalierung müsse es auch verbleiben; denn nach Auskunft der Universität Gießen
(Fachbereich Ernährungswissenschaften) lägen zwar vielfache Feldstudien vor, neue
und belastbare Aussagen könnten indes nicht getroffen werden. Werde der
Mehrbedarfssatz wie der Regelsatz pauschaliert, so brauche sie nicht darzulegen und
zu beweisen, welche diätischen Lebensmittel sie persönlich exakt im Monat verbrauche.
20
Es verstoße gegen den Grundsatz der Prozessökonomie, wenn der Beklagte durch das
angefochtene Urteil lediglich zur Bewilligung von Leistungen für einen Zeitraum von fünf
Monaten verpflichtet werde, und sie gezwungen sei, für Folgezeiträume wiederum in
Etappen Klage zu erheben. Es sei kaum vorstellbar, dass der Beklagte den
Urteilsspruch zur Entscheidungsmaxime für vier oder mehr Folgejahre mache. Gerade
in Fällen sozialer Notlage entspreche es dem Gebot der Menschenwürde, den
Sachverhalt zügig und umfassend einer verbindlichen Lösung zuzuführen. Von dem
21
Grundsatz, dass der Sozialhilfeanspruch zeitlich nur bis zum Erlass des
Widerspruchsbescheides verwaltungsgerichtlich überprüft werden könne, sei eine
Ausnahme in der Rechtsprechung für den Fall anerkannt, dass die Behörde den
Sozialhilfefall ausdrücklich oder konkludent für einen längeren Zeitraum geregelt habe.
Das komme insbesondere dann in Betracht, wenn abzusehen sei, dass sich der
Sachverhalt in Zukunft nicht ändern werde. So verhalte es sich hier: Zum einen sei
Diabetes mellitus eine Krankheit, die nicht heilbar sei, also ein Dauerzustand. Zum
anderen habe der Beklagte die Bewilligung des Mehrbedarfszuschlags auf Dauer
abgelehnt. Das ergebe sich nicht nur aus dem Bescheid, sondern auch aus der
grundsätzlichen Versagung eines solchen Zuschlags für alle Sozialhilfeempfänger in
seinem Zuständigkeitsbereich.
Am 2. November 1999 hat die Klägerin bei dem Beklagten eine weitere ärztliche
Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin N. vom selben Tage zur Erlangung
eines Mehrbedarfszuschlags wegen kostenaufwendiger Ernährung wegen Diabetes
mellitus vorgelegt. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23. Dezember
1999 hat sie vom Beklagten verlangt, auf der Basis des hier angefochtenen Urteils einen
Betrag von 71 DM monatlich für die Zeit seit Dezember 1995 nachzuzahlen. Ein
Bescheid ist insoweit nicht ergangen.
22
Die Klägerin beantragt,
23
das angefochtene Urteil zu ändern und
24
1. den Beklagten zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August
1995 und des Widerspruchsbescheides vom 6. November 1995 monatlichen
Mehrbedarf wegen Diabetes mellitus in Höhe von 165 DM ab Antragstellung zu zahlen,
abzüglich der anerkannten und gezahlten 71 DM monatlich für den Zeitraum Juli 1995
bis November 1995,
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2. festzustellen, dass der Beklagte auch in Zukunft verpflichtet ist, ihr einen
Mehrbedarfsbetrag in Höhe von 165 DM monatlich zu zahlen, und
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3. hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, auf der Grundlage der Rechtsauffassung
des Gerichts den Antrag neu zu bescheiden.
27
Der Beklagte beantragt,
28
die Berufung zurückzuweisen.
29
Er nimmt auf eine Stellungnahme seines Gesundheitsamtes vom 18. Mai 2001 Bezug,
wonach die bei Diabetes mellitus einzuhaltende Krankenkost nicht mit Mehrkosten
verbunden sei. Zugleich hat er eine Ablichtung der Ernährungsempfehlungen für
Diabetiker 2000 der European Association for the Study of Diabetes - EASD- und der
Deutschen Diabetes-Gesellschaft - DDG -, Ausschuss Ernährung, vorgelegt.
30
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (4 Hefte) Bezug
genommen.
31
Entscheidungsgründe:
32
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
33
Die Klage selbst ist nur teilweise zulässig.
34
Hinsichtlich des erstmals mit Schriftsatz vom 9. März 2001 angekündigten
Feststellungsantrags ist sie - abgesehen von der Frage einer zulässigen Klageänderung
iSd § 91 Abs. 1 VwGO - wegen fehlenden Feststellungsinteresses (vgl. § 43 Abs. 1
VwGO) unzulässig. Wie § 43 Abs. 2 VwGO zeigt, muss der Betroffene gegen
Rechtsverletzungen grundsätzlich mit einer Gestaltungs- bzw. Leistungsklage vorgehen.
Im Falle der Klägerin ist auch davon auszugehen, dass sie auf diesem Wege bei
Bestehen des geltend gemachten Anspruchs - notfalls mit Hilfe eines Antrags auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO - für zukünftige Zeiträume
ausreichenden Rechtsschutz erlangen könnte.
35
Mit dem Verwaltungsgericht ist auch die erhobene Verpflichtungsklage teilweise als
unzulässig anzusehen.
36
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie des
angerufenen Oberverwaltungsgerichts kann ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe
grundsätzlich (nur) in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand
verwaltungsgerichtlicher Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Sozialhilfe
den Hilfefall geregelt hat. Zum einen ist die Sozialhilfe keine rentengleiche
wirtschaftliche Dauerleistung mit Versorgungscharakter; sie dient vielmehr im Regelfall
dazu, eine gegenwärtige Notlage zu beheben, und es ist nicht Sache der
Verwaltungsgerichte, den Hilfefall unter Kontrolle zu halten. Zum anderen ist das als
Filter dienende Vorverfahren im Sinne der §§ 68 ff. VwGO im Anwendungsbereich des
Bundessozialhilfegesetzes durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass vor dem
Erlass des Bescheides über den Widerspruch gegen die Ablehnung der Sozialhilfe
sozial erfahrene Personen beratend zu beteiligen sind (§ 114 Abs. 2 BSHG).
37
Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. November 1966 - 5 C 29.66 -, FEVS 14, 243 (244), 16.
Januar 1986 - 5 C 36.84 -, FEVS 36, 1 (3), und 30. April 1992 - 5 C 1.88 -, FEVS 43, 19
(21), sowie die ständige Rechtsprechung der ehemaligen und derzeitigen
Sozialhilferechtssenate des OVG NRW, Urteil vom 26. Oktober 1987 - 8 A 2385/86 -,
FEVS 37, 458 (459), Beschlüsse vom 27. Mai 1994 - 24 E 908/93 -, FEVS 45, 377 (378),
und vom 31. August 1999 - 16 E 623/99 -, Urteil vom 20. Juni 2000 - 22 A 285/98 -.
38
Die Anwendung dieser Grundsätze hat im Regelfall und so auch hier zur Folge, dass
der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides auch den der gerichtlichen
Überprüfung unterliegenden Zeitraum der Hilfegewährung abschließt. Denn bei der
Bewilligung von Sozialhilfe handelt es sich um eine zeitabschnittsweise - in der Regel
für die Dauer eines Monats - vorgenommene Hilfegewährung, deren Voraussetzungen
vom Träger der Sozialhilfe stets neu zu prüfen sind.
39
Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juni 1995 - 5 C 30.93 -, FEVS 46, 94 (96), m.w.N.
40
Diese zeitliche Fixierung des Gegenstands der gerichtlichen Nachprüfung gilt aber nicht
uneingeschränkt. Sie greift nicht ein, wenn die Behörde den Hilfefall entgegen den
üblichen Gepflogenheiten für einen über die Widerspruchsentscheidung
hinausgehenden Zeitraum, etwa für die Dauer eines Studiums oder einer sonstigen
41
Ausbildungsmaßnahme, geregelt hat.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, FEVS 46, 221 (226).
42
In der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
43
- vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 5 C 2.97 -, FEVS 48, 535 -
44
und auch des angerufenen Gerichts
45
- vgl. OVG NRW, Urteile vom 20. Juni 2000 - 22 A 285/98 - (Absetzungsbetrag für
Erwerbstätige), info also 2000, 216 = NDV-RD 2001, 15, - 22 A 207/99 - (Pauschbetrag
für Fahrtkosten zur Arbeit) und - 22 A 1305/98 -(Mehrbedarf für Alleinerziehende), sowie
Urteile vom 4. Juli 2000 - 22 A 1227/96 - und 14. September 2001 - 12 A 4923/99 -
(Angemessenheit von Unterkunftskosten) -
46
ist insbesondere anerkannt, dass die gerichtliche Überprüfung einen
Regelungszeitraum über die Widerspruchsentscheidung hinaus erfassen kann, wenn
der Sozialhilfeträger Hilfeleistungen durch eine Vorabentscheidung hinsichtlich eines
einzelnen Problemkomplexes dem Grunde nach für einen in die Zukunft
hineinreichenden, über den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung hinausgehenden
Zeitraum abgelehnt hat.
47
In der Vergangenheit hat das Bundesverwaltungsgericht Bescheide als zulässig
anerkannt, mit denen der Sozialhilfeträger eine Kostenersatzpflicht nach § 92 a BSHG
dem Grunde nach festgestellt hatte,
48
vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1983 - 5 C 112.81 -, FEVS 33, 5 (7),
49
und im Falle einer Vorabentscheidung dem Grunde nach betreffend eine
Kürzungsentscheidung nach § 120 Abs. 2 Satz 4 BSHG entschieden, dass der
Hilfeempfänger, wenn er gegen die Vorabentscheidung Widerspruch erhoben hat, nicht
jeweils gesondert (und erneut) Widerspruch gegen die gekürzten monatlichen
Auszahlungen einlegen muss.
50
Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 5 C 2.97 -, FEVS 48, 535 ff.
51
Es hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass es verfah- rensökonomischem
Vorgehen entspreche, wenn der Träger der Sozialhilfe bei invariablem Sachverhalt und
Streit der Beteiligten über eine einzelne Frage der Sozialhilfe lediglich diese Frage in
einem Bescheid entscheide, um eine gerichtliche Beilegung des Streits für die Zukunft
zu ermöglichen.
52
Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 5 C 2. 97 -, a.a.O., und Urteil vom 29. September
1971 - V C 110.70 -, FEVS 19, 81 (83).
53
Ob die Behörde im Einzelfall von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist durch
Auslegung zu ermitteln, wobei gemäß der für die Auslegung von Willensäußerungen
der Verwaltung im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des
§ 133 BGB nicht der innere, sondern der erklärte Wille maßgebend ist, wie ihn der
Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte.
54
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1980 - 6 C 55.79 -, BVerwGE 60, 223 (228/229),
m.w.H.
55
Nach diesen Maßstäben konnte die Klägerin vorliegend nicht davon ausgehen, dass
der Beklagte mit dem Bescheid vom 2. August 1995 abweichend vom üblichen
Bewilligungsmodus einen Grundbescheid mit Wirkung für eine unbestimmte Zukunft
treffen wollte. Anders als etwa in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
vom 14. Juli 1998 - 5 C 2.97 -, a.a.O., zugrundeliegenden Fall - dort war verfügt worden:
"Sollten Sie zukünftig noch auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sein, wird Ihnen
diese Hilfe im Wege des Ermessens ... in Höhe des zum Lebensunterhalt
Unerlässlichen (gewährt)" - enthalten weder der Bescheid des Beklagten vom 2. August
1995 noch sein Widerspruchsbescheid vom 6. November 1995 sprachliche Zusätze, die
auf eine derartige Wirkung hindeuten. Weder der Beklagte noch die Klägerin konnten
auch ohne weiteres davon ausgehen, dass im Sinne der oben angesprochenen
Rechtsprechung über eine einzelne Frage bei invariablem Sachverhalt entschieden
worden war: Die noch von den früheren Empfehlungen des Deutschen Vereins für
öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der
Sozialhilfe (Heft 48 seiner Kleineren Schriften, 1974, dort S. 106) geprägte
sozialbehördliche Praxis und auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
differenzierten vielmehr ganz überwiegend bei der Höhe des eventuell zu gewährenden
Mehrbedarfszuschlags bei Diabetes mellitus deutlich danach, ob es sich um einen
übergewichtigen oder einen normalgewichtigen Kranken handelte. Insoweit relevante
Gewichtsveränderungen waren gerade auch bei der Klägerin selbst in Betracht zu
ziehen und sind zwischenzeitlich offenbar auch erfolgt, wenn man etwa die ärztliche
Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Diplom-Medizinerin T. vom 15.
Dezember 1994 ("Diabetes mellitus Typ IIb")
56
- vgl. zur Klassifikation des Diabetes mellitus die Erläuterung bei Pschyrembel,
Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage: "Typ II ...: meist in höherem Lebensalter (sog.
Erwachsenen- oder Altersdiabetes),... Normalgewichtige sind in der Minderheit (Typ IIa),
die meisten Pat. sind übergewichtig (Typ IIb) -
57
und die ärztlichen Atteste des Arztes für Allgemeinmedizin N. vom 17. und 19.
November 1997 ("Diabetes mellitus Typ IIa") sowie vom 2. November 1999
gegenüberhält. Die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und
private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Heft 48
seiner Kleineren Schriften, 1997, dort S. 15) weisen wohl mit Rücksicht auf derartige
Entwicklungen denn auch darauf hin, dass zumindest Bewilligungen von
Mehrbedarfzuschlägen auf zwölf Monate befristet werden sollten. Zu allem kommt hinzu,
dass in der Rechtsprechung des angerufenen Gerichts der Entscheidung des Beklagten
vom 2. August 1995 zeitlich vorausgehend entschieden worden war, dass es sich im
Sozialhilferecht verbietet, einen seiner Natur nach veränderlichen Bedarf durch
gesonderten Bescheid ohne zeitliche Einschränkung mit Wirkung für die Zukunft zum
Zwecke der bestandskräftigen Regelung dieser Frage zu regeln.
58
OVG NRW, Urteil vom 14. April 1994 - 24 A 4182/92 -.
59
Angesichts dessen hieße es die Auslegungsmöglichkeiten zu überspannen, wollte man
in dem Bescheid des Beklagten vom 2. August 1995 in der Gestalt, die er durch den
Widerspruchsbescheid vom 6. November 1995 erhalten hat, einen zukunftsoffenen
60
Grundbescheid hinsichtlich der Frage der Gewährung eines krankheitsbedingten
Mehrbedarfszuschlags sehen. Für die Klägerin musste sich die in dem Bescheid
enthaltene Regelung vielmehr als auf ihren Antrag vom 4. Juli 1995 hin vorgenommene
Ergänzung des Bescheides vom 3. Juli 1995 darstellen, mit dem der Beklagte erstmals
in eigener Zuständigkeit über ihren Sozialhilfeanspruch entschieden hatte. Es bestand
kein Anlass anzunehmen, dass der Beklagte dieser Regelung eine andere zeitliche
Wirkung zumessen wollte, als sie Entscheidungen über das Bestehen eines Anspruchs
auf Sozialhilfe von der Rechtsprechung gemeinhin zugemessen wird.
Die Verpflichtungsklage der Klägerin ist nach allem lediglich für die Zeit von Juli bis
November 1995 zulässig. Für die Zeit ab Dezember 1995 hingegen hat es bei
Klageerhebung schon an einem vorherigen Antrag bei dem Beklagten gefehlt.
61
Vgl. zur Erforderlichkeit eines neuen Antrags für Folgezeiträume bei Abschluss des
vorausgegangenen Zeitraums durch einen Widerspruchsbescheid: OVG NRW,
Beschluss vom 6. Februar 1991 - 8 E 130/91 - und Urteil vom 12. Februar 1992 - 8 A
1492/89 -.
62
Die Relevanz dieses Umstandes wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin
im November 1999 mit Rückwirkung auch für den angesprochenen Zeitraum beim
Beklagten einen Antrag auf Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlags gestellt hat. Nach
ständiger Rechtsprechung des angerufenen Gerichts sowohl zum Klageverfahren wie
zum einstweiligen Rechtsschutz ist der vorherige Antrag bei der Behörde nämlich eine
während des Prozesses nicht nachholbare Zulässigkeitsvoraussetzung für die
Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes.
63
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 31. Oktober 1996 - 8 B 2650/96 -, 30. Juni 1999 - 24 E
211/98 - und 27. August 1999 - 16 B 1506/99 -.
64
Für die Zeit ab Dezember 1995 ist die Klage auch nicht etwa als Untätigkeitsklage
zulässig; denn in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch für
antragsunabhängigen Leistungen - wie im Sozialhilferecht - hinsichtlich der
Untätigkeitsklage geklärt, dass sie nur zulässig ist, wenn zuvor die Vornahme des
Verwaltungsakts bei der Behörde beantragt wurde. Dies ergibt sich nach Auffassung
des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur aus dem Wortlaut des § 75 VwGO, der
voraussetzt, dass ein "Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts" unbeschieden
geblieben ist, sondern auch aus der Systematik und dem Sinn und Zweck der Vorschrift:
Wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung ist es zunächst Sache der Verwaltung,
sich mit (vermeintlichen) Ansprüchen des Bürgers zu befassen. Dementsprechend sieht
§ 75 Satz 2 VwGO eine Sperrfrist vor, die einer verfrühten und deshalb unter
Rechtsschutzgesichtpunkten (noch) nicht gerechtfertigten Klageerhebung
entgegenwirken, der Behörde dadurch angemessene Zeit zu einer ausreichenden
Sachprüfung gewährleisten und zugleich die Gerichte entlasten soll. Diesen Zweck
könnte die Sperrfrist nicht erfüllen, wenn sie bei Fehlen eines vorausgegangenen
Antrags mit der Klage selbst oder nachfolgenden prozessualen Erklärungen in Lauf
gesetzt werden könnte.
65
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 11.94 -, BVerwGE 99, 158 = FEVS 46,
133.
66
Soweit die Verpflichtungsklage für die Zeit von Juli bis November 1995 zulässig ist, ist
67
sie jedenfalls nicht in weiterem Umfang begründet als im angefochtenen Urteil
angenommen. Der Klägerin stand in diesem Zeitraum kein Anspruch auf höhere Hilfe
zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 4 BSHG zu, als ihr vom Verwaltungsgericht
zugebilligt worden ist. Nach dieser Regelung ist für Kranke, Genesende, Behinderte
oder von einer Krankheit oder Behinderung Bedrohte, die einer kostenaufwendigen
Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen. Die
Klägerin war im fraglichen Zeitraum zwar aus gesundheitlichen Gründen gehalten, eine
Diät zu beachten. Die Diät, die aus Krankheitsgründen medizinisch geboten gewesen
ist, verursachte indes jedenfalls keine höheren Kosten, als bei Berücksichtigung auch
des vom Verwaltungsgericht zugesprochenen Betrages im Regelsatz eines
Haushaltsvorstandes für Ernährung vorgesehen sind. Davon ist nach allen dem Senat
verfügbaren Erkenntnisquellen auszugehen. Anders als nach Auffassung des
Verwaltungsgerichts, das ausgeführt hat, die Klägerin leide "an Diabetes mellitus II, d.h.
am altersbedingten Zucker bei Normalgewicht", spricht nach Auffassung des Senats auf
Grund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigung einiges dafür, dass bei der Klägerin
im fraglichen Zeitraum ein Diabetes mellitus des Typs IIb vorgelegen haben könnte, d.h.
ein Diabetes bei Übergewicht. Die Ärztin für Allgemeinmedizin und die
Diplommedizinerin T. hatte die Erkrankung der Klägerin in ihrer ärztlichen
Bescheinigung vom 15. Dezember 1994 ausdrücklich als "Diabetes mellitus IIb"
qualifiziert, während die Bescheinigung der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. vom 4.
Juli 1995 - erkennbar unzutreffend - zunächst einen "Diabetes mellitus (bei Kindern und
Jugendlichen)" attestiert und in den nachfolgenden Stellungnahmen vom 20. und 27.
November 1995 lediglich von einem Diabetes mellitus Typ II gesprochen hatte, ohne
sich festzulegen, ob Typ IIa oder Typ IIb vorliegt. Die Angaben zum Gewicht (56 kg) und
zur Größe (148 cm) in der Bescheinigung vom 4. Juli 1995 ermöglichen jedoch die
Zuordnung zum Typ IIb; denn bei Zugrundelegung des Body Mass Index (vgl. etwa die
Ernährungsempfehlung für Diabetiker 2000 der European Association for the Study of
Diabetes - EASD- und der Deutschen Diabetes-Gesellschaft - DDG -, Ausschuss
Ernährung, Ernährungs-Umschau 47 (2000), Seite 182 ff.) errechnet sich (56 : 2,1904 =
25,566) ein Körpermassenindex von mehr als 25 kg/m2. Der Senat geht auch davon
aus, dass die behandelnden Ärzte das Vorliegen des selteneren und für die Klägerin
günstigeren Falles des Diabetes mellitus Typ IIa ausdrücklich bescheinigt hätten, wenn
er vorgelegen hätte. Das ist jedoch erstmals in den Bescheinigungen des Arztes für
Allgemeinmedizin N. vom 17. bzw. 19. November 1997 der Fall. In der letztgenannten
Bescheinigung heißt es denn auch: "Bezüglich dieser Diät gilt anzumerken, dass der
nicht- insulinpflichtige Diabetiker seine Mahlzeiten in Bezug auf die Kalorienwahl und
die Gestaltung der BE-Verteilung (BE = Broteinheiten) frei einteilen kann.
Voraussetzung dafür sind nüchtern Zuckerwerte unter 120 mg/dl und ein normales
Körpergewicht, was z u r Z e i t (Hervorhebung durch den Senat) unter der Behandlung
mit 14 bis 16 BE pro Tag bei Frau G. zutrifft."
Während früher bei Übergewicht des Betroffenen angenommen wurde, dass die von
Diabetikern einzuhaltende Diät teurer als eine normale Ernährung ist und einen
Mehrbedarfszuschlag rechtfertigt (vgl. etwa Empfehlungen für die Gewährung von
Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für
öffentliche und private Fürsorge Heft 48, 1974, Seite 106) stimmen alle dem Senat
vorliegenden wissenschaftlich fundierten Stellungnahmen aus jüngerer Zeit darin
überein, dass jedenfalls bei der im Falle von Übergewicht gebotenen Reduktionskost
Mehrkosten nicht anfallen. Der Ausschuss für Ernährung der Deutschen Diabetes-
Gesellschaft, der nicht zuletzt auf Grund seiner exponierten Stellung und seiner
Zusammensetzung mit namhaften Wissenschaftlern als besonders sachkundig
68
angesehen werden muss, und das Diabetes-Forschungsinstitut an der Heinrich- Heine-
Universität D. vertreten ausweislich u.a. des bei den Akten befindlichen Schreibens vom
17. Juni 1998 sogar generell, d.h. auch bei normalgewichtigen Diabetikern die
Auffassung, dass Mehrkosten für die einzuhaltende Diabetesdiät gegenüber einer
normalen gesunden Ernährung auf der Basis verfügbarer natürlicher Lebensmittel nicht
entstehen müssen.
Die neueren Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge,
dessen Stellungnahmen zu anderen Fragen des Sozialhilferechts teilweise die Qualität
eines antizipierten Sachverständigengutachtens beigemessen worden ist,
69
so OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2000 - 22 A 285/98 - für die Heranziehung der
Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu Inhalt und
Bemessung des gesetzlichen Mehrbedarfs nach dem Bundessozialhilfegesetz, Kleinere
Schriften des Deutschen Vereins, Heft 55, 1976, zur Bemessung des Mehrbedarfs für
Erwerbstätige nach § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG a.F.,
70
kommen in ihrer zweiten, völlig neu bearbeiteten Auflage der Empfehlungen zur
Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe aus dem Jahre 1997 jedenfalls
bei Übergewicht des Kranken bzw. in Fällen eines Diabetes mellitus IIb zu dem
Ergebnis, dass ernährungsbedingte Mehrkosten nicht entstehen, bei einer
angenommenen Energiezufuhr von 1000 kcal täglich vielmehr sogar ein Differenzbetrag
von 47 DM (vgl. a.a.O., Tabelle S. 36) monatlich des im Regelsatz enthaltenen
Ernährungsanteils nicht in Anspruch genommen werden müsse.
71
Die in den genannten Stellungnahmen enthaltene Erkenntnis, dass anders als nach
früherer Auffassung jedenfalls bei Übergewicht eine Veranlassung zur Bewilligung
eines Mehrbedarfs nicht besteht, ist auch inhaltlich nachvollziehbar. Neuere
Erkenntnisse in der Wissenschaft haben zu der Einsicht geführt, dass der früher
praktizierte überhöhte und kostenintensive Eiweißanteil in der Diabetesdiät nicht mehr
empfehlenswert ist, zumal er die Gefahr von Nierenschäden mit sich bringt.
72
Vgl. das Gutachten vom 22. Januar 1996 "Zur Gewährung von Krankenkostzulagen aus
ernährungsmedizinischer Sicht" von Prof. Dr. Reinhard Kluthe, Deutsche Akademie für
Ernährungsmedizin, Freiburg, und Dr. Gudrun Zürcher, Medizinische Universitätsklinik,
Abt. I. Sektion Ernährungsmedizin und Diätetik, Freiburg, abgedruckt in der neu
bearbeiteten 2. Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung
von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 1997, Heft 48 der Kleineren Schriften des
Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Seite 127 (136).
73
Die früher vertretene, immer noch weit verbreitete und einseitige Einschränkung der
Kohlenhydratzufuhr in der Diabetesdiät wird heute als unberechtigt angesehen.
74
Vgl. das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes vom 2. April 1991
"Krankenkostzulagen nach BSHG bei Krebs, Multipler Sklerose, Diabetes mellitus und
anderen Erkrankungen" (Berichterstatter: Prof. Dr. Großklaus), abgedruckt in der neu
bearbeiteten 2. Auflage der Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung
von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 1997, a.a.O., Seite 67 (70).
75
Zu einer Verminderung des Kostenansatzes trägt auch bei, dass die früher angesetzte
Quote von 20 % für Schwund und Verderb und von 2 % für Gewürze und Zutaten
76
jedenfalls in diesem Umfang nicht mehr anerkannt wird.
Vgl. Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen
in der Sozialhilfe, 2. neu bearbeitete Auflage 1997, a.a.O., Seite 33, und OVG Berlin,
Urteil vom 23. Februar 1995 - 6 B 49.93 -, FEVS 46, 201 (203 f.).
77
Selbst wenn man die Klägerin als Diabetikerin des Typs IIa am äußeren Rand der
Normalgewichtigkeit einordnen wollte, bei der eine Gewichtsreduktionskost nicht
unbedingt angebracht gewesen sein sollte, ist davon auszugehen, dass sie den
diätbedingt entstehenden Aufwand mit den ihr vom Verwaltungsgericht zugesprochenen
71 DM monatlich abdecken konnte.
78
Vgl. insoweit die Tabelle zu den Aufwandsbeträgen in den Empfehlungen des
Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 2.
neu bearbeitete Auflage 1997, a.a.O., Seite 36.
79
Als 67 bzw. 68-jährige Frau hat ihr Energiebedarf am unteren Rand des Spektrums etwa
der Richtwerttabelle für die tägliche Energiezufuhr gelegen, wie sie unter 2.1 des
Gutachtens zum Kostenaufwand für Langzeitdiäten von Renate Frenz, Deutsche
Gesellschaft für Ernährung, Referat Fortbildung mit dem Institut für Ernährungsberatung
und Diätetik, Abteilungsleiter: Universitätsprofessor Dr. med. F.A. Grieß, vom 29.
November 1994,
80
Anlage 4 der Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von
Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe, 2. neu bearbeitete Auflage 1997, a.a.O., Seite 49
(51),
81
abgedruckt ist. Eine Erhöhung des Aufwandsbetrages auf die Pauschale von 100 DM,
wie sie vom Deutschen Verein in seinen Empfehlungen (a.a.O., Seite 35, 36) generell
befürwortet wird, ist deshalb in ihrem Fall nicht plausibel.
82
Ob nicht ohnehin der Auffassung des Ausschusses für Ernährung der DDG bzw. der
EASD zu folgen ist, wonach Mehrkosten auch im Falle einer Diät normalgewichtiger
Diabetiker nicht anfallen, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden.
83
Die Klägerin hat schließlich auch keine Umstände vorgetragen, die in ihrem Einzelfall
ausnahmsweise einen höheren Mehrbedarf rechtfertigten. Soweit sie sich auf den
Verzehr von speziellen Diabetikerprodukten beruft,
84
vgl. insoweit die eindeutig ablehnende Stellungnahme der EASD bzw. des
Ausschusses für Ernährung der DDG in den bereits erwähnten
Ernährungsempfehlungen für Diabetiker 2000 bzw. schon in den vorausgegangenen
Ernährungsempfehlungen für Diabetiker 1995, Ernährungs-Umschau 42 (1995), 319
(322); ähnlich: Gutachten vom 22. Januar 1996 "Zur Gewährung von
Krankenkostzulagen aus ernährungsmedizinischer Sicht", a.a.O., Seite 127 (137),
85
ist deren Verwendung in den vorgelegten ärztlichen Ratschlägen für ihre Ernährung
nicht vorgesehen.
86
Die Klägerin rügt unter Hinweis auf die großzügigere Bewilligungspraxis anderer
Sozialhilfeträger schließlich zu Unrecht eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art.
87
3 Abs. 1 GG.
Wenn § 23 Abs. 4 BSHG zur Anerkennung eines Mehrbedarfs in angemessener Höhe
verpflichtet, so ist das Tatbestandsmerkmal "in angemessener Höhe" ein unbestimmter
Rechtsbegriff, der der Behörde keinen Beurteilungsspielraum einräumt, sondern
vielmehr der uneingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt.
88
Das schließt zwar nicht aus, dass der einzelne Sozialhilfeträger den zu leistenden
Betrag insoweit typisieren und pauschalieren darf, wobei aus der Natur der Sache folgt,
dass diese Pauschalierung zu einer Bandbreite von Ergebnissen führen kann.
89
Vgl. zum verwandten Begriff "im angemessenen Umfang" in § 85 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2
BSHG: BVerwG, Beschluss vom 7. April 1995 - 5 B 36.94 -, BayVBl. 1995, 666, m.w.N.
90
Das ist als notwendige Folge eines dezentralen Gesetzesvollzugs im Bundesstaat auch
unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Gleichheit vor dem Gesetz nicht
problematisch. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung steht dem Einzelnen nur gegenüber
dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt zu.
91
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. April 1995 - 5 B 36.94 -, m.w.N., a.a.O.
92
Gewährt ein anderer Träger in rechtswidriger Weise zu hohe Mehrbedarfszuschläge, so
kann die Klägerin daraus für sich keine günstigen Rechtsfolgen herleiten, weil die
Herbeiführung einer Gleichheit im Unrecht von der Verfassung nicht verlangt wird.
93
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung
über deren vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
94
Der Senat lässt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2
VwGO nicht vorliegen.
95