Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.04.2008

OVG NRW: gemeinde, aufwand, anpassung, fremdfinanzierung, grundstück, haushalt, minderung, beitragsfestsetzung, abweisung, verzinsung

Oberverwaltungsgericht NRW, 3 A 5207/04
Datum:
16.04.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 A 5207/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 12 K 7705/01
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfah-rens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
aufgrund der Kostenentscheidung vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1029,85 EURO (=
2.014,21 DM) festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der Senat entscheidet über die Berufung des Beklagten gemäß § 130a VwGO nach
Anhörung der Beteiligten durch Beschluss. Er hält eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich und die Berufung einstimmig für unbegründet, so dass sie zurückzuweisen
ist.
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I.
3
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für
sein an den M.-----weg grenzendes Grundstück Gemarkung O. , Flur 22, Flurstück 741.
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Die Heranziehung erfolgte mit Bescheid vom 21. Juni 2001. Darin wurde ein
Erschließungsbeitrag von 23.390,80 DM festgesetzt, eine im Jahre 1984 erbrachte
Vorausleistung von 25.700,00 DM angerechnet und ein Erstattungsbetrag zugunsten
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des Klägers von 2.309,20 DM ausgewiesen.
Der Kläger hat im Widerspruchsverfahren und im Klageverfahren einzig beanstandet,
dass der Beklagte zu hohe Zinsen in den Erschließungsaufwand eingestellt habe, und
vorgetragen: Bei dem Ansatz von Zinsen (über einen Zeitraum von 20 Jahren wegen
einer im Jahre 1981 bestehenden Kreditfinanzierung des abgerechneten
Straßenbauvorhabens) sei nicht berücksichtigt worden, dass die Anlieger des M.-----
wegs Vorausleistungen von ca. 280.000,00 DM erbracht hätten, mit denen die besagte
Fremdfinanzierung schon im Jahre 1984 hätte abgelöst werden können.
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Das Verwaltungsgericht ist diesem Vorbringen nicht gefolgt. Es hat der (auf die
streitigen Fremdfinanzierungszinsen beschränkten) Klage mit dem angefochtenen Urteil
dennoch - unter Abweisung im Übrigen - teilweise stattgegeben, soweit ein 10.929,68
EURO (= 21.376,59 DM) übersteigender Erschließungsbeitrag festgesetzt worden ist,
und dazu in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Die Beitragserhebung sei auch
hinsichtlich der Fremdfinanzierungszinsen dem Grunde nach rechtmäßig, aber der
Höhe nach zu beanstanden, weil der Beklagte für den gesamten Berechnungszeitraum
einen Zinssatz von 9,9 % zugrunde gelegt habe. Im Jahre 1981 habe die Gemeinde
neun Kredite aufgenommen mit einer durchschnittlichen Zinsbindung von 5 Jahren, bei
deren Auslauf die Hochzinsphase beendet gewesen sei. Ab 1986 habe der Zinssatz
durchschnittlich 6,5 % betragen. Dementsprechend hätte der Beklagte nur Zinsen in
Höhe von 55.271,82 DM in den Erschließungsaufwand einstellen dürfen.
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Mit der vom Senat zugelassenen Berufung erstrebt der Beklagte die Änderung des
erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Klage in vollem Umfang. Er hält dem
Verwaltungsgericht entgegen: Für eine (laufende) Anpassung des
Fremdfinanzierungszinssatzes bei Veränderung des Zinsniveaus gebe es weder
Veranlassung noch sei sie rechtlich geboten. Vielmehr sei nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 23. August 1990 - 8 C 4.89 - , DVBl. 1990,
1408, und 23. Februar 2000 - 11 C 3.99 - , BVerwGE 110, 344) und des Senats (Urteil
vom 22. September 1999 - 3 A 3625/97 - , NWVBl. 2000, 180) für den gesamten
Berechnungszeitraum der Zinssatz zugrunde zu legen, der im Jahre des Aufwands aus
dem Haushalt ermittelt wurde. Im Übrigen ergebe sich, wenn man mit dem
Verwaltungsgericht eine Anpassung des Zinssatzes für geboten erachte, ein
beitragsfähiger Zinsaufwand von 78.003,72 DM, nicht hingegen von 55.271,82 DM, so
dass der Kläger mindestens einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 11.406,41 EURO
schulde.
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Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren nicht durch einen Prozessbevollmächtigten
vertreten lassen.
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Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte auf Veranlassung des Senats eine
die erbrachten Vorausleistungen der Anlieger berücksichtigende Neu-Berechnung der
beitragsfähigen Fremdfinanzierungszinsen vorgelegt (GA 117 ff.). Hierauf wird Bezug
genommen.
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II.
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Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im
Ergebnis zu Recht teilweise stattgegeben. Die Beitragsfestsetzung im Bescheid des
Beklagten vom 21. Juni 2001 ist (jedenfalls) hinsichtlich des 10.929,68 EURO (=
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21.376,58 DM) übersteigenden Betrages rechtswidrig und gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO aufzuheben.
Die Beteiligten streiten - auch in zweiter Instanz - ausschließlich darum, ob bei der
Heranziehung des Klägers zu Erschließungsbeiträgen für die erstmalige Herstellung
des M.-----wegs im Rahmen des Erschließungsaufwands zu hohe
Fremdfinanzierungskosten in Ansatz gebracht worden sind. Andere Fehler der
Veranlagung sind weder von den Beteiligten geltend gemacht oder vom
Verwaltungsgericht aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich. Die Überprüfung des
Senats kann sich daher auf den genannten Streitpunkt beschränken. Sie ergibt, dass
nicht - wie geschehen - 102.244,85 DM (= 52.276,96 EURO), sondern nur 4.982,64
EURO, äußerstenfalls aber 19.302,29 EURO an Fremdfinanzierungszinsen in den
Erschließungsaufwand eingestellt werden durften. Diese Beträge ergeben sich aus der
vorstehend erwähnten Neuberechnung der Fremdfinanzierungszinsen, die der Beklagte
mit Schriftsatz vom 8. Februar 2008 vorgelegt hat und der vom Senat die Prämisse
vorgegeben war, dass für Jahre, in denen die Summe der Tilgungen der Gemeinde
sowie der von ihr bis dahin vereinnahmten Vorausleistungen der Anlieger die Höhe des
für das Straßenbauvorhaben aufgenommenen und noch offenstehenden Kredits erreicht
oder gar überstiegen hat, keine Fremdfinanzierungszinsen in den
Erschließungsaufwand eingestellt werden dürfen. Hiernach beträgt (bei Übernahme des
Rechenwerks des Beklagten im Übrigen) in der vom Senat abgefragten Alternative A
der Neuberechnung, bei der die Vorausleistungen als Minderung des Kreditbedarfs für
das Straßenbauvorhaben berücksichtigt werden,
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für diese Behandlung BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2000 - 11 C 3.99 - , a.a.O.,
Richarz, Noch einmal: Fremdkapitalkosten als beitragsfähiger Erschließungsaufwand,
KStZ 2001, 45 (48), und Klausing, Beitragsfähiger Erschließungsaufwand:
Fremdfinanzierungskosten, DVBl. 2001, 516 (518), und derselbe, Die Berücksichtigung
der Fremdfinanzierungskosten beim beitragsfähigen Erschließungsaufwand, SächsVBl.
1998, 222 (224),
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und sich damit in vollem Umfang zugunsten der Beitragspflichtigen auswirken, der
Erschließungsbeitrag für das Grundstück des Klägers 9.848,93 EURO; in der daneben
vom Beklagten ins Spiel gebrachten Alternative B, bei der die Vorausleistungen
entsprechend § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB zu 10 % zugunsten der Gemeinde und zu 90
% zugunsten der Beitragspflichtigen berücksichtigt werden, beläuft sich der
Erschließungsbeitrag für das Grundstück des Klägers auf 10.487,47 EURO. In beiden
Alternativen wird der Betrag, in dessen Höhe das Verwaltungsgericht die
Beitragsfestsetzung des Beklagten hat bestehen lassen (10.929,68 EURO),
unterschritten. Zur Rechtfertigung einer Neuberechnung der Fremdfinanzierungszinsen
unter der vorgenannten Prämisse ist im Einzelnen auszuführen:
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Die Ermittlung des Fremdfinanzierungsbetrages durch den Beklagten begegnet im
Ausgangspunkt keinen Bedenken. Die Berechnung (Produkt aus der Summe der
Ausgaben und der Fremdfinanzierungsquote des jeweiligen Haushaltsjahres) entspricht
der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach ist anzunehmen, dass die für eine
bestimmte Erschließungsmaßnahme getätigten Aufwendungen - wie alle anderen
Investitionen der Gemeinde auch - zu demjenigen Prozentsatz fremdfinanziert sind, der
dem Verhältnis der Gesamteinnahmen aus Krediten zu den Gesamtausgaben des
Vermögenshaushalts für Investitionen in dem betreffenden Haushaltsjahr entspricht.
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So BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2000 - 11 C 3.99 - , a.a.O., und Urteil des Senats
vom 22. September 1999 - 3 A 3625/97 - , a.a.O.
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Bei der Berechnung der Fremdfinanzierungskosten ist der jeweilige Gesamt-
Fremdfinanzierungsbetrag (d.i. die Summe der auf die einzelnen Ausgabepositionen
entfallenden, anhand der Fremdfinanzierungsquote des jeweiligen "Ausgabejahres"
ermittelten einzelnen Fremdfinanzierungsbeträge), dessen Verzinsung in den
beitragsfähigen Erschließungsaufwand einzustellen ist, nicht nur um vertragsgemäße
Tilgungen der Gemeinde und anrechenbare Zuschüsse Dritter, sondern auch um
vereinnahmte Vorausleistungen der Beitragspflichtigen in dem jeweiligen Jahr zu
vermindern.
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Vgl. Urteil des Senats vom 22. September 1999, a.a.O., mit Hinweis auf BVerwG, Urteil
vom 23. August 1990 - 8 C 4.89 - , a.a.O., Richarz, Fremdkapitalkosten als
beitragsfähiger Erschließungsaufwand nach dem neuen kommunalen Haushaltsrecht,
KStZ 1991, 105 (106) und Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 5. Aufl., § 13
Rn. 17.
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Dabei gehen Vorausleistungen nicht nur einmalig (als Zufluss zum Vermögenshaushalt)
in die Berechnung der Fremdfinanzierungsquote ein, sondern wirken sich (als
Minderung des Kreditbedarfs für die konkrete Erschließungsanlage) auch auf die durch
die Anlage ausgelösten Fremdfinanzierungsbeträge des betreffenden Jahres sowie die
Höhe der in den Folgejahren der Kreditaufnahme anfallenden Zinsen aus, wenn sich
die Fremdfinanzierung eines Straßenbauvorhabens wie in aller Regel und so auch hier
über längere Zeiträume erstreckt. Zu Unrecht meint der Beklagte, Vorausleistungen
seien hier anders als Tilgungen zu behandeln. Eine solche Differenzierung verbietet
sich vielmehr angesichts der Zweckbestimmungen beider Leistungen. Die
vertragsgemäßen Tilgungsbeträge mindern den Umfang des (Rest-)Kredits deshalb,
weil die gedankliche Gleichbehandlung aller Ausgaben, die der Berechnung des
Fremdfinanzierungsaufwandes unter der Geltung des haushaltsrechtlichen
Gesamtdeckungsprinzips zugrunde liegt, eine unterschiedliche Behandlung der
betreffenden Kostenmassen im Wege eines "Zwei-Konten-Modells" im Ansatz
ausschließt.
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Vgl. Urteil des Senats vom 22. September 1999 - 3 A 3625/97 - , a.a.O.
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Die Berücksichtigung der Vorausleistungen - allein - zur Tilgung des speziellen
Fremdfinanzierungsaufwandes für das betreffende Straßenbauvorhaben folgt
demgegenüber aus der spezifischen erschließungsbeitragsrechtlichen Zweckbindung
dieser Zahlungen, die im Bereich der Berechnung des Erschließungsaufwandes den
Vorrang vor der Berücksichtigung der tatsächlichen haushaltsrechtlichen Behandlung
dieser Zahlungszuflüsse besitzt: Die Vorausleistungen sind, wie gesagt,
erschließungsbeitragsrechtlich anlagengebunden. Sie müssen wegen dieser durch das
materielle Fachrecht vorgegebenen Zweckbindung speziell für das konkrete
Straßenbauvorhaben verwendet werden und gelten als Vorwegerfüllung der künftigen
Beitragsschuld der Eigentümer bzw. Erbbauberechtigten der erschlossenen
Grundstücke. Demzufolge mindern sie bei der Berechnung des
Erschließungsaufwandes den Kreditbedarf für das abzurechnende
Straßenbauvorhaben. Insoweit setzt sich das materielle Fachrecht gegenüber den
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Auswirkungen des allgemeinen haushaltsrechtlichen Gesamtdeckungsprinzips durch,
das hier nur - gleichsam hilfsweise - heranzuziehen ist, um Fremdfinanzierungsaufwand
zu schätzen, den ein bestimmtes Straßenbauvorhaben ausgelöst hat, ohne dass dieser
Aufwand im Haushalt anlagenbezogen erscheint und derart konkret nachvollziehbar
gemacht ist. Im Falle der Tilgungsbeträge fallen hierauf bezogene Zinskosten schon von
vornherein nicht mehr an, im Falle vereinnahmter Vorausleistungsbeträge sind
Zinskosten im jeweiligem Umfang jedenfalls nicht mehr erschließungsbeitragsfähig.
Dieses Ergebnis wird hinsichtlich der Vorausleistungen durch die weitere Überlegung
bestätigt, dass Vorausleistungen ab ihrem Eingang bei der Gemeinde zu deren
Eigenkapital zählen und Eigenkapital der Gemeinde aus der Sicht des Beitragsrechts
einer Verzinsung schlechthin entzogen ist.
So BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2000, a.a.O., und Urteil des Senats vom 22.
September 1999 - 3 A 3625/97 - , a.a.O.
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Dies erkennend, hat die Landesregierung NRW im Übrigen schon unter dem 10. März
1999 (LT NRW Drs. 12/3782) die Kleine Anfrage 1214 der Abgeordneten Heemann
zutreffend wie folgt beantwortet:
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"Erschließungsbeiträge und Vorausleistungen sind zweckgebunden für den Bau der
Straße einzusetzen. Die Gemeinde ist gehalten, sie zur Finanzierung der Kosten für die
jeweilige Anlage zu verwenden, deren (voraussichtlicher) Aufwand Grundlage für die
Vorausleistungserhebung war. Im Umfang der erhaltenen Vorausleistungen ist die
Gemeinde gehindert, Kosten für die Fremdfinanzierung in den beitragsfähigen Aufwand
einzubeziehen."
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Nach alledem ist der Beklagte durch das angefochtene Urteil nicht beschwert. Die
Berufung kann schon deswegen keinen Erfolg haben. Auf die Streitfrage der Anpassung
des Zinssatzes bei Veränderungen des Zinsniveaus während des
Berechnungszeitraums kommt es unter diesen Umständen nicht an.
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Eine Änderung des erstinstanzlichen Urteils zugunsten des Klägers scheidet aus, weil
er gegen dieses Urteil weder Berufung noch frist- und formgerecht Anschlussberufung
durch einen Prozessbevollmächtigten (§ 67 Abs. 1 VwGO) eingelegt hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO, die
Streitwertfestsetzung auf § 72 GKG i.V.m. § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 2 GKG a.F.
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Die Revision wird zugelassen (§ 125 Abs. 2 Satz 4, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), weil die
Frage, ob und inwieweit Vorausleistungen der Beitragspflichtigen sich auf die Höhe der
in den beitragsfähigen Erschließungsaufwand einzustellenden
Fremdfinanzierungszinsen auswirken, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch
nicht abschließend geklärt ist.
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