Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.12.2003

OVG NRW: verwarnung, ordnungswidrigkeit, entziehung, beratung, bonus, ausnahme, betrug, aussetzung, vollziehung, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 2526/03
Datum:
11.12.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 2526/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 2427/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.000 EUR
festgesetzt.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Die Prüfung des Senats ist auf diejenigen Gründe beschränkt, die der Antragsteller
innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegt
hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese Gründe rechtfertigen es nicht, den
angefochtenen Beschluss zu ändern und dem Antrag des Antragstellers auf Aussetzung
der Vollziehung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) stattzugeben. Seine Einwände gegen die
vom Verwaltungsgericht angenommene offensichtliche Rechtmäßigkeit der
Ordnungsverfügung vom 12. September 2003 greifen nicht durch. Der Antragsgegner
war nach Begehung der Ordnungswidrigkeit des Antragstellers vom 26. September
2000 nicht verpflichtet, den Antragsteller erneut gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG zu
verwarnen.
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Der Antragsgegner hat den Antragsteller unter dem 25. Mai 2000 gemäß § 4 Abs. 3 Satz
1 Nr. 1 StVG verwarnt. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Punktestand des Antragstellers
acht Punkte. Mit der weiteren Ordnungswidrigkeit vom 26. September 2000 stieg der
Punktestand auf 11 Punkte. Dieser weitere Anstieg des Punktestandes erforderte keine
erneute Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG. Die Fahrerlaubnisbehörde ist
nicht verpflichtet, die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG erneut zu
ergreifen, wenn sie diese Maßnahmen bei Erreichen von acht, aber nicht mehr als 13
Punkten durchgeführt hat und der Fahrerlaubnisinhaber danach eine weitere
Verkehrszuwiderhandlung begeht, durch die 13 Punkte nicht überschritten werden.
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Die gegenteilige Auffassung des Antragstellers lässt sich aus dem Wortlaut des § 4 Abs.
3 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht herleiten. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die in dieser
Vorschrift vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen, wenn "sich acht, aber nicht mehr als
13 Punkte ergeben". Diese Formulierung lässt nicht zweifelsfrei erkennen, ob die
Vorschrift nur solche Fälle erfasst, in denen der Fahrerlaubnisinhaber den in § 4 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 StVG genannten Punktebereich erstmals oder wiederholt, d. h. nach einer
Reduzierung des Punktestandes auf weniger als acht Punkte etwa infolge der Tilgung
von Ordnungswidrigkeiten,
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vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2003 - 19 B 337/03 -, NVwZ-RR 2003,
681 (682 f.),
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acht, aber nicht mehr als 13 Punkte erreicht, oder ob die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 StVG auch dann (erneut) durchzuführen sind, wenn der bereits verwarnte
Fahrerlaubnisinhaber, wie hier, bei einem erreichten Punktestand von acht, aber nicht
mehr als 13 Punkten eine weitere Verkehrszuwiderhandlung begeht, durch die 13
Punkte nicht überschritten werden. In den letztgenannten Fällen spricht gegen die
Anwendbarkeit des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG, dass die Vorschrift ihrem Wortlaut
nach ein Sich-Ergeben von acht Punkten voraussetzt, sich für den bereits verwarnten
Fahrerlaubnisinhaber dagegen mit der weiteren, bei einem Punktestand zwischen acht,
aber nicht mehr als 13 Punkten begangenen Verkehrszuwiderhandlung die bereits
erreichten acht Punkte nicht (erneut) ergeben.
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Aus der amtlichen Begründung des Gesetzes zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998, VkBl S. 731 ff., geht
entgegen der Auffassung des Antragstellers zweifelsfrei der Wille des Gesetzgebers
hervor, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der bereits
verwarnt worden ist und bei einem Punktestand von acht, aber nicht mehr als 13
Punkten eine weitere Verkehrszuwiderhandlung begeht, durch die 13 Punkte nicht
überschritten werden, die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG vorgesehenen Maßnahmen
nicht erneut ergreifen muss. In der amtlichen Begründung, VkBl 1998, S. 794, heißt es
nämlich zu § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG, "die Information über den Punktestand wird
dem Betroffenen nach dieser Bestimmung nur einmal gegeben, auch wenn sich
anschließend sein Punktestand weiter erhöht hat". Da die Information über den
Punktestand (nur) mit der Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG erfolgt,
spricht damit die Gesetzesbegründung dafür, dass - abgesehen von den bereits
angeführten (Ausnahme-) Fällen, in denen der Punktestand des Fahrerlaubnisinhabers
sich etwa auf Grund der Tilgung von Ordnungswidrigkeiten reduziert hat und nach der
Reduzierung erneut ein Punktestand von acht, aber nicht mehr als 13 Punkten erreicht
wird - nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Verwarnung selbst nur einmal
erfolgt.
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Für eine dahingehende Auslegung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG sprechen auch
Sinn und Zweck des Punktsystems. Die durch das Gesetz zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998 erfolgte neue
Konzeption des Maßnahmenkatalogs zielt nach der Gesetzesbegründung stärker als
der bisherige in § 3 der Verwaltungsvorschrift zu § 15 b StVZO a. F. enthaltene
Maßnahmenkatalog auf Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von
fahreignungsrelevanten Defiziten bei den so genannten Mehrfachtätern. Mit der
Zielrichtung, dem Mehrfachtäter stärker als bisher Angebote und Hilfestellungen zum
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Abbau von Defiziten zu geben, ist der geänderte Maßnahmenkatalog ein
verhältnismäßiger Ausgleich dafür, dass nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG anders als
nach dem bisherigen Maßnahmenkatalog bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten
generell die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vermutet wird. Ein solcher
Punktestand rechtfertigt die gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung nur deshalb, weil es
sich nach der Wertung des Gesetzgebers um einen uneinsichtigen Mehrfachtäter
handelt, der sämtliche Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von vorhandenen
Defiziten und auch die Möglichkeiten, durch freiwillige Teilnahme an einem
Aufbauseminar und einer verkehrspsychologischen Beratung "Bonus-Gutschriften" zu
erhalten (§ 4 Abs. 4 StVG), nicht oder nicht hinreichend genutzt hat. Angesichts dieser
Wertung des Gesetzgebers greift die Ungeeignetheitsvermutung gemäß § 4 Abs. 3 Satz
1 Nr. 3 StVG nur dann ein, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die Möglichkeit hatte,
zumindest diejenigen Angebote und Hilfestellungen des neuen Maßnahmenkatalogs
wahrzunehmen, die auf der jeweils vorhergehenden Schwelle vorgesehen sind.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2003 - 19 B 337/03 -, a. a. O., 683, unter
Bezugnahme auf die amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998; vgl. ferner OVG
NRW, Beschlüsse vom 25. Juni 2002 - 19 B 1545/01 -, und 2. Februar 2000 - 19 B
1886/99 -, NZV 2000, 219 (220 f.); Thüringer OVG, Beschluss vom 12. März 2003 - 2 EO
688/02 -, a. a. O., 2770,
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Nach diesem Sinn und Zweck war eine erneute Verwarnung des Antragstellers nach
Begehung der Ordnungswidrigkeit vom 26. September 2000 nicht erforderlich. Mit der
Verwarnung vom 25. Mai 2000 ist der Antragsteller "eindringlich ermahnt" worden, sich
"auch im eigenen Interesse" künftig verkehrsgerecht zu verhalten, um eine bei weiteren
Verkehrszuwiderhandlungen drohende Entziehung der Fahrerlaubnis zu verhindern.
Zugleich ist ihm sein damaliger Punktestand (acht Punkte) mitgeteilt und der Hinweis
erteilt worden, dass ihm bei einer freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar ein
Punkterabatt von 4 Punkten gewährt werden kann. Damit ist der Antragsteller
entsprechend dem Sinn und Zweck des Punktsystems angehalten worden, sein
bisheriges Verkehrsverhalten zu ändern sowie möglichst frühzeitig durch freiwillige
Teilnahme an einem Aufbauseminar vorhandene Defizite und den damaligen
Punktestand abzubauen. Dass er die mit der Verwarnung aufgezeigten Hilfestellungen
und Angebote nicht frühzeitig wahrgenommen hat, fällt in seinen Risikobereich. Die hier
streitgegenständliche Entziehung der Fahrerlaubnis ist insoweit die mit dem Sinn und
Zweck des Punktsystems in Einklang stehende Konsequenz daraus, dass er trotz der
ihm aufgezeigten Hilfestellungen und Möglichkeiten zum Punkteabbau weitere
Verkehrszuwiderhandlungen begangen und insgesamt 18 Punkte erreicht hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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