Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.07.2005

OVG NRW: liberia, security council, bundesamt für migration, landwirtschaftliche produktion, sierra leone, report, unhcr, anerkennung, emrk, mission

Oberverwaltungsgericht NRW, 11 A 2421/03.A
Datum:
19.07.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 A 2421/03.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 16 K 386/00.A
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wird
nicht gemäß den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt
bzw. ist nicht gegeben.
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1. Der Kläger ficht das Urteil erster Instanz nur an, "soweit der Kläger Feststellungen
nach § 53 AuslG" begehrt. Soweit das Verwaltungsgericht die auf Anerkennung als
Asylberechtigter und auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F.
(jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) gerichteten Klageanträge abgewiesen hat, wird das Urteil
also nicht angegriffen; es ist in diesem Umfang daher bereits jetzt rechtskräftig. In Bezug
auf Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG)
erachtet der Kläger die Frage als grundsätzlich bedeutsam,
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"ob angesichts der derzeitigen Situation in Liberia nicht grundsätzlich
Abschiebungshindernisse gem. § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK, bzw. gem. § 53
Abs. 6 AuslG gegenüber Abschiebungen in dieses Land bestehen ?".
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Bereits diese Fragestellung verdeutlicht, dass mit dem Zulassungsantrag und seinen
dahingehenden Erläuterungen nicht alle Tatbestände des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
zur Prüfung gestellt werden, sondern nur § 60 Abs. 5 AufenthG (früher: § 53 Abs. 4
AuslG a. F.) und § 60 Abs. 7 AufenthG (früher: § 53 Abs. 6 AuslG a. F.).
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2. Zur Klärung der vom Kläger aufgeworfenen Frage ist die Durchführung eines
Berufungsverfahrens indessen entbehrlich. Die Zulassung der Berufung kommt nämlich
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nicht in Betracht, wenn die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage sich auf
Grund von eindeutigen und widerspruchsfreien Auskünften und Stellungnahmen
sachverständiger Stellen ohne weiteres beantworten lässt und daher ein
Berufungsverfahren nicht erfordert.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 11 A 4518/02.A -, S. 4 f. des
Beschlussabdrucks m. w. N.
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So liegt der Fall hier. Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen, auf die die
Beteiligten mit Verfügung vom 20. Mai 2005 hingewiesen worden sind, ist die vom
Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage nach der gemäß § 77 Abs. 2
AsylVfG im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats maßgeblichen Sach- und
Rechtslage ohne weiteres zu verneinen.
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a) Der Kläger kann sich zunächst nicht auf ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5
AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK berufen. Hiernach darf ein Ausländer nicht abgeschoben
werden, wenn er im Zielstaat der Abschiebung der Folter oder unmenschlicher oder
erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wäre. Dass dem Kläger auf Grund
der aktuellen politischen Lage in seinem Heimatland derartige Maßnahmen mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen könnten, ist nicht ersichtlich.
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Der zwischen 1999 und 2003 in Liberia geführte (zweite) Bürgerkrieg ist beendet. Im
August 2003 haben die frühere Regierung und die beiden maßgeblichen
Rebellengruppen LURD und MODEL einen Friedensvertrag geschlossen. Der frühere
liberianische Präsident Taylor ist ins Exil geflohen. Eine Übergangsregierung - für
Oktober 2005 sind Neuwahlen angesetzt - führt das Land. Seit Oktober 2003 sind die
Vereinten Nationen mit rund 15.000 Soldaten der U. N. Mission in Liberia - UNMIL - zur
Sicherung des Friedens präsent. Ebenso unterstützen internationale Polizeieinheiten
(ca. 1.100 Polizisten) die liberianischen Sicherheitskräfte bei der Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung. Die Entwaffnung der ehemaligen Kämpfer der Kriegsparteien ist
weitgehend abgeschlossen.
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Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Mai 2004, Liberia -
Information - Aktuelle Situation, S. 9 ff.; U. S. Department of State vom 28. Februar 2005,
Liberia - Country Reports on Human Rights Practices - 2004, Einleitung, und Norwegian
Refugee Council vom 15. April 2005, Liberia: IDP Return and reintegration not yet
sustainable, S. 1; United Nations, Security Council vom 17. März 2005: Sixth progress
report of the Secretary- General on the United Nations Mission in Liberia, Rdnrn. 9 ff.
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Im Allgemeinen ist die liberianische Regierung um die Einhaltung der Menschenrechte
bestrebt. Soweit berichtet worden ist, dass einige wenige Mitglieder der liberianischen
Sicherheitskräfte vereinzelt Menschenrechtsverletzungen begangen haben
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- United Kingdom - Immigration and Nationality Directorate Home Office vom Oktober
2004, Liberia - Country Report, Rdnrn. 6.1 ff.; U. S. Department of State vom 28. Februar
2005, Liberia - Country Reports on Human Rights Practices - 2004, Einleitung und
Section 1 -,
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belegen diese Vorfälle nicht die Gefahr einer auch dem Kläger mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohenden Verletzung von Rechtsgütern im Sinne des § 60 Abs. 5
AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK.
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Auch sonstige Gründe, wieso der Kläger, der sich anlässlich seiner Anhörung durch das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge) am 23. Oktober 1998 als Gegner des früheren Präsidenten
Taylor bezeichnet hat, nunmehr nach der neuen politischen Lage in Liberia der Folter
oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wäre,
sind nicht ersichtlich.
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b) Ferner sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Voraussetzungen für ein
Abschiebungshindernis in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG
vorliegen. Etwaige Gefahren auf Grund der allgemeinen humanitären Lage in Liberia
betreffen die gesamte Zivilbevölkerung und rechtfertigen keinen Abschiebungsschutz.
Dass der Kläger wegen seiner persönlichen Verhältnisse im Falle einer Abschiebung
einer konkreten individuellen extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, d. h. er
gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
ausgeliefert wäre, kann nicht angenommen werden.
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Der Senat verkennt bei dieser Feststellung nicht, dass trotz des seit Herbst 2003
andauernden Friedensprozesses die allgemeinen Lebensbedingungen in Liberia
schwierig sind. Von den rund 3,4 Millionen Einwohnern des Landes leben etwa 80 %
von unter einem Dollar am Tag, ca. 80 vom Hundert sind ohne (feste) Arbeit.
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U. S. Department of State, vom 28. Februar 2005, Liberia - Country Reports on Human
Rights Practices - 2004, Einleitung.
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Die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Wasser ist ebenso
defizitär wie das Gesundheitswesen. Ein Drittel der Bevölkerung ist auf
Nahrungsmittelhilfe angewiesen.
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United Kingdom - Immigration and Nationality Directorate Home Office vom Oktober
2004, Liberia - Country Report, Nrn. 5.34 ff.; Norwegian Refugee Council vom 15. April
2005, Liberia: IDP Return and reintegration not yet sustainable, S. 4 f.
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Allerdings ist - zum Teil mit Unterstützung des UNHCR - bereits eine Vielzahl
liberianischer Flüchtlinge aus Ghana, Guinea, der Elfenbeinküste, Nigeria und Sierra-
Leone in ihr Heimatland zurückgekehrt. Ebenfalls haben zahlreiche Binnenflüchtlinge
ihre angestammten Siedlungsgebiete wieder aufgesucht. Die UNMIL, der UNHCR, die
International Organisation for Migration, das World Food Programm und sonstige
Hilfsorganisationen unterstützen sowohl Rückkehrer als auch andere Bedürftige mit
Lebensmitteln und sonstigen Hilfsgegenständen. Mit internationaler Hilfe befinden sich
auch das Gesundheits- und Bildungswesen im Wiederaufbau, die landwirtschaftliche
Produktion und die Fischerei werden unterstützt,
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UNHCR, Presseerklärungen vom 12. Januar 2005, Liberian refugees start coming home
from Côte d´Ivoire, und vom 28. Februar 2005, Most of Liberia now declared safe for
return; United Nations, Security Council vom 17. März 2005: Sixth progress report of the
Secretary-General on the United Nations Mission in Liberia, Rdnrn. 64 ff.
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Von den insgesamt 15 Counties in Liberia werden 14 mittlerweile für eine Rückkehr von
Flüchtlingen als sicher angesehen.
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UNHCR, Presseerklärung vom 28. Februar 2005, Most of Liberia now declared safe for
return.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist - soweit nicht bereits ohnehin Rechtskraft
eingetreten ist - nunmehr insgesamt rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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