Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.09.2000

OVG NRW: psychologisches gutachten, blutalkoholkonzentration, entziehung, fahrverbot, interessenabwägung, wahrscheinlichkeit, ordnungswidrigkeit, straftat, inhaber, verordnung

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 966/00
Datum:
18.09.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 966/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 11 L 374/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 4.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen
für eine Zulassung nach § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt
sind.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§ 124 Abs. 2 Nr.
1 VwGO) hat der Antragsteller mit seiner Antragsbegründung, die den Rahmen der
gerichtlichen Prüfung absteckt, weil die Gründe, aus denen die Beschwerde zuzulassen
ist, in der Antragsschrift darzulegen sind (§ 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO), nicht aufgezeigt
und sind auch nicht gegeben. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes
(StVG), § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die
Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er
sich zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Sie darf bei der
Entscheidung über die Entziehung nach § 11 Abs. 8, § 46 Abs. 3 FeV auf die
Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu
lassen oder ein von der Fahrerlaubnisbehörde gefordertes Gutachten nicht fristgerecht
beibringt. Entsprechend den zu § 15 b Abs. 2 der Straßenverkehrs- Zulassungs-
Ordnung a. F. aufgestellten Grundsätzen -
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vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 - 7 C 52.88 -, Buchholz 442.10, § 4 StVG
Nr. 87; Beschluss vom 23. August 1996 - 11 B 48.96 -, NJW 1997, 269 und Urteil vom
13. November 1997 - 3 C 1.97 -, Buchholz 442.16, § 15 b StVZO Nr. 28 -
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ist der Schluss auf die Nichteignung nur zulässig, wenn die Anordnung, ein Gutachten
beizubringen rechtmäßig war und für die Weigerung, das Gutachten beizubringen, kein
ausreichender Grund besteht.
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Vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35.A., § 11 FeV Rdnr. 22, 24.
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Die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, dient gemäß § 2 Abs. 7 und 8, § 3 Abs. 1
Satz 3 StVG, §§ 11 Abs. 2, 13, 46 Abs. 3 FeV dazu, aufgrund bekannt gewordener
Tatsachen begründete Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zu
klären; sie ist rechtmäßig, wenn die angeordnete Begutachtung ein geeignetes und
verhältnismäßiges Mittel zur Aufklärung solcher Eignungszweifel ist. Speziell zur
Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik ordnet die
Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 13 Nr. 2 b) FeV die Beibringung eines medizinisch-
psychologischen Gutachtens an, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im
Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden.
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Im vorliegenden Fall bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Anordnung des Antragsgegners an den Antragsteller vom 25. November 1999, ein
medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Der Antragsteller hat zweimal
Zuwiderhandlungen im Sinne des § 13 Nr. 2 b) FeV begangen, in dem er am 8. Mai
1992 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,13 o/oo und am 5. April 1999 mit einer
Blutalkoholkonzentration von 1,06 o/oo im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hat;
er ist zuerst wegen einer Straftat nach § 316 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB),
sodann wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG verurteilt worden.
Auch bei der Ordnungswidrigkeit handelte es sich um eine Zuwiderhandlung im
genannten Sinne. Damit hat sich der Antragsteller auch "wiederholt"
Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zuschulden kommen
lassen. Daran ändert nichts, das zwischen der ersten und der zweiten Tat ein Zeitraum
von fast 7 Jahren lag, in welchem der Antragsteller keine einschlägige Zuwiderhandlung
begangen hatte. Eine allgemeingültige Grenze, durch die festgelegt würde, dass bei
einem bestimmten Zeitraum zwischen zwei Zuwiderhandlungen der
Wiederholungszusammenhang unterbrochen ist, ist in den einschlägigen
Rechtsvorschriften nicht bestimmt. Die speziell bei Eignungszweifeln hinsichtlich einer
Alkoholproblematik grundsätzlich zwingende Anordnung nach § 13 FeV bezweckt
ebenso wie eine Anordnung nach § 11 FeV, wegen bekannt gewordener Tatsachen
begründete Bedenken gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen abzuklären.
Angesichts des ordnungsrechtlichen Charakters der Vorschriften über die Erteilung und
Entziehung der Fahrerlaubnis bestimmt sich der Aufklärungsbedarf nach dem Maßstab
der durch den betroffenen Kraftfahrer ausgelösten Gefährlichkeit für den öffentlichen
Straßenverkehr. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Führen von Kraftfahrzeugen im
öffentlichen Straßenverkehr unter die Fahrtauglichkeit beeinträchtigendem
Alkoholeinfluss erhebliche Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leben,
Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer in sich birgt. Von wesentlichem
Gewicht ist danach im vorliegenden Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit, mit der ein
Kraftfahrer erneut unter Alkoholeinfluss eine Zuwiderhandlung im Straßenverkehr
begehen wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1987 - 7 C 87.84 -, BVerwGE 77, 40, 42 f.;
Senatsurteil vom 20. Juni 1996 - 19 A 6691/95 -.
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Die Wahrscheinlichkeit ist beim Antragsteller hoch. Bei einem bereits zweimal wegen
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Fahrens unter Alkoholeinfluss aufgefallenen Kraftfahrer liegt das durchschnittliche -
gruppenbezogene - Rückfallrisiko bei mehr als 70 %, d. h. aus der Gruppe der mehrfach
einschlägig aufgefallenen Kraftfahrer werden mehr als 70 % erneut rückfällig.
Vgl. Stephan, Naturwissenschaftlich- psychologische Verkehrsprognose und
Wagniswürdigung in der Eignungsbeurteilung, DAR 1992, 1 ff.
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Ob das Rückfallrisiko beim Antragsteller aus individuellen, in seiner Person liegenden
Gründen geringer ist, bedarf der Aufklärung durch eine sachverständige Begutachtung.
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Danach begegnet es keinen ernstlichen Zweifeln, dass beim Antragsteller ein
Aufklärungsbedarf hinsichtlich seiner Kraftfahreignung besteht, nach dem er wiederholt
eine Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat, als er
fast 7 Jahre nach der ersten Trunkenheitsfahrt am 5. April 1999 erneut unter
Alkoholeinfluss, in diesem Fall mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,06 o/oo, ein
Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führte. Er hat dadurch aufklärungsbedürftige Zweifel
daran hervorgerufen, ob er beim Konsumieren von Alkohol hinreichend in der Lage ist,
zwischen Alkoholkonsum und Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen oder ob bei ihm
die gruppenbezogen sehr hohe Gefahr weiterer Trunkenheitsfahrten besteht. Der
Umstand allein, dass der Antragsteller nach der ersten Trunkenheitsfahrt fast 7 Jahre
lang nicht einschlägig aufgefallen ist, bietet als solcher keine hinreichende Gewähr für
die Prognose, dass er zukünftig sein Verhalten beim Konsum von Alkohol strikt
kontrollieren und hinreichend sicher zwischen Alkoholkonsum und Führen eines
Kraftfahrzeuges trennen wird, sodass ein Rückfallrisiko mit erheblichen Gefahren für
hochwertige Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer verneint werden könnte. In seiner
Person liegende Besonderheiten, die die zweite Trunkenheitsfahrt als für die
Gefahrenprognose unbeachtlich erscheinen lassen könnten, hat der Antragsteller nicht
dargetan.
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Die Eignungszweifel sind vorliegend auch nicht im Hinblick auf den jeweiligen
Blutalkoholgehalt unerheblich. Durch die erste Trunkenheitsfahrt mit einer
Blutalkoholkonzentration von 1,13 o/oo hatte sich der Antragsteller einer Straftat nach §
316 Abs. 1 StGB schuldig gemacht; die Blutalkoholkonzentration bei der zweiten Fahrt
unter Alkoholeinfluss lag mit 1,06 o/oo nur knapp unter den von der Rechtsprechung
festgelegten Wert für die absolute Fahruntüchtigkeit von 1,1 o/oo.
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Vgl. zu zwei Fällen, in denen nach Auffassung des Senats die Straßenverkehrsbehörde
zu Recht nach zwei im Abstand von gut 4 Jahren begangenen Trunkenheitsfahrten mit
einer Alkoholkonzentration zum einen von 1,01 bzw. 0,83 o/oo, zum anderen von 1,23
bzw. 0,8 o/oo die Beibringung eines medizinisch- psychologischen Gutachtens
angeordnet hat: Senatsurteil vom 1. August 1996 - 19 A 2882/96 - und Senatsbeschluss
vom 16. Juni 2000 - 19 A 3410/99 -; vgl. auch Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 316 StGB,
Rdnr. 12.
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Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung, ein medizinisch- psychologisches
Gutachten beizubringen, ergeben sich schließlich nicht aus dem Vorbringen des
Antragstellers, im Hinblick auf das - gegen ihn durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom
16. September 1999 wegen der Zuwiderhandlung vom 5. April 1999 verhängte -
Fahrverbot und dessen spezialpräventiven Zweck sei für eine Überprüfung der
Kraftfahreignung durch die Fahrerlaubnisbehörde kein Raum mehr, die Eignung werde
vielmehr durch das Fahrverbot indiziert. Mit dieser Auffassung verkennt er, dass, wie § 3
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Abs. 4 StVG zeigt, die Fahrerlaubnisbehörde vorbehaltlich der Regelung in § 3 Abs. 3
StVG grundsätzlich eigenständig die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges zu
prüfen und Bedenken gegen die Eignung nachzugehen hat und hierzu im Hinblick auf
strafgerichtliche Entscheidungen lediglich den sich aus § 3 Abs. 4 StVG ergebenden
Bindungen etwa in Bezug auf gerichtliche Beurteilung der Eignung zum Führen eines
Kraftfahrzeugs unterliegt. Vorliegend fehlt es aber, soweit das Amtsgericht Köln ein
Fahrverbot verhängt hat, an einer Beurteilung der Kraftfahreignung des Antragstellers,
die den Antragsgegner hätte binden können.
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1988 - 7 C 46.87 - und Beschluss vom 20.
Dezember 1988 - 7 B 199.88 -, Buchholz 442.10, § 4 StVG Nr. 83 und 84.
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Aus den vorstehenden Ausführungen folgt auch, dass die Anordnung der Beibringung
eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht unverhältnismäßig ist.
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Weil der Antragsteller das somit insgesamt zu Recht geforderte Gutachten nicht
fristgerecht beigebracht hat und auch sonst kein ausreichender Grund dafür aufgezeigt
oder ersichtlich ist, die Vorlage des geforderten Gutachtens zu verweigern, durfte der
Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 8 FeV bei seiner Entscheidung über die
Fahrerlaubnisentziehung auf die Nichteignung des Antragstellers schließen. Dieser hat
keine Umstände dafür aufgezeigt, dass der Schluss auf die Nichteignung nicht
gerechtfertigt wäre. Soweit er auf die Zeitspanne zwischen den beiden
Zuwiderhandlungen wie auch darauf verweist, der erste inzwischen mehr als 8 Jahre
zurückliegende Vorfall könne nicht mehr herangezogen werden, verkennt er, dass der
Antragsgegner nicht aus den Zuwiderhandlungen auf die Nichteignung geschlossen
hat, sondern wegen der ungerechtfertigten Weigerung des Antragstellers, das im
Hinblick auf die Zuwiderhandlungen zu Recht angeforderte Gutachten beizubringen.
Soweit der Antragsteller ausführt, es sei zwischenzeitlich festgestellt, dass die
charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben sei, ist dies eine
angesichts der vorstehenden Ausführungen ersichtlich haltlose, durch nichts
untermauerte Folgerung.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses ergeben sich
schließlich nicht aus dem Vortrag des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe in
der Sache eine Interessenabwägung nicht vorgenommen. Dieses Vorbringen trifft nicht
zu. Das Verwaltungsgericht hat ausgehend von der Beurteilung der Ordnungsverfügung
vom 8. Februar 2000 als bei summarischer Prüfung offensichtlich rechtmäßig und der
dadurch vorgezeichneten Gewichtung der gegenläufigen Interessen zu Lasten des
Antragstellers im letzten Absatz auf Seite 3 des angefochtenen Beschlusses in der
Sache eine Interessenabwägung dahin vorgenommen, dass auch unter
Berücksichtigung besonderer beruflich bedingter Härten infolge der sofortigen
Entziehung der Fahrerlaubnis das private Aufschubinteresse des Antragstellers
gegenüber dem dringenden öffentlichen Interesse daran zurückstehen müsse, dass
Kraftfahrer, von deren mangelnder Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
auszugehen sei, von einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr sofort
ausgeschlossen werden. Ernstliche Zweifel hiergegen bestehen nicht.
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Sonstige Gründe, die die Zulassung der Beschwerde nach § 146 Abs. 4, § 124 Abs. 2
Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, macht der Antragsteller nicht geltend. Da die
Beschwerde nur aus den von ihm vorgetragenen Gründen zugelassen werden kann, ist
der Senat gehindert, die Beschwerde hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs
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zuzulassen.
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es dem Antragsteller unbenommen
bleibt, sich während des laufenden Widerspruchsverfahrens einer medizinisch-
psychologischen Begutachtung zu stellen und dem Antragsgegner ein darüber
angefertigtes Gutachten vorzulegen.
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Auch die Voraussetzungen des weiter geltend gemachten Zulassungsgrundes der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht
erfüllt. Die Darlegungen des Antragstellers genügen bereits nicht den nach § 146 Abs. 5
Satz 3 VwGO zu stellenden Anforderungen. Soweit zu der aufgeworfenen Frage nach
der Verhältnismäßigkeit in einer Fallkonstellation wie der hier gegebenen
verallgemeinerungsfähigen Aussage gemacht werden können, ergeben sich diese
entsprechend den vorstehenden Ausführungen aus den einschlägigen
Rechtsvorschriften und hierzu ergangener oder übertragbarer Rechtsprechung. Alles
Weitere ist der Anwendung im konkreten Einzelfall vorbehalten. Dass und inwieweit der
Fall des Antragstellers Anlass bietet, etwa durch Bildung von Fallgruppen
weitergehende verallgemeinerungsfähige Aussagen zu treffen, hat der Antragsteller
nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, 14 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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