Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2005

OVG NRW: aufenthalt, örtliche zuständigkeit, eltern, stadt, haftanstalt, wechsel, haftstrafe, datum, wohnung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 B 1921/05
Datum:
28.11.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 B 1921/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 19 L 1973/05
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg, denn der Antragsgegner ist - unabhängig von den
hier in Rede stehenden Zeitpunkten für den Beginn der Leistung (Antrag vom 12.
Februar 2005 oder Antrag vom 6. September 2005) - nicht (mehr) für die Erbringung von
Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich der wirtschaftlichen Hilfe gemäß §§
27, 33 und 39 SGB VIII örtlich zuständig.
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Stellt man für den Beginn der Leistung auf den Antrag vom 12. Februar 2005 ab, dürfte
mit dem Haftantritt der Antragstellerin zu 1. in der JVA in L. am 14. Mai 2005 die Stadt L.
zuständig geworden sein.
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Hatten die Eltern vor dem Beginn der Leistung (vor dem 12. Februar 2005) verschiedene
gewöhnliche Aufenthalte - wie hier der Antragsteller zu 2., der inhaftiert war und die
Antragstellerin zu 1., die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in T. gehabt haben dürfte - und
steht den Eltern - wie hier - die Personensorge gemeinsam zu, so richtete sich gemäß §
86 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit nach dem
gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils, bei dem das Kind oder der Jugendliche vor
dem Beginn der Leistung zuletzt - d.h. im Verhältnis der Eltern zueinander - seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Abzustellen ist - wie sich aus dem Zusammenhang mit §
86 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII ergibt - auf den Zeitraum der letzten sechs Monate vor Beginn
der Leistung. Nach dem klaren Wortlaut der Regelung ist die Dauer des letzten
gewöhnlichen Aufenthaltes vor dem Beginn der Leistung bei dem danach
„maßgeblichen Elternteil" demgegenüber bedeutungslos.
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Vgl. Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, Stand Mai 2003, Erl. § 86 Abs. 1
KJHG Rdnr. 31.
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Hiernach wäre im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein
gebotenen summarischen Prüfung zunächst der Antragsgegner zuständig gewesen, da
die Antragstellerin zu 1. derjenige Elternteil war, bei dem die Kinder vor dem Beginn der
Leistung ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatten und die Antragstellerin zu 1. als
maßgebliche Bezugsperson vor dem Beginn der Leistung ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in T. gehabt haben dürfte.
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§ 86 Abs. 2 Satz 4 1. Halbsatz SGB VIII dürfte nicht einschlägig sein, weil dessen
Tatbestandsvoraussetzung, dass das Kind oder der Jugendliche während der letzten
sechs Monate vor der Leistung bei keinem Elternteil einen gewöhnlichen Aufenthalt
hatte, den bekannten Umständen nach gerade nicht gegeben war. Denn die Kinder der
Antragsteller hatten höchstwahrscheinlich während der sechs Monate vor dem auf den
12. Februar 2005 zu datierenden Beginn der Leistung, d.h. in dem Zeitraum vom 12.
August 2004 bis zum 11. Februar 2005, zumindest für einen Teil dieses Zeitraums ihren
gewöhnlichen Aufenthalt bei der Antragstellerin zu 1.; sie haben erst nach dem 29.
Oktober 2004 ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Großeltern in E. begründet.
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Die Zuständigkeit des Antragsgegners dürfte mit dem Haftantritt der Antragstellerin zu 1.
in L. am 14. Mai 2004 auf die Stadt L. übergegangen sein. Vor dem Hintergrund, dass
die Antragstellerin zu 1. eine langfristige Haftstrafe zu verbüßen und ihre Wohnung in T.
aufgegeben hat, spricht alles dafür, dass sie in der Haftanstalt ihren gewöhnlichen
Aufenthalt begründet hat.
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Vgl. zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in einer JVA: BayVGH, Beschluss
vom 19. April 2000 - 12 ZB 98.2862 -, ZfJ 2000, 393.
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Ändert die maßgebliche Bezugsperson nach dem Beginn der Leistung das
zuständigkeitsbegründende Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts - wie hier der
Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts der Antragstellerin zu 1. von T. nach L. -, ändert
sich nach dem Prinzip der dynamischen bzw. wandernden Zuständigkeit,
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vgl. dazu etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. Februar 2003 - 12 A 11452/02 -, ZfJ
2004, 147, sowie den Senatsbeschluss vom 13. Mai 2005 - 12 A 3259/04 -,
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die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers entsprechend, so dass die Zuständigkeit für
die begehrten Leistungen - ungeachtet einer eventuellen Kostenerstattung nach
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§ 89e Abs. 1 SGB VIII - vom Antragsgegner auf die Stadt L. übergegangen ist.
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Stellt man hingegen für den Beginn der Leistung auf den Antrag vom 6. September 2005
ab, dürfte die Stadt E. zuständig sein. § 86 Abs. 2 Satz 4 1. Halbsatz SGB VIII wäre in
diesem Fall einschlägig. Die Kinder der Antragsteller hatten während der letzten sechs
Monate vor dem auf den 6. September 2005 zu datierenden Beginn der Leistung, d.h. in
dem Zeitraum vom 6. März bis zum 5. September 2005, bei keinem Elternteil einen
gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, denn sie hatten bereits seit dem 30. Oktober 2004
ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei ihren Großeltern in E. . Nach
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§ 86 Abs. 2 Satz 4 1. Halbsatz SGB VIII ist dann derjenige örtliche Träger zuständig, in
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dessen Bereich die Kinder der Antragsteller vor dem Beginn der Leistung zuletzt ihren
gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Vor dem Beginn der Leistung, d.h., vor dem 6.
September 2005, hatten die Kinder der Antragsteller ihren letzten gewöhnlichen
Aufenthalt bei ihren Großeltern in E. .
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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