Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.02.2006

OVG NRW: gespräch, form, russisch, anhörung, mangel, zahl, grammatik, unterhaltung, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 478/04
Datum:
15.02.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 478/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 7 K 9123/01
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat unter keinem der geltend gemachten
Gesichtspunkte Erfolg.
2
Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
liegt nicht vor, weil das Zulassungsvorbringen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der
Richtigkeit des erstinstanzlichen Entscheidungsergebnisses führt.
3
Die Zulassungsbegründung vermag nicht die - unabhängig von der Frage der familiären
Vermittlung selbständig entscheidungstragende - Annahme des Verwaltungsgerichts zu
erschüttern, die Klägerin zu 1.zu 1. verfüge nicht im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG
über ausreichende aktive Sprachkenntnisse, die es ihr ermöglichten, sich in einem
flüssig geführten Gespräch auf Deutsch zu unterhalten.
4
Das Verwaltungsgericht hat seine dahingehende Würdigung darauf gestützt, dass die
von der Klägerin zu 1. gegebenen Antworten häufig nur aus einzelnen Worten
bestanden hätten, und ohne Satzgefüge grammatisch falsch gewesen seien. Sofern die
Klägerin zu 1. in Sätzen geantwortet habe - insbesondere im ersten, von der
Einzelrichterin geführten Gesprächsteil - habe sie dafür eine sehr lange Überlegungszeit
benötigt. Die Kammer habe dabei den Eindruck gewonnen, dass sie nicht lediglich
5
langsamer rede und verstehe, sondern dass sie sich die Fragen erst auf Russisch
übersetzen müsse, um sie dann auf Deutsch beantworten zu können. Die Klägerin zu 1.
habe bei ihren Antworten ersichtlich nach den deutschen Begriffen gesucht und bei der
Beantwortung der Fragen äußerst lange Zeit gebraucht, zumal wenn sie sich bemüht
habe, in ganzen Sätzen zu antworten. Ein ausreichender Grundwortschatz scheine der
Klägerin zu 1. nicht in ausreichendem Maße vermittelt worden zu sein mit der Folge,
dass die Unterhaltung teilweise äußerst schleppend verlaufen sei. Wegen des
begrenzten Wortschatzes sei die Klägerin zu 1.auch nicht zu längeren, eigenständigen
Schilderungen - etwa der Beschreibung der Dolmetscherin - in der Lage gewesen. Die
Klägerin zu 1. besitze auch keine ausreichenden Grundkenntnisse in der deutschen
Grammatik, die es ihr ermöglichten, sich in einem einfachen Gespräch zu verständigen.
Insbesondere mit dem Gebrauch - vor allem dem Beugen - von Verben habe die
Klägerin zu 1. Schwierigkeiten und wüsste sich nicht verständlich auszudrücken. Auch
besitze die Klägerin zu 1. keine Kenntnis der Zeiten, so dass sie entweder habe
nachfragen müssen oder ihre Antworten unsinnig erschienen seien. Wenn man auch
über den unzutreffenden Satzbau hinwegsehen könne, mache doch der fehlerhafte
Gebrauch der Verben bei der Konjugation und insbesondere bei den Zeiten eine
Verständigung nicht nur mühselig, sondern behindere sie auch, weil ein häufigeres
Nachfragen erforderlich sei. Ein Gespräch, welches Rede und Gegenrede in
einigermaßen flüssiger Form erfordere, sei so nicht zustande gekommen.
Die Begründung des Zulassungsantrags geht auf diese Argumente nur unvollständig
ein. Wenn der Gedankenführung sinngemäß entgegensetzt wird, das
Verwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts den grammatikalischen Satzbau der Klägerin zu 1. kritisiert
und zum Beispiel die fehlende Möglichkeit des Beugens von Verben und den Mangel
an Kenntnissen über die verschiedenen Zeitformen als schädlich angesehen habe,
verkennen die Kläger, dass es das Bundesverwaltungsgericht lediglich isoliert gesehen
für ein einfaches Gespräch in einer einfachen Gesprächsform nicht für erforderlich hält,
dass der Betreffende in „grammatikalisch korrekter Form" bzw. „ohne gravierende
grammatikalische Fehler" sprechen kann, und Fehler in Satzbau, Wortwahl und
Aussprache auch nur dann nicht schädlich sind, wenn sie nach Art oder Zahl dem
richtigen Verstehen nicht entgegen stehen.
6
Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. September 2003 - 5 C 33.02 -, BVerwGE 119, 6 und - 5 C
11.03 -, NVwZ 2004, 753.
7
Wenn grammatische Unzulänglichkeiten - wie das Verwaltungsgericht hier
nachvollziehbar dargelegt hat - dazu führen, dass sich jemand über weite Strecken nicht
verständlich ausdrücken bzw. den Sinn einer Frage nicht in einer Weise verstehen
kann, die ihm vernünftige Antworten ermöglicht, berührt das nämlich übergreifend
bereits die unabdingbare Fähigkeit zu einem einigermaßen flüssigen Austausch in
Rede und Gegenrede. Das Verwaltungsgericht zieht dementsprechend als
entscheidend - aus unzutreffendem Satzbau, fehlerhaftem Gebrauch der Verben bei der
Konjugation und insbesondere bei den Zeiten mit der Folge der Erforderlichkeit häufiger
Nachfragen -den Schluss, dass ein Gespräch, welches Rede und Gegenrede in
einigermaßen flüssiger Form erfordere, so nicht zustande gekommen sei. Dass dabei
damit, dass auf das sinnvolle Verstehen und den verständlichen Ausdruck abgestellt
wird, die Anforderungen an ein einfaches Gespräch zu hoch angesetzt werden, ist
weder substantiiert dargelegt worden noch sonst wie anhand der höchstrichterlichen
Rechtsprechung erkennbar. Der Umstand, dass die Klägerin zu 1. auf über 50 Fragen
8
aus verschiedenen Lebensbereichen zum größten Teil in ganzen Sätzen geantwortet
hat, besagt nichts über den flüssigen Verlauf des gesamten Gespräches und knüpft in
keiner Weise an die Kriterien an, auf die das Verwaltungsgericht bei seiner Wertung
mangelnder Flüssigkeit des Austauschs in Rede und Gegenrede abgestellt hat. Die
Zulassungsbegründung vermag auch nicht schlüssig darzutun, dass hier das durch
Nichtverstehen bedingte Nachfragen, die Suche nach Worten oder das stockende
Sprechen - also ein langsameres Verstehen und Reden als zwischen in Deutschland
aufgewachsenen Personen - definitiv nicht dazu geführt haben, dass Rede und
Gegenrede so weit und so oft auseinander lagen, dass von einem Gespräch als
mündlicher Interaktion nicht mehr gesprochen werden konnte.
Vgl. zu dieser Grenzziehung: BVerwG, Urteile vom 4. September 2003, a.a.O.
9
Entgegen der Auffassung der Kläger hat die Klägerin zu 1. während der gesamten
Anhörung vor dem Verwaltungsgericht nur mitunter und nicht „zum großen Teil" in
ganzen und vollständigen Sätzen geantwortet. Ebenfalls anders als es die Klägerseite
sieht, zieht es sich auch durch die gesamte Anhörung vor dem Verwaltungsgericht hin,
dass die Klägerin zu 1. sich zum Verständnis von Fragen nachzufragen gezwungen sah
bzw. Fragen auf Deutsch oder Russisch wiederholt werden mussten, und Antwortteile
auf Russisch oder in nicht verständlichen Worten gegeben wurden. Das
Verwaltungsgericht hat es - ungeachtet der Häufigkeit von derartigen Ausfällen - auf
Seite 7 der Sitzungsniederschrift vom 17. November 2003 insgesamt für prägend
angesehen, dass die Klägerin zu 1. sehr viel Zeit für die Beantwortung der Fragen
benötige, langsam und stockend antworte und die Fragen nicht stets und auf Anhieb
verstehe; ihre Antworten enthielten lange Pausen; sie suche ersichtlich nach Worten
und habe Schwierigkeiten bei den Zahlen und bei den Pronomen.
10
Die Berufung kann auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen der geltend
gemachten Abweichung von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom
4. September 2003 - 5 C 33.02 und 5 C 11.03 - bzw. der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2000 zur familiären Sprachvermittlung -
gemeint sind offenbar die Entscheidungen 5 C 37.99 (NVwZ-RR 2001, 479) bzw. 5 C
44.99 (BVerwGE 112, 112) - zugelassen werden. Eine die Berufung eröffnende
Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Zulassungsantrag einen
inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden und abstrakten
Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem die
Vorinstanz einem in der übergeordneten Rechtsprechung aufgestellten ebenfalls
entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz widersprochen hat.
11
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997
12
- 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328 m. w. N.
13
Schon diesem Darlegungserfordernis nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt das
Zulassungsvorbringen ersichtlich nicht. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor,
wenn in der angefochtenen Entscheidung ein in der übergeordneten Rechtsprechung
aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder sonst wie nicht richtig
angewandt worden ist.
14
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Januar 1995
15
- 1 BvR 320/94 -, NJW 1996, 45; BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B
261.97 -, a.a.O. und vom 17. Februar 1997 - 4 B 16.97 -, NVwZ-RR 1997, 512 (513).
16
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
17
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 72 Nr. 1 GKG i. V. m. §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und
3 GKG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung.
18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).
19
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
20