Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.09.2010

OVG NRW (wider besseres wissen, öffentliche aufgabe, preisgabe der identität, antragsteller, daten, privates interesse, dritter, identität, interesse, geheim)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13a F 46/10
Datum:
28.09.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13a Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13a F 46/10
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Erklärung des Beigeladenen vom 14. Juni
2010, die Vorlage der Verwaltungsvorgänge des Beklagten zu
verweigern, soweit aus diesen die Identität des Hinweisgebers einer
Verbraucherbeschwerde hervorgeht, recht-mäßig ist.
Der Antragsteller trägt die Kosten dieses Zwischen-verfahrens.
Der Streitwert für das Zwischenverfahren wird auf 5.000,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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In dem zu diesem Zwischenverfahren gehörigen Verfahren beim Verwaltungsgericht
Köln – 13 K 2591/09 – begehrt der Antragsteller Akteneinsicht ohne Anonymisierung in
Zusammenhang mit einer Verbraucherbeschwerde bei dem Beklagten.
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Der Antragsteller ist Inhaber des "U. D. S. " in C. . Am 2. Dezember 2008 wurde
beim Ordnungsamt des Antragsgegners telefonisch eine Verbraucherbeschwerde
aufgenommen, mit der Mängel im U. D. geltend gemacht wurden ("Schimmel an
Silikonfugen hinter der Theke; schmutzige Gläser, die beim Anfassen kleben;
abgelaufenes MHD bei Flaschen"). Bei einer Kontrolle und Nachkontrolle des U.
D. in den folgenden Tagen wurden andere Mängel festgestellt. Diese wurden bis
Ende des Jahres 2008 behoben; der Vorgang wurde durch den Antragsgegner Anfang
2009 abgeschlossen.
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Anfang 2009 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers Akteneinsicht. Diese
wurde gewährt, wobei Name, Anschrift und Telefonnummer des Hinweisgebers
geschwärzt wurden. Eine Akteneinsicht ohne Schwärzungen lehnte der Antragsgegner
mit Schreiben vom 14. April 2009 ab. Die betreffende Person wünsche nicht, dass ihr
Name bekannt werde. Der Antragsteller hat daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht
Köln erhoben mit dem Begehren, Akteneinsicht ohne Anonymisierung zu gewähren. Im
Laufe des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner aufgefordert, die
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ungeschwärzten Verwaltungsvorgänge zu übersenden oder eine Entscheidung nach §
99 VwGO herbeizuführen. Durch Erklärung vom 14. Juni 2010 hat das beigeladene
Ministerium die Vorlage der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verweigert,
soweit aus diesen die Identität des Hinweisgebers hervorgeht. Da die Behörden zur
Wahrnehmung ihrer ordnungsrechtlichen Aufgaben zwingend auf die Informationen von
Seiten Dritter angewiesen seien und dem Hinweisgeber zugesichert worden sei, seine
Identität geheim zu halten, sei der Vorgang seinem Wesen nach geheim zu halten.
Der Antragsteller hat daraufhin einen "Antrag nach Maßgabe des § 99 Abs. 2 VwGO"
gestellt. Er macht geltend, es handele sich nicht um einen Vorgang, der seinem Wesen
nach geheim zu halten sei. Er habe ein rechtsstaatliches Interesse daran, zu erfahren,
wer die Anzeige erstattet habe. Dies habe der Beigeladene verkannt. Die in der
Verbraucherbeschwerde genannten Vorwürfe hätten sich bei der anschließenden
Kontrolle durch den Antragsgegner nicht bestätigt; die Angaben in der
Verbraucherbeschwerde seien deshalb nicht wahrheitsgemäß erfolgt. Die vermeintliche
Zusage der Verschwiegenheit durch den Antragsgegner sei nicht nachvollziehbar und
unerheblich.
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Der Antragsgegner und das beigeladene Ministerium haben sich zu dem Antrag nicht
geäußert.
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Der Fachsenat hat den Hinweisgeber in nichtöffentlicher Sitzung als Zeugen
vernommen.
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II.
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Der Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat keinen Erfolg. Die Erklärung des
beigeladenen Ministeriums vom 14. Juni 2010, die Verwaltungsvorgänge des
Antragsgegners nicht vollständig ungeschwärzt vorzulegen und die für eine
Identifikation des Hinweisgebers möglichen Daten zu schwärzen, begegnet keinen
Bedenken.
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Das beigeladene Ministerium hat erkannt, dass es gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO
eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf eine Abwägung der
widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende
Ermessensentscheidung über die Aktenvorlage, hier bezüglich der persönlichen Daten
des Informanten, zu treffen hatte. Es hat in der Entscheidung auch die Interessen des
Antragstellers/-Klägers an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)
erwogen und mit Geheimhaltungsinteressen in Bezug auf Daten des Informanten
abgewogen und dadurch der besonderen Bedeutung der Entscheidung nach § 99
Abs. 1 Satz 2 VwGO,
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vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03, 2111/03
–, BVerfGE 115, 205; BVerwG, Beschlüsse vom 31. August 2009 – 20 F
10.08 –, NVwZ 2010, 194 und vom 15. Oktober 2008 – 20 F 2.08 –, juris,
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hinreichend Rechnung getragen. Dabei spielt auch die Erwägung eine Rolle, dass der
im Hauptsacheverfahren vom Antragsteller geltend gemachte Schadensersatzanspruch,
gerade auch im Hinblick auf den anzunehmenden Schaden, wenig konkretisiert worden
ist.
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Die für eine Sachentscheidung des Fachsenats erforderliche Bejahung der
Entscheidungserheblichkeit der geschwärzten Aktenbestandteile durch das Gericht der
Hauptsache ist anzunehmen. Zwar bedarf es zur Frage der Entscheidungserheblichkeit
grundsätzlich einer förmlichen Verlautbarung des Hauptsachegerichts, etwa in Form
eines Beweisbeschlusses oder einer vergleichbaren förmlichen Äußerung.
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BVerwG, Beschlüsse vom 25. Juni 2010 – 20 F 1.10 –, juris, vom 31. August
2009 – 20 F 10.08 – a. a. O., und vom 22. Januar 2009 – 20 F 5.08 –, juris.
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Eine solchermaßen förmliche Äußerung des Hauptsachegerichts zur
Entscheidungserheblichkeit ist jedoch ausnahmsweise auch dann entbehrlich, wenn
nur mit Hilfe der Unterlagen oder Aktenbestandteile, deren Vorlage verweigert wird, der
vor dem Hauptsachegericht verfolgte Anspruch realisiert werden kann.
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Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Juni 2010 – 20 F 12.09 –, juris, und vom
3. März 2009 – 20 F 9.08 –, juris.
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Das ist hier Fall. Der Antragsteller begehrt im Hauptsacheverfahren zwecks
beabsichtigter Geltendmachung eines für gegeben erachteten
Schadensersatzanspruchs die die Identifikation des Veranlassers der
Verbraucherbeschwerde ermöglichenden Daten. Dieser Anspruch könnte nur realisiert
werden, wenn der konkret auf die Identifikationsdaten bezogene Aktenbestandteil
ungeschwärzt vorgelegt würde. Dementsprechend liegt auch in der Aufforderung des
Verwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2009 an den Beklagten, die ungeschwärzten
Verwaltungsvorgänge zu übersenden oder eine Entscheidung nach § 99 VwGO
herbeizuführen, und in den nachfolgenden Äußerungen zum Anwendungsbereich der
§§ 99, 100 VwGO sowie in den weiteren Sachstandsanfragen gegenüber dem
Beklagten die gerichtliche Bejahung der Entscheidungserheblichkeit der
entsprechenden Aktenbestandteile. Dass die Aufforderung als Verfügung des
Berichterstatters und nicht durch förmlichen Beschluss der Kammer ergangen ist, ist
dabei angesichts dessen, dass alternative Möglichkeiten als in der Verfügung genannt
nicht in Betracht kommen, unerheblich.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2010 – 10 F 12.09 –, juris.
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Der Antragsteller bezweifelt, dass dem Hinweisgeber seinerzeit bei Anbringung der
Verbraucherbeschwerde oder später vom Beklagten Vertraulichkeit zugesichert worden
sei. Diese Frage ist im Rahmen einer Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO
unerheblich, zumal Informantenschutz weder abhängig ist von der ausdrücklichen Bitte
um vertrauliche Behandlung noch von der begründeten Befürchtung, sich im Falle einer
Offenlegung möglichen Repressalien ausgesetzt zu sehen.
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Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 – 20 F 11.10 –, juris, und vom
25. Juni 2010 – 20 F 1.10 –, a. a. O.
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Das Klagebegehren, das sich auf die Daten zur Identifikation des Hinweisgebers
bezieht, betrifft aber personenbezogene Daten. Diese sind grundsätzlich ihrem Wesen
nach geheimhaltungsbedürftig. Bei personenbezogenen Daten besteht ein privates
Interesse an der Geheimhaltung, das grundrechtlich geschützt ist. Grundrechtlicher
Anknüpfungspunkt ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die aus dem Gedanken
der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen umfasst, grundsätzlich selbst
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zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte
offenbart werden. Dieser Schutz gilt grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer
Behörde Auskunft oder Hinweise geben.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - a. a. O., und vom
25. Juni 2010 - 20 F 1.10 , a. a. O.
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Neben dem grundrechtlich abgesicherten Interesse des Betroffenen an einer
Geheimhaltung seiner persönlichen Daten ist im Falle des Informantenschutzes das
öffentliche Interesse an einer Sicherstellung der behördlichen Aufgabenwahrnehmung
von Bedeutung. Sind Behörden bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf
Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität
geheim halten. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass Behörden die für eine effektive
Aufgabenerfüllung unentbehrlichen Informationen von Seiten Dritter in der Regel nur
erhalten, wenn sie dem Informanten Vertraulichkeit der personenbezogenen Daten
zusichern. Indes rechtfertigt nicht jede öffentliche Aufgabe die Annahme, Informationen
von Seiten Dritter seien zu deren Erfüllung unerlässlich. Die Aufgabe, auf die die
behördlichen Ermittlungen ausgerichtet sind, muss vielmehr dem Schutz gewichtiger
Rechtsgüter dienen. Dementsprechend setzt der Geheimhaltungsgrund des
Informantenschutzes im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine öffentliche Aufgabe
voraus, deren Erfüllung durch die Preisgabe der Identität des Dritten ernstlich gefährdet
oder erheblich erschwert würde.
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BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2010 20 F 11.10 , a. a. O.; Urteil vom 27.
Februar 2003 - 2 C 10.02 -, BVerwGE 118, 10.
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Dies ist gerade auch im Bereich des – hier in Rede stehenden – Verbraucherschutzes
der Fall. Dieser Bereich öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, dem im Sinne eines
entsprechenden weitestgehenden Schutzes der Bevölkerung eine große Bedeutung
zukommt, ist für eine effektive und wirksame Aufgabenerfüllung geradezu auf
Informationen der Aufsichts- und Überwachungsbehörden durch Dritte angewiesen.
Dementsprechend ist in diesem Bereich in besonderem Maße der Schutz von
Informanten angezeigt. Der Geheimhaltungsgrund in Bezug auf die Vertraulichkeit von
Angaben Dritter entfällt hingegen dann, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass der Informant die Behörde wider besseres Wissen oder leichtfertig falsch
informiert hat. Leichtfertigkeit kennzeichnet dabei einen erhöhten Grad an
Fahrlässigkeit, gemessen an den individuellen Fähigkeiten des Handelnden.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 , a. a. O., Urteile
vom 27. Februar 2003 - 2 C 10.02 , a. a. O. und vom 3. September 1991 - 1
C 48.88 , BVerwGE 89, 14.
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Derartige Anhaltspunkte liegen hier nicht vor. Die in diesem Zwischenverfahren erfolgte
Vernehmung des Informanten als Zeugen hat nicht ergeben, dass dieser seinerzeit bei
der Benennung von Mängeln in der Lokalität des Antragstellers leichtfertig gehandelt
hat. Der Zeuge war glaubwürdig und seine Aussagen waren für den Senat glaubhaft. Er
hat überzeugend ausgeführt, dass er die in der Verbraucherbeschwerde genannten
Beanstandungen über einen längeren Zeitraum wahrgenommen habe. Er hat des
Weiteren dargelegt, vor der Geltendmachung der Beschwerde längere Zeit überlegt zu
haben, ob er überhaupt eine entsprechende Meldung machen solle; er habe sich dazu
auch die Angelegenheit mit anderen Personen besprochen und sich mit ihnen beraten.
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Der Zeuge hat auch dargelegt, dass er die möglichen Konsequenzen seiner
Beschwerde für den Antragsteller bedacht habe und es ihm nicht darum gegangen sei,
dem Antragsteller "eins auszuwischen". Das Handeln des Informanten war nach
Überzeugung des Senats deshalb insgesamt von einem großen
Verantwortungsbewusstsein im Bereich des Verbraucherschutzes getragen und
angesichts der hoch einzuschätzenden Notwendigkeit eines möglichst effektiven
Verbraucherschutzes sach- und interessengerecht. Von einer weiteren Darstellung wird
gem. § 99 Abs. 2 Satz 10, 2. HS VwGO abgesehen.
Die Schutzbedürftigkeit des Informanten entfällt auch nicht deshalb, weil sich bei den
nach der Verbraucherbeschwerde durchgeführten behördlichen Kontrollen die konkret
in der Beschwerde genannten Beanstandungen nicht bestätigt haben.
Informantenschutz ist grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der in Frage
stehenden Mitteilungen. Die Vertraulichkeit von Angaben Dritter muss generell auch
dann gewahrt werden dürfen, wenn sich die Hinweise im Zuge der Ermittlungen als
unzutreffend erweisen sollten. Die Grenze bildet insoweit, wie dargelegt, die Frage, ob
greifbare Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Informant die fraglichen
Angaben leichtfertig oder wider besseres Wissen gemacht hat.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 , a. a. O., Urteil vom
27. Februar 2003 - 2 C 10.02 , a. a. O.
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Das ist hier – wie ausgeführt – nicht der Fall. Im Übrigen sind bei den behördlichen
Kontrollen des U. D. zwar nicht die in der Verbraucherbeschwerde angegebenen
Mängel, aber Mängel anderer Art festgestellt worden, so dass von einer gänzlich
unbegründeten Verbraucherbeschwerde "ins Blaue hinein" nicht ausgegangen werden
kann.
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Angesichts der Eindeutigkeit der Aussagen des Informanten und der überzeugenden
Ausführungen bei seiner Vernehmung konnte der Fachsenat auf dessen Vereidigung
verzichten und auch von einer Vernehmung weiterer Personen absehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts für dieses Zwischenverfahren beruht auf § 52 Abs. 2
GKG.
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