Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.01.2005

OVG NRW: aufschiebende wirkung, personenwagen, bebauungsplan, breite, fahrbahn, lastwagen, rückwärtsfahren, kollision, gefährdung, planungszweck

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 3 B 364/04
28.01.2005
Oberverwaltungsgericht NRW
3. Senat
Beschluss
3 B 364/04
Verwaltungsgericht Münster, 3 L 1529/03
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 5113/03 (VG Münster) gegen
den Erschließungsbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 10.
September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.
November 2003 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden
Rechtszügen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 213,53 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist begründet. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide
bestehen ernstliche Zweifel i.S.v. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Bei summarischer Würdigung
des Vorbringens im Beschwerdeverfahren und der dabei in Bezug genommenen Teile der
Verwaltungsvorgänge ist überwiegend wahrscheinlich, dass die abgerechnete Stichstraße
am I. Landweg zwischen den Häusern Nr. 64 und 70 nicht rechtmäßig i.S.v. § 125 BauGB
hergestellt worden ist.
Der in der Abrechnungsakte enthaltene Auszug aus dem Bebauungsplan Nr. 168 weist für
die genannte Stichstraße eine Regelbreite von 12 m aus und am Ende der Straße eine
Aufweitung auf etwa 18 m Breite, auf deren Fläche ein Wendekreis mit einem Radius von
ca. 9 m angelegt werden könnte. Durch den Ausbau hat die Stichstraße eine Fahrbahn von
durchgehend 5 m Breite, einen 2 m breiten Gehweg auf der Westseite und über zwei
Dutzend Parkstellen auf der Ostseite erhalten, die (abgesehen von zwei
Behindertenparkplätzen) quer zur Fahrbahn liegen und 2,5 m x 4,3 m groß sind. Der
Ausbauplan verzeichnet auf der Ostseite in etwa 4,5 m Abstand zum Fahrbahnende eine
Ausbuchtung mit (Eckabrundungen) von etwa 4 m Länge und etwa 3 m Tiefe. Als
Straßenfläche nicht ausgebaut ist die zusätzlich zur Regelbreite vorgesehene
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trapezförmige Fläche, die im Bebauungsplan für die Straßenaufweitung auf der Westseite
vorgesehen ist.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, im Minderausbau am Ende der Stichstraße sei
keine mängelbegründende Abweichung von den Grundzügen der Planung sowie keine
wesentliche Beeinträchtigung der betroffenen Grundstücke (§ 125 Abs. 3 BauGB) zu
sehen, da eine Wendemöglichkeit wegen der genannten Ausbuchtung erhalten bleibe,
zumal der Antragsteller insoweit nicht substantiiert vorgetragen habe. Dieser Beurteilung
vermag der Senat im Beschwerdeverfahren nicht zu folgen. In der Beschwerdebegründung
hat der Antragsteller vorgetragen, die im Ausbauplan vorgesehene Ausbuchtung, durch die
nach Auffassung des Verwaltungsgerichts eine Wendemöglichkeit erhalten bleibe, sei
tatsächlich nicht vorhanden; es gebe einzig und allein eine ca. 2,5 m breite Abstellfläche für
Mülltonnen. Da der Antragsgegner dem im Beschwerdeverfahren nichts entgegengesetzt
hat, ist bei summarischer Beurteilung von diesem Vortrag des Antragstellers auszugehen.
Zudem ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch aus den vorliegenden
Plänen, dass (insbesondere am Ende der Stichstraße) eine Möglichkeit bestünde, private
Grundstückszufahrten o. dgl. zum Fahrzeugwenden in Anspruch zu nehmen. Solch eine
Möglichkeit zeigt auch nicht der Vermerk des Amtes 61 vom 11. Februar 2003 auf, in dem
(ungenau) nur von einer "Ausbaureduzierung" des Wendehammers die Rede ist und
(äußerst knapp) eine Beeinträchtigung der angrenzenden Grundstücke, eine Änderung des
Charakters des Baugebietes und eine Mehrbelastung der Beitragspflichtigen
angesprochen und verneint werden; damit ist die mit dem Wegfall des Wendehammers
verbundene Verkehrsproblematik nicht annähernd in den Blick genommen worden. Unter
diesen Umständen dürfte der hier gegebene Minderausbau mit den Grundzügen der
Planung nicht vereinbar sein (§ 125 Abs. 3 BauGB).
Die im Bebauungsplan Nr. 168 vorgesehene großzügige Straßenaufweitung sollte offenbar
die Anlegung eines geräumigen Wendeplatzes nicht nur für Personenwagen, sondern auch
für Lastwagen ermöglichen.
Vgl. die Empfehlungen für die Anlage von Erschließungs- straßen (EAE 85/95), S. 52.
Diesem Planungszweck dürfte auch erhebliches Gewicht beigelegt worden sein.
Vgl. zu diesem Gesichtspunkt für die Bestimmung der "Grundzüge der Planung" BVerwG,
Urteil vom 9. März 1990 - 8 C 76.88 -, DVBl 1990, 786, ferner dessen Beschluss vom 15.
März 2000 - 4 B 18.00 -, NVwZ-RR 2000, 759 (zu § 13 BauGB).
Denn angesichts der (vorhandenen bzw. geplanten) massiven Bebauung beiderseits der
Straße mit bis zu viergeschossigen Wohnhäusern und angesichts einer Straßenlänge von
ca. 115 m musste es dem Rat als problematisch erscheinen, insbesondere
Lastkraftwagenfahrer (Müllfahrer) mangels Wendemöglichkeit rückwärts aus der Straße
herausfahren zu lassen. Mit solchem (nicht nur auf wenige Fälle beschränkten)
Rückwärtsfahren ist nämlich nicht selten eine Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern
(insbesondere Kindern) verbunden. Zudem lässt auch die konkrete Aufteilung der
Straßenfläche ein Rückwärtsfahren als problematisch erscheinen: Die Fahrbahnbreite von
5 m ist für den zu erwartenden Begegnungsverkehr zwischen einfahrenden
Personenwagen und rückwärts ausfahrenden Lastwagen eher knapp bemessen, und die
zahlreichen Parkstellen an der Ostseite der Straße vergrößern zusätzlich das Risiko einer
Kollision mit Personenwagen. Somit ist bei vorläufiger Beurteilung anzunehmen, dass der
vorhandene Straßenausbau diese Probleme unbewältigt lässt und dass insofern die
Planungskonzeption des Bebauungsplanes Nr. 168 durch den Minderausbau in einem
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wesentlichen Punkt angetastet wird.
Vgl. auch den vom Senat im Urteil vom 22. Februar 1988 - 3 A 1490/85 - entschiedenen
Fall.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO, §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1
GKG a.F.