Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.04.2004

OVG NRW: luftfahrtpersonal, aufschiebende wirkung, verordnung, bundesamt, lizenz, ermächtigung, inhaber, ausbildung, altersgrenze, luftverkehr

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 B 23/04
Datum:
07.04.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 B 23/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 3 L 1126/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die
Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Der Streitwert wird unter
Änderung der erstinstanzlichen Festsetzung für beide Instanzen auf
5.000 EUR festgesetzt.
Gründe Die Beschwerde mit dem sinngemäßen Antrag, den angefochtenen Beschluss
zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin VG Minden 3 K
6417/03 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 4. September 2003 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2003 wiederherzustellen,
hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergeben nicht,
dass die Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO zugunsten der Antragstellerin
ausfallen müsste. Dabei führt indessen nicht schon eine Orientierung an den
Erfolgsaussichten der Klage wegen offensichtlicher Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Ordnungsverfügung zu einer Nachrangigkeit der Interessen der Antragstellerin. Das
Vorbringen der Antragstellerin vermag allerdings nicht ansatzweise in Zweifel zu
ziehen, dass sie vor Erlass der Ordnungsverfügung gegen den Aussagegehalt von § 4
der Ersten Durchführungsverordnung zur Verordnung über Luftfahrtpersonal (1. DV
LuftPersV) vom 15. April 2003 (BAnz. Nr. 82b) verstoßen hat - was grundsätzlich im
Sinne des § 29 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LuftVG zu einer Verletzung der öffentlichen
Sicherheit führt -, indem sie den Beigeladenen nach Vollendung seines 65.
Lebensjahres als Freiballonführer bei der gewerbsmäßigen Beförderung von
Fluggästen eingesetzt hat. Die Beschwerdegründe wecken keine Bedenken daran,
dass ihr dies in § 4 Satz 2 1. DV LuftPersV verboten wird: Diese Bestimmung erfasst mit
der Wendung "Inhaber einer Pilotenlizenz" auch Freiballonführer wie den
Beigeladenen. Der Ausdruck "Pilotenlizenz" bezieht sich offensichtlich auf die in Satz 1
genannten Lizenzinhaber zurück, die er abkürzend unter einen Begriff fasst. Denn
inhaltlich ergänzen sich beide Sätze: Wenn Satz 1 die Ausübung der genannten
Lizenzen zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr einschränkt, so wird in Satz 2 die
Beschränkung ab der Vollendung des 65. Lebensjahres zu einem Verbot des Einsatzes
im gewerbsmäßigen Luftverkehr ausgeweitet. Als "Piloten" angesprochen sind
dieselben Lizenzinhaber, mithin in beiden Sätzen auch die in Satz 1 ausdrücklich
angesprochenen Inhaber "einer Lizenz gemäß § 46 Abs. 5 LuftPersV", nämlich
"Freiballone als verantwortlicher Freiballonführer berufsmäßig und im gewerbsmäßigen
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Luftverkehr am Tage zu führen". Wollte man hingegen Freiballonführer von dem Verbot
in Satz 2 ausnehmen, so käme man zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass
Freiballonführer zwar nach Satz 1 wie andere Lizenzinhaber zwischen dem 60. und 65.
Lebensjahr Ausübungsbeschränkungen unterworfen, nach dem 65. Lebensjahr aber
von jeder Einschränkung ihrer Tätigkeit frei wären. Welcher Unterschied gegenüber
sonstigen Luftfahrzeugführern sich hierfür als Rechtfertigung sollte anführen lassen
können, ist angesichts des gleichartigen Gefährdungspotenzials für beförderte Dritte,
dem der Verordnungsgeber mit der Regelung Rechnung tragen wollte, unerfindlich.
Anhaltspunkte, die dieses Auslegungsergebnis in Zweifel ziehen könnten, bestehen
nicht. Fehl geht der Hinweis der Antragstellerin auf eine vermeintlich abweichende -
Freiballonführer ausklammernde - Verwendung des Begriffs "Luftfahrzeugführer" in der
Durchführungsverordnung. Freiballonführer sind nach allgemeinem luftrechtlichen
Sprachgebrauch Luftfahrzeugführer: Sie führen ein Luftfahrzeug im Sinne des § 1 Abs. 2
Nr. 6 LuftVG und bedürfen hierzu einer Erlaubnis (§ 4 Abs. 1 LuftVG). Der konkrete,
letztlich ausschlaggebende verordnungsrechtliche Sprachgebrauch weicht von dieser
Wortverwendung nicht ab. Ausdrücklich setzt § 2 Abs. 1 den international
gebräuchlichen Begriff "Pilot" mit "Luftfahrzeugführer" gleich, was § 4 Satz 2 wiederholt,
wenn er untersagt, "Inhaber einer Pilotenlizenz" als "Luftfahrzeugführer" einzusetzen. Zu
Unrecht folgert die Antragstellerin Gegenteiliges aus § 122 Abs. 1 Satz 1 der
Verordnung über Luftfahrtpersonal (LuftPersV). Absatz 1 dieser Regelung differenziert in
seinen drei Sätzen die Anforderungen für die Mitnahme von Fluggästen nach den Arten
der geführten Luftfahrzeuge bzw. der Luftfahrzeugführer. Die Argumentation der
Antragstellerin lässt außer Acht, dass Satz 1 Freiballonführer als verantwortliche
Luftfahrzeugführer nur deshalb unerwähnt lässt, weil sie in Satz 3 modifizierten
Anforderungen unterworfen werden. Die oben vertretenen Auslegung kann schließlich
nicht wegen der Fassung des Anwendungsbereichs der Durchführungsverordnung in §
1 Abs. 1 in Zweifel gezogen werden. Zwar trifft es zu, dass dort ursprünglich von den
Führern von Freiballonen nicht die Rede war; für die Auslegung der Verordnung schon
im Zeitpunkt ihres Erlasses ist dies jedoch kein zwingendes Kriterium, weil ohne
weiteres erkennbar ist, dass die Fassung des Anwendungsbereichs auf eine bloße
Redaktionsungenauigkeit zurückgeht. Dafür bietet schon die Durchführungsverordnung
selbst überdeutliche Anzeichen: Der Klammerzusatz zum Verordnungstitel, der für das
Verständnis sehr wohl bedeutsam ist, bezieht Freiballonführer ausdrücklich ein, und
neben der hier in Rede stehenden Vorschrift des § 4 verhält sich auch die
Übergangsregelung des § 15 1. DV LuftPersV ausdrücklich zu Freiballonführern gemäß
§ 46 Abs. 5 LuftPersV. Die Einbeziehung erklärt sich aus dem erkennbaren Willen des
Verordnungsgebers, sämtliches Luftfahrtpersonal zu erfassen, wie insbesondere aus
der Vorgeschichte der Durchführungsverordnung hervorgeht. Die gesehene
Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, die Anforderungen an die Tauglichkeit
und Lizenzierung für jenes Personal in deutsches Recht umzusetzen, das in den
europäischen Joint Aviation Requirements JAR-FCL 1, 2 und 4 angesprochen ist - und
in § 1 Abs. 1 der 1. DV LuftPersV zunächst nur bezeichnet war -, war lediglich der
Anlass für die Regelung. Für nicht von den JAR-FCL erfasstes Luftfahrtpersonal, wie
Freiballonführer, stellte sich aus Gründen der gebotenen Harmonisierung die
Notwendigkeit einer national eigenständigen Anpassung an die neuen europäischen
Standards. Dies wird auch in der Begründung des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen zur Verordnung zur Änderung luftrechtlicher Vorschriften
über Anforderungen an Flugbesatzungen ausdrücklich hervorgehoben. Vgl. BR-Drucks.
842/02 vom 8.11.2002, S. 2. Dementsprechend ermächtigt § 133a LuftPersV in der
Fassung des Art. 2 Nr. 64 der genannten Änderungsverordnung vom 10. Februar 2003
(BGBl. I S. 182) das Luftfahrt-Bundesamt nicht nur dazu, Einzelheiten der Lizenzierung
von JAR-FCL- Personal zu regeln (Abs. 1 Nr. 2), sondern auch dazu, für
Luftfahrtpersonal im Übrigen die in der Verordnung über Luftfahrtpersonal aufgestellten
Anforderungen nach § 32 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 LuftVG (Abs. 1 Nr. 1) zu konkretisieren.
Auch von der letztgenannten Ermächtigung hat das Luftfahrt-Bundesamt Gebrauch
gemacht, dies aber in der Umschreibung des Anwendungsbereichs zunächst nicht
verdeutlicht, vielmehr dort ausschließlich die Ermächtigung aus Absatz 1 Nr. 2 des §
133a wiedergegeben. Dieser redaktionelle Fehler ist mittlerweile erkannt und durch
Neufassung des § 1 Abs. 1 in der Ersten Verordnung zur Änderung der 1. DV LuftPersV
vom 9. Januar 2004 (BAnz. S. 685) klarstellend behoben worden. Hingegen ergeben
sich im vorliegenden Verfahren nicht ausräumbare Bedenken gegen die
Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung dahin, ob ein Normverstoß der Antragstellerin
deshalb fehlt, weil das Luftfahrt-Bundesamt durch § 133a Abs. 1 Nr. 1 LuftPersV in der
Fassung der Verordnung vom 10. Februar 2003 nicht wirksam ermächtigt werden
konnte, die Regelung in § 4 Satz 2 1.DV LuftPersV zu treffen. Die Antragstellerin hat
diese Frage in der Beschwerdebegründung zwar so nicht angesprochen; da sie aber
unter dem unzutreffenden Aspekt einer für erforderlich gehaltenen Zustimmung des
Bundesrates zur Durchführungsverordnung - eine solche Zustimmung scheidet
zwangsläufig aus, wenn die Verordnung durch das Luftfahrt-Bundesamt ergehen darf -
auf die maßgeblichen normativen Zusammenhänge in hinreichender Weise und mit
gleicher Zielrichtung hingewiesen hat, kann das Gericht zugunsten der Antragstellerin
die Erfordernisse des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO als erfüllt betrachten. Die Befugnis des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, die ihm in § 32 Abs. 1
Satz 1 Nrn. 4 und 5 LuftVG zugestandene Verordnungsermächtigung auf das Luftfahrt-
Bundesamt weiterzuübertragen, ist in § 32 Abs. 3 Satz 3 LuftVG enthalten und betrifft
"Verordnungen nach Satz 2", also solche, die die "notwendigen Einzelheiten über die ...
Durchführung der Ausbildungs- und Prüfvorschriften für Luftfahrtpersonal nach Absatz 1
Satz 1 Nr. 4 und 5 regeln". Die streitige Bestimmung in § 4 Satz 2 der 1. DV LuftPersV
errichtet eine anderweitig noch nicht normativ vorgegebene Altersgrenze. Mit diesem
Inhalt ist sie als generalisierende Aussage über bestimmte Eignungseinbußen von
Luftfahrzeugführern zu verstehen, aus denen unmittelbar verordnungsrechtlich
Folgerungen gezogen werden. Eine solche Regelung unterfällt fraglos der
Verordnungsermächtigung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LuftVG, die Anforderungen an
die Eignung des erlaubnispflichtigen Luftfahrtpersonals zu präzisieren; sie kann aber
ausgehend vom Wortlaut schwerlich als Element der Durchführung von "Ausbildungs-
und Prüfvorschriften für Luftfahrtpersonal" im engeren Sinne bezeichnet werden, da sie
ihre Wirkung erst zu entfalten vermag, nachdem Ausbildung und Prüfung erfolgreich
absolviert worden sind. Daher ist die Frage aufgeworfen, ob der Wortlaut von § 32 Abs.
3 Satz 2 LuftVG - mit der Inbezugnahme in Satz 3 - als schlagwortartige, in diesem Falle
wenig glückliche, Kennzeichnung der vollen Verordnungsermächtigung nach Absatz 1
Satz 1 Nrn. 4 und 5 gemeint ist oder als bewusst einengende Formulierung eine
Einschränkung der Übertragungsbefugnis auf jenen Teil der Ermächtigung in Absatz 1
Satz 1 Nrn. 4 und 5 zum Ausdruck bringen will, der sich mit Ausbildung und Prüfung im
eigentlichen Sinne befasst. Für die erste (weite) Auslegung mag sprechen, dass bei
einer gewollten Einschränkung eine Gesetzesfassung durch einen "soweit"-Satz als
typischem Ausdrucksmittel nahegelegen hätte und dass die Verordnungspraxis stets
von einem solchen Verständnis ausgegangen zu sein scheint; allerdings ist auch zu
bedenken, dass eine Durchführungsverordnung grundsätzlich die wesentlichen
materiellen Aussagen als in dem durchzuführenden Normbereich bereits getroffen
voraussetzt, ihr also gewichtige materielle Regelungen, wie sie eine Alterbegrenzung
darstellen mag, regelmäßig fremd sind. Jedenfalls lässt sich die Frage im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren nicht mit der für ein Offensichtlichkeitsurteil gebotenen
Eindeutigkeit beantworten und muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Die weitere Interessenabwägung fällt auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren
Vorgetragenen nicht zugunsten der Antragstellerin aus. Der Senat verkennt nicht das
Gewicht der von der Antragstellerin in die Waagschale geworfenen wirtschaftlichen
Gründe. Ihrer nicht auszuschließenden Existenzgefährdung stehen aber Gefährdungen
von Leben und Gesundheit der Fluggäste gegenüber, die sich nach dem Stand der
Dinge ebenso wenig von der Hand weisen lassen, wenn die Antragstellerin den
Beigeladenen weiterhin als Freiballonführer bei der gewerbsmäßigen Beförderung von
Personen einsetzt, und diese die wirtschaftlichen Interessen überwiegen. Die Annahme,
dass bei Luftfahrzeugführern - wie allgemein - mit zunehmendem Alter Einbußen der
Leistungsfähigkeit eintreten, ist ohne weiteres nachvollziehbar und für die Piloten von
Flugzeugen und Hubschraubern in den von der Antragstellerin selbst zitierten, insoweit
europaweit harmonisierten Bestimmungen der Joint Aviation Authorities (vgl. JAR-FCL
3.060) abgesichert. Dass bei dem Beigeladenen keine Einbußen gegeben und auch in
absehbarer Zukunft nicht zu besorgen sind, ist nicht mit einer Sicherheit erkennbar, wie
sie mit Blick auf die gefährdeten Rechtsgüter zu fordern ist. Insofern kann nicht
unberücksichtigt bleiben, dass es bei einer gewerblichen Ballonfahrt am 20. Juli 2003
unter der Verantwortung des Beigeladenen bereits zu einem Unfall mit
Personenschaden gekommen ist. Was die Antragstellerin zur Erläuterung dieses Unfalls
anführt, ist nicht geeignet dazutun, dass altersbedingte Umstände ohne jeden Einfluss
auf den Vorfall war. Jedenfalls hatte der Beigeladene die Altersgrenze damals bereits
überschritten, und widrige Witterungsbedingungen schließen für sich genommen
ebenfalls ein mitwirkendes altersbedingtes Versagen nicht ohne weiteres aus. Die
Einstellung des unfallbedingt eingeleiteten Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft
hat, da es vorliegend nicht um strafrechtlich relevantes Verschulden geht, in diesem
Zusammenhang keinen Aussagewert. Ebenso wenig aussagekräftig ist der Umstand,
dass dem Beigeladenen die fliegerärztliche Tauglichkeit im April 2003 bescheinigt
worden ist; das Bestehen der jeweils erforderlichen Tauglichkeit und der fliegerischen
Fähigkeiten - und damit das Fortbestehen der Lizenz (vgl. §§ 24c Abs. 3, 29 LuftVZO) -
ist in den oben genannten europarechtlichen Aussagen über alterbedingte Einbußen
gerade vorausgesetzt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3
VwGO; es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da der Sache nach auch um Rechte aus
seiner Lizenz gestritten wird. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs.
1 Satz 1 GKG; wegen der von der Antragstellerin geltend gemachten erheblichen
wirtschaftlichen Auswirkungen der Ordnungsverfügung ist die Bedeutung der Sache mit
der vom Verwaltungsgericht angesetzten Hälfte des Auffangwertes nicht angemessen
erfasst, was eine deutliche Heraufsetzung des Streitwertes bedingt. Die
Änderungsbefugnis ergibt sich aus § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.