Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.09.2000

OVG NRW: aufschiebende wirkung, ruhezone, grundstück, garage, firsthöhe, gebäude, haus, zahl, zumutbarkeit, untergeschoss

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 1118/00
Datum:
25.09.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 B 1118/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 4 L 1077/00
Tenor:
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen
die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung von 26. Januar 2000
wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- DM
festgesetzt.
Der Beschlusstenor soll den Beteiligten fernmündlich vorab mitgeteilt
werden.
G r ü n d e:
1
Der Senat entscheidet zugleich über den Antrag auf Zulassung der Beschwerde und die
Beschwerde selbst. Die Beteiligten sind über das beabsichtigte Verfahren in Kenntnis
gesetzt worden und haben Gelegenheit gehabt, hierzu und zur Sache auszuführen.
2
Die Beschwerde war - abgesehen von den zu Recht geltend gemachten ernstlichen
Zweifeln an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (Zulassungsgrund gemäß
§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - auch deshalb zuzulassen, weil ein
entscheidungserheblicher Verfahrensmangel vorliegt (Zulassungsgrund gemäß §§ 146
Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit der
3
Begründung abgelehnt, eine Verletzung nachbarlicher Vorschriften sei nicht glaubhaft
dargelegt worden und könne ohne Hinzuziehung der angeforderten Bauakten von der
Kammer nicht beurteilt werden; da der Antragsteller dennoch "auf eine Eil-Entscheidung
in der Sache insistiert" habe, könne die Interessenabwägung "nach dem bisherigen
Verfahrensstand" nur zu Lasten des Antragstellers ausgehen. Mit dieser
Vorgehensweise hat das Verwaltungsgericht schon deshalb das rechtliche Gehör des
Antragstellers verletzt, weil dieser keineswegs eine umgehende Eil-Entscheidung in der
Sache, sondern lediglich eine umgehende - vorläufige - Stilllegung "bis zur
Entscheidung über den Antrag" erbeten hatte. Bei dieser Sachlage war kein Grund
ersichtlich, ohne Anhörung des Antragstellers die dem Antragsgegner auferlegte
Vorlage der Bauakten, von deren Anforderung der Antragsteller in Kenntnis gesetzt
wurde, nicht abzuwarten und drei Tage vor Ablauf der gesetzten Frist ohne Beiziehung
der Akten über den Antrag insgesamt - und nicht nur im Wege der lediglich erbetenen
Interimsentscheidung - zu entscheiden.
Die Beschwerde ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im
Übrigen unbegründet.
4
Der zulässige Antrag ist insoweit begründet, als der Antragsteller die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs begehrt.
5
Die im Verfahren nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung führt zu dem
Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruchs das Interesse der Beigeladenen und des Antragsgegners daran
überwiegt, dass die Baugenehmigung bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens
ausgenutzt werden kann. Nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen Prüfung ist
überwiegend wahrscheinlich, dass die Baugenehmigung zu Lasten des Antragstellers
gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts verstößt.
6
Ein solcher Verstoß kommt hier in Bezug auf die nachbarschützende Vorschrift des § 51
Abs. 8 BauO NRW 1995 (nunmehr: § 51 Abs. 7 BauO NRW 2000) in Betracht. Nach
derzeitigem Sachstand spricht alles dafür, dass die genehmigten Garagen
einschließlich ihrer Zufahrt so angeordnet sind, dass sie zu Lasten des Antragstellers
das Wohnen, die Ruhe und die Erholung über das zumutbare Maß hinaus stören.
7
Ob sich eine Stellplatz- oder Garagenanlage im Sinne der genannten Vorschrift als
unzumutbar erweist, hängt nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des
beschließenden Gerichts von einer einzelfallbezogenen Bewertung der konkreten
örtlichen Situation ab. Technisch-rechnerisch ermittelte Emissions- bzw.
Immissionswerte sind dabei für die Beurteilung nicht ausschlaggebend.
8
Vgl. etwa: OVG NRW, Urteil vom 10. September 1993 - 7 A 2544/92 -, Beschluss vom
31. Juli 1997 - 10 A 3100/97 - und Urteil vom 9. März 1999 - 11 A 4159/96 -.
9
Hiernach ist zu berücksichtigen, dass das strittige Objekt nach den genehmigten
Bauvorlagen insgesamt 6 Garagen im Untergeschoss aufweisen soll. Diese liegen
nebeneinander und sind ausschließlich über eine Rampe erreichbar, die zwischen dem
Mehrfamilienhaus der Beigeladenen und dem Grundstück des Antragstellers unmittelbar
an der Grenze entlang mit einer Längsneigung von max. 15 % in das Hintergelände
führt. Konsequenz dieser bautechnischen Anordnung der Garagenanlage ist nicht nur,
dass der gesamte Zu- und Abfahrtsverkehr auf rd. 30 m Länge am Grundstück des
10
Antragstellers entlang bis in das Hintergelände hinein geführt wird, sondern dass auch
im rückwärtig gelegenen Vorfeld der Garagen zwangsläufig Rangiervorgänge
stattfinden müssen, weil die Fahrzeuge in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht
in einem Zug von der Straße über die Rampe in die Garage fahren bzw. die Garage bis
zur Straße verlassen können.
Dafür, dass eine solche Anordnung der Garagenanlage in der hier gegebenen Situation
zu dem Antragsteller nicht zumutbaren Störungen führt, spricht, dass eine derartige
Massierung von Stellplätzen mit Zufahrt im Hintergelände nach Aktenlage in der
Umgebung kein Vorbild hat und dass die Ruhezone des Grundstücks des Antragstellers
- in der hier gegebenen Situation verständlicherweise - gerade auf den rückwärtigen
Bereich im Südwesten ausgerichtet ist. Hierauf hat der Antragsteller in seiner
Widerspruchsbegründung vom 16. Mai 2000, die dem Verwaltungsgericht im Übrigen
bereits mit der Antragsschrift vorgelegt worden ist, bereits ausdrücklich hingewiesen;
zudem wird die schützenswerte Ausrichtung der Ruhezone durch die bereits dem
Verwaltungsgericht vorgelegten Lichtbilder anschaulich belegt. Auch der Antragsgegner
hat selbst erkannt, dass die Stellplatzzufahrt direkt an den Ruhebereich des
Antragstellers angrenzen wird, wie aus dem bei den Bauakten befindlichen Vermerk
über die Ortsbesichtigung vom 21. Juni 2000 folgt. Demgegenüber lässt sich die
Zumutbarkeit nicht, wie in dem gleichfalls bei den Bauakten befindlichen Bericht des
Antragsgegners an die Widerspruchsbehörde vom 10. Juli 2000 ausgeführt ist, daraus
herleiten, dass das Grundstück des Antragstellers bereits durch die vorhandenen
Straßen "vorbelastet" sei. Wenn die östlich des Grundstücks - an der Vorderseite des
Hauses - vorbeiführende D. Straße eine beachtliche Verkehrsbelastung aufweist, so
folgt hieraus umso eher eine besondere Schutzbedürftigkeit der rückwärtigen
Ruhezone. Auch die angesprochene Verkehrsbelastung der nördlich des Grundstücks
des Antragstellers entlang führenden Straße Brenschede steht der Annahme einer
schützenswerten Ruhezone im südwestlichen Grundstücksbereich nicht entgegen.
11
Hiernach war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs schon wegen des
überwiegend wahrscheinlichen Verstoßes gegen § 51 Abs. 8 BauO NRW 1995
anzuordnen. Hinsichtlich der weiteren im vorliegenden Verfahren vom Antragsteller
vorgetragenen möglichen Verletzungen nachbarschützender Vorschriften des Baurechts
ist anzumerken:
12
Dafür, dass das genehmigte Objekt zu Lasten des Antragstellers gegen die
nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsrechts verstößt, liegt kein Anhalt vor.
Davon zu trennen ist die im Nachfolgenden noch anzusprechende Frage, ob bei der
konkreten Bauausführung des strittigen Objekts in einem solchen Maß von den
genehmigten Bauvorlagen abgewichen worden ist, dass die Abstandsvorschriften
verletzt werden.
13
Hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Wertung des strittigen Objekts kann letztlich
dahinstehen, ob in allen Details die rechtlichen Voraussetzungen des "Einfügens" nach
§ 34 Abs. 1 BauGB gewahrt sind, da der Antragsteller hieraus noch keine nachbarlichen
Abwehrrechte herleiten könnte. Für ein nachbarliches Abwehrrecht gegen das
genehmigte Objekt unter dem Gesichtspunkt des im Einfügen enthaltenen Gebots der
Rücksichtnahme liegt jedenfalls kein Anhalt vor. Dafür, dass hier eine städtebauliche
Sondersituation vorliegt, die trotz - nach Genehmigungslage gegebener - Wahrung der
Abstandserfordernisse eine Rücksichtslosigkeit etwa unter dem Aspekt der
erdrückenden Wirkung begründet, liegt kein Anhalt vor. Mit seiner genehmigten
14
Firsthöhe von 226,00 m über NN, die - bezogen auf das vorhandene Gelände - einer
tatsächlichen Höhe des Gebäudes über Gelände von max. rd. 10 m entspricht, wird das
strittige Objekt das Haus des Antragstellers zwar um 2,70 m überragen. Hieraus und aus
der weiteren Kubatur des Objekts lässt sich jedoch keine Rücksichtslosigkeit herleiten,
zumal die weiter südlich gelegenen Gebäude noch höhere Firsthöhen erreichen.
Der Senat ist dem weiteren Begehren des Antragstellers, dem Antragsgegner
einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Antragstellers aufzugeben, in
Ausübung des ihm durch § 80a Abs. 3 VwGO eröffneten Ermessens nicht
nachgekommen, da er keinen Zweifel daran hat, dass der Antragsgegner der
angeordne- ten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ohne gerichtliche
Anordnung Rechnung tragen wird.
15
Auch soweit der Antragsteller Abweichungen von den genehmigten Bauvorlagen rügt,
bestand kein Anlass, dem Antragsgegner die Stilllegung des Bauvorhabens - in diesem
Fall gemäß § 123 VwGO - aufzuerlegen. Zwar liegen unstreitig gewisse Abweichungen
von den genehmigten Bauvorlagen vor, die sich im Zentimeter-Bereich bewegen. Dass
das tatsächlich errichtete Objekt jedoch bereits in seiner derzeitigen Ausgestaltung
dermaßen von den genehmigten Bauvorlagen abweicht, dass zu Lasten des
Antragstellers die Abstandsregelungen nicht eingehalten sind, ist nicht glaubhaft
gemacht. Im Übrigen besteht auch insoweit kein Anlass zu der Annahme, dass der
Antragsgegner eine tatsächliche Bausführung, die dem Abstandsrecht zuwiderläuft,
nicht unterbinden wird.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 162 Abs. 3
VwGO.
17
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
18