Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.02.2007

OVG NRW: eltern, familie, integration, internat, wahlrecht, referat, zumutbarkeit, beendigung, besuch, beratung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2854/06
Datum:
15.02.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 2854/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 K 221/05
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
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Es spricht viel dafür, dass er mangels einer § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden
Darlegung von Gründen, aus denen die Berufung zugelassen werden müsse, bereits
unzulässig ist. Die Begründungsschrift vom 4. August 2006 wendet sich ohne er-
kennbare auch nur konkludente Inbezugnahme eines der Zulassungsgründe des § 124
Abs. 2 Nr. 1 bis 5 VwGO lediglich in der Art einer bloßen - nicht an bestimmten
Zulassungsgründen auszurichtenden - B e r u f u n g s begründung gegen die
erstinstanzliche Entscheidung.
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Aber auch wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, er wolle mit der
Zulassungsbegründungsschrift ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend machen,
vermag er mit seinem Zulassungsantrag nicht durchzudringen. Das
Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO. Es vermag die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, der
Kläger habe sich die von ihm bzw. von seinen Eltern für erforderlich gehaltene
Jugendhilfeleistung - den Besuch des Internats in der Fachklinik X. - ab dem 1. August
2004 nicht selbst beschaffen dürfen, weil er es dem Beklagten mangels hinreichender
Mitwirkung nicht ermöglicht habe, in Überprüfung seiner zulässigerweise getroffenen
Einschätzung der Internatsunterbringung als ungeeignet die für den Kläger geeignete
Jugendhilfeleistung für das Schuljahr 2004/2005 zu ermitteln und zu erbringen, nicht zu
erschüttern. So kann der Kläger dem tragenden Argument seiner mangelnden
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Mitwirkung nicht etwa die mangelnde Berücksichtigung seines Wunsch- und
Wahlrechtes nach § 5 SGB VIII entgegensetzen, auf das er, so der Kläger, vom
Beklagten pflichtwidrig zu keiner Zeit hingewiesen worden und zu dessen Ausübung
ihm keine anderen konkreten und geeigneten Hilfsangebote rechtzeitig unterbreitet
worden seien. Abgesehen davon, dass sich das Wunsch- und Wahlrecht nicht auf die
Hilfeart selbst bezieht,
vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 1. Novem-ber 2001 - 4 B 258/01 -, JAmt 2001,
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und deshalb nicht über die konzeptionelle Ungeeignetheit einer Einrichtung
hinweghelfen kann, galt für den Kläger nicht § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, sondern
§ 36 Abs. 1 SGB VIII, der das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB VIII konkretisiert.
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Vgl. Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl., § 36 Rdnr. 37; BayVGH, Beschluss vom 20. Juli 2004 -
12 CE 04/1285 -, FEVS 56, 276 (278).
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Zwar ist nach § 36 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII der Wahl und den Wünschen der
Personensorgeberechtigten oder des Kindes unter bestimmten Voraussetzungen zu
entsprechen, dies setzt aber voraus, dass die Erbringung der Leistung in dieser
Einrichtung n a c h M a ß g a b e d e s H i l f e p l a n s nach § 36 Abs. 2 SGB VIII
geboten ist , mithin die Vorstellungen von den erforderlichen und geeigneten
Einrichtungen und Hilfemaßnahmen in die Beratung zwischen Beteiligten und
Fachkräften eingebracht worden sind.
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Vgl. zur Vorrangigkeit der Mitwirkung vor eigenmächtigem Maßnahmebeginn auch:
BVerwG, Urteil vom 28. September 2000 - 5 C 29.99 -, BVerwGE 112, 98.
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Der entsprechenden Mitwirkung hat sich der Kläger, dem das Handeln seiner ihn
damals noch gesetzlich vertretenden Eltern zuzurechnen ist, hier jedoch gerade
verweigert. Die Eltern des Klägers selbst haben es verhindert, dass ihnen in einem
erforderlichen kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozess alternative
Hilfsangebote vor- und ggfs. Kostenvergleichsberechnungen angestellt werden konnten.
Da auch der dem Aufhebungs- und Teilbewilligungsbescheid vom 30. September 2004
vorausgegangene Widerspruch vom 18. Mai 2004 gegen den ablehnenden Bescheid
vom 12. Mai 2004 trotz entsprechender Erinnerung nicht begründet und die
Durchführung eines Erörterungstermins abgelehnt worden ist, hat sich die Klägerseite
die frühzeitigere Benennung von ihren Vorstellungen nahekommender alternativer
Hilfeformen selbst verschlossen.
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Soweit die Eltern im Laufe des Schuljahres 2003/2004 bis zum ablehnenden Bescheid
vom 12. Mai 2004 ihren Mitwirkungspflichten noch nachgekommen sind, vermag das vor
dem Hintergrund des vom Beklagten mit Schreiben vom 16. August 2004 angebotenen
gemeinsamen Erörterungstermins bzgl. der geeigneten und notwendigen Hilfeform und
der entsprechenden Bitte im Teilabhilfebescheid vom 30. September 2004 eine
Selbstbeschaffung im Schuljahr 2004/2005 nicht zu rechtfertigen. Weder entband es die
Eltern von ihrer Mitwirkungsverpflichtung noch erlaubte es ihnen eine Durchsetzung
ihrer Interessen durch das Schaffen von Fakten, wenn das Jugendamt erkennbar andere
Vorstellungen von der zukünftigen Jugendhilfeleistung hatte.
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Ebenso wenig vermag der Zulassungsvortrag die Annahme des Verwaltungsgerichts in
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Frage zu stellen, dass die Ablehnung einer Unterbringung im Internat X. unter
Berücksichtigung des dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zustehenden
Beurteilungsspielraums nicht als fehlerhaft zu beanstanden ist. Nach den dem Senat
vorliegenden Unterlagen unterliegt es keinen Zweifeln, dass die Prüfung der Eignung
der Internatsunterbringung in der Fachklinik X. ausschließlich nach fachlichen Kriterien
erfolgt ist, wie sie in der mit der Antragserwiderung des Beklagten vom 11. September
2006 eingereichten internen Stellungnahme des Referates Kinder, Jugend und Familie
wiedergegeben sind. Die Asthmaerkrankung des Klägers verursachte nach der
amtsärztlichen Stellungnahme vom 24. Oktober 2003 keine Beschwerden mehr. Der
Beklagte hat sich durch Ermittlungen einer Mitarbeiterin an Ort und Stelle einen
persönlichen Eindruck von der Eignung der Einrichtung in X. verschafft und dazu auch
die dort zuständige Psychologin Frau L. angehört. Finanzielle Erwägungen haben nach
dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge für die Würdigung keine entscheidende Rolle
gespielt, zumal nach den glaubhaften Angaben des Beklagten die von seinem Referat
Kinder, Jugend und Familie konkret anvisierte Hilfedurchführung durch das
Westfälische Jugendhilfezentrum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe die
kostenintensivere Maßnahme gewesen wäre.
Die Erwägung im Bescheid vom 30. September 2004, dass aus fachlicher Sicht der
aktuelle kontraproduktive Status (Internatsunterbringung in X. ) nicht aufrecht erhalten
und dementsprechend nicht weiter an Klinikbedingungen angeknüpft werden dürfe, ist
zu entnehmen, dass sich der Beklagte auch mit der Zumutbarkeit des Abbruchs der
internatsmäßigen Beschulung des Klägers ein Jahr vor der mutmaßlichen Beendigung
seiner Schullaufbahn auseinandergesetzt und etwaige Nachteile eines Schulwechsels
unter jugendhilferechtlichen Gesichtspunkten nicht für ausschlaggebend angesehen
hat. Soweit der Beklagte dabei davon ausgegangen ist, das Ziel der Eingliederungshilfe
nach § 35a SGB VIII nicht primär die Erlangung eines Schulabschlusses ist, sondern die
altersangemessene soziale Integration, ist das nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte
dafür, dass der Schulwechsel für eine altersangemessene soziale Integration in der
Weise schädlich gewesen wäre, dass ein Verbleiben im Internat die größeren
Integrationserfolge versprach, sind nicht substantiiert vorgetragen worden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Das Urteil des
Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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