Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.03.2003

OVG NRW: öffentliches interesse, wahrscheinlichkeit, unterschutzstellung, sicherheit, erhaltung, materialien, archäologie, ausdehnung, geschichte, zeugnis

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 2071/00
Datum:
31.03.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 A 2071/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 12 K 522/98
Tenor:
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 25. Februar 2000 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Antragsverfahren auf 8.000,- DM =
4.090,34 EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg; maßgeblich für die Prüfung
des Zulassungsantrags ist das bis zum 31. Dezember 2001 geltende Prozessrecht (§
194 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in der ab 1. Januar 2002 geltenden Fassung).
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1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Nach dieser
Vorschrift muss die Berufung zugelassen werden, wenn ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn erhebliche
Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis
und aus den in der Antragsschrift genannten Gründen einer rechtlichen Überprüfung
nicht standhalten wird; hiervon abweichend ist nach Auffassung einiger Obergerichte
die Berufung schon dann zuzulassen, wenn gewichtige Gründe gegen die Richtigkeit
der Entscheidung sprechen, so dass ein Erfolg des Rechtsmittels ebenso
wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.
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Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Stand: Juli 2000, § 124 Rn. 119 ff. m.w.N., §
124a Rn. 85.
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Im vorliegenden Fall kann die Frage, welcher dieser beiden Maßstäbe zu Grunde zu
legen ist, offen bleiben, weil die von der Antragsschrift geltend gemachten Bedenken
gegen die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht durchgreifen. Dabei ist
die Prüfung des Berufungsgerichts im Zulassungsverfahren auf die Darlegungen in der
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Antragsbegründung beschränkt. Nur Rügen, die vom Rechtsmittelführer innerhalb der
Antragsfrist des § 124 a Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO in der hier maßgeblichen alten
Fassung dargelegt worden sind, können zur Zulassung der Berufung führen.
Die Einwände der Kläger begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des
angegriffenen Urteils. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die
Überreste des ehemaligen Hauses D. als Bodendenkmal auf den im Eigentum der
Kläger stehenden Grundstücksparzellen in die Denkmalliste einzutragen waren.
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Gegen diese Annahme tragen die Kläger mit der Antragsschrift im wesentlichen vor,
man könne nicht davon ausgehen, dass sich noch Überreste des Hauses D. im Boden
befänden. Denn zum einen sei das Haus D. in der Zeit um 1780 völlig ausgebrannt und
etwa 100 Jahre später vollständig abgerissen worden, zum anderen fehle im Urteil jede
Darlegung, welche - denkmalwerten - Überreste sich im Boden noch befinden sollten,
nachdem das Abbruchmaterial vermutlich teilweise anderweitig verwendet worden und
teilweise - soweit es sich um Baumaterial aus Holz handle - verrottet sei. Die Annahme,
das Abbruchmaterial sei auf dem Grundstück vergraben worden, sei abwegig. Diese
Einwände stellen indes die Einstufung der Überreste des Hauses D. als Bodendenkmal
nicht in Frage.
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a. Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 des Gesetzes zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im
Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. März 1980 (DSchG NRW) sind Bodendenkmäler
bewegliche oder unbewegliche Denkmäler, die sich im Boden befinden oder befanden.
Denkmäler sind nach § 2 Abs. 1 DSchG NRW u.a. Sachen oder Sachmehrheiten, an
deren Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht, weil sie bedeutend für die Geschichte
des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und
Produktionsverhältnisse sind und weil für ihre Erhaltung künstlerische,
wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen. Diese
Begriffsbestimmung ist für Bodendenkmäler dahin zu verstehen, dass nicht nur im
Boden vermutete Artefakte oder Zeugnisse tierischen oder pflanzlichen Lebens
Bodendenkmäler sind oder als solche gelten, sondern dass dies auch für den sie
umgebenden Boden gilt, der mit ihnen eine Einheit bildet. Dass der Gesetzgeber sich
diese archäologische Sichtweise zu eigen gemacht hat, weil nur so den Besonderheiten
und Bedürfnissen der Bodendenkmalpflege Rechnung getragen werden kann, ergibt
sich schon aus § 2 Abs. 5 Satz 2 DSchG NRW, der u.a. Bodenveränderungen als Folge
nicht mehr selbstständig erkennbarer Bodendenkmäler als Bodendenkmal fingiert, und
entspricht im übrigen auch der ständigen Rechtsprechung und der in der Literatur
vertretenen Auslegung der genannten Vorschriften.
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OVG NRW, Urteil vom 5. März 1992 - 10 A 1748/86 -, BRS 54 Nr. 123; Urteil vom 28.
März 1995 - 11 A 3554/91 -; Beschluss vom 8. September 2000 - 8 A 1452/99 -; aus der
Literatur vgl. Memmesheimer / Upmeier / Schönstein, Denkmalrecht Nordrhein-
Westfalen, 2. Auflage, § 2 Rz 86ff.; Gahlen, Rechtsschutz von Bodendenkmälern, NVwZ
1984, 687; Oebbecke, Der Rechtsbegriff des Bodendenkmals, in: Horn u.a. (Hrsg.): Was
ist ein Bodendenkmal? Archäologie und Recht, 1991, S. 39ff., Upmeier, Das
Bodendenkmal in der aktuellen Rechtsprechung, aaO., S. 65ff.; Trier, Abgrenzbarkeit
und Begründbarkeit von Bodendenkmälern für das praktische Verwaltungshandeln,
aa.O., S. 57ff.
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Bei der Unterschutzstellung einer abgegrenzten Grundstücksfläche als Bodendenkmal
genügt es wegen des mit einer Unterschutzstellung verbundenen Eingriffs in
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Grundrechtspositionen der Grundstückseigentümer und -nutzer allerdings nicht, dass
das Vorhandensein eines Bodendenkmals nur vermutet oder für überwiegend
wahrscheinlich gehalten wird. Andererseits muss wegen der für Bodendenkmäler
bestehenden Besonderheit, dass eine durch Grabungen vermittelte sichere Anschauung
gleichzeitig auch die zumindest partielle Zerstörung des Denkmals bedeutet, keine
vollständige Gewissheit über das Vorhandensein eines Bodendenkmals bestehen.
Erforderlich ist vielmehr, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der
betroffenen Fläche ein Bodendenkmal vorhanden ist.
OVG NRW, Urteil vom 5. März 1992 - 10 A 1748/86 -, BRS 54 Nr. 123 (S. 351); Urteil
vom 28. März 1995 - 11 A 3554/91 -, UA. S. 13f.
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Dieses hohe Maß an Wahrscheinlichkeit muss sich auf zwei Aspekte beziehen: Mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit muss sowohl angenommen werden können,
dass in der unter Schutz gestellten Fläche überhaupt Bodendenkmäler vorhanden sind,
als auch, dass auf der gesamten von der Unterschutzstellung betroffenen Fläche
Bodendenkmäler vorhanden sind.
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b. Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil gerecht. Das Verwaltungsgericht
ist auf Grund der vom Beklagten und Beigeladenen vorgelegten fachwissenschaftlichen
Bewertung der Bedeutung des Hauses D. , seiner Bau- und Nutzungsgeschichte sowie
seiner Ausdehnung zu Recht davon ausgegangen, dass die Überreste des Hauses D.
denkmalwert im Sinne des § 2 Abs. 1 DSchG NRW sind, weil sie auf eine überregional
bedeutende und zumindest bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisbare
Burganlage verweisen, deren Erhaltung als Bodendenkmal im öffentlichen Interesse
liegt. Die oberirdisch sichtbaren und die im Boden zu erwartenden Überreste sind
wegen ihres Stellenwerts als Zeugnis der ehemals vorhandenen Baulichkeiten und der
von diesen im Laufe der Jahrhunderte erfüllten Funktionen als bedeutend für die
Geschichte der Menschen und ihre Ansiedlungen einzustufen und in die Denkmalliste
einzutragen, weil für ihre Erhaltung wissenschaftliche Gründe sprechen.
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Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist auch - entgegen der Annahme der
Kläger - zu erwarten, dass sich im Boden Überreste des Hauses D. befinden. Der
Umstand, dass bei dem Bau einer Gasleitung keine Funde zu Tage getreten sind, dürfte
auf die fehlende fachwissenschaftliche Begleitung jener Arbeiten zurückzuführen sein
und bezieht sich im übrigen ohnehin nur auf einen Randbereich der unter Schutz
gestellten Fläche; selbst wenn der von den Arbeiten betroffene Bereich keine
Fundstücke enthalten haben oder als Bodendenkmal zerstört sein sollte, würde dies
nicht die Annahme rechtfertigen, dass die Einstufung der unter Schutz gestellten Fläche
als Bodendenkmal insgesamt fehlerhaft wäre.
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Zu einem vergleichbaren Fall: OVG NRW, Urteil vom 12. November 1992 - 10 A 838/90
-, S. 17f. (Verlegung einer Trinkwasserleitung im Bereich einer als Bodendenkmal unter
Schutz gestellten Landwehr).
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Auch der in der Antragsschrift hervorgehobene Brand des Hauses D. und der etwa 100
Jahre später erfolgte Abbruch des Gebäudes stellt die Bewertung der betroffenen
Fläche durch das Verwaltungsgericht nicht in Frage, selbst wenn man unterstellt, dass
sich der Abbruch auf den überwiegenden Teil der umfangreichen Baulichkeiten
bezogen haben sollte. Denn als Überreste des Hauses D. sind nicht nur die -
möglicherweise tatsächlich zumindest teilweise abtransportierten und anderweitig
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verwendeten - Materialien der Baulichkeiten zu verstehen, sondern alle Objekte und
Spuren, die Zeugnis vom Vorhandensein einer über Jahrhunderte an dieser Stelle
bestehenden Wehrburg ablegen können. Neben Resten von Baulichkeiten - etwa den
Fundamenten der Hauptburg oder des Mauerrings - können dies Siedlungsspuren wie
Werkzeuge, Gebrauchsgegenstände bzw. in beständigen Materialien wie Metallen oder
Keramik erhaltene Teile davon sein, aber auch bloße Spuren ehemals vorhandener
Materialien wie Verfärbungen als Zeugnisse von Einsetzgruben für Holzbauten oder
Erdveränderungen als Reste verrotteter Hölzer. Den Klägern ist zuzugeben, dass
Abbruchmaterial im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts sicherlich nicht im Boden
vergraben worden sein dürfte; dies ist indes für die Annahme, dass sich Überreste des
Hauses D. im Boden befinden, nicht erforderlich.
Zu Beispielen für die konkrete Beschaffenheit von Bodendenkmälern vgl. Trier,
Abgrenzbarkeit und Begründbarkeit von Bodendenkmälern für das praktische
Verwaltungshandeln, in: Horn u.a. (Hrsg.): Was ist ein Bodendenkmal? Archäologie und
Recht, 1991, S. 57 (Abb. 2 sowie S.61f.), sowie Giesler u.a., Eine Beispielsammlung
nordrhein-westfälischer Bodendenkmäler, aaO., S. 93ff., etwa S. 110f., 120f., 126f. und
passim.
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Schließlich ist auch die konkrete Ausdehnung der unter Schutz gestellten Fläche nicht
zu beanstanden, da sie nach den fachwissenschaftlichen Ausführungen insbesondere
des Beigeladenen jedenfalls den durch Hauptburg, Halsgraben und Vorburg - einen mit
sieben Türmen besetzten Mauerring - markierten Bereich umfasst und damit diejenige
Fläche, in der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Grabungen Funde
zu erwarten wären. Dies ergibt sich daraus, dass sich in dem durch den Mauerring
umgrenzten Bereich der Hauptburg und der Vorburg zahlreiche Baulichkeiten für
unterschiedliche Nutzungen befunden haben, die, wie oben ausgeführt, Spuren
hinterlassen haben müssen, selbst wenn die Baulichkeiten abgetragen worden sein
sollten. Die Grenzziehung nach Süden und Westen ist ebenfalls nicht zu beanstanden,
da sie jedenfalls diejenigen Bereiche ausklammert, die auf Grund nachfolgender
Eingriffe durch umfassende Bau- und Erdarbeiten (Eisenbahnbau) nicht mehr mit dem
erforderlichen hohen Maß an Wahrscheinlichkeit Überreste des Hauses D. beinhalten.
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2. Der Rechtsstreit weist aus den genannten Gründen auch keine besonderen
rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Das
Verwaltungsgericht hat sich nicht darauf beschränkt, das Vorhandensein von
Überresten des Hauses D. im Boden ohne nähere Prüfung anzunehmen, sondern hat
sich - wie dargestellt - auf die sachkundigen Äußerungen der Denkmalbehörden,
insbesondere des Amtes für Bodendenkmalpflege des Landschaftsverbandes
Westfalen-Lippe, bezogen. Dies ist weder grundsätzlich zu beanstanden
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- zum Stellenwert einer der solchen Stellungnahme OVG NRW, Urteil vom 5. März 1992
- 10 A 1748/86 -, BRS 54 Nr. 123 (UA. S. 35f., in BRS insoweit nicht abgedruckt); Urteil
vom 23. Februar 1988 - 7 A 1937/ 86 -, in: Eberl / Kapteina / Kleeberg / Martin,
Entscheidungen zum Denkmalrecht, 2.1.2., Nr. 1; Urteil vom 23. Juni 1997 - 10 A
1670/94 -, UA S. 13f. m.w.N. -,
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noch sind die im vorliegenden Verfahren vorgelegten Stellungnahmen vom 17. August
1992, 25. November 1997 und 6. November 1999 sowie die in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht abgegebenen Erläuterungen inhaltlich
unzureichend. Sie belegen vielmehr, dass die Überreste des Hauses D. denkmalwert
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sind und dass mit dem erforderlichen hohen Maß an Wahrscheinlichkeit davon
ausgegangen werden kann, dass sich Überreste in dem unter Schutz gestellten Boden
befinden.
Vgl. zur Bewertung der fachwissenschaftlichen Stellungnahmen der Ämter für
Denkmalpflege bei mangelnder Plausibilität OVG NRW, Urteil vom 26. September 2000
- 8 A 4858/97 -, UA S. 18ff.
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3. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, was unter den Überresten eines Gebäudes
zu verstehen ist bzw. aus welchen Gründen solche Überreste denkmalwert sein können,
ist aus den genannten Gründen nicht grundsätzlich klärungsbedürftig im Sinne des §
124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO. Soweit sich diese in der Antragsschrift aufgeworfene Frage auf
die denkmalrechtliche Bewertung des Hauses D. bezieht, ist sie einzelfallbezogen und
schon deshalb nicht grundsätzlich klärungsfähig. Soweit damit die allgemeinere Frage
angesprochen sein sollte, aus welchen Gründen die im Boden befindlichen Reste einer
früheren Bebauung denkmalwert sein können, bedarf es zu ihrer Beantwortung
ebenfalls nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens, weil sich die Frage - wie
oben ausgeführt - ohne weiteres beantworten lässt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG in der hier maßgeblichen
Fassung (§ 73 Abs. 1 Satz 1 GKG); Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung des
wirtschaftlichen Interesses der Kläger an der Aufhebung der Unterschutzstellung sind
nicht erkennbar.
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Dieser Beschluss ist gemäß §§ 124 a Abs. 2 S. 3, 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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