Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.02.1998

OVG NRW (kläger, kündigung, zustimmung, arbeitgeber, behinderung, arbeitsmarkt, arbeitnehmer, interesse, behörde, eignung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 24 A 6870/95
Datum:
27.02.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
24. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 A 6870/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 21 K 2468/94
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, für
das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen für das erstinstanzliche Verfahren trägt diese
selbst.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der im Jahre 1943 geborene Kläger ist nach dem Bescheid des Versorgungsamtes L.
vom 7. Februar 1985 behindert mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - jetzt Grad der
Behinderung - von 60 v. H. Als Behinderungen sind festgestellt: zunehmende
Funktionsbehinderung der Hände mit Deformierungen, lähmende Nervenstörungen an
beiden Füßen bei mykobakterieller Neurodermatose, zur Zeit ohne Aktivität.
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Der Kläger war seit dem 6. Oktober 1969 als Arbeiter bei der W. - W. H. GmbH (im
folgenden W. GmbH), die einen Betrieb zur Herstellung von Fahrzeugglas unterhielt,
beschäftigt. Die Beigeladene ist die Rechtsnachfolgerin dieser Firma. Die zuletzt
ausgeübte Tätigkeit des Klägers bestand in der Kontrolle von Drehfenstern in der
Sekuritglasfertigung.
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Mit Schreiben vom 3. Juni 1993 beantragt die W. GmbH bei der Hauptfürsorgestelle des
Beklagten die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit
dem Kläger mit der Begründung, bei diesem seien in den vergangenen Jahren stetige,
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häufige, lang andauernde Fehlzeiten aufgetreten. Hierzu legte sie sogenannte
„Fehltage-Karten" vor, in denen die krankheitsbedingten Fehltage wie folgt eingetragen
sind: 1990 111 Arbeitstage, 1991 103 Arbeitstage, 1992 124 Arbeitstage sowie bis Ende
Mai 1993 60 Arbeitstage. Ferner bezog sich die Beigeladene auf eine von ihr eingeholte
Stellungnahme des Betriebsarztes Dr. S. vom 11. März 1993 vom "Arbeitsmedizinischen
Zentrum I. ", in dem dieser ausführte, der Arbeitsplatz des Klägers - Ofenbedienung und
Kontrolle von Drehfenstern - sei als nicht geeignet zu betrachten. Eine Reduzierung der
Fehlzeiten durch medizinische oder sonstige Maßnahmen sei nicht möglich, da es sich
um eine chronische bzw. irreversibele Schädigung des Gesundheitszustandes handele.
Es sei davon auszugehen, daß aufgrund fehlender Einflußmöglichkeiten auf den
Gesundheitszustand und den Arbeitsplatz auch in Zukunft nicht mit einer wesentlichen
Verringerung der krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen sei. Die Beigeladene
führte ergänzend aus, der Kläger sei zuletzt nur noch in der Position eines Kontrolleurs
eingesetzt worden, da er für andere vergleichbare Arbeiten nicht verwendbar sei. Sein
Arbeitsplatz sei in der Regel ein „Frauenarbeitsplatz".
Gegen die beabsichtigte Kündigung machte der Kläger geltend, er habe derzeit keine
Probleme am Arbeitsplatz. Wenn er, was hauptsächlich im Winter der Fall sei,
Schmerzen in der Hand habe, könne er kaum noch arbeiten und müsse zum Arzt.
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Betriebsrat und Vertrauensmann der Schwerbehinderten widersprachen in einer
gemeinsamen Stellungnahme vom 6. Juli 1993 sinngemäß dem Kündigungsersuchen,
räumten allerdings ein, daß die Ausfallzeiten des Klägers sehr hoch seien und für ihn
ein schwerbehindertengerechter Arbeitsplatz installiert worden sei. Darüber hinaus sehe
der Betriebsrat keine Möglichkeit zur Veränderung des Arbeitsplatzes.
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Das Arbeitsamt L. erhob gegen die beabsichtigte Kündigung aus arbeitsmarktlichen
Gründen Bedenken.
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Der Kläger reichte eine Stellungnahme der Hautärztin Dr. F. vom 5. Juli 1993 ein, nach
der er seit 1972 an einem Morbus Hansen vom lepromatösen Typ leidet. Trotz intensiver
Therapie seien vorwiegend Nervenveränderungen übrig geblieben. Besonders in der
kalten Jahreszeit träten Schmerzen entlang der peripheren Nerven sowie ein
brennendes Gefühl beider Hände und Füße auf. Daher seien lange
Arbeitsunfähigkeiten notwendig gewesen, weil der Patient wegen der Schmerzhaftigkeit
einfach unfähig gewesen sei zu arbeiten. Die Symptomatik werde sich nicht ändern.
Nach Angaben des Patienten hätten sich die Arbeitsbedingungen bei der
Glasherstellung gebessert, so daß er in Zeiten der Befundbesserung ohne weiteres die
Arbeit eines Kontrolleurs verrichten könne.
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Dipl.-Ing. M. vom technischen Beratungsdienst der Hauptfürsorgestelle erstattete unter
dem 2. August 1993 ein fachtechnisches Gutachten, wonach der Kläger die Arbeiten an
seinem Arbeitsplatz nach den medizinischen Vorgaben überwiegend ausführen können
müsse. Eine technische Lösung, die entscheidende Verbesserungen des Arbeitplatzes
bringe, sei nicht möglich, ohne daß der Automatisierungsgrad erhöht und dabei weitere
Arbeitsplätze abgebaut würden.
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Mit Bescheid vom 20. August 1993 stimmte die Hauptfürsorgestelle der ordentlichen
Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu. Gegen die am 14. September 1993
ausgesprochene Kündigung erhob der Kläger Klage vor dem Arbeitsgericht. Gegen die
Zustimmungsentscheidung des Beklagten erhob der Kläger Widerspruch mit der
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Begründung, er sei seit dem 27. März 1993 nicht mehr arbeitsunfähig krank gewesen.
Frühere Arbeitsunfähigkeitsgründe seien behoben. Die Hauptfürsorgestelle habe bei
ihrer Entscheidung die soziale Komponente zu wenig bedacht. Für ihn bestünden auf
dem freien Arbeitsmarkt keine Vermittlungschancen und es sei daher abzusehen, daß er
später auf Arbeitslosen- oder Sozialhilfe angewiesen sein werde.
Im Widerspruchsverfahren erklärte Dr. S. auf Anfrage des Beklagten, der Arbeitsplatz
des Klägers sei ungeeignet, weil dort die volle Gebrauchsfähigkeit seiner Arme und
Hände erforderlich sei. Die W. GmbH machte geltend, der Kläger sei seit dem 26. März
1993 wegen Urlaubs (47 Tage), Freizeitausgleich (5 Tage) und Kurzarbeit (15 Tage) an
weniger als der Hälfte der möglichen Arbeitstage anwesend gewesen. In der Zeit vom
17. September bis zum 1. Oktober 1993 sei er arbeitsunfähig krank gewesen. Die
wirtschaftliche Situation des Betriebes sei erheblich beeinträchtigt, so daß eine
Weiterbeschäftigung nicht ohne weiteres zumutbar sei. Der Kläger legte eine
Aufstellung der Betriebskrankenkasse über Art und Dauer seiner Erkrankungen vor.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 1994 wies der Widerspruchsausschuß der
Hauptfürsorgestelle des Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung dieser
Entscheidung wurde im wesentlichen ausgeführt: Bei der Abwägung zwischen den
Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines
Arbeitsplatzes und denen des Arbeitgebers an der Bewahrung seiner wirtschaftlichen
und unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten sei zu Gunsten des Klägers
berücksichtigt worden, daß er verheiratet sei, zwei Kindern Unterhalt zu gewähren habe
und im Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses seine Weitervermittlung auf dem
Arbeitsmarkt schwierig sein werde. Dennoch sei dem Interesse der Beigeladenen der
Vorrang einzuräumen gewesen. Dies gelte zunächst im Hinblick auf die erheblichen
krankheitsbedingten Fehlzeiten seit 1990, die überwiegend auf den „Morbus Hansen"
zurückzuführen seien. Mit dem Auftreten weiterer erheblicher krankheitsbedingter
Fehlzeiten sei zu rechnen. Ferner sei der Widerspruchsausschuß aufgrund der
vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger
nicht mehr für den von ihm besetzten Arbeitsplatz geeignet sei. Eine technische Lösung
am Arbeitsplatz sei nicht möglich, ohne daß der Automatisierungsgrad erhöht werde und
damit weitere Arbeitsplätze abgebaut würden. Ein anderer freier und geeigneter
Arbeitsplatz sei im Betrieb nicht vorhanden.
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Mit der Klage hat der Kläger gerügt, eine umfassende Sachaufklärung, warum eine
Erhöhung der Automatisierung an seinem Arbeitsplatz nicht zumutbar sei, habe nicht
stattgefunden. Auch sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, daß die W. GmbH über
20 Jahre hinweg die durch seine Krankheit bedingten Ausfallzeiten hingenommen habe.
Zum Kündigungszeitpunkt habe die W. GmbH bereits Vorbereitungen zur
Betriebsaufspaltung getroffen und im Produktionsbereich Personal abgebaut. Durch die
Umorganisation habe dann auch für ihn ein neuer Arbeitsplatz geschaffen werden
können. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten träten nur in der kalten Jahreszeit auf. Es
wäre zu überlegen, ob er nicht nur jeweils im Zeitraum März bis Oktober
weiterbeschäftigt werde.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Bescheid der Hauptfürsorgestelle des Beklagten vom 20. August 1993 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses bei der
Hauptfürsorgestelle des Beklagten vom 14. März 1994 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Auffassung vertreten, es sei nicht ermessensfehlerhaft, dem Arbeitgeber nicht
zuzumuten, andere Arbeitnehmer zu entlassen, um dem Kläger eine
Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Die erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten
seien erst seit 1990 aufgetreten.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage im wesentlichen
mit der Begründung stattgegeben, der Beklagte habe seinen Entscheidungen teilweise
einen Sachverhalt zugrundgelegt, auf den die W. GmbH die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht gestützt habe und der auch in tatsächlicher
Hinsicht unzutreffend sei. Die Zustimmung sei nämlich nicht nur auf die
krankheitsbedingten Fehlzeiten gestützt worden, sondern auch darauf, daß der Kläger
aus gesundheitlichen Gründen für den von ihmen besetzten Arbeitsplatz nicht mehr
geeignet sei.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beigeladenen, mit der sie die Auffassung vertritt,
der Beklagte habe sehr wohl beide Gesichtspunkte in seine Ermessensentscheidung
einfließen lassen dürfen, da bei verständiger Auslegung beide Gesichtspunkte der
Kündigung zugrunde lägen. Im übrigen erscheine der Ansatz des Verwaltungsgerichts,
zwischen dem Kündigungsgrund „krankheitsbedingte Fehlzeiten" und „mangelnde
gesundheitliche Eignung für den Arbeitsplatz" zu differenzieren, als künstlich und
lebensfremd.
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Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
zunächst erklärt, er habe sich über die Auslegung des Verwaltungsgerichts gewundert.
Seine Behörde habe aber selbst keine Berufung eingelegt, um den Arbeitgeber zu einer
klaren Antragstellung zu zwingen. Im weiteren Verlauf hat er erklärt, seine Behörde
überprüfe durchaus parallel zu dem Kündigungsgrund "Fehlzeiten", ob der
Arbeitnehmer überhaupt für seinen Arbeitsplatz geeignet sei.
22
Die Beigeladene und der Beklagte beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und betont, der Kündigungsgrund
„fehlende gesundheitliche Eignung" habe der Kündigung nicht zugrunde gelegen. Bei
der dauerhaften Ungeeignetheit für einen bestimmten Arbeitsplatz müsse die dauerhafte
Unmöglichkeit der Arbeitsleistung des jeweiligen Arbeitnehmers festgestellt werden. Die
krankheitsbedingte Kündigung habe demgegenüber die grundsätzliche Fähigkeit des
Arbeitnehmers zur Voraussetzung, seiner arbeitsvertraglich geschuldeten
Arbeitsleistung nachzukommen, die nur zeitweise durch Arbeitsunfähigkeitszeiten
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eingeschränkt sei. Die dauerhafte Unmöglichkeit, der arbeitsvertraglich geschuldeten
Leistung nachzukommen, gehe damit erheblich weiter als die Absicht, eine
krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen. Die mangelnde gesundheitliche
Eignung für seinen Arbeitsplatz sei nicht nachgewiesen.
Im übrigen liege auch ein Ermessensfehlgebrauch des Beklagten vor, weil dieser nicht
ausreichend sorgfältige Ermittlungen angestellt habe und deshalb von einem
unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Der Kläger sei seit 1969 bis 1980
zunächst mit Kehren und Zuarbeiten beschäftigt gewesen. Von 1980 bis 1990 sei er als
Reiniger der Sozialräume eingesetzt gewesen und ab 1990 als Kontrolleur der
Drehfenster. Hier sei er mit ca. 50 v. H. auch mit dem Schleifen der Glasscheiben betraut
worden. Das Schleifen erfolge mit kaltem Wasser und belaste deshalb seine
Gesundheit extrem. Der Beklagte habe ausweislich des Schreibens des technischen
Beratungsdienstes vom 4. August 1993 nur eine etwaige technische Änderung am
Arbeitsplatz überprüft, nicht jedoch eine organisatorische Änderung. Es wäre
beispielsweise möglich gewesen, ihn - den Kläger - nicht mehr mit dem Schleifen der
Glasscheiben unter kaltem Wasser zu betrauen und ihn nur noch mit
Kontrolleurtätigkeiten zu beschäftigen. Diese seien ihm wegen der Wärme durchaus
möglich. Eine solche Umorganisation wäre der Beigeladenen auch zumutbar gewesen.
Ausweislich eines ärztlichen Gutachtens könne er noch vollschichtig in temperierten
Räumen sowohl in Tagschicht als auch in Wechselschicht ständig leichte Arbeiten und
zeitweise mittelschwere Arbeiten ausführen. Lediglich das Heben und Tragen von
Gewichten über 15 kg sowie Nässe, Kälte, Zugluft und Temperaturschwankungen seien
zu vermeiden.
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Die Beigeladene hat darauf erwidert, den Arbeitsplatz des Klägers mit geringen
körperlichen Belastungen - Handhabung von kleinen Dreh- und Aufstellfenstern für Pkw
- gebe es nicht mehr, da sie heute Gläser für den Nutzfahrsektor produziere. Das
Scheibensortiment sei entsprechend größer und schwerer. Die heutige Tätigkeit eines
Ofenbedieners und Kontrolleurs verlange eine dauernde mittelschwere bis schwere
Tätigkeit, nämlich ein Heben und Tragen von Scheiben, die zwischen 5 und 45 kg
wögen.
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In der mündlichen Verhandlung sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, daß
die Rechtsansicht in Betracht kommt, daß allein die Zustimmung zum Antrag der
Beigeladenen eine ermessensgerechte Entscheidung wäre.
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Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der
Gerichtsakte, der Akte des Arbeitsgerichts L. - 2 Ca 8373/93 - und dem
Verwaltungsvorgang des Beklagten; hierauf wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die allein von der Beigeladenen eingelegte Berufung ist begründet.
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Die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der
Beigeladenen mit dem Kläger ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die angefochtene Zustimmung zur Kündigung beruht auf § 15
Schwerbehindertengesetz - SchwbG - in der Fassung vom 26. August 1986 (BGBl. I
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1421). Danach bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines
Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung der
Hauptfürsorgestelle. Mit einem (jetzt) Grad der Behinderung von 60 unterfällt der Kläger
dem Kündigungsschutz der §§ 15 ff. SchwbG.
Der Beklagte hat die Zustimmung zur beabsichtigten und inzwischen vollzogenen
Kündigung des Klägers durch die Beigeladene in verfahrensrechtlicher Hinsicht
fehlerfrei erteilt. Er hat die Stellungnahme des zuständigen Arbeitsamtes, des
Betriebsrates und des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten eingeholt sowie
ferner den Schwerbehinderten gehört.
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Die angefochtene Kündigungszustimmung ist auch materiell- rechtlich nicht zu
beanstanden. Insoweit unterliegt die Zustimmung zur Kündigung gemäß § 15 SchwbG
lediglich einer gemäß § 114 VwGO eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen
Überprüfung, wobei maßgebend gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die angefochtene
Zustimmungserklärung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist. Bei der
Ausübung des besonderen Kündigungschutzes nach § 15 SchwbG trifft die
Hauptfürsorgestelle, soweit - wie hier - nicht die besonderen Voraussetzungen des § 19
SchwbG erfüllt sind, eine Ermessensentscheidung. Nach § 114 VwGO ist lediglich zu
prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht worden ist. Hierbei ist zu prüfen, ob die Behörde in ihre
Ermessenserwägungen alle nach Sinn und Zweck des Gesetzes wesentlichen und den
Rechtsstreit prägenden Gesichtspunkte eingestellt hat und dabei von einem richtigen
Sachverhalt ausgegangen ist und ob das Ergebnis ihrer Entscheidung aufgrund der
vorzunehmenden relativen Gewichtung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte
sachgerecht ist. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung ist das Interesse des
Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesses
des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes
abzuwägen.
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Allerdings läßt sich ein Anspruch des Arbeitgebers auf Erteilung der Zustimmung zur
beabsichtigten Kündigung dann herleiten, wenn aufgrund der besonderen Umstände
des Einzelfalls das Ermessen der Hauptfürsorgestelle so stark eingeengt ist, daß nur
eine positive Entscheidung einer fehlerfreien Ermessensausübung entspricht. So liegt
der Fall hier.
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Entscheidend für die Berücksichtigung abwägungserheblicher Umstände sind ihr Bezug
zur Behinderung und ihre an der Zweckrichtung des behindertenrechtlichen
Sonderkündigungsschutzes gemessene Bedeutung (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5
C 39.90 -, BVerwGE 90, 275).
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Sinn und Zweck des Schwerbehindertengesetzes als eines Fürsorgegesetzes bestehen
vor allem darin, mit seinen Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz Nachteile
eines Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen. Der
Schwerbehinderte soll vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner
Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, bewahrt werden. Es soll sichergestellt
werden, daß er gegenüber dem gesunden Arbeitnehmer nicht ins Hintertreffen gerät.
Der Schwerbehindertenschutz gewinnt an Gewicht, wenn die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre
Ursache haben. In diesem Fall werden an die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber
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besonders hohe Anforderungen gestellt, um auch den im Schwerbehindertenrecht zum
Ausdruck gekommenen Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können
(Vgl. BVerwG, Urteil vom vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, BVerwGE 99, 360). So
kann der Arbeitgeber in Ausnahmefällen sogar verpflichtet sein, den schwerbehinderten
Arbeitnehmer „durchzuschleppen" (z.B. auf einen anderen für den Schwerbehinderten
geeigneten Arbeitsplatz, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 1958 - V C 32.56 -
BVerwGE 8, 46, 51), während andererseits die im Interesse der
Schwerbehindertenfürsorge gebotene Sicherung des Arbeitsplatzes auf jeden Fall dort
ihre Grenze findet, wo eine Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten allen Gesetzen
wirtschaftlicher Vernunft widersprechen, insbesondere dem Arbeitgeber einseitig die
Lohnzahlungspflicht auferlegt würde (BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 a.a.O.
m.w.N.; Senatsurteil vom 9. Februar 1996 - 24 2982/94 -).
Hiervon ausgehend ist die angefochtene Kündigungszustimmung auch unter
Berücksichtigung dessen, daß der Kündigungsgrund seine Ursache in der Behinderung
des Klägers hat, nicht zu beanstanden; angesichts der langjährigen außergewöhnlichen
Fehlzeiten des Klägers und der faktischen Aussichtslosigkeit einer Besserung seines
Gesundheitszustandes konnte der Beklagte auch keine andere ermessensgerechte
Entscheidung treffen.
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Der Beklagte hat in seiner Entscheidung - abzustellen ist auf den
Widerspruchsbescheid vom 14. März 1994 - abgewogen zwischen dem Interesse des
Klägers und dem der Beigeladenen. Zugunsten des Klägers hat er seinen
Familienstand und seine Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigt sowie, daß eine
Weitervermittlung auf dem Arbeitsmarkt schwierig sein werde. Der Beklagte hat dem
Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Hinblick
auf die erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers seit 1990 den Vorrang
eingeräumt und ist dabei davon ausgegangen, daß eine Besserung des
Gesundheitszustandes mit der Folge der Behebung der Arbeitsunfähigkeitsgründe nicht
zu erwarten sei. Insoweit hat sich der Beklagte auf den Bericht der den Kläger
behandelnden Hautärztin Dr. F. gestützt. Diese Ermessenserwägungen des Beklagten
sind zutreffend. Die überaus langen Fehlzeiten des Klägers sind für seinen Arbeitgeber
unzumutbar. Der früher für das Schwerbehindertenrecht zustände 13. Senat des
erkennenden Gerichts hat im Beschluß vom 17. Januar 1994 - 13 A 3135/93 -
Fehlzeiten ab 14 v. H. der Arbeitstage als Grenze des Hinnehmbaren bezeichnet. Ob
dem generell zu folgen ist, kann offenbleiben. Der Kläger hat in den letzten drei Jahren
vor der Kündigung an mehr als der Hälfte der Arbeitstage krankheitsbedingt nicht
gearbeitet, damit ist die Grenze des für den Arbeitgeber Zumutbaren jedenfalls weit
überschritten. Bei derartigen Fehlzeiten über Jahre widerspricht eine
Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft.
Etwas anderes hätte nur angenommen werden können, wenn eine hinreichend sichere
Aussicht bestanden hätte, daß es zu einer Wiederholung der Fehlzeiten nicht kommen
würde. Das hat der Beklagte aber zutreffend verneint.
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Insoweit hat der Kläger selbst in seiner Anhörung vom 29. Juni 1993 erklärt, wenn er
Schmerzen in der Hand habe, könne er kaum noch arbeiten; die Schwierigkeiten habe
er hauptsächlich im Winter. Am 23. Juni 1993 hat er im Fragebogen für den
Schwerbehinderten zum Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Kündigung
angegeben, er leide an zunehmender Funktionsbehinderung der Hände mit
Deformierungen und lähmenden Nervenstörungen an beiden Füßen. Die Hautärztin Dr.
F. bestätigte die trotz intensiver Therapie bestehenden Nervenveränderungen und
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Schmerzen besonders in der kalten Jahreszeit mit der Folge der Arbeitsunfähigkeit. Die
Erklärung am Ende der Bescheinigung: „Nach Angaben des Patienten haben sich die
Arbeitsbedingungen bei der Glasherstellung gebessert, so daß in Zeiten der
Befundbesserung der Patient ohne weiteres die Arbeit eines Kontrolleurs verrichten
kann", rechtfertigt keine positive Prognose. Daß der Kläger in Zeiten der
Befundbesserung arbeiten kann, ist nicht streitig. Angesichts des von Dr. F. und von Dr.
S. geschilderten Krankheitsbildes, insbesondere der bestehenden
Nervenveränderungen, konnte der Beklagte aber gerade nicht davon ausgehen, daß es
dauerhafte „Zeiten der Befundbesserung" geben werde.
Daran ändert auch das vom Kläger mit Schriftsatz vom 15. August 1996 eingereichte
ärztliche Gutachten ohne Datum nichts. Ob der Kläger allgemein noch vollschichtig
leistungsfähig ist, ist unerheblich. Entscheidend ist, daß er auf seinem - bereits
behindertengerecht eingerichteten - Arbeitsplatz über Jahre immer wieder
krankheitsbedingt gefehlt hat, eine Besserung zum Zeitpunkt der beabsichtigten
Kündigung nicht zu erwarten war und daß ein anderer für den Kläger geeigneter
Arbeitsplatz im Betrieb damals nicht vorhanden war und auch vom Kläger daher nicht
bezeichnet werden konnte. Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren auf die
Möglichkeit organisatorischer Änderungen im Arbeitsablauf hinweist und meint, es sei
der Beigeladenen zumutbar gewesen, ihn nur noch mit Kontrolleurtätigkeiten zu
betreuen, steht dies im Widerspruch zur eigenen Äußerung, daß er in Zeiten der
Beschwerdefreiheit - eine solche liege bis auf die Wintermonate vor - durchaus in der
Lage sei, seine Kontrollarbeiten auszuführen. Eine zeitlich derart eingeschränkte
Einsatzfähigkeit brauchte der Beklagte aber zugunsten des Klägers nicht in Betracht zu
ziehen. Erst recht konnte der Kläger nicht erwarten, daß der Beklagte die Beigeladene
auf eine weitere Automatisierung mit der Folge des Wegfalls weiterer Arbeitsplätze
verweist, nur um ihm für die Zeiten der Beschwerdefreiheit seinen Arbeitsplatz zu
erhalten.
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Der Gesichtspunkt der überlangen Fehl- und Krankheitszeiten trägt nach allem die
Zustimmung des Beklagten zur beabsichtigten Kündigung. Unter diesem Aspekt konnte,
da keine Umstände ersichtlich sind, die eine Weiterbeschäftigung des Klägers der
Beigeladenen noch irgendwie zumutbar machten, eine andere Entscheidung
ermessensfehlerfrei nicht mehr getroffen werden. Angesichts dessen kommt es nicht
darauf an, ob die vom Beklagten zusätzlich angestellten Erwägungen zur Eignung des
Klägers für seinen Arbeitsplatz zutreffen und ob der Beklagte angesichts des Antrages
der Beigeladenen diese Erwägungen zum Gegenstand seiner Ermessenserwägungen
machen durfte. Es spricht nach Auffassung des Senats allerdings viel dafür, daß es nicht
zu beanstanden ist, wenn die Behörde zu Gunsten des Schwerbehinderten und zur
Abrundung ihrer eigenen Entscheidung zusätzlich noch überprüft, ob der Arbeitnehmer
überhaupt für seinen Arbeitsplatz geeignet ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 VwGO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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