Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 04.11.2004

OVG NRW: europäische menschenrechtskonvention, emrk, abschiebung, herkunft, aufenthalt, sicherheit, ehepartner, staatsgebiet, familie, lebensgemeinschaft

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 11 A 2446/02.A
04.11.2004
Oberverwaltungsgericht NRW
11. Senat
Beschluss
11 A 2446/02.A
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 3a K 3971/01.A
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg.
Die allein geltend gemachte grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) der
Frage,
"ob sich die Lage für die arabischen Ehegatten von Staatsangehörigen von Bosnien-
Herzegowina nach dem 11. September nachhaltig verändert hat",
wird nicht im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt.
Mit der Grundsatzrüge muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen werden,
die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf.
BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff. (zu § 32 Abs. 2 Nr. 1
AsylVfG a. F.), und Beschluss vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 f. (zu
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Vorliegend fehlt es bereits an substantiierten Erläuterungen zur fallübergreifenden
Bedeutung der aufgeworfenen tatsächlichen Frage. Dies wäre allerdings erforderlich
gewesen. Denn nach den Erfahrungen des Senats aus einer Vielzahl von Asylverfahren
bosnischer Staatsangehöriger in den vergangenen Jahren sind sog. Mischehen zwischen
Ehegatten, die einerseits aus Bosnien-Herzegowina stammen, und andererseits
"arabischer" Herkunft sind, der absolute Ausnahmefall.
Darüberhinaus genügt ein auf grundsätzliche Bedeutung gestützter Zulassungsantrag nicht
den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG, wenn lediglich die Behauptung
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aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen Verhältnisse stellten sich anders dar,
als vom Verwaltungsgericht angenommen. Es ist vielmehr im Einzelnen darzulegen
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. März 1993 - 3 B 105.92 -, NJW 1993, 2825 f. (zu § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO) -,
welche Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung bestehen. Auch dies ist hier
nicht geschehen. Zwar mag es zutreffen, dass nach den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 in Bosnien-Herzegowina - genauso wie im übrigen westeuropäischen
Ausland bzw. weltweit - Ausländern "arabischer" Herkunft von Seiten der jeweiligen
staatlichen Sicherheitsorgane eine besondere Beachtung geschenkt worden ist. Sofern
sich aus den von den Klägerinnen erwähnten Zeitungsartikeln ergeben sollte, dass in
Bosnien-Herzegowina "arabischen Ehepartnern entweder keine Aufenthaltsgenehmigung
erteilt wird, bzw. die bereits erteilte Aufenthaltsgenehmigung entzogen wird und wahllos
Abschiebungen durchgeführt werden, ... ohne dass ein Zusammenhang mit der
Terrororganisation Al-Kaida erkennbar war", besagt dies allerdings noch nicht, dass
hiervon auch der Ehemann bzw. der Vater der Klägerinnen betroffen wäre. Zum einen
lassen sich dem vom Verwaltungsgericht ebenfalls zitierten und zeitlich nach dem 11.
September 2001 erstellten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2002
keinerlei Anhaltspunkte für eine derartige Vorgehensweise des bosnischen Staates
entnehmen. Zum anderen erscheint fraglich, ob der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen -
ein gebürtiger Libanese - als von "arabischer" Herkunft angesehen wird. Letztlich
entscheidend ist jedoch, dass nicht erkannt werden kann, den Klägerinnen drohe im Falle
ihrer Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina eine Verletzung des hier in Rede
stehenden Rechts aus § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention
(EMRK). Nach dieser Vorschrift hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und
Familienlebens. Art. 8 Abs. 2 EMRK verbietet außer bei Vorliegen bestimmter
Voraussetzungen Eingriffe der Behörden in die Ausübung dieses Rechts. Die Europäische
Menschenrechtskonvention gilt nach der Verfassung Bosnien-Herzegowinas als
unmittelbares staatliches Recht. Ihre Einhaltung wird zum einen von unabhängigen
Institutionen überwacht und zum anderen von der Ombudsperson bzw. der
Menschenrechtskammer durchgesetzt.
Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 30. April 1999 - 23 A 3741/93.A -, S. 21 des
Urteilsabdrucks m. w. N.
Es ist den Klägerinnen und/oder ihrem Ehemann bzw. Vater durchaus zuzumuten, der
Einhaltung des von ihnen in Anspruch genommenen Rechts aus Art. 8 EMRK in Bosnien-
Herzegowina selbst Geltung zu verschaffen. Ein zielstaatsbezogenes
Abschiebungshindernis aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention liegt nicht
stets schon dann vor, wenn dem abzuschiebenden Ausländer in seinem Heimatstaat nicht
alle Rechte der Konvention gewährleistet sind. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht
aufgrund des Art. 8 EMRK ohne weiteres verpflichtet, ausländischen Ehegatten
verschiedener Staatsangehörigkeit, von denen keiner ein Bleiberecht für Deutschland hat
oder jemals hatte und die beide ausreisepflichtig sind, die Führung der Ehe in Deutschland
zu ermöglichen, indem zumindest von einer Abschiebung abgesehen wird, solange die
Heimatstaaten nicht dem jeweils anderen Ehegatten den Aufenthalt gestatten.
Zwar mag es einem gemeinsamen europäischen Menschenrechtsstandard entsprechen,
dass die Staaten den eigenen Angehörigen das Zusammenleben mit einem ausländischen
Ehepartner in ihrem Staatsgebiet grundsätzlich ermöglichen, wenn nicht ausnahmsweise
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schwerwiegende Gründe insbesondere der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegen den
Aufenthalt des Ausländers sprechen. Es ist dann aber in erster Linie Sache der
Klägerinnen und/oder ihres Ehemannes bzw. Vaters, etwaige Ansprüche insoweit
gegebenenfalls auf dem Rechtsweg durchzusetzen, selbst wenn damit eine zeitweise
Trennung der Familie verbunden sein sollte. Freilich könnte von einer grundsätzlichen
Verpflichtung Bosnien-Herzegowinas, dem Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen ein
Einreisevisum zum Schutze der ehelichen Lebensgemeinschaft zu erteilen, allenfalls dann
ausgegangen werden, wenn die Klägerinnen tatsächlich in ihre Heimat zurückkehren, nicht
aber, solange sie sich in Deutschland aufhalten und sich gegen ihre Abschiebung in einem
mehrjährigen Rechtsstreit wehren.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 1999 - 1 B 2.99 -, InfAuslR 1999, 330 (331).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).