Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.03.2006

OVG NRW: anwendungsbereich, begriff, gefahr, urkunde, bestimmtheitsgebot, strafbarkeit, verhinderung, meinung, papiere, privatrecht

Oberverwaltungsgericht NRW, 4 B 1929/05
Datum:
03.03.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 B 1929/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 L 1091/05
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat prüft dabei nur die vom Antragsteller
dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
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Der Antragsteller wendet sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der
Verkauf von Eintrittskarten vor Fußballstadien werde von dem in § 56 Abs. 1 Nr. 1 h
GewO normierten Verbot des Vertriebs von Wertpapieren erfasst. Seine Einwendungen
greifen jedoch nicht durch.
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Die Vorschriften der Gewerbeordnung bestimmen selbst nicht ausdrücklich, was unter
Wertpapieren zu verstehen ist. Soweit der Wertpapierbegriff in zahlreichen anderen
Gesetzen Verwendung findet, hilft dies vorliegend nicht weiter, weil es eine für alle
Vorschriften allgemein gültige Begriffsbestimmung nicht gibt.
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Vgl. schon Hueck, Recht der Wertpapiere, 10. Aufl. 1967, Seite 1 f.
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Definitionen in gesetzlichen Regelungen (z.B. § 1 Abs. 1 WPapG, § 2 Abs. 2 WpÜG, § 1
Abs. 11 Satz 2 KWG), messen diesen Geltung jeweils nur für das betreffende Gesetz zu.
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Die danach gebotene Auslegung des § 56 Abs. 1 Nr. 1 h GewO führt zu dem Ergebnis,
dass der hier in Rede stehende Verkauf von Eintrittskarten vor Fußballstadien von dem
Regelungsgehalt der Vorschrift erfasst wird.
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Derartige Eintrittskarten sind sog. kleine Inhaberpapiere im Sinne des § 807 BGB, die
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nach herrschender Auffassung den Wertpapieren zugerechnet werden; denn es handelt
sich jeweils um eine Urkunde, die ein Privatrecht in der Weise verbrieft, dass es ohne
diese Urkunde nicht geltend gemacht werden kann (sog. weiter Wertpapierbegriff).
Vgl. etwa Palandt, BGB, 65. Aufl. 2006, Einführung vor § 793 Rn. 1, und juris-
Praxiskommentar BGB, 2. Aufl. 2004, § 793 Rn. 9, jeweils m.w.N.
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Die Beschwerdebegründung gibt nichts dafür her, dass sich an dieser seit langem
anerkannten Rechtslage durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts etwas
geändert hat. Zwar hat die die Schriftform betreffende Regelung des § 126 BGB eine
Änderung erfahren; dies ist aber ohne Bedeutung. Denn eine Unterzeichnung der sog.
kleinen Inhaberpapiere war und ist nicht erforderlich. § 793 Abs. 2 Satz 2 BGB findet bei
diesen Papieren keine entsprechende Anwendung, vgl. § 807 BGB.
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Der Wortlaut des § 56 Abs. 1 Nr. 1 h GewO erfasst entsprechend dem weiten
Wertpapierbegriff auch Eintrittskarten für Fußballspiele
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Dass der historische Gesetzgeber seinerzeit solche Eintrittskarten aus dem
Anwendungsbereich der Vorschrift herausnehmen wollte, legt die Beschwerde nicht dar.
Ob er sie überhaupt in den Blick genommen hat, erscheint fraglich, ist aber letztlich ohne
Bedeutung. Angesichts der erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen
seit Erlass des § 56 Abs. 1 Nr. 1 h GewO ist den Vorstellungen des historischen
Gesetzgebers nämlich keine entscheidende Bedeutung mehr beizumessen.
Bedeutsamer ist der Umstand, dass der Gesetzgeber in der Folgezeit trotz zahlreicher
Änderungen des § 56 GewO,
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vgl. Landmann/Rohmer, GewO, § 56 Rn. 1 (Stand: Februar 2004),
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in Kenntnis des von der herrschenden Auffassung vertretenen weiten Wertpapierbegriffs
keine Veranlassung gesehen hat, die sog. kleinen Inhaberpapiere aus dem
Anwendungsbereich der Vorschrift herauszunehmen. Dies spricht dafür, dass die
Einbeziehung auch dieser Papiere seine Billigung gefunden hat.
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Auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gebieten es, die hier in Rede
stehenden Eintrittskarten den Wertpapieren des § 56 Abs. 1 Nr. 1 h GewO zuzurechnen,
weil nur so der mit einem Vertrieb von Eintrittskarten im Reisegewerbe verbundenen
erhöhten Gefahr von Verfälschungen und Diebstählen begegnet werden kann. Der
Senat nimmt insoweit auf die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten
Landesgerichts Bezug.
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Beschluss vom 27. Februar 1979
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- 3 Ob OWi 101/78 -, NJW 1979, 1314.
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Da dem Antragsteller nach eigenem Bekunden die einschlägige Rechtsprechung
bekannt ist, sieht der Senat von einer ins Einzelne gehenden Darstellung ab.
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Ergänzend ist lediglich hinzuzufügen, dass gerade die Gefahr von Verfälschungen
wegen der Fortschritte im Bereich der Kopiertechnik und beim Einsatz von
Bildbearbeitungsprogrammen erheblich größer geworden ist. Es entspricht deshalb
herrschender Meinung, dass Eintrittskarten zu den in § 56 Abs. 1 Nr. 1 h GewO
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aufgeführten Wertpapieren zählen.
Friauf/Heß, Gewerbeordnung, § 56 Rdnr. 32 (Stand August 1996); Landmann/Rohmer,
Gewerbeordnung, § 56 Rdnr. 41 (Stand: Februar 2003);
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Tettinger/Wank, Gewerbeordnung, 7. Aufl. 2004, § 56 Rdnr. 11; BayObLGSt, Beschluss
vom 27. Februar 1979, aaO; BayVGH, Urteil vom 14. Februar 1978 - Nr. 315 VII/75 -,
NJW 1978, 2052; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. Mai 1988
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- 1 Ss 222/88 -, GewArch 1988, 330; OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 1993 -
2 Ss OWi 279/93 -, GewArch 1994, 168.
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Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.
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Der in § 56 Abs. 1 Nr. 1 h GewO verwendete Begriff „Wertpapiere" verstößt auch nicht
gegen das aus § 20 Abs. 3 GG herzuleitende rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Ein
solcher Verstoß scheidet schon deshalb aus, weil sich - wie dargelegt - der vom
Gesetzgeber verwendete Begriff mit Hilfe anerkannter Auslegungsmethoden ohne
weiteres bestimmen lässt. Ob die gesetzliche Regelung den Anforderungen des Art. 103
Abs. 2 GG genügt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil es vorliegend nicht um
die Strafbarkeit des Vertriebs von Eintrittskarten, sondern allein um die Verhinderung
dieser Tätigkeit geht.
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§ 56 Abs. 1 Nr. 1 h GewO verstößt entgegen der Auffassung des Antragstellers auch
nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung des Art. 12 GG. Die
mit dem Verkauf der in Rede stehenden Eintrittskarten im Reisegewerbe verbundenen
Gefahren (s. o.) rechtfertigen die getroffene Maßnahme. Soweit der Antragsteller den
Verkauf solcher Eintrittskarten anderen reisegewerblichen Tätigkeiten gleichsetzen will,
übersieht er, dass gerade bei einem Papierprodukt in größerem Umfang Manipulationen
und Verfälschungen möglich sind als bei anderen Waren.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt
sich aus §§ 52 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.
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