Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.07.2006

OVG NRW: besondere härte, aufenthaltserlaubnis, aufschiebende wirkung, lebensgemeinschaft, ausländer, familie, beschränkung, befristung, vollziehung, versicherung

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 119/06
Datum:
12.07.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 119/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 27 L 2285/05
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis Beschränkung Befristung Beurteilungszeitpunkt
besondere Härte Diskriminierung eheliche Lebensgemeinschaft
Isolation Misshandlung Wirksamkeit
Normen:
AufenthG § 7 Abs. 2 Satz 2; AufenthG § 31 Abs. 2; AufenthG § 84 Abs. 2
Satz 1
Leitsätze:
1. Bei der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der nachträglichen
zeitlichen Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis ist grundsätzlich auf
die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten
verwaltungsbehördlichen Entscheidung abzustellen.
2. Sofern die Beschränkung zu einem früheren Zeitpunkg wirksam
werden soll, ist für diesen Zeitpunkt festzustellen, ob eine wesentliche
Voraussetzung iSd § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entfallen ist und ob dem
Ausländer zu diesem Zeitpunkt kein Anspruch auf Erteilung oder
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zusteht.
3. Eine unter Androhung und Anwendung von körperlicher Gewalt
betriebene Isolation der ausländischen Ehefrau kann auf eine
besondere Härte iSd § 31 Abs. 2 AufenthG führen.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage (VG Düsseldorf 27 K 991/06)
gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 24. Oktober
2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung
Düsseldorf vom 24. Januar 2006 wird angeordnet bzw. wieder
hergestellt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert wird auch für die Beschwerdeinstanz auf 2.500, EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Ihr Interesse, von der
Vollziehung der angefochtenen Verfügung einstweilen verschont zu bleiben, überwiegt
das öffentliche Interesse an deren sofortigen Vollziehung. Die offensichtliche
Rechtmäßigkeit der nachträglichen Befristung der der Antragstellerin erteilten
Aufenthaltserlaubnis, die zugleich Grundlage für die Abschiebungsandrohung ist, lässt
sich nach Lage der vom Antragsgegner seiner Entscheidung zugrunde gelegten und
dem Gericht übersandten Verwaltungsvorgänge nicht feststellen.
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Das Verwaltungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass für die der
Antragstellerin erteilten Aufenthaltserlaubnis eine wesentliche Voraussetzung im Sinne
von § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, nämlich das Bestehen einer ehelichen
Lebensgemeinschaft zwischen ihr und ihrem Ehemann, entfallen ist. Dies wird mit der
Beschwerde nicht in Frage gestellt.
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Es lässt sich aber gegenwärtig nicht abschließend beurteilen, ob die Befristung
ausgeschlossen war, weil der Antragstellerin aus anderen Gründen ein Anspruch auf
Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zustand. Insofern ist abweichend
davon, dass bei rechtsgestaltenden Verwaltungsakten – wie hier - grundsätzlich auf die
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abzustellen
ist, vorliegend der vom Antragsgegner in seiner Ordnungsverfügung bestimmte
Zeitpunkt ihrer Zustellung maßgeblich. Denn gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG
lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die
Wirksamkeit eines sonstigen Verwaltungsaktes, der – wie die vorliegende
Befristungsverfügung - die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt.
Demzufolge ist für diesen Zeitpunkt neben dem Wegfall einer wesentlichen
Voraussetzung im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG als ungeschriebenes
Tatbestandsmerkmal zu prüfen, ob dem Ausländer einen Anspruch auf Erteilung oder
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen zusteht.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juli 2004 – 18 B 2303/03 -, NWVBl 2005,
109 = AuAS 2004, 242 zu der dem § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG
entsprechenden Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG.
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In Betracht kommt ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer (eigenständigen)
Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 2 AufenthG wegen des Vorliegens einer
besonderen Härte. Eine solche liegt nach dessen Satz 2 insbesondere dann vor, wenn
dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft
erwachsenen Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner
schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung
seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen
Lebensgemeinschaft unzumutbar ist.
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Allerdings wird mit dem sinngemäß auf die 1. Alternative gerichteten Vorbringen der
Antragstellerin, wegen der Trennung von ihrem deutschen Ehemann und der zu
erwartenden Ehescheidung bei ihrer Rückkehr nach Kuba dort diskriminiert zu werden,
deshalb dort keinen beruflichen oder gesellschaftlichen Anschluss finden zu können
und auch von ihrer Familie nicht wieder aufgenommen zu werden, eine besondere
Härte nicht begründet. Denn es ist von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen
Antragstellerin
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- vgl. hierzu nur Senatsbeschluss vom 19. August 2005 – 18 B 1170/05 -
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ungeachtet ihrer eidesstattlichen Versicherung bereits nicht hinreichend dargelegt, dass
ihr deshalb eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange droht, die
über die allgemeine im Gesetz als hinnehmbar bewertete Härte hinausgeht, wie sie
vielfach Ausländer trifft, die nach kurzer Zeit Deutschland wieder verlassen müssen.
Namentlich in Fällen der Trennung einer ehelichen Lebensgemeinschaft hat der
Gesetzgeber durch die Anforderung einer besonderen Härte in Kauf genommen, dass –
wie allgemein bekannt - die betroffenen Frauen in zahlreichen Ländern Belastungen
ausgesetzt sind, die nicht zwangsläufig auf ein weiteres Aufenthaltsrecht in Deutschland
führen sollen.
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Vgl. ebenfalls Senatsbeschluss vom 19. August 2005 – 18 B 1170/05 -.
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So wäre aufzuzeigen gewesen, dass die Antragstellerin landesweit, insbesondere auch
in den größeren Städten des Landes den befürchteten Diskriminierungen ausgesetzt
wäre. Des Weiteren ist die Behauptung, sie werde von ihrer Familie nicht wieder
aufgenommen, durch nichts belegt und schon deshalb unbeachtlich.
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Dagegen ist das weitere Beschwerdevorbringen geeignet, auf die 2. Alternative des
§ 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu führen. Dies zeigt ein Vergleich mit den zur
Gesetzesbegründung aufgezeigten Beispielsfällen. Danach soll das Festhalten an einer
Ehe zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts u.a. nicht zumutbar sein,
wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen
durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben hat.
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So bereits Senatsbeschluss vom 4. Mai 2001 - 18 B 1908/00 -, NVwZ-Beil. I
2001, 83 = EZAR 023 Nr. 23; ferner Senatsbeschluss vom 5. April 2006 – 18
B 1525/05 -; vgl. zum Ganzen auch Beschlussempfehlung und Bericht des
Innenausschusses (4. Ausschuss) vom 14. März 2000, BT-Drs. 14/2902.
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Für ein dementsprechendes Verhalten des Ehemannes der Antragstellerin sind zwar
den Verwaltungsvorgängen keine Anhaltspunkte zu entnehmen. Tatsache ist aber auch,
dass dem Antragsgegner über die Eheleute bisher nur wenig bekannt war, seine
Kenntnisse ausschließlich auf knappen, auf das Verhalten oder die Befindlichkeit der
Antragstellerin nicht eingehende Äußerungen ihres Ehemannes beruhen, die
Antragstellerin dem Akteninhalt nach kaum deutsch spricht und sie sich erst im
Widerspruchsverfahren bzw. dem vorliegenden Verfahren über ihren
Prozessbevollmächtigten erstmals konkret zu den ehelichen Verhältnissen äußerte. Sie
schildert nun unter Glaubhaftmachung durch eine von ihr abgegebene eidesstattliche
Versicherung einen Sachverhalt, der ihr ein weiteres Festhalten an Ehe als unzumutbar
erscheinen lasse dürfte. Sie beschreibt detailreich, wie sie ihr Ehemann von der
Außenwelt isoliert und ihre Bemühungen um Außenkontakte massiv, durch
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Einschüchterungsversuche und unter Androhung und Einsatz körperlicher Gewalt zu
behindern versucht hat. Psychisch sei sie völlig fertig gewesen. Infolge ihrer Isolierung
habe sie zunächst nicht gewusst, an wen sie sich habe wenden sollen. Sie sei aufgrund
entsprechender einschüchternder Äußerungen ihres Ehemannes davon ausgegangen,
dass ihr die Polizei nichts glauben werde. Sie habe auch wegen ihrer fehlenden
Sprachkenntnisse sich gescheut, zur Polizei zu gehen. An ihre Familie in Kuba habe sie
sich nicht wenden können, weil ihr Ehemann jene durch Verleumdungen gegen sie
aufgehetzt habe. Erst als sie eine Kubanerin kennen gelernt habe, sei es ihr gelungen,
sich von ihrem Ehemann zu trennen. In seine Wohnung habe sie sich nicht mehr zurück
getraut. Ihre Kleidung habe ihr Ehemann nicht heraus gegeben.
Dem Vorbringen ist der Antragsgegner nicht entgegen getreten. Es erweist sich auch
nicht als von vornherein unbeachtlich, etwa weil es unglaubhaft ist. Auch spricht nichts
für eine Unglaubwürdigkeit der Antragstellerin. Das weitere Verfahren wird zeigen
müssen, ob sich ihre Behauptungen belegen lassen. Damit stellt sich der Sachverhalt
als weiter aufklärungsbedürftig dar. Dementsprechend sind die Erfolgsaussichten der
Klage gegen die angefochtenen Ordnungsverfügung gegenwärtig offen. Das
vorliegende Verfahren hält der Senat für eine abschließende Klärung des Sachverhalts
für ungeeignet. Wie er bereits in früheren gleich gelagerten Verfahren entschieden hat,
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vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 1999 - 18 B 1338/97 - m.w.N.,
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würde damit der in einem lediglich auf die Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes
gerichteten Verfahren angemessene Prüfungsrahmen überschritten. Eine Klärung muss
deshalb dem Verfahren zur Hauptsache vorbehalten bleiben. Bis dahin überwiegt das
Interesse der Antragstellerin an einem vorläufigen Verbleib in Deutschland. Dem stehen
keine erkennbaren nennenswerten öffentlichen Interessen entgegen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3, GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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