Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.10.2006
OVG NRW: visum, einreise, familiennachzug, ausnahme, güterabwägung, eng, lebensgemeinschaft, aufenthalt, vorrang, auflage
Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 1767/06
Datum:
05.10.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 1767/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 L 1267/06
Schlagworte:
Visum Visumsverfahren Ausnahme Ermessen Ermessensfehler
Familiennachzug
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 2 Satz 2; AufenthG § 6 Abs. 4; GG Art. 6 Abs. 1
Leitsätze:
Der als Ausnahmeregelung prinzipiell eng auszulegende § 5 Abs. 2
Satz 2 AufenthG erfordert eine Güterabwägung unter Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dabei sind die legitimen
Interessen des Ausländers gegen das öffentliche Interesse an der
Einhaltung des Visumsverfahrens abzuwägen.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die mit ihr dargelegten Gründe, die vom Senat
gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur zu prüfen sind, rechtfertigen keine Abänderung
oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht den
Aussetzungsantrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt hat.
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Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung u. a. die Gründe
darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit
der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Dies erfordert, dass der
Antragsteller mit schlüssigen Gegenargumenten auf die entscheidungstragenden
Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses eingeht. Es ist von ihm aufzeigen, was nach
der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch Gegenstand der Überprüfung durch
das Beschwerdegericht sein soll und weshalb die diesbezüglichen
Entscheidungsgründe aus seiner Sicht nicht tragfähig sind. Dabei hat sich die
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Beschwerde an der Begründungsstruktur der angefochtenen Entscheidung zu
orientieren.
Davon ausgehend vermag die Beschwerdebegründung, mit der vornehmlich die
Unzumutbarkeit der Nachholung eines Visumsverfahrens unter Hinweis auf die damit
verbundenen Kosten und die den Antragsteller bei einer Rückkehr in den Libanon
treffenden Kriegsfolgen geltend gemacht wird, die insoweit entscheidungserheblichen
Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Ermessensentscheidung des
Antragsgegners nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht in Zweifel zu ziehen.
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Im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hat die
Ausländerbehörde bezüglich beider dort aufgeführten Sonderfälle im Wege des
Ermessens zu beurteilten, ob eine Ausnahme von der Einhaltung der Visumsregeln (vgl.
§ 4 Abs. 1 und § 6 AufenthG) vertretbar und angemessen ist. Dabei ist zunächst zu
berücksichtigen, dass die Regelung als Ausnahmebestimmung prinzipiell eng
auszulegen ist. Die Durchführung des Visumverfahrens soll nach der amtlichen
Begründung des § 5 Abs. 2 AufenthG sowohl bei Vorliegen eines Anspruchs auf
Erteilung eines Aufenthaltstitels als auch in allen anderen Fällen die Regel bleiben soll.
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Vgl. BT-Drs. 15/420, S. 70.
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Auf diese Weise wird einerseits sichergestellt, dass die Steuerungsmechanismen des
Aufenthaltsgesetzes nicht lahmgelegt und die dort vorgesehenen Zugangskontrollen
hinsichtlich eines Aufenthalts in der Bundesrepublik nicht unterlaufen werden.
Andererseits wird durch die Regelung deutlich, dass die Einhaltung der Visumsregeln
kein Selbstzweck sein soll.
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Vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 5 AufenthG, Rn. 59.
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Erforderlich ist demnach eine Güterabwägung unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit, bei der zu berücksichtigen ist, dass die Einhaltung des
Visumsverfahrens der Regelfall bleiben soll und dass allein die Verpflichtung, zur
Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland vor der Einreise ein
Visum einzuholen, nicht Art. 6 Abs. 1 GG verletzt.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 25. Februar 2005 – 18 B 348/05 -.
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Dies erfordert, die legitimen Interessen des Ausländers (z.B. wirtschaftliche Interessen,
Familieneinheit) gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des
Visumsverfahrens abzuwägen.
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Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 19 B 470/06 -.
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Dabei ist zu beachten, dass die Nachholung des Visumsverfahrens stets mit allgemein
bekannten und deshalb auch vom Gesetzgeber in den Regelungen des AufenthG
berücksichtigen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Vor allem aber gilt es, dem
Eindruck bei anderen Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch eine Einreise
stets vollendete Tatsachen schaffen. Die Grenze liegt dort, wo das Beharren auf die
Einhaltung des Visumsverfahrens objektiv als unangemessen empfunden werden
müsste.
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Vgl. Zeitler, HTK-AuslR / § 5 AufenthG / zu Abs. 2 Satz 2 04/2006 Nr. 2.
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Danach vermag der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen nicht
durchzudringen. Es ist nicht geeignet, die die Ermessensentscheidung des
Antragsgegners tragende und vom Verwaltungsgericht in gleicher Weise gewürdigte
Begründung als fehlerhaft erscheinen zu lassen, wonach unter den hier gegebenen
Umständen, unter denen sich die Einreise des Antragstellers vollzogen hat, dem
öffentlichen Interesse an der Einhaltung des Visumsverfahrens der Vorrang
einzuräumen ist. Als maßgeblich ist zu Recht herausgestellt worden, dass der
Antragsteller lediglich ein auf vierzehntägigen Aufenthalt begrenztes Schengenvisum zu
dem Zweck besaß, an der mündlichen Verhandlung vor dem VG C. am 20. März
2006 in seiner auf die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug erhobenen Klage
teilzunehmen zu können, und dass nach einer dem Visum beigefügten Anmerkung eine
Verlängerung im Inland grundsätzlich ausgeschlossen ist. Erforderlich wäre jedoch
nach § 6 Abs. 4 AufenthG ein zum Familiennachzug berechtigendes Visum gewesen.
Davon ausgehend ist es unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des vorliegenden
Falles sachgerecht, wenn der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der
Einhaltung der Visumsregeln den Vorzug einräumt. Denn das Verhalten des
Antragstellers ist darauf gerichtet, mit seiner Einreise "vollendete Tatsachen" zu
schaffen. Es erweist sich als treuwidrig und ist deshalb im vorliegenden Zusammenhang
nicht schützenswert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
ergeht gemäß §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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