Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.10.1998

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Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 4821/98.A
Datum:
29.10.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 4821/98.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 8a K 7453/95.A
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e
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Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen,
weil die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO iVm § 114 ZPO).
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Soweit der Kläger die Grundsatzrüge erhebt (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG), greift diese nicht durch. In der Rechtsprechung des beschließenden Senates
sind die Voraussetzungen geklärt, unter denen eine exilpolitische Betätigung in der
Bundesrepublik Deutschland eine asyl- bzw. abschiebungsrelevante Bedeutung
erlangen kann. Hiernach reicht nicht jede öffentlich zur Schau getragene Kritik, sondern
nur ein nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation
erfolgtes Auftreten aus.
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Vgl. aus neuerer Zeit etwa: OVG NW, Beschluß vom 17. April 1998 - 9 A 345/98.A -,
m.w.N.
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Konkrete Anhaltspunkte, die eine Änderung der rechtlichen Bewertung auch im Hinblick
auf die vom Kläger genannte Ergänzung zum Lagebericht Iran des Auswärtigen Amtes
vom 25. Juni 1996 bezüglich der Neufassung des islamischen Vergeltungs-Strafrechts
rechtfertigen können, sind vom Kläger nicht vorgebracht worden.
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Soweit der Kläger sich auf die Auskünfte des Bundesamtes für Verfassungsschutz in
Köln vom 1. Oktober 1997 an das VG Münster, vom 15. Dezember 1997 an das OVG
Schleswig und vom 16. April 1996 an das VG Ansbach berufen, enthalten diese im
Hinblick auf die Ausforschungstätigkeiten der iranischen Vertretungen bzw. des
iranischen Geheimdienstes nichts Neues. Auch der Senat geht - wie die genannten
Erkenntnisquellen - davon aus, daß die Bediensteten der amtlichen Vertretung bzw. des
iranischen Geheimdienstes sich bemühen, die Teilnehmer an Demonstrationen und
sonstigen Aktionen zu fotografieren und zu erfassen.
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Vgl. OVG NW, Beschluß vom 14. Januar 1997 - 9 A 5766/96.A - m.w.N..
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Daß den iranischen Nachrichtendiensten dies jedoch in bezug auf jeden Teilnehmer an
einer solchen Aktion auch tatsächlich gelingt, ist den Auskünften des Bundesamtes für
Verfassungsschutz schon nicht zu entnehmen, da es insoweit lediglich heißt:
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„Hier vorliegenden Informationen zufolge versucht (Hervorhebung des Senats) die
iranische Botschaft, alle Demonstrationen oder sonstige öffentlichen Veranstaltungen
oppositioneller Organisationen in Deutschland zu videographieren oder zu
fotographieren, um die Teilnehmer zu identifizieren und namentlich zu erfassen"
(Auskunft vom 1. Oktober 1997 an VG Münster),
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bzw.
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„Hier vorliegenden Informationen zufolge versuchen (Hervorhebung des Senats) die
hiesigen amtlichen iranischen Vertretungen (Botschaft in B. sowie vier
Generalkonsulate in H. , B. , F. /M. und M. ) alle Demonstrationen oder sonstige
öffentlichen Veranstaltungen oppositioneller Organisationen in Deutschland zu
videographieren oder zu fotographieren, um die Teilnehmer zu identifizieren und
namentlich zu erfassen.
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Das Interesse erstreckt sich auf sämtliche Teilnehmer. Die Identifizierung erfolgt zum
Teil durch Informanten innerhalb der demonstrierenden Gruppe" (Auskunft vom 1.
Oktober 1997 an VG Münster),
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und
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„Die iranischen Nachrichtendienste unternehmen umfassende Anstrengungen, mit Hilfe
einer großen Zahl angeworbener Agenten und Informanten, sowie der Unterstützung
durch amtliche und halbamtliche iranische Vertretungen und Einrichtungen in
Deutschland (u. a. Botschaft in B. sowie vier Generalkonsulate in H. , B. , F. /Main und
M. ) die Teilnehmer an Demonstrationen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen
oppositioneller Organisationen zu identifizieren. Das Interesse bezieht sich
grundsätzlich auf alle Teilnehmer. Die Identifizierung erfolgt zum Teil durch Informanten
in den Reihen der Veranstaltungsteilnehmer bzw. innerhalb der betreffenden
Gruppierungen. Dabei werden teilweise auch offen oder verdeckt Video- oder
Fotoaufzeichnungen hergestellt. Hier kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die
Aktivitäten iranischer Stellen in jedem Einzelfall zu einer Identifizierung führen."
(Auskunft vom 15. Dezember 1997 an das OVG Schleswig) sowie
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„Daher muß eine exilpolitische Betätigung eines Organisationsmitglieds nicht erst einen
bestimmten Grad erzielen, um den offiziellen iranischen Stellen zur Kenntnis zu
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gelangen, sondern ist von den Zugängen des iranischen Dienstes abhängig. Bereits die
einmalige Teilnahme eines Iraners an einer Demonstration kann (Hervorhebung durch
den Senat) ausreichen, um vom iranischen Geheimdienst erfaßt zu werden" (Auskunft
vom 16. April 1996 an VG Ansbach).
Die entscheidende Frage, inwieweit derartige Versuche der namentlichen Erfassung
von Erfolg gekrönt sind und tatsächlich jeder Teilnehmer an einer solchen Veranstaltung
namentlich erfaßt und darüber hinaus dem iranischen Sicherheitsdienst im Iran
weitergemeldet wird, bleibt nach den Auskünften gerade unbeantwortet.
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Soweit in den Auskünften des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 1. Oktober
1997 des weiteren behauptet wird, daß jeder, der gegen die islamische Republik Iran
agitiere, sich nach dortiger Auffassung strafbar gemacht habe und daher für den Fall der
Rückkehr in den Iran mit Verfolgungsmaßnahmen gerechnet werden müsse, fehlt dieser
Auskunft die erforderliche substantiierte Begründung. Die Schlußfolgerung allein von
dem Bestand einer - im übrigen in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen nicht
benannten - Strafvorschrift auf das Eintreten von asyl- bzw. abschiebungsrechtlich
relevanten Verfolgungsmaßnahmen trägt als solche nicht, da es nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf die bestehende Rechtslage,
sondern entscheidend auf deren Umsetzung in der Praxis ankommt.
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Vgl. BVerfG, Beschluß vom 12. März 1993 - 2 BvR 1353-1356/89, 1397/89 u. 1788/89 -,
InfAuslR 1992, 296.
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Zu konkreten Verfolgungsmaßnahmen im Iran auf der Grundlage von in der
Bundesrepublik gewonnenen Erkenntnissen über regimefeindliche exilpolitische
Aktivitäten finden sich in den genannten Auskünften jedoch keinerlei konkrete Hinweise.
Dem Bundesamt für Verfassungsschutz liegen offenbar überhaupt „keine Erkenntnisse
zu Strafverfahren und Verurteilungen Oppositioneller vor", bzw. ist nach eigenen
Erfahrungen „nicht davon auszugehen, daß alle im Ausland lebenden als regimekritisch
eingestuften Personen bei Iranaufenthalten verfolgt werden",
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vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Auskunft vom 2. Januar 1998 an VG Stuttgart,
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so daß die Behauptung, jeder, der gegen die islamische Republik Iran agitiere, müsse
für den Fall der Rückkehr in den Iran mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen, sich als
durch keinerlei Tatsachengrundlage gestützte bzw. widersprüchliche und damit
unbeachtliche Vermutung erweist.
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Abgesehen davon geht das Bundesamt in der vorzitierten Auskunft selbst ausdrücklich
davon aus, daß „staatliche Maßnahme u.a. von dem festgestellten Engagement der
betreffenden Person, der Einschätzung der Gefährlichkeit der Organisation, der
Bedeutung der Person allgemein (Alter, Beruf, familiäre Umstände), von ihren Kontakten
im Ausland und im Iran, sowie ggfls. von einer nachrichtendienstlichen Eignung
abhängig sein" dürften, was in der Sache der Rechtsprechung des Senats entspricht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylVfG.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 80 AsylVfG).
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