Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.09.2009

OVG NRW (recht der europäischen union, antragsteller, richtlinie, auf lebenszeit, altersgrenze, gkg, ergebnis, zeitpunkt, festsetzung, anordnung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 B 1412/09
Datum:
30.09.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 B 1412/09
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und – unter
entsprechender Änderung der erstinstanz-lichen Streitwertfestsetzung –
für das Verfahren erster Instanz jeweils auf die Stufe bis zu 40.000,00
Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
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Die von dem Antragsteller fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen es
nicht, den angefochtenen Beschluss abzuändern und – wie schon erstinstanzlich
begehrt –
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
den Antragsteller über den 30. September 2009 hinaus bis zur
rechtskräftigen Entscheidung in dem Klageverfahren VG Aachen
1 K 1437/09 längstens bis zum 30. September 2011 als Richter am
Amtsgericht zu beschäftigen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist vielmehr ungeachtet aller
weiteren Zweifelsfragen jedenfalls deshalb abzulehnen, weil der Antragsteller – wie
schon das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht ausgeführt hat – keinen
Anordnungsanspruch i.S.d. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1
ZPO glaubhaft gemacht hat.
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Der Antrag ist auf ein rechtlich nicht durchsetzbares Ziel gerichtet. Dem Antragsgegner
ist es von Rechts wegen nicht möglich, den Antragsteller bis zum 30. September 2011
als Richter am Amtsgericht zu beschäftigen. Zwar ist gemäß § 3 des Richtergesetzes für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. März 1966 (GV. NRW. S. 217), zuletzt geändert
durch Gesetz zur Änderung des Landesrichtergesetzes vom 9. Juni 2009 (GV. NRW.
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S. 341) – LRiG – für den Richter regelmäßig das vollendete sie-benundsechzigste
Lebensjahr die Altersgrenze (Abs. 1), mit der Folge, dass ein Richter auf Lebenszeit wie
der Antragsteller mit dem Ende des Monats, in welchem er diese Altersgrenze erreicht,
in den Ruhestand tritt (Abs. 2 Satz 1), ohne dass dieser Eintritt in den Ruhestand
hinausgeschoben werden kann (Abs. 3). Diese Regelaltersgrenze gilt aber nicht für den
Antragssteller, sondern nur für Richter, die am 1. Januar 1964 oder später geboren sind.
Dies ergibt sich zum einen aus der – im Falle des Antragstellers einschlägigen –
Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 LRiG, nach welcher Richter, die – wie der 1944
geborene Antragsteller – vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, die Altersgrenze mit
Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres erreichen. Zum anderen folgt die
abweichende Altersgrenze aus der die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1963 erfassenden
Staffelungsregelung des § 3 Abs. 2 Satz 3 LRiG, nach welcher sich die Altersgrenze
jahrgangsabhängig zwischen 65 Jahren plus einem Monat und 66 Jahren plus
10 Monaten bewegt. An diese Regelungen ist der Antragsgegner gebunden. Er hat
namentlich keine Handhabe, die gesetzliche Anordnung des Eintritts in den Ruhestand
zu dem jeweiligen gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt zu ändern.
Diese Regelungen des § 3 LRiG sind auch wirksam. Insbesondere verstößt die hier in
Rede stehende Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 LRiG, die die bis zum 30. Juni
2009 für sämtliche Richter geltende Regelaltersgrenze des § 3 Abs. 1 LRiG a.F. für die
Geburtsjahrgänge vor 1947 beibehalten hat, nicht gegen höherrangiges Recht.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers war der Gesetzgeber namentlich nicht aus
Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 GG) gezwungen, Richter
der soeben angeführten Geburtsjahrgänge mit weiteren zwei Jahren
Dienstleistungspflicht zu belasten. Er konnte vielmehr in Anknüpfung an die der
Regelaltersgrenze des § 3 Abs. 1 LRiG a.F. zugrunde liegenden Erwägungen davon
ausgehen, dass eine Verschonung dieses Personenkreises mit einer Verlängerung der
Dienstleistungspflicht über das Ende des Monats der Vollendung des
fünfundsechzigsten Lebensjahres hinaus in Ansehung entsprechend seit Jahrzehnten
bestehender (als schutzwürdig bewerteter) Erwartungen der Betroffenen dem durch
Fürsorge und gegenseitige Rücksichtnahme geprägten Dienstverhältnis entspricht, und
gleichgerichteten schutzwürdigen Erwartungen der Geburtsjahrgänge 1947 bis 1963
durch die in § 3 Abs. 2 Satz 3 LRiG normierte Staffelungsregelung zumindest in
zunehmend abgeschwächter Form Rechnung tragen. Zudem beruht die in § 3 Abs. 2
Sätze 2 und 3 LRiG enthaltene Staffelung der Dienstzeitverlängerung ersichtlich auf
dem Bestreben, die Folgen der von dem Gesetzgeber vor dem Hintergrund der weiter
steigenden Lebenserwartung und sinkender Geburtszahlen grundsätzlich für notwendig
erachteten Dienstzeitverlängerung abzufedern
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– vgl. insoweit die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 14/8903, S. 5 –,
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und zwar auch zugunsten der parallel laufenden Möglichkeit, weiteres (junges) Personal
einzustellen bzw. zu befördern. Den gleichen Zwecken dient damit aber auch die
Bestimmung einer Altersgrenze durch die hier einschlägige Vorschrift des § 3 Abs. 2
Satz 2 LRiG, nach der es generell bei der Regelaltersgrenze des § 3 Abs. 1 LRiG a.F.
verbleibt. Die Differenzierung nach dem Alter ist im gegebenen Zusammenhang also
durch Sachgründe gerechtfertigt, die das – grundsätzlich anzuerkennende – Bestreben
des Antragstellers, weiterhin in seinem bisherigen Beruf tätig sein zu können, nicht
unangemessen zurückstellen, sich insoweit ganz offensichtlich innerhalb des
gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums halten und damit zugleich den
Anforderungen des § 10 Sätze 1 und 2 AGG genügen.
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Der Antragsteller kann sich schon deswegen nicht mit Erfolg auf die mit der Beschwerde
herangezogenen Regelungen der §§ 3 Abs. 1, 10 Sätze 1 und 2 sowie Satz 3 Nr. 5
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG – bzw. der Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a,
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung
in Beschäftigung und Beruf, ABl. Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000, S. 16, in der Weise
berufen, dass die Anwendung des § 3 Abs. 1 LRiG oder eine modifizierte Anwendung
des § 3 Abs. 2 LRiG geboten wäre.
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Es ist darüber hinaus schon vom Grundsatz her nicht ersichtlich, dass die zitierten
Regelungen der Richtlinie (und die in Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht
geschaffenen, oben zitierten und gesetzliche Regelaltersgrenzen für Beamte und
Richter nicht einmal ansatzweise erwähnenden Vorschriften des AGG) einzelstaatliche
Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand
erfassen. Das ergibt sich mit aller Deutlichkeit aus der – bei der Auslegung maßgeblich
einzubeziehenden – Begründungserwägung (14) der Richtlinie, nach der die Richtlinie
die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den
Eintritt in den Ruhestand gerade nicht berührt. Begründungserwägungen in Befolgung
von Art. 253 EGV stellen nicht etwa unbeachtliche Programmsätze dar, sondern sind
wesentlicher Bestandteil der Richtlinie, geben für die Auslegung der in der Richtlinie
getroffenen Regelungen entscheidende Hinweise und stehen insoweit gleichberechtigt
neben Wortlaut, Systematik und dem teleologischen Gebot der praktischen Wirksamkeit.
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Vgl. etwa Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen
Union, Kommentar, Band III, Stand: Juli 2009, Art. 253 Rn. 36 f., und
Redeker/Karpenstein, Über Nutzen und Notwendigkeiten, Gesetze zu
begründen, NJW 2001, 2825 ff. (2830), jeweils m.w.N.; vgl. insoweit auch
das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Oktober 2007
Rechtssache C 411/05 (Félix Palacios de la Villa ./. Cortefiel Servicios SA),
Abdruck Rn. 44, ZBR 2008, 31 ff. (32).
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Unabhängig von dem Vorstehenden folgt aus den obigen Ausführungen zu Art. 3 GG
zugleich, dass die von dem Antragsteller ins Feld geführten Regelungen des AGG und
der Richtlinie sein Begehren auch inhaltlich nicht stützen könnten. Der Gesetzgeber war
angesichts der unterschiedlichen Interessen entweder an einem Fortbestehen aller
gleichgelagerten Statusverhältnisse oder an deren Beendigung – auch in Ansehung des
Verbotes der Altersdiskriminierung – aufgerufen, aus der Gesamtheit der Interessen und
Belange Schwerpunkte auszuwählen und zur Grundlage seiner Regelung zu machen.
Dies macht den Kern des Gestaltungsauftrages aus, in dem der Gesetzgeber nicht
deshalb in Richtung auf ein bestimmtes Ergebnis eingeengt war, weil die Bevorzugung
der gewählten Interessen zwangsläufig zu einer Benachteiligung jener Interessen
führen musste, die der Antragsteller geltend macht. Das Ergebnis der gesetzlichen
Abwägung könnte nur dann fehlerhaft sein, wenn eine an strikte Grenzen stoßende
Gestaltung gewählt worden wäre. Dafür aber spricht auch nach den Darlegungen des
Antragstellers nichts. Ist demnach eine sachlich vertretbare Regelung geschaffen
worden, so ist ohne Belang, dass der Gesetzgeber sich vertretbar anders hätte
entscheiden können.
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Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52
Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG ist
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anzuwenden, weil das Verfahren den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand
betrifft. Von einer Reduzierung des Streitwertes mit Blick auf die Vorläufigkeit des
begehrten Rechtsschutzes wird hier abgesehen, weil der Antragsteller eine im
Wesentlichen endgültige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt. Die maßgebliche
Streitwertstufe ergibt sich mithin aus einer Multiplikation des einem Richter am
Amtsgericht als weiterer aufsichtsführender Richter zustehenden Endgrundgehaltes der
Besoldungsgruppe R 2 (6.033,00 Euro) mit dem Faktor 6,5 (= 39.214,50 Euro).
Die Festsetzung für das Verfahren erster Instanz ist nach § 63 Abs. 3 GKG von Amts
wegen in Anwendung des § 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG auf denselben
Betrag anzuheben; das maßgebliche Endgrundgehalt belief sich schon im Zeitpunkt der
Einleitung des Antragsverfahrens auf 6.033,00 Euro.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und – hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung – gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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