Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.02.2009

OVG NRW: akteneinsicht, bad, verwaltungsprozess, anerkennung, einsichtnahme, verzicht, wartezeit, download, bezogener, anknüpfung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 E 1694/08
03.02.2009
Oberverwaltungsgericht NRW
13. Senat
Beschluss
13 E 1694/08
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 15 K 6940/08
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2008 wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Der Senat hält die Sache unabhängig von der Ankündigung einer Stellungnahme durch
den Bevollmächtigten der Klägerin für entscheidungsreif. Seit der Ankündigung einer "in
Kürze erfolgenden Stellungnahme" im Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 19. Januar
2009 und dessen Einsicht in die beigezogenen Unterlagen der Zentralstelle für die
Vergabe von Studienplätzen - ZVS - sind mehr als 14 Tage vergangen, ohne dass eine
Stellungnahme erfolgt ist. Das bisherige Vorbringen der Klägerin bzw. ihres
Bevollmächtigten bezog sich zudem auf die wegen des gesetzlichen Wegfalls des
Widerspruchsverfahrens vermeintliche Unmöglichkeit der Akteneinsicht und der
Klagebegründung. Diesen Erwägungen kommt aber für die Beschwerdeentscheidung
keine Relevanz zu.
Über die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die
erste Instanz entscheidet der Senat, weil insoweit keine Nebenentscheidung im Sinne des
eine Zuständigkeit des Berichterstatters des Beschwerdegerichts begründenden § 87a
Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO ansteht, sondern eine Sachentscheidung im
Rechtsmittelverfahren.
Vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21. November 2006 - 11 S 1918/06 -, NVwZ-RR
2007, 210; a. A.: Hamb. OVG, Beschluss vom 12. September 2006 - 3 Bs 387/05 -, NVwZ-
RR 2007, 211.
Die Beschwerde, über die vor dem Hintergrund eines umfangreichen Meinungsstreits zu
Fragen in Zusammenhang mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden ist,
hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe -
jedenfalls im Ergebnis - zu Recht abgelehnt. Die Ablehnung behält auch im
Beschwerdeverfahren Bestand.
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Prozesskostenhilfe kann grundsätzlich auch noch im Beschwerdeverfahren für die erste
Instanz bewilligt werden, selbst wenn diese inzwischen rechtskräftig abgeschlossen ist.
Über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unabhängig von der Entscheidung in der
Sache allein - wie noch dargelegt wird - nach den Erfolgsaussichten im Zeitpunkt der
Entscheidungs- bzw. Bewilligungsreife zu entscheiden. Der nach den übereinstimmenden
Erledigungserklärungen der Beteiligten ergangene Einstellungsbeschluss des
Verwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2008, dem ohnehin nur deklaratorischer Charakter
zukommt, steht deshalb einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren bezüglich der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz nicht entgegen. Die Klägerin war
auch nicht gehalten, mit der Abgabe einer Erklärung zur Beendigung des Verfahrens bis
nach einer Entscheidung zu ihrem Prozesskostenhilfegesuch zuzuwarten.
Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 26. März 2008- 7 D 575/08 -, DÖV 2008, 605;
Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 166 Rdnr. 46 f.
Die Frage, ob Prozesskostenhilfe auch noch nach Abschluss des Hauptverfahrens bewilligt
werden kann, stand/steht bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation nicht an. Zwar ist
am 26. November 2008, also noch vor dem Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss
des Verwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2008, ein erledigendes Ereignis in der Weise
eingetreten, dass die Klägerin an diesem Tage an der Fachhochschule E. in dem
gewünschten Studiengang eingeschrieben wurde. Dies hat jedoch nicht die Erledigung
des Verfahrens bewirkt. Diese hat sich, nachdem die Erledigungserklärung der Klägerin in
deren Schriftsatz vom 26. November 2008 gesehen wurde, vielmehr erst mit Eingang der
Erledigungserklärung des Beklagten am 13. Dezember 2008 ergeben.
Vgl. Schl.-H. OVG, Beschluss vom 28. Oktober 2003 - 3 O 27/03 -, NVwZ-RR 2004, 460;
Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 161 Rdn. 10.
Zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über den
Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin am 3. Dezember 2008 war daher das Verfahren
noch nicht beendet. Die in dem angefochtenen Beschluss an eine Verfahrensbeendigung
durch Immatrikulation der Klägerin anknüpfenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts
sind daher nicht relevant.
Eine Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 130 VwGO analog) hält
der Senat nicht für angezeigt. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klägerin
kommt auch aus der Sicht des Beschwerdegerichts und unter Berücksichtigung aller
derzeit vorliegenden Erkenntnisse nicht in Betracht. Es fehlt an dem für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe erforderlichen Merkmal der hinreichenden Erfolgsaussicht der
beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO), gegen das keine
verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
Vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 BvR
1807/07 -, NJW 2008, 1060; 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 14. Juni 2006
- 2 BvR 626/06 -, NVwZ 2006, 1156; Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 - DVBl.
1990, 926.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung
ist nach überwiegender Ansicht der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des
Prozesskostenhilfeantrags bzw. ein Zeitraum alsbald nach diesem Zeitpunkt. Da es um die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz geht, legt auch das
Beschwerdegericht diesen Zeitpunkt zu Grunde.
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Vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06
-, a. a. O.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23. April 2002 - 11 S 119/02 -, NVwZ- RR 2002,
791; Baumbach-Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 114 Rdn. 82;
Sodan/Ziekow, a. a. O., § 166 Rdnr. 77, 81.
Entscheidungsreife eines Prozesskostenhilfegesuchs ist regelmäßig anzunehmen nach
der Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen durch den Antragsteller sowie
nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2007 - 10 C 39.07, 10 PKH 16.07 -, Buchholz
310 § 166 VwGO Nr. 42; Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 119 Rdnr. 44 ff.
Mit der Vorlage aller Prozesskostenhilfe-Unterlagen einschließlich der nach § 117 Abs. 2
ZPO gebotenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat ein
Beteiligter alles aus seiner Sicht Erforderliche für eine gerichtliche Entscheidung über sein
Prozesskostenhilfegesuch getan.
In diesem Verfahren war Entscheidungsreife in dem beschriebenen Sinne mit Eingang des
Schriftsatzes des Bevollmächtigten der Klägerin vom 10. November 2008, dem die
bezeichnete Erklärung beigefügt war, am 12. November 2008 bzw. kurze Zeit danach
eingetreten. Der Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts vom
3. Dezember 2008, in dem auch der Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 26.
November 2008 berücksichtigt wurde, war demnach grundsätzlich zeitgerecht. Die
Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in diesem Beschluss wegen lediglich
beantragter Akteneinsicht und fehlender Begründung der seit dem 7. Oktober 2008
anhängigen Klage, auf Grund dessen die Erfolgsaussichten der Klage nicht beurteilbar
seien, ist aber nicht tragfähig.
Unabhängig davon, dass wegen des der Klage beigefügten Ablehnungsbescheids der
ZVS vom 1. September 2008 mit dem Inhalt, einen Härtefallantrag und einen Antrag auf
Nachteilsausgleich der Klägerin nicht anzuerkennen, der Streitgegenstand zumindest in
groben Umrissen erkennbar war, war eine weitere Begründung zur Darlegung der
Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung durch die Klägerin ohnehin nicht geboten; dies gilt
auch angesichts ihrer anwaltlichen Vertretung. Der im Verwaltungsprozess geltende
Untersuchungsgrundsatz lässt grundsätzlich die Notwendigkeit einer näheren Begründung
für einen Prozesskostenhilfeantrag entfallen und verlangt eine solche nur, wenn das
Rechtsmittel, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, seinerseits eine besondere
Begründung erfordert.
Vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 2008, § 166 Rdnr. 17 ff.
Anderenfalls würden unberechtigterweise im Rahmen eines Prozesskostenhilfegesuchs
höhere Anforderungen gestellt als bei der Klageerhebung selbst, bei der gem. § 82 VwGO
die Angabe der zur Begründung dienenden Tatsachen nicht zwingend vorgeschrieben ist.
Die Frage, ob eine beabsichtigte Rechtsverfolgung im Verwaltungsprozess hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet, lässt sich regelmäßig und in den Fällen einer nicht vorliegenden
Klagebegründung ausschließlich durch Einsicht des Gerichts in die betreffenden
Aktenvorgänge der beteiligten Behörde beantworten. Dieses Gebot hat das
Verwaltungsgericht vor der Entscheidung vom 3. Dezember 2008 nicht konsequent
umgesetzt. Die Einsicht in die Verwaltungsvorgänge war auch nicht entbehrlich angesichts
der aus einem gerichtlichen Vermerk vom 19. November 2008 erkennbaren telefonischen
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Bitte des Bevollmächtigten der Klägerin, nach Aktenlage über das
Prozesskostenhilfegesuch zu entscheiden. Dieser telefonisch erklärte Verzicht auf
Akteneinsicht ist durch die schriftliche Anfrage des Gerichts vom 19. November 2008 und
das nachfolgende Schreiben des Bevollmächtigten vom 26. November 2008, in dem um
Aktenübersendung/-einsicht zumindest "zwecks Begründung einer Klage für die
Prozesskostenhilfe" gebeten wurde, gegenstandslos geworden.
Das Beschwerdegericht hat die für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage
gebotene Akteneinsicht durchgeführt und die Akten der ZVS zu dem der Klage beigefügten
Ablehnungsbescheid angefordert und eingesehen; diese Akten wurden auch dem
Bevollmächtigten der Klägerin zur Einsichtnahme überlassen. Vorgänge des Beklagten,
der die Klägerin im Wege einer begünstigenden Einzelfallentscheidung ohne
Berücksichtigung der rechtlichen Voraussetzungen und unabhängig von deren Anträgen
auf Anerkennung besonderer Gründe zum gewünschten Studiengang zugelassen hat, sind
nicht vorhanden. Die Auswertung der Unterlagen der ZVS hat ergeben, dass die Anträge
der Klägerin durch deren Bescheid vom 1. September 2008 zu Recht abgelehnt wurden.
Nach den Unterlagen der ZVS sind von der Klägerin besondere familiäre Umstände
geltend gemacht worden, die die Annahme eines Härtefalls rechtfertigten oder zu einer
Verbesserung der Durchschnittsnote oder der Wartezeit hätten führen müssen. Nach den
Informationen in der zvs info für das Wintersemester 2008/09 und im Internet
(zvs.de/Download/Themenbezogene Einzelinformationen/Sonderanträge A, D, E, F...)
begründen ein Kind oder mehrere Kinder einer Bewerberin oder eines Bewerbers
grundsätzlich keine Härtefallzulassung zum Studium. Die im Rahmen eines möglichen
Nachteilsausgleichs erfolgte Anknüpfung an die Erwägung, ob ohne die geltend
gemachten familiären Umstände eine bessere Durchschnittsnote erreicht oder die
Hochschulzugangsberechtigung früher erlangt worden wäre, ist grundsätzlich sachgerecht
und ebenso wie die Entscheidungen, die Klägerin habe die entsprechenden Nachweise
nicht erbracht, nicht zu beanstanden. Dementsprechend bestanden zum Zeitpunkt der
Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags keine hinreichenden Erfolgsaussichten
für die Klage. Daher ist auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags nicht
begründet.
Für die vorstehende Beschwerde-Entscheidung kommt dem vom Bevollmächtigten der
Klägerin problematisierten gesetzlichen Wegfall des Widerspruchsverfahrens, auf Grund
dessen eine zeitgerechte Begründung der Klage nicht möglich gewesen sei, keine
Relevanz zu. Darauf bezogener weiterer Ausführungen bedarf es deshalb nicht.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren, in dem eine Festgebühr nach Nr.
5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz anfällt, beruht auf § 154 Abs. 2
VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).