Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.12.2000

OVG NRW: kasachstan, unbestimmte dauer, aufenthalt, heimatstaat, staatsangehörigkeit, absicht, bereinigung, begriff, einschreibung, verzicht

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 E 597/00
Datum:
20.12.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 E 597/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 454/97
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den ablehnenden
Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Juli
2000 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens; außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die gesetzlichen
Voraussetzungen für eine Zulassung gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO
nicht erfüllt sind.
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Die Ausführungen der Klägerin führen nicht zur Annahme ernstlicher Zweifel an der
Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses (§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das
Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zutreffend
mit der Begründung abgelehnt, dass die Passeinziehung zu Recht nach §§ 12 Abs. 1,
11 Nr. 2, 1 Abs. 1 Satz 1 PassG erfolgt ist, weil die Klägerin nicht Deutsche i.S.v. Art.
116 Abs. 1 GG ist. Das Vorbringen in der Antragsschrift rechtfertigt keine hiervon
abweichende Betrachtungsweise.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von
Fragen der Staatsangehörigkeit (StAngRegG) vom 22. Februar 1955 in der zum
Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides vom 18. Dezember 1996
geltenden Fassung vom 18. Juli 1979 (BGBl. I S. 1061) auf sie anwendbar. Danach
verliert ein Deutscher, der die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt, die
Rechtsstellung eines Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, wenn er Deutschland
freiwillig wieder verlassen und seinen dauernden Aufenthalt in dem fremdem Staat
genommen hat, aus dessen Gebiet er vertrieben worden ist, oder in einem anderen der
in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG - genannten Staaten.
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Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Klägerin als Spätaussiedlerin
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Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG geworden ist, ohne die deutsche
Staatsangehörigkeit zu besitzen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG i.d.F. des Gesetzes zur
Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen vom 21. Dezember 1992 - BGBl. I S. 2094 -). Der
vom Landratsamt D. zum Zwecke der Vorlage bei der Deutschen Botschaft in B.
/Kasachstan ausgestellten Bescheinigung vom 26. Oktober 1995 ist zu entnehmen,
dass die Klägerin nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Juli 1993
als deutsche Volkszugehörige gemäß § 4 Abs. 1 BVFG eingetragen worden ist.
Infolgedessen wurde sie nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG Deutsche i.S.v. Art. 116 Abs. 1
GG. Anhaltspunkte dafür, dass sie außerdem in den deutschen Staatsverband
eingebürgert worden ist, bestehen nicht. Sie hatte mithin zunächst die Stellung als sog.
Statusdeutsche erworben.
Zum Begriff vgl.: Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 12.
Lieferung, Juni 1998, Art. 116 GG Rn. 16; Hailbronner/Renner,
Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Aufl. 1998, Art. 116 GG Rn. 21.
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Ist die Klägerin als Spätaussiedlerin nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG Statusdeutsche
geworden, so konnte sie diese Eigenschaft in den Jahren 1993 - 1996 nach § 7
StAngRegG a.F. - vgl. zu der derzeit, seit dem 1. August 1999 geltenden Rechtslage: §§
7, 40 a StAG - grundsätzlich auch wieder verlieren. Hätte der Gesetzgeber die
Anwendung des § 7 StAngRegG a.F., der die Voraussetzungen des Verlustes der
Rechtsstellung als Deutscher unterschiedslos für alle Statusdeutschen regelt, für den
Personenkreis der Spätaussiedler ausschließen wollen, so hätte er eine solche Absicht
in § 4 BVFG zum Ausdruck gebracht. Ein entsprechender Wille lässt sich auch aus den
Gesetzesmaterialien nicht erschließen. Der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen, mit dem der neue Rechtsbegriff der
Spätaussiedler geschaffen wurde, ist lediglich zu entnehmen, dass jene Personen
Deutsche im Sinne des Art. 116 GG sind, nicht aber, dass ein Verlust dieser
Rechtsstellung nicht in Betracht käme.
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BT-Drucks. 12/3212, S. 22; vgl. auch: Zusammenstellung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Bereinigung von Kriegsfolgesetzen mit den Beschlüssen des Innenausschusses,
BT-Drucks. 12/3597, S. 46.
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Auch Sinn und Zweck des § 4 BVFG stehen der Anwendung des § 7 StAngRegG a.F.
nicht entgegen. Wenn derjenige, der als Spätaussiedler seinen Heimatstaat verlassen
hat, sich wieder in dessen Einzugsbereich begibt, so bedarf er des Schutzes durch die
Rechtsstellung nach Art. 116 Abs. 1 GG ebenso wenig wie der Vertriebene oder
Flüchtling i.S.d. §§ 1-3 BVFG.
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Zum letztgenannten Personenkreis vgl. BT- Drucks. 2/44, S. 9; Hailbronner/Renner,
Staatsangehörigkeitsrecht, § 7 StAngRegG Rn. 6.
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Der Gesetzgeber ist nämlich bei Schaffung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes
davon ausgegangen, dass auch die Spätaussiedler von den Verfolgungs- und
Vertreibungsmaßnahmen infolge des Zweiten Weltkrieges grundsätzlich betroffen
waren und erst nach einer gewissen Liberalisierung der Verhältnisse in ihrem
Heimatstaat für ihre Person die Konsequenzen ziehen konnten. Somit sieht er - wie
auch die Aufnahme dieses Personenkreises in das Bundesvertriebenengesetz zeigt -
sie als Personen an, die ihre Heimat wie die Vertriebenen im engeren Sinne wegen
eines Kriegsfolgenschicksals verlassen.
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Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT- Drucks. 12/3212, S. 22.
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Nimmt eine solche Person nach der Aufnahme in Deutschland ihren dauernden
Aufenthalt wieder in ihrem Heimatstaat, so dokumentiert sie damit, dass sie des
Schutzes, den ihr die Bundesrepublik Deutschland durch § 4 BVFG zuteil werden lässt,
nicht bedarf.
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Ist der Rückgriff auf § 7 StAngRegG a.F. damit zulässig, liegen auch dessen sonstige
Voraussetzungen vor: Die Klägerin hat die Bundesrepublik Deutschland freiwillig
wieder verlassen und ihren dauernden Aufenthalt in Kasachstan als dem Staat, den sie
aufgrund eines Kriegsfolgenschicksals verlassen hat, genommen. Ihr Entschluss, im
Oktober 1993 nach Kasachstan zurückzukehren, beruhte auf ihrer freien
Willensentschließung und nicht auf äußerem Zwang. Sie hat auch ihren dauernden
Aufenthalt in Kasachstan genommen. Der Begriff des dauernden Aufenthalts ist durch
eine Kombination von zeitlichem und subjektivem Element geprägt.
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Vgl. Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, § 7 StAngRegG Rn. 8.
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Für das subjektive Element ist nicht allein der innere Wille, sondern in erster Linie die
nach außen erkennbare Absicht des in seinen Heimatstaat Zurückgekehrten
ausschlaggebend. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist in Übereinstimmung mit
dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass die Klägerin, die die kasachische
Staatsangehörigkeit besitzt, zu erkennen gegeben hat, ihren Wohnsitz auf unbestimmte
Dauer wieder nach Kasachstan zu verlegen, nämlich durch ihren Verzicht auf den
Rückflug nach Deutschland, die Einschreibung für ein Studium, die Gründung einer
Familie und den bis zum erneut dokumentierten Ausreiseentschluss rund zweijährigen
Verbleib in Kasachstan mit ihrem Ehemann angesichts der Weigerung ihrer
Schwiegereltern, diesem die Ausreise zu gestatten. Dieser Annahme stehen die von der
Klägerin angegebenen familiären Schwierigkeiten, die sie zum Verbleib in Kasachstan
veranlasst haben und die auch der Senat nicht verkennt, nicht entgegen. Auch wenn die
Klägerin nach ihrem kurzfristigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland diese
zunächst mit der Absicht verlassen hat, mit ihrem damaligen Freund und heutigen
Ehemann zurückzukehren, hat sie diesen Willen jedenfalls für einen Zeitraum von ca.
zwei Jahren nicht umgesetzt. Vielmehr hat sie ihren Lebensmittelpunkt durch die oben
beschriebenen Umstände wieder nach Kasachstan verlegt. Der (bloße) innere Wille,
eines Tages erneut nach Deutschland einzureisen, vermag die subjektive Komponente
des Begriffs des dauernden Aufenthalts nicht in Frage zu stellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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