Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.11.1996

OVG NRW (grundstück, negative feststellungsklage, reinigung, fremde sache, länge, breite, stadt, umfang, zufahrt, zugang)

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 5984/94
Datum:
11.11.1996
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 A 5984/94
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 7 K 1747/91
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Parteien den Rechtsstreit in
der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Insofern ist das angefochtene
Urteil wirkungslos.
Im übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen mit der
Maßgabe, daß festgestellt wird, daß die Klägerin zur Reinigung des ...
nicht verpflichtet ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen II. Instanz. Diese trägt
ihre außergerichtlichen Kosten I. Instanz selbst.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Parteien streiten darüber, ob und in welchem Umfang die Klägerin zur
Straßenreinigung verpflichtet ist.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstück ... in ..., das mit seiner Ostseite in einer
Länge von etwa 134 m an den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten, in Nord-Süd-
Richtung verlaufenden ... angrenzt und durch diesen erschlossen wird. Der ... mündet an
der Südecke des Grundstücks der Klägerin in die ... ... ein. Der ... ist im Bereich des
Grundstücks der Klägerin in einer Breite von 5,... m bis 6,50 m ausgebaut, bestehend
aus einem 1,50 bis 2 m breiten asphaltierten Streifen (auf der Seite des Grundstücks der
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Klägerin), einer 0,50 cm breiten gepflasterten Entwässerungsrinne und einer 3,... m bis 4
m breiten asphaltierten Fahrspur. An der Ostseite des ... - beginnend an der ... - grenzt
auf einer Länge von ca. 95 m das mit alten Bäumen bestandene, waldartige Gelände
der Beigeladenen an, das zum ... hin mit einem Maschendrahtzaun eingefriedet ist.
Daran schließt sich nördlich, beginnend mit einer Zufahrt, das bebaute Gelände ... (... ...)
an. Der gesamte Bereich östlich des ... ist im Landschaftsplan 1988 als
Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Nach den textlichen Festsetzungen des
Landschaftsplans sind u.a. verboten die gänzliche oder teilweise Beseitigung oder
Beschädigung von Bäumen, Hecken, Feld- oder Ufergehölzen.
Auf Beschwerden anderer Anlieger des ... wies der Beklagte die Klägerin auf die ihr
obliegende Straßenreinigungspflicht hin. Daraufhin verlangte die Klägerin durch
Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 29. Mai 1991, daß der Beklagte durch
einen rechtsmittelfähigen Bescheid festlege, ob und in welchem Umfang sie zur
Reinigung des ... verpflichtet sei. Diesen Bescheid erließ der Beklagte unter dem 17.
Juni 1991 und stellte darin unter Hinweis auf die Satzung über die Straßenreinigung
und die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren der Stadt ... (StrRGS) vom 9.
Dezember 1987 i.d.F. des 3. Nachtrags vom .... Dezember 1990 fest, daß die Klägerin -
abgesehen von der der Stadt obliegenden Winterwartung bezüglich der Fahrbahn - im
übrigen zur Reinigung des ... (in voller Breite) verpflichtet sei, weil das Grundstück der
Beigeladenen nicht durch den ... erschlossen werde.
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Mit ihrem Widerspruch wandte sich die Klägerin vor allem dagegen, daß sie den ...
allein reinigen solle und verlangte den Erlaß einer entsprechenden Verfügung gegen
die Beigeladene. Dies lehnte der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 24.
September 1991 ab und wies ergänzend darauf hin, daß das Grundstück der
Beigeladenen im Außenbereich liege.
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Mit der rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei durch die
Verpflichtung zur Straßenreinigung unverhältnismäßig stark belastet. Abgesehen davon,
daß kein Reinigungsunternehmen einen entsprechenden Auftrag übernehmen wolle,
sei der finanzielle Aufwand für die Durchführung der Reinigung enorm. Laut Angebot
eines Reinigungsunternehmens vom 31. Januar 1994 betrage die monatliche Belastung
für die Reinigung ohne Winterwartung einschließlich Mehrwertsteuer etwa 3.000,00 DM.
Die Erfüllung der Straßenreinigungspflicht gehe über die normalen Bürgerpflichten
hinaus und stelle einen enteignungsgleichen Eingriff dar. Im übrigen seien Art. 12 Abs. 2
Satz 1 GG, Art. 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie Art. 4 Abs. 2 der
Menschenrechtskonvention verletzt. Die Übertragung der Reinigungspflicht überschreite
eindeutig die Opfergrenze und sei deshalb nicht zumutbar. Das Grundstück der
Beigeladenen befinde sich innerhalb der geschlossenen Ortslage. Es sei ebenfalls
durch den ... erschlossen, da eine Zugangs- und sogar eine Zufahrtsmöglichkeit
gegeben sei. Deshalb sei jedenfalls nur die halbe Straßenfläche von ihr, der Klägerin,
zu reinigen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 17. Juni 1991 i.d.F. des Widerspruchsbescheides
vom 24. September 1991 aufzuheben, hilfsweise, die Bescheide insoweit aufzuheben,
als ihr auferlegt werde, die Straßenreinigungspflicht über die Straßenmitte hinaus
wahrzunehmen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat geltend gemacht, die Reinigungspflicht der Klägerin ergebe sich aus der
Straßenreinigungssatzung. Das Grundstück der Beigeladenen sei wegen des
rechtlichen und tatsächlichen Fehlens einer Zugangsmöglichkeit nicht als im Sinne der
städtischen Straßenreinigungssatzung vom ... erschlossen anzusehen.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und geltend gemacht, ihr Grundstück sei
durch den ... nicht erschlossen.
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Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen
wird, hat das Verwaltungsgericht der Klage im wesentlichen mit der Begründung
stattgegeben, die Klägerin sei nicht zur Reinigung verpflichtet, weil der ... nicht zu den
nach § 1 Straßenreinigungsgesetz NW zu reinigenden Straßen gehöre. Er liege nämlich
nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.v. § 34 BauGB und
damit auch nicht innerhalb der geschlossenen Ortslage i.S.v. § 1
Straßenreinigungsgesetz NW.
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Mit der rechtzeitig eingelegten Berufung macht der Beklagte geltend, das
Verwaltungsgericht habe verkannt, daß der Begriff „innerhalb der geschlossenen
Ortslagen" des § 1 StrReinG NW straßenrechtlich zu verstehen sei und mit dem Begriff
des im Zusammenhang bebauten Ortsteils nach § 34 BauGB nichts zu tun habe. Nach
diesem Maßstab liege der ... in voller Länge innerhalb der geschlossenen Ortslage, weil
das freie Gelände nach den gröberen Umrissen des örtlichen Bebauungsbereichs im
hier streitigen Bereich östlich des ... einsetze, nämlich dort, wo auch die Grenze des
Landschaftsschutzgebietes verlaufe. Er meint, die Belastung der Klägerin durch die
Verpflichtung zur Reinigung der Straße in gesamter Breite sei auch unter
Berücksichtigung des vermehrten Laubanfalls im Herbst zumutbar. Er scheint
inzwischen der Ansicht zu sein, daß sich im nördlichen Bereich des Grundstücks der
Klägerin, beginnend mit der südlichen Zufahrt des Grundstücks ... (... ...), die
Reinigungsverpflichtung der Klägerin nur noch bis zur Straßenmitte erstrecke.
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Nachdem die Klägerin ihren Klageantrag dahin umgestellt hat
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festzustellen, daß sie nicht zur Reinigung des ... verpflichtet sei, hilfsweise, daß sich ihre
Verpflichtung zur Straßenreinigung nur bis zur Straßenmitte erstrecke,
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und der Beklagte seinen Bescheid vom 17. Juni 1991 aufgehoben hat, haben die
Parteien den Rechtsstreit bezüglich der Aufhebung des Bescheides in der Hauptsache
für erledigt erklärt.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht weiter geltend, daß es für sie
unzumutbar sei, ein so langes Straßenstück - noch dazu in voller Breite - reinigen zu
müssen. Sie selbst sei dazu tatsächlich nicht in der Lage, bei Beauftragung eines
Fremdunternehmens entstünden untragbare Kosten (monatlich mindestens 3.000,00
DM).
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Die Beigeladene beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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hilfsweise,
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den Hilfsantrag der Klägerin zurückzuweisen.
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Sie meint, sie sei nicht reinigungspflichtig, weil ihr Grundstück zum ... weder einen
Zugang noch eine Zugangsmöglichkeit habe und deshalb jedenfalls durch den ... nicht
erschlossen werde.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen
wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vom Beklagten überreichten
Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Nachdem die Parteien den Rechtsstreit bezüglich der ursprünglich erhobenen
Anfechtungsklage übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war
das Verfahren insoweit einzustellen und analog §§ 92 Abs. 2, 173 VwGO i.V.m. § 269
Abs. 3 Satz 1 ZPO auszusprechen, daß das angefochtene Urteil diesbezüglich
wirkungslos ist.
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Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
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Die zulässigerweise gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 ZPO umgestellte Klage ist als
allgemeine (negative) Feststellungsklage (§ 43 VwGO) zulässig.
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Zwischen den Parteien herrscht Streit über das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen
Rechtsverhältnisses, nämlich darüber, ob die Klägerin öffentlich-rechtlich - und zwar
qua Satzung - zur Reinigung des an ihr Grundstück angrenzenden ... - ganz oder
teilweise - verpflichtet ist. Sie hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen
Feststellung, weil der Beklagte die Erfüllung der angeblichen Verpflichtung bereits
angemahnt hat und sie damit rechnen muß, daß er sie mit weiteren Maßnahmen
(Einleitung von Bußgeldverfahren) überzieht, falls sie die Reinigungsarbeiten nicht
durchführen läßt. Eine anderweitige Klärung im Rahmen einer Gestaltungs- oder
Leistungsklage (§ 43 Abs. 2 VwGO) erscheint nicht möglich. Insbesondere kann die
Klägerin nicht darauf verwiesen werden, den Erlaß eines befehlenden oder
feststellenden Verwaltungsaktes des Beklagten abzuwarten. Denn das
Straßenreinigungsgesetz Nordrhein-Westfalen (StrReinG NW) bietet keine
Anhaltspunkte dafür, daß eine Kommune, wenn sie die Straßenreinigungspflicht
wirksam durch Satzung auf die Anlieger übertragen hat, in ihrer Eigenschaft als lediglich
ursprünglich nach § 1 StrReinG NW verpflichtete Körperschaft - also im Vorfeld eines
etwaigen Einschreitens als Ordnungsbehörde bei Überschreiten der Gefahrengrenze -
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die Sachkompetenz hat, den nunmehr reinigungspflichtigen Bürger durch
Verwaltungsakt zur Einhaltung seiner satzungsmäßigen Reinigungspflicht anzuhalten
oder den Umfang der satzungsmäßigen Reinigungspflicht festzustellen.
Die negative Feststellungsklage ist begründet.
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Eine Verpflichtung der Klägerin zur Reinigung des ... besteht nicht. Denn die
Straßenreinigungs- und Gebührensatzung der Stadt ... (StrRGS) ist nichtig, soweit sie
den Anliegern des ... Reinigungsverpflichtungen auferlegt. Die Unwirksamkeit beruht
allerdings nicht darauf (1.), daß - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - der ...
keine innerhalb der geschlossenen Ortslagen von ... liegende Straße (vgl. § 1 StrReinG
NW) wäre. Vielmehr folgt die Unwirksamkeit aus dem Umstand (2.), daß der Umfang der
den Anliegern des ... übertragenen Fahrbahnreinigung durch die gesetzliche
Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Satz 2 StrReinG NW nicht gedeckt ist, wonach die
Gemeinden die Reinigung der Fahrbahnen den Eigentümern der an die Straße
angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke (nur) übertragen können,
soweit dies unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse zumutbar ist. Die
Unwirksamkeit der Satzungsregelung über die Fahrbahnreinigung erfaßt (3.) auch die
Regelung über die Gehwegreinigung.
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Zu 1.: Der als öffentliche Straße gewidmete ... liegt innerhalb der geschlossenen
Ortslagen von .... Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats
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vgl. Urteile vom 28. September 1989 - 9 A 1974/87 - NWVBl 1990, 163 sowie vom 2.
März 1990 - 9 A 943/87 -
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dient der in § 1 StrReinG NW verwendete Begriff „innerhalb der geschlossenen
Ortslagen" der straßenrechtlichen Abgrenzung der Streckenlängen einer Straße
danach, ob bestimmte Streckenlängen einer Straße oder die Straße als ganzes
innerhalb eines solchen Gebietes liegt oder außerhalb, d.h. straßenrechtlich im freien
Gelände. Für diese Abgrenzung ist - wie der Senat ebenfalls aaO entschieden hat - in
Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 5 Bundesfernstraßengesetz, § 5 Straßen- und
Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen abzustellen auf einen weitläufigen
Rahmen örtlicher Bebauung, die sich nur nach den gröberen Umrissen des örtlichen
Bebauungsbereichs gegenüber dem freien Gelände absetzen muß. Die Frage, ob die
an die Straße angrenzenden Grundstücke ihrerseits innerhalb eines im Zusammenhang
bebauten Ortsteils i.S.v. § 34 Baugesetzbuch liegen , spielt für die Abgrenzung, ob die
betreffende Straße in einem Gebiet nach § 1 StrReinG NW liegt, keine Rolle.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen läßt sich hier anhand der vorgelegten Karten
(Maßstab 1:5000) und sonstigen Plänen feststellen, daß der bebaute Bereich des
Ortsteils „..." der Stadt ... den gesamten keilförmigen Raum zwischen der ... (im Westen)
und dem ... im Osten (von der südlichen Einmündung in die ... - Grundstück der Klägerin
- bis zur Höhe der Häuser ... Nr. ... und ... ) erfaßt. Die an diesem Streckenabschnitt des
... durchgängig vorhandene einseitige Bebauung an der Westseite weitet sich im
Bereich ... (... Nr. ...) sogar nach Osten zu einer beidseitigen Bebauung aus. Auch in
Höhe der nördlichen Einmündung des ... in die ... ist Bebauung an der Ostseite des ...
anzutreffen. Da einseitige Bebauung oder der Bebauung entzogenes Gelände - wie es
im nördlichen, von der ... und ... gebildeten Keil teilweise anzutreffen ist - den
Zusammenhang der geschlossenen Ortslage nicht unterbrechen, liegt der ... seiner
gesamten Länge nach, also von der Abzweigung von der ... im Norden bis zur
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Einmündung in die ... im Süden, innerhalb der geschlossenen Ortslage von ...-....
Zu 2.: Die in §§ 2, 3 StrRGS i.V.m. dem dazugehörigen Straßenverzeichnis angeordnete
Übertragung der Reinigung der Fahrbahn des ... - abgesehen von der bei der Stadt
verbliebenen Winterwartung - nach der Reinigungsklasse S 9 (= einmal wöchentlich das
ganze Jahr über) auf die Eigentümer der an den ... angrenzenden und durch ihn
erschlossenen Grundstücke - und zwar bezüglich der gesamten Breite der Straße,
wenn, wie teilweise im vorliegenden Fall, auf der gegenüberliegenden Straßenseite
keine erschlossenen Grundstücke liegen - ist durch die gesetzliche Ermächtigung des §
4 Abs. 1 Satz 2 StrReinG NW nicht gedeckt. Danach können die Gemeinden die
Fahrbahnreinigung übertragen, soweit dies unter Berücksichtigung der
Verkehrsverhältnisse zumutbar ist. Die insoweit den Gemeinden eingeräumte Befugnis
(„können") zur Übertragung der Fahrbahnreinigung ist wie jedes staatliche Handeln an
den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, d.h. eine Übertragung
auf die Gruppe der Anlieger ist unzulässig, wenn sie für die durch die Regelung erfaßten
Grundeigentümer eine unverhältnismäßige Belastung darstellt oder - mit anderen
Worten - unzumutbar ist. Der 2. Halbsatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 StrReinG NW greift
insoweit lediglich einen speziellen Aspekt des allgemeinen Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit auf. Aus dem Fehlen eines solchen Halbsatzes in § 4 Abs. 1 Satz 1
StrReinG NW betreffend Gehwegreinigung wird allerdings deutlich, daß der
Gesetzgeber im Regelfall die Übertragung der Gehwegreinigung - unter verkehrlichen
Gesichtspunkten - für zumutbar hält.
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Die Übertragung der Fahrbahnreinigung bezüglich der gesamten Breite des ... auf dem
Streckenabschnitt, auf dem an der Ostseite das Grundstück der Beigeladenen in einer
Länge von 95 m angrenzt, auf die Anlieger der gegenüberliegenden Straßenseite ist für
diese zeitweise unzumutbar, nämlich während der Hauptzeit des Laubfalls, und insoweit
unverhältnismäßig.
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Daß auf dem ca. 95 m langen Streckenabschnitt die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2
StrRGS nicht greift, wonach, wenn die Grundstückseigentümer beider Straßenseiten
reinigungspflichtig sind, sich die Reinigung nur bis zur Straßenmitte erstreckt, folgt
daraus, daß das Grundstück der Beigeladenen nicht durch den ... erschlossen ist. Nach
der ständigen Rechtsprechung des Senats ist ein Grundstück i.S.v. § 3 StrReinG NW
durch eine öffentliche Straße erschlossen, wenn von der Straße rechtlich und
tatsächlich für Fahrzeuge eine Zufahrtsmöglichkeit oder auch nur fußläufig eine
Zugangsmöglichkeit besteht und dadurch die Möglichkeit einer innerhalb geschlossener
Ortslagen üblichen und sinnvollen wirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks eröffnet
wird.
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Vgl. Urteil des Senats vom 15. Dezember 1995 - 9 A 3499/95 -.
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Wie die Beweisaufnahme (Ortsbesichtigung) vor dem Verwaltungsgericht ergeben hat
(und wie sich auch aus den vorgelegten Fotos ergibt), hat das Grundstück der
Beigeladenen weder Zufahrt noch Zugang zum ..., sondern ist durch einen
Maschendrahtzaun in voller Länge zum ... abgesperrt. Für die Beigeladene besteht
gegenwärtig auch rechtlich keine Möglichkeit, eine Zufahrt oder einen Zugang
nachträglich zu schaffen. Das Grundstück liegt ausweislich des vorgelegten
Landschaftsplans in einem Landschaftsschutzgebiet. Nach den textlichen
Festsetzungen des Landschaftsplans sind im festgesetzten Landschaftsschutzgebiet
insbesondere verboten „die gänzliche oder teilweise Beseitigung oder die
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Beschädigung von Bäumen, Hecken, Feld- oder Ufergehölzen". Da das Grundstück der
Beigeladenen im Bereich des Angrenzens an den ... - wie die vorgelegten Fotos zeigen
- dicht mit Bäumen und Sträuchern bestockt ist, die teilweise entfernt werden müßten,
wenn nachträglich ein Zugang oder eine Zufahrt angelegt werden sollte, ist die
Beigeladene gegenwärtig aus Rechtsgründen gehindert, nachträglich einen Zugang
oder eine Zufahrt zu schaffen. Ihr Grundstück ist demnach nicht durch den ...
erschlossen.
Die danach den Eigentümern der an der gegenüberliegenden Straßenseite (Westseite)
des ... angrenzenden und - wie das Grundstück der Klägerin - durch den ...
erschlossenen Grundstücke auferlegte Reinigung der Straße im ganzen, und damit
auch der Fahrbahn in voller Breite, ist für die betroffenen Eigentümer während der
Hauptzeit des Laubfalls unzumutbar, weil unverhältnismäßig. Dies ergibt sich aus
folgendem:
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Die besondere Erwähnung der Zumutbarkeit unter verkehrlichen Gesichtspunkten als
Begrenzung der Übertragungsmöglichkeit der Fahrbahnreinigung auf die Anlieger in § 4
Abs. 1 Satz 2 StrReinG NW läßt als Zweck der gesetzlichen Regelung erkennen, eine
Überbürdung der Anlieger mit Pflichten zu vermeiden, die keine Entsprechung mit den
gewöhnlichen Vorteilen haben, die die Straße ihnen aufgrund ihrer
Erschließungsfunktion bietet.
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Vgl. Walprecht/Brinkmann, Straßenreinigungsgesetz NW, Kommentar, 3. Auflage, § 4
Rdnr. 132 und 133.
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Als Unzumutbarkeitgrund unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse kommt
insoweit der Gesichtspunkt in Betracht, daß die Gefährdung einer Privatperson bei
Reinigungsarbeiten auf der Fahrbahn durch den auf der Straße liegenden
Fahrzeugverkehr zu groß ist oder, daß die Stärke und Art des Fahrzeugverkehrs
maßgeblich durch andere Faktoren (etwa Durchgangsverkehr) als die
Erschließungsfunktion für die Anlieger bestimmt ist und damit den Anliegern Lasten
übertragen werden, deren Erfüllung in diesem Umfang nicht mehr in seinem Interesse,
sondern im Allgemeininteres-se liegt. Eine Unzumutbarkeit der Lastenübertragung und
damit ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann sich
auch aus anderen Gründen als denen der Verkehrsverhältnisse ergeben, nämlich dann,
wenn der Umfang der Reinigungspflicht maßgeblich durch Umstände geprägt ist, die mit
der normalen Erschließungsfunktion der Straße und einem darauf ruhenden Verkehr
nichts zu tun haben, so daß die Durchführung der Straßenreinigung eine vorwiegend im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe ist, hinter dem die grundstücksbezogenen
Interessen der Anlieger zurücktreten. So liegt der Fall hier. Der Streckenabschnitt des
...es im Bereich des angrenzenden Grundstücks der Beigeladenen ist dadurch geprägt,
daß er nur einseitig (auf der Seite der Klägerin) bebaut ist, daß das Grundstück der
Beigeladenen durch den ... nicht erschlossen ist, dieses Grundstück (neben anderen)
aus im Allgemeininteresse liegenden Gründen unter Landschaftsschutz gestellt ist und
gerade dieses Grundstück wegen eines dichten und waldartigen Bewuchses zu
bestimmten Zeiten (Hauptzeitraum des Laubfalls) in einem Maße zur Verschmutzung
des ... beiträgt, die mit der Funktion des ... als Erschließungsstraße und der normalen
Verschmutzung einer solchen Straße durch die Anlieger und den durch sie veranlaßten
Verkehr nichts zu tun hat. Daß ein auf einer Länge vom 95 m an eine Straße
grenzendes waldartiges Gelände zur Laubfallzeit erheblichen Laubanfall verursacht, der
bei weitem den Laubanfall übersteigt, der durch Bäume und Sträucher in Vorgärten oder
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durch einzelne Straßenbäume verursacht wird, bedarf keiner weiteren Ausführung und
wird durch die von der Klägerin vorgelegten Fotos eindrucksvoll belegt. Die Belastung
der Anlieger durch die Reinigungslast besteht bei Laubfall nicht nur darin, daß das
liegen gebliebene Laub von der gesamten Straßenfläche weggefegt werden muß,
sondern auch darin, daß das Laub anschließend entsorgt werden muß. Während bei
einer gewöhnlichen städtischen Erschließungsstraße - auch mit Straßenbaumbewuchs -
der Laubanfall sich in Grenzen hält und notfalls nach und nach entsorgt werden kann,
erfordert der Laubanfall aus einem waldartigen Gelände besondere Vorkehrungen zum
Sammeln, Zwischenlagern und Verbringen zur Abfallannahmestelle. Die Durchführung
einer solchen Reinigungslast in dem genannten Zeitraum aus im öffentlichen Interesse
liegenden Gründen ist für jeden Grundstückseigentümer unzumutbar.
Im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin sei zur Klarstellung darauf hingewiesen, daß
sich eine Unzumutbarkeit für die Klägerin nicht daraus ergibt, daß ihr Grundstück eine
verhältnismäßig lange angrenzende Frontlänge von 135 m zum ... hat. Eine den
Straßenanliegern auferlegte Pflicht zur Gehwegreinigung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StrReinG
NW) und/oder Fahrbahnreinigung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 StrReinG NW) ist kein persönlich
zu erfüllender Hand- oder Spanndienst i.S.v. Art. 12 Abs. 2 Grundgesetz (GG), sondern
eine ihnen als Grundeigentümern auferlegte Last, eine fremde Sache - die Straße - in
einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten. Auf welche Weise der Eigentümer
dieser Pflicht nachkommt, ist ihm überlassen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. August 1965 - 1 C 78.62 - NJW 1966, 170;
Walprecht/Brinkmann, a.a.O. § 4 Rdnr. 114 m.w.N.
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Insoweit gilt, daß - wer wie die Klägerin ein großes Grundstück sein eigen nennt - nicht
nur die damit verbundenen Vorteile genießen darf, sondern auch die damit verbundenen
Lasten tragen muß.
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Zu 3.: Die Unwirksamkeit der Übertragung der Reinigungsverpflichtung bezüglich der
Gesamtfahrbahn für einen bestimmten Zeitraum des Jahres bezüglich eines bestimmten
Streckenabschnitts des ... führt im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 139 BGB zur
Gesamtnichtigkeit der Regelung, unbeschadet des Umstandes, daß eine Übertragung
der Fahrbahnreinigung auf die Anlieger für andere Strecken des ... oder für andere
Zeiträume sowie der Gehwegreinigung längs des gesamten ... zulässig wäre. Aus der
Satzungsregelung, wonach jede von der Stadt nach § 1 StraßenReinG NW zu
reinigende Straße einer bestimmten Reinigungsklasse zugeordnet wird (beispielsweise
der ... der Klasse S 9), folgt, daß der Satzungsgeber bisher für jede Straße eine
einheitliche Regelung vorgesehen und eine Aufspaltung der Reinigungsverpflichtung
nach Jahreszeiträumen oder Streckenabschnitten an ein und derselben Straße nicht ins
Auge gefaßt hat. Eine solche nicht gewollte Aufspaltung würde vorgenommen, wenn die
Satzungsregelung lediglich bezüglich des Streckenabschnitts längs des Grundstücks
der Beigeladenen entweder ganz oder für einen bestimmten Zeitraum des Jahres
aufgehoben würde. Die Aufhebung allein der materiellen Satzungsregelung, wonach
die Fahrbahnreinigung auf Anlieger übertragen wird, ist ebenfalls nicht möglich, weil die
Satzung die Reinigung nur nach bestimmten Reinigungsklassen vorsieht und im Falle
einer solchen materiellen Aufhebung der Satzungsregelung nicht ersichtlich wäre, in
welche Reinigungsklasse der ... nunmehr eingestuft ist.
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Nach alledem war der Klage entsprechend dem geänderten Antrag stattzugeben und
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des streitig entschiedenen Teils aus §§ 154
Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils aus § 161 Abs. 2
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2
VwGO nicht gegeben sind.
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