Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.09.1999

OVG NRW: windenergieanlage, wohnhaus, auflage, lärm, aufschiebende wirkung, gebäude, grundstück, einwirkung, abschlag, gewächshaus

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 1283/99
Datum:
03.09.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 1283/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 10 L 2107/98
Tenor:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur
Hälfte einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 20.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Im E. 62 in W. . Das Grundstück ist
an seiner südöstlichen Grenze mit einem Wohnhaus bebaut. Die Antragstellerin und der
Antragsteller, ihr Sohn, bewohnen je eine Wohnung in dem Haus. Eine
Einliegerwohnung ist vermietet. Die Wohnzimmer und vorgelagerte Terrassen liegen an
der Ostseite des Hauses. Auf dem Grundstück ist nordwestlich des Wohnhauses ein
großes, verpachtetes Gewächshaus errichtet.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks In der L. 5. Das Grundstück ist mit
einem Wohnhaus bebaut. Die Antragstellerin hat ein Nießbrauchsrecht an dem Haus.
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Der Beigeladene ist Inhaber einer landwirtschaftlichen Hofstelle auf dem Grundstück Im
E. 78 in W. . Er errichtete in der Nähe seiner Hofstelle eine Windenergieanlage mit einer
Nabenhöhe von 65 m, einem Rotordurchmesser von gut 40 m und einer Nennleistung
von 500 kW. Die Windenergieanlage ist in einer Entfernung von rund 225 m nordöstlich
des Wohnhauses der Antragstellerin und rund 310 m südöstlich des Hauses In der L. 5
errichtet.
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Der Beigeladene legte ein schalltechnisches Gutachten vor. Es beruht auf Messungen
beim Betrieb der bereits errichteten Anlage. Die Messungen sind unter anderem am
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Wohnhaus Im E. 62 der Antragstellerin vorgenommen worden. Die schalltechnische
Untersuchung kommt bei einer Leistung der Anlage von 400 kW zu einem
Beurteilungspegel von 45 db (A) bezogen auf das Wohnhaus Im E. 62.
Das Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen gab eine Stellungnahme zur Einwirkung
von Schlagschatten unter anderem auf das Wohnhaus Im E. 62 ab. Das
Landesumweltamt errechnete insoweit eine maximal mögliche jährliche
Beschattungsdauer von etwas mehr als 33 Stunden innerhalb des Zeitraumes zwischen
dem 22. Mai und dem 20. Juli. Die maximal mögliche Beschattungsdauer je Tag beträgt
nach dieser Berechnung 41 Minuten. Sie liegt in den frühen Morgenstunden. Unter
Berücksichtigung erfahrungsgemäß auftretender Bewölkung kommt das
Landesumweltamt zu einer effektiven jährlichen Beschattungsdauer von über 13
Stunden.
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Der Antragsgegner erteilte dem Beigeladenen unter dem 2. November 1998 eine
nachträgliche Baugenehmigung für die bereits errichtete Windenergieanlage. Die
Baugenehmigung ist mit Auflagen versehen. Unter anderem hat der Beigeladene
parallel zur östlichen Grenze des Grundstücks der Antragstellerin auf dem
Nachbargrundstück in einem Abstand von 4 m zum Grundstück der Antragstellerin als
Sichtschutz eine Reihe serbischer Fichten mit einer Höhe von etwa 4,50 m und eine
Reihe Koreatannen mit einer Höhe von 2,50 m bis 3,00 m anzupflanzen. Die
Anpflanzung muß auf Dauer eine Höhe von mindestens 9,14 m über Grund erreichen.
Um die Einwirkung von Schlagschatten unter anderem auf die Häuser Im E. 62 und In
der L. 5 zu verhindern, ist der Rotor der Windenergieanlage zu den Zeiten automatisch
geregelt stillzulegen, zu denen solche Einwirkungen auf die Häuser und die zu ihnen
gehörenden intensiv genutzten Außenbereiche (Terrassen, Sitzecken)zu erwarten sind.
Um Immissionsrichtwerte von nachts 45 db (A) zu gewährleisten, ist die
Windenergieanlage nachts so zu betreiben, daß die Nennleistung maximal 400 kW
beträgt und die Rotordrehzahl 35 Umdrehungen in der Minute nicht überschreitet.
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Die Antragstellerin legte am 5. November 1998, der Antragsteller legte mit Schriftsatz
vom 24. Februar 1999 Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein.
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Die Anträge der Antragsteller,
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die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die dem Beigeladenen erteilte
Baugenehmigung des Antragsgegners vom 2. November 1998 anzuordnen,
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hat das Verwaltungsgericht durch den angefochtenen Beschluß abgelehnt.
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Mit ihren vom Senat zugelassenen Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihre
Begehren erster Instanz weiter.
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Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakte (3 Bände), der Verfahrensakte 10 L 3205/97 - VG
Gelsenkirchen - sowie der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (2 Ordner und 8
Hefte).
15
II.
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Die Beschwerden sind unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge der
Antragsteller zu Recht abgelehnt. Die Anträge sind unbegründet. Das Interesse des
Beigeladenen daran, die ihm erteilte Baugenehmigung sofort ausnutzen zu dürfen,
überwiegt das Interesse der Antragsteller, das Vorhaben des Beigeladenen bis zum
Abschluß des Hauptsacheverfahrens vorerst zu verhindern.
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Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Senats verstößt die streitige
Baugenehmigung nicht offensichtlich gegen solche öffentlich-rechtlichen Vorschriften,
die dem Schutze der Antragsteller als Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Danach
spricht derzeit mehr dafür, daß die Widersprüche der Antragsteller gegen die streitige
Baugenehmigung erfolglos bleiben werden. Ihnen ist deshalb der weitere Betrieb der
Anlage vorerst zuzumuten.
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Die erteilte Baugenehmigung verstößt nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften des
Bauordnungsrechts mit nachbarschützendem Charakter. Namentlich wahrt die
genehmigte Anlage die gemäß § 6 Abs. 10 BauO NW erforderliche Abstandfläche in
Richtung auf die Grundstücke der Antragsteller.
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Bauplanungsrechtlich richtet sich das Vorhaben des Beigeladenen nach § 35 Abs. 1
BauGB. Das Vorhaben des Beigeladenen soll außerhalb des Geltungsbereichs eines
Bebauungsplans und außerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils
verwirklicht werden. An den Straßen Im E. und In der L. sind lediglich verstreut einzelne
(Wohn- )Gebäude vorhanden. Diese Streubebauung bildet allenfalls eine
Splittersiedlung. Die Baulichkeiten lassen nach ihrer Zahl und Anordnung keine
organische Siedlungsstruktur erkennen und haben nicht das nötige Gewicht, um bereits
als Ortsteil im Sinne des § 34 BauGB angesehen werden zu können.
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Wird das Vorhaben des Beigeladenen danach im Außenbereich verwirklicht, verletzte
die angefochtene Baugenehmigung Nachbarrechte der Antragsteller, wenn sie gegen §
35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB und das darin enthaltene Gebot der Rücksichtnahme
verstieße. Nach dieser Vorschrift beeinträchtigt ein Vorhaben im Außenbereich
öffentliche Belange insbesondere dann, wenn das Vorhaben schädliche
Umwelteinwirkungen hervorrufen kann.
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Zu solchen schädlichen Umwelteinwirkungen können insbesondere Lärmimmissionen
gehören, die von der Windenergieanlage auf benachbarte Wohnhäuser einwirken. Der
Betrieb der genehmigten Anlage wird indes auf den Grundstücken der Antragsteller mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu unzumutbaren Lärmbelästigungen führen.
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Auch die Grundstücke der Antragsteller liegen im Außenbereich, nämlich innerhalb der
beschriebenen Streubebauung. Die Antragsteller können zwar damit rechnen, daß in
der Umgebung ihrer Grundstücke keine Nutzung zugelassen wird, die ihre
Wohnnutzung unzumutbar beeinträchtigt. Die Schwelle zur Unzumutbarkeit ist aber
noch nicht dann überschritten, wenn die Richtwerte nicht eingehalten werden, die nach
den einschlägigen technischen Regelwerten für reine Wohngebiete gelten. Können
Geräusche - wie diejenigen einer Windenergieanlage - nach den Richtwerten der VDI-
Richtlinie 2058 oder nach der TA-Lärm beurteilt werden, so sind Geräusche mit einem
Beurteilungspegel von 55 db (A) tagsüber und 40 db (A) nachts für ein Wohnhaus
zuzumuten, das in einem reinen Wohngebiet, jedoch in Randlage zum Außenbereich
liegt. Der Schutzmaßstab ist noch weiter herabzusetzen, wenn das Wohnhaus - wie hier
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diejenigen der Antragsteller - im Außenbereich liegt. Wer im Außenbereich wohnt, hat
keinen Anspruch darauf, daß seine Umgebung von weiterer Bebauung freibleibt. Wie
sich aus § 35 Abs. 1 BauGB ergibt, muß er unter Umständen mit belastenden Anlagen
rechnen. Wer im Außenbereich wohnt, kann deshalb allenfalls die Einhaltung der
Grenzwerte verlangen, die nach den einschlägigen technischen Regelwerken für
Mischgebiete erarbeitet sind, also Beurteilungspegel von 60 db (A) tagsüber sowie 45
db (A) nachts,
OVG NRW, Beschluß vom 9. September 1998 - 7 B 1591/98 -.
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Die Einhaltung dieser Werte ist für die Wohnhäuser der Antragsteller in der
Baugenehmigung festgeschrieben. Die Werte können voraussichtlich eingehalten
werden. Hierzu liegt die schalltechnische Untersuchung vor. Sie beruht nicht auf einer
Prognose, sondern auf Messungen aus dem Betrieb der Anlage. Danach wird ein
Beurteilungspegel von 45 db (A) an den Wohnhäusern der Antragsteller jedenfalls dann
eingehalten, wenn die Nennleistung der Windenergieanlage bei maximal 400 kW liegt
und die Rotordrehzahl 35 Umdrehungen in der Minute nicht überschreitet. Der
Antragsgegner hat dem Beigeladenen in der Baugenehmigung zur Auflage
gemacht,während der Nachtzeit diese Kennzahlen für den Betrieb der Anlage
einzuhalten.
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Die Antragsteller greifen die schalltechnische Untersuchung deshalb an, weil der
Sachverständige von dem gemessenen Wirkpegel einen Abzug von 3 db (A) für
Meßunsicherheiten vorgenommen hat. Dieser Abzug dürfte indes nicht zu beanstanden
sein. Der Sachverständige hat für seine schalltechnische Untersuchung noch die TA-
Lärm (1968) zugrundegelegt. Sie sah in Nr. 2.422.5 Satz 1 Buchst. c einen Abzug von 3
db (A) für Meßunsicherheit vor. Dieser Abschlag trug dem Umstand Rechnung, daß in
die Berechnungen Meßwerte einfließen, die wegen geräte- und umweltbedingter
Toleranzen Wahrscheinlichkeitsgrößen sind, mit der Folge, daß auch das
Berechnungsergebnis selbst eine gewisse Unsicherheit aufweist. Diese mit 3 db (A)
bewertete Toleranz war untrennbar Bestandteil des Meß- und Berechnungsverfahrens
nach der TA- Lärm. Wurden schädliche Umwelteinwirkungen nach Maßgabe der TA-
Lärm ermittelt, durfte der Bewertungsmaßstab dieses Regelwerks nicht dadurch
verschoben werden, daß der vorgeschriebene Meßunsicherheitsabschlag
unberücksichtigt blieb,
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BVerwG, Beschluß vom 22. Oktober 1996 - 7 B 132.96 -, NVwZ-RR 1997, 279.
27
Mit Blick auf die bevorstehende Einführung der TA-Lärm 1998 zum 1. November 1998
hat der Sachverständige sich auch zu der Frage geäußert, ob sich aus der TA-Lärm
1998 für das Ergebnis bedeutsame Änderungen ergeben. Er hat diese Frage verneint.
Der Senat hat keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine abweichende
Einschätzung. Die TA-Lärm 1998 sieht in ihrer Nr. 6.9 einen Abschlag um 3 db (A) vor,
wenn bei der Überwachung einer Anlage die Geräuschimmissionen durch Messung
ermittelt werden. Mit diesem Abzug dürfte der frühere Abschlag für Meßunsicherheiten
fortgeschrieben sein. Der Abschlag dürfte somit auch heute noch untrennbarer
Bestandteil des in der TA-Lärm vorgeschriebenen Meß- und Berechnungsverfahrens
sein und deshalb weiterhin vorzunehmen sein,
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vgl. Kutscheidt, Die Neufassung der TA-Lärm, NVwZ 1999, 577, 583.
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Die Wohnnutzung der Grundstücke der Antragsteller könnte ferner durch Lichteffekte
nachteilig betroffen werden, welche die Windkraftanlage verursacht. Steht die Sonne
hinter dem Rotor, können bewegte Schatten über die Grundstücke laufen. Sie
verursachen dadurch dort, je nach Umlaufgeschwindigkeit des Rotors, einen
verschieden schnellen Wechsel von Schatten und Licht. Dadurch können sie das
Wohnen erheblich stören. Durch die Fenster sind diese Effekte auch in allen
Wohnräumen wahrnehmbar, die der Windkraftanlage zugewandt sind, und zwar derart,
daß diese Schatten durch den ganzen Raum wandern und von Wänden, Fenstern und
anderen Flächen widergespiegelt werden. Indes hat der Antragsgegner eine Auflage in
die Baugenehmigung aufgenommen, die nicht ungeeignet erscheint, derartige
belastende Auswirkungen der genehmigten Anlage auf die Wohngrundstücke der
Antragsteller zu unterbinden. Nach dieser Auflage ist die Anlage automatisch geregelt
stillzulegen, wenn Schlagschatten auf die Wohnhäuser unter anderem der Antragsteller
und die von ihnen intensiv genutzten Außenbereiche einwirken würden. Die Auflage
gibt selbst nicht die Daten vor, die in die automatische Schattenabschaltung einzugeben
sind. Sie sind vielmehr erst in Umsetzung der Baugenehmigung und der Auflage zu ihr
vom Landesumweltamt errechnet und dem Staatlichen Umweltamt Herten übermittelt
worden. Der Senat geht derzeit - auch nach der Erörterung dieser Frage im Ortstermin -
davon aus, daß die automatische Abschaltung entsprechend der vom Landesumweltamt
ermittelten Zeiten so programmiert ist, daß die Ostseite des Wohnhauses, die der
Anlage zugewandt ist, vor einer Einwirkung von Schlagschatten wirksam geschützt ist.
Im übrigen gibt die Auflage zu der Baugenehmigung - zulässigerweise - insoweit nur
das Ziel und das dafür einzusetzende Mittel vor. Die Abschaltautomatik ist in Umsetzung
der Auflage so zu programmieren, daß mit ihr das vorgegebene Ziel erreicht wird.
Erweisen sich Nachbesserungen als erforderlich, weil die eingegebenen Zeiten die
Zeiten einer Einwirkung von Schlagschatten nicht oder nicht vollständig erfassen, ist der
Beigeladene verpflichtet, zur Erfüllung der Auflage die eingegebenen Zeiten
entsprechend zu ändern. Die Antragsteller haben hierauf einen durchsetzbaren
Anspruch, weil die Auflage zu der Baugenehmigung auch ihrem Schutz zu dienen
bestimmt ist.
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Aus diesem Grund geht der Senat derzeit davon aus, daß die genannte Auflage zu der
Baugenehmigung auch geeignet ist, die Antragsteller vor der von ihnen beklagten
Einwirkung von Lichteffekten auf die vorderen, der Anlage abgewandten Räume des
Hauses zu schützen. Wie die Antragsteller vorgetragen und im Ortstermin durch
Vorführung einer Videoaufzeichnung nachvollziehbar dargelegt haben, spiegelt das
Gewächshaus im nordwestlichen Winkel ihres Grundstücks in seinen Seitenwänden
den drehenden Rotor der Anlage einerseits wider und wirft andererseits dieses
Spiegelbild auf das Wohnhaus der Antragsteller zurück, wo es sich in Form sich ständig
bewegender Lichteffekte in den Glasflächen der Eingangstür, den Fenstern der Küche
und den glatten Oberflächen der Küchenmöbel niederschlägt. Dieser Effekt tritt dann
ein, wenn die Sonne hinter der Windenergieanlage steht, also Schlagschatten auf dem
Gewächshaus erzeugt. Zwischen den Beteiligten blieb im Ortstermin streitig, ob die für
die automatische Abschaltung vorgegebenen Zeiten auch die Zeiten erfaßt, in denen
der beschriebene Effekt auftritt. Die nachgereichten Unterlagen sprechen dafür, daß die
bisher für die automatische Abschaltung vorgegebenen Zeiten nur die Zeiten erfassen,
zu denen der rückwärtige Bereich des Wohnhauses selbst von Schlagschatten erfaßt
wird. Das Wohnhaus und das Gewächshaus stehen versetzt zueinander.
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Wie das Verwaltungsgericht legt auch der Senat die Auflage zu der Baugenehmigung
so aus, daß mit ihr dem Beigeladenen aufgegeben ist, die Anlage automatisch geregelt
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auch zu solchen Zeiten stillzulegen, zu denen Schlagschatten auf die Wohnbereiche
nicht nur unmittelbar, sondern auch durch Spiegelung mittelbar einwirken.
Das Vorhaben des Beigeladenen könnte darüberhinaus durch die Eigenart der Anlage
als solcher rücksichtslos auf die Wohnnutzung der nahegelegenen Grundstücke
einwirken. Selbst wenn in Bodennähe nahezu Windstille herrscht, drehen die
Rotorflügel leicht. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine derartige stete
Bewegung im oder am Rande des Blickfeldes schon nach kurzer Zeit, erst recht auf
Dauer, unerträglich werden kann. Ein sich drehendes Moment zieht den Blick des
Menschen nahezu zwanghaft auf sich. Dies kann Irritationen hervorrufen. Eine
Konzentration auf andere Tätigkeiten kann wegen der steten, kaum vermeidbaren
Ablenkung erschwert werden. Die Anlage kann sich dabei in den Fenstern des Hauses
oder an den Inneneinrichtungen der Wohnungen spiegeln, soweit diese reflektierende
Oberflächen haben.
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Solche Wirkungen einer Windenergieanlage können auch dann eine
Rücksichtslosigkeit des Vorhabens gegenüber benachbarter Wohnbebauung
begründen, wenn - wie hier - die Abstände nach § 6 Abs. 10 BauO NW zu den
benachbarten Grundstücken eingehalten sind. § 6 BauO NW regelt seinen Sachbereich
zwar abschließend. Er legt insoweit fest, welches Maß an Rücksichtnahme der Bauherr
seinem Nachbarn schuldet und was diesem zugemutet werden kann. Ein Gebäude
kann einem benachbarten Grundstück Licht, Sonne und Luft nehmen, ferner einen
Einblick in das Nachbargrundstück ermöglichen. Diese Belange werden regelmäßig
durch das bauordnungsrechtliche Abstandflächenrecht aufgefangen.
Windenergieanlagen sind keine Gebäude. Von ihnen können aber gebäudegleiche
Wirkungen ausgehen, mit der Folge, daß gemäß § 6 Abs. 10 BauO NW auf sie die für
Gebäude geltenden Vorschriften über Abstandflächen anzuwenden sind. Die einem
Gebäude gleiche Wirkung folgt insbesondere aus dem Rotor und seiner
Drehbewegung. Diese vergrößern die Windenergieanlage in ihren optischen
Dimensionen deutlich und bestimmen sie. Allein der Rotorkreis hat gebäudegleiche
Abmessungen, die angesichts der sich über ihren gesamten Bereich bewegenden
Rotorflügel insgesamt, nicht aber nur in dem jeweils von den Flügeln überdeckten
Teilen in Erscheinung tritt. Hinzu kommt die Rotorbewegung, denn diese verstärkt die
belastende Wirkung der Anlage auf die Nachbarschaft,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 1997 - 7 A 629/95 -.
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Wird danach die bedrängende Wirkung, welche eine Windenergieanlage auf die
Nachbarschaft ausübt, auch vom Schutzbereich des § 6 BauO NW erfaßt, so nimmt
diese Vorschrift insoweit dennoch keine abschließende Bewertung vor. Die optisch
bedrängende Wirkung, die von einer Windenergieanlage wegen der Drehbewegung als
solcher ausgeht, ist in ihrer rechtlichen Bewertung vergleichbar der erdrückenden
Wirkung, die von einem Gebäude wegen seiner Masse auf die unmittelbare Umgebung
ausgeübt werden kann. Die erdrückende Wirkung eines Baukörpers kann selbst dann
als planungsrechtlich rücksichtslos beurteilt werden, wenn der Baukörper die
Abstandfläche nach dem Bauordnungsrecht einhält. Unter diesem Gesichtspunkt enthält
das Abstandflächenrecht keine abschließende Regelung. Ähnlich ist zu urteilen für die
optisch bedrängende Wirkung, die von dem sich drehenden Rotor einer
Windenergieanlage ausgeht.
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Allerdings ist diese Wirkung einer Windenergieanlage nicht stets rücksichtslos, wenn
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sie auf angrenzenden Wohngrundstücken wahrgenommen wird. Wohnhäuser sind
gegen sie nicht unterschiedslos geschützt. Der Schutz richtet sich vielmehr auch
insoweit nach der planungsrechtlichen Lage des Wohnhauses. Liegt das
Wohngrundstück in einem reinen oder allgemeinen Wohngebiet, das durch
Bebauungsplan festgesetzt ist, genießt es erhöhten Schutz gegen Einwirkungen durch
eine gebietsfremde Windenergieanlage, die durch ihre Eigenart als solche den
Wohnfrieden stört. Anders verhält es sich hingegen bei einem Wohnhaus im
Außenbereich. Im Außenbereich sind Windenergieanlagen gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6
BauGB privilegiert zulässig. Sie sind nicht gebietsfremd. Wer im Außenbereich wohnt,
muß mit den auch optisch bedrängenden Wirkungen einer solchen Anlage rechnen.
Der geminderte Schutzanspruch wirkt sich insbesondere auch insoweit aus, als dem
Betroffenen eher Maßnahmen zumutbar sind, durch die er den Wirkungen der
Windenergieanlage ausweicht oder sich selbst vor ihnen schützt. Ihm ist eher
zuzumuten, Gewohnheiten zu ändern und der veränderten Nachbarschaft anzupassen,
während dies einem Betroffenen schwerlich angesonnen werden könnte, der sich
gegen die Auswirkungen einer gebietsfremden Anlage wehrt.
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Von diesem Ansatz ist zu Recht auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Von ihm
ausgehend wirkt die streitige Anlage nicht unzumutbar auf die Wohnnutzung des
Hauses Im E. 62 ein. Der Rotor mit seinen Blättern ist nicht von jeder Stelle des
Wohnhauses aus zu erblicken. Eine nahezu überall sichtbare, unerträgliche stete
Bewegung der Rotorblätter, der man sich nicht entziehen könnte, ist nicht festzustellen.
Diese Bewertung des Sachverhalts teilt der Senat aufgrund der Ortsbesichtigung
zweiter Instanz. Eine Nutzung der Terrasse ist beispielsweise möglich, ohne daß die
Windenergieanlage in den Blick gerät. In bestimmten Bereichen wird sie durch die
Bäume an der Grundstücksgrenze verdeckt. Ähnliches gilt für das Wohnzimmer. Von
Sitzplätzen nahe dem Fenster kann die Anlage gesehen werden, von anderen Plätzen
aus hingegen nicht. Spiegelungen der Anlage waren ohne weiteres in der Glasplatte
des Tisches zu erkennen, ohne daß indes im übrigen der Eindruck entstand, einem
Phänomen ausgesetzt zu sein, dem man sich nicht entziehen könnte. Daß die
Antragstellerin beispielsweise das Fernsehgerät an anderer Stelle als bisher aufgestellt
hat, um eine Spiegelung der Windenergieanlage in dem Fernsehgerät auszuschließen,
gehört zu den Maßnahmen, die nach dem rechtlichen Ausgangspunkt zumutbar sind.
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Die Antragsteller sind der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entgegengetreten,
für das Wohnhaus In der L. 5 seien unzumutbare Einwirkungen der Windenergieanlage
nicht festzustellen. Der Senat sieht deshalb insoweit keinen Anlaß zu weiteren
Ausführungen.
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Soweit in diesem Verfahren nicht abschließend geklärt werden kann, ob die streitige
Baugenehmigung mit den nachbarschützenden Bestimmungen des Bauplanungsrechts
vereinbar ist, hält der Senat nach alledem den Betrieb der Anlage für die Antragsteller
bis zum Abschluß des Hauptsacheverfahrens für zumutbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 4
ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 20 Abs. 3, § 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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