Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.09.2008

OVG NRW: genehmigung, kreis, sinn und zweck der norm, unternehmer, rotes kreuz, unbestimmter rechtsbegriff, versorgung, öffentliches interesse, behörde, stadt

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 2763/06
Datum:
16.09.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 A 2763/06
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Minden vom 1. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger betreibt seit dem Jahre 1997 ein Taxi-Unternehmen in E. bei M. (Kreis
M1. ). Unter anderem bietet er mit acht Fahrzeugen und Standorten in E. , E1.
und M. – neben anderen Anbietern im Kreis M1. – Krankenfahrten (sog.
"nichtqualifizierter Krankentransport") an.
2
Der öffentliche Rettungsdienst nach dem Rettungsgesetz (RettG) NRW wird im Kreis
M1. durch gemäß § 13 RettG NRW eingebundene Hilfsorganisationen und die Stadt
E1. durchgeführt, wobei die sechs vorgehaltenen Krankentransportwagen (KTW)
durch den Deutsches Rotes Kreuz M1. e.V. (vier KTW) und die Stadt E1. (zwei
KTW) betrieben werden. Darüber hinaus verfügt ein privates Unternehmen über
Genehmigungen nach § 18 RettG NRW für (qualifizierten) Krankentransport und
Notfallrettung mit insgesamt vier Fahrzeugen (zwei KTW, zwei Rettungstransportwagen
– RTW –); entsprechende Genehmigungen für diese vier Fahrzeuge hatten bereits vor
Inkrafttreten des Rettungsgesetzes bestanden.
3
Am 17. Juni 2003 beantragte auch der Kläger die Erteilung einer Genehmigung zum
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(qualifizierten) Krankentransport nach § 18 RettG NRW mit einem KTW; Betriebssitz
solle E. /C. sein, Betriebsbereich sollten E. /C. und die Stadt M. mit
Randbezirken sein.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2003 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung
führte er im Wesentlichen aus, eine Erteilung der Genehmigung beeinträchtige das
öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst. Eine bedarfsgerechte
Versorgung mit Krankentransportleistungen sei gewährleistet. Jedoch sei die Zahl der
Krankentransporte im öffentlichen Rettungsdienst seit Anfang 2003 zurückgegangen.
Diese Entwicklung würde durch die Erteilung der beantragten Genehmigung verstärkt.
Eine ausreichende Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes wäre dann nicht mehr
gewährleistet.
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Am 22. Oktober 2003 legte der Kläger Widerspruch ein. Zugleich erweiterte er seinen
Antrag auf eine zweite Genehmigung für den qualifizierten Krankentransport. Auch solle
der Betriebsbereich für beide KTW auf den Landkreis M1. erweitert werden. Zur
Begründung des Widerspruchs trug der Kläger vor, dass die Eintreffzeiten in der
Notfallrettung nicht eingehalten würden.
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Am 1. November 2003 beantragte der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Minden den
Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit
Beschluss vom 15. Dezember 2003 (5 L 1144/03) ab. Die Beschwerde des Klägers
gegen diese Entscheidung wies der Senat mit Beschluss vom 15. März 2004 (13 B
16/04) zurück.
7
Am 29. März 2004 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Zur Begründung hat er
vorgetragen, die einschlägigen Hilfsfristen würden im Kreis M1. nicht im erforderlichen
Maße eingehalten. Die Hilfsfristauswertung des Beklagten sei nicht aussagekräftig.
Jedenfalls beeinträchtige die Erteilung der begehrten Genehmigung nicht die
Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes; die nach § 19 Abs. 4 RettG NRW
zu berücksichtigende Verträglichkeitsgrenze werde nicht überschritten. Der Beklagte
habe eine Unverträglichkeit nicht bewiesen; auch sei weder eine vollständige
Datenermittlung noch eine auf der Datenermittlung basierende vollständige Prognose
erfolgt. Im Übrigen würden im Kreis M1. insgesamt 19 KTW, RTW und
Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) vorgehalten. Es sei nicht ersichtlich, weshalb mit zwei
weiteren KTW die Verträglichkeitsgrenze überschritten sein solle. Vielmehr bestehe ein
Bedarf an Krankentransportkapazitäten, da es in Spitzenzeiten – 8.00 bis 13.00 Uhr – zu
Wartezeiten von bis zu zwei Stunden komme. Der Rückgang der Krankentransporte im
Kreis M1. sei darauf zurückzuführen, dass er, der Kläger, nunmehr in größerem
Umfang Krankentransporte im Rahmen des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG)
durchführe.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Oktober 2003 zu
verpflichten, ihm die beantragte Genehmigung zum Krankentransport für zwei
Fahrzeuge mit dem Betriebssitz E. und dem Betriebsbereich Kreis M1. zu
erteilen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, dass die Eintreffzeiten in der Notfallrettung im
Gebiet des Kreises M1. eingehalten würden. Auch habe der öffentliche
Rettungsdienst im Kreis M1. seine Auslastungsgrenze nicht erreicht. Insgesamt
würden nach dem gültigen Rettungsdienstbedarfsplan zehn RTW ständig und zwei
RTW sowie sechs KTW zeitabhängig besetzt vorgehalten. Zu 10 bis 20% würden RTW
aus den weniger belasteten Rettungswachen zur Durchführung von qualifizierten
Krankentransporten eingesetzt. Auch sei der Anteil der Krankentransporte seit Anfang
2003 jeweils gegenüber dem Vorjahr gesunken. Dies sei u.a. dadurch zu erklären, dass
nunmehr in größerem Umfang als früher Krankenfahrten nach dem PBefG durchgeführt
würden. Wenn zwei weitere KTW hinzuträten, würde die Vorhaltung der sechs KTW des
öffentlichen Rettungsdienstes aufgrund der dann wegfallenden Fahrten unwirtschaftlich;
die Wirtschaftlichkeit des Rettungsdienstes würde dadurch deutlich beeinträchtigt.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es unter Hinweis auf die damalige Rechtsprechung des Senats
ausgeführt, Voraussetzung für die Anwendung der "Funktionsschutzklausel" des § 19
Abs. 4 RettG NRW sei, dass ein funktionsfähiger Rettungsdienst bereits existiere. Dies
sei vorliegend der Fall. Die Kammer folge auch der Ansicht des Beklagten, dass wegen
der ständig sinkenden Zahl an Krankentransporten eine Auslastung des öffentlichen
Rettungsdienstes bei Zulassung zweier klägerischer KTW nicht mehr gegeben wäre,
wodurch im Ergebnis die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes insgesamt nicht
unerheblich beeinträchtigt wäre.
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Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung vertieft der Kläger seine
Argumentation: Im Rahmen des § 19 Abs. 4 RettG NRW sei entgegen der neueren
Rechtsprechung des Senats zu prüfen, ob der Beklagte einen funktionsfähigen
Rettungsdienst vorhalte; abzustellen sei insoweit auch auf die Einhaltung der
Eintreffzeiten in der Notfallrettung. Dies ergebe sich bereits aus der
Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Diese habe sich gegen die Monopole wenden
sollen, was sich aus Aussagen beteiligter Politiker ablesen lasse. Systematisch folge
dies daraus, dass § 19 Abs. 4 S. 1 RettG NRW auf § 6 RettG NRW verweise; dort sei der
Sicherstellungsauftrag geregelt. Zwar erwähne § 19 Abs. 4 S. 3 RettG NRW die
Wahrung der Eintreffzeiten nur als ein Kriterium unter vielen, sie sei aber das wichtigste
Kriterium. Schließlich müssten nach Sinn und Zweck der Vorschrift die positive Wirkung
von Wettbewerb und das Grundrecht des Kranktransporteurs aus Art. 12 Grundgesetz
(GG) berücksichtigt werden. Die von dem Beklagten vorgelegten Zahlen hinsichtlich der
erreichten Eintreffzeiten seien nicht plausibel. Dies gelte im Übrigen auch für den von
dem Beklagten behaupteten Anstieg der Einsatzzahlen in der Notfallrettung sowie für
die Angaben zur Kosten- und Ertragslage.
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Im Übrigen führe die Erteilung einer Genehmigung nach § 18 RettG NRW keinesfalls
dazu, dass die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes ernstlich beeinträchtigt werde.
Die Verträglichkeitsprüfung sei auf Krankentransport und Notfallrettung zu beziehen, wie
sich bereits aus § 6 RettG NRW ergebe. Auch würden 10% der
Krankentransportpatienten auf dem Weg zu Notfallpatienten, während umgekehrt am
Wochenende mit RTW Krankentransporte durchgeführt würden. Eine ernstliche und
schwerwiegende Beeinträchtigung – bezogen auf Krankentransport und Notfallrettung –
habe der Beklagte nicht darlegen können. Dieser betreibe zwölf RTW, die auch im
Krankentransport eingesetzt würden, und sechs KTW; der Auslastungsgrad liege bei ca.
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65%, was eine effiziente und patientenfreundliche Bedienung der Fahraufträge
gewährleiste.
Der Kläger hat zunächst seinen Klageantrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren
weiterverfolgt. Mit Schriftsatz vom 3. September 2007 hat er sein Begehren auf die
Erteilung einer Genehmigung zum Krankentransport mit nur einem KTW beschränkt. Mit
Schriftsatz vom 17. September 2007 hat er es abermals modifiziert und wieder auf die
Erteilung einer Genehmigung für zwei KTW erstreckt. Er beantragt nunmehr,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 1. Juni 2006 zu ändern und den
Beklagten zu verpflichten, eine Genehmigung für zwei Fahrzeuge zum
Krankentransport mit dem Betriebssitz E. und dem Betriebsbereich Kreis
M1. ,
18
hilfsweise,
19
eine Genehmigung für ein Fahrzeug zum Krankentransport mit dem Betriebssitz
E. und dem Betriebsbereich Kreis M1. zu erteilen.
20
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung
und führt ergänzend aus: Die Funktionsschutzklausel des § 19 Abs. 4 RettG NRW sei
anwendbar. Es gehe um die Erteilung einer Genehmigung für den Krankentransport, die
nichts mit der Einhaltung der Eintreffzeiten in der Notfallrettung zu tun habe. Der
Krankentransportdienst im Kreis M1. sei funktionsfähig. So seien die vorbestellten
Fahrten zuletzt zu 77,9% / 78,4% / 82% pünktlich, zu 95,7% /96,6% / 97,8% mit einer
Verzögerung von max. 30 Minuten und zu 99,0% / 99,4% / 99,6% mit einer Verzögerung
von max. 60 Minuten begonnen worden. Bei den nicht vorbestellten Fahrten habe der
Prozentsatz der KTW, die binnen 30 Minuten einträfen, bei 92,8% / 91,7% / 90,9%
gelegen; innerhalb einer Verzögerung von bis zu 60 Minuten seien 99,7% / 99,6% /
99,7% dieser Fahrten durchgeführt worden (alle Angaben jeweils bezogen auf: 2006 /
2007 / Januar bis Juni 2008). Eine Verbesserung dieser Eintreffzeiten durch die
Erteilung einer Genehmigung an den Kläger sei nicht zu erwarten.
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Einsatzzahlen, Einsatzdauer und Auslastungsgrad hätten sich in den letzten Jahren wie
folgt entwickelt:
24
2000
2001
2002
2003
2004 2005 2006 2007
Einsatzzahlen
12.094 13.709 12.531 11.150 9.985 8.871 7.704 7.615
Einsatzdauer (Min)
(-)
(-)
(-)
69
70
70
72
76
Auslastungsgrad (%) (-)
(-)
(-)
69,61
65,60 66,15 64,53 64,13
25
Dass der Auslastungsgrad der KTW sich – gemessen an dem Rückgang der
Einsatzzahlen – eher geringfügig verringert habe, sei darauf zurückzuführen, dass in der
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Vergangenheit eine Vielzahl von Krankentransporten durch RTW durchgeführt worden
sei. Infolge des Rückgangs der Einsatzzahlen im Bereich des Krankentransports habe
der Einsatz der RTW weitgehend auf deren eigentliche Aufgabe, die Notfallrettung,
zurückgeführt werden können. Die Einsatzzahlen im Krankentransport würden in den
kommenden Jahren wegen der Gesundheitsreformen wohl noch weiter zurückgehen,
aber nicht mehr so stark wie in der jüngeren Vergangenheit.
Die Kosten- und Ertragslage des Rettungsdienstes habe sich in den letzten Jahren wie
folgt dargestellt, wobei die von dem Deutsches Rotes Kreuz M1. e.V. in Rechnung
gestellten Gesamtbeträge in Anlehnung an den bei der Kalkulation der
Rettungsdienstgebühren verwendeten Schlüssel auf die Bereiche Notfallrettung und
Krankentransport verteilt und die beiden von der Stadt E1. betriebenen KTW nicht
berücksichtigt seien:
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Notfallrettung
Ausgaben (EUR)
Notfallrettung
Einnahmen (EUR)
Krankentransport
Ausgaben (EUR)
Krankentransport
Einnahmen (EUR)
2000 2.646.283,69
2.186.912,12
571.499,76
720.711,17
2001 3.512.042,18
2.624.080,83
686.924,49
775.976,83
2002 3.756.317,71
2.871.497,23
710.624,17
780.833,17
2003 4.169.502,34
2.952.964,81
766.876,27
694.686,50
2004 4.815.420.02
3.406.625,23
743.078,40
701.578,57
2005 5.039.169,63
5.525.390,91
773,886,91
715.640,10
2006 5.349.495,07
8.008.867,47
776.689,29
651.207,87
2007 6.174.580,74
7.424.509,77
841.421,49
648.345,79
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Die Grundgebühr für die Inanspruchnahme des öffentlichen Krankentransports habe ab
dem 1. April 2000 44,28 EUR betragen und sei zum 1. Juli 2005 auf 40,00 EUR gesenkt
worden; dieser Satz gelte noch heute. Demgegenüber sei die Kilometergebühr von (seit
April 2000) 1,43 EUR zum 1. Juli 2005 auf 1,80 EUR je insgesamt gefahrenem
Kilometer angehoben worden. Seit dem 1. Juli 2007 betrage sie 3,70 EUR je
Transportkilometer. Bei beiden Änderungen habe es sich – bezogen auf eine
Durchschnittsfahrt – um eine Erhöhung der Gebühr gehandelt.
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Die Erteilung einer weiteren Genehmigung nach § 18 RettG NRW für zwei KTW würde
dazu führen, dass das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst
beeinträchtigt werde. Durch die Erteilung der Genehmigung würden die Einsatzzahlen
im öffentlichen Krankentransport zurückgehen, da die Aufträge, die der Kläger erlangen
würde, diesem fehlen würden. Insoweit sei zu erwarten, dass der Kläger versuchen
werde, die Aufträge von den Akutkrankenhäusern in M. und E1. zu erlangen; von
solchen Krankenhäusern gehe ein großer Bedarf an Krankentransporten aus. Auch
beantrage der Kläger eine Genehmigung für zwei KTW; dies entspreche einem Anteil
von 33% seiner eigenen KTW-Kapazität. Eine Bedarfsausweitung in dieser Höhe sei
nicht ersichtlich; das Einsatzaufkommen sei vielmehr in den letzten Jahren gesunken.
Dies sei auf die Gesundheitsreformen sowie auf die verstärkte Inanspruchnahme von
nicht qualifiziertem Krankentransport – in diesem Bereich gebe es neben dem Kläger
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noch weitere Anbieter im Kreis – zurückzuführen. Mit einem weiteren, wenn auch nicht
so drastischen Rückgang werde gerechnet. Auch müsse er, der Beklagte, bei Erteilung
der beantragten Genehmigung weiterhin seinem Sicherstellungsauftrag für den
Krankentransport nachkommen. Es sei nämlich fraglich, ob der Kläger bis in die
Randbereiche des Kreises fahren würde. Auch müssten die KTW für die "normalen"
Krankentransportfahrten, d.h. für die Fahrten, die nicht in Zusammenhang mit den
Akutkrankenhäusern stünden, weiter vorgehalten werden. Diese weitere Vorhaltung in
Zusammenhang mit den geringeren Einnahmen werde zu einem Einbruch der
Ertragslage in Höhe von etwa einem Drittel der bisherigen Erträge führen. Da eine
weitere Kostenreduzierung kaum möglich sei, müssten die Gebühren entsprechend
angehoben werden. Selbst die Erteilung der Genehmigung für nur einen KTW würde
eine ernstliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit seines Rettungsdienstes mit
sich bringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten des vorliegenden und des Verfahrens 13 B 16/04 (VG Minden 5 L
1144/03) sowie auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten und den
geltenden Rettungsdienstbedarfsplan des Kreises M1. (Stand 2005) ergänzend
Bezug genommen.
31
Entscheidungsgründe:
32
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen.
33
I.
34
Die Klage ist zulässig. Dem auf Erteilung einer Genehmigung für zwei KTW gerichteten
Antrag steht nicht entgegen, dass die Klage mit Schriftsatz vom 3. September 2007
zunächst dahingehend modifiziert worden war, dass nur noch die Erteilung der
Genehmigung für einen KTW beantragt wird. In dieser Erklärung ist allerdings –
entgegen der mit Hinweisschreiben vom 27. September 2007 geäußerten vorläufigen
Einschätzung des Senats – eine (teilweise) Klagerücknahme zu sehen. Zwar hat der
Senat entschieden, dass in dem Antrag auf Erteilung der Genehmigung für eine
bestimmte Anzahl von KTW nicht zwangsläufig – als "minus" – auch ein Antrag auf
Erteilung der Genehmigung für weniger KTW enthalten sei.
35
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2007 - 13 A 3700/04 -, DVBl 2007, 1503
(1507 a.E.), unter Bezugnahme auf VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Juni 2004
- 7 K 431/02 -, juris (Rdnr. 75).
36
Hier liegen die Dinge aber anders. Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren zunächst
einen Antrag auf Genehmigung nach § 18 RettG NRW für nur einen KTW gestellt und
diesen Antrag erst später – nach Durchführung einer entsprechenden
Verträglichkeitsprüfung und Erlass eines Ablehnungsbescheides – auf zwei KTW
erweitert. Dass er an einer Genehmigung für den Betrieb von weniger als zwei KTW
nicht interessiert ist, etwa weil ein auf einen KTW beschränkter Krankentransportbetrieb
für ihn nicht rentabel wäre, hat der Kläger nicht zum Ausdruck gebracht, und es ist auch
nicht aufgrund objektiver Anhaltspunkte ersichtlich gewesen. Aus Sicht der Behörde
drängte sich daher auch nach der Erweiterung des Antrags auf, dass die Erteilung der
Genehmigung für nur einen KTW ebenfalls in Betracht kommt.
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Die Klagerücknahme ist indes nicht wirksam geworden, weil der Beklagte die nach §§
125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Einwilligung nicht erteilt hat.
Der auf Erteilung der Genehmigung für zwei KTW gerichtete Antrag, den der Kläger mit
Schriftsatz vom 17. September 2007 als Hauptantrag auch selbst wieder in das
Verfahren eingeführt hat, ist daher immer Gegenstand des Verfahrens gewesen.
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Auch der auf Erteilung der Genehmigung für lediglich einen KTW gerichtete
"Hilfsantrag", auf den sich der Beklagte inzwischen (hilfsweise) eingelassen hat, ist
zulässig. Insoweit handelt es sich, weil das Begehren auf Erteilung der Genehmigung
für nur einen KTW vorliegend ohnehin – als "minus" – in dem Hauptantrag enthalten ist,
nicht um einen echten Hilfsantrag, sondern lediglich um eine Klarstellung des Interesses
des Klägers auch an einem teilweisen Obsiegen.
39
II.
40
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der
Genehmigung zum Krankentransport mit zwei KTW oder mit einem KTW oder auf
Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (vgl. § 113 Abs. 5
S. 2 VwGO).
41
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Erteilung
einer Genehmigung nach § 18 RettG NRW bzw. bei der Bescheidung eines
diesbezüglichen Antrags nach der Rechtsauffassung des Gerichts ist grundsätzlich der
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, hier vor dem Berufungsgericht.
42
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. Juni 2008 - 13 A 1779/06 -, juris, und vom
7. März 2007 - 13 A 3700/04 -, DVBl. 2007, 1503.
43
Dem Unternehmer steht bei Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale – grundsätzlich – ein
Genehmigungsanspruch aus §§ 18, 19 RettG NRW i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG zu. Der
Kläger erfüllt auch, soweit ersichtlich, die Genehmigungsvoraussetzungen des § 19
Abs. 1 bis 3 RettG NRW. Jedoch steht dem Bescheidungsbegehren vorliegend § 19
Abs. 4 RettG NRW entgegen. Nach § 19 Abs. 4 S. 1 RettG NRW ist eine Genehmigung
dann zu versagen, wenn zu erwarten ist, dass durch ihren Gebrauch das öffentliche
Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne von § 6 RettG NRW
beeinträchtigt wird. Der Senat hat zu dieser Vorschrift in seinem Urteil vom 10. Juni
2008 - 13 A 1779/06 - (juris) Folgendes ausgeführt:
44
"§ 19 Abs. 4 RettG NRW, dessen Ziel es ist, eine flächendeckende
rettungsdienstliche Versorgung, die in einem Flächenstaat wie Nordrhein-Westfalen
nur durch erhebliche finanzielle Aufwendungen sichergestellt werden kann, zu
gewährleisten, steht mit Gemeinschaftsrecht im Einklang. Die Regelung verstößt
weder gegen Art. 86 i.V.m. 82 EG noch gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff.
EG) oder die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG).
45
Vgl. OVG, Urteil vom 7. März 2007, a.a.O.
46
Die Vorschrift des § 19 Abs. 4 RettG NRW ist auch verfassungsmäßig. Zwar greift
die Regelung in die Freiheit der Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 GG ein. Sie ist
jedoch, auch soweit sie den Bereich des Krankentransports erfasst, dadurch
47
gerechtfertigt, dass sie der Abwehr von nachweisbaren oder höchstwahrscheinlich
bestehenden schweren Gefahren für ein überragend wichtiges Rechtsgut dient. Ein
solches überragend wichtiges Rechtsgut stellt nämlich auch die Sicherheit der im
Krankentransport transportierten Kranken dar. Auch ist die Verhinderung von
Überkapazitäten und Vermeidung unnötiger Kosten im Bereich des
Rettungsdienstes einschließlich des Krankentransports ein wichtiges öffentliches
Anliegen, dessen Verfehlung die sachgerechte Funktion des Gesundheitswesens
insgesamt schädigen würde.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1999 - 3 C 20.98 - , DVBl 2000, 124, sowie
Beschluss vom 22. Januar 2003 - 3 B 116.02 -; OVG NRW, Urteil vom 7.
März 2007, a.a.O., sowie Beschluss vom 2. August 1994 - 13 B 1085/94 - ,
NWVBl 1995, 26.
48
Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW ist zu prüfen, ob zu erwarten ist, dass durch
den Gebrauch der erteilten Genehmigung das öffentliche Interesse an einem
funktionsfähigen Rettungsdienst im Sinne von § 6 RettG NRW beeinträchtigt wird.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob bereits ein funktionsfähiger Rettungsdienst
vorliegt, der beeinträchtigt werden kann. Darauf deutet schon der Wortlaut des § 19
Abs. 4 Satz 1 RettG NRW hin. Danach ist maßgeblich, ob durch den Gebrauch der
Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst
beeinträchtigt wird. Das öffentliche Interesse ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Er
ist in Bezug auf den Rettungsdienst sowohl auf den Erhalt bestimmter
Gegebenheiten als auch auf deren künftige Erlangung/Herstellung gerichtet. So
gesehen besteht auch und gerade dann ein öffentliches Interesse an einem
funktionsfähigen Rettungsdienst, wenn dieser noch nicht funktionsfähig ist. Dass im
Rahmen des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW nicht vorab zu prüfen ist, ob überhaupt
ein funktionsfähiger Rettungsdienst vorliegt, wird durch die Entstehungsgeschichte
des § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW bestätigt. Die Vorschrift lautete im Gesetzentwurf
der Landesregierung: ‚Die Genehmigung ist zu versagen, wenn eine
flächendeckende Versorgung in Notfallrettung oder Krankentransport im
Genehmigungsbereich gewährleistet ist und durch die Erteilung der Genehmigung
das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes
beeinträchtigt würde.’
49
Vgl. LT-Drucks. 11/3181, S. 20.
50
Die Gesetz gewordene und nunmehr geltende Fassung erwähnt das zuvor
benannte ‚Tatbestandsmerkmal’ der gewährleisteten flächendeckenden Versorgung
jedoch nicht mehr, vielmehr wird nur noch von einer Beeinträchtigung des
öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst gesprochen.
51
Vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 19 Abs. 4 RettG NRW die LT-Drucks.
11/4438, S. 36 ff.
52
Auch systematische Gründe sprechen gegen die Durchführung einer
vorweggenommenen Funktionsfähigkeitsprüfung. Bei einer derartigen Prüfung
entschieden sich die Streitfälle im Rahmen der ‚vorab vorgenommenen
Funktionsfähigkeitsprüfung’ an der Frage der Einhaltung der Eintreffzeiten in der
Notfallrettung. Die Einhaltung der Eintreffzeiten ist aber im Rahmen der Anwendung
von § 19 Abs. 4 RettG NRW nur ein Kriterium unter verschiedenen, wie die
53
Regelung des § 19 Abs. 4 Satz 3 RettG NRW zeigt. Daran ändert auch der Verweis
von § 19 Abs. 4 Satz 1 RettG NRW auf § 6 RettG NRW nichts. Dieser Verweis soll
ersichtlich nur den Begriff des Rettungsdienstes im Sinne des § 19 RettG NRW
präzisieren; überdies beschreibt § 6 RettG NRW nur die Aufgaben des
Rettungsdienstes und sagt nichts darüber, welche Folgen bei nicht hinreichender
Aufgabenwahrnehmung eintreten. Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der
Norm dagegen, sie nur anzuwenden, wenn ein funktionsfähiger Rettungsdienst
bereits besteht. Hinter dem öffentlichen Interesse an einem funktionsfähigen
Rettungsdienst stehen elementare und höchstrangige Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 2 GG,
Art. 1 Abs. 1 GG). Diese können durch die Zulassung von Privaten aber nicht nur
dann beeinträchtigt werden, wenn ein funktionsfähiger öffentlicher Rettungsdienst
bereits vorliegt, sondern auch dann, wenn ein (noch) nicht vollkommen
funktionsfähiger öffentlicher Rettungsdienst betroffen wird, denn die unbeschränkte
Zulassung privater Unternehmer kann dazu führen, dass der Träger des
Rettungsdienstes seiner Verpflichtung, einen wirtschaftlich tragfähigen
bedarfsgerechten und flächendeckenden öffentlichen Rettungsdienst aufzubauen,
nicht oder nur noch unter erschwerten Bedingungen nachkommen kann. Vor diesem
Hintergrund ist die Annahme nicht gerechtfertigt, eine Berufung auf die
Funktionsschutzklausel sei in Fällen unbillig oder unredlich, in denen der Träger
des Rettungsdienstes (noch) nicht in der Lage ist, einen funktionsfähigen
Rettungsdienst herzustellen.
Anders OVG NRW, Beschluss vom 20. April 2004 - 13 A 1690/01 -.
54
Der Verzicht auf die nach alter Senatsrechtsprechung erforderliche Vorabprüfung
der Funktionsfähigkeit des Rettungswesens schränkt auch die Berufsfreiheit Privater
nicht in unzulässiger Weise ein. Art. 12 Abs. 1 GG erfordert keinen vorhandenen
funktionsfähigen öffentlichen Rettungsdienst als Korrelat für das Setzen einer
objektiven Zulassungsschranke.
55
Vgl. in diesem Sinne noch OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 1999 -
13 A 5617/98 -, NWVBl 2000, 103.
56
Den grundrechtlichen Belangen privater Unternehmer ist vielmehr durch eine
entsprechende Auslegung der Funktionsschutzklausel des § 19 Abs. 4 RettG NRW
Rechnung zu tragen.
57
Danach ist die Versagung der Genehmigung wegen Art. 12 Abs. 1 GG nur
gerechtfertigt, wenn die eingriffstützenden gegenläufigen Interessen ein gewisses
Gewicht haben. Beeinträchtigungen im Sinne des § 19 Abs. 4 RettG NRW sind
deshalb nur bei konkret zu erwartenden ernstlichen und schwerwiegenden
Nachteilen, also bei Überschreiten einer ‚Verträglichkeitsgrenze’ anzunehmen.
58
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2007, a.a.O.
59
Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber abweichend hiervon von
vornherein jede Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen
Rettungswesens durch eine Genehmigung für private Krankentransportunternehmer
verhindern wollte. Bei Berücksichtigung jeder - noch so geringen -
Negativauswirkung auf die Pflicht zur flächendeckenden Vorhaltung und Auslastung
des öffentlichen Rettungsdienstes könnte eine Genehmigung nach § 18 RettG NRW
60
praktisch nie erteilt werden. Das RettG NRW lässt aber neben dem öffentlichen
Rettungsdienst ausdrücklich auch private Rettungsdienstleister für die Notfallrettung
und den Krankentransport zu. Mit den §§ 18 ff. RettG NRW wollte der Gesetzgeber
erreichen, dass das ‚duale System’ der Leistungserbringung zumindest eine
Chance der Realisierung hat. Eine entsprechende Erwartung hatte auch die
Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur
Änderung des Personenbeförderungsgesetzes geäußert.
Vgl. BT-Drucks. 11/2170, S. 9.
61
Dort heißt es: ‚Die Bundesregierung geht davon aus, dass die den Ländern damit
zufallende Möglichkeit, die Beförderung kranker, verletzter oder sonst wie
hilfsbedürftiger Personen in Krankenkraftwagen in eigener Hoheit zu regeln, nicht zu
einer Verdrängung privater Unternehmen und Organisationen aus diesem Bereich
führt. Sie ist nach wie vor der Ansicht, dass auch in diesem Teilmarkt auf die
Beibehaltung eines begrenzten Wettbewerbs nicht verzichtet werden kann.’
62
Wann ernstliche und schwerwiegende Beeinträchtigungen des öffentlichen
Interesses an einem funktionsfähigen Rettungsdienst zu erwarten sind, ist nach dem
Regelungszweck des § 19 Abs. 4 RettG NRW zu bestimmen. Der
Landesgesetzgeber verfolgt mit der Regelung das Ziel, die Funktionsfähigkeit des
öffentlichen Rettungsdienstes durch die Steuerung der Zulassung privater
Unternehmer zu gewährleisten, um auszuschließen, dass unkoordiniert zusätzliche
Vorhaltungen geschaffen werden, die eine sinnvolle Auslastung der für den
Rettungsdienst eingesetzten Fahrzeuge einschränken. Für den Fall einer
unbeschränkten Zulassung privater Unternehmer befürchtet er eine nachhaltige
Störung der Existenz des öffentlichen Rettungsdienstes als kostenintensives
flächendeckendes Versorgungssystem,
63
vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung, LT-Drucks. 11/3181, S. 55 f.,
64
weil die privaten Unternehmer in der Lage wären, sich auf den kostengünstigen
Krankentransport zu bestimmten Tageszeiten zu beschränken und die
kostenintensive Notfallrettung rund um die Uhr dem öffentlichen Rettungsdienst
verbliebe.
65
Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit, Soziales und Angelegenheiten der Vertriebenen und
Flüchtlinge LT-Drucks. 11/4438, S. 35.
66
Eine entsprechende ‚Rosinenpickerei’,
67
vgl. Stellungnahme des Abgeordneten Kreutz im Ausschuss für Arbeit,
Gesundheit, Soziales und Angelegenheiten der Vertriebenen und
Flüchtlinge am 7. Oktober 1992, Ausschussprotokoll 11/671, S. 11,
68
wäre den privaten Unternehmern bei unbeschränkter Zulassung aber auch im
Bereich des Krankentransports möglich gewesen, weil diese sich die günstigsten
und lukrativsten Einsatzorte und Einsatzzeiten hätten heraussuchen können,
während dem öffentlichen Rettungsdienst nur noch die ungünstigen und kaum
ertragreichen Einsatzorte und Einsatzzeiten verblieben wären, die er im Rahmen
69
des § 6 RettG NRW gleichwohl hätte bedienen müssen.
Aus den obigen Ausführungen folgt, dass die Annahme ernstlicher und
schwerwiegender Nachteile nicht schon dann gerechtfertigt ist, wenn im öffentlichen
Rettungsdienst entsprechend der Verpflichtung des § 6 RettG NRW eine
bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen
im Rettungsdienst und Krankentransport sichergestellt ist und die Zulassung privater
Unternehmer zur weiteren bedarfsgerechten und flächendeckenden Versorgung der
Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes daher nicht erforderlich ist.
70
Vgl. Stellungnahme des Ministerialrats Mais (Ministerium für Arbeit,
Gesundheit und Soziales) im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit, Soziales
und Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 7. Oktober
1992, Ausschussprotokoll 11/671, 11.
71
Sonst bestünde ausgehend vom Gesetzesauftrag des § 6 RettG NRW nie Bedarf,
private Unternehmer zuzulassen.
72
Vgl. zur Unzulässigkeit einer Bedarfsprüfung VGH Baden-Württemberg,
Urteil vom 22. Oktober 1996 - 10 S 8/96 -, NVwZ-RR 1998, 110, sowie
Beschluss vom 21. Februar 1997 - 10 S 3346/96 -, DÖV 1997, 694; OVG
Schl.-Holst., Urteil vom 22. Oktober 2003 - 4 LB 21/03 -, juris; vgl.
demgegenüber aber auch BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1999 - 3 C 20.98 -,
a.a.O.: Die hess. Regelung, die die Zulassung zum qualifizierten
Krankentransport von einer Bedarfsprüfung abhängig macht, verstößt nicht
gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit, weil die Verhinderung von
Überkapazitäten ein wichtiges öffentliches Anliegen darstellt; OVG Rhein-
Pf., Urteil vom 7. Mai 2002 - 7 A 11626/01 -, juris.
73
Auch bei bestehender Bedarfsdeckung durch den öffentlichen Rettungsdienst ist ein
Betätigungsfeld für Private nach § 18 RettG NRW vorgesehen, über dessen Größe
bis zur Verträglichkeitsgrenze die Genehmigungsbehörden zu entscheiden haben.
Bis zum Erreichen dieser Verträglichkeitsgrenze hat der private Unternehmer,
soweit die sonstigen Genehmigungsvoraussetzungen gegeben sind, einen
Anspruch auf Genehmigung.
74
Vgl. BayVGH, Beschluss vom 8. März 1995 - 4 CE 94.3940 -, BayVBl. 1995,
470.
75
Ob die Grenzen der Verträglichkeit überschritten sind, beurteilt sich nach den
Umständen des Einzelfalls. Bei der Prüfung der zu erwartenden Beeinträchtigungen
sind nach § 19 Abs. 4 Satz 2 und 3 RettG NRW die Pflicht zur flächendeckenden
Vorhaltung und Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes im vorgesehenen
Betriebsbereich zu berücksichtigen. Dabei sind die Einsatzzahlen, die Eintreffzeit
und Dauer der Einsätze sowie die Entwicklung der Kosten- und Ertragslage
zugrunde zu legen. Damit wird klargestellt, dass eine ungünstige Kosten- und
Ertragslage für sich gesehen keinen Versagungsgrund darstellt, sondern nur als
Indiz bei der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigen ist. Etwas anders kann
allenfalls im Falle einer dauernden und auch in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit
nach anhaltenden defizitären Ertragslage des öffentlichen Rettungsdienstes gelten,
wenn dieser nicht durch zumutbare Umstrukturierungen begegnet werden kann. In
76
diesem Fall droht die Gefahr, dass die Qualitätsstandards nicht dauerhaft aufrecht
erhalten werden können und das System als solches beeinträchtigt wird. Hiervon ist
etwa dann auszugehen, wenn durch die Zulassung privater Unternehmer und die
dadurch bedingten Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit die Einhaltung der
Hilfsfristen gefährdet wäre. Droht kein Defizit oder ein noch im Rahmen der
Verträglichkeit liegendes, sind insbesondere die in § 19 Abs. 4 Satz 2 RettG NRW
weiter benannten Kriterien in die Prognoseentscheidung mit einzubeziehen, um auf
Grund einer Gesamtbeurteilung zu einer Feststellung der Verträglichkeit zu
kommen. Dabei sind der geplante Standort, der Betriebsbereich und die geplante
durchschnittliche Einsatzdauer von Bedeutung.
Vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005 - 21 AE 05.2762 -, n. v.;
OVG Schl.-Holst., Urteil vom 22. Oktober 2003 - 4 LB 21/03 -, juris.
77
Da die Genehmigung nach § 18 RettG NRW, jedenfalls soweit sie für den
Krankentransport erteilt wird, grundsätzlich nur hierfür gilt (§ 22 Abs. 1 Satz 1 RettG
NRW) ist im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung sachlich auf den vorgesehenen
Aufgabenbereich (Notfallrettung oder Krankentransport) abzustellen.
Gegebenenfalls sind aber auch Auswirkungen auf den jeweils anderen
Aufgabenbereich in den Blick zu nehmen, da die Aufgaben des Rettungsdienstes
und Krankentrans-ports nach § 6 Abs. 1 Satz 2 RettG NRW rechtlich eine
medizinisch-organisatorische Einheit bilden und vielfach faktische Abhängigkeiten
(Querfinanzierungen, Nutzung von Rationalisierungseffekten) bestehen.
78
Aus der Formulierung "wenn zu erwarten ist" folgt, dass die Entscheidung nach § 19
Abs. 4 RettG NRW eine prognostische Entscheidung ist, bei der der
Genehmigungsbehörde ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer
Prognosespielraum eingeräumt ist. Die eine Genehmigung versagende
Entscheidung ist daher nur darauf zu überprüfen, ob die Behörde den
maßgebenden Sachverhalt vollständig ermittelt, die maßgeblichen Gesichtpunkte
erkannt und den möglichen Verlauf der Entwicklung vertretbar, d.h. nicht
offensichtlich fehlerhaft, eingeschätzt hat.
79
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2007, a.a.O.
80
Das bedeutet entsprechend den vom Bundesverwaltungsgericht,
81
Urteile vom 7. September 1989 - 7 C 44.88 u.a. -, BVerwGE 82, 295 sowie
vom 15. April 1988 - 7 C 94.86 -, BVerwGE 79, 208,
82
zur Funktionsschutzklausel des § 13 Abs. 4 PBefG entwickelten und hier
entsprechend anwendbaren Grundsätzen,
83
vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 8. März 1995 - 4 CE 94.3940 -, a.a.O.,
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 10 S 8/96 -, a.a.O.,
Nieders. OVG, Beschluss vom 17. Juni 1994 - 7 M 3231/94 -, Nds. VBl.
1995, 41; Hess. VGH, Urteil vom 27. Januar 1997 - 11 UE 796/94 -, juris,
84
für die gerichtliche Entscheidung, dass die Behörde zu erneuter Bescheidung zu
verpflichten ist, wenn das Gericht feststellt, dass die Behörde nicht alle für die
Beurteilung maßgeblichen Gegebenheiten berücksichtigt hat. Das Gericht darf die
85
Sache nicht in der Weise ‚entscheidungsreif’ machen, dass es die der Behörde
obliegende prognostische Entscheidung selbst trifft. Allenfalls dann, wenn eine
Sachlage gegeben ist, die keinen Raum für die der streitigen
Behördenentscheidung zugrunde liegende Einschätzung lässt, darf das Gericht die
Behörde zu der von der Klägerin begehrten Entscheidung verpflichten."
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer
Genehmigung nach § 18 RettG NRW. Die von dem Beklagten angestellte Prognose, der
zufolge die Erteilung der begehrten Genehmigungen nach § 18 RettG NRW das
öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit des (öffentlichen) Rettungsdienstes
beeinträchtigen würde, ist nicht zu beanstanden. Sie überschreitet nicht die Grenzen
des dem Beklagten zustehenden Prognosespielraums.
86
Der Beklagte hat den der Verträglichkeitsprognose zugrunde zu legenden Sachverhalt,
wie sich anhand des umfangreichen Vortrags im Verwaltungs- und Klageverfahren,
insbesondere anhand der infolge der Aufklärungsverfügungen des Berichterstatters
vorgelegten, detaillierten Ausführungen ersehen lässt, umfassend ermittelt. Er hat des
Weiteren mit vertretbaren Überlegungen angenommen, dass durch den Gebrauch der
beantragten Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen
Rettungsdienst im Sinne von § 6 RettG NRW "ernstlich und schwerwiegend"
beeinträchtigt würde. Dabei hat er zu Recht maßgeblich damit argumentiert, dass die
Erteilung der beantragten Genehmigungen zu verminderten Einsatzzahlen, einer
geringeren Auslastung und zu höheren Kosten führen würde. Dies sind Gesichtspunkte,
die nach § 19 Abs. 4 S. 2 und 3 RettG NRW berücksichtigungsfähig sind. Schließlich
hat der Beklagte den möglichen Verlauf der Entwicklung vertretbar, d.h. nicht
offensichtlich fehlerhaft, eingeschätzt.
87
1.
88
Die von dem Beklagten vorgenommene Verträglichkeitsprüfung wird durch die Hinweise
des Klägers, im Kreis M1. bestehe keine bedarfsgerechte Versorgung im Bereich des
Krankentransports, nicht in Frage gestellt. Der Senat hat in Bezug auf die in diesem
Zusammenhang bedeutsamen Fragen in dem vorstehend zitierten Urteil vom 10. Juni
2008 ausgeführt:
89
"Wäre ein bedarfsgerechter öffentlicher Krankentransport nicht sichergestellt, hätte
dies nicht zur Folge, dass die Zahl der systemverträglich zu erteilenden
Genehmigungen nach § 18 RettG NRW entsprechend dem Fehlbedarf im
öffentlichen Rettungsdienst zu erhöhen wäre. In einem solchen Fall obläge es
vielmehr dem Beklagten, für eine bedarfsgerechte Mindestvorhaltung Sorge zu
tragen. Wegen der dem Beklagten nach § 6 RettG NRW zwingend obliegenden
Verpflichtung zur Vorhaltung eines bedarfs- und flächengerechten öffentlichen
Rettungsdienstes dürfen bestehende Bedarfslücken gerade nicht durch private
Unternehmer aufgefangen werden. Das RettG NRW lässt es nicht zu, die
Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungswesens ersatzweise durch private
Unternehmer herzustellen. Auch Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigt nicht die Annahme,
der private Unternehmer sei in einem solchen Fall berechtigt, Bedarfslücken im
öffentlichen Rettungsdienst zu schließen. Wie dargelegt, kann die Erteilung von
Genehmigungen nach § 18 RettG NRW auch in diesen Fällen zu einer
Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes führen,
etwa weil negative Auswirkungen auf die Auslastung, die Einsatzzahlen und die
90
Entwicklung der Kosten- und Ertragslage zu befürchten sind und eine spätere
Regulierung des privaten rettungsrechtlichen Marktes wegen § 19 Abs. 6 RettG
NRW, wonach dem privaten Unternehmer im Falle der Wiedererteilung einer
Genehmigung die Funktionsschutzklausel nicht entgegengehalten werden kann, nur
schwerlich möglich ist.
Vgl. demgegenüber BayVGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 - 21 B 99.1017-,
a.a.O., wonach bei mangelnder Bedarfsdeckung immer eine
Systemverträglichkeit anzunehmen ist.
91
Ob im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG etwas anderes zu gelten hat, wenn der
öffentliche Rettungsdienst offensichtlich nicht geeignet ist, den Bedarf zu decken
und auch keine Bereitschaft des Trägers besteht, einen funktionsfähigen
Rettungsdienst herzustellen, kann dahinstehen, weil ein solcher Fall nicht vorliegt.
92
Vgl. insoweit auch OVG NRW, Beschluss vom 20. August 2004 - 13 A
1690/01 -."
93
Dies gilt auch hier; es ist nicht erkennbar, dass der Beklagte offensichtlich außerstande
ist, die Nachfrage nach Krankentransporten zu befriedigen: Im Gebiet des Kreises M1.
wurden in den letzten Jahren über 90% der vorbestellten Krankentransporte durch den
öffentlichen Rettungsdienst pünktlich oder mit maximal einer Viertelstunde Stunde
Verspätung begonnen. Die nicht vorbestellten Krankentransporte wurden zu über 90%
innerhalb einer halben Stunde nach Anforderung – dies ist für den Regelfall die
Zielvorgabe des Rettungsdienstbedarfsplans – und zu beinahe 100% innerhalb von 60
Minuten begonnen (vgl. die Aufstellung des Beklagten vom 11. August 2008, Bl. 192 f. d.
A., und S. 21 des Rettungsdienstbedarfsplans aus dem Jahr 2005). Derartige
Wartezeiten sind hinnehmbar.
94
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2007, a.a.O., sowie Beschlüsse vom
2. August 1994 - 13 B 1085/94 - , NWVBl. 1995, 26, und vom 8. Juli 2004 -
13 B 1790/03 - , juris; zu den Anforderungen an einen bedarfsgerechten
öffentlichen Krankentransport im Allgemeinen OVG NRW, Urteil vom 10.
Juni 2008, a.a.O.
95
Dass die von dem Beklagten vorgelegten Zahlen nicht zutreffen, ist weder ersichtlich
noch von dem Kläger substantiiert dargetan worden. Anhaltspunkte für eine
unvollständige Datenerhebung sind angesichts der umfänglich vorgelegten Daten, die
auf einer computergestützten Auswertung beruhen (vgl. Bl. 149 d. BA II), nicht
ersichtlich. Auf die von dem Kläger vorgebrachten Einwände hin hat der Beklagte in der
mündlichen Verhandlung Leitstellenausdrucke vorgelegt, welche die von ihm
genannten Eintreffzeiten untermauern. Selbst wenn die Dokumentation vereinzelt
unzutreffende Zeiten enthalten sollte, etwa weil die Besatzung eines KTW im Einzelfall
den Status dem automatisierten Erfassungssystem zu spät gemeldet hat, hält der Senat
das vorgelegte Datenmaterial für hinreichend, zumal eine starre Grenze, bei deren
Unterschreiten von einem offensichtlich funktionsuntüchtigen Krankentransportdienst
auszugehen ist, nicht existiert.
96
Ohne Belang ist entgegen der Ansicht des Klägers, ob im Gebiet des Kreises M1. die
Nachfrage im Bereich der Notfallrettung befriedigt werden kann oder nicht; der Kläger
begehrt eine Genehmigung zum Krankentransport und nicht zur Notfallrettung.
97
Dass der Beklagte Krankentransporte in gewissem Umfang auch mit RTW durchführt, ist
entgegen der Ansicht des Klägers grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die RTW, soweit
die Bedürfnisse der Notfallrettung es zulassen, auch zum Zwecke des qualifizierten
Krankentransports einzusetzen, ist vor dem Hintergrund des Gebots einer sparsamen
und wirtschaftlichen Haushaltsführung vertretbar, wenn nicht sogar geboten.
Problematisch wäre eine solche Praxis möglicherweise dann, wenn im Bereich der
Notfallrettung Überkapazitäten geschaffen und diese zu Lasten der an einer
Genehmigung nach § 18 RettG NRW interessierten Unternehmer im Bereich des
Krankentransports eingesetzt würden. Dass die Anzahl der im Kreis M1.
vorgehaltenen RTW, die ausweislich des Rettungsdienstbedarfsplans nicht zuletzt auch
durch die Notwendigkeit einer dezentralen Stationierung bedingt ist, für eine
bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung nicht erforderlich wäre, ist indes
nicht ersichtlich.
98
2.
99
Die Annahme des Beklagten, dass die Erteilung der beantragten Genehmigungen dazu
führen würde, dass die Einsatzzahlen (vgl. § 19 Abs. 4 S. 3 1. Alt. RettG NRW) im
öffentlichen Krankentransport des Kreises M1. , wahrscheinlich etwa in dem Umfang,
in dem die begehrte Genehmigung erteilt wird, sinken würden, ist nachvollziehbar. Der
Kläger hat, wie er selbst ausführt, dem Beklagten schon bisher in erheblichem Umfang
durch das Angebot von nicht qualifizierten Krankentransporten Aufträge entziehen
können. Es ist daher zu erwarten, dass ihm dies auch bei den qualifizierten
Krankentransporten gelingen würde. Es tritt – gerichtsbekannt – hinzu, dass private
Krankentransporteure regelmäßig günstigere Tarife anbieten können, und zwar schon
deshalb, weil sie im Rahmen einer Genehmigung nach § 18 RettG NRW nur die aus
ihrer Sicht vorteilhaften Betriebsbereiche bedienen und ihre Vorhaltepflichten auch
sonst begrenzen können.
100
Dieser Rückgang der Einsatzzahlen wäre auch ernstlich und schwerwiegend. In dem in
Rede stehenden Rettungsdienstbereich werden derzeit insgesamt sechs KTW
vorgehalten. Der Kläger erstrebt eine Genehmigung für zwei KTW, hilfsweise einen.
Das bedeutet, dass im Kreis M1. die Kapazität von rund zwei KTW bzw. – bei
Erteilung der Genehmigung für nur einen KTW – rund einem KTW entbehrlich würde,
was einem Verlust von etwa einem Drittel bzw. einem Sechstel der Krankentransporte
entspräche, wenngleich nicht zu verkennen ist, dass die Prognose insoweit einen nicht
unerheblichen Grad an Unsicherheit mit sich bringen dürfte. Dass diese Verluste durch
eine steigende Nachfrage an Krankentransporten aufgefangen werden könnten, ist nicht
ersichtlich, nachdem die Anzahl der qualifizierten Krankentransporte in der letzten Zeit
kontinuierlich gesunken ist.
101
Siehe zum Umstand, dass die Erteilung von Genehmigungen für den
Krankentransport an Private zu Rückgängen beim öffentlichen
Krankentransport führt, etwa BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1999 - 3 C 20.98 -,
DVBl. 2000, 124; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2007, a.a.O.
102
Der Senat sieht keine Veranlassung, an der Richtigkeit der Angaben des Beklagten zu
den Einsatzzahlen im Krankentransport zwischen 2000 und 2007 zu zweifeln. Soweit
der Kläger vorgetragen hat, die Zahlen könnten in Bezug auf die Jahre 2000/2001 nicht
stimmen, da erfahrungsgemäß "die Verteilung zwischen der zeitkritischen Notfallrettung
103
und dem nicht zeitkritischen Krankentransport ca. 20 zu 80" betrage, handelt es sich um
einen unsubstantiierten und nicht ansatzweise belegten Einwand. Die Tendenz eines
massiven Rückgangs der Einsatzzahlen im Krankentransport in den letzten Jahren ist
dem Senat überdies aus anderen Verfahren, etwa dem Verfahren 13 A 1557/06,
bekannt.
Die darauf aufbauende Folgerung des Beklagten, dass es zu einer erheblich geringeren
Auslastung des öffentlichen Krankentransportdienstes kommen würde (vgl. § 19 Abs. 4
S. 2 2. Alt. RettG NRW), weil einerseits die Kapazitäten der KTW nicht effektiv genutzt
werden könnten, andererseits aber der Abbau von Vorhaltekapazitäten angesichts des
Sicherstellungsauftrags nicht möglich sei, ist ebenfalls zutreffend. Denn der
Sicherstellungsauftrag des § 6 RettG NRW greift auch dann, wenn sich Private auf dem
Markt befinden, die mit Genehmigungen nach §§ 18 ff. RettG NRW ausgestattet sind
(siehe oben). Zu berücksichtigen ist überdies, dass die sechs KTW des öffentlichen
Rettungsdienstes ausweislich des Rettungsdienstbedarfsplans an vier verschiedenen
Stellen des Kreisgebietes stationiert sind. Da ein Abbau von Kapazitäten an den
Einsatzschwerpunkten E1. und M. , bei denen aus nachvollziehbaren Gründen
jeweils zwei KTW stationiert sind, fernliegen dürfte, wäre eine Reduzierung der KTW-
Anzahl wohl auch mit der Aufgabe eines KTW-Standorts verbunden, was dem Konzept
des geltenden Bedarfsplans zuwiderlaufen dürfte und möglicherweise die Eintreffzeiten
nachteilig verändern könnte.
104
Der Annahme einer sinkenden Auslastung lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass
trotz massiv zurückgehender Einsatzzahlen der Auslastungsgrad der KTW des
öffentlichen Rettungsdienstes im Kreis M1. in den letzten Jahren nur mäßig gesunken
ist. Denn der Beklagte hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass in der
Vergangenheit in größerem Umfang Krankentransportfahrten mit RTW durchgeführt
worden sind und dass diese Praxis im Zuge der sinkenden Krankentransport-
Einsatzzahlen der letzten Jahre sukzessive hat zurückgefahren werden können,
weshalb die Auslastung der KTW sich nur geringfügig verringert habe. Nachdem
inzwischen mit den RTW nur noch in geringem Umfang Krankentransportfahrten
durchgeführt werden, steht diese Möglichkeit, einem Rückgang der Einsatzzahlen zu
begegnen, künftig nicht mehr zur Verfügung. Der Beklagte muss also davon ausgehen,
dass ein weiterer Rückgang der Einsatzzahlen zu einer entsprechenden Reduzierung
des Auslastungsgrades im Krankentransportbereich führt.
105
Die Verminderung des Auslastungsgrades fällt hier besonders ins Gewicht, weil der
öffentliche Krankentransportdienst im Kreis M1. bereits jetzt nicht vollständig
ausgelastet ist (vgl. die Angaben in der Aufstellung des Beklagten vom 11. August 2008,
Bl. 191 d.A.).
106
Auch die nach § 19 Abs. 4 S. 3 4. Alt. RettG NRW zu berücksichtigende Kosten- und
Ertragslage legt die Annahme einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des
öffentlichen Rettungsdienstes nahe. Die Annahme des Beklagten, dass im Kreis M1.
nach Erteilung der begehrten Genehmigung infolge des Verlustes an
Krankentransporten bei gleichzeitig notwendig bleibender Vorhaltung der KTW
erheblich höhere ungedeckte Kosten anfallen würden, ist vor dem Hintergrund der
vorgelegten Zahlen plausibel. Die zunehmende Kostenunterdeckung fällt dabei
besonders ins Gewicht, weil der Krankentransportdienst des Beklagten – auf der Basis
der für vier KTW vorgelegten Zahlen – bereits in den letzten Jahren defizitär gewesen
ist, wobei sich der Fehlbetrag seit dem Jahre 2004 stetig vergrößert hat (vgl. die
107
Aufstellung des Beklagten vom 11. August 2008, Bl. 198 d. A.).
Der Einwand des Klägers, die zu den Einnahmen in der Notfallrettung und im
Krankentransport vorgelegten Zahlen könnten nicht stimmen, weil sich bei einer
Multiplikation der mitgeteilten Einsatzzahlen mit dem Gebührensatz viel höhere
Summen ergäben, ist ersichtlich unschlüssig. Denn die vorliegenden Einsatzzahlen
erstrecken sich auf alle von der Feuerschutz- und Rettungsleitstelle disponierten
Einsätze, also auch diejenigen, die an die Detmolder Rettungswache, an
Rettungswachen außerhalb des Kreisgebiets oder an den nach § 18 RettG
konzessionierten Unternehmer vergeben worden sind. Bei den Einnahmen sind
hingegen nur diejenigen aufgeführt, die der Kreis selbst im Bereich von Notfallrettung
und Krankentransport erzielt hat.
108
Es spricht auch nichts dafür, dass der Beklagte – außerhalb von Stilllegungen, die mit §
6 RettG NRW wohl nicht zu vereinbaren wären – in größerem Umfang Kosten sparen
könnte, um so die durch genehmigte Betätigung Privater eintretenden Einnahmeausfälle
auszugleichen. Es springt jedenfalls nicht ins Auge, dass der öffentliche
Krankentransport im Kreis M1. ineffektiv strukturiert, etwa überdimensioniert, wäre. Im
Übrigen wäre die für einen Ausgleich notwendige Kosteneinsparung hier hoch, da etwa
33% bzw. – bei Erteilung der Genehmigung für nur einen KTW – 17% der Kosten des
KTW-Bereichs (abzüglich flexibler Kosten) ausgeglichen werden müssten. Ob, wie der
Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, sogar noch größere
Einnahmeausfälle zu erwarten sind, weil der Kläger durch entsprechende räumliche
Positionierung seiner KTW überdurchschnittliche Einnahmen je KTW erzielen würde,
mag dahinstehen. Dass ein entsprechendes Kosteneinsparungspotential besteht, ist
weder ersichtlich noch vorgetragen.
109
Vgl. zur Notwendigkeit eines diesbezüglichen klägerischen Vortrags OVG
Hamburg, Beschluss vom 19. Januar 2006 - 1 Bf 146/04 - , juris.
110
Schließlich geht der Beklagte auch zu Recht davon aus, dass die sich vergrößernde
Kostenunterdeckung nur durch eine erhebliche Erhöhung der Gebühren kompensiert
werden könnte. Erhöhte Kosten im Bereich des Rettungsdienstes können auf
diejenigen, die den Rettungsdienst in Anspruch nehmen, umgelegt werden (vgl. §§ 14,
15 RettG NRW, § 6 Kommunalabgabengesetz NRW). Dass dieses "können" angesichts
der Lage der öffentlichen Haushalte ein faktisches "müssen" darstellt, ist einleuchtend.
Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang es hier zu einer Erhöhung der Gebühren
kommen würde. Anzunehmen ist jedenfalls, dass angesichts der von dem Kläger
erstrebten Genehmigungserteilung erhebliche Gebührenerhöhungen im Raum stehen.
Solche Gebührenerhöhungen stellen aber eine massive Belastung der Allgemeinheit
dar, gleichviel ob sie nun von den Betroffenen oder den Krankenkassen getragen
werden.
111
Vgl. zu alldem BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1999, a.a.O.
112
Eine Gebührenerhöhung wäre hier zudem besonders gravierend, weil die
Krankentransportgebühren im Kreis M1. in den letzten Jahren ohnehin gestiegen sind,
nämlich nach den Angaben des Beklagten zwischen 2005 und 2007 von 87,18 EUR auf
102,90 EUR für eine Durchschnittsfahrt. Selbst wenn man entsprechend der Annahme
in der vorgelegten Gebührenkalkulation 2005 (Bl. 206 d. A.) eine Durchschnittsfahrt mit
34,8 km ansetzt, ergibt sich eine Erhöhung der Gebühr von 94,04 EUR (gültig bis 30.
113
Juni 2005) auf 102,90 EUR (ab 1. Juli 2007). Dabei zeigt die vorgelegte
Gebührenkalkulation 2007 (Bl. 208 d. A.), dass die in diesem Jahr erfolgte Erhöhung der
Gebühr für den Krankentransport noch weit stärker ausgefallen wäre, wenn nicht
Überschüsse, die sich offenbar aus zu hoch angesetzten Gebühren im Bereich der
Notfallrettung ergeben haben, zu einem gewissen Teil auch dem Krankentransport
zugute gekommen wären.
Der Senat verkennt nicht, dass die Erteilung einer Genehmigung nach § 18 RettG NRW
nahezu immer zu einer Beeinträchtigung der Kostenstruktur des öffentlichen
Rettungsdienstes führen dürfte, so dass die Fokussierung auf diesen Umstand der oben
aufgezeigten Entscheidung des Gesetzgebers für ein "duales System" des
Krankentransports unter Umständen nicht gerecht würde. Im vorliegenden Fall kommt
indes ein Weiteres hinzu: Die Situation des Rettungsdienstes im Kreis M1. hat sich –
wie vielerorts – in den letzten Jahren ganz erheblich verändert. Das gestiegene
Kostenbewusstsein und der damit einhergehende Trend zur Inanspruchnahme des nicht
qualifizierten Krankentransports oder einer kostengünstigeren Alternative innerhalb des
qualifizierten Krankentransports sowie die zunehmende Tätigkeit privater Anbieter in
diesen Bereichen hat zu einschneidenden Veränderungen der Rahmenbedingungen
des öffentlichen Rettungsdienstes geführt. Der Rückgang der Einsatzzahlen im
öffentlichen Krankentransport des Kreises M1. von 13.709 im Jahre 2001 auf 7.615 im
Jahre 2007, also um rund 44,5% innerhalb von sechs Jahren, musste und muss durch
den Träger des Rettungsdienstes mit vertretbaren Mitteln bewältigt werden. Dabei hatte
und hat die sich aufdrängende Anpassung der vorgehaltenen Kapazitäten angesichts
des in § 6 RettG NRW statuierten Sicherstellungsauftrags und des Rangs der
betroffenen Rechtsgüter – Leib und Leben – behutsam zu erfolgen. Vor diesem
Hintergrund hält der Senat die Einschätzung des Beklagten, die Funktionsfähigkeit des
öffentlichen Krankentransports werde durch die Erteilung der Genehmigung für einen
oder mehrere KTW ernstlich und schwerwiegend beeinträchtigt, jedenfalls derzeit für
vertretbar.
114
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S.
1 und 2, 709 S. 2 ZPO.
115
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegt.
116