Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.01.2009

OVG NRW: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, treu und glauben, eltern, schule, mitwirkungspflicht, rechtswidrigkeit, gestaltung, ordnungswidrigkeit, unterricht, gesundheitsbehörde

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 1884/08
Datum:
22.01.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 1884/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 4 L 1364/08
Tenor:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde-verfahren.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren 19 B 1884/08 auf
2.500,- € festgesetzt.
Gründe:
1
Die Beschwerde 19 E 1673/08 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Der Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage 4 K 3823/08 gegen den
Bescheid des Antragsgegners vom 25. Juni 2008 bot und bietet aus den zutreffenden
Gründen des angefochtenen Beschlusses und aus den nachfolgenden Gründen nicht
die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1
ZPO.
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Die Beschwerde 19 B 1884/08 ist ebenfalls unbegründet. Die innerhalb der
einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten
Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO),
ergeben nicht, dass der angefochtene Beschluss aufzuheben oder abzuändern ist. Das
Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung zu Recht auf eine sogenannte offene oder
allgemeine Interessenabwägung gestützt. Es ist davon ausgegangen, dass derzeit
weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 25. Juni 2008
festgestellt werden könne. Ein vorläufiger Besuch der Förderschule sei dem
Antragsteller zumutbar, weil seine (weitere) Beschulung an der Gesamtschule derzeit
nicht Erfolg versprechend sei. Diese die Entscheidung tragende Begründung wird durch
das Vorbringen des Antragstellers nicht erschüttert.
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Soweit der Antragsteller geltend macht, er sei entgegen § 12 Abs. 3 AO-SF nicht
schulärztlich untersucht worden, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids
vom 25. Juni 2008. Denn nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gilt das Verfahren auf
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Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs als ordnungsgemäß
durchgeführt, wenn die schulärztliche Untersuchung verweigert oder der Aufforderung
zur schulärztlichen Untersuchung aus einem sonstigen vorwerfbaren Grund nicht
nachgekommen wird.
OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2003 19 B 2125/03 – m. w. N.
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Die Eltern des Antragstellers haben ihre Mitwirkungspflicht im sonderpädagogischen
Feststellungsverfahren dadurch schuldhaft verletzt, dass sie die schulärztliche
Untersuchung des Antragstellers vereitelt haben. Konkret ausgelöst hat das
Kreisgesundheitsamt des Kreises S. diese Mitwirkungspflicht hier durch die
Einladung vom 14. März 2008 zur schulärztlichen Untersuchung. Diese Einladung
bezog sich entgegen der Auffassung der Eltern eindeutig auf den Antragsteller, auch
wenn in ihrem Text fälschlich der Vorname und das Geburtsdatum eines anderen
Kindes angegeben sind ("mit Ihrem Kind T. geb: 22.09.2004"). Hierin liegt lediglich
ein Schreibversehen des Kreisgesundheitsamts, das für den verständigen Leser auch
offensichtlich war. Denn im Adressfeld der Einladung hieß es ausdrücklich, dass sich
diese "An die Erziehungsberechtigten des Kindes B. , N. " richte. Ferner hatte die
Antragsgegnerin ihnen mit Schreiben vom 5. März 2008 mitgeteilt, dass sie ein
Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs mit den
Förderschwerpunkten "Lernen" und "soziale und emotionale Entwicklung" für den
Antragsteller eingeleitet und ein schulärztliches Gutachten in Auftrag gegeben habe.
Eine Einladung zu einem Untersuchungstermin werde ihnen – den Eltern des
Antragstellers - vom Gesundheitsamt mitgeteilt werden. Unter diesen Umständen
mussten die Eltern die Einladung vom 14. März 2008 eindeutig als auf den Antragsteller
bezogen verstehen, auch wenn sie, wie sie nunmehr geltend machen, erstmalig an
einem sonderpädagogischen Feststellungsverfahren beteiligt sind.
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Zur Klarstellung gibt der Senat den Beteiligten folgenden Hinweis: Der schulärztlichen
Untersuchung nach § 12 Abs. 3 AO-SF müssen sich Schüler stellen, weil sie nach § 42
Abs. 3 Satz 1 SchulG NRW verpflichtet sind, an der Erfüllung der Aufgaben der Schule
und an dem Erreichen des Bildungsziels mitzuarbeiten. Die Pflicht der Eltern, ihr Kind
zur schulärztlichen Untersuchung nach § 12 Abs. 3 AO-SF vorzustellen, ergibt sich aus
§ 42 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SchulG NRW. Danach wirken Eltern im Rahmen des SchulG
NRW an der Gestaltung der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule mit und sorgen
dafür, dass ihr Kind seine schulischen Pflichten erfüllt. Verletzen die Eltern ihre Pflicht
zur Vorstellung des Kindes zur schulärztlichen Untersuchung, liegt darin entgegen der
Auffassung der Antragsgegnerin keine Ordnungswidrigkeit nach § 126 Abs. 1 Nr. 4
SchulG NRW. Dieser Bußgeldtatbestand erfasst nur das unentschuldigte Fernbleiben
vom Unterricht oder von sonstigen Veranstaltungen der Schule nach § 41 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 SchulG NRW. Die schulärztliche Untersuchung nach § 12 Abs. 3 AO-SF gehört
insbesondere nicht zu den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen im Sinne der
§§ 41 Abs. 1 Satz 2, 43 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW. Nicht die Schule, sondern die
Schulaufsichtsbehörde ist nämlich nach den §§ 3 Abs. 1, 12 Abs. 3 Satz 1 AO-SF
verantwortlich für die Durchführung des sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens
und damit auch für die Veranlassung der schulärztlichen Untersuchung durch die untere
Gesundheitsbehörde.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2006 19 B 991/06 -.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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