Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.11.2005

OVG NRW: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, wahrscheinlichkeit, unhcr, staatliche verfolgung, gefahr, bundesamt, flüchtlingshilfe, inhaftierung

Oberverwaltungsgericht NRW, 21 A 1117/03.A
Datum:
21.11.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 A 1117/03.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 9 K 2214/00.A
Tenor:
Soweit die Berufung durch Einschränkung des Berufungsantrages
zurückgenommen ist, wird das Berufungsverfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der am 16. April 1979 in K. geborene, ledige Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger
und tamilischer Volkszugehöriger.
2
Am 22. Mai 2000 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner
Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
(Bundesamt) am 23. Mai 2000 gab der Kläger an: Er stamme aus dem K. -E. . Er habe in
der Nähe des Amman Tempel in V. , D. gelebt. Dort hätten bis zu seiner Ausreise auch
seine Eltern gelebt. Die genaue Adresse des Hauses, in dem er gewohnt habe, wisse er
nicht. Er habe dort zehn Jahre lang die V. N. W. -Schule besucht und sie mit dem O-
Level-Abschluss verlassen. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Er sei von seinen Eltern
unterhalten worden. Zwischen 1995 und 1999 habe er im Vanni-E. gelebt. Nach seiner
Rückkehr in den K. -E. im Jahre 1999 habe er sich dort nur vorübergehend bis zum 5.
März 2000 bzw. bis Mai 2000 bzw. bis März 2000 aufgehalten. Danach habe er sich auf
der Reise befunden. Diese habe insgesamt 800.000 srilankische Rupien gekostet und
sei je zur Hälfte von seiner Mutter und einem Onkel finanziert worden. Sein Onkel habe
ihn auf der Reise nach D1. begleitet. Am 5. März 2000 sei er mit seinem Onkel unter
Benutzung eines Schiffes von L. nach U. gefahren. Von dort sei er dann mit einem Zug
weiter nach D1. gefahren. Passierscheine habe er für diese Reise nicht benötigt. Auch
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Kontrollen habe es unterwegs nicht gegeben. In X. angekommen sei er von seinem
Onkel in eine Wohnung in der G. Road gebracht worden. Er habe über keine
Identitätskarte verfügt, sondern nur einen Zettel bei sich gehabt, aus dem sich die
Beantragung der Identitätskarte ergeben habe. Bei der Polizei habe er sich nicht
gemeldet. Der Onkel habe alles mit dem Schlepper geregelt und ihn dann diesem
übergeben. Da sein Onkel den Schlepper über sein Schicksal informiert habe, habe
dieser ihn an verschiedenen Orten untergebracht. Er selbst habe den Schlepper, der
Tamile gewesen sei, gar nicht näher kennen gelernt. Eines Nachts, an ein genaues
Datum könne er sich nicht erinnern, eventuell im April 2000, sei die X. -Polizei
erschienen, habe die Wohnung durchsucht und ihn festgenommen. An dem Einsatz
seien ungefähr 20 Personen beteiligt gewesen. Die Polizisten seien mit einem blauen
Jeep gekommen. Er sei zur X. -Polizei gebracht und in eine Zelle eingesperrt worden.
Etwa um 1.00 Uhr nachts sei er verhört worden. Seine Personalien seien aufgenommen
worden. Man habe ihn gefragt, ob er Kontakte zur Organisation habe. Daraufhin habe er
seine Kontakte zur LTTE, das Bunkerbauen, das Essen Verschaffen und das Geld
Geben zugestanden. Er habe dies zugegeben, da man ihm alles andere ohnehin nicht
geglaubt hätte. Man habe ihn weiter gefragt, ob er Mitglieder der LTTE kenne. Dies habe
er verneint. Daraufhin sei er mit Holzstangen geschlagen worden. Man habe ihm
vorgeworfen, dass er nach D1. gekommen sei, um Bomben zu legen oder als Terrorist
tätig zu werden, wie sich aus den Umständen ergebe, dass er über keine Identitätskarte
verfüge und sich auch nicht bei der Polizei, wie dies üblich sei, angemeldet habe. Nach
den Misshandlungen sei er wieder in seine Zelle gebracht worden. Diese sei sehr klein
gewesen. Er habe sie mit singhalesischen Kriminellen teilen müssen. Er habe wenig zu
essen bekommen. Auch habe er nicht schlafen können. Insgesamt sei er im April 2000
für sieben Tage / eine Woche aufgrund der Terroristengesetze festgehalten worden.
Sein Schlepper habe für seine Freilassung 10.000 Rupien bezahlt. Die Freilassung
habe unter der Auflage gestanden, dass er sich um eine Identitätskarte bemühe und sich
jeden Samstag auf der Polizeiwache melde. Der Schlepper habe dann unmittelbar für
seine Ausreise gesorgt, in dem er einen srilankischen Pass, ausgestellt auf den Namen
U1. Q. , geboren August 1978, besorgt habe, mit dem er dann am 5. Mai 2000 mit einem
Flugzeug der Sri Lanka Airlines, die Flugnummer sei ihm nicht bekannt, nach Singapur
geflogen sei. Ob sich in dem Pass ein Visum befunden habe, wisse er nicht. In Singapur
habe er zusammen mit dem Schlepper in einem Hotel gelebt, dessen Name er nicht
wisse. Er sei dann von Singapur aus am 18. Mai 2000 gegen 24.00 Uhr Ortszeit mit
einem Flugzeug der Singapur Airlines weiter geflogen. Nach einer Zwischenlandung an
einem ihm unbekannten Ort sei er noch am gleichen Tag um 6.00 Uhr morgens Ortszeit
auf einem großen Flughafen in Deutschland eingetroffen. Er könne den Flughafen nicht
benennen. Eingereist sei er mit einem blauen Reisepass mit grünen Blättern. Die
Nationalität des Passes sei ihm unbekannt. Auf dem Deckblatt habe sich ein Adler
befunden. Auf welchen Namen der Pass ausgestellt gewesen sei, könne er nicht
angeben. Der Schlepper habe ihn dann in eine Wohnung gebracht. Von dort habe der
Schlepper ihn am darauffolgenden Tag, dem 19. Mai 2000, bis zur Außenstelle
Dortmund des Bundesamtes begleitet.
Ausgereist sei er aus folgenden Gründen: Er sei nicht Mitglied der LTTE gewesen, habe
diese Organisation aber mit Geld in Höhe von 20.000 Rupien bzw. 16 gr. Gold
unterstützt. Außerdem habe er der Organisation Essen gebracht und Bunker gegraben.
Sein Bruder sei Mitglied der LTTE gewesen. Er habe zusammen mit seiner Familie bis
zum März 1999 in N1. im W1. - E. gelebt. Zu diesem Zeitpunkt sei die Familie mit einem
Boot über O. in den K. -E. zurückgekehrt. Das Militär habe die Familie dabei beobachtet,
festgenommen und in ein Lager gebracht. Danach sei der Dorfälteste des Dorfes im K. -
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E. , in dem sie früher gelebt hätten, benachrichtigt worden. Er habe sie abgeholt. Die
Familie sei wieder in das ehemals von ihr bewohnte Haus eingezogen. Da er nur über
einen Schulausweis verfügt und keine Identitätskarte gehabt habe, habe er sich noch im
März 1999 auf den Weg nach K. gemacht, um sich eine Geburtsurkunde zu besorgen
und die Identitätskarte zu beantragen. Als er den Ort U2. passiert habe, sei dort eine
Bombe explodiert. Acht Soldaten seien dabei ums Leben gekommen. Er selbst habe
sich bei Wahrnehmung der Explosion sogleich auf den Boden geworfen. Deshalb hätten
Militärangehörige wohl angenommen, er habe etwas mit der Explosion zu tun, und ihn
festgenommen. Genaue Daten der Inhaftierung wisse er nicht mehr. Die Festnahme sei
im April 1999 gewesen. Bei der Festnahme seien ihm Hände und Augen verbunden
worden. Er sei in das T. -Camp gebracht worden. Dort habe man ihn untersucht. Er sei
mit Kabeln geschlagen worden. Auf Verlangen habe man ihm Wasser zu trinken
gegeben. Ein anderer Soldat sei dann gekommen und habe ihn mit Stiefeln ins Gesicht
getreten. Am darauffolgenden Tag sei der Kommandant gekommen und habe ihm
gesagt, dass er etwas mit dem Bombenattentat zu tun habe und nur freigelassen werde,
wenn er Personen preisgebe, die der LTTE angehörten. Darauf habe er erwidert, dass
er keine Leute der LTTE kenne. Am darauf folgenden Tag sei er dann unter
Verwendung einer mit Benzin gefüllten Tüte und Paprikapulver gefoltert worden. Er
habe versucht, sich dagegen zu wehren. Er habe angegeben, Asthma zu haben.
Trotzdem sei er weiter geschlagen worden. Er habe dann die Schläge nicht mehr
ertragen können und gesagt, dass er Leute der Organisation bezeichnen werde. Er sei
danach in das N2. Camp gebracht worden. Dort habe er gesagt, dass er unschuldige
Leute nicht identifizieren werde. Die Soldaten hätten ihm daraufhin das Gesicht mit
einem schwarzen Tuch verdeckt und er habe eine Militäruniform bekommen. Seine
Hand sei mit einem Faden gefesselt worden. An diesem habe ein hinzukommender
junger Mann mit einem Heft gezogen, wenn er - der Kläger - nicken sollte, woraufhin der
Vorgeführte sogleich festgenommen und geschlagen worden sei. Der Festgenommene
habe geschrieen. Er heiße T1. und sei im Anschluss daran nach Q1. geschickt worden.
Erst später habe er - der Kläger - erfahren, dass T1. zur Spitzelgruppe der Organisation
gehöre. Nach der Identifizierung dieses Mannes habe er nach Hause gehen dürfen.
Insgesamt habe diese Inhaftierung sieben Tage gedauert. Nach seiner Entlassung habe
er sich jeden zweiten Tag im N2. -Camp melden müssen. Etwa zwei Wochen später sei
wohl von jemandem verraten worden, dass sein Bruder Mitglied der LTTE sei und sich
zu Hause aufhalte. Im Mai 1999 hätten dann Soldaten das Haus nach dem Bruder
durchsucht, dabei seien seine Eltern geschlagen und er nachfolgend mitgenommen
worden. Die Soldaten hätten die Eltern aufgefordert, den Bruder zu übergeben,
ansonsten er - der Kläger - nicht freigelassen werde. Man habe ihn in das L1. -Camp
gebracht. Dort seien ihm die Augen verbunden und seine Hände auf dem Rücken
gefesselt worden. Man habe ihn auf einem Stuhl festgebunden, entkleidet und
geschlagen. Mit einer Zange habe man ihm Barthaare ausgerissen. Man habe ihm
vorgeworfen, für die LTTE Essen gegeben zu haben. Er habe dies mit der Bemerkung
zugegeben, die LTTE-Leute hätten Hunger gehabt. Dabei sei er getreten worden. Er
habe geschrien. Er sei erneut aufgefordert worden, Anhänger der LTTE zu bezeichnen.
Auf seinen Einwand, dass er keine LTTE- Anhänger kenne, habe man ihm vorgehalten,
bereits in N2. Personen identifiziert zu haben, weshalb er das auch jetzt könne. Er sei
dann mit einer Holzstange geschlagen und erneut mit einer Benzintüte und
Paprikapulver gequält worden. Er habe dann die Identifizierung weiterer Personen
zugesagt. Daraufhin sei er erneut um 9.00 Uhr fortgebracht worden; man habe ihm eine
Uniform gegeben und sein Gesicht wieder mit einer schwarzen Maske verdeckt. Auf der
Straße seien dann zwei junge Männer angehalten und aufgefordert worden, mit
erhobenen Händen zu den Soldaten zu kommen. Als einer der Jungen seine Hand zur
Hüfte bewegt habe, seien beide sofort erschossen worden. Bei den Toten, die - wie er
hinterher erfahren habe - W2. und L2. geheißen hätten, seien Granaten, Kabel usw.
gefunden worden. Die Leichen seien ins Krankenhaus gebracht worden. Als Nächstes
habe man ihn aufgefordert, weitere Mitglieder der LTTE zu identifizieren. Dies habe er
aber abgelehnt. Daraufhin hätten ihn die Soldaten aufgefordert, diejenigen Leute zu
zeigen, die dann vorgeführt werden sollten. Er habe bei zwei vorbeigehenden Jungen
genickt. Diese seien sofort festgenommen worden. Sie hätten N3. und B. geheißen. In
der Haft seien sie gefoltert worden. Nach einer Gesamtinhaftierungsdauer von 10 Tagen
habe er unter der Auflage nach Hause gehen dürfen, sich alle zwei Tage zu melden. Zu
Hause habe er von seiner Mutter erfahren, dass die LTTE nach ihm gesucht hätte. Diese
habe vor, ihn als Verräter zu töten. Er habe sich daraufhin nicht mehr zu Hause
aufgehalten, sondern anderswo gewohnt. Er sei bei einer Tante oder anderen
Verwandten gewesen. An die Behörden, die Polizei bzw. das Militär habe er sich nicht
gewandt und um Hilfe nachgesucht, weil sie ihn festgehalten hätten. Bis sein Onkel ihn
nach D1. gebracht habe, habe er sich allerdings an jedem zweiten Tag bei dem Militär
im K. E. zunächst im N2. -Camp und dann in L3. gemeldet. Letztlich habe er sowohl
wegen der Nachstellungen seitens der LTTE als auch wegen des Militärs sich
entschlossen, den K. E. zu verlassen. Seine Mutter habe entschieden, ihn ins Ausland
zu schicken. Die Familie habe einen Traktor und ein Grundstück verkauft.
Nachts, wenn er schlafe, schreie er und bitte, dass man ihn nicht schlagen möge. Er
leide unter Angst, auch wenn das Telefon klingele. Er habe Gedächtnislücken. So habe
er alles vergessen, was er in der Schule gelernt habe.
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Mit Bescheid vom 28. Juni 2000, zugestellt am 11. Juli 2000, lehnte das Bundesamt den
Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, verneinte das Vorliegen
der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - sowie von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG und forderte den Kläger unter Androhung
der Abschiebung nach Sri Lanka zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf.
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Am 20. Juli 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er sich unter
Darlegung näherer Einzelheiten darauf berufen, wegen seiner Zugehörigkeit zur
Volksgruppe der Tamilen sowie wegen der erlittenen Vorverfolgung bei einer Rückkehr
nach Sri Lanka mit politischer Verfolgung rechnen zu müssen, jedenfalls aber wegen
seiner tamilischen Volkszugehörigkeit, seiner Herkunft aus den tamilischen
Siedlungsgebieten Sri Lankas, dem Fehlen tragfähiger verwandtschaftlicher Bindungen
im singhalesischen Siedlungsgebiet, seines Alters und wegen pauschal unterstellter
Verbindungen zur LTTE Gefahren für Leib und Leben im Falle einer Rückkehr nach Sri
Lanka konkret zu befürchten. Sein Vorbringen beim Bundesamt ergänzte der Kläger
dahingehend: Die Prozedur mit dem Faden habe dazu gedient, ihm zu signalisieren,
wenn er eine Person als LTTE zugehörig "identifizieren" sollte. Die dies praktizierenden
Soldaten hätten auf diese Art und Weise eine Vielzahl von angeblichen "Terroristen"
festnehmen können und sich damit bei ihren Vorgesetzten beliebt machen können. Bei
der dritten Verhaftung sei das gesamte Wohnviertel im Zuge einer Razzia systematisch
durchsucht worden.
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Sein Bruder, Herr T2. O1. , sei seit 1996 als Kämpfer für die LTTE tätig. Er führe dort den
Kampfnamen "O2. ". Aufgrund dieser verwandtschaftlichen Bindungen zu einem aktiven
LTTE-Kämpfer müsse er Gefahren für Leib und Leben im Falle einer Rückkehr nach Sri
Lanka befürchten.
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Der Kläger hat eine Bescheinigung des Dr. S.T. Q2. von der Modern N4. D2. , Q3. Q4.
Road, L4. , vorgelegt, in der es u.a. heißt: When he lived in K. during the Military
Operation period the Army assaulted him very severely and he was affected internal
organs in his body.
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In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat der Kläger Angaben zu
seinem Verfolgungsschicksal gemacht. Der Kläger hat dort zusammenfassend erklärt:
Er sei 1999 von N5. nach K. zurückgekehrt. Das erste Mal sei er im März 2000 oder
1999 in T. verhaftet worden. Tags zuvor habe er eine Geburtsurkunde beantragt. Am
Tag seiner Verhaftung selbst seien sie in einer Kirche gewesen, in der eine
Veranstaltung stattgefunden habe. Auf dem Rückweg sei er verhaftet worden, weil bei
einer Bombenexplosion acht Soldaten ums Leben gekommen seien. Er sei sieben Tage
lang festgehalten worden. Während dieser Zeit hätten sie ihn geschlagen, in eine Tüte
Benzin getan, ihm diese über seinen Kopf gezogen und am Hals befestigt. Ihm sei
gesagt worden, er solle doch zugeben, dass er etwas mit dem Bombenattentat zu tun
habe, und dass er etwas mit dem Attentat zu tun habe und deshalb Leute von der LTTE
identifizieren müsse. Ihm seien dann Personen im N2. -Camp vorgeführt worden. Er
habe nicken sollen, wenn er eine Person erkenne. Er habe keine Person gekannt.
Gleichwohl habe er genickt, als ihm ein Soldat, der hinter ihm gestanden habe, "So
jetzt" gesagt habe. Nach der Entlassung habe er sich einmal die Woche melden
müssen. Dies sei nicht mal einen Monat so gegangen. Dann seien Soldaten zu ihnen
nach Hause gekommen, weil sie für zwei Tage ihren für die LTTE arbeitenden Bruder
beherbergt und beköstigt hätten. Die Soldaten hätten ihn mitgenommen und mit Wasser,
Currypulver oder Benzin gefüllten Plastiktüten gefoltert, um ihn erneut zu bewegen,
Leute zu zeigen. Man habe ihn zum Checkpoint gebracht. In L1. gebe es viele LTTE-
Mitglieder. Bei diesem Kontrollpunkt hätten die Soldaten ihm einen Faden um den
Finger gebunden. Wenn sie an dem Faden gezogen hätten, habe er mit dem Kopf
nicken müssen. Wenn er die Leute nicht indentifiziert hätte, hätten sie ihn geschlagen.
Insgesamt habe er fünf Leute identifiziert. Zwei namens Bellinand und Kandan seien,
weil sie sich an die Hüfte gefasst hätten, sogleich erschossen worden. Sie hätten
Granaten und Kabel mit sich geführt. An Tagen, an denen er niemanden identifiziert
habe, hätten sie ihn geschlagen. Nach insgesamt ca. 10 Tagen im Camp habe man ihn
wieder freigelassen. Zwischenzeitlich sei die LTTE bei seiner Mutter gewesen und hätte
ihn als Verräter bezeichnet. Deshalb sei er für vier, fünf oder sechs Tage zu
Verwandten, einer Tante, nach Kokovil gegangen und seine Mutter habe seine Ausreise
veranlasst. Mit seinem Onkel sei er dann nach L5. gegangen und von dort mit dem Schiff
nach U3. und anschließend mit dem Zug nach D1. gefahren. In Deutschland sei er in
ärztlicher Behandlung. Dort sei ihm gesagt worden, dass er ein bisschen krank im Kopf
sei.
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Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Inhalt im Einzelnen verwiesen wird, hat das
Verwaltungsgericht die Klage mit den Anträgen,
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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
28. Juni 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als
Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG vorliegen,
12
hilfsweise festzustellen,
13
dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen,
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abgewiesen.
15
Auf Antrag des Klägers hat das Gericht mit Beschluss vom 1. März 2005 die Berufung
zugelassen, soweit der Kläger unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) vom 28. Juni 2000
begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und für ihn
das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (§ 60 Abs. 1 Satz 1
AufenthG) sowie von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (§ 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG) festzustellen.
16
Soweit das Begehren auf die Verpflichtung des Beklagten gerichtet gewesen ist, den
Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, hat der Kläger in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat durch seinen Prozessbevollmächtigten erklärt, er verfolge
dieses Begehren nicht weiter.
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Zur Begründung der verbliebenen Berufung führt der Kläger aus: Aus seinem
Vorbringen im erstinstanzlichen sowie im Berufungszulassungsverfahren ergebe sich,
dass er jedenfalls unmittelbar vor dem Verlassen Sri Lankas in D1. unter dem
pauschalen Verdacht der Unterstützung der LTTE längere Zeit festgehalten und
erheblich misshandelt worden sei. Dies erfülle die Merkmale politischer Verfolgung, so
dass er als individuell vorverfolgt anzusehen sei. Dem gemäß liege für ihn keine
hinreichende Sicherheit vor erneuter politischer Verfolgung bei einer Rückkehr nach Sri
Lanka vor. Dies müsse dazu führen, dass die Klage jedenfalls hinsichtlich der
Zuerkennung politischer Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG Erfolg
habe. In jedem Fall werde eine Beweisaufnahme gemäß dem in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Münster gestellten Beweisantrag ergeben,
dass bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung wegen der traumatisierenden
Erlebnisse in Sri Lanka, die von ihm glaubhaft vorgetragen seien, bestehe und seine
Rückkehr dorthin wegen der dann konkret drohenden Re-Traumatisierung nicht möglich
und zumutbar sei, weil dieses Phänomen eine erfolgversprechende Behandlung selbst
dann ausschließen würde, wenn eine Behandlung an sich in Sri Lanka verfügbar wäre.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter entspechend teilweiser Aufhebung des Urteils des
Verwaltungsgerichts Münster vom 29. Januar 2003 (Aktenzeichen 9 K 2214/00.A) und
entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge vom 28. Juni 2000 (Aktenzeichen 2566631-431) zu verpflichten,
festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1
AufenthG hinsichtlich des Staates Sri Lanka vorliegen,
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hilfsweise festzustellen,
21
dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich des Staates
Sri Lanka vorliegen,
22
weiter hilfsweise,
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zum Beweis der Tatsache, dass bei ihm aufgrund traumatischer Erfahrungen in seinem
Heimatland ein posttraumatisches Belastungssyndrom vorliegt und eine insbesondere
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erzwungene Rückkehr in sein Heimatland zu einer psychischen Dekompensation
führen würde, die eine Behandlung seiner Krankheit dort unmöglich machen würde, ein
Sachverständigengutachten eines mit der Behandlung traumatischer Erkrankungen
vertrauten Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, dessen Auswahl in das Ermessen
des Gerichts gestellt werde, einzuholen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Berufung zurückzuweisen.
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Mit Schreiben vom 18. Oktober 2005 hat der Kläger eine psychologische Stellungnahme
der Diplompsychologin T3. vom 14. Oktober 2005 dem Gericht vorgelegt. Nach ihr
befindet sich der Kläger seit Januar 2005 (Erstgespräch: 21. Januar 2005) in
psychotherapeutischer Behandlung. Bisher seien mit dem Kläger 12 (teils
mehrstündige) psychotherapeutisch-diagnostische Gespräche geführt worden. Die
Gespräche seien teilweise mit Hilfe eines Dolmetschers für die tamilische Sprache
durchgeführt worden. Zur Absicherung der Diagnose sei zudem ein Standard-
Beurteilungsbogen zur Erfassung posttraumatischer Belastungsstörungen verwendet
worden. Nach dieser Stellungnahme leidet der Kläger unter starken Schlafstörungen,
verbunden mit intensiven Alpträumen, wiederkehrenden, willentlich nicht zu
beeinflussenden, quälenden Erinnerungen auch am Tage, Angstzuständen, Unruhe,
Nervosität und Gereiztheit, Konzentrationsstörungen, stechenden Kopfschmerzen,
Asthmabeschwerden und chronischem Durchfall. Aufgrund der Auswertung der
Gespräche und des Standard-Beurteilungsbogens gelangt die Diplompsychologin zu
der Diagnose, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer posttraumatischen
Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) leidet und dass die Behandlung aus
psychotraumatologischer Sicht nicht im Herkunftsland, in dem die Traumatisierung
erfolgte, durchgeführt werden kann, da eine Rückführung in das Herkunftsland mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit eine Retraumatisierung mit vollständigem seelischen
Zusammenbruch zur Folge hat. Unter Hinweis darauf, dass der Kläger kaum in der Lage
sei, zeitlich kohärent Ereignisse zu schildern und Zeitintervalle abzuschätzen, und dies
die Erfassung der Vorgeschichte in erheblichem Maße erschwert habe, führt
Diplompsychologin T3. in ihrer Stellungnahme aus: Herr N. gebe an, mehrfach Zeuge
von Kampfhandlungen gewesen zu sein. So sei bei seinem Heimatort ein
singhalesisches Flugzeug von der LTTE abgeschossen worden und brennend auf ein
Haus gestürzt, wobei sowohl die Besatzung als auch Hausbewohner getötet worden
seien. Überall hätten Leichenteile herumgelegen. Es hätte nach verbranntem Fleisch
gerochen. Herr N. habe trotzdem versucht, ein vermeintliches Kabel aufzuheben, das
sich dann aber als Teil einer Leiche herausstellte. Noch heute könne er kein rohes
und/oder verbranntes Fleisch sehen oder riechen. Später (1995) sei er Zeuge eines
Bombenangriffs geworden, bei dem Menschen, die zu einem Schutzbunker flüchten
wollten, vor dem Eingang dieses Bunkers von einer Bombe verletzt oder getötet worden
seien. Überall hätten schreiende Verletzte oder zerfetzte Leichen herumgelegen. Diese
Bilder sehe er auch heute noch in Alpträumen. 1999 sei er nach der Explosion einer
Bombe, bei der 8 singhalesische Soldaten umgekommen seien, dann zum ersten Mal
verhaftet worden; man habe ihn zusammen mit einem Freund in der Nähe von K.
festgenommen und verdächtigt, die Explosion ausgelöst zu haben oder mit den
Attentätern in Verbindung zu stehen. Man habe ihn zum Verhör in ein Militärcamp
gebracht. Dort sei er unter Folter verhört worden. Man habe ihm die Hände auf den
Rücken gebunden und habe ihn mit sandgefüllten Plastikschläuchen geschlagen. Man
habe ihn mit Stiefeln getreten, bis er bewusstlos geworden sei. Man habe ihn an den
Füßen aufgehängt und an einem Seil sehr schnell zu Boden runtergelassen, so dass er
das Gefühl gehabt habe, mit dem Kopf auf den Boden aufprallen zu müssen. Manchmal
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habe man ihn auch beim Herunterlassen mit dem Kopf unter Wasser getaucht, so dass
er geglaubt habe, ersticken zu müssen. Er habe ferner Benzin- und Chilidämpfe
einatmen müssen, indem man ihm eine Plastiktüte über den Kopf gebunden habe. Bei
der Schilderung dieser Ereignisse fange Herr N. regelmäßig an zu husten. Durch diese
Folter sei eine frühere Asthma-Erkrankung verstärkt worden. Schließlich habe er die
durch die Misshandlungen ausgelösten Schmerzen nicht mehr ertragen können und
sich daher bereiterklärt, LTTE-Angehörige zu identifizieren. Er habe dann maskiert
einen Mann durch Kopfnicken "identifiziert", von dem sich später herausgestellt habe,
dass er einen hohen Rang bei der LTTE innegehabt habe. Von diesem Verrat habe die
LTTE erfahren. Herr N. sei nach der Identifizierung schließlich mit der Auflage entlassen
worden, sich jeden Tag bei den Sicherheitskräften zu melden. Während der Haft habe
Herr N. zudem mit ansehen müssen, wie andere Häftlinge an einem Baum gebunden
und so geschlagen worden seien, dass sie am nächsten Tag tot - noch immer an die
Bäume gefesselt - gewesen seien. Auch davon träume er manchmal in seinen
Alpträumen. Später sei er ein weiteres Mal verhaftet worden. Anlass der Verhaftung sei
gewesen, dass man seinen jüngeren Bruder, der sich zwischenzeitlich der LTTE
angeschlossen gehabt habe, gesucht habe. Man sei immer wieder in sein Elternhaus
gekommen, um nach dem Bruder zu suchen. Seine Eltern seien dabei vor seinen Augen
geschlagen worden. Er selber sei schließlich mitgenommen worden und - wieder unter
Folter - über den Aufenthaltsort des Bruders befragt worden. Auch dieses Mal habe er
sich schließlich bereit erklärt, LTTE-Angehörige zu "identifizieren". Er habe auch mit
ansehen müssen, wie ein von ihm Identifizierter erschossen worden sei. Nach seiner
Freilassung habe er in wechselnden Unterkünften (überwiegend bei Verwandten)
gelebt. Seine Familie habe ihn eigentlich möglichst bald aus Sri Lanka weg schicken
wollen. Auch er selbst habe möglichst bald fliehen wollen, da er sich sowohl von den
singhalesischen Sicherheitskräften als auch von der LTTE wegen seines "Verrats" bei
den Identifizierungen verfolgt gefühlt habe. Bereits nach seiner Entlassung und während
der Zeit des Wartens auf die Flucht habe er sich sehr schlecht gefühlt. Er habe oft
Alpträume gehabt, in denen er immer wieder die Folter erlebt habe und die Gesichter
der durch seinen "Verrat" zu Tode gekommenen vor sich gesehen habe. Aus diesen
Träumen sei er schreiend und zunächst auch desorientiert aufgewacht. In diesem
Zustand habe er dann manchmal auch zu fliehen versucht, indem er in panischer Angst
aus dem Haus gelaufen sei. Die Familie habe dann die Flucht vorbereitet und
organisiert. Sie habe aber erst Geld für die Flucht und die Bezahlung der Schlepper
beschaffen müssen, was schließlich durch den Verkauf eines Traktors gelungen sei.
Schließlich sei er dann mit Hilfe der Schlepper zunächst nach D1. und später dann
(nach einer weiteren kürzeren Haft) per Flugzeug im April 2000 nach Deutschland
gekommen.
Der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie L6. hat dem Kläger in einem
bei Gericht am 19. Oktober 2005 eingegangenen Attest bescheinigt, dass dieser seit
dem 13. Mai 2005 bei ihm in fortlaufender Behandlung ist und das Medikament
Amitriptylin einnimmt. In einem weiteren Attest vom 19. Oktober 2005, bei Gericht
eingegangen am 31. Oktober 2005, hat Herr L6. eine depressive Störung bei
posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert, die psychiatrisch-
psychotherapeutisch und medikamentös durch den Einsatz von Trimipramin, Perazin
und Amitriptylin in wechselnden Dosierungen und Kombinationen behandelt wird.
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Die Erkenntnisse und Unterlagen, auf die die Beteiligten mit der Ladungsverfügung
hingewiesen worden sind, sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht
worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Berufungsverfahren ist einzustellen, soweit es den Anspruch des Klägers auf
Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG betrifft (§ 126 Abs. 1 und 3
VwGO). Insoweit hat der Kläger seine Berufung durch Beschränkung des
Berufungsantrages zurückgenommen.
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Die vom Senat zugelassene und auch im übrigen zulässige Berufung des Klägers
bleibt, soweit er sie aufrecht erhalten hat, ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den
noch streitbefangenen Teil der Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat
keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1
AufenthG (A.). Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung des
Bestehens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der § 53
Abs. 6 AuslG ersetzt, ist ebenfalls unbegründet (B.).
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A. Das auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtete
Begehren des Klägers ist unbegründet. Diese Vorschrift, die mit Inkrafttreten des
Zuwanderungsgesetzes - ZuwandG - vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) am 1. Januar
2005 an die Stelle des § 51 Abs. 1 AuslG getreten ist, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG; Art. 15 Abs. 3 ZuwandG)
anwendbar.
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Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Anwendungsbereich dieser
Vorschrift umfasst den des Art. 16a Abs. 1 GG, so noch zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG,
Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, DVBl 1992, 843; zur Deckungsgleichheit von
Art. 16a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer
Konvention: BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500,
503; Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497, 498 ff., und geht
darüber hinaus, indem - nach Maßgabe des § 28 AsylVfG - auch selbst geschaffene
Nachfluchtgründe und gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung durch
nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es an staatlichen
Strukturen fehlt, ein Abschiebungsverbot begründen. Ferner stellt § 60 Abs. 1 Satz 3
AufenthG klar, dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das Geschlecht ist.
34
Vgl. Huber, Das Zuwanderungsgesetz, NVwZ 2005, 1, 6, 10.
35
Eine Verfolgung ist dann im Sinne des Asylgrundrechts bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG
eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische
Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare
Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen.
36
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 333 ff.
37
Die Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers kann sich auch aus gegen
Dritte gerichtete Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asyl- und
abschiebungserheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er
sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage
befindet (Gruppenverfolgung).
38
BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216, 231;
BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1989 - 9 C 33.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 105;
Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 202 f.
39
Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist zunächst, dass die
festgestellten asylrechtsrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in
Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende asylerhebliche Merkmal
treffen. Denkbar ist sowohl eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung
begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volkszugehörigkeit - als auch eine
Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zu Grunde liegt. Dies kann etwa der Fall sein,
wenn sich die Verfolgung zwar eigentlich gegen eine tatsächlich oder vermeintlich
separatistische Überzeugung richtet, der Staat aber einer ethnisch definierten
Bevölkerungsgruppe pauschal eine Nähe zu separatistischen Aktivitäten oder gar
generell deren Unterstützung unterstellt. Ein solcher pauschaler Verdacht kann eine
"Separatismus-Verfolgung" je nach den Umständen des Falles als "ethnische"
Gruppenverfolgung erscheinen lassen.
40
BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 2 BvR 1638/93 -, InfAuslR 1994, 105, 108;
BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 205; Urteil vom 30.
April 1996 - 9 C 170.95 -, BVerwGE 101, 123, 125.
41
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt darüber hinaus eine bestimmte
Verfolgungsdichte oder jedenfalls sichere Anhaltspunkte für das Vorliegen eines
Verfolgungsprogramms voraus.
42
BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 142 f.; Urteil vom 5.
Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 204 ff.; Urteil vom 30. April 1996 - 9 C
170.95 -, BVerwGE 101, 123, 125.
43
Für die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte ist die Gefahr einer so großen
Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich,
dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder
um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen
vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so
ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle
Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung,
die von Dritten ausgeht, und einer staatlichen Gruppenverfolgung sind hinsichtlich der
erforderlichen "Verfolgungsdichte" im Grundsatz gleich.
44
BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 203 f.; Urteil vom 19.
45
April 1994 - 9 C 462.93 -, Buchholz 402.25 AsylVfG § 1 Nr. 169; BVerfG, Beschluss vom
11. Mai 1993 - 2 BvR 2245/92 -, InfAuslR 1993, 304, 306.
Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung
rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe
der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung "zahlreicher" oder
"häufiger" Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich
für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist,
kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in
Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht
als Bedrohung der Gruppe darstellt.
46
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 206.
47
Aus dem dem Asylrecht und dem § 60 Abs. 1 AufenthG zu Grunde liegenden
Zufluchtgedanken folgt, dass ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw.
ein Abschiebungsverbot nur dann besteht, wenn der Ausländer in seinem Heimatstaat
landesweit von politischer Verfolgung bedroht ist. An dieser Voraussetzung fehlt es,
wenn der Betroffene zwar in Teilgebieten seines Heimatstaates mit politischer
Verfolgung in Form individueller oder gruppengerichteter Verfolgung rechnen muss,
wenn er aber in anderen Regionen vor derartiger Verfolgung hinreichend sicher sein
kann (inländische Fluchtalternative).
48
Ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG
besteht nur dann, wenn der Schutzsuchende geltend machen kann, dass er im Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung - § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - bei einer Rückkehr in sein
Heimatland von Verfolgung bedroht wäre, wenn ihm also zu diesem Zeitpunkt die
Rückkehr in die Heimat nicht zugemutet werden kann. Für die danach anzustellende
Prognose gelten unterschiedliche Maßstäbe je nach dem, ob der Ausländer seinen
Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung
verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist.
Im erstgenannten Fall liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG schon
dann vor, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht
hinreichend sicher sein kann (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Hat der
Ausländer sein Heimatland jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Begehren nur
Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische
Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
49
Zum Asylgrundrecht: BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -,
BVerfGE 54, 341, 360; Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80,
315, 344 ff.; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391.
50
Beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr
sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden
Tatsachen.
51
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, 169,
m.w.N.
52
Eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391, 393.
54
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall der gewöhnliche
Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Kläger
ist nicht als Verfolgter im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG aus Sri Lanka ausgereist (I.).
Er muss nach derzeitigem Sachstand auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
befürchten, bei einer Rückkehr nach Sri Lanka einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs.
1 AufenthG ausgesetzt zu sein (II.).
55
I. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung im
Heimatstaat schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten
einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung
ergibt, dass er bei verständiger Würdigung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass
der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen
persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten
Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts
müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers
berücksichtigt werden.
56
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1989 - 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349, vom 26.
Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39 und vom 3. August 1990 - 9 B 45.90 -
, InfAuslR 1990, 344.
57
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall der gewöhnliche
Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Denn der
Kläger ist im Jahr 2000 nicht als Verfolgter im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG aus Sri
Lanka ausgereist. Er war vor seiner Ausreise aus Sri Lanka weder von derartiger
Verfolgung betroffen oder bedroht (1.), noch war er in der Gefahr, Opfer einer
Gruppenverfolgung zu werden (2.).
58
1. Der Vortrag des Klägers, er sei im K. -E. zweimal inhaftiert gewesen und habe
aufgrund von Misshandlungen zwangsweise in der im Tatbestand geschilderten Weise
mit den Sicherheitskräften zusammenarbeiten und sich nach seiner Freilassung bei
diesen regelmäßig melden müssen, ist unglaubhaft, da widersprüchlich und gesteigert.
Der Kläger hat bei seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht zunächst die beiden Verhaftungen zeitlich als im Jahr 2000, dem
Jahr seiner Ausreise, erfolgt dargestellt. Erst auf Vorhalt hat er es für möglich gehalten,
dass die Verhaftungen auch im Jahr 1999 erfolgt sein können, wie er bei der Anhörung
durch das Bundesamt noch angegeben hatte. Dort hat er allerdings nicht gleichförmig
anzugeben vermocht, bis wann er sich noch im K. -E. aufgehalten hat. So gab er
seinerzeit an, dort noch bis zum 5. März bzw. März 2000 bzw. Mai 2000 gewesen zu
sein. Diese Unstimmigkeiten sind insofern nicht nachvollziehbar als er durch das
Bundesamt bereits am 23. Mai 2000 angehört wurde und es insoweit allein um die
zeitliche Einordnung des unmittelbar in den letzten Wochen und Monaten Erlebten ging.
Widersprüchlich sind auch seine Angaben zu seiner ersten Festnahme. Beim
Bundesamt hatte er noch angegeben, dass er nach K. gegangen sei, um eine
Identitätskarte zu beantragen, und unterwegs, soeben als er den Ort U2. passiert habe,
eine Bombe explodiert sei und er sich auf den Boden geworfen habe. Demgegenüber
gab er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht an, erst am Tag,
nachdem er die Identitätskarte beantragt hatte, festgenommen worden zu sein und zwar
59
in T. nach dem Besuch einer Veranstaltung in einer Kirche. In den mündlichen
Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat hat der Kläger erklärt, sich
bereits auf dem Rückweg von K. befunden zu haben, als die Bombe explodierte.
Während er beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht nicht erwähnte, zusammen mit anderen festgenommen worden zu
sein, ist er laut Stellungnahme der Diplompsychologin T3. zusammen mit einem Freund
und laut Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zusammen mit
anderen, die er nicht kannte, verhaftet worden. Erstmals in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat berichtet der Kläger, dass bei dem Verhör, in dem ihm ein Vorgesetzter
der Soldaten vorgehalten habe, an dem Bombenattentat beteiligt gewesen zu sein, und
ihn zur Mitwirkung bei der Identifizierung von LTTE-Anhängern aufgefordert habe, ein
weiterer Gefangener anwesend gewesen sei. Dieses Verhör datierte der Kläger beim
Bundesamt auf einen Tag nach der Festnahme, bei der Anhörung vor dem Senat auf
etwa vier bis fünf Tage nach seiner Verhaftung. Auch seine "Mithilfe" bei der
Identifizierung von LTTE-Anhängern schilderte der Kläger bei den einzelnen
Anhörungen abweichend voneinander. Während er beim Bundesamt noch angegeben
hatte, dass seine Hand an einem Faden gefesselt worden sei und er habe nicken
müssen, wenn ein mit einem Heft ausgestatteter junger Mann an dem Faden gezogen
habe, gab er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht an, verbal
durch einen hinter ihm stehenden Soldaten zum Nicken aufgefordert worden zu sein.
Dort ordnete er die Geschichte mit dem Faden erst der zweiten Inhaftierung zu,
allerdings mit der Abweichung, dass ihm der Faden um einen Finger und nicht um die
Hand gebunden worden sein soll. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
erwähnte der Kläger eine Schnur zur Identifizierung von LTTE-Anhängern im
Zusammenhang mit seiner ersten Inhaftierung. Die soll ihm um den kleinen Finger der
rechten Hand gebunden worden sein. Beim Bundesamt will der Kläger mit
Paprikapulver gequält worden sein. Vor dem Verwaltungsgericht gab er an, dass er mit
Currypulver gefüllten Plastiktüten gefoltert worden sei. Nach der Stellungnahme der
Diplompsychologin T3. wurde der Kläger mit Chili-Dämpfen misshandelt. Vor dem
Senat hat sich der Kläger dahingehend eingelassen, dass ihm Chilipulver auf das
Gesicht gesprüht worden sei. Vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger erklärt, im
Kantharoday-Gefängnis in der Weise gefoltert worden zu sein, dass eine Plastiktüte am
Hals befestigt und durch eine obere Öffnung Wasser eingefüllt worden sei, bis man nicht
mehr habe atmen können. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat fand diese
Form der Misshandlung keine Erwähnung mehr. Hier gab der Kläger an, man habe ihm
die Füße zusammengebunden, ihn an einem Seil kopfüber hochgezogen und immer
wieder in eine mit Wasser gefüllte Wanne getaucht. Folter in Form von Schlägen mit
einem Kabel, Tritten mit Stiefeln ins Gesicht und das Herausreißen von Barthaaren mit
einer Zange, die er vor dem Bundesamt noch geschildert hat, erwähnt der Kläger bei
seiner Einlassung vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr. Auch in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat erwähnt er nicht das Herausreißen von Barthaaren, wohl
aber erstmals das Ausdrücken brennender Zigaretten auf seiner Haut, insbesondere an
seinen Beinen, und dass auf einen Tisch gelegt und mit Wasser begossen werden.
Nach seiner ersten Entlassung musste sich der Kläger laut Aussage vor dem
Bundesamt alle zwei Tage und nach seinen Angaben vor dem Verwaltungsgericht
einmal wöchentlich melden. In der Stellungnahme der Diplompsychologin T3. heißt es,
dass sich der Kläger täglich bei den Sicherheitskräften habe melden müssen. Vor dem
Senat gab der Kläger an, dass er sich nach seiner ersten Entlassung alle zwei oder drei
Tage in N2. zu einer Unterschrift habe melden müssen. Die Dauer der Inhaftierungen
gab der Kläger bisher mit einer Woche bzw. 10 Tagen an. In der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat erklärte er, dass seine erste Verhaftung ca. einen Monat
und seine zweite Inhaftierung ca. 3 Monate gedauert habe.
Soweit man dem Vorbringen des Klägers vor dem Bundesamt folgt, dass die
Inhaftierungen in 1999 erfolgten und er erst im Jahr 2000, etwa zur selben Jahreszeit,
das K. -E. in Richtung D1. verlassen hat, bleibt unklar, wo der Kläger sich nach seiner
zweiten Freilassung aufgehalten und was er seitdem - mit Ausnahme der Meldungen
bei den Sicherheitskräften - gemacht hat. Insoweit gibt er allein an, sich bei einer Tante
oder anderen Verwandten aufgehalten zu haben. Die Behauptung, auch wegen der
Nachstellungen seitens der LTTE den K. - E. verlassen zu haben, wird mit Ausnahme
der Angabe, dass während seiner Inhaftierung die LTTE nach ihm gesucht habe, um ihn
als Verräter zu töten, nicht weiter konkretisiert. Es ist daher weder verständlich, warum
der Kläger nicht sogleich, nach dem er von den Recherchen der LTTE nach ihm
erfahren hatte, den K. -E. verließ, wenn er tatsächlich eine Ermordung seitens der LTTE
befürchtete, noch einsichtig, was den Kläger veranlasst haben könnte, im Jahr 2000 dort
weg zu gehen.
60
Auch die angebliche Verhaftung, Inhaftierung, Folterung und Freilassung des Klägers in
D1. ist nicht glaubhaft, weil die dazu gemachten Angaben sich mit anderen Angaben
widersprechen und sie nur wage und oberflächlich dargestellt wurden. Insoweit ist
bereits auffällig, dass die Inhaftierung in D1. in der Stellungnahme der
Diplompsychologin T3. nur in einem Klammerzusatz mit den Worten "nach einer
weiteren kürzeren Haft" Erwähnung findet und der Kläger auch in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat vor dem Vorhalt, Einzelheiten zu dieser Verhaftung zu
erzählen, nur bemerkte, dass ihn in D1. Polizisten verhaftet und 7 Tage in Haft gehalten
hätten.
61
Widersprochen hat sich der Kläger auch bei seinen zeitlichen Angaben. Wenn er einmal
erklärt, erst im Mai 2000 nach D1. gekommen zu sein, kann seine andere Erklärung, im
April 2000 in D1. festgenommen worden zu sein, wobei er genaue Daten nicht nennen
könne, nicht stimmen. Soweit er sich darauf beruft, im März 2000 nach D1. gekommen
zu sein - am 5. März 2000 will er K. in Richtung D1. verlassen haben -, ist damit die
Angabe in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht vereinbar,
sich insgesamt "etwas weniger als einen Monat" bis zur Ausreise in D1. aufgehalten zu
haben.
62
Beim Bundesamt hat er vorgetragen, während seines Aufenthalts in D1. vom Schlepper
an verschiedenen Orten untergebracht worden zu sein. In der mündlichen Verhandlung
vor dem Verwaltungsgericht gab er auf die Frage, wo er gewohnt habe, "G. Street" an.
Vor dem Senat ließ er sich wieder dahingehend ein, während seines Aufenthalts sich
nie länger in einer Wohnung aufgehalten zu haben.
63
Das Vorbringen des Klägers ist auch nicht substantiiert. So behauptet er im Rahmen
seiner Anhörung durch das Bundesamt bezüglich der Verhaftung, dass eines Nachts
Polizei erschienen sei, die Wohnung durchsucht und ihn festgenommen habe und dass
an diesem Einsatz ungefähr 20 Polizisten sowie ein blauer Jeep beteiligt gewesen
seien. In seiner Klagebegründung erklärt er, das gesamte Wohnviertel sei im Zuge einer
Razzia systematisch durchsucht worden, daran seien etwa zwanzig Polizisten beteiligt
gewesen. Wann und unter welchen Umständen er dies wahrgenommen haben will,
erklärt der Kläger nicht. Sollte er, obgleich es Nacht war, die systematische
Durchsuchung des Viertels vor der Durchsuchung seiner Wohnung und seiner
Festnahme bemerkt haben, wofür spricht, dass ihm nach seiner Festnahme die
64
Gelegenheit zu solchen Feststellungen gefehlt haben dürfte, fragt sich jedenfalls, warum
er nicht einmal versucht hat, sich einer Festnahme durch Verstecken oder Flucht zu
entziehen. Trotz der Aufforderung, Einzelheiten zu erzählen, führt der Kläger hierzu
allein aus, dass man ihn trotz seiner wechselnden Unterkünfte gefunden habe.
Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erwähnt der Kläger in
gesteigerter Weise, dass er mit einer "DO" nach X1. habe gebracht werden sollen, sein
Agent ihn jedoch zuvor freigekauft habe. Vor dem Bundesamt hat der Kläger hierzu
noch ausgeführt, dass der Schlepper für seine Freilassung 10.000 Rupien bezahlt habe
und er dann unter den Auflagen freigelassen worden sei, sich unmittelbar um eine
Identitätskarte zu kümmern und samstags zur Polizeiwache zu kommen, um dort eine
Unterschrift zu leisten. Diese Vorbringen widersprechen sich bereits insoweit, als einmal
eine Freilassung durch Bestechung und einmal durch Kautionszahlung und unter
Auflagen geschildert wird. Außerdem mussten nach der Auskunftslage nur diejenigen,
bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung an Bombenanschlägen der
LTTE bestanden, unter dem PTA damit rechnen, mittels einer "Detention Order" ("DO")
des Verteidigungsministeriums festgehalten zu werden. Diejenigen Verhafteten, bei
denen eine Detention Order vorlag, wurden in aller Regel rasch einer der
Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung überstellt und dort zu Verhörzwecken in
Polizeihaft gehalten. Fälle, in denen die Polizei einen hinreichenden Tatverdacht
feststellte, wurden zur Anklageerhebung an die Generalstaatsanwaltschaft abgegeben.
Die Verdächtigen wurden in Haftanstalten eingewiesen, wo sie auf ihr Verfahren warten
mussten. Nichtverdächtige wurden freigelassen. (Zum Ganzen vgl. Auswärtiges Amt -
AA -, Lagebericht vom 16.03.2005.) Der Kläger hat eine Beteiligung an terroristischen
Aktivitäten der LTTE nie behauptet. Wenn die Sicherheitskräfte in D1. dies dem Kläger
allerdings unterstellt haben sollten, dürfte es ihm nicht möglich gewesen sein, durch
Bestechung der Spezialeinheiten oder durch Kautionszahlung und unter Auflagen frei
gekommen zu sein.
65
Unglaubhaft erscheinen auch die Angaben des Klägers zu den Verhören. Hier erklärt
der Kläger zwar, gegenüber den Sicherheitskräften seine Kontakte zur LTTE, das
Bauen von Bunkern, das Verschaffen von Essensrationen und die Unterstützung mit
Geld zugestanden zu haben. Er trägt aber nicht vor, auch erklärt zu haben, zuletzt mit
den Sicherheitskräften in K. zusammengearbeitet, sogar bei der erfolgreichen
"Identifizierung" von LTTE-Anhängern und -Aktivisten mitgewirkt zu haben sowie der
nachfolgend seitens der Sicherheitskräfte erteilten Auflage, sich regelmäßig bei den
Sicherheitskräften zu melden, regelmäßig nachgekommen zu sein. Stattdessen will er
die Frage, ob er Mitglieder der Organisation (gemeint ist die LTTE) kenne, verneint
haben. Die Schilderung seiner Mitwirkungshandlungen in der Vergangenheit aber hätte
bei den Sicherheitskräften ohne weiteres die Auffassung begründen oder stärken
können, dass es sich beim Kläger nicht um einen LTTE- Aktivisten oder -Anhänger
handelt.
66
Die angeblich von Dr. S. T. Q2. , Modern N4. D2. in L4. , ausgestellte Bescheinigung,
die der Kläger vorgelegt hat, bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger zweimal
verhaftet worden ist. Aus der Bescheinigung ergibt sich, dass der Kläger innere
Verletzungen erlitten haben und von April 1999 an für eine lange Zeit von Dr. Q2. mit
Medikamenten behandelt worden sein soll. Beim Bundesamt hatte der Kläger hierzu nur
angegeben, trotz der Misshandlungen keine Verletzungen erlitten, wohl aber an
Schmerzen gelitten zu haben. Wenn der Kläger tatsächlich seit April 1999 für längere
Zeit medikamentös behandelt wurde, ist jedenfalls damit die in der mündlichen
67
Verhandlung behauptete zweite Verhaftung mit einer Dauer von drei Monaten nur
schwerlich vereinbar. Auch der Umstand, dass der Kläger für eine lange Zeit von Dr. Q2.
behandelt worden sein will, ist mit dem behaupteten Verstecken bei Verwandten nach
seiner zweiten Freilassung vor einer Verfolgung seitens der LTTE nicht ohne weiteres in
Einklang zu bringen.
Im Übrigen sind die gesamten Schilderungen des Klägers vor dem Bundesamt, vor dem
Verwaltungsgericht und vor dem Senat - auch wenn die Geschehnisse im Verhältnis zu
den letzten beiden Schilderungen schon mehrere Jahre zurückliegen - nicht von einer
Anschaulichkeit, die die Überzeugung vermittelt, dass die Verhaftungen und
Misshandlungen tatsächlich erfolgt sind. Zwar hat der Kläger teils Einzelheiten
angegeben. Diese Details, deren Richtigkeit nicht nachgeprüft worden ist, würde aber
auch jemand schildern können, der die Gebäude der Sicherheitskräfte nur von außen
gesehen oder sich dort nur kurz aufgehalten hätte. Auch das von ihm Erlebte ist durch
mangelnde Anschaulichkeit und Detailarmut geprägt. Es wurden keine
zusammenhängenden Geschehensabläufe und Einzelereignisse zu den Verhören und
Misshandlungen geschildert, sondern der Gegenstand der Verhöre sowie die Art und
Weise der Misshandlungen wurden isoliert und abstrakt dargestellt. Der Kläger zeigte
bei der Anhörung durch den Senat auch keine bemerkenswerten Gefühle im
Zusammenhang mit der Schilderung der ihm vermeintlich widerfahrenen
Misshandlungen. Insbesondere musste der Kläger nicht, wie von der
Diplompsychologin T3. in ihrer Stellungnahme vom 14. Oktober 2005 behauptet, husten,
als er die Misshandlungen mit Benzin und Chili- Dämpfen schilderte.
68
Anhaltspunkte dafür, dass die aufgezeigten gravierenden Ungereimtheiten in den
verschiedenen Äußerungen des Klägers auf einer asylrechtlich erheblichen
posttraumatischen Belastungsstörung beruhen und eine solche Störung gerade
beweisen könnten, bestehen nicht. Der Senat sieht deshalb keinen Grund, dem
Hilfsbeweisantrag nachzugehen, der zunächst darauf gerichtet ist, zu der behaupteten
Tatsache, dass bei dem Kläger aufgrund traumatischer Erfahrungen in seinem
Heimatland ein postraumatisches Belastungssyndrom vorliegt, ein
Sachverständigengutachten eines mit der Behandlung traumatischer Erkrankungen
vertrauten Facharztes für Neurologie und Psychiatrie einzuholen.
69
Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die vom Kläger gestellte sachverständige
Zeugin Stümer - wie sie in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 14. Oktober 2005
ausführt - im Verlauf von 12 psychotherapeutisch- diagnostischen Gesprächen nach
anerkannten fachlichen Regeln zu dem Schluss gelangt ist, der Kläger leide mit hoher
Wahrscheinlichkeit an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dem Senat ist
aufgrund der einschlägigen Fachliteratur
70
vgl. Birck, Zur Erfüllbarkeit der Anforderungen der Asylanhörung für traumatisierte
Flüchtlinge aus psychologischer Sicht, in: ZAR 2002, 23, 29; Haenel, Besonderheiten
bei der Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen, in: Begutachtung psychisch
reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren (Hrsg. Haenel, Wenk-
Ansohn), Basel 2004, auf die sich auch die sachverständige Zeugin bezieht, bekannt,
dass als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung die Fähigkeit beeinträchtigt
sein kann, die traumatischen Erfahrungen konsistent darzustellen. Ob ein Proband in
der Lage ist, die Symptome zu demonstrieren, die die sachverständige Zeugin bei den
Sitzungen festgestellt hat, kann letztlich dahingestellt bleiben, weil der Kläger
gegenüber der Zeugin Sachverhalte angesprochen hat, die durchaus geeignet sein
71
können, einen von ihnen betroffenenn Menschen außerordentlich stark zu belasten, hier
aber ohne Bedeutung sind, weil sie nichts mit einer individuellen Verfolgung zu tun
haben, sondern Teil eines Bürgerkriegsgeschehens sind. Dies betrifft die von der
sachverständigen Zeugin im einzelnen beschriebenen Vorfälle - Abschuss eines
Flugzeugs durch die LTTE und Bombenangriff in der Nähe eines Bunkers -, bei denen
der Kläger mit Toten und Verletzten konfrontiert war. Vor diesem Hintergrund liegt
durchaus der Schluss nahe, dass der Kläger weitere Bürgerkrieserfahrungen - etwa
einen Anschlag auf Soldaten mit acht Toten und die Erschießung von zwei verdächtigen
jungen Leuten durch Sicherheitskräfte - gemacht hat, die geeignet sein können, eine
traumatische Belastungsstörung auszulösen. Damit allein ist jedoch noch nicht
erwiesen, dass es sich dabei mindestens zum Teil um Erfahrungen handelt, die in
einem Zusammenhang mit gegen den Kläger gerichteten Übergriffen stehen.
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage eines Asylbewerbers, eines Zeugen
oder sonstigen Prozessbeteiligten ist Aufgabe des Gerichts, die zum Wesen der
richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung, gehört. Auch in
schwierigen Fällen ist der Tatrichter daher berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert
einer Aussage selbst zu würdigen. Dabei muss er insbesondere die
Persönlichkeitsstruktur, den Wissensstand und die Herkunft des Asylbewerbers
berücksichtigen. Auf sachverständige Hilfe ist er im Allgemeinen nicht angewiesen.
72
BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1989 - 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349, vom 26.
Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, und vom 3. August 1990 - 9 B 45.90 -,
InfAuslR 1990, 344.
73
Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben somit in eigener Verantwortung
festzustellen, ob die Darlegungen eines Asylbewerbers und etwa zugehöriger Zeugen
glaubhaft sind. Ob sich die Gerichte dabei der Hilfe eines Sachverständigen bedienen
wollen, haben sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. In aller Regel
werden sie sich die zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung notwendige Sachkunde selbst
zutrauen und auf die Hinzuziehung eines Fachpsychologen verzichten können. Etwas
anderes gilt nur dann, wenn im Verfahren besondere Umstände in der
Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen hervortreten, die in erheblicher Weise von den
Normfällen abweichen und die es deshalb geboten erscheinen lassen, sachverständige
Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist dabei grundsätzlich Sache des Asylbewerbers,
derartige besondere Umstände aufzuzeigen, soweit ihm dies möglich ist. Wenn
Anzeichen dafür erkennbar oder substantiiert vorgetragen sind, dass ein Asylbewerber
auf Grund erlittener Misshandlungen traumatisiert sein könnte mit der möglichen Folge,
über das Erlebte nur noch selektiv, widersprüchlich oder gar nicht berichten zu können,
muss das Gericht allerdings mit besonderer Sorgfalt prüfen, ob es die zur Beurteilung
des Sachvortrags erforderliche Sachkunde selbst besitzt oder sachverständiger Hilfe
bedarf.
74
BVerwG, Beschluss vom 29. August 1984 - 9 B 11247.82 -, InfAuslR 1985, 54,
Beschluss vom 12. Mai 1999 - 9 B 264.99 -, Beschluss vom 7. Juli 1999 - 9 B 401.00 -;
OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2001 - 8 A 5585/99.A -, Beschluss vom 23.
November 2004 - 8 A 2299/04.A -, Beschluss vom 24. Januar 2005 - 8 A 159/05.A -.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe bedarf es im vorliegenden Fall keiner weiteren
Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wie die
Anhörungen vor dem Bundesamt, dem Verwaltungsgericht und dem Senat gezeigt
haben, ist der Kläger durchaus in der Lage gewesen, im jeweiligen Zeitpunkt der
75
Anhörung über das angeblich Erlebte zu berichten. Er hat - soweit erkennbar - keine aus
seiner Sicht erheblichen Ereignisse ausgelassen und war auch in der Lage über sie zu
berichten. Diese Berichte waren in sich nicht widersprüchlich. Sie waren aber nicht
glaubhaft, weil in wesentlichen Punkten krasse Widersprüche aufgetreten sind und
darüber hinaus eine bedeutende Steigerung feststellbar ist. Während der längeren
Anhörung des Klägers sind keine in der psychologischen Stellungnahme der Zeugin T4.
erwähnten Gesundheitsstörungen erkennbar geworden. Der Kläger hat nur einmal um
eine etwa zehnminütige Unterbrechung gebeten, um ein Medikament einnehmen zu
können. Der Kläger hat sich fortlaufend an der Hauptverhandlung beteiligt. Er war dem
Dolmetscher zugewandt und hat mit diesem offen kommuniziert. Auf Vorhalte und
Fragen hat der Kläger spontan reagiert. Konzentrationsschwächen zeigten sich nicht.
Der Kläger hat über die behaupteten traumatischen Erlebnisse berichtet, ohne die von
der sachverständigen Zeugin beschriebenen körperlichen Reaktionen - etwa ein Husten
bei der Darstellung der Folter mit Chili- und Benzindämpfen - zu zeigen. Anzeichen für
Angstzustände, Unruhe und Aufgeregtheit waren nicht feststellbar. Die Annahme der
Diplompsychologin T3. , der Kläger leide wahrscheinlich an einer posttraumatischen
Belastungsstörung, lässt sich auch nicht teilweise mit der Annahme begründen, der
Kläger könne bis heute kein rohes und/oder verbranntes Fleisch sehen oder riechen.
Wie sich dem eigenen Vorbringen des Klägers entnehmen lässt, ist dieser seit Jahren in
einem Schnellrestaurant (Mc Donalds) beschäftigt. Ungeachtet des Tätigkeitsbereichs
des Klägers dort, ist es ausgeschlossen, dass er dabei nicht rohes und/oder verbranntes
Fleisch sieht oder riecht.
Auch soweit sich der Kläger beim Bundesamt auf das Bestehen von Gedächtnislücken
berufen hat, hat er diese konkret darauf bezogen, dass er alles vergessen haben will,
was er in der Schule gelernt habe. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kläger
auch sein Verfolgungsschicksal im Wesentlichen ohne Berufung auf Gedächtnislücken
dargestellt. Er hat sich allenfalls auf eine mangelnde Erinnerung an konkrete Daten
berufen. Gleiches gilt für sein Vorbringen im Gerichtsverfahren. Auch in der
Stellungnahme der Diplompsychologin T3. und den Attesten des Arztes für Neurologie,
Psychiatrie und Psychotherapie L6. wird dem Kläger nicht eine Störung der
Gedächtnisfähigkeit bescheinigt. Soweit dem Kläger Konzentrationsstörungen
bescheinigt werden und mit diesen ein Aufmerksamkeitsdefizit einhergehen sollte, hat
es sie jedenfalls nach den jeweiligen Protokollen bei der Anhörung vor dem Bundesamt
und bei der Einlassung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht nicht während seiner Erklärungen zu seinem Verfolgungsschicksal
gezeigt. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurden solche Defizite
nicht ansatzweise erkennbar.
76
In dem Attest des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 19.
Oktober 2005 bescheinigt dieser dem Kläger zwar eine depressive Störung bei
posttraumatischer Belastungsstörung. Das Attest gibt aber für das krass
widersprüchliche Aussageverfahren des Klägers nichts her.
77
2. Der Kläger gehörte im Zeitpunkt seiner Ausreise auch keiner Gruppe an, deren
Mitglieder Verfolgung drohte. Das Gericht hat die die Tamilen betreffenden allgemeinen
Verhältnisse in Sri Lanka bereits in seinen rechtskräftigen Urteilen vom 23. November
2001 - 21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und vom 29. November 2001 - 21 A
3853/99.A - auch im Hinblick auf den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers wie folgt
bewertet:
78
"Die Verhältnisse in Sri Lanka tragen "nicht die Schlussfolgerung auf eine der
Bevölkerungsgruppe der Tamilen oder einer vorliegend möglicherweise relevanten
Untergruppe der Tamilen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens des srilankischen
Staates drohende (Gruppen-)Verfolgung, und zwar weder für das gesamte Land noch für
einzelne Landesteile.
79
aa) Keine landesweite unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung
80
Eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechend landesweite
staatliche (Gruppen-)Verfol-gung von Tamilen findet nicht statt (AA 07.07.1995 S. 1;
24.10.2001 S. 11; ai 28.09.1995 S. 3); auch landesweite allein ethnisch bedingte
Repressalien gegen Tamilen von Seiten der singhalesischen Bevölkerungs-mehrheit
sind selbst nach der LTTE zugeschriebenen Attentaten und Anschlägen sowie
verlustreichen Kämpfen im Norden ausgeblieben (AA 30.08.1996 S. 4; 24.10.2001 S.
17). Die Beeinträchtigungen, denen sich Tamilen ausgesetzt sehen, stehen im
Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen srilankischen
Kräften und der LTTE. Entsprechend den unterschiedlichen Ausprägungen dieses
bewaffneten, Überfälle und Terroranschläge auch außerhalb der Kampfgebiete
einschließenden Konflikts stellen sich die Auswirkungen auf die Lage der Tamilen in
den verschiedenen Gebieten Sri Lankas unterschiedlich dar. Im Einzelnen betrachtet
ergibt sich dabei für keinen Bereich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung durch den srilankischen Staat. bb) Großraum Colombo und sonstige
Bereiche des Südens und des Westens Sri Lankas
81
Im Großraum Colombo und - in geminderter Weise - in den sonstigen Bereichen des
Südens und Westens Sri Lankas drohen Tamilen zwar Beeinträchtigungen. Diese
erreichen aber weithin nicht die Eingriffsintensität, die für eine asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich ist, oder es mangelt ihnen an der notwendigen
Gerichtetheit oder sie sind dem srilankischen Staat nicht zuzurechnen; soweit diese
einer Asylberechtigung entgegenstehenden Gesichtspunkte nicht eingreifen, fehlt es an
der Verfolgungsdichte.
82
(1) Identitätsfeststellung und Verhaftung
83
Angehörige der tamilischen Volksgruppe müssen damit rechnen, einer
Identitätsüberprüfung unterzogen und zu diesem Zweck verhaftet zu werden. Im
Großraum Colombo finden routinemäßig und anlassbedingt umfangreiche Kontrollen
und groß angelegte Razzien statt, die zu Inhaftierungen und Verhören von Personen
führen, die sich nicht ausweisen oder keine zufrieden stellende Erklärung über den
Zweck ihres Aufenthalts geben können (AA 16.01.1996 S. 7; 11.03.2001 S. 10;
24.10.2001 S. 12; KK 22.02.1997 S. 4; Wingler 08.10.1997 S. 31). Von diesen
Maßnahmen - die vor allem im Zusammenhang mit den wiederholten Bombenattentaten
zu sehen sind, zu denen es seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensgespräche
zwischen der Regierung und der LTTE und dem Wiederausbruch der offenen
Kriegshandlungen im Norden Sri Lankas seit April 1995 immer wieder kommt - sind in
erster Linie jüngere Tamilen beiderlei Geschlechts im Alter zwischen etwa 15 bis 40
Jahren, aber auch Tamilen anderer Altersgruppen betroffen (AA 24.10.2001 S. 12; ai --
.06.1999, Länderkurzbericht, S. 3; KK 04.01.1996 S. 54; Südasien 1/00; Wingler --
.05.2000 S. 1). Schätzungen über die Anzahl der von anlassbezogenen
Massenverhaftungen Betroffenen belaufen sich - bezogen auf kurze Zeiträume - schon
bei einzelnen Vorkommnissen auf mehrere Hundert oder gar tausende Personen (AA
84
05.06.2000 S. 16; KK 04.01.1996 S. 55; 13.05.1996 S. 3; 20.03.1998 S. 2 ff.; Wingler
31.05.1998 S. 27, 33). So haben auch in jüngerer Zeit verschiedene der LTTE
zugerechnete Anschläge (u.a. Bombenattentat auf Staatspräsidentin Kumaratunga und
Bombenanschlag bei einer Wahlveranstaltung einer Oppositionspartei am 18.
Dezember 1999 mit zusammen über 30 Toten; Bombenanschlag in der Nähe des
Amtssitzes der Premierministerin am 5. Januar 2000 mit 11 Toten; Bombenanschlag in
der Nähe des Parlaments im März 2000) zu verstärkten Personenüberprüfungen und
Razzien geführt, in deren Verlauf mehrere Tausend Tamilinnen und Tamilen
festgenommen wurden (AA 18.04.2000 S. 2: etwa 3.000 Personen in den vergangenen
Monaten; AA 24.10.2001 S. 12; KK 29.02.2000 S. 3 f.: schätzungsweise bis zu 10.000
Personen allein im Januar bis Mitte Februar 2000; ferner ai 23.02.2000
99.134> S. 4). Aktuell hat sich die Lage in Colombo ab der zweiten Jahreshälfte 2000
eher entspannt. Die Anzahl der Überprüfungsmaßnahmen ist im Vergleich zur ersten
Jahreshälfte 2000 zurückgegangen. Der Bombenanschlag vor dem Rathaus von
Colombo im Oktober 2000 hat keine Massenverhaftungswelle oder Razzien gegen
Tamilen ausgelöst (AA 26.01.2001 S. 7; Wingler --.04.2001 S. 3 f.). Auch nach dem
Anschlag auf den Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden
internationalen Flughafen am 24. Juli 2001 ist es zu einer weit geringeren Anzahl
kurzfristiger Festnahmen gekommen als bei vergleichbar schweren Anschlägen auf
Einrichtungen bzw. Personen in Colombo in der Vergangenheit (AA 24.10.2001 S. 6, 12
und 24).
Den vorbezeichneten Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Eingriffsintensität von
Akten der politischen Verfolgung, und zwar auch dann noch, wenn sie - wie in der weit
überwiegenden Zahl - in kurzzeitige Inhaftierungen münden und es dabei zu keinen
anderweitigen asylerheblichen Rechtsgutverletzungen kommt. Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung sind herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und
repressiven Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und
Terrorismusbekämpfung. Sofern eine sofortige Identifizierung nicht möglich ist, sind
auch kurzfristige Festnahmen zu diesem Zweck in der Staatenpraxis geläufig, sodass in
solchem Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit der die
politische Verfolgung ausmachende Charakter einer Ausgrenzung des Betroffenen aus
der staatlichen Friedensordnung fehlt. Ab welcher Dauer kurzfristige Inhaftierungen zum
Zwecke der Identitätsfeststellung eine asylrechtsrelevante Intensität erreichen, hängt
maßgeblich von den im betrachteten Staat herrschenden Verhältnissen ab,
insbesondere von der Verwaltungsstruktur, den vorhandenen
Kommunikationsmöglichkeiten und der jeweiligen Sicherheitslage. In einem Land wie
Sri Lanka, in dem in Teilen Bürgerkrieg herrscht und die Sicherheitskräfte im Übrigen
landesweit, insbesondere im hier betrachteten Landesteil mit einer Vielzahl
gemeingefährlicher Terroranschläge konfrontiert sind, ist Inhaftierungen mit einer
überschaubaren Dauer von jedenfalls nicht mehr als zwei Tagen ohne zusätzliche
Rechtsgutverletzungen eine die Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung
bewirkende Intensität und Schwere abzusprechen. Dem Aspekt der
Mehrfachverhaftungen derselben Personen (KK 20.03.1996 S. 5; Wingler 08.10.1997 S.
32; ai 16.01.2001 S. 6; European Union, The Council - EU - 25.06.2001 S. 32) kommt,
da nichts dafür ersichtlich ist, dass sie gezielt erfolgen, keine den jeweiligen Eingriff
prägende Bedeutung zu. Insofern ist auch nicht ersichtlich, dass die Dauer der
Inhaftierungen in einer nennenswerten Zahl von Fällen über das für die
Identitätsfeststellungen (jeweils) Erforderliche hinausgeht oder in ihrer Summe ein
solches Ausmaß erreicht, dass gleichwohl ein "Umschlagen" in asylerhebliche
Verfolgung festzustellen ist.
85
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334 (337) = NVwZ
2000, 1426 (1427).
86
(2) Inhaftierung länger als zwei Tage
87
Auch die Fälle, in denen die Inhaftierung länger als zwei Tage andauert, tragen nicht
den Schluss, dass die Bevölkerungsgruppe der Tamilen insgesamt oder eine vorliegend
relevante Untergruppe davon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
ausgesetzt ist. In den Auskünften wird die Größenordnung dieser Fälle seit Jahren im
Wesentlichen auf bis zu etwa 10 v.H. geschätzt (bis zu 10 v.H. länger als 1 oder 2 Tage,
1 v.H. länger als 1 Woche AA 03.03.1994 S. 2, 30.05.1997 S. 2, 27.07.2000 an VG
Neustadt S. 3; 11.03.2001 S. 10 und 24.10.2001 S. 12; 10 v.H. KK 04.01.1996 S. 56, 62
f., 75; 13.05.1996 S. 3 und 14.10.1996 S. 3; 10 bis 20 v.H. Wingler --.05.1995 S. 23;
weniger als 20 v.H. ai --.06.1999, torture in custody, S. 9), zum Teil aber auch niedriger
(5 v.H. Schweizerische Flüchtlingshilfe --.04.1994 S. 10, 4 v.H. Wingler 08.10.1997 S.
32 bzw. über 100 von 5.000 Wingler 31.05.1998 S. 27, 28). Dem steht die Mitteilung von
amnesty international, der überwiegende Teil von 1.500 am 6./7. Januar 2000 in
Colombo Verhafteten sei nach einer Meldung der "NZZ vom 10.02.2000" am 28. Januar
2000 wieder auf freien Fuß gesetzt worden (ai 16.01.2001 S. 1), nicht entgegen. Hierbei
handelt es sich um eine Fehlmeldung von amnesty international. Die Aussage bezieht
sich als Referenzquelle ersichtlich auf den Bericht der benannten NZZ vom 10. Januar
2000, dem zu entnehmen ist, dass die srilankische Polizei von den 1.500 Verhafteten
mindestens 329 Personen noch am Tag der Festnahme und mehr als 1.200 Personen
am nächsten Tag, dem 8. Januar 2000, auf freien Fuß gesetzt hat. Bei den Maßnahmen
Ende Dezember 1999/Anfang des Jahres 2000 sollen über 98 v.H. der mit auf die
Wache genommenen Personen innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden wieder auf
freien Fuß gesetzt worden sein (AA 18.04.2000 S. 2).
88
Von den etwa 10 v.H. der insgesamt über zwei Tage hinaus Festgehaltenen bleiben
etwa die Hälfte länger als drei Tage in Haft (KK 04.01.1996 S. 75), über eine Woche
hinaus etwa jeder Zehnte (AA 10.03.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 12). Auch wenn bei groß
angelegten Sicherheitsüberprüfungen mitunter Tausende festgenommen und hiervon
jeweils Hunderte länger als zwei Tage fest gehalten werden, kann nach der absoluten,
gemäß den Auskünften durchgängig jedenfalls nicht über 2.000 hinausgehenden
Gesamtzahl der Inhaftierten die Haftdauer in einer beträchtlichen Zahl von Fällen die
Zeit von zwei Tagen jedenfalls nicht wesentlich überschreiten.
89
Die Anzahl der wegen Verdachts auf LTTE-Verbindungen nach den Sondergesetzen
zur Terrorismusbekämpfung für längere Zeit in Haft Befindlichen wird für Ende 1995 mit
landesweit zwischen 400 bis 500 Personen und im Großraum Colombo mit 225
Personen angegeben (AA 16.01.1996 S. 8; KK 04.01.1996 S. 66). Nach dem Bericht
einer Menschenrechtsorganisation sollen landesweit ständig zwischen 1.000 und 1.500
tamilische Volkszugehörige inhaftiert sein, ohne dass diese Aussage auf längerfristige
Inhaftierungen beschränkt ist (KK 14.10.1996 S. 3, 24.02.1997 S. 3). In neuerer Zeit wird
die Zahl allein für den Süden bzw. den Bereich Colombo mit weit über oder etwa 1.000
(Wingler 08.10.1997 S. 41, 30.01.1998 S. 12, 30.09.1998 S. 6) bzw. über 2.000 (Wingler
12.12.1997 S. 1) angegeben und landesweit auf bis zu 2.000 (AA 21.08.1997 S. 2;
24.10.2001 S. 24; Wingler --.05.2000 S. 3; Busch 02.11.2000 S. 6, US State Department
--.02.2001 S. 8; ai 08.03.2001 S. 2 unter Hinweis auf US State Department --.02.2001)
geschätzt.
90
Für die Frage, ob dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung droht, haben diese Zahlenangaben allein keinen Aussagewert. Es greift zu
kurz, von einer zwei Tage überschreitenden Dauer einer Inhaftierung, der keine im
Einzelfall bestehenden konkreten Anhaltspunkte für den Verdacht der Beteiligung an
oder des Wissens um terroristische Aktivitäten zu Grunde liegen, auf den Charakter als
politische Verfolgung zu schließen. Ob eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende,
zielgerichtete Verfolgung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals
erfolgt, ist vielmehr anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren
Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu bestimmen. Dafür, dass dies bei den hier in Rede
stehenden Inhaftierungen in maßgeblichem Umfang der Fall ist, fehlt es an
ausreichendem Anhalt. In allen angesprochenen Stellungnahmen wird ein
Zusammenhang der Verhaftungsaktionen im Großraum Colombo mit den terroristischen
Aktivitäten der LTTE im Süden und Westen hergestellt. Die Verhaftungsaktionen sind in
jedenfalls prägender Weise objektiv darauf gerichtet, die Infiltration von LTTE-
Terroristen aus dem Norden und Osten des Landes abzuwehren. Insofern wird auf die
für die Sicherheitskräfte entscheidenden Kriterien für die Freilassung wie etwa den
Besitz von Papieren zum Identitätsnachweis, einen langjährigen Wohnsitz am Ort der
Kontrolle, eine gesicherte familiäre und wirtschaftliche Existenz, eine feste Arbeitsstelle
oder einen sonstigen plausiblen Grund für den Aufenthalt verwiesen (AA 16.01.1996 S.
8 f.; 24.10.2001 S. 12; ai 23.02.2000 S. 4; EU 02.04.1997 S. 10; KK
02.09.1997 S. 1); auch führt im Normalfall eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, die
die Polizei bei den Sicherheitsbehörden einholt, zu einer schnellen Haftentlassung (KK
04.01.1996 S. 68). Selbst Inhaftierungen von mehr als einer Woche, die srilankische
Menschenrechtsorganisationen "bei einer substantiellen Anzahl von Personen"
feststellen, werden außer auf den Aspekt der Erwartung von Bestechungsgeld auf die
Überprüfungen und deren schleppende Durchführung bei Einschaltung verschiedener
Sicherheitsstellen zurückgeführt (Südasien 6/97 S. 8). Schließlich weist auch der
Umstand, dass der weit überwiegende Anteil der zunächst Festgenommenen alsbald
wieder freigelassen wird, auf eine über die Tatsache der Zugehörigkeit zur Gruppe der
Tamilen - auch eines bestimmten Alters und Geschlechts - hinausgehende Prüfung
anhand zusätzlicher Kriterien und damit darauf hin, dass der Grund einer Fahndung
nach LTTE-Angehörigen für die Verhaftungen nicht lediglich vorgeschoben ist. Die
erörterten Maßnahmen betreffen zwar gerade und nahezu ausschließlich Tamilen, sie
bezwecken aber nicht die Schlechterstellung dieser Volksgruppe als solche, sondern
dienen der Abklärung von LTTE-Verbindungen und der Verhinderung weiterer
Straftaten. Dass der staatliche Zugriff zwangsläufig Tamilen trifft, ist rein faktischer Natur
ohne Aussagegehalt für die objektive Gerichtetheit im Sinne der politischen Verfolgung.
91
Bei der Beurteilung, welche Umstände als hinreichend anzusehen sind, um über die
Dauer von zwei Tagen hinausgehende Inhaftierungen von tamilischen
Volkszugehörigen wegen fehlender Gerichtetheit der Maßnahmen auf asylerhebliche
Merkmale aus dem Bereich der politischen Verfolgung auszuklammern, ist darüber
hinaus die Intensität der abzuwendenden Gefahr maßgeblich einzustellen. Insofern ist
zu berücksichtigen, dass die Terroranschläge, die von der LTTE verübt oder ihr
zugerechnet werden, darauf angelegt sind, unter Inkaufnahme einer Vielzahl
unbeteiligter Opfer und erheblicher Sachschäden die Sicherheitslage nachhaltig zu
erschüttern, für anderweitige Erfolge der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die LTTE
Rache zu nehmen und Sicherheitskräfte außerhalb des eigentlichen Kampfgebietes zu
binden. Dies gilt beispielsweise für die Anschläge auf Treibstofflager im Oktober 1995,
auf die Zentralbank im Januar 1996, auf einen Vorortzug im Juli 1996, auf das
92
Handelszentrum im Oktober 1997 und auf den Zahntempel in Kandy im Januar 1998
(AA 24.10.2001 S. 6) sowie für folgenschwere Explosionen in der Nähe des
Hauptquartiers der Luftwaffe im Februar 1998 und eines Bahnhofs im März 1998
(Wingler 31.05.1998 S. 39), ferner für die bereits oben angesprochenen
Bombenanschläge in den Jahren 1999 bis 2001, insbesondere den Anschlag auf den
Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen am
24. Juli 2001 sowie zuletzt den Anschlag auf den srilankischen Premierminister am 29.
Oktober 2001 (SZ vom 30.10.2001). Der Druck auf die staatlichen Stellen, dem zu
begegnen, ist nicht zuletzt deshalb ganz erheblich, weil bei einer Destabilisierung zu
besorgen ist, dass es über die unmittelbare Rechtsgutbeeinträchtigung hinaus erneut zu
ausgreifenden Unruhen und Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen kommt.
Die Ausführung der Anschläge durch Selbstmordkommandos oder entsprechende
Einzeltäter, zumindest durch Täter, die ihr Leben zu riskieren bereit sind, zwingt dazu,
dem möglichen Umfeld des Täterkreises, der - wie die Ziele der Anschläge, die
Durchführung und das verwendete Material zeigen - der Vorbereitung und Unterstützung
bedarf, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Spannweite möglicher Ziele der
Terroranschläge lässt vorbeugende Maßnahmen dabei generell als schwierig
erscheinen. Dieses hohe und schwer einzudämmende Gefahrenpotential sowie die
nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg in Teilen des Landes und die Fluktuation der
Bevölkerung bedingten Schwierigkeiten schon bei der Abklärung der Identität
Festgenommener sind geeignet, auch Inhaftierungen von mehr als zwei Tagen wegen
mangelnder Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale den Charakter einer politischen
Verfolgung zu nehmen, wenn und solange die Identität des Betroffenen nicht geklärt ist
und/oder Zweifel an den Gründen für den Aufenthalt im Großraum Colombo vorliegen.
Anderes kann dann gelten, wenn die staatlichen Aufklärungsmaßnahmen zur
Terrorismusbekämpfung, die ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst lediglich an
asylerhebliche Merkmale wie etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das
angemessene Maß hinausgehen. Insbesondere bei einer übermäßig langen
Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen sein. In diesem Fall spricht eine Vermutung
dafür, dass sie nicht nur der Terrorismusabwehr dienen, sondern den Einzelnen
zumindest auch wegen seiner asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische
Verfolgung darstellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2000 - 9 C 28.99 -, a.a.O. S. 341.
93
Anhaltspunkte dafür, dass es dazu - über Einzelfälle hinaus - kommt, lassen sich aus
dem bereits gewürdigten Zahlenmaterial nicht gewinnen. Ergänzend wird auf die
nachfolgenden Ausführungen zu (4) verwiesen.
94
(3) Bestechungsgeld
95
Die Inhaftierungen erlangen den Charakter der politischen Verfolgung auch nicht
dadurch, dass - wie es verbreitet geschieht - Festnahme und Verzögerung der
Freilassung erfolgen, um Lösegeld zu erpressen (KK 04.01.1996 S. 56, 14.10.1996 S. 4,
12.03.1999 S. 5; Wingler 01.11.1995 S. 10 - danach geschieht dies "fast schon
routinemäßig" -, Wingler 08.10.1997 S. 33) oder das Angebot von Bestechungsgeld
abzuwarten (Südasien 6/97 S. 8); soweit es sich dabei nicht von vornherein um
Übergriffe ohne asylerheblichen Charakter handelt -
96
vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1997 - 9 B 882.97 -, S. 3 -,
97
fehlt es, da nur Gelegenheiten ausgenutzt werden, an der erforderlichen Gerichtetheit
des kriminellen Tuns.
98
(4) Misshandlungen während der Inhaftierung und widerrechtliche Langzeitinhaftierung
99
Dass es bei den Inhaftierungen über den Freiheitsentzug - unter den in Sri Lanka dabei
gegebenen Verhältnissen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 28.03.2000 S. 5 f.; 31.07.2001 S. 7;
02.08.2001 S. 6) - hinaus allgemein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen
kommt, die den Schluss auf eine gezielte Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale begründen, lässt sich dem vorliegenden Auskunftsmaterial,
das alles an Informationen aufgegriffen hat, was zur Verfügung stand oder beschafft
werden konnte, nicht entnehmen. Fälle von Folter bei kurzfristig, insbesondere zur
Identitätsabklärung Verhafteten werden nur vereinzelt berichtet (ai --.06.1999, torture in
custody, S. 9; 01.03.1999 S. 4). Die Gefahr von Folter nimmt jedoch bei längeren
Inhaftierungen zu (ai 01.03.1999 S. 2); vor allem bei Inhaftierungen wegen eines
konkreten und individualisierten LTTE- Verdachts muss mit Folter gerechnet werden
(AA 12.07.1995 S. 2: "besonders gelagerte Einzelfälle"; 24.10.2001 S. 21: "schwer
wiegende Verstöße kommen aber weiter vor"; 27.07.2000 an VG Arnsberg S. 2 f.; ai --
.06.1999, torture in custody, S. 8 f.; 01.03.1999 S. 4; KK 20.03.1996 S. 9; 22.06.1999,
Anlage Forum for Human Dignity 12.01.1999; Wingler 11.10.1995 S. 2; 08.10.1997 S.
33; 30.09.1998 S. 3, 4; 27.05.1999 S. 3 f.: "immer noch" bzw. "weiterhin" sowie --
.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR -- .07.1998 S. 2: Fälle von Folter geben Anlass zu großer
Besorgnis). Insoweit sind Misshandlung und Folter vor allem bei Verhören durch die
Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung (u.a. 4. und 6. Stock des CID
Headquarters, die Special Police Branch [früher: Security Coordinating Division] und
das Terror Investigation Department) zu besorgen. Diesen Einheiten werden regelmäßig
führende LTTE- Kader oder sonstige LTTE-Aktivisten überstellt, gegen die konkrete
Verdachtsmomente hinsichtlich der Beteiligung an Terroranschlägen bestehen (AA
27.07.2000 an VG Neustadt S. 4; 15.03.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 11 und 24; KK
31.07.2001 S. 5). Im Übrigen kommen Berichte über Fälle von Folter und Tod in Haft
zumeist aus den nördlichen und östlichen Gebieten, in denen Auseinandersetzungen
mit der LTTE stattfinden (Wingler 12.10.2000 S. 1; --.04.2001 S. 1 ff.; KK 28.03.2000).
100
Insgesamt ist in den letzten Jahren gegenüber der früheren Praxis der Sicherheitskräfte
eine Verringerung der Gefahr von Verhören unter Folter festzustellen (AA 24.10.2001 S.
21). Das ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Regierung
Kontrollmechanismen gegenüber den weit gehenden Befugnissen der Sicherheitskräfte
geschaffen hat (UNHCR 25.04.1997 S. 3). Das Problem der Folter wird - anders als
früher (dazu AA 23.06.1992 S. 8 f.; 12.01.1993 S. 1) - nach der Umsetzung der
Konvention gegen Folter in nationales Recht seit 1994 angegangen. Sie kann mit
erheblicher Gefängnis- und Geldstrafe geahndet werden; zudem unterliegen die
Verantwortlichen disziplinarischen Maßnahmen und können zu
Entschädigungsleistungen verurteilt werden (AA 24.10.2001 S. 22; ai --.06.1999, torture
in custody, S. 4 ff.). Zur Verringerung der Gefahr von Folter und einer ungerechtfertigten
Verlängerung der Haftdauer sahen die in der Vergangenheit in unterschiedlichem
Umfang und ab dem 4. August 1998 - mit Verhängung des Ausnahmezustandes für das
gesamte Land - zunächst wieder landesweit geltenden Bestimmungen des
Notstandsrechts, "Emergency Regulations - ER -" (AA 24.10.2001 S. 7), vor, dass -
jeweils binnen 24 Stunden - von der Armee Festgenommene der nächstgelegenen
Polizeistation zu überstellen waren - was im Allgemeinen beachtet wurde (US State
Department --.02.2001 S. 7) - und dass Festnahmen durch die Polizei dem
101
"Superintendent of Police" des Bezirks gemeldet werden mussten (AA 06.04.1998 S.
10; 28.04.2000 S. 21). Spätestens nach 48 Stunden mussten die Festgenommenen dem
Richter vorgeführt werden (KK 22.02.1997 S. 7), es sei denn, ein höherrangiger Beamter
oder Offizier erließ eine "Detention Order", die ein Festhalten ohne richterlichen
Haftbefehl von bis zu 60 bzw. - nach Versetzung des Landes in Kriegsbereitschaft am 3.
Mai 2000 - 90 Tagen ermöglichte (KK 05.02.1997 S. 5; AA 28.04.2000 S. 21;
01.08.2000). Nachdem die Geltungsdauer des Notstandsrechts im Juli 2001 bedingt
durch die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht verlängert worden
war, sodass es am 4. Juli 2001 außer Kraft trat (AA 24.10.2001 S. 8; Flück Südasien
3/01 S. 64), ist keine wesentliche Änderung eingetreten. Es wurden gestützt auf Art. 27
des PTA Verordnungen erlassen und ein den ER ähnliches Regime etabliert (AA
24.10.2001 S. 8). Verhaftungen sind danach weiterhin durch die Polizei möglich; die
Betroffenen müssen innerhalb von 72 Stunden dem Haftrichter vorgeführt werden.
Personen, die von der Armee verhaftet werden, müssen unverzüglich der Polizei
vorgeführt werden (AA 24.10.2001 S. 8). Die Möglichkeit eines längeren Festhaltens
mittels einer "Detention Order" einer hohen Polizeidienststelle besteht danach nicht
mehr (AA 24.10.2001 S. 24). Nach dem PTA konnte und kann die Polizei weiterhin
einschlägig Verdächtige bis zu 72 Stunden festhalten. Danach müssen sie
grundsätzlich dem zuständigen Ermittlungs- bzw. Untersuchungsrichter vorgeführt
werden, es sei denn, das Verteidigungsministerium erlässt eine "Detention Order" für
maximal 3 Monate, die in weiteren 3-Monats-Abständen auf bis zu 18 Monaten
verlängerbar ist. Darüber hinaus ist ein Festhalten nur mit richterlicher Genehmigung
zulässig (AA Lagebericht 06.04.1998 S. 11; 28.04.2000 S. 22; 01.08.2000 S. 3;
24.10.2001 S. 24 f.). Ferner waren und sind unter anderem Mitglieder des IKRK befugt,
alle gemäß den vorgenannten Regelungen festgehaltenen Verdächtigen bzw.
Verurteilten zu besuchen (EU 11.11.1997 S. 16; AA 28.04.2000 S. 22; 24.10.2001 S.
11). Auch sonst waren und sind Besuche bei den Inhaftierten möglich (AA 06.05.1999 S.
5; Wingler 30.01.1998 S. 12).
Darüber hinaus hat die Regierung weitere Kontrollmechanismen geschaffen. Am 1. Juli
1997 hat die National Human Rights Commission (NHRC) ihre Arbeit aufgenommen.
Diese unter der Leitung eines pensionierten Richters des obersten Gerichtshofs Sri
Lankas tätige Nachfolgeeinrichtung der früheren Human Rights Task Force hat die
Aufgabe, darüber zu wachen, dass die in den Sondervorschriften zur
Terrorismusbekämpfung vorgesehenen Regelungen eingehalten werden (AA
21.08.1997 S. 3). Ferner ist im Sommer 1998 eine aus Parlamentariern und Ministern
gebildete, allgemein erreichbare Kommission zur Entgegennahme und Prüfung von
Beschwerden wegen Belästigungen und Misshandlungen bei Verhören eingerichtet
worden (Anti Harrassment Committee - AHC -, AA 31.08.1998 S. 2; 26.07.2001 S. 2;
24.10.2001 S. 10; Wingler 30.09.1998 S. 3, 5).
102
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen in der
Praxis nicht durchweg eingehalten werden und dass auch die sonstigen von der
srilankischen Regierung etablierten Kontrollmechanismen häufig nicht effektiv greifen
(KK 22.02.1997 S. 16; AA 17.03.1997 S. 6; 24.10.2001 S. 25; UNHCR --.07.1998 S. 3 f.
m.w.N.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 8, 12, 16). Es kommt zu Überschreitungen
der vorgegebenen Fristen, die aber auch bei Verhaftungen im Rahmen normaler
Strafverfahren festzustellen sind (EU 11.11.1997 S. 17; US State Department --.02.2001
S.7). Auch sonst sind Verstöße insbesondere auf den unteren Ebenen der
Sicherheitskräfte festzustellen (AA 19.01.1999 S. 12 und 15). Eine generelle
Verschlechterung ist insoweit jedoch auch nach dem Verbot der LTTE in den im
103
Ausnahmezustand befindlichen Gebieten (Wingler 31.05.1998 S. 39; AA 24.10.2001 S.
13), welches nunmehr unter den Regelungen des PTA aufgrund einer
Rechtsverordnung vom 4. Juli 2001 neu erlassen worden ist (AA 24.10.2001 S. 4 und
13; Flück Südasien 3/01 S. 64), nicht eingetreten, sodass die grundsätzliche
Wirksamkeit nicht in Frage gestellt ist. Verstöße sind weithin mit Strafe belegt und ihnen
wird nachgegangen (AA 16.01.1996 S. 11; 11.07.1997 S. 2; ai --.06.1999, torture in
custody, S. 4 f.); dass derartige Verfahren schleppend verlaufen - was zum Teil auf das
srilankische Strafverfahrenssystem (EU 11.11.1997 S. 10), zum Teil auf die sachlich
bedingten Probleme in der Klärung der Verantwortlichkeit und der Beweisführung (AA
19.01.1999 S. 15) zurückzuführen ist -, schließt eine schon durch die Strafandrohung
und das Aufgreifen von Vorkommnissen hervorgerufene Effizienz nicht aus. Daneben
besteht die Möglichkeit, sich mit Beschwerden an den Obersten Gerichtshof zu wenden,
wovon zunehmend Gebrauch gemacht wird (ai --.06.1999, torture in custody, S. 26 f.).
Auch gibt es Anwälte, die sich in Fällen der Menschenrechtsverletzungen engagieren
(AA 19.01.1999 S. 26). Wenngleich Prozesse gegen Sicherheitskräfte oder die
Heranziehung der Verantwortlichen zur Zahlung von Entschädigungsleistungen -
anders als Entschädigungsleistungen des srilankischen Staates (ai --.06.1999, torture in
custody, S. 27) - zunächst noch nicht bekannt geworden sind (Wingler 08.10.1997 S. 35;
27.05.1999 S. 4) bzw. nur wenige Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen sich
vor Gericht verantworten mussten und in den seltensten Fällen verurteilt wurden und
darüber hinaus allgemein beklagt wird, dass Menschenrechtsverletzungen weitgehend
ungeahndet bleiben (UNHCR --.07.1998 S. 3; ai --.06.1999 S. 4), so zeigen die
geschaffenen Möglichkeiten jedenfalls insofern Wirkung, als die Sicherheitskräfte - wie
Auskünfte übereinstimmend belegen - im Vergleich zu früher zurückhaltender agieren.
(5) Gefahrenprognose, Risikofaktoren für asylerhebliche Misshandlungen
104
Nach dem Vorstehenden ist für ... Tamilinnen und Tamilen festzuhalten, dass die
Gefahr, im Großraum Colombo im Zusammenhang mit den Kontrollen und eventuell
daran anschließenden Festnahmen Opfer politischer Verfolgung zu werden, gering ist.
Zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichtet sich diese Möglichkeit - je nach den
Umständen des Einzelfalls - allenfalls für Personen, die konkret verdächtigt werden, mit
geschehenen oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu stehen oder in
sonstiger hervorgehobener Weise in Tätigkeiten der LTTE oder einer ihrer
Frontorganisationen verstrickt zu sein.
105
Als Risikofaktoren dafür, bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen derartigen
Verdacht zu geraten und hieran anknüpfend von schwerer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung bedroht zu sein, gelten nach den vorliegenden
Erkenntnissen für Tamilinnen und Tamilen im Allgemeinen folgende Umstände:
fehlende oder nicht ordnungsgemäße Ausweispapiere, Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren, geringe singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel,
Ankunft in Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der Sicherheitskräfte festgehaltener
Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft, Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten
der Sicherheitskräfte und das Vorhandensein körperlicher Wunden (Medical Foundation
--.06.2000 S. 41 unter Berufung auf einen Länderbericht des britischen
Innenministeriums; ai 16.01.2001 S. 7; ähnlich KK 18.02.2000 an VG Bremen S. 2; zu
einzelnen Risikofaktoren vgl. AA 25.01.2000 S. 1 f.; ai 30.08.1999 S. 1; Wingler
30.09.1998 S. 2, 13).
106
Allgemeine Aussagen zum Gewicht dieser Kriterien und dem Grad der aus ihrem
Vorliegen resultierenden Wahrscheinlichkeit eines intensiveren Zugriffs der
Sicherheitskräfte lassen sich nur eingeschränkt treffen. ...: Die allgemeinen Merkmale
Alter, fehlende Papiere, Herkunft von der Jaffna- Halbinsel, geringe singhalesische
Sprachkenntnisse und erst kurz zurückliegende Ankunft in Colombo reichen als solche
weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtheit aus, um einen relevanten LTTE-
Verdacht bei den srilankischen Sicherheitskräften zu wecken. Diese Kriterien greifen im
Wesentlichen für den ersten Zugriff ein, wie sich etwa aus einer Zusammenstellung von
Aktionen der Sicherheitskräfte im Zeitraum von Oktober 1997 bis Januar 1998 ergibt (KK
20.03.1998 S. 2 ff.); asylrelevante Eingriffshandlungen knüpfen an diese Kriterien aber
nicht mit einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendigen Dichte an. Dies
macht schon ein Vergleich der Zahl der für längere Zeit nach den Sondergesetzen zur
Terrorismusbekämpfung Inhaftierten und der geringen Zahl bekannt gewordener Fälle
von Misshandlung und Folter während Lang- und Kurzzeithaft einerseits mit der Zahl der
im Großraum Colombo lebenden Tamilen andererseits deutlich. Wie oben bereits
ausgeführt, sind landesweit etwa 2.000 Personen nach den Sondergesetzen zur
Terrorismusbekämpfung inhaftiert. Von Folter und Misshandlungen während einer
Kurzzeit- oder Langzeithaft wird - wie sich ebenfalls aus den oben unter I.2.b) bb) (4)
angeführten Erkenntnissen ergibt - lediglich in einer letztlich nicht über Einzelfälle
hinausgehenden Zahl berichtet; für weiter gehende Behauptungen fehlt es an jeglichen
Belegen. Dem ist gegenüberzustellen, dass etwa 400.000 Tamilen im Großraum
Colombo leben, von denen ca. 150.000 aus dem Norden und Osten des Landes
stammen (EU 11.11.1997 S. 13). Im Ergebnis nichts anderes gilt bezogen auf den Anteil
der jungen Tamilen im Rekrutierungsalter der LTTE. Zwar ist die Altersgruppe der 15-
bis 30- jährigen (so AA 24.10.2001 S. 12) bzw. der 15- bis 40-jährigen (so KK
04.01.1996 S. 54) von den Sicherheitskontrollen besonders betroffen; auch werden
insoweit nicht mehr in erster Linie nur junge Männer (allgemein hierzu: Wingler
27.05.1999), sondern inzwischen gleichermaßen junge Frauen aufgegriffen, offenbar
weil an den jüngsten Bombenanschlägen in Colombo auch junge Frauen als "Suicid-
Bombers" beteiligt waren (AA 24.10.2001 S. 12; KK [Keller] Südasien 1/00; EU
25.06.2001 S.32). Der Anteil der in Colombo lebenden jungen Tamilen ist aber so hoch,
dass sich die aktuelle Gefahr eigener Verfolgungsbetroffenheit für jeden Angehörigen
dieser Gruppe nicht feststellen lässt.
107
Vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE
96, 200 (203) und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ-RR 1996, 57.
108
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes auf der Grundlage der Volkszählung von
1981 beträgt der Anteil der 14- bis 40-jährigen etwa 60 v.H. (AA 10.01.1996 S. 3).
Verlässliche Zahlen aus neuerer Zeit stehen nicht zur Verfügung, doch dürfte sich an
der sehr jungen Altersstruktur der srilankischen Bevölkerung und der Bewohner von
Colombo nichts Wesentliches geändert haben. Dies bedeutet, dass schätzungsweise
240.000 bzw. - soweit zusätzlich auf die Herkunft aus dem Norden oder Osten des
Landes abgestellt wird - 80.000 Personen in Colombo dieser risikobehafteten Gruppe
angehören.
109
Dass für die von Wingler gebildete "Untergruppe der jüngeren aus dem Nord/Osten
stammenden tamilischen Neuankömmlinge ohne ausreichenden 'valid reason' für einen
Aufenthalt im 'Süden'" (Wingler 12.12.1997 S. 1, 15 ff., 31.05.1998 S. 45 ff., 30.09.1998
S. 2, 13, 27.05.1999 S. 2, 9) eine grundlegend andere Situation besteht, lässt sich nicht
mit der erforderlichen Verlässlichkeit feststellen. Soweit Wingler (12.12.1997 S. 1 f.)
110
angibt, "etwa 50 % der verhafteten Population der jüngeren Tamilen aus dem
Nord/Osten ohne ausreichenden 'valid reason' für einen Aufenthalt im 'Süden'
[befänden] sich im Rahmen der neueren Verhaftungswellen länger als einen Monat in
widerrechtlicher Haft" - andernorts spricht er sogar von 100 v.H. (30.09.1998 S. 13) -, ist
die Aussage zum einen mangels konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte vor dem
Hintergrund des sonstigen Auskunftsmaterials nicht nachvollziehbar. Zum anderen fehlt
es an der erforderlichen Differenzierung der Maßnahmen nach dem Charakter als
politische Verfolgung, wie sie im Vorstehenden dargetan ist. ...
Hinsichtlich des Risikofaktors eines aktenkundigen oder den Sicherheitsbehörden auf
sonstige Weise zugetragenen LTTE-Verdachts muss nach der tatsächlichen oder
vermeintlichen Position des Betroffenen innerhalb der LTTE und dem Grad der
Unterstützung unterschieden werden. ... Wer die LTTE, insbesondere im Bereich der
von ihr beherrschten Gebiete wie etwa der von 1990 bis 1995 unter ihrer Kontrolle
stehenden Jaffna-Halbinsel gezwungenermaßen oder im Rahmen seiner Berufstätigkeit
bzw. geschäftlichen Beziehungen oder im karitativen Bereich (z.B. Essensausgabe,
Transport von Medikamenten) unterstützt hat, muss heute nicht mehr damit rechnen,
dass deswegen Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Selbst ehemals
aktiv am bewaffneten Kampf beteiligten LTTE- Kadern, die sich unter Bekenntnis zu
ihrer Vergangenheit ins Privatleben zurückgezogen haben, und von denen daher keine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr zu erwarten ist, droht in aller Regel keine
Strafverfolgung mehr (AA 11.02.2000 S. 4 ff.; 05.06.2000 S. 10 ff.; 24.10.2001 S. 14; vgl.
auch KK 26.07.1999 an VG Bremen S. 1 f.).
111
Das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses zu einem LTTE-Mitglied oder -
Unterstützer führt im Allgemeinen ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Maßnahmen. Sippenhaft findet in Sri Lanka in der Regel nicht statt, ein
entsprechender Tatbestand ist dem srilankischen Strafrecht fremd (AA 04.02.2000 S. 1;
01.12.2000; 24.10.2001 S. 16). Gefährdet sind allenfalls ... (Tamilen), deren Angehörige
eine höherrangige aktive Stellung in der LTTE bekleiden, wenn dies den
Sicherheitsbehörden bekannt wird. Je konkreter der Verdacht, je enger die
verwandtschaftliche Beziehung, je höher die Stellung des Verwandten in der LTTE ist
und je spektakulärer seine Taten sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen
Familienangehörigen, selbst in Verdacht zu geraten (AA 09.11.1996 S. 3; ai 23.02.2000
S. 2; siehe auch KK 03.02.2000, wo für 2 der 3 genannten Belegfälle
ausdrücklich ein Bezug zu Bombenanschlägen hergestellt wird). Eine weniger wichtige
Aktivität für die LTTE, z.B. die Veröffentlichung eines Gedichts in einer Publikation der
LTTE, führt demgegenüber nicht zu einer erhöhten Gefährdung von
Familienangehörigen des Verfassers (KK 17.11.1998 S. 2). Ebenso ist für einen ...
(Tamilen) regelmäßig unschädlich, wenn er nur mit einem einfachen Kämpfer der LTTE
verwandt ist. Dies folgt daraus, dass es zahlreiche Familien gibt, die - häufig
zwangsweise - einen LTTE-Kämpfer stellen (AA 05.09.1997 S. 1 f.; 05.06.2000 S. 10),
die Zahl der berichteten Verhaftungen von Familienangehörigen demgegenüber aber
vergleichsweise gering ist. Amnesty international geht davon aus, dass "derzeit nicht
von einer Alltäglichkeit bzw. Regelmäßigkeit" solcher Verhaftungen ausgegangen
werden kann, und kann - wie auch sonstige Quellen - über wenige Einzelfälle hinaus
keine konkreten Zahlen zur Inhaftnahme von Familienangehörigen bekannter oder
mutmaßlicher LTTE-Anhänger benennen (ai 23.02.2000 S. 4).
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass verwandtschaftliche Beziehungen oftmals nur
schwer erkennbar sind, da LTTE-Kämpfer während ihrer fünfjährigen "Dienstzeit"
Aliasnamen tragen und ihre Identität nicht an Außenstehende bekannt geben (AA
112
09.11.1996 S. 3.).
Auch Körperverletzungen und Narben reichen für sich gesehen in aller Regel nicht aus,
um bei den srilankischen Sicherheitskräften einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht
zu wecken. Zwar können typische Kampfverletzungen wie Schusswunden (so AA
25.01.2000 S. 1 f.) oder Narben, die sich jemand als LTTE- Kämpfer zugezogen haben
kann (so ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 01.04.1999 S. 5), eine erhöhte Festnahmegefahr
auslösen (ähnlich KK 12.03.1999 S. 1 f., der allerdings nicht nach der Art der Narben
differenziert). Damit ist aber nichts über die beachtliche Wahrscheinlichkeit
asylerheblicher Weiterungen gesagt. Denn in Sri Lanka leben zahlreiche Personen, die
im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-,
Straßenverkehrs- und Haushaltsunfälle Verletzungen erlitten haben (AA 25.01.2000 S.
1 f.), sodass ein etwaiger Anfangs- Verdacht auf Grund von Narben - vorbehaltlich der
Besonderheiten des Einzelfalls, namentlich des Vorliegens weiterer erheblicher
Verdachtsmomente - regelmäßig nichts für eine beachtliche
Verfolgungswahrscheinlichkeit hergibt; selbst eine Schusswunde kann jemand nicht nur
als aktiver Kämpfer, sondern auch als unbeteiligter Zivilist erlitten haben.
113
Lassen sich somit - zusammenfassend - hinsichtlich der genannten Risikofaktoren
verallgemeinerungsfähige Aussagen für die Bejahung einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für Tamilen oder eine relevante Untergruppe
nicht gewinnen, kann auch die Frage, ob der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
bei den srilankischen Sicherheitskräften in den konkreten Verdacht einer Verstrickung in
Aktivitäten der LTTE gerät, nicht bereits unter Rückgriff auf die hier betrachtete
allgemeine Lage in Sri Lanka abschließend beurteilt werden; das ihm ... konkret
drohende Verfolgungsrisiko muss vielmehr nach Maßgabe der in seiner Person konkret
verwirklichten Risikomerkmale unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation
bewertet werden.
114
(6) Sonstige Beeinträchtigungen
115
Die Situation, mit der ... nach Colombo gelangende Tamilen konfrontiert sind, trägt auch
nicht aus anderen als den bereits erörterten Umständen den Schluss auf die beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dieser Volkszugehörigen oder einer nach
asylerheblichen Merkmalen eingegrenzten Gruppe unter ihnen. Der Aufenthalt ist zwar
schwierig, doch drohen die Beeinträchtigungen, so weit sie überhaupt die für eine
Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, nicht in einem solchen Grade, dass auf die
für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Dichte geschlossen werden
kann, bzw. lassen sie sich weithin und in entscheidendem Umfang nicht auf ein
staatliches Handeln mit der eine politische Verfolgung ausmachenden Gerichtetheit auf
asylerhebliche Merkmale zurückführen.
116
(a) Niederlassungsmöglichkeit im Großraum Colombo.
117
Ob es als Akt der politischen Verfolgung zu werten ist, wenn ein Staat einem durch die
Volkszugehörigkeit abgegrenzten Teil seiner Staatsangehörigen entgegen einem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf freie Wahl des Aufenthaltsortes den Aufenthalt in
bestimmten Landesteilen verwehrt und so die Betroffenen zwingt, in Landesteile
auszuweichen, in denen ihnen Nachteile insbesondere in Folge von kriegerischen
Auseinandersetzungen drohen (vgl. dazu KK 02.09.1997, Anhang Südasienbüro vom 2.
Juli 1997), mag dahinstehen. Ein solcher Zwang ist für den Großraum Colombo
118
jedenfalls nicht in dem Sinne gegeben, dass er jeden ... Tamilen mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit trifft. Amtliche Regelungen in dieser Hinsicht - mit der
anzunehmenden Folge einer verbreiteten Durchsetzung - bestehen nicht (AA
02.10.1997; 30.01.1998; 24.10.2001 S. 31; UNHCR 12.02.1998; KK 13.09.1997 S. 4;
18.02.2000 an VG Hannover S. 2 f.; 11.06.2001 S.5; 02.08.2001 S. 2; Wingler
08.10.1997 S. 40). Zwar ist zu beobachten, dass ... (Tamilen), die sich bei der
zuständigen Polizeistation melden, um sich dort registrieren zu lassen, ein so genanntes
"stay permit" regelmäßig jeweils nur für wenige Wochen erhalten und bei der Erteilung
und Verlängerung - zumal mangels klarer Vergabevorschriften - Korruption und Willkür
eine Rolle spielen (KK 18.02.2000 an VG Hannover). Auf der anderen Seite fehlt es
aber an nachvollziehbaren Referenzfällen über zwangsweise Rückführungen von aus
dem Norden oder Osten zugewanderten ... Tamilen in ihre Heimatgebiete. ... Dies
schlägt sich insbesondere auch darin nieder, dass der Anteil der tamilischen
Wohnbevölkerung Colombos weit überproportional wächst und kaum noch oder gar
nicht mehr hinter dem singhalesischen Bevölkerungsanteil zurücksteht (AA 05.06.2000
S. 2 f.; 21.06.2001 S. 8). Es fehlt damit schon an einer tatsächlichen Grundlage für den
Schluss, jedem ... Tamilen oder einer eingrenzbaren Untergruppe drohten mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen, die sich als faktischer Zwang erweisen,
D1. zu verlassen, und denen er nur durch Weiterreise in Gebiete ausweichen könnte, in
denen er mit andersartigen Gefahren von erheblichem Gewicht konfrontiert wäre. Soweit
... Tamilen durch Meldeauflagen, das Erfordernis von Ausweispapieren und eines
sachlichen Grundes für den Aufenthalt sowie durch - unter Umständen bei Nichterfüllen
dieser Anforderungen - drohende Festnahme bei den zahlreichen Kontrollen und die im
Umgang mit den Sicherheitskräften bestehenden sprachlichen Schwierigkeiten (KK
22.09.1997 S. 4; 08.12.1998 S. 3; 02.08.2001 S. 2; Südasien 6/97 S. 8; EU 11.11.1997
S. 13) der Aufenthalt in D1. erschwert und - wie in den Auskünften zum Teil gefolgert
wird - faktisch verwehrt wird (Wingler 08.10.1997 S. 40; KK 22.09.1997 S. 4; 22.06.1999
S. 8; Südasien 1-2/98 S. 14), ist auf die vorstehenden Ausführungen zur Möglichkeit,
eventuell fehlende Papiere zu erlangen, und zu mangelnden Anhaltspunkten dafür,
dass ... die Anerkennung eines sachlichen Grundes für den Aufenthalt verneint wird, zu
verweisen. Ein genereller Grund, die Meldeauflagen als unzumutbar nicht zu befolgen
oder nicht erfüllen zu können, ist daher auch nicht ersichtlich. Da der in Auskünften
angesprochene Druck, Colombo zu verlassen, letztlich aus den drohenden Festnahmen
gefolgert wird (KK 08.12.1998 S. 4 ff.), kann insofern auf das oben zur mangelnden
Intensität und Dichte derartiger Übergriffe Gesagte verwiesen werden.
(b) Existenzbedingungen
119
Die weiteren Beeinträchtigungen hinsichtlich der Existenzbedingungen, auf die ...
Tamilen im Großraum Colombo treffen, sind ihrer Schwere nach noch nicht
asylerheblich, sind nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen oder sind
nicht als staatliche Verfolgung mit asylrelevanter Gerichtetheit zu werten. Arbeit zu
finden ist - nicht nur für Tamilen - zunächst schon wegen der angespannten
Arbeitsmarktsituation (die Arbeitslosenquote betrug laut Fischer-Weltalmanach 2002,
Spalte 758, im Jahresdurchschnitt 2000 7,5 v.H.), also in Folge der allgemeinen
Wirtschaftslage nicht einfach. Soweit auf zusätzliche Probleme für Tamilen verwiesen
wird, weil potentielle Arbeitgeber bei der Einstellung von Tamilen Schwierigkeiten mit
den Sicherheitskräften befürchten (KK [Keller] Südasien 1/00 S. 49; 22.06.1999 S. 9),
kann ungeachtet der Frage nach der erforderlichen Schwere der Beeinträchtigung nicht
von einer politischen Verfolgung gesprochen werden. Inwieweit Sprachprobleme (KK
08.12.1998 S. 3) trotz des hohen tamilischen Bevölkerungsanteils in Colombo (AA
120
27.05.1999 S. 2; 21.06.2001 S. 4) Bedeutung haben ... mag dahinstehen; hier fehlt jeder
Ansatz für eine staatliche Eingriffshandlung. Die Möglichkeit, sich eine Unterkunft zu
verschaffen, ist zunächst durch die allgemeine Knappheit an Wohnraum in Colombo
und die demgemäß hohen Preise, ferner durch die Sicherheitslage mit der Folge von
Kontrollen und unter Umständen auch Schließung von Unterkünften geprägt (KK
08.12.1998), so dass dieselben Erwägungen wie zur Arbeitssituation eingreifen und
zusätzlich auf die jedenfalls einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender
Obdachlosigkeit wegen fehlender Papiere und Aufenthaltsberechtigung
entgegenstehenden obigen Erwägungen zum Aufenthalt, insbesondere unter dem
Aspekt des Meldeerfordernisses Bezug genommen werden kann. Für eine weit
verbreitete Obdachlosigkeit ist dem umfassenden Auskunftsmaterial nichts Greifbares
zu entnehmen; zumindest die Erlangung einer einfachen Unterkunft in einem der
zahlreichen Billighotels (lodges) ist grundsätzlich möglich (AA 27.05.1999 S. 2;
21.06.2001 S. 4; KK 20.07.2000 S. 2; 11.06.2001 S.3; 02.08.2001 S. 1; UNHCR
24.08.2001 S. 4). Dass ... (Tamilen) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige
schwere Rechtsgutbeeinträchtigungen im Hinblick auf ein Leben in Colombo drohen, ist
nicht festzustellen. Daher mag auch dahinstehen, inwieweit ein staatliches Handeln
oder Unterlassen mit asylerheblicher Gerichtetheit zu Grunde liegt. Fälle der
Verelendung oder eines bloßen Dahinvegetierens am Rande des Existenzminimums
sind nicht bekannt (AA 06.05.1998 S. 2, 21.06.2001 S. 5; KK 08.12.1998 S. 8). Selbst
wenn ein ... System der sozialen Grundsicherung nicht besteht (AA 27.05.1999 S. 1;
24.10.2001 S. 30; KK 08.12.1998 S. 1 ff.), ist dies kein tragfähiges Indiz für eine in dem
erforderlichen Grad konkretisierte Gefahr der Rechtsgutverletzung. Insofern sind die in
Sri Lanka gewachsenen Verhältnisse zu beachten, nach denen die Familien und die
Dorfgemeinschaften traditionell für Hilfsbedürftige einstehen (AA 06.05.1998 S. 1;
24.10.2001 S. 31), und sich demgemäß ein fest gefügtes System der Sicherung nicht
entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund kommt der Feststellung der tatsächlichen
Lebensmöglichkeiten entscheidendes Gewicht gegenüber dem Fehlen einer
organisierten und geregelten, regelmäßigen Unterstützung - nur diese wird von Keller-
Kirchhoff (KK 08.12.1998) auch für die Hilfe der Volksgruppe sowie karitativer
Organisationen und Einrichtungen verneint - zu. Für Feststellungen, dass es in einer
relevanten Dichte zu Fällen von Verelendung tatsächlich gekommen ist oder kommen
wird, gibt das umfassende Auskunftsmaterial nichts her.
(7) Mittelbare staatliche Verfolgung
121
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ist auch nicht im Hinblick auf
Übergriffe der übrigen Zivilbevölkerung gegen Tamilen gegeben; insofern fehlt es
jedenfalls heute an der erforderlichen Verfolgungsdichte, ferner - für die in den letzten
Jahren bekannt gewordenen Vorfälle - an der Verantwortlichkeit des srilankischen
Staates. Zu Pogromen wie zuletzt im Jahre 1983, als Hunderte von in Colombo
ansässigen Tamilen zu Tode kamen und eine weitaus größere Zahl ihr Hab und Gut
verlor, ist es seitdem trotz fortbestehender ethnischer Spannungen nicht mehr
gekommen. Ereignisse wie die Zerstörung zahlreicher Geschäftshäuser 1995 in Galle
(AA 12.10.1995 S. 3; Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 34 ff.), ein Überfall auf
indien-tamilische Siedler im Bezirk Galle, bei dem ein Mädchen ermordet wurde
(Wingler 03.10.1995 S. 2; KK 24.10.1995 S. 37), die Ermordung von zwei Tamilen im
Oktober 1995 in Colombo (KK 26.10.1995 S. 7) sowie am 25. Oktober 2000 ein Vorfall
im Bezirk Bandarawela, bei dem Singhalesen etwa 30 tamilische Insassen eines
"Rehabilitationslagers" getötet und weitere ca. 15 zum Teil schwer verletzt haben
(Busch 02.11.2000 S. 2; AA 26.01.2001 S. 5; 24.10.2001 S. 15 f.; Wingler --.04.2001 S.
122
3), sind - verglichen mit der Bevölkerungszahl im Süden des Landes - verschwindend
gering und haben bei weitem nicht das Ausmaß der früheren Pogrome erreicht. Zudem
ergreift der srilankische Staat zahlreiche Maßnahmen, um derartige Übergriffe zu
verhindern bzw. gegebenenfalls zu beenden und aufzuklären. So wurden die
Ausschreitungen im Bereich Galle polizeilich untersucht und es wurden Singhalesen
verhaftet (KK 24.10.1995 S. 35 f.). Die Regierung kündigte entschlossenes Handeln im
Wiederholungsfall an (AA 12.10.1995 S. 3) und verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen
(KK 24.10.1995 S. 37). Nach der Eroberung von Jaffna warnte Staatspräsidentin
Kumaratunga vor Übergriffen auf Tamilen (KK 04.01.1996 S. 62). Auch am Abend des
Anschlags auf einen Pendlerzug in einem Vorort von Colombo am 25. Juli 1996 mit ca.
70 Toten rief sie zur Ruhe und Zurückhaltung auf (AA 30.08.1996 S. 4), sodass die
gefürchteten Ausschreitungen ausblieben (Wingler --.09.1996 S. 41). Dass
Ausgangssperren, verstärkte Präsenz der Sicherheitskräfte sowie zur Besonnenheit
mahnende Ansprachen der Staatspräsidentin ihre Wirkung nicht verfehlen, zeigt der
Umstand, dass es weder nach dem gezielten Bombenanschlag auf das buddhistische
Heiligtum in Kandy ("Zahntempel") am 25. Januar 1998 noch nach dem Attentat auf die
Staatspräsidentin selbst am 18. Dezember 1999 zu befürchteten Ausschreitungen kam
(AA 28.04.2000 S. 14). Schließlich kündigte die Präsidentin auch unmittelbar nach dem
oben angesprochenen Vorfall in Bandarawela an, alle Schritte zu unternehmen, um die
Situation unter Kontrolle zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu
ziehen (Busch 02.11.2000, Anlage "President appeals for restraint"). Die Familien
erhielten in der Folgezeit eine Entschädigung und es wurde eine Sonderkommission zur
Untersuchung des Vorfalls eingesetzt. Zwischenzeitlich wurden 60 Polizisten vom
Dienst suspendiert; es wurde eine polizeiliche Sonderermittlungsgruppe
zusammengestellt, die gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft ermittelt und der
Sonderkommission zuarbeitet. Mehrere hundert Zeugen wurden vernommen und es
erfolgten auch Verhaftungen (AA 26.01.2001 S. 6; 24.10.2001 S. 16). Bei dieser
Sachlage fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass es in absehbarer Zukunft zu
pogromartigen Ausschreitungen seitens der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit
kommt, die dem srilankischen Staat zuzurechnen sind und für einen jeden Tamilen die
konkrete Gefahr eigenen Betroffenseins mit sich bringen.
cc) Bürgerkriegsgebiete im Norden
123
In Teilen des Nordens Sri Lankas ist die Lage seit Jahren durch Bürgerkrieg
gekennzeichnet. Seit dem Ende der seinerzeitigen Friedensverhandlungen und dem
Bruch der "Vereinbarung zur Einstellung der Feindseligkeiten" (KK 20.02.1995 S. 3;
Wingler 31.03.1995 S. 2) kam es zunächst mit Schwergewicht auf der K. - Halbinsel (KK
04.01.1996 S. 8, 22) und sodann in der "Vanni-Region" - hierzu zählen die Distrikte
Mullaitivu, Kilinochchi sowie Teile von Vavuniya und Mannar - (Wingler 30.01.1998 S.
14; 31.05.1998 S. 16 ff.; 30.09.1998 S. 19; 01.04.1999 S. 8; AA 28.04.2000 S. 14 f.) zu
Militäroffensiven von staatlicher Seite, mit denen es zunächst gelang, die LTTE
zurückzudrängen (AA 19.01.1999 S. 5, 18). Nach erheblichen Geländegewinnen der
LTTE sowohl auf der Halbinsel Jaffna als auch in der Vanni- Region im November 1999
und April 2000, bei denen unter anderem der strategisch wichtige "Elephant Pass"
eingenommen wurde (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001 S. 1), erstreckt sich das von der
LTTE beherrschte Gebiet auf die Region nördlich Vavuniyas bis nördlich vom "Elephant
Pass" (AA 24.10.2001 S. 18). Der weitere Vormarsch der LTTE auf die Stadt Jaffna
konnte von den Regierungstruppen gestoppt werden (AA 11.07.2000 S. 1; 26.01.2001
S. 1). Eine Gegenoffensive der Regierungstruppen auf der Jaffna-Halbinsel im April
2001 blieb erfolglos (AA 24.10.2001 S. 6). Den Auskünften über die
124
Auseinandersetzungen ist zu entnehmen, dass die im Kampfgebiet lebende
Zivilbevölkerung erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird (ai 23.02.2000
99.135> S. 2; AA 11.07.2000 S. 1; ai --.--.2001 S. 519). Darüber hinaus kommt es in
Folge des Kampfgeschehens zur Zerstörung und Beschädigung sozialer, kultureller und
religiöser Einrichtungen (KK 04.01.1996 S. 4 ff.; Wingler 30.09.1998 S. 20; ai
23.02.2000 S. 2). Militäroffensiven lösen ferner Fluchtbewegungen
mit in die Hunderttausende gehenden Flüchtlingen aus (AA 19.01.1999 S. 18;
26.01.2001 S. 1; 24.10.2001 S. 19; KK 04.01.1996 S. 6; Wingler 01.11.1995 S. 6;
30.01.1998 S. 14; 31.05.1998 S. 19; --.04.2001 S. 4; ai --.--.2001 S. 519; UNHCR
24.08.2001 S. 1); daneben führt auch Zwang von Seiten der LTTE zu
Fluchtbewegungen (AA 16.01.1996 S. 2; 24.10.2001 S. 18).
Für die erforderliche Bewertung der heutigen Situation und die gebotene Prognose
können neben den die Vanni-Region betreffenden jüngeren Auskünften auch die
Erkenntnisse zum staatlichen Vorgehen auf der Jaffna-Halbinsel mitberücksichtigt
werden. Es mangelt an Anhaltspunkten dafür, dass sich das Bürgerkriegsgeschehen bei
räumlicher Verlagerung qualitativ geändert hat oder regionale Unterschiede die
Beurteilung beeinflussen können. Insgesamt stellen sich die zwischenzeitlichen Erfolge
der LTTE und die Entwicklungen in jüngster Zeit als eine weitere Phase in dem
langjährigen Auf und Ab des Kampfgeschehens dar, in dem bislang keiner der
Kriegsgegner den anderen kriegsentscheidend niedergerungen hat; den vorliegenden
Informationen - weitere Erkenntnisquellen sind nicht verfügbar - lassen sich dabei keine
Ansatzpunkte dafür entnehmen, dass mit den jüngeren Entwicklungen nunmehr eine
neue, den bisherigen Rahmen des Kriegsgeschehens überschreitende Entwicklung
eingeleitet worden wäre.
125
Danach ist zwar davon auszugehen, dass der Krieg von der srilankischen Armee in
einer Weise geführt wird, die die gebotene Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in hohem
Maße vermissen lässt. Die Geschehnisse während der bisherigen Kriegshandlungen
bieten aber keine Basis für die Annahme, dass das Vorgehen der staatlichen
Sicherheitskräfte die Merkmale einer auch im Rahmen des Handelns des Staates als
Partei im Bürgerkrieg möglichen politischen Verfolgung (BVerfGE 80, S. 340) aufweist
(wie hier OVG Lüneburg, Urteile vom 10. Juni 1996 - 12 L 1726/96 -, S. 8 ff. und vom 19.
September 1996 - 12 L 2005/96 -, S. 15 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 20. März 1998 -
A 16 S 60/97 -, S. 87 ff. und Beschluss vom 8. Februar 2001 - A 6 S 1888/00 -, S. 13, 16;
VGH Kassel, Urteile vom 10. November 1998 - 10 UE 3035/95 -, S. 26 ff., vom 3. Mai
2000 - 5 UE 4657/96.A -, S. 38 ff., und vom 29. August 2000 - 10 UE 3556/69.A -, S. 52
ff.; OVG Berlin, Beschluss vom 23. August 2000 - 3 B 47.95 -, S. 26 ff.; ähnlich OVG
Weimar, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 3 KO 869/96 -, S. 48 ff.; in der Bewertung
abweichend früher OVG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 1996 - 11 A 11369/96 -, S. 8 f., im
jüngeren Urteil vom 8. Juli 1998 - 11 A 10473/98 -, S. 5 als "sehr zweifelhaft"
bezeichnet). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte
nach ihrer objektiven Gerichtetheit über eine militärische Prägung mit dem Ziel der
Rückeroberung von der LTTE beherrschter bzw. der Sicherung rückeroberter Gebiete
(KK 24.10.1995 S. 9 f.; 04.01.1996 S. 22; 20.03.1996 S. 6) sowie der Abwehr,
Schwächung oder Vernichtung der LTTE (AA 16.01.1996 S. 5; 19.01.1999 S. 19;
Wingler 31.05.1998 S. 17) hinausgingen oder -gehen.
126
(1) Keine gezielte physische Vernichtung der Zivilbevölkerung
127
Angesichts der Siedlungsstruktur, der Guerilla-Taktik der LTTE, die ein ausgedehntes
128
Netz mit einer unbekannten Anzahl militärischer Stützpunkte in den von ihr kontrollierten
Gebieten besitzt (KK 04.01.1996 S. 2, 9), über mobile Lager verfügt (AA 16.01.1996 S.
2) und die Bevölkerung vor der Zusammenarbeit mit den Militärkräften warnt (Wingler --
.11.1996 S. 8), sowie ferner unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die srilankischen
Truppen auf Grund ihres technischen Standards jedenfalls in der Vergangenheit
zumeist zu "punktgenauen" Angriffen nicht in der Lage waren (Wingler 01.11.1995 S. 4,
8; KK 04.01.1996 S. 41; AA 16.01.1996 S. 6) und niedrig fliegende Flugzeuge oder
Hubschrauber von Boden-Luft-Raketen der LTTE bedroht sind (KK 24.10.1995 S. 11;
Wingler 29.04.1996 S. 22), ist die Beeinträchtigung der tamilischen Zivilbevölkerung
durch die Kampfhandlungen allein kein tragfähiger Hinweis auf eine über die
Bekämpfung der LTTE hinausgehende Gerichtetheit der Kampfhandlungen gegen die
Tamilen. Eine zu gegenteiligen Schlussfolgerungen führende andersartige
Vorgehensweise der Armee bei ethnisch anders zusammengesetzter Zivilbevölkerung
ist nicht festzustellen, da in den Kampfgebieten nach der Vertreibung anderer
Bevölkerungsgruppen durch die LTTE (AA 14.02.1995 S. 3; 12.10.1995 S. 3;
05.06.2000 S. 4, 28.04.2000 S. 15: "ethnische Säuberung") ausschließlich Tamilen
leben. Der Umstand, dass die Sicherheitskräfte bei ihren Kampfmaßnahmen keine
(Wingler 20.07.1995 S. 4) oder nur punktuell (AA 16.01.1996 S. 2) Rücksicht auf
eventuell mitbetroffene Zivilisten nehmen, mag diese zwar als menschenrechtswidrig
prägen, stellt allein jedoch keinen Grund dar, sie als objektiv gezielt an asylerhebliche
Merkmale anknüpfende staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren (vgl.
BVerfGE 80, 341), zumal die Sicherheitskräfte angewiesen wurden und bemüht sind,
bei Kampfhandlungen die Verluste unter der Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu
halten (AA 28.04.2000 S. 8; 01.12.2000 S. 2; 26.01.2001 S. 2). So wurde etwa die
Zivilbevölkerung vor Luftangriffen auf LTTE-Ziele gewarnt (AA 19.01.1999 S. 19; US
State Department --.02.2001, S. 10). Für die Opfer einer irrtümlichen Bombardierung
durch die Luftwaffe im September 1999, bei der in einem Dorf bei Puthukkudiyiruppu 22
Zivilisten den Tod fanden, ordnete die Regierung die Zahlung einer Entschädigung an
(US State Department --.02.2001 S. 4, 10). Angesichts des Umfangs der Offensiven, des
eingesetzten Kriegsgeräts, der im Kampfgebiet herrschenden Bevölkerungsdichte, die
sich in den Zahlen der Flüchtlinge niederschlägt, sowie der Dauer und Härte der
Auseinandersetzungen tragen die Zahl der Vorkommnisse mit erheblicher
Einbeziehung der Zivilbevölkerung und die Zahl der Opfer nicht den Schluss, dass die
Aktionen objektiv auch auf die physische Vernichtung oder schwer wiegende
Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung gerichtet sind.
Für die Jaffna -Halbinsel berichtet Wingler als Folge der ersten Offensive im Jahre 1995
von 234 toten und 1.414 verwundeten Zivilisten sowie 183.000 Flüchtlingen (Wingler
03.10.1995 S. 24), Keller-Kirchhoff nennt 205 tote und 953 schwer verletzte Zivilisten
und ca. 188.000 Flüchtlinge (KK 04.01.1996 S. 13). Die Offensive "Reviresa", die im
Dezember 1995 zur Einnahme der Stadt Jaffna führte (KK 04.01.1996 S. 31), forderte im
Oktober 1995 neben zahlreichen Toten und Verwundeten unter den Soldaten und
LTTE-Kämpfern 104 Tote und 194 Verletzte unter der Zivilbevölkerung (KK 04.01.1996
S. 12) und führte zu 200.000 bis 550.000 Flüchtlingen (KK 04.01.1996 S. 15). Die Zahl
der getöteten oder verletzten Zivilisten wird für die Zeit von April 1995 bis Ende
1995/Frühjahr 1996 mit 800 angegeben (AA 01.03.1996 S. 1; Wingler 29.04.1996 S. 22:
800 Tote), für die Zeit bis Frühjahr 1997 mit 900 (AA 17.03.1997 S. 10). Als Folge der
Kämpfe im Jahr 2000 wird von mindestens 150 - von beiden Kampfparteien - getöteten
Zivilisten berichtet (ai --.--.2001 S. 519), wobei allein der Vormarsch der LTTE auf Jaffna
im April und Mai mehr als 100 zivile Opfer gefordert haben soll, hierunter auch Opfer von
Bombardierungen und Artilleriebeschuss seitens der srilankischen Streitkräfte (US State
129
Department --.02.2001 S. 10). Insofern ist von Bedeutung, dass nach der Rückeroberung
Jaffnas durch die Regierungstruppen etwa 500.000 Einwohner zurückgekehrt sind (AA
28.04.2000 S. 15; 24.10.2001 S. 19), die nunmehr von den neuerlichen
Kampfhandlungen betroffen werden.
Für die Vanni-Region ist von einer betroffenen und auf der Flucht befindlichen
Bevölkerung von 300.000 bis 400.000 (AA 28.04.2000 S. 15), ca. 490.000 (US State
Department --.02.2001 S. 10) oder weit mehr als 500.000 Personen (Wingler 31.05.1998
S. 19) auszugehen. Für die ersten acht Monate des Jahres 1997 wird von 37 bei
Bombardierungen (von beiden Kampfparteien) getöteten Zivilisten berichtet (Anlage 1
zu UNHCR --.07.1998 S. 10). Wingler stellt fest, dass bei den Militäraktionen bis
Sommer 1997 weniger zivile Opfer zu beklagen waren als bei der Eroberung Jaffnas
1995 (Wingler, 10.07.1997 S. 43). Als Folge der Kämpfe Ende 1999 wird von einer
massiven Betroffenheit der Zivilbevölkerung berichtet und als Beispiel ein Granatangriff
auf die Kirche von Madhu bei Mannar genannt, bei dem 44 Zivilisten getötet und 50
Menschen verletzt worden sind (ai 23.02.2000 S. 2). Für das Jahr
2000 wird im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg von insgesamt mehr als 100 bzw.
mindestens 150 zivilen Opfern gegenüber 2.000 Toten in den Reihen der Kriegsparteien
berichtet (US State Department --.02.2001 S. 9 f.; ai --.--.2001 S. 519).
130
Das IKRK gelangt zu dem Schluss, die zivilen Opfer in den Auseinandersetzungen
seien geringer, als es unter vergleichbaren Bedingungen in anderen Ländern der Fall
sei (AA 24.10.2001 S. 11). Hinzu kommt, dass die die Zivilisten schwer
beeinträchtigenden Aktionen ganz überwiegend (zu Ausnahmen KK 04.01.1996 S. 8 f.)
in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang konkreter Offensiven der srilankischen
Regierungstruppen standen. Eine flächendeckende Bombardierung, die ihrer Art nach
auf das objektive Ziel einer Beeinträchtigung des zivilen Lebens um seiner selbst willen
schließen ließe, kann nicht festgestellt werden. Die von Wingler als
"Flächenbombardierungen" zusammengefassten und gewerteten Angriffe auf im
Einzelnen benannte Ansiedlungen (Wingler --.05.1995 S. 18), die sich überwiegend
gegen von der LTTE kontrollierte Orte richteten (KK 04.01.1996 S. 1, 4; AA 16.01.1996
S. 1), lassen einen militärischen Bezug der Angriffe insofern erkennen, als sie den
Kampfoperationen zu Lande vorausgingen (Wingler 29.04.1996 S. 22) und die
benannten Orte später von den Regierungstruppen eingenommen wurden (AA
16.01.1996 S. 1). Auch die Stellungnahme des UNHCR (UNHCR --.07.1998, S. 2,
Anlage 1, Rdnr. 151) stellt in Bezug auf die angeführten Menschenrechtsverletzungen
der Sicherheitskräfte den unmittelbaren Bezug zum Bürgerkriegsgeschehen besonders
heraus. Einzelnen folgenschweren Angriffen auf zivile Ziele können ebenfalls keine
tragfähigen Anhaltspunkte für eine über militärische Ziele hinausgehende Gerichtetheit
der Aktionen entnommen werden; insofern wird beispielsweise auf den Bombenangriff
auf das Gelände der Kirche von Navali verwiesen, bei dem wohl 130 Menschen den
Tod fanden; die näheren Umstände sind ungeklärt, insbesondere steht die Möglichkeit
im Raum, dass für die zahlreichen Opfer die Explosion eines nahe gelegenen
Munitionslagers der LTTE verantwortlich war (KK 04.01.1996 S. 4; AA 16.01.1996 S. 3).
Auch hinsichtlich des oben angesprochenen Granatangriffs auf die Kirche von Madhu
wird der Zusammenhang mit Kämpfen zwischen Regierungstruppen und LTTE-
Angehörigen hervorgehoben (ai 23.02.2000 S. 2); von welcher Seite
der Angriff ausging, wird nicht berichtet.
131
(2) "Gegenterror"
132
Dass die Kriegsführung über die mit ihr verbundene vorherrschende Missachtung des
Rechts auf Leben und schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen wie Tötung,
Verschwindenlassen und Misshandlungen (UNHCR --.07.1998 S. 2 und zugehörige
Anlage 1 S. 9 ff.; ai --.06.1999, torture in custody, S. 21 ff.) und die somit zweifellos
gegebene Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hinaus darauf gerichtet
ist, die im LTTE-Gebiet lebenden und an den Auseinandersetzungen nicht unmittelbar
beteiligten Personen unterhalb der Schwelle der physischen Vernichtung oder
Beeinträchtigung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen und so auszugrenzen, kann
ebenfalls nicht festgestellt werden. Dem steht zum einen das von der srilankischen
Regierung verfolgte, die militärischen Kampfhandlungen ergänzende (längerfristige)
politische Konzept zur Lösung des Konflikts durch Dezentralisierung bzw.
Regionalisierung der Macht und teilweise Autonomie für tamilische Siedlungsgebiete
sowie das in den vergangenen Jahren in Jaffna von der Regierung mit Erfolg
durchgeführte Wiederaufbauprogramm entgegen (KK 04.01.1996 S. 22 ff.; AA
16.01.1996 S. 5; 28.04.2000 S. 15, 16; 05.06.2000 S. 6; 24.10.2001 S. 19). Ferner
spricht dagegen, dass von der Regierung etwa im Fall Navali die Untersuchung durch
eine Kommission angeordnet wurde und die berichteten schwer wiegenden Angriffe auf
zivile Ziele eher Einzelfälle geblieben sind. Die letzte Aussage ist trotz der wiederholt
verfügten, zwischenzeitlich jedoch wieder aufgehobenen (AA 24.10.2001 S. 12)
Pressezensur für die Berichterstattung über Vorfälle im Zusammenhang mit Aktionen
der Streitkräfte und der Sicherheitskräfte (AA 30.08.1996 S. 2; 28.04.2000 S. 9;
01.08.2000 S. 2; KK 04.01.1996 S. 10; Wingler 31.05.1998 S. 18; 30.09.1998 S. 19)
möglich; es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es während ihrer Geltung zu
schwer wiegenderen Angriffen der staatlichen Streitkräfte auf zivile Ziele gekommen ist,
da diese nach dem Ende der Pressezensurmaßnahmen bekannt geworden wären und
der Propagandaapparat bzw. "Auslandsinformationsdienst" der LTTE unabhängig von
den Zensurmaßnahmen in der Lage ist, Mitteilungen zu verbreiten (Wingler 03.10.1995
S. 45 f.); derartige Meldungen fehlen auch für die gegenwärtige Situation.
133
(3) Keine Vertreibung in ausweglose Lage
134
Für die Feststellung, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte objektiv auf eine
Vertreibung der Tamilen und deren Abdrängen in eine ausweglose Lage, also auf eine
Verelendung und damit verbundene Ausgrenzung der Zivilbevölkerung im Norden
gerichtet sind, ist ebenfalls kein Raum. Die Versorgungslage einschließlich der
medizinischen ist in den Kriegsgebieten zwar schlecht, insbesondere für die in die
Hunderttausende gehenden Flüchtlinge in der Vanni-Region; es gelten Einfuhrverbote
für Waren, die der LTTE für die Kriegsführung vorteilhaft sein könnten, wobei die Armee
die Verbote zum Teil auch auf nicht kriegswichtiges Material erstreckt (AA 24.10.2001 S.
30; Wingler 31.05.1998 S. 16 f.). Andererseits und trotz der in der zweiten Hälfte des
Jahres 1998 vorübergehend erfolgten Kürzung der Lebensmittellieferungen an die
Zivilbevölkerung (AA 28.04.2000 S. 27) stellt die Regierung aber immer wieder
Lebensmittel und sonstige Hilfsgüter zur Verfügung, insbesondere unter Einschaltung
des Roten Kreuzes und anderer Organisationen (AA 24.10.2001 S. 30). Die Lage ist
danach vergleichbar mit der, die auf der Jaffna-Halbinsel festzustellen war (vgl. dazu KK
04.01.1996 S. 48, 51; Wingler 13.07.1996 S. 30). Die weit gehende Blockierung des
Wirtschaftslebens durch die Beschränkung von Gütern und Transportwegen (KK
04.01.1996 S. 42 ff.) ist nachvollziehbar Bemühungen zuzuordnen, möglichen Nutzen
für den Bürgerkriegsgegner, welcher im Übrigen regelmäßig auch Teile von
Lebensmittellieferungen für seine Kämpfer abzweigt (AA 07.11.1995 S. 2; 24.10.2001 S.
30), weitestgehend auszuschalten. Dies zeigt sich auch daran, dass die Regierung in
135
Gebieten, in denen sie die Gebietsgewalt zurückerlangt hat, die Wiederherstellung der
privaten Wirtschafts- und Geschäftsstruktur als vorrangig ansieht, was etwa in Jaffna seit
Jahren zur freiwilligen Rückkehr zehntausender Tamilen geführt hat (AA 24.10.2001 S.
19).
(4) Exzesse der Sicherheitskräfte
136
Soweit es in den umkämpften Bürgerkriegsgebieten in unmittelbarem Bezug zu
Zivilisten zu schweren Übergriffen durch srilankische Soldaten gekommen ist, seien es
die wiederholt berichteten Vergewaltigungen oder etwa die Entführung und Ermordung
zweier junger tamilischer Frauen sowie im Zusammenhang mit einem dieser Fälle der
Ermordung dreier weiterer Tamilen, handelt es sich offensichtlich um Exzesstaten ohne
Aussagegehalt für einen Hintergrund politischer Verfolgung; es ist bekannt geworden,
dass in derartigen Fällen Sonderkommissionen zur Untersuchung eingesetzt,
Armeeangehörige verhaftet (Südasien 7-8/96 S. 17; KK 24.02.1997 S. 6; AA 24.10.2001
S. 25) und in einem aufsehenerregenden Prozess mehrere Armeeangehörige als Täter
zum Tode und weitere zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (South-
Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10; AA 28.04.2000 S. 20; ai 25.01.2001 S. 3). Es zeigt
sich, dass die Übergriffe staatlicherseits nicht einfach hingenommen, erst recht nicht als
Mittel einer Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung akzeptiert werden.
137
(5) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch die LTTE
138
In den vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten, in denen der srilankische Staat seine
Gebietsgewalt an die LTTE verloren hat, hat diese - unter Übernahme des
Vorgefundenen - eigene quasi-staatliche Strukturen aufgebaut (AA 05.06.2000 S. 7 f.;
24.10.2001 S. 18; Südasien 5/00 S. 16) und eine innere Ordnung von gewisser Stabilität
errichtet, wenngleich diese nur durch Hilfeleistung des srilankischen Staates - etwa
durch Finanzierung der Einrichtungen der Daseinsvorsorge und
Nahrungsmittellieferungen - aufrecht zu erhalten ist (AA 05.06.2000 S. 7 f.). Aufgrund
dieser in den betreffenden Gebieten errungenen Ordnungsgewalt dürfte die LTTE trotz
der andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen um ihren Einflussbereich mit den
srilankischen Streitkräften und der deshalb fehlenden Gebietsherrschaft "nach außen"
die Fähigkeit zu einer "quasi-staatlichen" politische Verfolgung der dort ansässigen
Bevölkerung erlangt haben.
139
Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 - und - 9 C 21.00 -, jeweils a.a.O.
140
Gleichwohl kann im hier gegebenen Zusammenhang offen bleiben, ob das in den
Erkenntnisquellen als brutal und menschenrechtswidrig beschriebene Vorgehen der
LTTE-Angehörigen gegenüber der in ihrem Einflussbereich ansässigen
Zivilbevölkerung - so werden Entführungen zur Lösegelderpressung, Festnahmen und
Hinrichtungen politisch Andersdenkender, Tötung von "Kriegsgefangenen" und
Zivilisten, Folterungen und Zwangsrekrutierungen beschrieben (AA 24.10.2001 S. 18;
Südasien 3/01 S. 65) - die Merkmale einer "quasi-staatlichen" politischen Verfolgung
aufweist. Die der LTTE aufgrund ihrer Gebietsgewalt gegebene Verfolgungsmächtigkeit
ist auf geringe Teilflächen des Staatsgebiets von Sri Lanka beschränkt; ... (Tamilen)
werden ... in den übrigen, vom srilankischen Staat beherrschten Landesteilen durch die
srilankischen Sicherheitskräfte geschützt; dort droht ihnen nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch die LTTE.
141
Vgl. zum anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit BVerwG, Urteil
vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 -, NVwZ 1997, 194 (196 f.).
142
Bei der insoweit - gegebenenfalls - vorliegenden Konstellation der Verfolgung durch
einen anderen ("Quasi-") Staat ist es auch ohne Bedeutung, ob am Ort der
Schutzgewährung die Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative gegeben
sind.
143
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996, a.a.O., S. 197.
144
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Annahme einer
politischen Verfolgung von Tamilen durch die LTTE in deren Einflussgebiet auch für die
Frage einer politischen Verfolgung von Tamilen durch den srilankischen Staat in den
übrigen Landesteilen für das Klagebegehren ohne jede Bedeutung wäre; insbesondere
wäre wegen des fehlenden sachlichen Zusammenhangs zwischen eventuellen
Verfolgungsakten der LTTE und dem Handeln der srilankischen staatlichen
Sicherheitskräfte - vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Urteile vom 6. August 1996 - 9 C
172.95 -, a.a.O., S. 196 f., und vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 ff. =
NVwZ 1997, 1134 - weiterhin für die Frage staatlicher politischer Verfolgung der
Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.
145
dd) Gebiete im Norden mit staatlicher Gebietsgewalt
146
Für die Gebiete, in denen es zur Beendigung des offenen Bürgerkriegs gekommen ist
und der srilankische Staat die Gebietsgewalt zurückgewonnen und auch im Rahmen
der jüngeren Auseinandersetzungen behauptet hat, ist eine mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung ... nicht festzustellen.
147
(1) Allgemeine Sicherheitslage
148
Das allgemeine Vorgehen der Regierung bietet keinen Ansatz zur Feststellung einer
ausgrenzenden Behandlung der gesamten tamilischen Zivilbevölkerung. Eine große
Zahl von 1995 aus dem westlichen Teil der Jaffna -Halbinsel geflüchteten Tamilen ist
nach der Einnahme weiter Gebiete der Jaffna -Halbinsel durch die Armee (Südasien-
Büro 15.04.1996 S. 1) in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (Wingler 13.07.1996 S. 27;
AA 24.10.2001 S. 19). Die Zahl der tamilischen Bevölkerung wird derzeit mit etwa
500.000 angegeben (AA 24.10.2001 S. 19). Ein singhalesischer Journalist berichtete
nach einer Informationsreise von Zerstörungen unterschiedlichen Ausmaßes, Mangel an
Nahrungsmitteln und Medikamenten, andererseits von offener Anerkennung für das
Verhalten der Armee, die um ein positives Bild in der tamilischen Zivilbevölkerung
bemüht sei und von der sich diese nicht bedroht fühle (KK 06.06.1996 S. 6 ff.). Auch
nach dem Bericht einer Menschenrechtsorganisation (UTHR 27.12.1996 S. 2, 4 f.)
wurde die Rolle der Armee und besonders einiger Kommandeure, etwa in Vadamaratchi
und in dem die Stadt Jaffna einschließenden Gebiet positiv gesehen; allerdings hat
auch ein Abgeordneter im Parlament eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen
Armee und Bevölkerung beklagt (KK 24.02.1997 S. 6). Von Seiten der Regierung
wurden alsbald große Anstrengungen unternommen, außer den Soldaten auch die
Zivilbevölkerung zu versorgen (Wingler --.09.1996 S. 26). Die Versorgung mit
Lebensmitteln wurde relativ stabil; viele Schulen, die Universität und Krankenhäuser
haben ihren Betrieb wieder aufgenommen (AA 30.08.1996 S. 9; 27.05.1999 S. 6;
28.04.2000 S. 15; 05.06.2000 S. 7; 26.01.2001 S. 2; Wingler 27.11.1996 S. 23). Zum
149
Aufbau einer zivilen Verwaltung auf der Jaffna-Halbinsel entsandte die Regierung
tamilische Beamte (KK 06.06.1996 S. 3 f.); im Januar 1998 fanden kommunale Wahlen
statt (Wingler 31.05.1998 S. 10, 20) und die Situation in Jaffna verbessert sich trotz weit
greifender Kontrollen durch das Militär zusehends (UNHCR --.07.1998 S. 4 und
zugehörige Anlage 1 S. 6 f.). Die Menschenrechtslage wird gegenüber derjenigen vor
Juni 1997 als erheblich verbessert beurteilt (AA 19.01.1999 S. 16; Wingler 30.09.1998
S. 10; --.04.2001 S. 3 f.). Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verhalten der
Sicherheitskräfte gegenüber der Zivilbevölkerung in den von ihnen beherrschten
Gebieten im Norden in Folge des Wiederaufflammens der kriegerischen
Auseinandersetzungen ab Ende 1999 geändert hat, sind nicht ersichtlich.
(2) Festnahmen und Fälle von "Verschwindenlassen"
150
Soweit die Sicherheitskräfte bei ihrem Kampf gegen die LTTE wie im Großraum
Colombo und den übrigen südlichen Gebieten zum Mittel kurzzeitiger
Massenverhaftungen von Tamilen zum Zweck der Identitätskontrolle greifen (UNHCR
24.08.2001 S. 1 f.), gilt das oben Ausgeführte. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit
politischer Verfolgung ergibt sich hieraus - von Fällen eines konkreten LTTE- Verdachts
der Sicherheitsbehörden gegen den Betroffenen abgesehen - nicht. Bedenken im
Hinblick auf eine politische Verfolgung folgten aus früheren Berichten über Festnahmen
und Verschwindenlassen insbesondere junger tamilischer Männer (vgl. insoweit die
Zusammenstellungen UTHR 27.12.1996 S. 2 ff. und ai --.11.1997 nebst Anhängen A
und C). Für den jetzigen Zeitraum sowie die weitere Entwicklung - auch in künftig
wieder in die Gewalt der staatlichen Kräfte gelangenden Bereichen - ... ergeben diese
Vorgänge jedoch nichts Tragfähiges im Sinne der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
politischer Verfolgung.
151
(a) Vorfälle im Jahr 1996
152
Im April und Mai 1996 sollen über 500 tamilische Jungen und Mädchen, die sich unter
den Flüchtlingen befanden, in Internierungslager auf der Jaffna-Halbinsel und an
unbekannte Orte - auch im Süden des Landes - verbracht worden sein, wobei spätere
Freilassungen nur in geringer Zahl bekannt wurden; Anfang Juli 1996 kam es nach
Bombenanschlägen zu einer weiteren großen Verhaftungswelle (Wingler 13.07.1996 S.
12, 36). Für den Herbst 1996 wird von mehr als 300 Verschwundenen berichtet, die in
Militärhaft genommen worden waren (Wingler 10.02.1997 S. 32). Nach
Zusammenstellungen eines Parlamentsabgeordneten aus dem November 1996 und
dem Januar 1997 wurden in jener Zeit in Jaffna ca. 130 Personen verhaftet und gelten
als verschwunden (KK 24.02.1997 S. 5). Insgesamt gelten für das gesamte Jahr 1996
über 700 Personen als verschwunden (AA 18.04.2000 S. 19) bzw. für sechs Monate des
Jahres etwa 540 Personen (ai --.11.1997 S. 1). Es wird befürchtet, dass sie gezielt
umgebracht worden oder unter Folter zu Tode gekommen sind (AA 28.04.2000 S. 19).
Hierauf deutet auch die Aussage eines angeklagten Armeeangehörigen zu
Massengräbern in der Region um Chemmani hin (South-Asia Bureau, Inform --.07.1998
S. 10 f.; Wingler 30.09.1998 S. 9 f.), wenngleich die hieran anschließenden
Nachforschungen ab Frühjahr 1999 bislang erst zum Auffinden von 15 Leichen führten
(AA 28.04.2000 S. 20). Im Weiteren können Zahlen dieser Größenordnung -
gegebenenfalls sogar mit einem Zuschlag für unbekannt gebliebene Fälle - zu Grunde
gelegt werden. Es kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang
Verhaftungsaktionen ihrer objektiven Gerichtetheit nach der Erfassung von LTTE-
Anhängern und -Unterstützern dienen - insofern zeigen Einzelvorkommnisse eine
153
zumindest grobe Überprüfung unter Freilassung von Unverdächtigen (ai --.11.1997 S. 9)
- doch ist zu beachten, dass die Anlässe einzelner Übergriffe, nämlich Aktionen der
LTTE oder deren anderweitige militärische Erfolge (ai --.11.1997 S. 7; AA 28.04.2000 S.
19), auch für ein undifferenziertes Vorgehen sprechen. Schließlich kann offen bleiben,
ob aus den Zahlen und den Umständen der Zugriffe auf eine hinreichende
Verfolgungsdichte geschlossen werden kann. Die Geschehnisse des Jahres 1996 sind
nämlich für die heutige Situation ... ohne tragenden Aussagegehalt.
(b) Entwicklung nach 1996
154
Zahl und Umfang vergleichbarer Übergriffe sind nach dem Jahre 1996 erheblich
zurückgegangen. Die Aussage des UNHCR (--.07.1998 S. 3), seit der Wiederaufnahme
der bewaffneten Auseinandersetzungen 1995 habe die Anzahl der Fälle von
Verschwindenlassen permanent zugenommen und die Anzahl der berichteten Fälle
habe sich 1997 wiederum erhöht - soweit damit nicht die über mehrere Jahre
fortgeschriebene Gesamtzahl gemeint ist -, kann jedenfalls für die Jaffna-Halbinsel -
Jaffna ist neben Batticaloa und Mannar in diesem Zusammenhang erwähnt - nicht zu
Grunde gelegt werden. Eine Präzisierung im Hinblick auf die Größenordnung oder auf
tragfähige Grundlagen für die Aussage findet sich nicht. Sie kann insbesondere auch
dem Material, auf dem die Stellungnahme des UNHCR beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), nicht entnommen werden. Soweit in den herangezogenen
Unterlagen Sri Lanka als das Land mit den meisten Verschwundenen im Jahre 1997
bezeichnet wird (Anlage 2 Ziffer 348), ist das für die Entwicklung im Lauf der Jahre und
in Bezug auf den hier zu betrachtenden Landesteil ebenso ohne Gehalt wie die
ersichtlich zeitlich weit greifende Aussage, die Verletzungen von Menschenrechten
seien über Jahre hinweg so zahlreich, häufig und ernstlich, dass man nicht von
isolierten Einzelfällen des Fehlverhaltens ausgehen könne (Anlage 1 Ziffer 151).
Demgegenüber enthält das sonstige Auskunftsmaterial verschiedener Stellen mit
unterschiedlichen Quellen genaue Angaben und ergibt ein in den Grundzügen
übereinstimmendes Bild, sodass den pauschalen und ohne Bestätigung gebliebenen
Aussagen des UNHCR kein Gewicht gegeben werden kann: Für die erste Jahreshälfte
1997 wird von 35 bzw. 41 Verschwundenen berichtet. In der Folgezeit ist zunächst kein
Fall dieser Art auf der Jaffna-Halbinsel mehr bekannt geworden (ai --.11.1997 S. 2;
Wingler 30.01.1998 S. 19; AA 24.10.2001 S. 23; US State Department --.02.2001 S. 5).
Im Dezember 2000 ereignete sich dann ein weiterer Vorfall mit 8 Verschwundenen - und
letztlich Getöteten - bei Mirusevil auf der Halbinsel Jaffna (US State Department --
.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22; ai --.--.2001 S. 519), der unmittelbar nach
Bekanntwerden zur Festnahme der verantwortlichen Soldaten wegen Folter und Mordes
führte (US State Department --.02.2001 S. 3, 5; AA 24.10.2001 S. 22); das Verfahren
gegen die 19 in Untersuchungshaft befindlichen Armeeangehörigen dauert an (AA
24.10.2001 S. 22). In den übrigen Gebieten des Nordens können sich in der Folgezeit
nur einzelne Fälle von Verschwindenlassen ereignet haben, da die Zahl möglicher
Verschwundener für 1999 und 2000 landesweit mit jeweils 12 bis 15 (ai --.--.2001 S.
519: "mindestens 20" im Jahr 2000, davon 11 im Gebiet Vavuniya) angegeben wird (AA
24.10.2001 S. 23), von denen 1999 allein 6 dem Raum Batticaloa zugeordnet werden
(AA 28.04.2000 S. 20). Für die Monate Januar bis September 2001 nennt das
Auswärtige Amt unter Bezugnahme auf amnesty international landesweit etwa 10 Fälle
(AA 24.10.2001 S. 23); anderenorts wird berichtet, Fälle von Verschwindenlassen
ereigneten sich vor allem in den Regionen Vavuniya und Mannar, wobei auf eine von
der HRC in Vavuniya genannte Zahl von 15 nach Verhaftung vermissten Personen
Bezug genommen und eine Vielzahl von Fällen durch die LTTE Entführter aufgeführt
155
wird (Südasien 3/01 S. 65).
Abgesehen von der sich aus diesen bekannt gewordenen Zahlen ergebenden
durchgreifenden Verbesserung der Situation gibt es weitere Umstände, die es plausibel
erscheinen lassen, dass sich die Zahl der Verschwundenen wie dargestellt auf einen
Stand reduziert hat, bei dem es ersichtlich an der für eine Gruppen- oder
Untergruppenverfolgung erforderlichen Dichte fehlt; von einer Situation, in der die
Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer (Unter-) Gruppe gerichtet sind und
nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass daraus bei objektiver
Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit entsteht -
156
vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O., S.
203 und vom 20. Juni 1995 - 9 C 294.94 -, a.a.O. -,
157
kann nicht gesprochen werden. Die srilankische Regierung ist bemüht, den Übergriffen
der Armee durch verschiedene Maßnahmen zu begegnen und die Grundsätze der oben
zum Großraum Colombo schon angesprochenen Notstandsgesetzgebung zur
Anwendung zu bringen (AA 28.04.2000 S. 20) - so werden etwa Mitteilungen über eine
Verhaftung erstellt (Wingler 31.05.1998 S. 44) - sowie das Bewusstsein für die
Menschenrechte in der Armee zu verbreiten (ai --.11.1997 S. 14). Sowohl bei der
Rekruten- als auch bei der Offiziersausbildung wurden Menschenrechtsfragen in den
Ausbildungskatalog aufgenommen (AA 21.08.1997 S. 2; 28.04.2000 S. 8); bei den in
Jaffna stationierten Truppenteilen wurden ferner besondere "Menschenrechtseinheiten"
- human right cells - eingerichtet (AA 24.10.2001 S. 10; 28.04.2000 S. 20; US State
Department -- .02.2001 S. 10); nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes beruht die zu
beobachtende Reduzierung der Fälle von Vermissten auf den von der Regierung bzw.
der Präsidentin getroffenen Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 23). Insbesondere aber ist
Wirkung davon zu erwarten, dass es - wie etwa im Anschluss an den erwähnten Vorfall
in Mirusuvil - zu Verfahren kommt, in denen die Verantwortlichkeit von
Armeeangehörigen für schwer wiegende Vorkommnisse geklärt werden soll und über
die in der Presse berichtet wird (ai --.11.1997 S. 2: "Signal für die Sicherheitskräfte"; AA
24.10.2001 S. 22 f.; 28.04.2000 S. 20) - in einem Strafverfahren gegen
Armeeangehörige, die im Norden eingesetzt waren, ist es inzwischen zu einer
Verurteilung gekommen (South-Asia-Bureau, Inform --.07.1998 S. 10, AA 28.04.2000 S.
20). Armee- und Polizeiführung haben die Verschwundenenfälle kritisiert und
angekündigt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (US State Department --
.02.2001 S. 5). Ferner ist von Bedeutung, dass dem Verschwinden von Personen durch
staatlich eingerichtete Kommissionen nachgegangen wird. So ist beim
Verteidigungsministerium ein Board of Investigation eingerichtet worden, dem Hunderte
von Beschwerden vorliegen und von dem bereits in 160 Fällen die Spuren ermittelt
worden sind; außerdem ist die HRC, die inzwischen über Zweigniederlassungen in
Jaffna und Vavuniya verfügt (AA 24.10.2001 S. 9; Wingler 30.01.1998 S. 19),
eingeschaltet, die bereits Ende 1997 über 270 Fällen nachging (ai --.11.1997 S. 2, 12,
13); auf Anordnung von Präsidentin Kumaratunga wurden sieben im August 2000
bekannt gewordene Fälle von Verschwinden einer internen Untersuchung unterzogen
(ai --.--.2001 S. 519). Schließlich wird dem Vorgehen der Armee insbesondere im
Hinblick auf das Verschwinden von Zivilisten auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit
gewidmet. So hatte eine in Colombo erscheinende Wochenzeitung eine regelmäßige
Rubrik mit Namen von als verschwunden geltenden Personen eingerichtet (KK
22.02.1997 S. 5); ferner warfen Richter des Obersten Gerichtshofs den
158
Verfolgungsbehörden öffentlich Rechtsverletzungen und Folter vor (KK 24.02.1997 S. 4;
ai 23.02.2000 S. 5). Auch der Aussage eines wegen der Tötung von
Zivilisten zum Tode verurteilten Armeeangehörigen zur Existenz von Massengräbern
von der Armee Getöteter wird durch staatliche Stellen, die hierbei internationale
Menschenrechtsorganisationen beteiligen, unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit
nachgegangen (AA 28.04.2000 S. 20). In jüngerer Zeit hat die srilankische Regierung -
auch auf die Kritik nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen hin -
eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um von Polizei- und Armeeangehörigen
begangene Menschenrechtsverstöße konsequenter zu ahnden und die Verfahren zu
beschleunigen, wie die Anordnung von Gegenüberstellungen und die Durchführung von
Prozessen vor einem Gremium von Berufsrichtern; letztere Maßnahme dient auch dazu,
einer möglichen Einflussnahme auf Schöffenrichter vorzubeugen (AA 24.10.2001 S. 23).
...
159
(3) Andere Übergriffe der Sicherheitskräfte
160
Im Hinblick auf die weiteren unmittelbaren Übergriffe von Angehörigen der
Sicherheitskräfte gegen tamilische Zivilisten, insbesondere auf die Fälle der
Vergewaltigungen oder der willkürlichen Tötungen - für die Zeit von Januar bis
September 1997 ist von über 30 Fällen berichtet worden, zu denen Untersuchungen
durchgeführt worden sind (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 7) - ist auf die
vorstehenden Ausführungen zum Rückgang des Verschwindenlassens zu verweisen,
zumal der Verdacht auf extralegale Tötungen durch die Sicherheitskräfte in den Jahren
2000 und 2001 in erster Linie im Zusammenhang mit den Verschwundenen-
Schicksalen steht (AA 24.10.2001 S. 22). Auch insofern greifen die Maßnahmen zur
stärkeren Disziplinierung der Soldaten, sodass jedenfalls nunmehr von Exzesstaten
auszugehen ist, die nicht als politische Verfolgung zu werten sind; im Übrigen mangelt
es auch hier an der erforderlichen Dichte der Übergriffe.
161
(4) Übergriffe nichtstaatlicher tamilischer Organisationen
162
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung ergibt sich auch
nicht aus Übergriffen von Angehörigen militanter tamilischer Organisationen, die mit der
LTTE in offenem Konflikt stehen und mit denen die srilankische Armee auf regionaler
Ebene zusammenarbeitet (AA 28.04.2000 S. 14), wie den im Norden operierenden
"People's Liberation Organisation of Tamil Eelam" - PLOTE - und "Tamil Eelam
Liberation Organisation" - TELO -. Diese Organisationen geben zum einen
Informationen über LTTE-Mitglieder an Sicherheitsbehörden weiter, arbeiten bei der
Identifikation von LTTE-Angehörigen mit den Sicherheitskräften zusammen und liefern
von ihnen aufgegriffene LTTE-Mitglieder an die Sicherheitskräfte aus (AA 24.10.2001 S.
17). Zum anderen führen die Organisationen auch selbstständig Razzien, Festnahmen
und Verhaftungen durch, in deren Rahmen es in der Vergangenheit wiederholt zu
Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, darunter auch unrechtmäßige
Festnahmen, Inhaftierungen in illegalen Haftplätzen, Misshandlungen sowie Fälle des
Verschwindenlassens (AA 24.10.2001 S. 17 f.; ai 01.03.1999 S. 4; 16.01.2001 S. 5; US
State Department --.02.2001 S. 2, 6 ff.).
163
Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung von Tamilen in den
Aktionsräumen der genannten Organisationen im Norden ergibt sich aus diesen
Vorfällen nicht. Dabei kann offen bleiben, ob das Handeln der Mitglieder dieser
164
Organisationen gegenüber der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht staatlicher Billigung
oder jedenfalls Duldung unterliegt und diesem daher zuzurechnen ist, oder ob der Staat
in den Grenzen der ihm gegebenen Möglichkeiten Maßnahmen ergreift, um Übergriffen
entgegenzuwirken, was einer Qualifizierung als mittelbare staatliche Verfolgung bereits
vom Ansatz her entgegenstünde. Von einer Duldung illegaler Inhaftierungen geht
amnesty international unter Hinweis auf die Beobachtung von Armeefahrzeugen und
Soldaten in illegalen Haftzentren der PLOTE aus (ai 23.02.2000 S. 3).
Wingler meint, die Aktivitäten entzögen sich "fast jeglicher Kontrolle" und die Regierung
habe "keine klaren Schritte" unternommen, dem entgegenzuwirken (Wingler --.05.2000
S. 2; --.04.2001 S. 3). Das Auswärtige Amt spricht von einem "entschiedenen
Eingreifen" der Sicherheitskräfte gegen rechtswidrige Aktivitäten der PLOTE und TELO
in Vavuniya in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 (AA 04.02.2000 S. 2; 01.12.2000 S.
4) bzw. in jüngerer Zeit (AA 24.10.2001 S. 18); insofern berichtet das US State
Department von einer Entwaffnung der PLOTE und TELO durch die Regierung im
Anschluss an eine bewaffnete Auseinandersetzung in Colombo im Mai 1999 (US State
Department --.02.2001, S. 2, 6), die allerdings als nicht effektiv eingeschätzt wird (US
State Department --.02.2001 S. 4). Die Angaben in den vorliegenden Erkenntnissen
ergeben jedenfalls nicht, dass diejenigen Übergriffe von Seiten der genannten
Organisationen, die nicht bereits bei objektiver Bewertung auf die Bekämpfung der
LTTE im Bürgerkrieg gerichtet sind und sich hierin erschöpfen, von einer derartigen
Häufigkeit sind, dass für jeden der (mehreren hunderttausend) Tamilen im betroffenen
Gebiet die ernsthafte Gefahr bestünde, ohne Anknüpfung an irgendwelche über
Volkszugehörigkeit, Alter und Geschlecht hinausgehenden individuellen Merkmale
Übergriffen asylerheblicher Intensität ausgesetzt zu sein. So beziffert etwa amnesty
international die Zahl der in illegalen Haftzentren der PLOTE in "unbestätigter Haft"
gehaltenen Personen auf 40 (ai 01.03.1999 S. 4) und stellen sich die Fälle von
Verschwundenen, für die u.a. die PLOTE verantwortlich gemacht wird (Nachweise etwa
in Anlage 1 zu KK 26.02.1999), ebenfalls als Einzelfälle dar, denen zudem
staatlicherseits nachgegangen wird (vgl. Anlage 1 zu KK 26.02.1999). Soweit davon
berichtet wird, nach einer Meldung der Zeitung "The Island" vom 24. März 2000 werde
die PLOTE in einem Untersuchungsbericht für die Tötung von 620 Menschen in
verschiedenen Teilen des Landes verantwortlich gemacht, wobei sie Unterstützung von
Armeeangehörigen erhalten habe (ai 16.01.2001 S. 5), bezieht sich die Zahlenangabe
ersichtlich auf einen Zeitraum von mehreren Jahren und hat keinen Bezug zu aktuellen
Entwicklungen. So hat das Auswärtige Amt in jüngerer Zeit noch einmal bekräftigt, dass
die Regierung seit 1999 verschärft gegen Eigenmächtigkeiten der PLOTE vorgehe,
dass sich die Verhältnisse seit der zweiten Hälfte des Jahres 1999, insbesondere nach
der Ermordung eines örtlichen PLOTE- Führers im September 1999, verbessert hätten
(AA 01.12.2000 S. 4) und dass der Einfluss der PLOTE gerade seit den letzten Wahlen
zurückgegangen sei, nachdem sie nicht mehr im srilankischen Parlament vertreten sei
(AA 24.10.2001 S. 18). Für eine gegenteilige Entwicklung sind keine Anhaltspunkte
ersichtlich.
ee) Östliche Landesteile
165
Die Verhältnisse in den östlichen Landesteilen beinhalten über die auch in den anderen
Landesteilen verbreiteten Aktionen der Sicherheitskräfte zur Identifizierung und
Verhaftung von LTTE-Angehörigen, die in gleicher Weise wie dort zu bewerten sind,
hinaus zwar Gefährdungen von Leib und Leben dort lebender Tamilen durch staatliche
oder staatlich geduldete bewaffnete Kräfte. Die für die Annahme einer
Gruppenverfolgung unerlässliche Dichte von derartigen Übergriffen, also eine Situation,
166
in der die Übergriffe unterschiedslos auf die Mitglieder einer Gruppe gerichtet sind und
nach Intensität und Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass daraus bei objektiver
Betrachtung für jeden nicht nur die allgemeine Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr
eigener Betroffenheit entsteht, die für ihn den Aufenthalt dort unzumutbar erscheinen
lässt, ist aber für die Tamilen insgesamt oder eine Untergruppe nicht festzustellen.
(1) Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen
167
Eine Situation offenen Bürgerkriegs unter mehr als regional begrenztem Verlust der
Gebietshoheit des Staates ist in den östlichen Landesteilen nicht entstanden. Die
Militäroperationen im Norden Sri Lankas ab April 1995 führten zu einer Reduzierung der
Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte im Osten, was dort eine Destabilisierung zur
Folge hatte (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro 15.04.1996 S. 2; Wingler 11.12.1995
S. 45; 31.01.1996 S. 39; Südasien 7-8/96 S. 11, UNHCR --.07.1998 S. 4). Der Abzug der
Truppen ermöglichte es LTTE-Kadern einzudringen, sodass sich der Einflussbereich
der LTTE im Osten des Landes ausweitete (KK 04.01.1996 S. 32; Südasienbüro
15.04.1996 S. 2). Nach ihrer Niederlage auf der K. -Halbinsel hat sie ihre Präsenz im
Osten weiter verstärkt und kontrolliert dort viele Gebiete (KK 06.06.1996 S. 13; Wingler --
.09.1996 S. 36; AA 24.10.2001 S. 18: Gebiete um Batticaloa und Amparai); die
srilankische Regierung hielt und hält jedoch zumindest die Gebietsgewalt über den
Landstreifen an der Küste und die dortigen (größeren) Ortschaften (EU 02.04.1997 S. 4;
Wingler 31.05.1998 S. 19; AA 24.10.2001 S. 18; KK 04.01.1996 S. 32). Zu militärischen
Aktionen, die zum Teil auch zivile Opfer, ganz überwiegend aber Opfer unter den
staatlichen Sicherheitskräften und der LTTE fordern, kommt es nur vereinzelt
(Südasienbüro 15.04.1996 S. 1 f.; Wingler 10.02.1997 S. 18, AA 24.10.2001 S. 18);
Großoffensiven fanden mit Ausnahme einer gegen Urwaldeinrichtungen der LTTE
gerichteten Operation (Wingler 31.01.1996 S. 41 f.) nicht statt (KK 04.01.1996 S. 18).
Wenngleich auch von "wahllosen Bombardierungen" ziviler Ziele berichtet wird
(UNHCR --.07.1998, Anlage 1, Nr. 46), erlangen diese Vorfälle wegen der geringen Zahl
der berichteten Opfer (für die Zeit von Januar bis August 1997 wird eine Zahl von 37
Toten und 30 Verwundeten genannt, UNHCR --.07.1998, Anlage 1 Nr. 47), die zudem
zum Teil der LTTE angelastet werden (UNHCR --.07.1998, ebda.), kein das militärische
Auftreten der staatlichen Sicherheitskräfte im hier betrachteten Gebiet prägendes
Gewicht. Während der Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen im Norden
Sri Lankas Ende 1999 wurden die Sicherheitskräfte im Osten zeitweilig in erhöhte
Alarmbereitschaft versetzt, um auch hier befürchteten Aktionen der LTTE militärisch
entgegentreten zu können (AA 18.04.2000 S. 1). Größere militärische
Auseinandersetzungen sind jedoch nicht bekannt geworden. Von einer nachhaltigen
Beeinträchtigung der tamilischen Bevölkerung durch Maßnahmen des Staates, die einer
kriegerischen Auseinandersetzung zuzuordnen und unter den dafür vom
Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Voraussetzungen auf den Charakter als
politische Verfolgung zu prüfen wären, ist hiernach nicht auszugehen.
168
(2) Vergeltungsaktionen nach LTTE Aktionen/"Verschwin-denlassen"
169
Vergeltungsaktionen, die über die Bekämpfung der LTTE oder der Aufklärung ihres
Umfeldes hinausgehen, sind seit 1995 immer wieder vorgekommen und haben zum Tod
zahlreicher Zivilisten geführt. So wurde für Mai 1995 von einem Dutzend
außergesetzlicher Hinrichtungen, für August 1995 von der Tötung zweier Zivilisten und
für November 1995 in einem Fall von der Tötung mehrerer, in einem weiteren Fall von
der Tötung von drei oder sieben Zivilisten berichtet; Anfang 1996 kam es zu einem
170
besonders gravierenden Vorfall mit der Tötung von 24 Zivilisten, darunter 13 Kindern
und auch Frauen (KK 20.03.1996 S. 4; Wingler 29.04.1996 S. 38 ff. ; AA 30.08.1996 S. 9
f.). Gegen Ende 1996 wurde eine Aktion durchgeführt, bei der tamilische Bewohner
ganzer Ortschaften ins offene Feld getrieben und kontrolliert wurden, eine unbekannte
Zahl nach der Festnahme durch die Armee verschwunden ist und mehrere Personen
getötet wurden (Wingler 10.02.1997 S. 30, 40, 43). Für 1996 und 1997 sind ferner
Brandstiftungen und Vertreibungen der Bewohner belegt, wobei auch Personen zu
Schaden kamen (Wingler 13.07.1996 S. 41 f., 08.10.1997 S. 23 f.). Für die ersten acht
Monate des Jahres 1997 wurde von 35 Getöteten berichtet und davon, dass die Fälle
unter Notstandsrecht untersucht wurden, aber auch davon, dass Tötungen von den
Sicherheitskräften bewaffneten Auseinandersetzungen zugeschrieben werden, um so
eine Untersuchung zu umgehen (Anlage 1 zu UNHCR --.07.1998 S. 9). Im September
1997 wurden bei einem Übergriff 6 Tamilen getötet; weitere wurden verletzt oder
verschwanden (Wingler 08.10.1997 S. 23). Im Februar 1998 wurden acht junge Tamilen
verhaftet und brutal getötet (Wingler 31.05.1998 S. 43). Fälle des Verschwindens von
tamilischen Zivilisten sind auch darüber hinaus - etwa nach Festnahmen durch die
Sicherheitskräfte bei Kontrollen - festzustellen (UNHCR --.07.1998 S. 3), wobei die Zahl
den Umständen gemäß, also insbesondere wegen der mangelnden präzisen Erfassung
und Zusammenfassung sowie mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle, nur wenig
zuverlässig angegeben werden kann. Als Anzahl der verschwundenen Personen wird
für den Nordosten für den Zeitraum eines Jahres ab dem Herbst 1994 etwa 30
angegeben (KK 04.01.1996 S. 70 f., 75). Im Frühjahr 1996 wurden bezogen auf den
Osten einige Fälle von Verschwundenen bekannt (EU 02.04.1997 S. 12 unter Hinweis
auf die von amnesty international genannte Zahl sieben), für 1998 wird bezogen auf
Trincomalee kein Fall mehr benannt (AA 24.10.2001 S. 23). Für den Bezirk Batticaloa
wird berichtet, im ersten Halbjahr 1997 seien 16 Personen verschwunden (ai --.11.1997
S. 2), im Jahre 1999 6 Personen (AA 28.04.2000 S. 20). Für die ersten 9 Monate des
Jahres 2000 wird für das Gebiet um Vavuniya und den Osten Sri Lankas zusammen die
Zahl von 9 Personen genannt, die aus dem Gewahrsam der Sicherheitskräfte
verschwunden sind (US State Department --.02.2001 S. 1), für die Zeit von Januar bis
September 2001 ist von landesweit etwa 10 Verschwundenenfällen die Rede (AA
24.10.2001 S. 23). Der UNHCR teilt mit, im Osten seien Fälle von Verschwindenlassen
sowie schwer wiegende Misshandlungen im Polizeigewahrsam weiterhin ein ernst zu
nehmendes Problem (UNHCR --.07.1998 S. 4); konkretere Angaben lassen sich seiner
Stellungnahme und dem in Bezug genommenen Material allerdings nicht entnehmen.
Eine Liste mit den Namen von 2.000 Verschwundenen, über die berichtet wird (Wingler
08.10.1997 S. 26), ist ebenfalls kaum nachvollziehbar, wenn sie - was in dem Bericht
nicht deutlich wird - allein auf die Zeit nach dem Regierungswechsel, den
Friedensgesprächen und dem erneuten Einsetzen der LTTE-Übergriffe bezogen wird,
wohl aber bei Einbeziehung der Verhältnisse ab 1990/1991, die ein nachhaltig anderes
Bild ergaben und nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 8. Juli 1992 - 21
A 914/91.A -) den Schluss auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung
junger tamilischer Männer trugen. Da der Verfasser der Liste seit langer Zeit in
Batticaloa ansässig ist und sich mit der Situation der Bevölkerung befasst, ist
anzunehmen, dass es sich um eine fortgeschriebene Liste handelt; angesichts der sich
nicht zuletzt in den Auskünften niederschlagenden Beobachtung der Entwicklung durch
Menschenrechtsorganisationen (EU 02.04.1997 S. 5) kann trotz des oben aufgezeigten
Vorbehalts von einer anderweitig nicht bekannt gewordenen Zahl in der genannten
Größenordnung nicht ausgegangen werden. Auch der Angabe von Wingler (Wingler --
.05.2000 S. 2), "die meisten Fälle von Verschwinden und Tod in Haft werden derzeitig
aus dem Osten berichtet", ist keine Aussage zu einer hohen Zahl derartiger
Vorkommnisse zu entnehmen; sie findet vielmehr ihre Erklärung in dem allgemein in Sri
Lanka konstatierten Rückgang derartiger Übergriffe, der sich etwa in der Zahl von
landesweit jeweils etwa 12 bis 20 Verschwundenenfällen in den Jahren 1999 und 2000
und etwa 10 Fällen in den ersten neun Monaten des Jahres 2001 widerspiegelt (AA
24.10.2001 S. 23; ai --.--.2001 S. 519), wobei sich allerdings allein im Jahr 1999
mindestens sechs Fälle im Raum Batticaloa ereigneten (AA 28.04.2000 S. 20).
In Verbindung mit Aktivitäten der LTTE stehen auch das berichtete Heranziehen von
Zivilisten zum Räumen von Minen und als lebende Schutzschilde im Raum Batticaloa
(KK 24.10.1995 S. 5; Wingler 03.11.1995 S. 2, 31.01.1996 S. 41) sowie die Racheakte
von Singhalesen (Wingler 31.01.1996 S. 43) oder Moslems (AA 17.03.1997 S. 5;
28.04.2000 S. 13). Ohne feststellbaren Bezug zu vorangegangenen Aktivitäten der
LTTE sind Plünderungen (Wingler 08.10.1997 S. 24) und Übergriffe gegen Frauen; von
Fällen der Vergewaltigung wird immer wieder berichtet, wobei insbesondere auch auf
eine Dunkelziffer hingewiesen wird (KK 22.02.1997 S. 7; Wingler 10.07.1997 S. 52,
08.10.1997 S. 26; EU 02.04.1997 S. 12; AA 24.10.2001 S. 25).
171
(a) Kein staatliches Verfolgungsprogramm
172
Die für die Prüfung, ob jeder in dem hier betrachteten östlichen Landesteil sich
aufhaltende Tamile in der Gefahr aktueller Betroffenheit steht, aussagekräftige Frage, ob
hinter den vorgenannten Beeinträchtigungen ein bestimmtes, der Art nach eine
politische Verfolgung beinhaltendes Programm steht, ist jedoch zu verneinen. Dabei
braucht nicht auf die Einzelgesichtspunkte eingegangen zu werden, die für eine
Qualifizierung von Vorfällen als Akte politischer Verfolgung maßgeblich sind. Der
Annahme eines Verfolgungsprogramms stehen zunächst die Verschiedenartigkeit und
Spannweite der vorstehend aufgeführten Akte, die Vielfalt der Anlässe und Ursachen
sowie die Unterschiedlichkeit der Handelnden entgegen. Es kann auch nicht davon
ausgegangen werden, die Regierung lasse die Situation gewollt unkontrolliert und
dulde bewusst die Beeinträchtigungen der Tamilen, etwa um diese als
Bevölkerungsgruppe ungeachtet einer etwaigen Verbindung zur LTTE auszugrenzen.
Denn die Übergriffe bleiben nicht mehr ohne jede staatliche Reaktion. So ist der Vorfall
von Anfang 1996, bei dem 24 Personen getötet wurden, zum Gegenstand einer
offiziellen Untersuchung gemacht worden (Südasien-Büro 15.04.1996 S. 4, AA
30.08.1996 S. 9 f.) und führte der Übergriff mit 6 Toten im September 1997 alsbald zur
Versetzung der Verantwortlichen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Auch nach
Vergewaltigungen kam es zu Festnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 22.02.1997 S. 6 f.).
Als Folge eines Vorfalls in Thamapalakamam in der Nähe von Trincomalee im Februar
1998, bei dem Polizei und Heimwehren acht Tamilen, darunter drei Kinder getötet
haben sollen, wird von der Inhaftierung von 31 Polizisten und 10 Mitgliedern der
Heimwehren berichtet, von denen 4 Personen wegen Mordes und 17 Personen wegen
Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt worden sind (US State Department --
.02.2001 S. 3). Die eingeleiteten Maßnahmen führen zwar nicht zu zügiger Klärung der
Verantwortlichkeit und abschließenden Maßnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; Wingler
08.10.1997 S. 25), sie stehen aber der in dem angeführten Senatsurteil vom 8. Juli 1992
- 21 A 914/91.A - noch maßgeblich mit herangezogenen Schlussfolgerung entgegen,
die Tamilen seien Übergriffen völlig hilflos ausgesetzt und fänden nirgendwo Gehör. In
diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass in den Medien von den Übergriffen
berichtet wird, Politiker Vorfälle aufgreifen und öffentliche Proteste stattfinden (AA
24.10.2001 S. 25; Wingler 08.10.1997 S. 23). Die in dem Bericht des UNHCR vom Juli
1998 wiedergegebene Aussage einer Arbeitsgruppe der UN-
173
Menschenrechtskommission über eine "systematische Praxis des
Verschwindenlassens" ergibt nichts anderes. Diese Aussage wird in keiner Hinsicht
konkretisiert und untermauert. Welches System insbesondere mit welchen Kriterien in
Bezug auf die Betroffenen zu Grunde liegen soll, wird ebenso wenig verdeutlicht wie die
tatsächlichen Geschehnisse, an die der Schluss auf ein Vorgehen in bestimmter Weise
anknüpfen soll. Den Berichten, auf denen die Stellungnahme beruht (Anlagen 1 bis 3 zu
UNHCR --.07.1998), lässt sich Dahingehendes ebenfalls nicht entnehmen;
insbesondere trägt der sich mit Fragen des Verschwindenlassens befassende Bericht
die Aussage nicht. Damit stimmt überein, dass sich in dem oben ausgewerteten und
eine Vielzahl von Informationen bietenden Auskunftsmaterial kein Anhaltspunkt für eine
solche generelle oder systematische Praxis der Sicherheitskräfte findet und dass der
Bericht selbst die Bewertung enthält, man könne "nicht von einer geplanten Politik von
Menschenrechtsverletzungen sprechen" (UNHCR --.07.1998 S. 1 f., Anlage 1 Rdnr.
151).
(b) Dichte der Übergriffe
174
Die aufgezeigten Beeinträchtigungen - für die im Einzelnen eine Untersuchung des
Charakters der politischen Verfolgung unterbleibt - reichen in ihrer Gesamtheit nicht aus,
um auf eine aktuelle Gefahr für jeden Einzelnen zu schließen. Die Vergeltungsschläge
sind im Vergleich zu den Übergriffen der LTTE eher selten geblieben. Denn die
Situation ist seit Jahren dadurch geprägt, dass die LTTE eine Vielzahl von Übergriffen
auf strategisch wichtige Ziele, auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei sowie - um
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen zu provozieren (KK 04.01.1996 S. 34;
AA 17.03.1997 S. 4) - auf singhalesische Dörfer verübt (KK 04.01.1996 S. 17, 34;
Wingler 31.01.1996 S. 40 f., 10.07.1997 S. 39, 53, 08.10.1997 S. 21, 23,). Es kam zu
Übergriffen der LTTE mit in Einzelfällen sehr hoher Zahl an Opfern vor allem unter der
singhalesischen Bevölkerung - so im Mai 1995 mit 42 (AA 07.11.1995 S. 1) und im
Oktober 1995 mit 73 Getöteten (KK 24.10.1995 S. 15). Die Zahl der getöteten
Sicherheitskräfte ist insbesondere auf den Außenposten hoch (Wingler 08.10.1997 S.
23). Für Anfang 1996 etwa wurde sie auf über 500 geschätzt (Wingler 29.04.1996 S. 34),
allein im Januar 1997 betrug sie über 200 (Wingler 10.02.1997 S. 18). Angriffe auf
Armeelager und Polizeistellen, die teilweise mehrere oder gar bis zu 30 Menschenleben
fordern, werden als sehr zahlreich, manchmal als fast täglich geschehend dargestellt
(Wingler 29.04.1996 S. 34, 13.07.1996 S. 9, 10.07.1997 S. 39; AA 12.07.1995 S. 1).
Hinzu kommen Terroranschläge, etwa auf Verkehrsmittel und Politiker (Wingler --
.09.1996 S. 18, 37, 08.10.1997 S. 27; AA 05.06.2000 S. 13). Eine Situation, bei der
praktisch nach jedem Akt der LTTE mit einer zugespitzten Gefährdung zu rechnen ist, ist
daher nicht festzustellen. Das Verschwindenlassen von Personen bei Gelegenheit der
Vergeltungsaktionen und in sonstigen Zusammenhängen sowie die Vergewaltigungen
sind zwar - was in die Beurteilung der Zumutbarkeit des Aufenthalts einfließen muss -
Akte von ganz erheblicher Schwere; die Häufigkeit kann aber selbst bei
Berücksichtigung einer Dunkelziffer nicht als so hoch angesehen werden, dass für jeden
aus dem jeweils in Betracht zu ziehenden Personenkreis mit dem jederzeitigen Eintritt
zu rechnen ist, zumal die schon angesprochene mögliche Publizität und staatliche
Reaktion eine eindämmende Wirkung entfalten können. Auch für die sonstigen
Übergriffe wie die durch andere Bevölkerungsgruppen und Organisationen sowie das
Heranziehen zum Minensuchen usw. und in einer Gesamtschau ergibt sich nach dem
umfangreichen Material, das ersichtlich alles aufgegriffen hat, was in Erfahrung zu
bringen war, sodass auch kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht, keine in dem
erforderlichen Sinne zugespitzte Gefahrenlage für den Einzelnen.
175
(3) "Quasi-staatliche" Verfolgung durch LTTE
176
Ob Angehörige der LTTE in den von ihr beherrschten südöstlichen Gebieten um
Batticaloa und Amparai (AA 24.10.2001 S. 18) politische Verfolgung betreiben, kann
ebenso dahingestellt bleiben, wie dies hinsichtlich der LTTE-beherrschten Gebiete im
Norden der Fall ist. Insofern kann auf das oben Ausgeführte Bezug genommen werden."
177
II. Der unverfolgt ausgereiste Kläger muss nicht befürchten, bei einer Rückkehr nach Sri
Lanka mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt zu werden.
178
Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsmaßnahme ist anzunehmen,
wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung
gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein
größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Tatsachen überwiegen.
179
Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1988 - 9 C 32.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 80, vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143 (150, 151) = NVwZ 1988,
538, und vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992, 582,
584 m.w.N.
180
Maßgebend ist in dieser Hinsicht letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die
Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung
anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist,
ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage
des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den
Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den
Heimatstaat auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von
weniger als 50 v.H. für Verfolgungsmaßnahmen gegeben ist.
181
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., 584.
182
In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit von
Verfolgungsmaßnahmen nicht aus.
183
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 134, S. 262, insoweit in BVerwGE 87, 52 nicht abgedruckt.
184
Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben aber die
Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird
auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf
sich nehmen.
185
Vgl. BVerwG. Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., S. 584, unter Berufung
auf U.S. Supreme Court vom 9. März 1987, zitiert bei Hailbronner, Ausländerrecht,
Kommentar, Stand: Mai 2003, B 1, Art. 16a GG Rdnr. 263, und sinngemäß
wiedergegeben in der UNHCR-Zeitschrift "Flüchtlinge", August 1987, 8, 9.
186
Dabei muss freilich beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer "beachtlichen" Wahrscheinlichkeit
187
einer drohenden Verfolgungsmaßnahme höhere Anforderungen zu stellen sind, als sie
nach dem so genannten herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die
Verneinung einer "hinreichenden Sicherheit" vor politischer Verfolgung erfüllt sein
müssen.
Vgl. einerseits zum Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit u.a. BVerwG, Urteile
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, a.a.O., S. 501 m.w.N., und vom 18. Januar 1994
- 9 C 48.92 -, a.a.O., S. 500, und andererseits zum Maßstab der "hinreichenden
Sicherheit" u.a. BVerwG, Urteile vom 25. September 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70,
169, 171, und vom 26. März 1985 - 9 C 107.84 -, BVerwGE 71, 175, 178 f. m.w.N.;
Göbel- Zimmermann, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Stand: Mai
2003, Bd. II, B 1 Art. 16 a GG Rdnr. 42 m.w.N.
188
Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände auch die besondere
Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung
einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe
mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der
Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er
in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B.
lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.
189
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, a.a.O., 584.
190
Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Sri Lanka nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. In Sri Lanka ist
zwischenzeitlich keine Situation eingetreten, in Folge der in Anknüpfung an die
tamilische Volkszugehörigkeit Heimkehrern bei der Einreise (1.) oder in absehbarer
Zukunft während des nachfolgenden Aufenthalts in Sri Lanka politische Verfolgung (2.).
Dem Kläger droht in Sri Lanka auch aufgrund individueller Umstände keine politische
Verfolgung (3.).
191
1. Das Gericht hat die Situation der Tamilen in Sri Lanka im Zusammenhang mit der
Einreise in ihr Heimatland in seinen rechtskräftigen Urteilen vom 23. November 2001 -
21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und vom 29. November 2001 - 21 A 3853/99.A -
wie folgt bewertet:
192
"Die Einreise nach Sri Lanka ist über den internationalen Flughafen nördlich von
Colombo (Bandaranaike-International-Airport) möglich, ohne dass Rückkehrern bei den
regelmäßigen und eingehenden Personenkontrollen, die insbesondere auch wegen der
Besorgnis des Einschleusens von im Ausland für Anschläge ausgebildeten LTTE-
Kadern stattfinden (KK 24.02.1997 S. 2), mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
Maßnahmen drohen, die als politische Verfolgung zu bewerten sind. Allein die
Tatsachen des Auslandsaufenthalts und der Anbringung eines Asylbegehrens im
Ausland stellen bei der Einreise keine Anknüpfungspunkte für Übergriffe der
Sicherheitskräfte dar (AA 20.04.2001 S. 4; 24.04.2001; 24.10.2001 S. 27; UNHCR
25.04.1997). Für Rückkehrer, die im Besitz eines gültigen srilankischen Reisepasses
sind, ist die Einreise in aller Regel unproblematisch (AA 24.10.2001 S. 26).
193
aa) Identitätskontrollen
194
Mit einer eingehenderen Überprüfung müssen die Rückkehrer rechnen, die nicht über
195
einen Reisepass, sondern lediglich über ein von srilankischen Auslandsvertretungen
auf der Grundlage der (Eigen-)Angaben des Betroffenen zum Zwecke der Einreise
ausgestelltes "Identity Certificate Overseas Missions", auch "emergency certificate"
genannt, verfügen (AA 18.04.2000 S. 6 f.; 06.09.2001 S. 4; 24.10.2001 S. 26; amnesty
international - ai - 01.03.1999 S. 3; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR --.07.1998 S. 5).
Angehörige dieses Personenkreises werden regelmäßig sowohl von der srilankischen
Einreisebehörde (Immigration Department) als auch von der Kriminalpolizei (Criminal
Investigation Department - CID) am Flughafen zu Identität, persönlichem Hintergrund
und Reiseziel befragt. Anschließend, und zwar in der Regel nach wenigen Stunden,
werden die Betroffenen vom CID routinemäßig dem örtlich zuständigen Magistrate
(Untersuchungsrichter) in Negombo vorgeführt. Dieser befindet darüber, ob die
Rückkehrer zum Zweck der Personenüberprüfung und/oder zur Abklärung eventueller
Strafvorwürfe - vor allem etwaiger Verstöße gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen
(Busch 02.11.2000 S. 4) - in Untersuchungshaft genommen werden. In aller Regel ist
dies nicht der Fall, sondern die Betroffenen werden nach ihrer Vorführung gegen
Kaution freigelassen (AA 24.10.2001 S. 26; KK 02.08.2001 S. 3 f.; UNHCR 24.08.2001
S. 3). Bei dieser Kaution handelt es sich um eine sog. Surety-bail, d.h. es müssen zwei
Personen - in der Praxis sind es meist Angehörige - bürgen (KK 02.08.2001 S. 3). Die
vereinzelte Behauptung, eine derartige Bürgschaft müsse in jedem Fall von einem
Verwandten unterschrieben werden (Busch 02.11.2001 S. 4), findet in den übrigen dem
Senat vorliegenden Auskünften keine Bestätigung. Sie erscheint vor dem Hintergrund,
dass eine Freilassung gegen Kaution die Regel ist, auch nicht plausibel. Liegen in
Fällen der Personenüberprüfung bis zu dem vom Untersuchungsrichter anberaumten
weiteren Gerichtstermin - wie dies ganz überwiegend der Fall ist - keine Erkenntnisse
gegen den Betroffenen vor, wird das Verfahren endgültig eingestellt (AA 24.10.2001 S.
26; KK 02.08.2001 S. 3; UNHCR 24.08.2001 S. 3).
196
Diesen allgemeinen Erkenntnissen entspricht es, dass am 15./16. März 2000 bei einer
"Sammelrückführung" von 20 srilankischen Staatsangehörigen (19 Tamilen und einem
Moslem ) aus Deutschland, von denen nur einer über einen
Reisepass verfügte (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000, S. 2), achtzehn der Betroffenen
nach einer Vorführung vor dem Magistrate Court in Negombo noch am Ankunftstag
gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wurden (AA 13.04.2000 S. 1; 25.05.2000 S. 2; KK
10.09.2000 S. 1). Zwei Betroffene wurden auf Antrag der Kriminalpolizei bis zu dem auf
den 21. März 2000 anberaumten Gerichtstermin in Untersuchungshaft genommen, weil
weitere Nachforschungen hinsichtlich der Identität und ein Strafregisterabgleich erfolgen
mussten (AA 18.04.2000 S. 7; 25.05.2000 S. 2); sie wurden erst an diesem Tag gegen
Kaution freigelassen (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2). Ein weiterer Rückgeführter
aus der Gruppe wurde erst am 21. März 2000 für zwei Tage in Untersuchungshaft
genommen und anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 25.05.2000 S. 3; 24.10.2001 S.
27). Die Verfahren gegen die Abgeschobenen sind zwischenzeitlich eingestellt worden,
soweit die Betroffenen den Gerichtstermin wahrgenommen haben (AA 26.01.2001 S. 7).
197
An der Feststellung, dass abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr grundsätzlich
keine gravierenden Probleme haben (CIREA 29.06.2001 S. 6 unter Hinweis auf einen
Bericht des UNHCR-Büros in Colombo) und dass Rückkehrer aus dem westlichen
Ausland bei den Einreisekontrollen in der Regel lediglich mit - jeweils
asylunerheblichen - Befragungen und kurzzeitigen Inhaftierungen rechnen müssen,
bestehen auch vor dem Hintergrund des Anschlages auf den Luftwaffenstützpunkt
Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen vom 24. Juli 2001 keine
198
Zweifel. Gezielte Nachforschungen der Deutschen Botschaft in Colombo haben keine
Anhaltspunkte für eine Verschärfung der Überprüfungspraxis bei der Einreise ergeben
(AA 24.10.2001 S. 27); dahin gehende Vermutungen finden auch in anderen Quellen
keinerlei Anhalt.
bb) Längerfristige Inhaftierung zur Identitätsfeststellung
199
Allerdings ist vereinzelt auch von Fällen berichtet worden, in denen das Festhalten von
Personen im Rahmen der Identitätskontrollen längere Zeit, mitunter mehrere Wochen
dauerte (ai 01.03.1999 S. 3; Wingler 01.04.1999 S. 3). Die Inhaftierung von 192 aus dem
Senegal abgeschobenen Tamilen sowie die Festnahmen zweier weiterer Gruppen von
Rückkehrern, von denen berichtet wurde (KK 20.03.1998; UNHCR --.07.1998 S. 5; ai
01.03.1999 S. 2), betrafen dabei allerdings ersichtlich Sonderfälle, die durch die
Tatsache der Sammelabschiebung in großer Zahl mit erhöhtem Abklärungsbedarf
geprägt waren, sodass es insoweit an einer Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall
fehlt und verallgemeinerungsfähige Schlüsse nicht gezogen werden können. Seit April
1997 sind ferner auch Fälle der Inhaftierung von Einzelreisenden, darunter von einigen
Rückkehrern aus Deutschland bekannt geworden (UNHCR --.07.1998 S. 5; KK
08.12.1998). Diese (Einzel-)Fälle lassen jedoch angesichts des Umstandes, dass
jährlich mehrere Hundert abgelehnte Asylbewerber aus westlichen Ländern über den
Flughafen Colombo nach Sri Lanka abgeschoben werden (AA 19.01.1999 S. 21;
27.05.1999 S. 3; 24.10.2001 S. 5: "400 bis 500 im Jahr"), nicht den Schluss auf eine
"Gruppenverfolgung" zu. Denn es mangelt schon an der beim Maßstab der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit für die Annahme einer "Gruppenverfolgung" zu fordernden Dichte
der Zugriffe bezogen auf die nach erfolglosem Asylverfahren aus Europa
Zurückkehrenden oder einer bestimmten Gruppe unter ihnen. Abgesehen davon richtet
sich auch ein über wenige Tage hinausgehendes Festhalten, solange es unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände, die zur Annahme eines
Überprüfungsbedarfs führten, objektiv dem Zweck der Identitätsabklärung dient, und
nicht mit sonstigen schwer wiegenden Rechtsgutverletzungen verbunden ist, nicht
gegen den Betroffenen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Es ist daher nicht
als Akt politischer Verfolgung zu qualifizieren. Dies gilt auch für diejenigen allein mit
einem "emergency certificate" zurückkehrenden und daher einer intensiveren
Überprüfung unterzogenen srilankischen Staatsangehörigen, bei denen die Polizei
einer Freilassung auf Kaution widerspricht - wie dies zunächst bei zwei der am 15./16.
März 2000 aus Deutschland zurückgeführten Tamilen der Fall war (AA 25.05.2000 S. 2)
- oder bei denen eine Freilassung (zunächst) etwa deshalb scheitert, weil sich niemand
findet, der für die Kaution unterschreibt.
200
cc) Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen die Ausreise-, Einreise- und
Passbestimmungen
201
In der Vergangenheit ist es in Einzelfällen vorgekommen, dass aus Deutschland
abgeschobene Personen im Zusammenhang mit Ausweisdelikten strafrechtlich verfolgt
wurden; dies war dann der Fall, wenn mit einem "emergency certificate" nach Sri Lanka
zurückkehrende Personen bei der Identitätsüberprüfung am Flughafen durch die
srilankischen Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei ein Geständnis in Bezug auf
die im Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung von Ausweispapieren
ablegten oder wenn das in Deutschland sichergestellte gefälschte Reisedokument den
Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt war und so der srilankischen
Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangte; strafrechtlich nicht
202
verfolgt wurden und werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt und
andere illegale Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach mit
"Schleusungen" einhergehen (AA 24.10.2001 S. 28). Da bei Rückkehrern aus
Deutschland die Reisedokumente, mit denen die Ausreise erfolgte, in der Regel nicht
mehr vorliegen, bleiben etwaige bei der Ausreise verwirklichte Passvergehen - schon
aus Mangel an Beweisen - in der Praxis zumeist ohne strafrechtliche Folgen (AA
16.04.1999 S. 3; 24.10.2001 S. 28). Zu Passvergehen bei der Einreise nach Sri Lanka
kommt es bei rückgeführten Asylbewerbern aus Deutschland grundsätzlich schon
deshalb nicht, weil dieser Personenkreis jedenfalls mit Dokumenten der srilankischen
Botschaft - dem "emergency certificate" - ausgestattet ist (UNHCR 24.08.2001 S. 3). Vor
diesem Hintergrund lassen im März sowie Anfang April 2001 in den in Colombo
erscheinenden Tageszeitungen "Virakesari" und "Thinakural" veröffentlichte Berichte,
derzeit seien etwa 185 Tamilinnen und Tamilen im Gefängnis von Negombo inhaftiert,
die man entweder bei der Rückkehr aus dem Ausland oder bei der Ausreise wegen
angeblich gefälschter Pässe festgenommen habe (KK 31.07.2001 S. 4; 02.08.2001 S.
5), ebenfalls nicht den Schluss zu, dass es sich dabei um Rückkehrer aus Deutschland
handelt und dass Angehörige dieses Personenkreises ernsthaft damit rechnen müssen,
wegen eines Passdelikts belangt zu werden. Diese Einschätzung deckt sich mit
früheren Berichten, nach denen zwar seit der Neufassung der srilankischen Einreise-,
Ausreise- und Passbestimmungen bereits bis Februar 1999 über hundert Tamilinnen
und Tamilen wegen der Benutzung gefälschter Personalpapiere bei der Aus- oder
Einreise verhaftet und anschließend verurteilt worden sein sollen (KK 12.03.1999 S. 3);
diese Fälle betrafen aber - wie sich aus konkreten Zahlenangaben in weiterem
Auskunftsmaterial schließen ließ (Schreiben des Forum for Human Dignity vom 28. April
1999, Anlage zu KK 22.06.1999) - ganz überwiegend Festnahmen bei der Ausreise.
Unbeschadet dessen sind strafrechtliche Verurteilungen wegen Verstößen gegen die
Einreise-, Ausreise- und Passbestimmungen nicht als politische Verfolgung zu
qualifizieren. Denn die Ahndung dieser Delikte stellt keine Rechtsgutverletzung in
Anknüpfung an asylrelevante Merkmale dar. Die - nicht neu geschaffenen, sondern seit
1998 lediglich in der Strafandrohung verschärften - Straftatbestände (insbesondere Ein-
oder Ausreisen ohne gültigen Reisepass, Nachmachen oder Fälschen von
Reisedokumenten, Besitz oder Benutzung gefälschter oder nachgemachter
Reisedokumente, Besitz oder Beantragung mehrerer Reisedokumente oder unbefugter
Besitz eines Reisedokumentes einer anderen Person) sind zur Kontrolle der
Außengrenze des Staatsgebiets in der Staatenpraxis geläufig und ergeben so keinen
Hinweis für eine politische Verfolgung. Auch gelten sie für alle srilankischen
Staatsangehörigen und nicht nur für tamilische Volkszugehörige (Südasien Büro
14.09.1998 mit Auszügen aus dem "Immigrants and Emigrants Act"). Soweit unter
Bezugnahme auf Auskünfte und Stellungnahmen eines tamilischen
Parlamentsabgeordneten ausgeführt ist, das novellierte Gesetz treffe insbesondere
tamilische Flüchtlinge (KK 12.03.1999 S. 3 und in Südasien 2/99, S. 11, abgedruckt in:
Wingler 01.04.1999 S. 9), wird lediglich eine tatsächliche Folge aufgezeigt, die als
solche ohne Aussagegehalt für die Frage der politischen Verfolgung ist. Selbst wenn in
die Bewertung eingestellt wird, dass zu der Strafverschärfung die Einflussnahme von
Staaten beigetragen hat, die einen starken Zustrom vorwiegend tamilischer
Staatsangehöriger Sri Lankas festzustellen hatten, spricht dies nicht dafür, dass die ihrer
Natur nach auf die Aufrechterhaltung eines geordneten internationalen Reiseverkehrs
zielenden Vorschriften objektiv auf Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit gerichtet
sind; insofern ist insbesondere ihre Zielrichtung der Bekämpfung der Schleppertätigkeit
von Gewicht. Anlass dafür, eine Gerichtetheit der in der Bestrafung liegenden
203
Beeinträchtigungen auf die tamilische Volkszugehörigkeit in Betracht zu ziehen, könnte
allenfalls dann bestehen, wenn Verstöße durch Tamilen verfolgt würden, diejenigen
durch Staatsangehörige anderer Volkszugehörigkeit aber ungeahndet blieben, oder
wenn die Möglichkeit, die Verstöße durch ordnungsgemäße Papiere und deren
gesetzmäßigen Gebrauch zu vermeiden, zwar Personen anderer Volkszugehörigkeit
eingeräumt, den Tamilen aber vom srilankischen Staat verwehrt würde. Dafür lässt sich
dem in das Verfahren eingeführten Auskunftsmaterial, das den gegenwärtig möglichen
Kenntnisstand umfassend widerspiegelt, nichts Tragfähiges entnehmen. Im Gegenteil
liegen Erkenntnisse vor, nach denen Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen
ebenfalls in relevanter Zahl von Maßnahmen auf der Grundlage des "Immigrants and
Emigrants Act" betroffen sind (KK 08.03.2000, insb. Listen C, D und E; 31.07.2001 S. 1
f.). Die nicht weiter untermauerte Aussage, dass das "verschärfte Strafmaß in der Regel
und Praxis nur auf rückkehrende (abgeschobene) Tamilen und nicht auf Singhalesen
derzeit angewandt" werde (Wingler 01.04.1999), ist daher unzutreffend. Sie wäre im
Übrigen aber auch unergiebig, weil die Verstöße, um deren Ahndung es geht, sich
zwangsläufig in der Bevölkerungsgruppe häufen, die in besonderem Maße ins Ausland
drängt (und zurückkehrt). Dem entspricht auch die schon angesprochene Erklärung
eines Abgeordneten, das Gesetz treffe "insbesondere" Tamilen, und die dazu gegebene
Begründung, diese müssten "sich oft gefälschter Papiere bedienen". Auch die in dieser
Begründung enthaltene Aussage zur Notwendigkeit des Gebrauchs falscher Papiere
trägt nicht die Schlussfolgerung auf eine drohende politische Verfolgung. Denn dafür,
dass die in Sri Lanka bestehende Ausreisefreiheit nicht auch für Tamilen gilt, spricht
nichts (AA 16.04.1999 S. 2). Die Möglichkeit, sich schnell und problemlos einen
Reisepass ausstellen zu lassen, ist Tamilen in gleicher Weise eröffnet wie srilankischen
Staatsangehörigen anderer Volkszugehörigkeit (AA 06.09.2001 S. 3; 24.10.2001 S. 28).
Allerdings mag für sie die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit durch die Bedingungen
des dazu erforderlichen Aufenthalts in Colombo faktisch erschwert sein; da die Situation
in Colombo aber ... den Aufenthalt insbesondere auch nicht aus Gründen unzumutbar
macht, die auf gegen Tamilen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gerichteten
Umständen beruhen, kann keine Rede davon sein, Tamilen könnten nicht ohne Verstoß
gegen die Ein- und Ausreisebestimmungen das Land verlassen oder dorthin
zurückkehren. Einer gegenteiligen Einschätzung stünde im Übrigen auch entgegen,
dass nach der Erfahrung, die der Senat in den letzten Jahren in Hunderten von
Asylverfahren srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit
gewonnen hat, die behauptete Ausreise ohne eigenen Pass in aller Regel mit dem
bloßen Verweis darauf erklärt wurde, die Gestaltung der Ausreise habe der Schlepper
übernommen, ohne dass in diesem Zusammenhang auf Probleme bei der Beschaffung
des Passes hingewiesen worden wäre. Ferner stünde einem solchen Schluss die hohe
Zahl der in den vom Senat bearbeiteten Verfahren betroffenen Tamilen entgegen, die
nach ihren eigenen Angaben mit einem gültigen Pass ausgereist sind und bei denen es
erst im Zuge und zur Förderung der Weiterreise sowie der Einreise ins westliche
Ausland zu Manipulationen am Pass oder zur Abgabe des Passes gekommen ist (vgl.
dazu auch AA 16.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 28).
dd) Gefahr widerrechtlicher Inhaftierung sowie von körperlicher Misshandlung und Folter
204
Dem Auskunftsmaterial lässt sich weiterhin nicht entnehmen, dass die durch die
genannten Strafvorschriften eröffneten Möglichkeiten eines Zugriffs ohne jeglichen
Anhalt und damit missbräuchlich zu Lasten zurückkehrender Tamilen eingesetzt
werden.
205
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass Rückkehrern bei Maßnahmen im Rahmen
der Identitätsfeststellung oder in Anwendung der Strafvorschriften des "Immigrants and
Emigrants Act" mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche
Rechtsgutbeeinträchtigungen, namentlich Misshandlung und Folter, drohen. Allerdings
enthalten Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten die
allgemeine Einschätzung, dass Folter und körperliche Misshandlungen in Sri Lanka
"nach wie vor weit verbreitet" sind (ai --.06.1999, Länderkurzbericht S. 1, vgl. auch ai
16.01.2001 S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1). Nach der Einschätzung von amnesty
international müssen Tamilen, denen die Sicherheitskräfte Beziehungen zur LTTE
unterstellen, "aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Ankunft in Colombo mit der
Verhaftung und längeren Inhaftierung" rechnen, wobei die Gefahr von Folter bei
längerer Inhaftierung zunehme (ai 01.03.1999 S. 2; vgl. auch KK 04.01.1996 S. 56: Fälle
von Folter bei kurzfristiger Inhaftierung sind nicht bekannt geworden). Auch die in
London ansässige "Medical Foundation for the Care of Victims of Torture" schätzt die
Lage abgelehnter Asylbewerber, die nach Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass
diese mit einer Inhaftierungsdauer von mehr als zwei Tagen rechnen müssen, falls sie
bei ihrer Einreise oder danach von den srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt
werden, die LTTE zu unterstützen; in der Haft bestehe dann für sie das Risiko von
körperlicher Misshandlung und Folter (Medical Foundation --.06.2000, S. 44, 53). Das
Auswärtige Amt geht ebenfalls davon aus, dass die Sicherheitskräfte bei Verhören im
Vergleich zu früher zwar deutlich zurückhaltender agieren, dass aber schwere
Gewaltanwendung, wie etwa das Schlagen von Personen als Methode der Folter,
Elektroschocks, Verbrennungen sowie das Überstülpen von mit Chilipulver oder Benzin
gefüllten Plastiktüten über den Kopf "weiter vorkommt" (AA 24.10.2001 S. 21).
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die srilankische Polizei in Colombo oder an
anderen Orten in den südlichen Landesteilen "systematisch", also nach einem
bestimmten "System" oder gar generell Folterungen an verhafteten oder sonst
aufgegriffenen und inhaftierten Tamilen vorgenommen hätte oder weiterhin vornimmt (so
Mertsch, Südasien 4/00 vom 05.07.2000, S. 4), sind diesen Erkenntnisquellen aber nicht
zu entnehmen. Vielmehr lassen sich die Aussagen zur Folterpraxis gemessen am
Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei konfliktbezogen inhaftierten Tamilen
allenfalls für Personen erhärten, die von den Sicherheitskräften konkret verdächtigt
werden, in schwer wiegende Gewaltakte der LTTE verwickelt (AA 26.07.2001 S. 2 f.)
oder in sonstiger hervorgehobener Weise in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein.
Denn vor allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten und individualisierten LTTE-
Verdachts bzw. bei Überstellung an Sondereinheiten der srilankischen Polizei zur
Terrorismusbekämpfung kann Folter nicht ausgeschlossen werden (AA 12.07.1995 S. 2,
26.01.2001 S. 3; ai, torture in custody, --.06.1999 S. 8 f., 01.03.1999 S. 4, 16.01.2001 S.
4; KK 31.07.2001 S. 5; Wingler --.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2). Dieser
Bewertung entspricht es, dass die Anwendung von Folter nach Einschätzung einer
Menschenrechtsorganisation während einer sich an eine Festnahme am Flughafen
anschließenden Inhaftierung ungewöhnlich ist (KK 22.06.1999, Anlage Forum for
Human Dignity 12.01.1999). Auch das UNHCR-Büro in Colombo berichtet, dass
abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr keine gravierenden Probleme haben
(CIREA 29.06.2001 S. 6). Die bekannt gewordenen Umstände der Sammelabschiebung
von 20 srilankischen Staatsangehörigen am 15./16. März 2000 aus Deutschland
wecken an der Feststellung, dass tamilische Rückkehrer im Zusammenhang mit der
Einreise grundsätzlich körperliche Misshandlungen von asylerheblicher Intensität nicht
zu befürchten haben, ebenfalls keine durchgreifenden Zweifel. Soweit dazu behauptet
wird, zwei vom 16. bis 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommene Rückkehrer,
seien "nachweislich gefoltert worden" (Wingler --.05.2000 S. 4; abweichend bereits
206
Wingler 12.10.2000 S. 5: "sollen misshandelt worden sein"), steht diese Aussage im
Widerspruch zu aktuelleren Erkenntnissen. So weist etwa amnesty international darauf
hin, die Behandlung der Abgeschobenen habe nicht die Intensität von Folter erreicht (ai
18.07.2000). Das Auswärtige Amt berichtet, entgegen einer Meldung der der LTTE nahe
stehenden Nachrichtenagentur "Tamilnet" sei die Deutsche Botschaft nicht auf
Folterungen hingewiesen worden; lediglich ein einziger Betroffener, der bis zum 21.
März 2000 inhaftiert worden sei, habe auf Nachfrage eines Botschaftsangehörigen
erklärt, einen Schlag erlitten zu haben, der "einer Ohrfeige vergleichbar" gewesen sei
und keine gesundheitlichen Folgen oder länger andauernde Schmerzen verursacht
habe (AA 25.05.2000 S. 2 f.; 26.01.2001 S. 6 ff.). Auch die Behauptung eines der
Zurückgeführten, "ungefähr zehn" der Abgeschobenen seien Misshandlungen
ausgesetzt gewesen, die "weit über eine Ohrfeige hinausgegangen seien" (KK
10.09.2000 S. 2), hat sich nach den weiteren Recherchen zu der Sammelrückführung
nicht erhärten lassen. Die Aussage steht sowohl zu den bereits angeführten Angaben
des einen Inhaftierten als auch zu den Erklärungen anderer Rückgeführter im
Widerspruch (AA 26.01.2001 S. 7 f.). So soll ein Betroffener am Tag nach der
Rückführung gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft zwar von dem bereits
erwähnten Schlag berichtet (AA 28.04.2000 S. 24; 25.05.2000 S. 2), im Übrigen aber
erklärt haben, er selbst und die Anderen seien korrekt behandelt worden (AA
25.05.2000 S. 2). Auch der zweite bis zum 21. März 2000 Inhaftierte und andere zu dem
genannten Termin Abgeschobene sollen auf ausdrückliche Nachfrage bestätigt haben,
von der Polizei korrekt behandelt worden zu sein (AA 25.05.2000 S. 2 f.). Ein weiterer an
diesem Tag Zurückgekehrter soll gegenüber einem Angehörigen einer
niederländischen Hilfsorganisation ebenfalls erklärt haben, er sei nach seiner Ankunft
am Flughafen nicht geschlagen worden (KK 10.09.2000 S. 4). Angesichts dieser
Erklärungen unmittelbar Betroffener gegenüber Angehörigen der Deutschen Botschaft
kann auch der pauschalen Erklärung von amnesty international, "die jüngeren Männer
der Gruppe soll[t]en allerdings während ihrer Befragung durch den CID am Flughafen
geschlagen worden sein" (ai 18.07.2000), kein ausschlaggebendes Gewicht
beigemessen werden. Dass es sich bei dem in Rede stehenden Übergriff auf einen der
am 15./16. März 2000 Zurückgeführten um einen nicht verallgemeinerungsfähigen
Ausnahmefall gehandelt hat, wird schließlich dadurch bestätigt, dass weitere Fälle
dieser Art - trotz Beobachtung der Rückkehrsituation durch mehrere westliche Missionen
- nicht bekannt geworden sind (AA 26.01.2001 S. 8).
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht einer - nicht nur unbedeutenden - LTTE-
Unterstützung gerät und deshalb damit rechnen muss, nicht nur kurzfristig für ein bis
zwei Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit der Gefahr schwerer körperlicher
Misshandlung und Folterung inhaftiert zu werden, lässt sich angesichts des
vorliegenden Erkenntnismaterials nur eingeschränkt generalisierend und
fallübergreifend beantworten.
207
Dafür, dass Rückkehrer im Hinblick auf die bei den staatlichen Behörden bekannten
Aktivitäten der LTTE bzw. ihrer Auslandsorganisationen sowie wegen der Besorgnis der
Infiltration (KK 18.03.1998; Wingler 31.05.1998 S. 47) gleichsam automatisch mit der
Unterstützung der LTTE im Aufnahmeland bzw. der Begehung von Terrorismusdelikten
in Zusammenhang gebracht werden und dies zu einem Verfahren nach den
Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung führt, spricht nichts. Zwar ist zu
berücksichtigen, dass die LTTE, was den srilankischen Behörden seit längerem (AA
208
08.01.1999 S. 5; 06.05.1999 S. 2 f.) und nicht erst seit Erscheinen entsprechender
Berichte in der deutschen Tagespresse im Sommer 1999 bekannt ist, ihre im Ausland
geführten Organisationen zur politischen Agitation und zum Sammeln bzw. Eintreiben
von Geld bei den dort lebenden Tamilen einsetzt und so zum großen Teil ihre
militärischen und terroristischen Aktivitäten finanziert (vgl. auch Innenministerium NRW,
Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2000, S. 244
<246>). Auch ist anzunehmen, dass die srilankischen Strafverfolgungsbehörden wegen
der Auslandsaktivitäten der LTTE gegenüber tamilischen Rückkehrern den Verdacht
hegen können, die LTTE durch freiwillige oder erzwungene finanzielle Zuwendungen
im Ausland unterstützt zu haben. Ein solcher pauschaler Verdacht löst aber in der
srilankischen Praxis nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit ein
Strafverfolgungsinteresse mit der Folge längerer Inhaftierung im konkreten Einzelfall
aus, sodass der Frage nach dem Charakter der Strafverfolgungsmaßnahmen als Akte
politischer Verfolgung nicht weiter nachzugehen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft in
Colombo bewertet nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die bloße
finanzielle Unterstützung der LTTE durch Exilsrilanker im Ausland nicht als Verwicklung
in terroristische Aktivitäten der LTTE in Sri Lanka, sondern als einfache exilpolitische
Betätigung, die in Sri Lanka nicht strafbar ist (AA 19.01.1999 S. 11; 24.10.2001 S. 20 f.).
Diese Aussage findet ihre nachvollziehbare Erklärung und Bestätigung in der
gutachtlichen Stellungnahme des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg vom 22.
Juli 1998 zur Einschlägigkeit der Straftatbestände des Prevention of Terrorism Act (PTA)
nur bei Terrorismusaktivitäten im Inland; daher besteht kein greifbarer Anhaltspunkt, die
Aussagekraft und Verwertbarkeit der Aussagen des Auswärtigen Amtes zur in Rede
stehenden Strafverfolgungspraxis in Zweifel zu ziehen. Diese bieten vielmehr vor dem
Hintergrund der Rechtslage in Verbindung mit dem sonstigen umfassenden und
ersichtlich erschöpfenden Auskunftsmaterial eine tragfähige Beurteilungsgrundlage
dahin, dass ein Strafverfolgungsinteresse lediglich bei Personen besteht, die in
verantwortlicher Position in nicht unerheblichem Ausmaß an Aktivitäten im Rahmen der
LTTE-Auslandsorganisationen beteiligt sind; hier wird regelmäßig vermutet, dass es
neben den Unterstützungshandlungen im Ausland auch zur Beteiligung an
terroristischen Aktivitäten der LTTE im Inland gekommen ist (AA 08.01.1999 S. 6;
19.01.1999 S. 11; 24.10.2001 S. 20). Dementsprechend muss auch bei sonstigen
Auslandsaktivitäten für die LTTE und ihre Frontorganisationen nach der Bedeutung der
Unterstützungshandlung unterschieden werden. So wirkt etwa die Teilnahme an
regierungskritischen Demonstrationen und das Anprangern von
Menschenrechtsverletzungen auf Flugblättern regelmäßig ebenso wenig
gefahrerhöhend wie die Teilnahme an Sport- und Kulturveranstaltungen der der LTTE
nahe stehenden Organisationen (AA 20.04.1999 S. 2; 24.10.2001 S. 21; KK 20.05.1998
S. 3). Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung u.a. darin, dass es nach Aussagen
aus vom Auswärtigen Amt als seriös eingeschätzten, näher bezeichneten srilankischen
Anwaltskreisen nur sehr wenige Fälle gibt, in denen es zur Anklage wegen im Ausland
entfalteter Tätigkeiten im Zusammenhang mit der LTTE gekommen ist (AA 08.01.1999
S. 6; 19.01.1999 S. 11 nebst Anlage - Anwaltsliste -; 24.10.2001 S. 21). Zudem
sprechen Schwierigkeiten des Nachweises der Tat (vgl. hierzu insbesondere auch den
Bericht eines Betroffenen vom 11.01.1999, Anhang zu KK 12.03.1999) sowie die
Überlastung der Strafjustiz (AA 06.05.1999 S. 4 f.) gegen regelmäßig oder auch nur bei
einer Vielzahl von Rückkehrern eingeleitete Verfahren und damit erst recht gegen eine
relevante Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen. Die gegenteilige Einschätzung (KK
08.12.1998, 12.03.1999, 22.06.1999 und 28.07.1999) ist ohne tragfähige Grundlage,
zumal inzwischen übereinstimmend berichtet wird, dass die Sondervorschriften zur
Terrorismusbekämpfung bei Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nur sehr selten
angewandt werden (AA 24.10.2001 S. 26) und die Überprüfungen bei der Einreise
regelmäßig nach wenigen Stunden mit der Freilassung - gegebenenfalls gegen Kaution
- und letztlich mit der Verfahrenseinstellung enden (AA 24.10.2001 S. 26; KK
02.08.2001 S. 3; UNHCR 24.08.2001 S. 3).
Sonstige, nicht an Auslandsaktivitäten anknüpfende allgemeine Risikofaktoren dafür,
dass ein Tamile bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen konkreten Verdacht
geraten könnte, in Aktivitäten der LTTE verstrickt zu sein, wie etwa Alter, Herkunft, das
Vorhandensein körperlicher Narben und Ähnliches, begründen grundsätzlich ebenfalls
keine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines asylrelevanten Zugriffs im Zusammenhang
mit der Einreise. ... Denn es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Sicherheitskräfte
am Flughafen - über die Verfolgung von Passdelikten und relevanten
Auslandsaktivitäten hinaus - andere Kriterien anlegen als bei Sicherheitskontrollen im
Großraum Colombo."
209
2. Die Entwicklung in Sri Lanka seit der Ausreise des Klägers bzw. seit den Urteilen des
Gerichts vom 23. November 2001 - 21 A 4018/98.A und 21 A 5185/98.A - und vom 29.
November 2001 - 21 A 3853/99.A -, die das Gericht fortlaufend in den Entscheidungen
vom 15. November 2002 - 21 A 4834/99. A und 21 A 1329/00.A -, vom 5. Dezember
2003 - 21 A 636/01.A, 21 A 1542/02.A, 21 A 54/01.A - und vom 19. November 2004 - 21
A 580/99.A und 21 A 3441/03.A - zusammengestellt hat (a) und die sich für das
zurückliegende Jahr wie unter b) ausgeführt darstellt, gibt keinen Anlass, von einer
hinreichenden Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für tamilische Volkszugehörige
im Fall einer Rückkehr in ihr Heimatland auszugehen (c).
210
a) In den Entscheidungen vom 19. November 2004 hat das Gericht zur Entwicklung in
Sri Lanka seit Herbst 2001 ausgeführt:
211
"Ausgangspunkt der aktuellen Entwicklung in Sri Lanka war die Parlamentswahl im
Dezember 2001. Nach dem Übertritt von 13 Abgeordneten zur Oppositionspartei "United
National Party" (UNP) und dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit ihres
Wahlbündnisses "People's Alliance" (PA) sah sich Präsidentin Kumaratunga veranlasst,
am 10. Oktober 2001 das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben
(Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747; FR vom 12.10.2001, NZZ vom 11.10.2001 und
12.10.2001). Im Vorfeld der Parlamentswahlen kam es - wie schon regelmäßig bei
früheren Parlamentswahlen - zu Anschlägen, unter anderem zu einem
fehlgeschlagenen Selbstmordattentat auf den damaligen Premierminister Ratnasiri
Wickremanayake am 29. Oktober 2001 in Colombo (AA 06.09.2002 S. 6; SZ vom
30.10.2001) und zu einem Selbstmordanschlag auf den Öltanker "Silk Pride" vor der
Küste Sri Lankas am 30. Oktober 2001 (SZ vom 31.10./01.11.2001); insgesamt kamen in
dem von Gewalttaten geprägten "blutigen Wahlkampf" (Flück, Menschenrechtslage in
Sri Lanka, Südasien 4/01 S. 67; NZZ vom 05.12.2001 und 07.12.2001) - in anderen
Berichten ist sogar vom "blutigsten Wahlkampf in der Geschichte des Inselstaates" (FR
vom 05.12.2001) bzw. vom "gewalttätigsten in Sri Lankas Geschichte" (SZ vom
05.12.2001) die Rede - über 40 Menschen ums Leben (ai Jahresbericht 2002 S. 514
<47 Tote>; AA 06.09.2002 S. 23 und Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 <43
Tote>). Auch der Wahlgang selbst wurde überschattet von Schießereien,
Bombenanschlägen und mindestens zehn Todesopfern (AA 06.09.2002 S. 23; NZZ vom
06.12.2001 und 07.12.2001). Bei der Abstimmung am 5. Dezember 2001 rutschte die
bisher regierende PA, die weiterhin eine strikt militärische Lösung des Konflikts mit der
LTTE forderte, auf einen Stimmenanteil von 37,2 v.H. ab. Die mit der PA verbündete
212
marxistische Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) kam auf 9,1 v.H. Demgegenüber konnte
die oppositionelle UNP, die den Wahlkampf mit dem zentralen Versprechen geführt
hatte, umgehend Friedensgespräche aufzunehmen, 45,6 v.H. der Stimmen gewinnen;
sie stellte 109 der 225 Abgeordneten und besaß zusammen mit der verbündeten "Tamil
United Liberation Front" (15 Mandate) und dem "Sri Lanka Muslim Congress" (5
Mandate) die Parlamentsmehrheit (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 747 f.; FAZ vom
08.12.2001, FR vom 08.12.2001, NZZ vom 07.12.2001 und 08./09.12.2001, SZ vom
08./09.12.2001). Mit Amtsantritt der neuen "United National Front" (UNF)-Regierung
unter dem UNP-Vorsitzenden Ranil Wickremasinghe am 12. Dezember 2001 (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 747 f.; NZZ vom 10.12.2001) wurden die Bemühungen um
eine friedliche Lösung des Konflikts wieder aufgenommen (AA 06.09.2001 S.5 f.). Schon
am 19. Dezember 2001 kündigte die LTTE einen einseitigen Waffenstillstand für einen
Monat als Geste des guten Willens an (NZZ vom 20.12.2001). Diese Erklärung erfolgte
zu einem Zeitpunkt, in dem die LTTE weltweit zunehmend unter Druck und dabei vor
allem auch in finanzielle Bedrängnis geraten war und weiter geriet (NZZ vom
05.07.2002). Bereits vor dem 11. September 2001 hatten die USA, Großbritannien,
Indien und Kanada die Tätigkeit der LTTE in ihren Ländern unterbunden und ihr damit
einen wesentlichen Teil ihrer traditionellen finanziellen Basis entzogen (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 05.07.2002 und 16.09.2002; vgl. zur
Finanzbeschaffung der LTTE in Deutschland Bundesministerium des Innern,
Verfassungsschutzberichte 2000 S. 219, und 2001 S. 242 f.; Innenministerium NRW,
Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein- Westfalen über das Jahr 2001 S.
247). Im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York
und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 hatten Forderungen, die
LTTE bzw. LTTE-Frontorganisationen auch in anderen Ländern zu verbieten sowie ihre
"fundraising"-Aktivitäten zu beschneiden, neue Nahrung erhalten (KK 17.04.2002 S. 5;
FAZ vom 23.09.2002). Am 21. Dezember 2001 schlossen sich die Regierungstruppen
dem Waffenstillstand an; eine Vereinbarung über eine vorläufige einmonatige
Waffenruhe trat am 24. Dezember 2001 in Kraft (AA 06.09.2002 S. 5 f; Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom 27.12.2001). Noch im Dezember 2001 bat die
neue Regierung Norwegen offiziell um Hilfe bei der Wiederaufnahme von
Friedensgesprächen (NZZ vom 27.12.2001).
Am 15. Januar 2002 lockerte die Regierung weitgehend das Embargo gegen die von
der LTTE gehaltenen Gebiete (AA 06.09.2002 S. 6; Fischer Weltalmanach 2003 Spalte
748; KK 17.04.2002; FR vom 03.01.2002, FAZ vom 16.01.2002, SZ vom 17.01.2002)
und bestärkte damit die Hoffnungen auf Frieden in Sri Lanka (FAZ vom 16.01.2002, SZ
vom 17.01.2002). Am 21. Januar 2002 wurde die Waffenruhe beidseitig um einen Monat
verlängert (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 22.01.2002, FAZ vom
23.01.2002). In einer symbolischen "Geste guten Willens" entließ die LTTE am 22.
Januar 2002 zehn seit Jahren gefangene Regierungssoldaten und übergab sie an eine
Friedensorganisation aus dem Süden des Landes, in der sich Eltern verschollener
Soldaten zusammengeschlossen haben (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR
vom 23.01.2002). Die Hauptbemühungen der auch von Präsidentin Kumaratunga
unterstützten norwegischen Friedensinitiative galten in der Folgezeit dem Abschluss
eines formalisierten längerfristigen Waffenstillstandsabkommens zwischen Regierung
und LTTE als Basis für weitere Verhandlungen (AA 06.09.2002 S. 6). Rasch stellten
sich Fortschritte und Zeichen wachsender Normalisierung ein (FAZ vom 08.02.2002, FR
vom 23.01.2002). Mitte Februar 2002 wurde vereinbart, die jahrelang umkämpfte
Verbindungsstraße von der Halbinsel Jaffna in den Süden Sri Lankas wieder zu
eröffnen (FR vom 16.02.2002); von Seiten der Regierung wurde die Aufhebung des
213
Verbots der LTTE in Aussicht gestellt, die diese zur Vorbedingung für die Aufnahme von
Friedensgesprächen gemacht hatte (NZZ vom 24.01.2002, FR vom 20.02.2002 und
08.06.2002, FAZ vom 22.02.2002). Am 22. Februar 2002 erreichten die norwegischen
Vermittler unter dem stellvertretenden Außenminister Vidar Helgesen ungeachtet
schwerer Seekämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen vor der Küste Sri
Lankas (FAZ vom 22.02.2002) ein unbefristetes Waffenstillstandsabkommen zwischen
Regierung und LTTE (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; FAZ vom 22.02.2002,
NZZ vom 22.02.2002, 23./24.02.2002 und 25.02.2002, FR vom 23.02.2002), das
allerdings auf Kritik bei Präsidentin Kumaratunga stieß (Fischer Weltalmanach 2003
Spalte 748; FR vom 23.02.2002, NZZ vom 25.02.2002). Dieses Abkommen trat in der
Nacht vom 22. auf den 23. Februar 2002 in Gestalt des "Memorandum of Understanding
between the Government of the Democratic Socialist Republic of Sri Lanka and the
Liberation Tigers of Tamil Eelam" in Kraft (KK 17.04.2002 S. 6; AA 06.09.2002 S. 5 f.;
NZZ vom 25.02.2002). Neben einem beidseitigen unbefristeten Waffenstillstand sieht es
eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen auf beiden Seiten, Erleichterungen für die
Bevölkerung in den Gebieten unter der Kontrolle der LTTE und Fristen von 30 bis 90
Tagen für die Umsetzung aller Vorschriften vor. Eine international besetzte "Sri Lanka
Monitoring Mission" (SLMM) unter Führung Norwegens überwacht die Durchführung
des Abkommens. Als Zeitpunkt für Vorgespräche über eine mögliche friedliche
Konfliktbeilegung wurde Anfang Mai 2002 in Aussicht genommen (AA 06.09.2002 S. 6).
Der Waffenstillstand wurde in der Folgezeit eingehalten und es gab zunächst auch
keine Selbstmordanschläge mehr (NZZ vom 05.07.2002). Am 14. März 2002 besuchte
zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder ein srilankischer Regierungschef die LTTE-
Hochburg Jaffna (NZZ vom 15.03.2002 und 05.07.2002). Bei Kommunalwahlen
unterstützte die Bevölkerung den Kurs der UNF-Regierung und die geplanten
Verhandlungen mit der LTTE (NZZ vom 22.03.2002 und 23.05.2002, FR vom
22.05.2002). Anfang April 2002 erhielt die LTTE die Erlaubnis, Büros auch in den
bislang von Regierungstruppen kontrollierten Gebieten zu eröffnen, um dort ihrer
politischen Arbeit nachgehen zu können (KK 17.04.2002 S. 6). Am 9. April 2002 wurde
die Hauptzufahrtsstraße nach Jaffna nach ihrer Entminung wieder für den Verkehr
freigegeben, sodass nach 12 Jahren Unterbrechung erstmals die Landverbindung
zwischen der Hauptstadt Colombo und Jaffna wieder durchgängig befahrbar ist (KK
17.04.2002 S. 6; Fischer Weltalmanach 2003 Spalte 748; NZZ vom 10.04.2002). Erste
Inlandsflüchtlinge begannen mit der Rückkehr in ihre Heimatgebiete (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748; FR vom 30.07.2002); LTTE-Führer Prabhakaran, der
sich am 10. April 2002 nach zwölf Jahren Versteck anlässlich einer Pressekonferenz in
Kilinochchi wieder in der Öffentlichkeit hatte sehen lassen (NZZ vom 11.04.2002 und
05.07.2002, SZ vom 12.04.2002), und der Vorsitzende der muslimischen Partei SLMC
unterzeichneten ein Abkommen über die Rückkehr von 100.000 Muslimen in den
Norden Sri Lankas (FAZ vom 15.04.2002). Die zunächst für Anfang Mai, später für Juni
und dann für Juli 2002 angekündigte Aufnahme der Friedensverhandlungen (NZZ vom
28.03.2002, 10.04.2002, 19.04.2002, 23.05.2002 und 05.07.2002, SZ vom
28./29.03.2002) verzögerte sich auch wegen der von der LTTE gestellten Bedingung
einer vorherigen Aufhebung des Verbots ihrer Organisation weiter (FR 31.05.2002). Am
7. Juni 2002 kündigte die Regierung an, das Verbot zehn Tage vor Beginn der
Verhandlungen aufzuheben (FAZ vom 08.06.2002, FR vom 08.06.2002). Mitte August
2002 verständigten sich Regierung und LTTE in Oslo darauf, dass die
Friedensverhandlungen nach Aufhebung des Verbots der LTTE zwischen dem 12. und
17. September 2002 in Bangkok beginnen sollten (Fischer Weltalmanach 2003 Spalte
748; NZZ vom 15.08.2002, 16.08.2002, 17./18.08.2002 und 14./15.09.2002, SZ vom
14./15.09.2002). Am 5. September 2002 verkündete der srilankische
Verteidigungsminister offiziell das Ende des Verbots der LTTE (Flück, Militärische und
politische Situation im Konflikt in Sri Lanka, Südasien 3/02 S. 72; Keller, Die Suche
nach der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02 S. 75 <76>). Ungeachtet
schwerer innenpolitischer Spannungen zwischen Präsidentin Kumaratunga und
Premierminister Wickremasinghe (Flück, Militärische und politische Situation im Konflikt
in Sri Lanka, Südasien 3/02 S. 72) wurden die Friedensverhandlungen sodann am 16.
September 2002 auf dem Flottenstützpunkt Sattahip südöstlich von Bangkok
aufgenommen (FAZ vom 16.09.2002 und 17.09.2002, NZZ vom 16.09.2002) und
allgemein als "einmalige Chance für Sri Lanka" (NZZ vom 16.09.2002) bewertet. In
dieser ersten Runde der Friedensverhandlungen rückte die LTTE überraschend von
ihrer von der Regierung stets als unverhandelbar (NZZ vom 16.09.2002) bezeichneten
Forderung nach einem eigenen Staat ab (FAZ vom 19.09.2002, NZZ vom 19.09.2002,
SZ vom 19.09.2002). Die Konfliktparteien einigten sich darüber hinaus auf verschiedene
vertrauensbildende Maßnahmen (NZZ vom 19.09.2002). Diese positiven Resultate der
ersten Verhandlungen ließen die Hoffnung auf Frieden weiter wachsen (NZZ vom
19.09.2002, FAZ vom 23.09.2002). Weitere Gespräche wurden für Oktober und
Dezember 2002 sowie für Januar 2003 vereinbart (SZ vom 19.09.2002). Im Oktober
2002 wurde der Friedensprozess durch verschiedene Gewalttätigkeiten überschattet.
Am 9. Oktober 2002 kamen acht Demonstranten durch Polizeischüsse in Ampara im
Osten von Sri Lanka ums Leben, dem ersten ernsten Zwischenfall seit Beginn der
Waffenruhe im Februar 2002 (FAZ vom 11.10.2002). In der Folge dieser Ereignisse kam
es am 11. Oktober 2002 zu Straßenschlachten zwischen Singhalesen und Tamilen im
Nordosten Sri Lankas, bei denen drei Menschen getötet wurden (FAZ vom 12.10.2002).
Außerdem wurde von Ausschreitungen bis hin zu offener Gewalt gegen die muslimische
Minderheit im Osten des Landes berichtet (NZZ vom 16.10.2002, FR vom 26.10.2002),
die befürchtet, unter tamilischer Verwaltung diskriminiert zu werden (Fischer
Weltalmanach 2003 Spalte 748). Von diesen Ereignissen und auch von der Verurteilung
Prabhakarans zu 200 Jahren Haft durch das Oberste Gericht Sri Lankas am 31. Oktober
2002 (NZZ vom 01.11.2002) unbeeinflusst fand die zweite Runde der
Friedensgespräche vom 31. Oktober bis 3. November 2002 in Bangkok statt; sie endete
erneut mit positiven Resultaten, u.a. der Gründung paritätisch besetzter Ausschüsse, die
auf dem Weg zum Frieden wirtschaftliche, politische und Sicherheitsprobleme lösen
sollen (Flück, Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68; Fischer
Weltalmanach 2004 Spalte 793; NZZ vom 04.11.2002).
Zur Förderung des Friedensprozesses stellte eine kurzfristig vom Vermittler Norwegen
einberufene Geberkonferenz (NZZ vom 23.11.2002) Ende November 2002 in Oslo eine
erste Soforthilfe von rund 70 Mio. US-Dollar für den Wiederaufbau Sri Lankas bereit
(Flück, Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68 <69> Fischer
Weltalmanach 2004 Spalte 794). In der dritten, von beiden Seiten als "historisch"
(Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794) bezeichneten Verhandlungsrunde, die vom 2.
bis 5. Dezember 2002 ebenfalls in Oslo stattfand, einigten sich die Chefunterhändler auf
das Modell einer föderalen Struktur nach dem Vorbild der Schweiz (AA 19.06.2003 S. 7;
Flück, Friedensprozess bleibt auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68 <69f.>; NZZ vom
02.12.2002 und 06.12.2002, FR vom 06.12.2002, SZ vom 06.12.2002). Ende 2002 war
die Lage auf der Halbinsel Jaffna trotz aller Unsicherheit durch Aufbruchstimmung (taz
vom 07.01.2003), Geschäftigkeit (SZ vom 15.01.2003) und zahlreiche Verbesserungen
im täglichen Leben (Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna - Ein
Besuch in Jaffna zwischen Krieg und Frieden, Südasien 4/02 S. 62 <66>)
gekennzeichnet. Die Beratungen auf den weiteren Konferenzen vom 6. bis 9. Januar
2003 in Nakhon Pathom/Thailand, am 7./8. Februar 2003 in Berlin und vom 18. bis 21.
214
März 2003 in Hakone/Japan gerieten allerdings stärker unter den Druck innen- und
außenpolitischer Zwänge. Als Voraussetzung für die Freigabe von ausgedehnten
militärischen Sicherheitszonen auf der Halbinsel Jaffna für rückkehrende Flüchtlinge
verlangte die Armee bei den Verhandlungen in Nakhon Pathom den Beginn der
sofortigen Entwaffnung der LTTE. Präsidentin Kumaratunga forderte darüber hinaus die
sofortige Auflösung der LTTE-Eliteeinheit "Black Tigers", die für einen Großteil der
Selbstmordattentate in der Vergangenheit verantwortlich ist. Die LTTE lehnte beide
Forderungen kategorisch ab, solange keine politische Lösung in Kraft sei, und stellte
ihre Mitarbeit im Ausschuss zur militärischen Deeskalation ein; vereinbart wurde jedoch
ein Aktionsplan ("Action Plan for an Accelerated Resettlement Programme for the Jaffna
District") für eine erste Wiederansiedlung von Vertriebenen in Gebieten außerhalb der
Hochsicherheitszonen, von dem rund 94.000 Familien bzw. etwa 250.000 bis 320.000
Personen betroffen wären (AA 19.06.2003 S. 7; Flück, Der Kampf um den Frieden geht
weiter, Südasien 1/03 S. 54 <56>; Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; FR vom
07.01.2003, NZZ vom 07.01.2003, FAZ vom 10.01.2003, NZZ vom 10.01.2003).
Insgesamt wurde die Verhandlungsrunde trotz einer gewissen Ernüchterung ("Das Ende
der Sensationen", FR vom 07.01.2003) dahin bewertet, dass die Gespräche "auf gutem
Weg" sind (NZZ vom 10.01.2003). Indien blieb in der Beurteilung des
Friedensprozesses weiterhin misstrauisch und zurückhaltend (NZZ vom 22.01.2003).
Wenige Stunden vor der fünften Zusammenkunft in Berlin entdeckten norwegische
Beobachter am 6. Februar 2003 an Bord eines von der srilankischen Marine
aufgebrachten Fischkutters vor der Küste der Halbinsel Jaffna schwere Waffen. Sie
konnten nicht verhindern, dass sich drei Rebellen der Tamil Tigers mit ihrer Ladung in
die Luft sprengten (NZZ vom 10.02.2003 und 22./23.02.2003). Obwohl die
norwegischen Vermittler eine klare Verletzung des Waffenstillstandes durch die LTTE
feststellten, kamen die Verhandlungspartner in Berlin überein, den Zwischenfall nicht
hochzuspielen und "einmütig zu demonstrieren, dass der Friedensprozess irreversibel
sei" (NZZ vom 22./23.02.2003). Sie verständigten sich in humanitären Fragen; die LTTE
erklärte sich bereit, künftig keine Kindersoldaten mehr zu rekrutieren (Vorwürfe, dies
weiterhin zu praktizieren, waren zuletzt im Januar 2003 laut geworden, FR vom
21.01.2003) und Kindersoldaten, die unter Waffen stehen, zu ihren Familien
zurückzuschicken (Flück, Der Kampf um den Frieden geht weiter, Südasien 1/03 S. 54
<56>; Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 10.02.2003). Im Laufe des
ersten Jahres nach Beginn des Waffenstillstandes kehrten rund 200.000 Flüchtlinge in
die Bürgerkriegsgebiete zurück (FR vom 03.02.2003). Der bis dahin erfreuliche Verlauf
der Friedensgespräche wurde im März 2003 durch eigenmächtige Schritte der LTTE im
Norden und Osten des Landes getrübt; sie eröffnete unter anderem in von der
Regierung kontrollierten Gebieten im Osten eigene "Gerichte" und "Polizeistationen"
(AA 19.06.2003 S. 7). Nach wie vor gab es auch Verletzungen des
Waffenstillstandsabkommens, wobei die norwegisch geführte "Sri Lanka Monitoring
Mission" 90 v.H. der Vorfälle der LTTE zuordnete (AA 19.06.2003 S.7). Das sechste
Treffen in Hakone, das weitgehend der Föderalisierung des Staates gewidmet war,
blieb ergebnislos (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 22./23.03.2003).
Als Hauptursache galt ein Zwischenfall, bei dem die srilankische Marine am 10. März
2003 200 Meilen östlich von Trincomalee ein Versorgungsschiff der LTTE wegen
Verdachts auf Waffenschmuggel versenkt hatte; dabei waren die elf
Besatzungsmitglieder - alle Angehörige der "Sea- Tigers" - ums Leben gekommen (AA
19.06.2003 S. 7; FR vom 11.03.2003 und 08.04.2003, NZZ vom 18.03.2003). Außerdem
hatten Präsidentin Kumaratunga und ihre Partei Vorbehalte gegen eine Änderung der
Staatsstruktur geäußert, die das Parlament im Rahmen einer Verfassungsänderung
beschließen muss (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794). Am 18. April 2003 kamen
bei gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Muslimen und Tamilen im Nordosten Sri
Lankas drei Menschen ums Leben; 15 Menschen wurden bei Zwischenfällen in Mutur
verletzt (FAZ vom 19.04.2003). Mitte April wurde die LTTE von einem internationalen Sri
Lanka-Treffen mit den wichtigsten Geberländern in Washington ausgeschlossen. Die
USA begründeten dies damit, keine offiziellen Kontakte mit einer Terrororganisation
unterhalten zu wollen (NZZ vom 23.04.2003). Daraufhin erklärte der LTTE- Unterhändler
Balasingham am 21. April 2003 in einem Schreiben an den srilankischen
Premierminister die Aussetzung der Friedensgespräche (AA 19.06.2003 S. 7). Er
begründete den Boykott der siebten, für Ende April 2003 geplanten Gesprächsrunde in
Thailand damit, dass die LTTE der "wichtigste Friedenspartner und authentische
Vertreter des tamilischen Volks" sei (Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; FAZ vom
23.04.2003, FR vom 23.04.2003, NZZ vom 23.04.2003). Mit zunehmender Dauer des
Boykotts nahm die allgemeine Nervosität zu; mehrere norwegische Diplomaten bis hin
zum Außenminister flogen nach Kilinochchi, um den LTTE-Führer Prabhakaran
umzustimmen (NZZ vom 19.05.2003). Im Juni 2003 forderte die LTTE die vollständige
Übertragung der Interimsverwaltung im Norden des Landes. Premierminister
Wickremasinghe lehnte dies mit Verweis auf die Verfassung ab. Sein Angebot, sie für
den Wiederaufbau und die Wiederansiedlung von Flüchtlingen zuständig zu machen,
wies die LTTE Anfang Juni 2003 zurück, sodass Termin und Bedingungen für eine
Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zunächst offen blieben (Fischer
Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 07./08.06.2003). Die große Geberkonferenz
am 9./10. Juni 2003 in Tokio mit Vertretern von rund 50 Staaten, multilateralen
Finanzorganisationen, der srilankischen Regierung, aber ohne die LTTE, versprach Sri
Lanka Hilfsgelder für die nächsten vier Jahre in Höhe von mehr als 4,5 Milliarden US-
Dollar, gekoppelt an die erfolgreiche Fortsetzung des Friedensprozesses (Clemens, Im
Überblick..., Südasien 2/03 S. 57 <58>; Korf, Schafft Entwicklung Frieden in Sri Lanka?,
Südasien 2/03 S. 59; Fischer Weltalmanach 2004 Spalte 794; NZZ vom 10.06.2003 und
11.06 2003, SZ vom 16.06.2003). Am 14. Juni 2003 wurde einer der Führer der
Revolutionären Befreiungsfront Eelam vor seinem Haus in Jaffna getötet; zeitgleich
lieferte sich die srilankische Marine vor der Nordküste ein Feuergefecht mit Booten der
LTTE, in dessen Verlauf ein Schiff der Rebellen explodierte und sank (NZZ vom
16.06.2003, SZ vom 16.06.2003). Am 19. Juni 2003 schlug Premierminister
Wickremasinghe vor, dass die LTTE im Nordosten des Landes eine
Übergangsregierung bildet; die LTTE lehnte auch dieses Angebot auf Wiederaufnahme
der Friedensverhandlungen ab (FR vom 21.06.2003, NZZ vom 21./22.06.2003). Am 1.
Juli 2003 verurteilte ein Gericht in Colombo zwei Polizisten und drei Bewohner eines
Dorfes östlich von Colombo zum Tode; im Oktober 2000 hatten rund 800 Dorfbewohner
das dortige Rehabilitierungs- Camp gestürmt und 28 festgehaltene mutmaßliche LTTE-
Angehörige erschlagen (NZZ vom 03.07.2003). Anfang August 2003 berieten LTTE-
Führungskräfte in Paris über die Fortsetzung der seit April unterbrochenen
Friedensgespräche (FR vom 23.08.2003). Angesichts wachsender Spannungen
zwischen Tamilen und Angehörigen der muslimischen Minderheit verhängte die
srilankische Regierung am 22. August 2003 eine Ausgangssperre über die Städte
Kalmunai und Samanthurai im Osten der Insel (FAZ vom 23.08.2003, FR vom
23.08.2003). Erstmals seit dem Abbruch der Friedensverhandlungen trafen sich am 9.
September 2003 anlässlich einer Tagung des Eidgenössischen Departements für
auswärtige Angelegenheit in Bern wieder Vertreter beider Seiten, um mit Schweizer
Experten über die Möglichkeiten dezentraler, föderaler Strukturen zu diskutieren (FR
vom 10.09.2003, NZZ vom 12.09.2003). Die US-Botschaft in Colombo rief die LTTE am
17. September 2003 auf, ihre Forderungen an die Regierung realistisch zu gestalten
und an den Verhandlungstisch zurückzukehren (FR vom 18.09.2003). Mehr als fünf
Jahre nach dem Anschlag auf einen buddhistischen Tempel wurden am 15. Oktober
2003 drei Angehörige der LTTE vom Obersten Gericht in Colombo zum Tode und zu
insgesamt 1.850 Jahren Haft verurteilt (NZZ vom 16.10.2003). Am 30. Oktober 2003
reagierte die LTTE auf die Regierungsvorschläge vom 17. Juli 2003 zur
Interimsverwaltung in den tamilischen Gebieten; sie forderte in einem in einer feierlichen
Zeremonie dem norwegischen Botschafter überreichten Papier die Einräumung
weitgehender Autonomie für den Norden und Osten des Landes (Interim Self-governing
Authority - ISGA) und bekundete ihre Bereitschaft, an den Verhandlungstisch
zurückzukehren (NZZ vom 03.11.2003, FAZ vom 22.11.2003, Schweizerische
Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 2, UNHCR 4/04 S. 21). Die Regierung signalisierte in
ihrer Reaktion zwar "fundamentale Differenzen" zu ihrer eigenen Haltung, nahm das
Dokument aber als Verhandlungsgrundlage für die Wiederaufnahme der
Friedensgespräche an (NZZ vom 03.11.2003 und 05.11.2003). Präsidentin
Kumaratunga reagierte am 4. November 2003 auf die von ihr als "Bedrohung der
nationalen Sicherheit" (NZZ vom 06.11.2003) und "Ausverkauf der Heimat" (SZ vom
08./09.11.2003) eingestuften Konzessionen mit der Entlassung der Minister für Inneres,
Verteidigung und Information, deren Ressorts sie selbst übernahm, sowie mit der
Suspendierung des Parlaments für zwei Wochen (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408;
FR vom 05.11.2003, NZZ vom 05.11.2003 und 20.11.2003). Der zu dieser Zeit in
Washington weilende Premierminister Wickremasinghe verurteilte die Schritte der
Präsidentin auf Schärfste (NZZ vom 05.11.2003). Die Staatskrise (FAZ vom 05.11.2003)
und der offene Machtkampf (SZ vom 06.11.2003) verschärften sich weiter, als
Kumaratunga am 5. November 2003 den Ausnahmezustand über Sri Lanka verhängte
(FAZ vom 06.11.2003, FR vom 06.11.2003, NZZ vom 06.11.2003 und SZ vom
06.11.2003). Obwohl sich die Regierung um eine umgehende Wiedereinsetzung des
Parlaments bemühte (NZZ vom 07.11.2003) und Kumaratunga den Ausnahmezustand
nach der Rückkehr des begeistert begrüßten Premierministers am 7. November 2003
wieder aufhob (FAZ vom 08.11.2003), schwelte die von gegenseitigen
Anschuldigungen bestimmte Krise weiter (NZZ vom 08./09.11.2003 und 10.11.2003).
Am 10. November 2003 verschob die Regierung weitere Friedensgespräche mit der
LTTE auf unbestimmte Zeit (FAZ vom 11.11.2003, FR vom 11.11.2003 und NZZ vom
11.11.2003). Die vor einem Scherbenhaufen stehenden norwegischen Vermittler (NZZ
vom 12.11.2003) brachen ihre Mission am 14. November 2003 vorläufig ab (FAZ vom
15.11.2003, NZZ vom 15.11.2003). Erst in der zweiten Novemberhälfte entspannte sich
die Situation zunächst, nachdem Kumaratunga Zeichen der Kompromissbereitschaft
gesetzt hatte (FAZ vom 17.11.2003), das Parlament am 19. November 2003 erstmals
wieder zusammengetreten war (NZZ vom 20.11.2003), die LTTE von ihrer strikten
Weigerung abgerückt war, mit der Präsidentin zu verhandeln (FAZ vom 21.11.2003),
und die Regierung Kumaratunga die Zusammenarbeit anboten hatte, um die
Friedensgespräche mit der LTTE fortzusetzen (SZ vom 21.11.2003). Die Präsidentin
erklärte hierzu am 21. November 2003, bis spätestens 15. Dezember 2003 müsse eine
gemeinsame Linie gefunden werden (FAZ vom 23.11.2003). Im Januar 2004 entbrannte
der Machtkampf, den die Präsidentin schließlich gewinnen sollte, neu. In einer
Fernsehansprache beanspruchte Kumaratunga überraschend für sich das Recht, über
das Jahr 2005 hinaus zu regieren (FAZ vom 15.01.2004). Außerdem ging sie ein
Wahlbündnis mit der dem Friedensprozess ablehnend gegenüberstehenden
singhalesisch-marxistischen JVP ein, was als Versuch interpretiert wurde, den Prozess
ganz zum Stillstand zu bringen (FR vom 24.01.2004). Der von PA und JVP gegründeten
United People's Freedom Alliance (UPFA) schlossen sich Anfang Februar 2004 weitere
kleinere Parteien an (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 3). Am 7. Februar
2004 löste die Präsidentin in einem Überraschungscoup (Fischer Weltalmanach 2005
S. 408 das Parlament auf und ordnete für den 2. April 2004 vorgezogene Neuwahlen zur
Nationalversammlung an (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; UNHCR 4/04 S. 23; FR
vom 09.02.2004; taz vom --.02.2004). Die LTTE kritisierte die Entscheidung als
"schweren Rückschlag" für den Friedensprozess, kündigte aber an, den Waffenstillstand
vorerst weiter einzuhalten (FR vom 10.02.2004). Am 11. Februar 2004 entließ die
Präsidentin 39 Mitglieder der Regierung Wickremasinghes (FR vom 11.02.2004; NZZ
vom 18.02.2004), was ebenfalls auf heftige Kritik von Seiten der LTTE und der
Regierung stieß (AA 30.03.2004 S. 8; NZZ vom 18.02.2004). Den Wahlen gingen
Gewalttätigkeiten namentlich im Norden und Osten voraus, wo es zu mehreren
Mordfällen an Angehörigen von mit der LTTE rivalisierender Gruppierungen kam
(UNHCR 4/04 S. 23; NZZ vom 31.03.2004). Insgesamt verliefen die Wahlen aber
vergleichsweise friedlich (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 <111>; NZZ
vom 01.04.2004 und 05.04.2004). Die UPFA, das von Kumaratunga geführte
Wahlbündnis, ging mit 45,6 v.H. der Stimmen bzw. 105 Sitzen als stärkste Kraft aus den
Wahlen hervor (UNHCR 4/04 S. 9; KAS/Auslandsinformationen -- .05.2004 S. 101 ?
104?; NZZ vom 07. April 2004: 47 v.H.), verfehlte aber die absolute Mehrheit. Die UNP
Wickremasinghes fiel auf knapp 38 v.H. der Stimmen zurück und errang - zusammen mit
dem Ceylon Worker's Congress - 82 Sitze; das Parteienbündnis Illankai Tamil Arasu
Kachchi oder Tamil National Alliance (TNA), das die politischen Forderungen der LTTE
unterstützt, wurde mit 6,8 v.H. der Stimmen bzw. 22 Mandaten drittstärkste Kraft (Fischer
Weltalmanach 2005 S. 408; KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?104?;
UNHCR 4/04 S. 10; NZZ vom 05.04.2004). Im Parlament ist nunmehr außerdem die
Jathika Hela Urumaya (JHU), eine neue Partei des buddhistischen Klerus, vertreten, die
5,9 v.H. der Stimmen (9 Sitze) errang (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?
104?; UNHCR 4/04 S. 10, 24; NZZ vom 07.04.2002: 8 Sitze). Am 6. April 2004
vereidigte die Präsidentin den als moderat geltenden Mahinda Rajapakse als neuen
Premierminister (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; NZZ vom 07.04.2004 und
08.04.2004). In seinem 31-köpfigen Minderheitskabinett, das Rajapakse am 10. April
2004 vorstellte, übernahm die Präsidentin selbst die Schlüsselressorts Verteidigung und
Verfassungsangelegenheiten sowie das Bildungsministerium (Fischer Weltalmanach
2005 S. 408). Die JVP erhielt vier Ministerposten (KAS/Auslandsinformationen --
.05.2004 S. 101 <112>; NZZ vom 03.05.2004). Während Rajapakse bei seinem ersten
Auftritt von der Notwendigkeit sprach, den Friedensprozess in Gang zu halten (NZZ vom
07.04.2004), drohte die LTTE nach dem Wahlsieg der Parteienallianz Kumarantungas
zunächst mit einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes (NZZ vom 06.04.2004).
In der ersten Parlamentssitzung erlitt das Regierungsbündnis eine
Abstimmungsniederlage. Mit den Stimmen der JHU konnte sich der Kandidat der
Opposition bei der Wahl des Speakers durchsetzen (NZZ vom 03.05.2004), worauf die
Mönche im Parlament von Angehörigen der JVP beschimpft, bedroht und mit Büchern
beworfen wurden; einige erhielten später Morddrohungen. Befürchtungen wurden laut,
dies sei ein Vorgeschmack auf den Stil der sich ankündigenden politischen
Auseinandersetzung (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 <114>). Auf Seiten
der LTTE verschärfte die Revolte des Oberkommandeurs der LTTE- Bodenstreitkräfte,
Vinayagamoorthi Muralitharan alias "Colonel (Oberst) Karuna", der sich Anfang März
2004 von Prabhakaran lossagte, die Situation (UNHCR 4/04 S. 13; FAZ vom
12.03.2004; FR vom 09.03.2004 und 05.04.2004; NZZ vom 08.03.2004 und
09.03.2004). Er soll über 5000 bis 7500 Kämpfer und damit rund ein Drittel der LTTE-
Streitmacht verfügt haben (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?108?; NZZ
vom 16.03.2004 und 13.04.2004; FR vom 14.04.2004). Am 9. April 2004 griff die LTTE
die abtrünnige Truppe an. Es kam zu Kämpfen am Fluss Verugal, der die
Tamilengebiete Batticaloa und Trincomalee voneinander trennt; dabei wurden
mindestens 22 Menschen getötet (UNHCR 4/04 S. 13; NZZ vom 10./11.04.2004 und
16.04.2004; FR vom 13.04.2004 und 16.04.2004). Bei ihrer Offensive nahmen die LTTE-
Truppen nach eigenen Angaben über 300 der Kämpfer Karunas fest, drangen etwa 10
km weit in dessen Gebiet vor und besetzten eine Reihe von Dörfern. Oberst Karuna gab
seinen Widerstand nach wenigen Tagen auf und tauchte unter (FR vom 14.04.2004,
NZZ vom 14.04.2004 und SZ vom 14.04.2004). Die Regierung und auch die SLMM
erklärten, die Kämpfe stellten eine Verletzung des Waffenstillstands dar (NZZ vom
13.4.2004). Die LTTE ihrerseits warf in der Folge der Regierung vor, die Waffenruhe
dadurch zu verletzen, dass sie dem verschwunden bleibenden Karuna Schutz gewähre
und ihn unterstütze (FR vom 08.07.2004; NZZ vom 08.07.2004). Sowohl die Regierung
als auch die LTTE gaben Ende April 2004 zu erkennen, dass sie eine rasche
Wiederaufnahme der Friedensgespräche wünschten (NZZ vom 03.05.2004; FR vom
04.05.2004). Trotz entsprechender Bemühungen der norwegischen Vermittler bis hin
zum Außenminister Petersen (Fischer Weltalmanach 2005 S. 408; NZZ vom
03.05.2004; FR vom 04.05.2004) kam es dazu jedoch nicht. In den Sommermonaten
verschlechterten sich die Voraussetzungen für eine Fortführung der Verhandlungen
zusehends. Zwischen den Anhängern Prabhakarans und Oberst Karunas entbrannte
ein blutiger Machtkampf. In den Monaten Mai und Juni wurden mehrere Attentate auf
LTTE-Kader verübt, für die die LTTE den untergetauchten Karuna und mittelbar die
srilankischen Sicherheitskräfte verantwortlich machte (FR vom 08.07.2004; NZZ vom
08.07.2004 und 08.10.2004). Am 7. Juli 2004 ereignete sich in Colombo erstmals seit
der Vereinbarung der Waffenruhe im Februar 2002 ein Selbstmordanschlag, der der
LTTE zugeschrieben wurde. Eine Frau, die versucht hatte, zum EPDP-Politiker Douglas
Devananda vorzudringen, aber von der Polizei zur Wache mitgenommen wurde,
zündete dort einen an ihrem Körper angebrachten Sprengsatz. Außer ihr kamen vier
Polizisten ums Leben (NZZ vom 08.07.2004; FR vom 08.07.2004 und 04.08.2004).
Weitere Anschläge folgten. So wurden am 25. Juli 2004 acht Männer - nach Angaben
der LTTE Vertraute Oberst Karunas - in einem Vorort Colombos im Schlaf getötet (FR
vom 04.08.2004); Ende Juli wurden ein Geheimdienstagent (FR vom 04.08.2004) und
am 16. August 2004 ein Politiker der EPDP auf offener Straße erschossen (NZZ vom
17.08.2004). Allein in vier Wochen im Juli/August 2004 verloren 25 Menschen ihr Leben
(NZZ vom 26.08.2004). Im September 2004 ermordete ein LTTE- Kommando nach
eigenen Angaben Karunas älteren Bruder bei Batticaloa (taz vom 01.10.2004). Der
norwegische Vizeaußenminister Helgesen reiste Ende Juli "frustriert" nach fünftägigen
ergebnislos gebliebenen Gesprächen wieder ab. Er warf beiden Seiten Gleichgültigkeit
und mangelndes Gefühl für den Ernst der Lage vor; dies könne in einen Krieg auf kleiner
Flamme münden (FR vom 04.08.2004). Die LTTE setzte im August 2004 alle Gespräche
mit der Armee im Osten des Landes aus und verwies zur Begründung darauf, das Militär
unterstütze den abtrünnigen Oberst Karuna (NZZ vom 26.8.2004). Auch weitere
Bemühungen der norwegischen Friedensmission um eine Wiederaufnahme der
Gespräche blieben vorerst ohne Erfolg (NZZ vom 24.09.2004 und 08.10.2004; taz vom
01.10.2004)."
b) Stattdessen rüsteten sich Regierung und LTTE für neue Kämpfe (SZ vom
26.11.2004). Präsidentin Kamaratunga strebte ein Militärbündnis mit Indien an, das
unter anderem eine Kooperation der Marineverbände vorsah. Darin erblickte die LTTE
eine Verletzung der Prinzipien des Waffenstillstands (SZ vom 26.11.2004). Bereits am
26. Oktober 2004 wurde ein Schweizer in Batticaloa durch einen Granatenanschlag
getötet. Verdächtigungen, dass die LTTE die Granate abgefeuert habe, wies diese
zurück (NZZ vom 27.10.2004). Nach der Ermordung eines Richters und angesichts
zunehmender Kriminalität erklärte die Präsidentin Kamaratunga, dass Sri Lanka ab
215
sofort wieder die Todesstrafe vollstrecken werde (taz 22.11.2004). Ende November
2004 hisste die LTTE in von der Regierung gehaltenen Regionen die "Nationalflagge"
von Tamil Eelam. Dies stellte eine Verletzung des Waffenstillstandsvertrages dar (NZZ
vom 29.11.2004). Als in der Region von Mannar skandinavische Vertreter der
Waffenstillstandskommission die Fahne entfernen wollten, kamen sie unter Feuer. Im
folgenden Schusswechsel wurde ein Parlamentsabgeordneter der (LTTE-treuen) Tamil
National Alliance verletzt (NZZ vom 29.11.2004). In Trincomalee führten die Flaggen-
Zeremonien zu Demonstrationen von Singhalesen, die Gebäude der LTTE angriffen
(NZZ vom 29.11.2004). In einer Radioansprache erklärte Prabhakaran, wenn die
Regierung die Friedensgespräche nicht ohne Vorbedingungen und unverzüglich wieder
aufnehme, seien die Tamil Tigers gezwungen, den Freiheitskampf wieder
aufzunehmen. Während Kamaratunga die Bereitschaft hierzu mehrfach signalisierte
(Der Spiegel Heft 50/2004, S. 139), stellte die LTTE selbst die Vorbedingung der
Anerkennung einer "Interim Self-Governing Authority" in den von dem LTTE besetzten
Gebieten (NZZ vom 29.11.2004).
Die Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004 ließ die Auseinandersetzungen
zunächst in den Hintergrund geraten, aber bereits Anfang Januar 2005 beschuldigten
sich beide Seiten, die Krise zu politisieren (SZ vom 03.01.2005, NZZ vom 10.01.2005)
und setzten die gewohnten Machtkämpfe, erweitert um den Streit, wer über die
Verteilung der Spenden und Hilfsgüter bestimmen soll (NZZ vom 10.01.2005), und mit
gegenseitigen Schuldvorwürfen für die unzureichende Versorgung der Tamilen im
Norden (FR vom 10.01.2005, NZZ vom 01.02.2005) fort. Während in Colombo verbreitet
wurde, dass LTTE-Führer Prabhakaran durch den Tsunami ums Leben gekommen
(NZZ vom 01.02.2005) sowie ein Großteil der aus aufgerüsteten Fischerbooten
bestehenden Marine der LTTE zerstört worden sei, so dass die LTTE in den nächsten
Jahren keinen Krieg mehr anfangen könne, weil die Sea Tiger das Rückgrat ihrer Macht
gewesen sei, dementierte die LTTE diese Berichte umgehend (SZ vom 03.01.2005, Die
Zeit vom 05.01.2005, NZZ vom 10.01.2005). Mitte Januar 2005 wurde von Unicef und
mehreren Hilfsorganisationen berichtet, dass die LTTE vermehrt Minderjährige als
Kindersoldaten und hier insbesondere Waisenkinder rekrutierte (SZ vom
29./30.01.2005), um so ihre durch den Tsunami erlittenen personellen Verluste
auszugleichen, die auf 700 bis 2000 Kämpfer geschätzt wurden (SZ vom 17. 01.2005
und 29./30.01.2005). Am 21. und 22. Januar 2005 brachten norwegische Unterhändler
anlässlich einer angestrebten Kooperation der Bürgerkriegsparteien bei den
Hilfsbemühungen auch eine Wiederbelebung des Friedensprozesses zur Sprache (NZZ
vom 21. Januar 2005); bisher erfolglos (NZZ vom 2. Februar 2005). Am 25. Februar
2005 hat die Partei Arbeiterkongress Ceylon der tamilischen Minderheit die weitere
Unterstützung der Regierung aufgekündigt, weil diese mehrere Vereinbarungen nicht
eingehalten habe. Dadurch verlor die regierende Allianz von Präsidentin Kumaratunga
ihre Mehrheit im Parlament (FR vom 26.02.2005). Die seit Februar währenden
Verhandlungen über die Modalitäten der Verteilung der Hilfsgelder (FAZ vom
24.02.2005, NZZ vom 29.04.2005, 19.05.2005) führten im Juni 2005 zu einer
Regierungskrise (NZZ vom 13. und 16.06.2005), in Folge der die militante Singhalesen-
Partei JVP mit ihren 39 Abgeordneten die Koalition verließ. Die Regierung verfügte
damit nur noch über 81 der 225 Sitze im Parlament. (NZZ vom 17.06.2005, FR vom
17.06.2005). Am 24. Juni 2005 schloss sie das Abkommen über die Verteilung der
Hilfsgelder mit der LTTE. Daraufhin kam es in Colombo zu Demonstrationen von
buddhistischen Mönchen und Anhängern der JVP. Die Polizei löste die Demonstration
mit Tränengas auf (NZZ vom 25./26.06.2005). Der Oberste Gerichtshof stoppte im Wege
einer einstweiligen Verfügung Teile des mit der LTTE vertraglich Vereinbarten. Seither
216
wartet die Regierung mit der Umsetzung des Vertrages insgesamt das Urteil des
Obersten Gerichtshofs ab (FAZ vom 18.08.2005).
Nachdem es im Osten des Landes seit Monaten wieder zu vermehrten
Kampfhandlungen gekommen war und die LTTE mit einer Aufkündigung des
Waffenstillstandes gedroht hatte, wenn die Regierung nicht ihre Unterstützung für LTTE-
feindliche Tamilengruppen einstellte, wurden am 12. August 2005 in Colombo das
Ehepaar Selvarajah, sie eine bekannte, religiös tolerante Fernsehansagerin, er Mitglied
der LTTE-feindlichen Volksbefreiungsorganisation von Tamil Eelam (Plote), sowie der
Außenminister Kadirgamar ermordet. Dies hatte die Verhängung des
Ausnahmezustandes zur Folge, der knapp eine Woche nach den Attentaten vom
Parlament für einen Monat verlängert wurde (NZZ vom 20./21.08.2005, FAZ vom
18.08.2005). Die Morde werden der LTTE zugerechnet (FAZ vom 15.08.2005, NZZ vom
15.08.2005). Es kam zu 16 Verhaftungen (NZZ vom 16.08.2005). Ein anonymer
Sprecher der internationalen Beobachtermission wurde mit den Worten zitiert, er habe
"verläßliche Informationen", dass die LTTE "vom Waffenstillstandsabkommen
zurücktreten werden" (FAZ vom 15.08.2005). In seiner Trauerrede stellte der
Premierminister Rajapakse fest, dass es den Befreiungstigern nicht um das
Zusammenleben verschiedener Gemeinschaften in einem föderalen Staat gehe, und der
Chef des Friedenssekretariats Dhanapala erklärte, die Politik und die
Verhandlungsprozeduren, einschließlich die Rolle des Vermittlers Norwegen müssten
überdacht werden. Ungeachtet dessen startete Norwegen am 16. August 2005 einen
erneuten Vermittlungsversuch (NZZ vom 17.08.2005).
217
Aufgrund der nach sechsjähriger Amtszeit nicht möglichen Wiederwahl Kumaratungas,
die noch ein weiteres Jahr im Amt bleiben wollte, was der Oberste Gerichtshof jedoch
für nicht rechtens hielt (FR vom 27.08.2005, NZZ vom 27./28.08.2005 und 29.08.2005),
ernannte sie den Premierminister Rajapakse für die am 17. November 2005 (FR vom
20.09.2005) anstehenden Präsidentschaftswahlen zum Kandidaten ihrer Partei. Dieser
schloss am 8. September 2005 einen Wahlpakt mit der JVP, die ihn bei den
Präsidentschaftswahlen unterstützen will. Die JVP hatte zuvor einen Forderungskatalog
aufgestellt, der im Wahlpakt an vielen Stellen wörtlich übernommen wurde und folgende
Forderungen enthält: Ablehnung der Autonomievorstellungen der LTTE;
Neuverhandlung des Waffenstillstandsvertrages; Rücktritt vom Vertrag für eine
gemeinsame Ausführung des Wiederaufbaus; Ablösung Norwegens als Vermittler;
Änderung der Wirtschaftspolitik (NZZ vom 10./11.09.2005).
218
c) Diese Feststellungen geben hierzu Anlass, aktuell von einer hinreichenden
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für tamilische Volkszugehörige im Fall einer
Rückkehr in ihre Heimat auszugehen. Das Gericht hat die unter a) wiedergegebene
Situation bis zur Entscheidung vom 19. November 2004 im Verfahren 21 A 580/99.A wie
folgt bewertet:
219
"Die vorstehend dargestellte Entwicklung in Sri Lanka hat seit Frühjahr 2002 eine
umfassende Verbesserung der Situation der Tamilen in ihrem Heimatland in sämtlichen
betrachteten Bereichen nach sich gezogen. Dies rechtfertigt weiterhin die Bewertung,
dass weder die tamilischen Volkzugehörigen insgesamt noch eine relevante
Untergruppe in Sri Lanka mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung
bedroht sind. Andererseits stellt sich die Lage nach Einschätzung des Senats nach wie
vor nicht so dar, dass mit der gebotenen Prognosesicherheit in Sri Lanka insgesamt
oder in irgendeinem Teilbereich für alle Rückkehrer von einer hinreichenden Sicherheit
220
vor politischer Verfolgung auszugehen ist (a.A.
Tamilen> OVG Sachsen, Urteil vom 3. Juli 2003 - A 1 B 115/00 -).
Die politische Situation in Sri Lanka stellt sich nach wie vor als labil dar. Ob die
Friedensgespräche, um deren Wiederaufnahme die norwegische Friedensmission
bemüht bleibt, fortgeführt und schließlich erfolgreich zu einem Abschluss gebracht
werden können, wird allgemein weiterhin mit Skepsis beurteilt. Gefährdungen sind für
den Friedensprozess von zwei Seiten erwachsen:
221
Auf der einen Seite ist das Regierungsbündnis, das von der den Forderungen der LTTE
ohnehin distanziert gegenüberstehenden Präsidentin Kumaratunga geführt wird, von
deutlichen Interessengegensätzen geprägt. Als problematisch stellt sich insbesondere
die starke Stellung der JVP dar, die sozialistische Standpunkte vertritt und
Zugeständnisse an die LTTE ablehnt (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101
<114 f.>; NZZ vom 18.02.2004 03.05.2004, 06./07.03.2004, 05.04.2004 und
07.04.2004). Zudem bildet die UPFA eine Minderheitsregierung, die zur Durchsetzung
ihrer Vorhaben auf die Unterstützung weiterer Parteien angewiesen ist. Das Parlament
als solches ist gleichfalls "entlang religiöser, ethnischer und doktrinärer Linien"
polarisiert (KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 <114 f.>; vgl. auch FR vom
05.04.04). Die Partei der buddhistischen Mönche, die über immerhin 9 Sitze im
Parlament verfügt, ist in ihrer chauvinistisch-antitamilischen Haltung noch
unnachgiebiger als die JVP (NZZ vom 08.04.2004). Ohnehin wird auch das Anwachsen
des singhalesisch-buddhistischen Nationalismus in Sri Lanka, der sich in Übergriffen
auf Christen und christliche Stätten manifestiert hat, als besorgniserregend bewertet
(KAS/Auslandsinformationen --.05.2004 S. 101 ?115?; Schweizerische Flüchtlingshilfe -
-.02/04 S. 6; UNHCR 4/04 S. 49; FAZ vom 24.01.2004).
222
Der LTTE und den hiervon abgespaltenen Anhängern des Oberst Karuna auf der
anderen Seite werden gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen; ihre
anhaltenden Mordanschläge und Gefechte machen die Lage zusätzlich unsicher und
werden als Verletzung des Geistes des Waffenstillstandsabkommens betrachtet (NZZ
vom 24.09.2004 und 8.10.2004; taz vom 01.10.2004). Vor diesem Hintergrund war die
Berichterstattung in der deutschen Tagespresse über die innenpolitische Lage über den
gesamten Zeitraum seit dem Beginn des Machtkampfes zwischen Präsidentin
Kumaratunga und Wickremasinghe hinweg von Besorgnis hinsichtlich des Fortgangs
des Friedensprozesses bestimmt (FR vom 24.01.2004: "Der Machtkampf in Sri Lanka
schmälert die Aussichten auf dauerhaften Frieden"; NZZ vom 6./7.03.2004: "Ungewisse
Zukunft des srilankischen Friedensprozesses"; FR vom 05.04.2004: "Ungewisse
Aussichten"; NZZ vom 05.04.2004: "Beunruhigende Signale aus Sri Lanka"; FR vom
08.07.2004: "Anschlag in Colombo weckt Kriegsangst"; NZZ vom 08.07.2004: "Der sri-
lankische Friedensprozess ernsthaft gefährdet"; FR vom 04.08.2004: "Tamilenstreit
gefährdet Waffenstillstand"; NZZ vom 24.09.2004: "Wachsende Frustration in Sri Lanka
- Die Friedensverhandlungen weiterhin in der Sackgasse" und taz vom 01.10.2004: "Sri
Lankas Friedensprozess steckt fest"). Ungeachtet dessen ist festzustellen, dass der
Waffenstillstand zwischen LTTE und srilankischer Regierung, der nunmehr seit über 2
½ Jahren in Kraft ist, weiterhin im Wesentlichen eingehalten wird, und sich die positiven
Entwicklungen, die sich gerade für die Volksgruppe der Tamilen im Zuge der
Annäherung der beiden Seiten und der Waffenruhe in den letzten Jahren ergeben
haben, verfestigt haben: Eine besondere Gefährdung bei der Einreise nach Sri Lanka
besteht für Tamilen nicht. Bei der Einreise nach Sri Lanka finden nach wie vor
Überprüfungen durch die Einreisebehörden statt (AA 30.03.2004 S. 26; KK 10.09.2003
223
S. 5). Insofern werden jedoch nur die Einreisebestimmungen des Landes angewandt;
die Überprüfungen betreffen nicht allein Tamilen (KK 27.01.2003 S. 7; 10.09.2003 S. 5;
12.10.2003 S. 6). Bei einer Einreise mit Passersatzpapieren erfolgen auch Befragungen
durch die Kriminalpolizei (CID) zur Identität, zum persönlichen Hintergrund und zum
Reiseziel (AA 19.06.2003 S. 23; 30.03.2004 S. 26). Die in der Vergangenheit übliche
Vorführung vor den Magistrate Court findet nicht mehr statt (AA 19.06.2003 S. 23;
30.03.2004 S. 26). Verhaftungen bei der Einreise aufgrund einer LTTE-Mitgliedschaft
oder einer früheren Tätigkeit für die LTTE sind nicht mehr bekannt geworden (KK
27.01.2003 S. 7), nachdem aufgrund der Aufhebung des Verbots der LTTE deren
Mitglieder, Unterstützer oder Sympathisanten grundsätzlich mit keiner strafrechtlichen
Verfolgung mehr rechnen müssen (AA 19.06.2003 S. 5, 14; 02.10.2003 S. 2; 30.03.2004
S. 11; KK 27.01.2003 S. 6; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 5). Etwas anderes gilt nur,
wenn die Betroffenen mit schweren Straftatbeständen wie Terroranschlägen in
Verbindung gebracht werden (AA 30.03.2004 S. 11; KK 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S.
5) oder vor dem Waffenstillstandsabkommen unter dem "Prevention of Terrorism Act"
(PTA) angeklagt und gesucht wurden. Insofern haben die Entwicklungen nicht zu einer
Amnestie geführt; es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es derzeit bei
kleineren Vergehen nicht zu einer Inhaftierung und Verurteilung kommt (KK 12.10.2003
S. 4). Asylrelevanz kommt diesen Einreisekontrollen schon mangels Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale der Betroffenen nicht zu.
Auch die Lage in Colombo sowie den sonstigen Bereichen des Südens und Westens
Sri Lankas ist trotz der Rückschläge im Zusammenhang mit den innertamilischen
Auseinandersetzungen nach wie vor durch eine weitgehende Entspannung
gekennzeichnet. Angehörige der LTTE können nach der Aufhebung des LTTE- Verbots
offen politisch agieren und genießen weitgehende Bewegungsfreiheit, sofern sie auf
Uniform und Bewaffnung verzichten (KK 27.01.2003 S. 5). Der PTA ist zwar nicht
förmlich aufgehoben, wird aber, nachdem sich die Regierung im
Waffenstillstandsabkommen verpflichtet hat, Verhaftungen nach dem PTA nicht mehr
vorzunehmen (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 9; UNHCR 4/04 S. 39; ai -
-.05.2003 S. 2), seit Anfang 2002 nicht mehr angewandt (AA 21.05.2003 S. 2;
19.06.2003 S. 9; 02.10.2003 S. 2; 30.03.2004 S. 9). Ermittlungen wegen in der
Vergangenheit begangener schwerer Terroranschläge werden allerdings fortgeführt;
hier muss trotz der neuen Lage mit einer Verurteilung gerechnet werden (KK 12.10.2003
S. 5). Bei der Verfolgung von Straftaten im Rahmen der allgemeinen strafgesetzlichen
Vorschriften, wie z.B. illegaler Waffenbesitz oder Mord, ist es unerheblich, ob diese
Straftaten von LTTE-Mitgliedern oder anderen Personen begangen wurden oder diese
Straftaten der Unterstützung der LTTE oder anderer Organisationen oder Personen
dienen bzw. dienten (AA 02.10.2003 S. 2). Die Entspannung der Sicherheitslage findet
im Auftreten der Sicherheitskräfte ihren Niederschlag. Seit dem Abschluss des
Waffenstillstandsabkommens finden Ermittlungsmaßnahmen der Behörden zur
Aufklärung bzw. Verhinderung von LTTE- Anschlägen, von denen neben aktiven LTTE-
Mitgliedern auch ihre Helfer bzw. Verdächtige - oft aus der tamilischen Bevölkerung -
betroffen waren, nicht mehr statt (AA 19.06.2003 S. 12; 30.03.2004 S. 9). Angehörige der
tamilischen Volksgruppe unterliegen keiner verstärkten polizeilichen Beobachtung; eine
Meldepflicht für Tamilen bei einem Aufenthalt in den südlichen Gebieten besteht nicht
mehr (AA 19.06.2003 S. 12; KK 27.01.2003 S. 6 f.; 10.09.2003 S. 5; 12.10.2003 S. 5 f.).
Auf einigen Straßen des Landes und in Colombo, insbesondere an
sicherheitsrelevanten Orten, finden zwar nach wie vor routinemäßig
Identitätsüberprüfungen statt (AA 30.03.2004 S. 9). Massive regelmäßige Kontrollen
durch Sicherheitskräfte und die Sperrung ganzer Straßenzüge, verbunden mit der
224
kurzfristigen Festnahme einer Vielzahl von Tamilen, über die früher berichtet wurde,
gehören aber der Vergangenheit an (AA 19.06.2003 S. 21; Schweizerische
Flüchtlingshilfe --.03.2003 S. 8). Festnahmen bei Kontrollen, deren Zahl seit Inkrafttreten
der Waffenruhe erheblich zurückgegangen ist, sind nicht mehr bekannt geworden (AA
19.06.2003 S. 5, 12; 30.03.2004 S. 9, 21; KK 27.01.2003 S. 5).
Die Haftfälle, die auf dem PTA beruhen, wurden zwischenzeitlich überprüft; zahlreiche
Gefangene wurden freigelassen. Die Zahl der konfliktbezogenen Gefangenen, die 2001
noch bei ca. 2000 lag, war bis zum Frühjahr 2002 auf etwa 1000 (AA 19.06.2003 S. 9,
11; ai --.05.2003 S. 2) und bis Anfang 2004 auf unter 100 gesunken (AA 30.03.2004 S.
9). Amnesty international zufolge waren im Dezember 2003 nur noch 65 Personen auf
der Grundlage des PTA inhaftiert (ai --.07.2004 S. 401 ?403>). Eine beachtliche Gefahr
für Tamilen, allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit von irgendwie gearteten
Maßnahmen der srilankischen Sicherheitskräfte - sei es von asylerheblichem, sei es von
geringerem Gewicht - betroffen zu werden, besteht in dem hier betrachteten Bereich
nach alledem gegenwärtig nicht mehr.
225
In den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten sowie den Regionen im Norden und Osten Sri
Lankas ist die Normalisierung weiter fortgeschritten. Der Reiseverkehr von
regierungskontrolliertem in von der LTTE kontrolliertes Gebiet ist annähernd normalisiert
(UNHCR 4/04 S. 43; KAS/Auslandsinformationen 5/04 S. 105). Die
Genehmigungserfordernisse für Reisen aus und in die "uncleared areas" wurden
seitens der Regierung Anfang 2002 aufgehoben (AA 19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S.
15; KK 18.11.2002 S. 9 f.). Allerdings sind nunmehr Bewilligungen der LTTE
erforderlich, um in das von der LTTE kontrollierte Vanni zu gelangen, was lange
Wartezeiten mit sich bringt (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 14). Die
Wirtschaftsblockade der Regierung über die von der LTTE kontrollierten Landesteile ist
weitgehend aufgehoben (AA 19.06.2003 S. 6; Keller Südasien 4/02 S. 62 <66>; KK
18.11.2002 S. 10; 10.09.2003, S. 1; 12.10.2003 S. 7). Jaffna ist seit Jahren Ziel
zehntausender freiwilliger tamilischer Rückkehrer, wenn auch ihre Wiederansiedlung
wegen infrastruktureller Probleme, der Verminung weiter Gebiete und ungeklärter
Eigentumsverhältnisse auf Schwierigkeiten stößt (ai --.07.2004, S. 401 ?402?;
Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 15 f.; Flück, Zur politischen und
militärischen Entwicklung, Südasien 3/03 S. 67 <69>). Nach Angaben des UNHCR ist
nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens über ein Drittel der schätzungsweise
800.000 Binnenvertriebenen an ihren Wohnort zurückgekehrt (UNHCR 4/04 S. 51; s.
auch AA 19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 15; Schweizerische Flüchtlingshilfe
16.02.2004 S. 15; ai --.05.2003 S. 1; taz vom --.02.2004: 170.000 Rückkehrer allein in
die Stadt Jaffna). Die Regierung hat unter dem Namen 'Triple-R' ein Hilfsprogramm
eingerichtet, mit dem zurückgekehrten Flüchtlingen bei der Wiederansiedlung eine
einmalige Unterstützungszahlung gewährt werden soll (AA 30.03.2004 S. 14).
Allerdings halten die staatlichen Streitkräfte auf der Halbinsel Jaffna größere Gebiete
um ihre Militärstützpunkte, sogenannte "Hochsicherheitszonen", weiterhin unter ihrer
Kontrolle und verwehren auch Flüchtlingen die Rückkehr dorthin (UNHCR 4/04 S. 43;
KK 27.01.2003 S. 2; 10.09.2003 S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe 10/03 S. 3;
16.02.2004 S. 4). Die übrigen Gebiete sind allgemein und frei zugänglich (UNHCR 4/04
S. 43; AA vom 30.03.2004 S. 15).
226
Zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und LTTE-
Angehörigen ist es seit Vereinbarung der Waffenruhe nur noch ganz vereinzelt
gekommen. Aufsehen erregten Vorfälle, bei denen die srilankische Marine in den
227
Gewässern um Sri Lanka wegen des Verdachts des Waffenschmuggels Schiffe der
LTTE aufbrachte oder versenkte (AA 19.06.2003 S. 7). Weiterungen hatten diese
Ereignisse, bei denen Angehörige der LTTE ums Leben kamen, nicht zur Folge.
Berichte über den staatlichen Sicherheitskräften zugeschriebene Tötungen oder Fälle
des "Verschwindenlassens" gibt es für die Zeit nach Aufnahme der
Friedensverhandlungen nicht (AA 19.06.2003 S. 20 f.). Seitens der LTTE wird den
Sicherheitskräften allerdings seit der Abspaltung Oberst Karunas vorgeworfen, bei der
Revolte die Hand im Spiel gehabt zu haben und durch die Unterstützung Karunas
mittelbar für Opfer unter LTTE-Angehörigen verantwortlich zu sein (NZZ vom 08.07.2004
und 24.09.2004, taz vom 01.10.2004; FR vom 08.07.2004). Die in den Regionen des
Nordens und Ostens aktiven tamilischen Anti-LTTE- Organisationen (PLOTE, TELO,
EPDP, EPRLF), denen in der Vergangenheit ebenfalls Menschenrechtsverletzungen
zugeschrieben wurden, sind entsprechend den Vereinbarungen im
Waffenstillstandsabkommen bis zum 24. März 2002 vollständig entwaffnet worden; ihre
Trainingslager wurden aufgelöst (AA 19.06.2003 S. 15 f.).
Der Aktionsspielraum der LTTE hat sich in Folge der Waffenstillstandsvereinbarungen
erheblich erweitert. Ihr wurde erlaubt, auch in den von Regierungstruppen beherrschten
Nordostgebieten Büros zu eröffnen, um dort ihrer politischen Arbeit nachzugehen
(Keller, Die Suche nach der Konfliktlösung hat begonnen, Südasien 3/02 S. 75 <76>;
Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <67>). In den von
ihr beherrschten Gebieten hat die LTTE ihre den öffentlichen und privaten Sektor
dominierende Stellung gefestigt, eigene Verwaltungsstrukturen, ein eigenes Zoll- und
Steuerwesen und ein eigenes Justizsystem einschließlich eigener Gesetze, Gerichte -
mit ehemaligen Kämpfern ohne juristische Ausbildung als Richtern - und Gefängnisse
auf- bzw. ausgebaut (AA 19.06.2003 S. 16; Schweizerische Flüchtlingshilfe 10/03 S. 3
und 16.02.2004 S. 8, 14; Korf, Wer hat Angst vor dem Schurkenstaat?, Südasien 4/03 S.
59 <62>; Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62
<67>; KK 10.09.2003 S. 1 f.; 12.10.2003 S. 7).
228
Der LTTE wird der ganz überwiegende Teil der Menschenrechtsverletzungen
zugeschrieben, von denen nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens berichtet
wurde (UNHCR 4/04 S. 32, 34; Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 9; NZZ
vom 25.03.2004 und 22.06.2004). Es gibt Berichte über Hinrichtungen, Folterungen,
Entführungen und Festnahmen politisch Andersdenkender, Erpressung sowie
Waffenschmuggel durch die LTTE (AA 19.06.2003 S. 16; 30.03.2004 S. 14; ai --.07.2004
S. 401 ?402?; --.05-2003 S. 3; UNHCR 4/04 S. 9, 12; Schweizerische Flüchtlingshilfe
16.02.2004 S. 12; 10/03 S. 3, 4 f.; Clemens, Im Überblick ...., Südasien 2/03 S. 57 <58>;
Korf, Wer hat Angst vor dem Schurkenstaat?, Südasien 4/03 S. 59 <63>; Flück, Der
Kampf um den Frieden geht weiter, Südasien 1/03 S. 54 <55>; taz vom --.02.2004).
Tamilische Oppositionsparteien unterliegen seit Aufnahme der Friedensverhandlungen
ebenso wie Menschenrechtsorganisationen und Medien einer massiven Bedrohung
seitens der LTTE, die einen Alleinvertretungsanspruch für die Tamilen erhebt (AA
19.06.2003 S. 17; 30.03.2004 S. 14; Clemens, Im Überblick ...., Südasien 2/03 S. 57
<58>). Insbesondere seit der Abspaltung Oberst Karunas wird die LTTE für zahlreiche
Morde und Entführungen von Anhängern rivalisierender tamilischer Gruppierungen
verantwortlich gemacht (ai --.07.2004 S. 401 ?402 f.?; NZZ vom 08.10.2004; taz vom
01.10.2004). Rechte wie das auf freie Meinungsäußerung, auf ein faires
Gerichtsverfahren oder Religionsfreiheit sind in dem von der LTTE beherrschten Gebiet
nicht gewährleistet (UNHCR 4/04 S. 12, 31, 41).
229
Ihren Nachwuchsbedarf für die Kampftruppen deckt die LTTE - entgegen abweichender
Zusagen unter anderem während der Friedensgespräche in Berlin im Februar 2003 -
weiterhin in erheblichem Umfang durch Zwangsrekrutierungen von Kindern (AA
30.03.2004 S. 14; UNHCR 4/04 S. 54; Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S.
13; NZZ vom 8.10.2004). Nach UNICEF-Meldungen hat sie im Jahre 2003 zwar 200
Kindersoldaten entlassen, gleichzeitig aber 700 Minderjährige neu rekrutiert
(Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 13; FAZ vom 25.01.2004; NZZ vom
25.03.2004). Im August 2003 vereinbarten Regierung und LTTE einen Aktionsplan zur
Demobilisierung von Kindersoldaten und zu ihrer Rehabilitierung, wozu
Rehabilitierungslager eingerichtet werden sollten. Bereits unmittelbar nach der
Eröffnung des ersten Lagers soll die LTTE wieder Minderjährige rekrutiert haben (ai - -
.07.2004 S. 401 ?403?).
230
In den östlichen Landesteilen stehen die wesentlichen Zentren nach wie vor unter der
Kontrolle der Sicherheitskräfte, während die LTTE in den weiten ländlichen, nicht von
den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten operiert. Gemäß den Regelungen der
Waffenstillstandsvereinbarung dulden die Sicherheitskräfte eine LTTE-Präsenz, die sich
immer stärker verfestigt, auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten (AA 19.06.2003
S. 17; 30.03.2004 S. 14). Auch in von der Regierung kontrollierten Gebieten im Osten
errichtete die LTTE eigene "Gerichte" und "Polizeistationen" (AA 19.06.2003 S. 7).
Vereinzelt kam es zu Verhaftungen von LTTE-Kadern durch die Sicherheitskräfte. Diese
Fälle wurden allerdings meist vom zuständigen Waffenstillstands-Überwachungs-
Komitee gelöst (KK 27.01.2003 S. 5). In den östlichen Regionen kam es zu Spannungen
zwischen den dort ansässigen Bevölkerungsgruppen, die in Einzelfällen zu bewaffneten
Ausschreitungen eskalierten. Am 9. Oktober 2002 wurden während einer Demonstration
im Osten von Sri Lanka acht der Demonstranten durch Polizeischüsse getötet (ai --
.05.2003 S. 4); hierbei handelte es sich um den ersten ernsten Zwischenfall seit Beginn
der Waffenruhe im Februar 2002 (FAZ vom 11.10.2002; Flück, Friedensprozess bleibt
auf Erfolgskurs, Südasien 4/02 S. 68). In Folge dieser Ereignisse kam es am 11. Oktober
2002 zu Straßenschlachten zwischen Singhalesen und Tamilen im Nordosten Sri
Lankas; auch hierbei starben drei Menschen (AA 19.06.2003 S. 6; FAZ vom
12.10.2002). Außerdem wurde von Ausschreitungen bis hin zu offener Gewalt zwischen
Tamilen und Muslimen im Osten des Landes berichtet (AA 19.06.2003 S. 13;
30.03.2004 S. 11; ai --.05.2003 S. 4; Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord
Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <66>; KK 10.09.2003 S. 3; 12.10.2003 S. 9). Den
Sicherheitskräften gelang es jeweils alsbald, die Ruhe wieder herzustellen. Nahrung
finden die weiterhin schwelenden Konflikte in der Befürchtung der Moslems, sie könnten
im Falle einer Einigung zwischen der Regierung und der LTTE von der tamilischen
Bevölkerungsmehrheit unterdrückt werden (Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben
Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <66>). Zu weitgreifenden Unruhen ist es auch in den
östlichen Gebieten Sri Lankas nicht gekommen. Insgesamt wird die derzeitige Situation
und namentlich die Menschenrechtslage in Sri Lanka als gegenüber der Vergangenheit
deutlich verbessert beurteilt (UNHCR 4/04 S. 31; AA 19.06.2003 S. 10; ai --.05.2003 S.
1; Keller, Jetzt hängt der Guerillachef neben Lord Krishna, Südasien 4/02 S. 62 <65>;
KK 18.11.2002 S. 9), wenngleich die Einschätzung geäußert wird, das Land befinde
sich noch in einer Phase der Unsicherheit, eine endgültige Lösung des Konflikts liege
noch in weiter Ferne (Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 17; Korf, Schafft
Entwicklung Frieden in Sri Lanka?, Südasien 2/03 S. 59; Flück, Der Kampf um den
Frieden geht weiter, Südasien 1/03 S. 54).
231
Ungeachtet dessen stellt sich die Menschenrechtssituation nach wie vor als
232
problematisch dar. Das Auswärtige Amt berichtet auch in seinem jüngsten Lagebericht,
dass es - "wenn auch in geringerem Umfang als noch Mitte der 90er Jahre" - "nach wie
vor zu schweren Menschenrechtsverletzungen" wie Folter und überlanger
Untersuchungshaft komme (AA 30.03.2004 S. 5, 17; 19.06.2003 S. 5, 8, 11; s. auch
UNHCR 4/04 S. 8, 31; Schweizerische Flüchtlingshilfe 16.02.2004 S. 10: 10/03, S. 3).
Auch amnesty international weist auf weiter "zahlreiche Berichte über Folterungen und
Vergewaltigungen im Gewahrsam der Polizei" (ai --.05.2003 S. 2; s. auch ai --.07.2004
S. 402 ?404?) hin. Einzelfälle von noch in den Jahren 2003 und 2004 bekannt
gewordener überlanger Haft und Folter durch die Sicherheitskräfte haben die
Schweizerische Flüchtlingshilfe (16.02.2004 S. 10 f.) und der UNHCR (4/04 S. 38)
benannt. Hervorgehoben wird, dass die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen
weiterhin ein schwer wiegendes Problem darstelle (AA 30.03.2004 S. 17, 20, 22; ai --
.07.2004 S. 402 ?404?; --.05.2003 S. 1; UNHCR 4/04 S. 34; Schweizerische
Flüchtlingshilfe 10/03, S. 3; 16.02.2004 S. 11). Es gibt inzwischen allerdings eine Reihe
von Entscheidungen srilankischer Gerichte, welche die Freilassung Verhafteter oder die
Zahlung von Entschädigungsleistungen für Menschenrechtsverletzungen, insbesondere
Folter, anordnen (AA 19.06.2003 S. 9; 30.03.2004 S. 19; Schweizerische
Flüchtlingshilfe 02.04.2004 S. 11); auch fanden und finden Strafverfahren gegen
Angehörige der Sicherheitskräfte statt, in denen zum Teil Freiheitsstrafen verhängt
worden sind (ai --.05.2003 S. 2 f; --.07.2004 S. 402 < 404 f.>)."
Die in dieser Bewertung zum Ausdruck kommende Einschätzung hat sich - wie die unter
b) wiedergegebenen Ereignisse belegen - seit dem 19. November 2004 bis heute nicht
wesentlich gewandelt. Es ist allerdings festzustellen, dass seit dem 19. November 2004
bis zur Tsunami-Katastrophe das Ende des Waffenstillstandes näher lag als der
Fortgang der Friedensbemühungen. Auch nach der Naturkatastrophe hängt der Frieden
an einem seidenen Faden. Beide Seiten drohen offen mit kriegerischen
Auseinandersetzungen, soweit eigenen Forderungen nicht Rechnung getragen werden
sollte. In nationalistischen Kreisen, mit der die Regierung einen Wahlpakt geschlossen
hat, wird die Auswechslung des Vermittlers Norwegen gefordert. Dass diese Kreise an
einer Zusammenarbeit mit der LTTE nicht interessiert sind, hat die Regierungskrise
anlässlich des Vertragsabschlusses betreffend die Verteilung der Hilfsgelder unter
Beteiligung der LTTE offenkundig gemacht. Falls die LTTE tatsächlich hinter der
Ermordung Kadirgamars steckt, wovon allgemein ausgegangen wird, ist dies ein
Zeichen dafür, dass sie nicht länger bereit ist, auf Zugeständnisse zu warten und einen
neuen Krieg billigend in Kauf nimmt. Weiterhin kommt es in Sri Lanka zu schweren
Menschenrechtsverletzungen, wenn auch in geringerem Umfang als noch Mitte der 90er
Jahre. Hierzu zählen Brutalität in Polizeigewahrsam, Folter und überlange
Untersuchungshaft. Die LTTE zeichnet weiterhin für schwerste Gewaltakte, auch gegen
Zivilpersonen, darunter Zwangsrekrutierungen Minderjähriger und Entführungen von
Personen verantwortlich (AA, Lagebericht vom 16. März 2005, S. 5)
233
Sowohl die zuletzt genannten Vorbehalte hinsichtlich der Menschenrechtssituation als
auch die weiterhin nicht als hinreichend stabil einzuschätzende politische Lage
verbieten es nach Überzeugung des Senats (weiterhin), die Situation in Sri Lanka schon
als so günstig zu beurteilen, dass selbst einem vorverfolgt ausgereisten Tamilen eine
Rückkehr in sein Heimatland wegen dort herrschender Sicherheit vor (erneuter)
politischer Verfolgung zugemutet werden kann. Der Senat sieht sich in seiner
vorsichtigen Einschätzung nicht zuletzt durch die innenpolitischen Ereignisse in Sri
Lanka bis zur Präsidentschaftswahl am 17. November 2005 bestätigt.
234
Die daraus für den weiteren Fortgang des Friedensprozesses resultierenden
Unsicherheiten in der Prognose der zukünftigen Entwicklung bieten andererseits derzeit
keinen Ansatzpunkt für die Annahme, die seit nunmehr vier Jahren signifikant
verbesserte Situation für Tamilen könne sich wieder derart verschlechtern, dass zu
befürchten wäre, Angehörigen dieser Volksgruppe oder irgendeiner Untergruppe könnte
in absehbarer Zeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
235
Es kann unentschieden bleiben, ob der LTTE - wofür Vieles spricht - in den von ihr
beherrschten Gebieten eine auf einer organisierten, effektiven und stabilisierten
territorialen Herrschaftsmacht beruhende und damit eine staatsähnliche Gebietsgewalt
zukommt, von der politische Verfolgung ausgehen kann.
236
Vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 20.00 -, BVerwGE 114, 16, und -
9 C 21.00 -, BVerwGE 114, 27.
237
Eine solche Gebietsgewalt wäre auf die von der LTTE beherrschten Gebiete im Norden
und Osten beschränkt. Ein srilankischer Staatsangehöriger wäre in den übrigen
Landesteilen, in die er ausweichen kann (AA, Lagebericht vom 16. März 2005, S. 17)
und in denen die LTTE keinerlei Staatsgewalt innehat, durch die srilankischen
Sicherheitskräfte geschützt und jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von
politischer Verfolgung durch die LTTE bedroht.
238
3. Besondere in der Person des Klägers liegende und in seinem Einzelfall zu
würdigende Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht gegeben.
239
Einen Grund, nicht in sein Heimatland zurückkehren zu können, sieht der Kläger darin,
dass er wegen der Identifizierungen von LTTE-Anhängern von der LTTE gesucht und
getötet werde. Diese Befürchtung entbehrt aber der Grundlage, wie die Ausführungen
zur Vorverfolgung des Klägers und deren Unglaubhaftigkeit zeigen. Außerdem kann der
Kläger sie allenfalls für jene Teile Sri Lankas hegen, die von der LTTE beherrscht
werden. Für das restliche, unter der Herrschaftsgewalt des srilankischen Staates
stehende Gebiet ist die Gefahr, dem Zugriff der LTTE bzw. ihrer Angehörigen ausgesetzt
zu sein, nicht wahrscheinlich.
240
Bei einer Rückkehr in vom srilankischen Staat beherrschte Gebiete droht dem Kläger
auch nicht aus sonstigen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung. Insbesondere sieht der Senat keine Ansatzpunkte für die Behauptung, der
Kläger werde von den Sicherheitskräften nach wie vor wegen der (angeblichen)
Vorgeschichte gesucht. Im Übrigen ist bereits aufgrund der zwischenzeitlich
eingetretenen, beschriebenen Entwicklung in Sri Lanka mit hinreichender Sicherheit
davon auszugehen, dass der Kläger nach Feststellung seiner Identität bzw. nach
Kautionsstellung ungehindert einreisen darf und keinen weiteren Repressalien
ausgesetzt sein wird.
241
Vorstehendes gilt auch im Hinblick darauf, dass er verschiedene Risikofaktoren
aufweist, die die Wahrscheinlichkeit eines ersten Zugriffs zur Identitätsabklärung
erhöhen können; diese tragen aber nicht den Schluss, dass ihm dabei mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche längerfristige Inhaftierung und/oder körperliche
Misshandlungen drohen.
242
Mit Blick auf die Risikofaktoren fehlende Ausweispapiere, möglicherweise
unzureichende Sprachkenntnisse, Alter und Herkunft teilt der Kläger das Schicksal einer
Vielzahl nach Sri Lanka zurückkehrender tamilischer Asylbewerber, deren Lebensalter
unter 35 bis 40 Jahren liegt, deren Geburts- oder Herkunftsort auf der Jaffna-Halbinsel
oder im übrigen Norden Sri Lankas liegt, die die singhalesische und englische Sprache
nicht beherrschen und die bei ihrer Rückkehr nicht über gültige Ausweispapiere
verfügen, ohne dass es bei diesem Personenkreis, wie bereits zur allgemeinen
Sicherheitslage im Großraum Colombo ausführlich dargelegt, mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanten Übergriffen kommt.
243
Soweit der Schutzbereich des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG über den des Art. 16a GG
hinausgeht, liegen die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall
ersichtlich nicht vor. Insbesondere kann sich der Kläger Nachstellungen der LTTE in
ihrem Herrschaftsbereich, die selbst dort im Hinblick auf die geringe Bedeutung des
Klägers für die LTTE vor seiner Ausreise und der seither verstrichenen Zeit nicht zu
erwarten sind, durch Aufenthaltsnahme in anderen Landesteilen entziehen.
244
B. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots
nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll ein Ausländer nicht abgeschoben
werden, wenn für ihn in dem Staat, in den er abgeschoben werden soll, eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei erfasst § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG nicht nur verfolgungsunabhängige, sondern auch verfolgungstypische
Gefahren, die in den Anwendungsbereich des Art. 16a GG und des § 60 Abs. 1
AufenthG fallen. Für den Fall, dass der Ausländer schon vor seiner Ausreise einer
derartigen Gefahr ausgesetzt war, ist nicht der herabgestufte, sondern der allgemeine
Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anwendbar.
245
Zu § 53 AuslG: BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331,
333 ff.; Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265, 269; Urteil vom 4.
Juni 1996 - 9 C 134.95 -, InfAuslR 1996, 289; zur Anwendung auf verfolgungsabhängige
Gefahren: BVerfG, Beschluss vom 3. April 1992 - 2 BvR 1837/91 -, NVwZ 1992, 660;
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324. 329; Urteil vom
30. März 1999 - 9 C 31.98 -, NVwZ 1999, 1346 ff.
246
Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird
weder durch den Terrorismusvorbehalt bzw. durch § 60 Abs. 8 AufenthG,
247
vgl. zu § 53 AuslG: BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 2 BvR 958/86 -
BVerfGE 81, 142, 155; BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 - 9 C 31.98 -, BVerwGE 109,
1, 5 m.w.N.,
248
noch durch § 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen.
249
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen Gründen
ist nicht gebeben. Eine extreme allgemeine Gefahrenlage, die jeden einzelnen
zurückkehrenden Tamilen gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwersten Verletzungen ausliefern und daher in verfassungskonformer Auslegung des
§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein Abschiebungshindernis nach Satz 1 begründen würde,
250
vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -,
BVerwGE 99, 324 = NVwZ 1996, 199, und vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -,
251
BVerwGE 108, 77 = DVBl 1999, 549; Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 671.98 -,
NVwZ 1999, 668; Urteile vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 und 1 C 5.01 -,
besteht jedenfalls für den Großraum Colombo, den die Rückkehrer als Erstes erreichen,
nicht.
252
Soweit oben bereits Übergriffe und sonstige Beeinträchtigungen angesprochen worden
sind, die Tamilen oder Gruppen von ihnen treffen können, sind sie im vorliegenden
Zusammenhang ohne Gewicht, weil sie sich - zumal mit der in Rede stehenden
Eingriffsintensität - schon nicht mit der für die Annahme einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit, geschweige denn mit der für die Annahme einer extremen
Gefahrenlage erforderlichen Dichte feststellen lassen. Insoweit kann auf die
Ausführungen zum Hauptbegehren verwiesen werden.
253
Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Rückkehrer einer Verelendung
ausgeliefert wären. Das umfangreiche Auskunftsmaterial, das gerade auch die
Lebensbedingungen im Großraum Colombo in den Blick nimmt, enthält für den hier
erforderlichen Gefährdungsgrad keine tragfähigen Hinweise. Zwar ist die Erlangung
einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage für Tamilen jedenfalls dann nicht einfach, wenn
ihnen familiäre Beziehungen fehlen (UNHCR 23.07.1996 S. 4; KK 24.02.1997 S. 1 und
02.08.2001 S. 1, 3); auch mag der Zugang zu staatlichen Hilfsprogrammen für
Rückkehrer, die nicht aus Colombo stammen, ausgeschlossen sein (AA 27.05.1999 S.
1; 24.10.2001 S. 30; 19.06.2003 S. 26; 16.03.2005, S. 30; KK 08.12.1998 und
22.06.1999 S. 8). Doch greifen ersichtlich andere Hilfsmöglichkeiten ein, etwa durch
bereits in Colombo ansässige Volkszugehörige oder durch lokale und in Sri Lanka
zahlreich vertretene internationale Hilfsorganisationen (AA 14.01.1997; 27.05.1999 S.
2); ferner sind - wenn auch möglicherweise nur eingeschränkte (KK 22.06.1999 S. 9) -
Möglichkeiten zu berücksichtigen, in verschiedenen Wirtschaftszweigen eine - u.U.
einfache, vergleichsweise schlecht entlohnte - Arbeit zu finden (AA 27.05.1999 S. 3;
21.06.2001 S. 4; 24.10.2001 S. 31; 19.06.2003 S. 27; 16.03.2005 S 30), die es
Rückkehrern im Allgemeinen erlaubt, sich mit den Verhältnissen oftmals auch aufgrund
der Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland, die in die gerichtliche
Prognose einzubeziehen ist,
254
vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1998 - 9 C 4.98 -, a.a.O., DVBl. 1999, 551, und
Beschluss vom 1. Oktober 2001 - 1 B 185.01 -, Beschlussabdruck S. 3,
255
zu arrangieren. Auch dies erklärt, dass keine Berichte zu Beispielsfällen tatsächlicher
existentieller Gefährdung von Einzelnen oder bestimmten Gruppen vorliegen (AA
06.05.1998; 27.05.1999 S. 4 f.; 21.06.2001; 24.10.2001 S. 29 ff.; 19.06.2003 S. 26 ff.),
obwohl angesichts der vielfältigen Beobachtung der Situation dergleichen schwerlich
unerkannt geblieben wäre. Das Fehlen von Belegfällen für eine Verelendung kann nicht
darauf zurückgeführt werden, dass die Rückkehrer nicht im Großraum Colombo
verblieben wären, denn es wird zugleich auf erhebliche Hemmnisse, in andere,
insbesondere tamilisch besiedelte Gebiete zurückzukehren, verwiesen (KK 08.12.1998)
und darüber hinaus berichtet, dass Rückkehrer, soweit ihnen nicht eine erneute
Ausreise gelingt, es in der Mehrzahl vorziehen, im Großraum Colombo Wohnsitz zu
nehmen (AA 27.05.1999 S. 3; 11.03.2001 S. 29; 24.10.2001 S. 31; 19.06.2003 S. 27;
16.03.2005 S. 30).
256
Die vorstehende Bewertung der Existenzbedingungen für zurückkehrende Tamilen, die
257
das Gericht bereits in früheren Urteilen in gleicher Weise vorgenommen hat, wird durch
die Entwicklung der jüngeren Vergangenheit im Ergebnis nicht in Frage gestellt.
Vielmehr lassen die stattgefundenen Entwicklungen zum Besseren und insbesondere
die Aussicht auf umfangreiche Wiederaufbauhilfen aus dem Ausland erwarten, dass
sich auch in dieser Hinsicht Verbesserungen einstellen werden.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation für den Kläger
nach seiner Rückkehr aus individuellen Gründen schlechter darstellen könnte als für
tamilische Rückkehrer allgemein. Insbesondere ergibt sich für ihn kein
Abschiebungshindernis aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund einer bestehenden
posttraumatischen Belastungsstörung. Die Behandlung psychischer Erkrankungen
einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen ist in Sri Lanka grundsätzlich
sichergestellt (I.) Es ist aufgrund der spezifischen Ausprägung der Erkrankung des
Klägers und seiner individuellen Situation auch zu erwarten, dass er sich die
erforderliche Behandlung in Sri Lanka zu beschaffen vermag (II.).
258
I. Ebenso wie vormals § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
voraus, dass für den Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei statuiert das Element der
"Konkretheit" der Gefahr für "diesen" Ausländer das Erfordernis einer
einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation.
259
Vgl. zu § 53 AuslG etwa BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE
99, 324, 330, und vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -, InfAuslR 1996, 289.
260
Ein zwingendes Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
kann wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten einer Erkrankung im
Heimatstaat begründet sein, wenn eine konkrete erhebliche Gefahr für die Gesundheit
des Betreffenden besteht. Eine solche Gefahr ist erheblich und konkret, wenn eine
Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität "alsbald" zu erwarten ist. Das ist
der Fall, wenn sich durch die Rückkehr der Gesundheitszustand des Betroffenen in
einem angemessenen Prognosezeitraum wesentlich oder sogar lebensbedrohlich
verschlechtern würde, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung
seiner Leiden trifft und anderweit wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte.
261
Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383, 387.
262
Das kann auch infolge einer schweren psychischen Erkrankung der Fall sein.
263
Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1999 - 9 C 7.99 -, Buchholz 402.240 § 53
AuslG Nr. 24.
264
Die Annahme eines Abschiebungshindernisses im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG wegen einer auf den Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung beruhenden
Gefahr für die Gesundheit oder das Leben eines Ausländers kommt zunächst dann in
Betracht, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Versorgung mit
Arzneimitteln für die betreffende Krankheit in dem jeweiligen Staat wegen des geringen
Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist.
265
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. September 1999 - 9 C 8.99 -, NVwZ 2000, 206, 207, vom
27. April 1998 - 9 C 13.97 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 12 = NVwZ 1998, 973,
266
vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383, vom 15. Oktober 1999 - 9 C
7.99 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 24 und vom 9. September 1997 - 9 C 48.96 -,
InfAuslR 1998, 125, 126.
Auch wenn eine vom Ausländer benötigte medizinische Versorgung allgemein zur
Verfügung steht, kann eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib oder Leben bestehen,
wenn die notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation dem betroffenen Ausländer
individuell aus bestimmten - finanziellen oder sonstigen - Gründen nicht zugänglich ist.
267
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG
Nr. 66 = DVBl. 2003, 463, 464; Beschluss vom 29. April 2002 - 1 B 59.02 -, Buchholz
402.240 § 53 AuslG Nr. 60.
268
Danach ergibt sich kein Abschiebungshindernis für den Kläger. Dabei kann
dahinstehen, ob der Kläger aus asylunerheblichen Gründen an einer posttraumatischen
Belastungsstörung leidet. Selbst wenn er psychisch erkrankt sein sollte, ist festzustellen,
das die Behandlung solcher Erkrankungen einschließlich posttraumatischer
Belastungsstörungen in Sri Lanka jedenfalls soweit sichergestellt ist, dass der Eintritt
existenzieller Leibes- und Lebensgefahren nicht mit der notwendigen
Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, entsprechende Behandlungskapazitäten zur
Verfügung stehen und betroffene Rückkehrer aus Deutschland Zugang zu den
entsprechenden Einrichtungen sowie eine Behandlung in einem mindestens zur
Vermeidung schwerer Folgen ausreichenden Umfang erhalten können.
269
Diese Bewertung stützt sich auf die aussagekräftigen und hinreichend aktuellen
Auskünfte der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 23. September 2004 und
vom 11. März 2004 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf, vom 29. Juli 2003 an das
Verwaltungsgericht Münster, vom 3. Juli 2003 an die Stadt Bochum, vom 23. Januar
2003 an das Verwaltungsgericht Arnsberg, vom 5. Dezember 2002 an
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, vom 31. Mai 2002 an die Stadt Moers, vom 30. Mai
2002 an das Verwaltungsgericht Münster und vom 24. Mai 2002 an das
Verwaltungsgericht Düsseldorf sowie des Auswärtigen Amtes vom 23. Oktober 2000 an
das Verwaltungsgericht Dresden (1.). Andere Stellungnahmen namentlich des
Sachverständigen Keller-Kirchhoff und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe stellen
diese nicht durchgreifend in Zweifel (2.).
270
Die Behandelbarkeit posttraumatischer Belastungsstörungen in Sri Lanka bejahen
ebenfalls: VG Augsburg vom 13. Oktober 2003 - 2 K 02.30452 - ; VG Bayreuth, Urteil
vom 20. Februar 2003 - 4 K 02.31094 -; VG Gelsenkirchen, etwa Urteile vom 24. März
2004 - 19 a K 547/03.A - und vom 1. April 2003 - 6a K 1744/01.A -; VG Düsseldorf, etwa
Urteil vom 4. März 2003 - 18 K 2353/01.A -; VG Münster, etwa Urteil vom 9. Dezember
2003 - 9 K 663/02.A - und Beschluss vom 4. Februar 2005 - 9 L 1722/04.A -; ablehnend
dagegen VG Frankfurt, Urteil vom 22. Januar 2003 - 9 E 1483/01.A -; Niedersächsisches
OVG, Beschluss vom 18. April 2000 - 12 L 4639/99 - (auf der Grundlage des
Erkenntnisstands im Jahre 2000).
271
Die Behandlung des Klägers in Sri Lanka scheint damit in hinreichender Weise
sichergestellt (3.).
272
1.) Nach Angaben des Auswärtigen Amtes bzw. der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland bestehen in Sri Lanka Möglichkeiten für die Behandelbarkeit
273
posttraumatischer Belastungsstörungen, und die Kapazitäten sind insoweit nicht
ausgeschöpft. Für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen kommen
danach in Sri Lanka namentlich die staatliche psychiatrische Klinik in Angoda nahe
Colombo, die Organisation Sahanaya, 96/20 Kitulwatte Road, Colombo 8, sowie das
Family Rehabilitation Centre (FRC), 73 Gregory's Road, Colombo 7, in Betracht.
Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland hat unter anderem in den Auskünften
vom 23. September 2004 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf, vom 23. Januar 2003
an das Verwaltungsgericht Arnsberg und vom 5. Dezember 2002 an das
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das psychiatrische Krankenhaus in Angoda nahe
Colombo als Institution benannt, in der eine ambulante Behandlung der Erkrankung
"posttraumatische Belastungsstörung" möglich ist. Die Botschaft bezieht sich dafür auf
Angaben des Direktors des Krankenhauses, Medical Superintendant Dr. Jayan Mendis.
Kapazitätsprobleme bestünden nicht. Die Klinik verfüge über ein "großes" Team von
Psychiatern und Psychologen (so die Auskunft vom 23. September 2004; konkrete
Zahlen sind allerdings nicht genannt). Ein Termin zur ambulanten Behandlung könne
innerhalb von vier Wochen vergeben werden; es sei aber auch möglich, einen Patienten
sofort nach der Abschiebung in das Krankenhaus zu überweisen. Unterschiede
zwischen in Sri Lanka "ansässigen" Personen und Rückkehrern aus dem Ausland
würden nicht gemacht. Die Behandlung sei kostenlos. Eine psychotherapeutische
Betreuung sei dort nicht möglich (Auskunft vom 5. Dezember 2002). Sofern es
erforderlich ist, können Patienten in der Klinik aber wohl auch stationär aufgenommen
werden (Auskünfte vom 3. Juli 2003 an die Stadt Bochum und vom 31. Mai 2002 an die
Stadt Moers).
274
Weiterhin wird die Organisation "Sahanaya", 96/20 Kitulwatte Road, Colombo 8,
benannt, die unter anderem eine Tagesklinik unterhalte (Auskünfte der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland vom 29. Juli 2003 an das Verwaltungsgericht Münster,
vom 23. Januar 2003 an das Verwaltungsgericht Arnsberg und vom 5. Dezember 2002
an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen). Das Personal bestehe aus einem Team von
Psychiatern, Psychologen und Sozialarbeitern und Volontären aus anderen Ländern,
von denen viele unentgeltlich auf freiwilliger Basis für "Sahanaya" arbeiteten (Auskunft
vom 29. Juli 2003). Der medizinische Leiter von "Sahanaya" Dr. Gnanissara habe
erklärt, posttraumatische Belastungsstörungen seien dort behandelbar;
psychotherapeutische Behandlungen würden durchgeführt; tamilischsprachiges
Fachpersonal sei verfügbar. Außerdem gebe es im Bereich der Tagesklinik keinerlei
Kapazitätsprobleme. Derzeit (Dezember 2002) würden in der Tagesklinik ca. acht bis
zehn Patienten täglich behandelt; möglich sei aber die Behandlung von ca. 40
Personen. Lediglich im Bereich des Rehabilitationsprogramms sei die dortige
Obergrenze von 50 Personen fast erreicht. Normalerweise werde einmalig ein Betrag
von 100 Rupien (etwas mehr als ein Euro) erhoben; bei Bedürftigkeit erfolge die
Behandlung kostenlos (Auskünfte vom 5. Dezember 2002 und vom 23. Januar 2003).
275
Beim schließlich weiter benannten FRC handelt es sich den Auskünften der Botschaft
der Bundesrepublik Deutschland namentlich vom 5. Dezember 2002 an das
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und vom 30. Mai 2002 an das Verwaltungsgericht
Münster zufolge um eine Nichtregierungsorganisation, die aus dem westlichen Ausland,
u.a. vom UNHCR, finanziert wird. Sie unterhält danach Büros in Colombo, Mannar,
Vavuniya, Anuradhapura, Polonnaruwa, Trincomalee, Batticaloa, Kalmunai, Ampara
und Monaragala. Diesen Büros sei eine Klinik angeschlossen, in der die Behandlungen
erfolgen könnten. Die Behandlung durch das FRC sei kostenfrei. Das
276
Behandlungsprogramm beinhalte medizinische Versorgung, Beratung, Physiotherapie
und Beschäftigungstherapie. Es stehe tamilischsprachiges Fachpersonal zur Verfügung,
so (im Mai 2002) der Arzt Dr. Yogasundaram. Im Jahre 2000 seien im FRC insgesamt
1.466 und im Jahre 2001 1.638 Personen behandelt worden (Auskünfte vom 30. Mai
2002 und vom 24. Mai 2002; auch Keller-Kirchhoff vom 18. November 2002 an das
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen).
Das FRC hat auf offenbar wiederholte ("erneute") Anfrage der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland Ende 2002 mitgeteilt, dass bislang jede Person beim FRC
einer Behandlung habe zugeführt werden können, wenn die Behandlung durch das
Mandat des FRC gedeckt gewesen sei (Auskunft vom 5. Dezember 2002). Das Mandat
umfasse allerdings lediglich die Behandlung solcher posttraumatischen
Belastungsstörungen, die direkt durch den militärischen Konflikt in Sri Lanka verursacht
worden seien (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 24. Mai
2002 an Verwaltungsgericht Düsseldorf). Dies dürfte aber regelmäßig für Rückkehrer
aus Deutschland, die aufgrund von Geschehnissen im Zusammenhang mit dem
Bürgerkrieg in Sri Lanka traumatisiert sind, kein Problem darstellen; hierzu könnten sie
auch ärztliche Unterlagen vorlegen. Der Auskunft vom 24. Mai 2002 zufolge könnte in
dieser Beschränkung des Mandats, die vom FRC offenbar besonders hervorgehoben
wird, der Grund für abweichende Angaben hinsichtlich der vorhandenen Kapazitäten für
die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen liegen. Denn in der Tat seien
nach Einschätzung des FRC für die Behandlung posttraumatischer
Belastungsstörungen, die nicht auf kriegsbedingten Ereignissen beruhten, sehr
begrenzt.
277
Nach weiterer Auskunft des FRC hätten sich bislang nur wenige Personen mit
posttraumatischen Belastungsstörungen dort zwecks Behandlung registrieren lassen;
diese Personen seien einer Behandlung zugeführt worden. Die zeitlichen Abstände der
Betreuung und der Zeitraum, über den sich die Betreuung erstrecke, würden nach
Behandlungsbedarf bestimmt; therapeutische Maßnahmen könnten danach wöchentlich
und monatlich erfolgen (Auskunft vom 5. Dezember 2002).
278
Eine Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung ist nach der Auskunft der
Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 11. März 2004 an das
Verwaltungsgericht Düsseldorf ferner in den District Hospitals der einzelnen
srilankischen Provinzen sowie im General Hospital in Colombo und im Base Hospital
möglich. Allerdings ist nach der Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
vom 30. Mai 2002 an das Verwaltungsgericht Münster in diesen Häusern kein
psychiatrisches Fachpersonal vorhanden; die Behandlung erfolge durch
Allgemeinmediziner. In der Auskunft vom 11. März 2004 fehlen dazu nähere Angaben.
279
Auch Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen einschließlich
posttraumatischer Belastungsstörungen, insbesondere Antidepressiva und Neuroleptika
sowie Benzodiazepine und andere Schlafmittel, sind nach den Auskünften der Botschaft
der Bundesrepublik Deutschland vom 11. März 2004 an das Verwaltungsgericht
Düsseldorf, vom 23. Januar 2003 an das Verwaltungsgericht Arnsberg, vom 5.
Dezember 2002 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, vom 25. September 2002 an
das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen und vom 31. Mai 2002
an die Stadt Moers sowie dem Gutachten des Sachverständigen Keller-Kirchhoff vom
18. November 2002 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in Sri Lanka erhältlich. In
den staatlichen Krankenhäusern und mithin kostenfrei sind danach etwa Trimipramin(e),
280
Doxepin (50 und 75 mg), Amitriptylin(e) (10 und 25 mg), Clomipramin(e) (10, 25 und 50
mg) sowie Lithium Carbonate 250 mg verfügbar, weiterhin Cloxipol (Zuclopenphixol
Salts), Fluanxol (Flupentixol Salts), Haldol (Haloperidol), Leponex (Cloazapine), Melleril
(Thioridazine HCI) und Risperdal (Risperdione), nach der Auskunft der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland vom 7. Oktober 2003 an das Bundesamt ferner das
Medikament Olanz mit dem Wirkstoff Olanzapin(e), in Deutschland unter anderem unter
dem Handelsnamen "Zyprexa" vertrieben. Weitere Medikamente, so Maprotiline 25 mg,
Paroxetine 20 mg, Trazodonc 25 mg, Sertraline 50 mg und Fluoxitin/Fluoxetine 20 mg
und Zyprexa sind nicht im staatlichen kostenfreien Gesundheitssektor, aber in privaten
Krankenhäusern oder Apotheken erhältlich.
2. Diese hinreichend aktuellen, hinsichtlich der relevanten Fragen aussagekräftigen
Auskünfte werden durch andere, in der Tendenz abweichende Stellungnahmen nicht
durchgreifend in Frage gestellt.
281
Die Ausführungen des Sachverständigen Keller-Kirchhoff in seinen Stellungnahmen
vom 18. November 2002 an das VG Gelsenkirchen, vom 4. Februar 2002 für die
Rechtsanwaltskanzlei Hinz/Winter sowie vom 9. August 2001 und vom 8. August 2000
für das Verwaltungsgericht Dresden rechtfertigen keine andere Beurteilung. Zunächst
verhalten sich dessen Ausführungen nicht zu der Organisation "Sahanaya" und stellen
die entsprechenden Angaben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland bzw. des
Auswärtigen Amtes insoweit nicht in Frage. Die Klinik Angoda, die General Hospitals
und darüber hinaus die Psychiatrie von Mullariyawa benennt auch Keller-Kirchhoff in
der Stellungnahme vom 18. November 2002 als Einrichtungen für die Behandlung
psychiatrischer Erkrankungen. Soweit er dabei als Problem darstellt, dass die
Diagnosen unterschiedlich ausfallen könnten und statt einer posttraumatischen
Belastungsstörung auch eine schwere Depression diagnostiziert werden könne, kann
als gerichtsbekannt unterstellt werden, dass dergleichen auch in Deutschland vorkommt
und angesichts der Ähnlichkeit der Symptomatik derartiger psychischer Erkrankungen,
die - so auch im vorliegenden Fall - in Form der Komorbidität vorliegen können, weder
verwunderlich noch in einem Maße schädlich ist, dass der Eintritt schwerer Folgen für
die Gesundheit der Betreffenden konkret zu befürchten wäre.
282
Zum FRC weist Keller-Kirchhoff zwar darauf hin, dass nach Angaben der Organisation
die Mitarbeiterschaft bzw. die Zahl der in Sri Lanka überhaupt tätigen Psychologen bei
weitem nicht ausreiche, um die große Anzahl von Patienten/Opfern, die über das ganze
Land verteilt lebten, zu behandeln. Außerdem bestünden beim FRC finanzielle
Engpässe. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass keine Behandlungskapazitäten zur
Verfügung stehen. Denn es kommt nicht darauf an, wie viele potentielle Patienten ggf.
zu behandeln wären; maßgeblich ist vielmehr, ob für die tatsächlich um Hilfe
Nachsuchenden genügend Behandlungskapazitäten gegeben sind. Diese sind nach
den oben genannten Auskünften des Auswärtigen Amtes bzw. der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland nicht ausgeschöpft. Es spricht vielmehr Vieles dafür, dass
ein erheblicher Teil der in Sri Lanka lebenden psychisch Kranken sich nicht in
Behandlung begibt, wie auch den Angaben der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in der Auskunft vom 5. Dezember 2002 und mittelbar der Stellungnahme
der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 23. Dezember 2003 bzw. - inhaltsgleich - vom
14. Januar 2004 zu entnehmen ist. Für diese Zurückhaltung mag es eine Reihe von
Gründen geben, so eine fatalistische Grundhaltung, der Glaube an Karma, das
Unterdrücken und Ignorieren psychischer Probleme und die in der Gesellschaft
verbreitete Stigmatisierung psychisch Kranker (vgl. Stellungnahme der Schweizerischen
283
Flüchtlingshilfe vom 14. Januar 2004/23. Dezember 2003).
Die Einschränkungen, die Keller-Kirchhoff zufolge hinsichtlich der Behandlung speziell
von Rückkehrern bestehen, stehen den Feststellungen in den oben zitierten Auskünften
der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen, wonach eine
Behandlung erfolgt, sobald die Erkrankung durch das Mandat des FRC gedeckt ist.
Denn die Einschränkung der Behandlung von Rückkehrern erfolgt (wenn überhaupt)
auch nach Keller-Kirchhoff nur im Hinblick auf allgemeine psychische Erkrankungen,
die mit dem Flüchtlingsschicksal der Betreffenden sowie der Entwurzelung und
Reintegration in Sri Lanka zusammenhängen. Dies entspricht gerade nicht dem
Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung, die nach den Angaben des
FRC in sein Mandat fällt. Wenn das FRC Keller-Kirchhoff zufolge ausgeführt hat,
Rückkehrer aus Deutschland benötigten ein Unterstützungsprogramm, das ihre
besonderen Probleme abdeckt ("need a support programme that should answer some of
their special problems"), mag das zutreffen, bedeutet aber nicht, dass Rückkehrer, die
sich wieder in Sri Lanka aufhalten und unter einer posttraumatischen Belastungsstörung
leiden, von der Behandlung ausgeschlossen wären. Sobald sich die Rückkehrer wieder
in Sri Lanka angesiedelt haben, dürfte auch aus Sicht des FRC kein Grund bestehen,
sie als Hilfe Suchende prinzipiell abzulehnen, sofern sie im Übrigen die
entsprechenden Anforderungen erfüllen. Im Übrigen weist Keller-Kirchhoff darauf hin,
dass selbst für Patienten Hilfe vermittelt werde, die unter nicht unmittelbar
kriegsbedingten psychischen Störungen litten.
284
Soweit Keller-Kirchhoff in den Stellungnahmen vom 9. August 2001 und vom 4. Februar
2002 auf die Schwierigkeiten bei der Erreichbarkeit der weiteren Einrichtungen des
"War-Trauma & Psychological Support Programme" in Vavuniya sowie der Organisation
"Shantiam" oder "Shanthiham" in Jaffna verweist, hat sich die Situation mittlerweile
geändert. Hinsichtlich der Reise- und Aufenthaltsmöglichkeiten sind deutliche
Verbesserung eingetreten (vgl. Keller-Kirchhoff selbst in der Stellungnahme vom 18.
November 2002). Zum "War-Trauma & Psychological Support Programme" ist in der
Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 5. Dezember 2002
allerdings ausgeführt, die Organisation leiste im Wesentlichen beratende, keine
medizinische Hilfe. Keller-Kirchhoff gibt in der Stellungnahme vom 18. November 2002
einschränkend an, aktuell - also zum damaligen Zeitpunkt - würden nur noch
traumatisierte Kinder behandelt.
285
Auch die Stellungnahmen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. Januar
2004/23. Dezember 2003 und aus März 2003 stellen die Auskünfte der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland bzw. des Auswärtigen Amtes nicht durchgreifend in Frage.
Auch diesen Stellungnahmen zufolge sind psychische Erkrankungen in Sri Lanka
grundsätzlich behandelbar. Allerdings sei eine angemessene stationäre und/oder
ambulante Behandlung psychiatrischer und/oder psychischer Erkrankungen nur selten,
in einigen Landesteilen gar nicht möglich. Die Kapazitäten seien sehr beschränkt.
Knapp 20 Millionen Menschen stünden nur 32 Psychiater zur Verfügung. Der WHO-
Mindeststandard für eine Bevölkerung dieser Größenordnung liege bei 480 Psychiatern.
"Fachexperten" seien sich einig, dass die Zahl von ausgebildeten Psychiatern und die
Bemühungen bei der Ausbildung von Pflegepersonal im Psychiatrie-Bereich "auf keinen
Fall ausreichend" seien. Nur in sieben der 24 Distrikte des Landes könnten Patienten
eine gewisse Form psychiatrischer Behandlung erhalten.
286
Diese Angaben sind im Wesentlichen auf psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten
287
bezogen und haben für die Frage der Behandelbarkeit posttraumatischer
Belastungsstörungen nur begrenzte Aussagekraft. Sie stimmen insoweit mit Angaben
der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland bzw. des Auswärtigen Amtes überein,
als diese gleichfalls darauf hinweisen, die Behandlungskapazitäten für psychiatrische
Hilfe seien in Sri Lanka sehr begrenzt (Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland vom 31. Mai 2002 an die Stadt Moers). Zunächst muss aber die
Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen nicht zwingend durch Psychiater
erfolgen, sondern wird auch in Deutschland häufig von Psychologen oder anderen
Therapeuten vorgenommen. Für die gleichfalls auf psychiatrische Versorgung
bezogene Angabe der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, "Fachexperten" seien sich
einig, dass die Zahl von ausgebildeten Psychiatern und die Bemühungen bei der
Ausbildung von Pflegepersonal im Psychiatrie-Bereich "auf keinen Fall ausreichend"
sei, werden Namen nicht genannt. Unter den sieben Distrikten, in denen jedenfalls eine
gewisse Form von psychiatrischer Hilfe gegeben sei, sind immerhin die von Tamilen
bevorzugten Distrikte Colombo, Batticaloa und Jaffna. Ferner fehlt es auch insoweit
daran, dass die theoretisch erforderliche Kapazität zu der tatsächlich gegebenen
Nachfrage in Beziehung gesetzt würde. Die Stellungnahme vom März 2003 beruht
überdies auf Schätzungen bzw. Zahlen aus dem Jahre 1999. Ihr liegt damit eine
Situation zugrunde, die sich etwa hinsichtlich der Reisemöglichkeiten und der
Möglichkeit, in Colombo Aufenthalt zu nehmen, sowie hinsichtlich der Versorgung der
nördlichen Gebiete inzwischen deutlich verbessert hat.
Insgesamt ist festzustellen, dass sich die vom Auswärtigen Amt bzw. der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland erteilten Auskünfte konkret zu allen insoweit relevanten
Fragen wie Ort und Art der Einrichtungen, Behandlungsangebot, Kapazität und
Auslastung, Kosten, Verfügbarkeit tamilischsprachiger Betreuung (was allerdings von
geringer Relevanz ist, da in Deutschland erst recht kein tamilischsprachiges
Fachpersonal zur Verfügung steht) und Verfügbarkeit von Medikamenten verhalten.
Namentlich die Frage ausreichender Kapazität (in Bezug zur konkreten Nachfrage) ist
erörtert mit dem Ergebnis, dass offenbar nach Auskunft der Organisationen jeder, der
dort nachfragt, bis jetzt habe behandelt werden können. Dabei liegt namentlich die vom
FRC angegebene Zahl der Behandlungsfälle für die Jahre 2000 und 2001 (für 2000 von
Keller-Kirchhoff bestätigt) mit rund 1.500 nicht niedrig, für 1999 sogar doppelt so hoch,
wenn sich auch darunter nur wenige an posttraumatischer Belastungsstörung Erkrankte
befunden haben dürften. Auch ist das Auswärtige Amt in den den erteilten Auskünften
zugrunde liegenden gerichtlichen Anfragen bereits gebeten worden, die abweichenden
Einschätzungen anderer Stellen und die niedrige Zahl von 25 praktizierenden
Psychiatern in seine Beurteilung einzubeziehen (vgl. Anfragen des Verwaltungsgerichts
Düsseldorf vom 15. März 2002 und des Verwaltungsgerichts Münster vom 22. April
2002).
288
Den Stellungnahmen Keller-Kirchhoffs und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe scheint
abgesehen davon, dass sie im Wesentlichen von einem theoretisch gegebenen Bedarf,
nicht aber von der konkreten Nachfrage ausgehen, demgegenüber ein im vorliegenden
Zusammenhang untauglicher Maßstab zugrunde zu liegen. Dafür sprechen
beispielsweise die Ausführungen in der Stellungnahme der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe vom 14. Januar 2004, wonach eine westlichen Standards
entsprechende Behandlung in Sri Lanka nicht verfügbar sei. Verlangt werden kann
indessen keine optimale, sondern nur eine zur Vermeidung erheblicher konkreter
Gesundheitsgefahren hinreichende Versorgung.
289
Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 6. September 2004 - 18 B 2661/03 -.
290
An dieser Beurteilung ändern schließlich die Auswirkungen der Flutwelle vom 26.
Dezember 2004, die die Küstengebiete im Osten und Süden Sri Lankas verwüstet und
dort mehr als 30.000 Todesopfer gekostet hat (FAZ vom 4.1.2005; FR vom 10.1.2005),
nicht grundsätzlich etwas. Es steht zwar zu befürchten, dass eine große Zahl Menschen
durch diese Ereignisse "traumatisiert" worden ist. Abgesehen davon, dass nicht feststeht
- gesicherte Erkenntnisse können insoweit naturgemäß noch nicht vorliegen -, wie hoch
die Zahl derer ist, die infolgedessen dauerhaft psychisch erkranken werden, ist aber
nicht anzunehmen, dass die insbesondere im Raum Colombo gegebenen, oben näher
erörterten Behandlungsmöglichkeiten durch den möglichen Anstieg der Zahl
Behandlungsbedürftiger nunmehr solchen Hilfesuchenden, die aufgrund der
Bürgerkriegsereignisse an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden,
verschlossen sind.
291
Es gibt keine Erkenntnisse, dass die oben genannten Einrichtungen vollständig oder
auch nur in wesentlichen Teilen von dem Tsunami zerstört worden wären. Sie sind
überwiegend im Raum Colombo gelegen, der von der Flutwelle nur vergleichsweise
geringfügig betroffen ist; Zerstörungen in größerem Ausmaß hat es dort nicht gegeben.
So ist die Klinik Angoda nahe Colombo etwa 10 km im Landesinneren gelegen, die
Klinik "Sahanaya" in der Kitulwatte Road im Stadtgebiet von Colombo mindestens 3 km
von der Küste entfernt. Auch die Büros des FRC befinden sich zum überwiegenden Teil
deutlich im Landesinneren und/oder in von der Flutwelle nicht betroffenen Gebieten.
292
Im Übrigen ist anzunehmen, dass Opfer der Flutkatastrophe, so sich bei ihnen eine
posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, wegen dieses Leidens nicht sämtlich
oder auch nur in erheblicher Zahl medizinische Hilfe in Anspruch nehmen werden, dies
zumal in Colombo. Insoweit ist zum einen auf die obigen Ausführungen zur in Sri Lanka
verbreiteten Zurückhaltung zu verweisen, sich wegen psychischer Erkrankungen in
Behandlung zu begeben und zum anderen darauf, dass Colombo vom überwiegenden
Teil der betroffenen Gebiete weit entfernt ist, weshalb die internationalen
Hilfeorganisationen vielfach Hilfe vor Ort anbieten. Gerade das FRC sieht, wie oben
dargelegt, sein Mandat überdies auf im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg
Traumatisierte beschränkt.
293
Die Feststellung, dass posttraumatische Belastungsstörungen in Sri Lanka
grundsätzlich behandelbar sind, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass in
Einzelfällen eine erhebliche Verschlimmerung der Erkrankung aufgrund des
Phänomens der sogenannten "Retraumatisierung" mit der Folge eintreten kann, dass
der Betreffende einer erfolgversprechenden Behandlung nicht mehr zugänglich ist. Ein
Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG kann insoweit nur
ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls angenommen werden.
294
Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 18. Januar 2005 - 8 A 1242/03.A -, S. 15 des
Urteilsabdrucks; Beschluss vom 13. April 2005 - 8 A 930/04.A -.
295
Unter dem Begriff der "Retraumatisierung" wird die durch äußere Ursachen oder
Bedingungen, die dem zugrunde liegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln
oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder
des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des
Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des
296
Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen,
psychischen und sozialen Ebene einhergeht.
Vgl. Marx InfAuslR 2000, 357, 360; zu insoweit bestehenden begrifflichen
Unsicherheiten vgl. Gutachten Enders-Comberg vom 9. November 2003, 41.
297
Ein Wiedererleben der traumatisierenden Situation(en) und sogenannte Flashbacks
gehören allerdings bereits zum Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung
(sogenanntes B-Kriterium).
298
Vgl. Herzig/Fischer/Foka in Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge,
Asylpraxis - Traumatisierte Flüchtlinge, 2. Auflage 2001, 40; Lösel/Bender, Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, a.a.O., 194.
299
Dergleichen kann von ganz unterschiedlichen "Triggern" - beispielsweise Gerüchen,
Fernsehbildern, Geräuschen - ausgelöst werden, die auch außerhalb Sri Lankas
vorkommen, und hat nicht zwingend zur Folge, dass der Betreffende einer Behandlung
nicht mehr zugänglich ist. Vielmehr werden derartige Beeinträchtigungen im Rahmen
der dargestellten allgemein zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten im
Regelfall zumindest soweit therapiert werden können, dass keine der § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG genannten Folgen zu befürchten ist. Der von Asylsuchenden vielfach
vorgetragenen Behauptung, dass posttraumatische Belastungsstörungen grundsätzlich
niemals im Heimatland behandelt werden könnten, widerstreitet für Sri Lanka ferner
bereits der Umstand, dass dort wie ausgeführt diverse Behandlungseinrichtungen für
diese Erkrankung bestehen, in denen posttraumatisch belastete srilankische
Staatsangehörige seit Jahren versorgt werden. Den Gutachten des Facharztes für
Nervenheilkunde und Psychotherapeutische Medizin Dr. Enders-Comberg vom 9.
November 2003 und vom 4. Dezember 2003 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
zufolge gibt es auch keine durch wissenschaftliche Untersuchungen abgesicherte
Erkenntnis dahin, dass in Fällen der durch Folter oder andere Misshandlung durch
Organe der Herrschaftsmacht hervorgerufenen posttraumatischen Belastungsstörung
eine erzwungene Rückkehr des Betreffenden in das Herkunftsland stets oder jedenfalls
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Retraumatisierung führt, die eine
erfolgversprechende Behandlung unmöglich machen oder jedenfalls wesentlich
erschweren würde. Hinreichend gesichert scheine für Opfer von Naturkatastrophen
(lediglich), dass die Rückführung zu einer Verschlechterung der psychischen Situation
führen könne; dies sei auch für Opfer, die durch Menschen traumatisiert worden seien,
anzunehmen. Dass und warum dies zwingend dazu führen sollte, dass die Betreffenden
einer Behandlung nicht mehr zugänglich wären, ist nicht erkennbar.
300
Ob die erzwungene Rückkehr des Betreffenden trotz grundsätzlicher Behandelbarkeit
der posttraumatischen Belastungsstörung im Heimatland ausnahmsweise aufgrund
besonderer Gegebenheiten Folgen hat, die auf ein Abschiebungshindernis im Sinne
des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen (können), weil etwa ein psychischer
Zusammenbruch mit dauerhaften Folgen, der eine erfolgversprechende Behandlung
dort unmöglich machen würde, oder gar akute Suizidgefahr konkret droht, ist demgemäß
nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten. Wird dergleichen geltend
gemacht, ist allerdings zu verlangen, dass unter Angabe näherer Einzelheiten
nachvollziehbar dargelegt wird, aufgrund welcher konkreten Anhaltspunkte des
Einzelfalls - insoweit mögen beispielsweise das Fehlen familiärer oder sonst stützender
Bindungen sowie anderer protektiver Faktoren und/oder der bisherige Krankheitsverlauf
301
eine Rolle spielen - das ausnahmsweise anzunehmen und mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit prognostizierbar sein soll.
3. Nach alledem erwächst auch für den Kläger, der wohlmöglich an posttraumatischer
Belastungsstörung erkrankt ist, die medikamentöser Behandlung bedarf, daraus kein
Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn er kann die bisher
verordneten Medikamente Trimipramin und Amitriptylin in Sri Lanka erhalten. Ob dort
auch das Medikament Perazin erhältlich ist, entzieht sich der Kenntnis des Senats.
Aufgrund der Erklärung des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie L6.
vom 19. Oktober 2005, in der es heißt, dass bisher Trimipramin, Perazin und Amitriptylin
in wechselnden Dosierungen und Kombinationen zum Einsatz kamen, kann jedoch
davon ausgegangen werden, dass der Kläger nicht auf den Wirkstoff Perazin zwingend
angewiesen ist, sondern auch mit anderen, in Sri Lanka erhältlichen Neuroleptika
(Psychopharmaka) erfolgversprechend jedenfalls insoweit behandelt werden kann, dass
der Eintritt existenzieller Leibes- und Lebensgefahren beim Kläger nicht mit der
notwendigen Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist. Für diese Annahme spricht vor allem,
dass der Kläger die posttraumatische Belastungsstörung, die er bereits bei seiner
Anhörung vor dem Bundesamt angedeutet hat, bis Anfang des Jahres 2005 völlig ohne
ärztliche und psychologische Hilfe bewältigt hat und sich trotz Fehlens dieser Hilfen in
der Lage sah, allein in einer Wohnung zu leben und einer Aushilfsarbeit in einem
Schnellrestaurant mit wechselnden Schichten nachzugehen.
302
II. Beim Kläger ist nicht aufgrund drohender Retraumatisierung ein
Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise
anzuerkennen. Umstände, die eine derartige Ausnahme rechtfertigen könnten, sind
nicht ersichtlich. Der Kläger leidet nach seinen Angaben seit seiner Einreise in die
Bundesrepublik Deutschland unter den nunmehr psychologisch und ärztlich belegten
Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese beruht wie dargelegt aber
nicht auf einer politischen Verfolgung seitens der Sicherheitskräfte. Auch wenn diese im
Rahmen von Bürgerkriegshandlungen für die posttraumatische Belastungsstörung im
Sinne eines Verursachungsbeitrages mitverantwortlich sein sollten - ebenso wie die
LTTE -, stehen dem Kläger in Sri Lanka ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland
hinreichende Möglichkeiten zur Verfügung, Situationen zu meiden, die dem
traumatischen Erlebnis gleichen oder ähneln. Die Situationen, die nur Anklänge zum
traumatischen Erleben aufweisen, und dadurch eine Reaktualisierung der inneren
Bilder des traumatischen Erlebens auslösen (wie Gerüche), lassen sich weltweit nicht
vermeiden.
303
Der Kläger wird auch in der Lage sein, sich in Sri Lanka in einer die posttraumatische
Belastungsstörung bewältigenden Weise einzurichten. Hiervon ist der Senat aufgrund
des Verhaltens des Klägers in der Vergangenheit überzeugt. Der Kläger hat es
vermocht, mit den seit der Einreise bestehenden Symptomen sein Leben in der
Bundesrepublik Deutschland selbständig einzurichten und zu gestalten. Dazu hat er
zumindest von 2001 bis 2004 nicht einmal psychologischer oder ärztlicher Hilfe bedurft.
Er geht seit längerem einer geregelten Arbeit in einem Schnellrestaurant nach und
bewältigt dabei sogar wechselnden Schichtdienst. Auch wenn er die Anfangszeiten
seiner Schichten vergisst, wie sich aus der Stellungnahme der Diplompsychologin T3.
ergibt, oder Schlüssel liegen lässt, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
vorgetragen hat, hat er gleichwohl ein System entwickelt, das ihm ein Leben weitab von
einer Betreuung ermöglicht und ihm den Erhalt der Arbeitsstelle sichert. Es steht daher
zu erwarten, dass aufgrund der auch in Sri Lanka gegebenen
304
Behandlungsmöglichkeiten der posttraumatischen Belastungsstörung der Kläger dort
ebenso gut in der Lage sein wird, sich fachkundige ärztliche Hilfe zu besorgen und sein
Leben so einzurichten, dass er mit seiner Erkrankung zu leben vermag. Diese
Erwartung wird darüber hinaus gestützt durch die Überlegung, dass der ledige Kläger in
der Bundesrepublik Deutschland allein zu Recht gekommen ist, ihn in Sri Lanka aber
sogar seine Angehörigen in der erforderlichen Weise, und zwar vom Beginn seiner
Wiedereinreise an, unterstützen können.
Bei dieser Sachlage sieht der Senat keine Veranlassung dem gestellten
Hilfsbeweisantrag, soweit er sich auf eine Behandlungsmöglichkeit der beim Kläger
bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung in Sri Lanka und einer
Dekompensation bei Rückkehr des Klägers nach Sri Lanka bezieht, weiter
nachzugehen.
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Im Hinblick auf die im Berufungsverfahren noch streitbefangenen Anträge sind daher
auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des
angefochtenen Bescheides vom 28. Juni 2000 nicht zu beanstanden. Sie finden ihre
Rechtsgrundlage in §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG, nunmehr § 59
AufenthG.
306
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b
AsylVfG.
307
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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