Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.01.2008

OVG NRW: produkt, arzneimittel, verhütung, begriff, verpackung, verbraucher, erzeugnis, eugh, ernährung, diagnose

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 2510/05
Datum:
24.01.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 2510/05
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. Mai 2005 wird auf Kosten der
Beklagten zurückgewiesen.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 40.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der von der Beklagten geltend
gemachte Zulassungsgrund, der gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nur im rechtlichen
Rahmen der fristgerechten Darlegungen zu prüfen ist, liegt nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Bei diesem Zulassungsgrund, der die Einzelfallgerechtigkeit
gewährleistet und ermöglichen soll, unbillige oder grob ungerechte Entscheidungen zu
korrigieren, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung in allen
Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob ernstliche Zweifel im
Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche Zweifel sind dabei
anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung
nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h., wenn ein
einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in der
angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage
gestellt wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000,
1163; BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004,
838; OVG NRW, Beschlüsse vom 31. August 2007 - 13 A 108/07 - und vom
13. August 2007 - 13 A 1067/07 -.
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Dies ist nicht der Fall.
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Soweit die Beklagte erstmals im Zulassungsverfahren die Klagebefugnis der Klägerin in
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Frage stellt, sind die von ihr dargelegten Bedenken von der Klägerin, mit dem Hinweis,
Herstellerin des streitgegenständlichen Produkts zu sein, ausgeräumt worden.
In der Sache teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei
dem streitgegenständlichen Produkt "O. Q. " nicht um ein Arzneimittel im Sinne des
§ 2 Abs. 1 AMG handelt. Nach § 2 Abs. 1 AMG sind, soweit hier einschlägig,
Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch
Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder
krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (Nr. 1)
oder die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische
Zustände zu beeinflussen (Nr. 5). Die Definition entspricht bei
gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung der Begriffsbestimmung des Art. 1 der
Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für
Humanarzneimittel vom 6. November 2001 (ABl. Nr. L 311 vom 28. November 2001, S.
67) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 (ABl. Nr. L
136 vom 31. März 2004, S. 34).
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Vgl. BVerwG, vom 14. Dezember 2006 - 3 C 40.05 -, ZLR 2007, 368;
Bay.VGH, Beschluss vom 1. Oktober 2007 - 25 CS 07.1210 -, juris.
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Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG enthält
für den Begriff des Arzneimittels alternativ zwei Definitionen. Zum einen sind
Arzneimittel nach Bezeichnung alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel
mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt
sind. Zum anderen sind Arzneimittel nach der Funktion alle Stoffe oder
Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem
Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen
Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung
wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische
Diagnose zu erstellen. Die nunmehr geltende Definition enthält zwar in ihrer ersten
Variante nicht mehr das Merkmal des Bezeichnens, sondern verwendet stattdessen den
Ausdruck "bestimmen". Der ansonsten weitgehend übereinstimmende Wortlaut und die
fortdauernde Systematik zweier unterschiedlicher Arzneimitteldefinitionen legen aber
den Schluss nahe, dass damit weiterhin das Präsentationsarzneimittel gemeint ist,
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vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juli 2007 - 3 C 21.06 , 3 C 22.06 -, 3 C 23.06 -,
sowie vom 14. Dezember 2006 - 3 C 40.05 -, a.a.O.,
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und eine Änderung in der Sache nicht vorgenommen wurde.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. November 2005 - 13 A 463/03 -, LRE 51,
287; Bay.VGH, Beschluss vom 1. Oktober 2007 - 25 CS 07.1210 -, a.a.O.
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Arzneimittel nach Bezeichnung sind nicht nur Arzneimittel, die tatsächlich
therapeutische oder medizinische Wirkungen haben, sondern auch solche, die nicht
ausreichend wirksam sind oder nicht die Wirkung haben, die der Verbraucher nach ihrer
Bezeichnung von ihnen erwarten darf. Ein Erzeugnis wird im Sinne der Richtlinie
2001/83 "als Mittel zur Heilung oder Verhütung von menschlichen Krankheiten
bezeichnet", wenn es, gegebenenfalls auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder
mündlich, ausdrücklich als solches bezeichnet oder empfohlen wird. Ein Erzeugnis wird
ferner dann "als Mittel zur Heilung oder Verhütung von menschlichen Krankheiten
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bezeichnet", wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher, sei es nur
schlüssig, mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht
seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse.
Vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - Rs. C-319/05-,
Knoblauchkapseln.
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Das streitgegenständliche Produkt ist danach kein Präsentationsarzneimittel. Es wird
weder auf dem Dosenetikett noch andernorts von der Klägerin als Arzneimittel
bezeichnet, noch nimmt es auf der Verpackung oder in der Werbung für sich in
Anspruch, Eigenschaften zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten aufzuweisen. Auf
der von der Klägerin vorgelegten Verpackung wird das Produkt ausdrücklich als
Mahlzeitenersatz bzw. Mittel zur gewichtskontrollierenden Ernährung bezeichnet. Auch
die auf der Verpackung enthaltenen weiteren Hinweise prägen den Eindruck, dass das
Produkt ausschließlich einer besonderen Art der Ernährung mit dem Ziel einer
Gewichtsreduzierung dient, zumal auch die Zutaten (z.B. Magermilchpulver, Zucker,
Molkenprotein, Sojaprotein, Weizenfaser, Instant Kaffee) nicht auf das Vorhandensein
arzneilich wirksamer Bestandteile hinweisen. Die von der Beklagten benannten
Werbeaussagen "O. sei dazu bestimmt, selbstständig vorhandenes Körperfett
aufzulösen" und die "Neueinlagerung vorhandener Fettstoffe zu verhindern" weisen,
ungeachtet der in diesem Zusammenhang nicht erheblichen Frage, ob es sich hierbei
um überzogene oder irreführende (Werbe-)Aussagen handelt, keinen Bezug zu
irgendeinem krankhaften Zustand auf. Aus den sich in den Verwaltungsvorgängen
befindlichen Werbeanzeigen geht vielmehr ausdrücklich hervor, dass es sich bei dem
Produkt nicht um eine Arznei bzw. um ein Medikament handelt. Auch aus sonstigen
Umständen ergibt sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, nicht, dass
es in Anbetracht seiner Inhaltsstoffe, der Aufmachung, der Art und Form der Dosierung
die betreffenden Eigenschaften zur Heilung oder Verhütung haben müsste. Warum die
von der Beklagten vorgetragenen sonstigen Gesichtspunkte, wie die Bekanntheit, der
Umfang der Verbreitung, Risiken oder der Preis eine abweichende Beurteilung
rechtfertigen sollten, erschließt sich dem Senat nicht, zumal auch die Beklagte hierzu
substantiiert nichts vorgetragen hat.
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Das streitgegenständliche Produkt ist auch kein Funktionsarzneimittel. Insoweit fehlt es
bereits an den vom Bundesverwaltungsgericht für die Einordnung als
Funktionsarzneimittel geforderten belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen, die
eine erhebliche Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers
belegen.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juli 2007 - 3 C 21.06 -, - 3 C 22.06 - und - 3 C
23.06 -.
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Insoweit hat auch der EuGH
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vgl. Urteil vom 15. November 2007 - Rs. C-319/05 -,
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Knoblauchkapseln,
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zur Definition des Funktionsarzneimittels ausgeführt, dass anders als der Begriff des
Arzneimittels nach der Bezeichnung, dessen weite Auslegung die Verbraucher vor
Erzeugnissen schützen soll, die nicht die Wirksamkeit besitzen, welche sie erwarten
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dürfen, der Begriff des Arzneimittels nach der Funktion diejenigen Erzeugnisse erfasse,
deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden und die
"tatsächlich" dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder
physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen.
Wissenschaftlich belegte pharmakologische Eigenschaften kommen dem Produkt nicht
zu. Solche sind auch von der Beklagten nicht behauptet worden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das
Berufungszulassungsverfahren beruht unter Berücksichtigung der durch die Euro-
Umstellung erfolgten Pauschalierungen auf §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG in
Anlehnung an den auch vom Verwaltungsgericht erfolgten Rückgriff auf den Streitwert
für das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.
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