Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.03.2006

OVG NRW: achtung des privatlebens, aufnahme einer erwerbstätigkeit, aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, duldung, emrk, integration, ausländer, erlass, firma

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 787/05
Datum:
27.03.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 787/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 7 L 161/05
Schlagworte:
Beschäftigungserlaubnis einwanderungspolitische Erwägungen
Mitwirkungspflichten Ermessen Duldung Achtung des Privatlebens
rechtliche Unmöglichkeit faktische Integration Entwurzelung
Normen:
AufenthG § 25 Abs. 5; BeschVerfV § 10; BeschVerfV § 11; EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Im Rahmen der Ausübung des durch § 10 BeschVerfV eröffneten
Ermessens dürfen einwanderungspolitische Erwägungen, wie die
Verhinderung einer tatsächlichen Verfestigung des Aufenthalts eines
geduldeten Ausländers, über die Regelungen in § 11 BeschVerfV
hinausgehend berücksichtigt werden.
2. Zur Frage, wann es einem Ausländer im Rahmen des § 25 Abs. 5
AufenthG aus Rechtsgründen unter dem Geichtspunkt der Achtung des
Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK unzumutbar ist, Deutschland zu
verlassen.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde mit den Anträgen
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1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die
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Nichtverlängerung der Arbeitserlaubnis anzuordnen,
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2. hilfsweise im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO anzuordnen,
den Antragstellern bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens
Arbeitserlaubnisse gem. ihren Anträgen zu erteilen,
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3. weiter hilfsweise den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern eine
Duldung zu erteilen und diese mit einer Nebenbestimmung dahingehend zu
versehen, dass eine Erwerbstätigkeit für den Antragsteller zu 1. bei der Firma
D. Q. -E. und bei der Antragstellerin zu 2. in der "B. T. " in C.
erlaubt ist
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hat keinen Erfolg.
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Hinsichtlich des Hauptantrags ist das vom Senat nur zu prüfende
Beschwerdevorbringen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht geeignet die zutreffenden
Gründe des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen.
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Der erste Hilfeantrag hat sich durch Erlass der Ordnungsverfügung vom 9. Februar
2006, mit dem das diesbezügliche Verwaltungsverfahren abgeschlossen wurde, erledigt
und kann schon deshalb nicht erfolgreich sein.
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Der zweite Hilfsantrag bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Eine Aufhebung oder Abänderung
der angefochtenen Entscheidung kommt nach der ständigen Senatsrechtsprechung
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- vgl. nur den Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2002 - 18 B 2274/02 - mit
weiteren Nachweisen sowie aktuell den Beschluss vom 13. September
2005 18 B 1567/05 -
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dann nicht in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht versagt hat. So ist es hier.
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Zunächst ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass der Senat den Antrag dahingehend
versteht, dass beantragt wird,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig – bis
zur Entscheidung in der Hauptsache – zu verpflichten, die den
Antragstellern erteilten Duldungen dahin zu erweitern, dass dem
Antragsteller zu 1. die Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit bei der Firma
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D. Q. E. und der Antragstellerin zu 2. die Fortsetzung ihrer
Erwerbstätigkeit bei der Firma "B1. T1. " erlaubt wird.
Diese Klarstellung erfolgt im Hinblick auf die Gesetzessystematik. Nach den in §§ 4
Abs. 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – und § 10
Beschäftigungsverfahrensverordnung – BeschVerfV – getroffenen Regelungen bedürfen
geduldete Ausländer, die – wie die Antragsteller – eine Beschäftigung ausüben wollen,
einer dahingehenden mit der Duldung verknüpften Erlaubnis, über deren Erteilung nach
Antrag ein Bescheid zu ergehen hat, so dass eine positive Bescheidung gegebenenfalls
mit einem Verpflichtungsbegehren zu erstreiten ist. Vorläufiger Rechtsschutz ist
demnach durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123
VwGO zu erlangen.
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Vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 22. April 2005 18 B 574/05 - und vom 18.
Januar 2006 – 18 B 1772/05 – m.w.N.
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Mit der genannten Antragsformulierung wird ferner berücksichtigt, dass – wie auch die
Verwendung des Begriffs der "Nebenbestimmung" in § 84 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG
verdeutlicht – das Beschäftigungsrecht gesetzlich untrennbar mit dem Aufenthaltstitel
bzw. – hier - der Duldung verbunden ist,
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vgl. auch BT-Drs. 15/240, S. 69 re. Sp; VGH Baden-Württemberg, Beschluss
vom 12. Oktober 2005 11 S 1011/05 -, juris,
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wobei allerdings eine Nebenbestimmung im Sinne des § 36 VwVfG nicht vorliegt.
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Vgl. dazu näher Senatsbeschluss vom 18. Januar 2006 – 18 B 1772/05 -.
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Mit der genannten Antragsfassung ist schließlich auch klargestellt, dass es vorliegend
nicht um die Neuerteilung einer Duldung geht, so dass für die begehrte Erweiterung der
Duldung nicht deren Erteilungsvoraussetzungen vollständig zu prüfen sind.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.
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Ungeachtet der Frage nach dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes, für den aktuell
das Fortbestehen der Beschäftigungsmöglichkeiten glaubhaft zu machen gewesen
wäre, ist jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden.
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Der Senat lässt dahinstehen, ob das Begehren der Antragstellern schon an dem
Versagungsgrund § 11 BeschVerfV scheitert. Jedenfalls ist ihr Vorbringen nicht
geeignet, die tragenden Gründe der inzwischen unter dem 9. Februar 2006 erlassenen,
das Begehren der Antragsteller ablehnenden Ordnungsverfügung zu entkräften. Die mit
dem dagegen eingelegten Widerspruch vertretene und für das Beschwerdeverfahren in
Bezug genommene Auffassung, das mit der Ordnungsverfügung u.a. angestrebte Ziel,
eine faktische Integration der Antragsteller in die hiesigen Verhältnisse durch eine
Fortsetzung ihrer Erwerbtätigkeit verhindern zu wollen, sei rechtsfehlerhaft, weil es
infolge der schon stattgefundenen Integration nicht mehr verhindert werden könne,
vermag nicht zu überzeugen. Die Ansicht findet in den hier maßgebenden Regelungen
der §§ 10 f. BeschVerfV keine Stütze.
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Nach § 10 BeschVerfV kann geduldeten Ausländern unter den dort genannten
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Voraussetzungen die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden. Die Entscheidung
hierüber steht im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Bei dessen
Ausübung hat sie vornehmlich einwanderungspolitische Interessen zu berücksichtigen,
die vor allem auch darin bestehen, eine weitere Aufenthaltsverfestigung etwa durch die
Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu verhindern. Hierzu sei auf die
Entstehungsgeschichte der §§ 10 f. BeschVerfV verwiesen. Nach der
Verordnungsbegründung wird mit den Versagungsgründen des § 11 BeschVerfV die
Regelung des § 5 Nr. 5 ArGV fortgeführt und somit an die überkommene Rechtslage
angeknüpft.
vgl. den Text der Verordnungsbegründung unter
www.aufenthaltstitel.de/beschverfvinfos.html.
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Unter dieser war anerkannt, dass das behördliche Anliegen, einer tatsächlichen
Verfestigung des Aufenthalts eines geduldeten Ausländers entgegenzuwirken, es
rechtfertigt, ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu untersagen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. November 2005 17 B 1485/05
Asylmagazin 1–2/2006, 35; ferner auch VGH BW, Beschluss vom 25.
September 2003 - 11 S 1795/03 -, InfAuslR 2004, 70 = EZAR 025 Nr. 27.
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Hierbei handelt es sich um einen Umstand, den die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer
von § 10 BeschVerfV geforderten Ermessensentscheidung auch berücksichtigen darf,
wenn die Voraussetzungen des § 11 BeschVerfV nicht vorliegen.
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Vgl. hierzu Fehrenbacher, HTK-AuslR / § 10 BeschVerfV 12/2005 Nr. 4.
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Davon ausgehend vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen, dass die Entscheidung
des Antragsgegners ermessensfehlerhaft ist. Zwar wäre der mit der Beschwerde
sinngemäß angesprochene Gesichtspunkt einer faktischen Integration und einer damit
verbundenen Unzumutbarkeit einer Rückkehr ins Heimatland, der letztlich mangels
einer dauerhaft statthaften Duldung auf die einzig in Betracht kommende
Anspruchsnorm des § 25 Abs. 5 AufenthG zielt, auch im Rahmen der hier getroffenen
Ermessensentscheidung von Relevanz, weil bei feststehender Unzumutbarkeit einer
Ausreise einer Aufenthaltsverfestigung nicht mehr sinnvoll entgegen gewirkt werden
kann. Dafür ist es jedoch erforderlich, dass dem Ausländer aus Rechtsgründen eine
freiwillige Rückkehr in sein Heimatland unzumutbar ist. Die rechtlichen Maßstäbe für die
dafür erforderliche Beurteilung ergeben sich insbesondere aus den
Abschiebungsverboten und vorrangigem Recht, namentlich Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz
2, 6 GG, dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit, und Art. 8 EMRK. Dabei ist das hier vornehmlich in Betracht
kommende Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK weit
zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf
Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und
der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln, und damit auch die Gesamtheit der im
Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen. Die Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK
darf allerdings nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung
eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im
Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat. Entscheidend ist vielmehr, ob der
Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen
verfügt,
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- vgl. zu allem Senatsbeschluss vom 7. Februar 2006 – 18 E 1534/05 – mit
weiteren Hinweisen insbesondere auf die Rechtsprechung des EGMR -
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er also in das hiesige wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben auf Grund
seiner deutschen Sprachkenntnisse, sozialen Kontakte, Wohn-, Wirtschafts sowie
Berufs- bzw. Schulverhältnisse faktisch integriert. Weiter kann bedeutsam sein, welche
Beziehungen er zu dem Land noch hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt,
namentlich, ob er dort in einer Weise "entwurzelt" ist, dass eine Reintegration nicht
zumutbar erscheint. Dafür ist von Gewicht, ob und wie lange der Ausländer dort gelebt
hat und ob er die dortige Sprache kennt, mit den Verhältnissen des Landes (noch)
vertraut ist und dort ggf. noch aufnahmebereite Verwandte leben.
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Vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2.11.2005 – 1 S 3023/04 -,
InfAuslR 2006, 70; VG Stuttgart, Urteil vom 22.11.2005 – 12 K 2469/04 -,
Asylmagazin 1–2/2006, 41.
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Bei Anwendung dieser Maßstäbe, führt das Vorbringen der Antragsteller nicht auf eine
schützenswerte faktische Integration. Insoweit verweisen sie lediglich pauschal auf
Umstände, die im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit stehen, ihre
Wohnverhältnisse und die Integrationsleistungen ihrer Kinder, insbesondere durch
deren Schulbesuch und berufen sich im Übrigen vor allem auch auf ihre Erkrankungen.
Das alles ist im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb unzureichend, weil die
Antragsteller erst im Jahre 2000 nach Deutschland einreisten, sie mithin erst wenige
Jahre hier leben, und prinzipiell schon deshalb noch nicht von einer faktischen
Integration ausgegangen werden kann. Hinzu kommt, dass sich ihr Aufenthalt in
Deutschland bisher nur auf Asylverfahren und Folgeverfahren gründet und sie wegen
deren Erfolglosigkeit seit Jahren vollziehbar ausreisepflichtig sind. Deshalb durften sie
zu keinem Zeitpunkt – etwa auf Grund des Verhaltens des Antragsgegners - erwarten,
dauerhaft in Deutschland bleiben zu können, was unter den hier gegebenen Umständen
jedenfalls im Rahmen der Schrankenregelung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zulasten der
Antragsteller geht.
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Vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2.11.2005 – 1 S 3023/04 -,
a.a.O.
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Es ist auch nicht erkennbar, dass sie irgend wann einmal ernsthaft gewillt waren, auch
nur die formellen Voraussetzungen für die Erfüllung ihrer Ausreisepflicht zu schaffen,
indem sie sich in Beachtung der sie treffenden Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten
(vgl. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) um gültige Reisedokumente
bemühten. Dies verdeutlicht nachdrücklich eine von den Antragstellern nicht
substanziiert bestrittene Auskunft der Mongolischen Botschaft, die am 20. Februar 2006
der ZAB C1. telefonisch mitteilte, dass die Antragsteller falsche Angaben zu ihrer
Identität gemacht haben. Damit haben die Antragsteller gegen ihre ureigene
Angelegenheit verstoßen, ihre Identität zweifelsfrei aufzuklären und sich – woran es
damit ebenfalls fehlt - in zumutbarer Weise um die Ausstellung eines Ausweispapieres
zu bemühen. Ein Ausländer, der auf diese Art und Weise seine Ausreise und
Abschiebung verhindert, darf regelmäßig nicht darauf vertrauen, ein dauerhaftes
Bleiberecht in Deutschland zu erhalten.
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Vgl. hierzu zuletzt Senatsbeschluss vom 14.3.2006 18 E 924/04 -.
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Schließlich ist es unter den hier gegebenen Umständen zu Lasten der Antragsteller
noch von ganz erheblicher Bedeutung, dass für eine Entwurzelung in ihrem Heimatland
nichts ersichtlich ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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