Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.03.2004

OVG NRW: einheimische bevölkerung, asylbewerber, republik, kongo, gefahr, flüchtlingshilfe, tod, amt, ausländer, anwendungsbereich

Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 970/04.A
Datum:
12.03.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 A 970/04.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 15a K 3247/01.A
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt
G r ü n d e :
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
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Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3
Nr. 1 AsylVfG), "ob die Gefahren, die Personen drohen, die
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- als Kinder aus der Demokratischen Republik Kongo (bzw. dem ehemaligen Zaire)
ausgereist sind,
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- sich in Bezug auf ihr Lebensalter sehr lange Zeit im Ausland aufgehalten haben und
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- in der Demokratischen Republik Kongo über keine familiären Verbindungen verfügen,
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unter den Anwendungsbereich des § 53 Abs. 6, S. 1 AuslG fallen oder zu den
allgemeinen Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6, S. 2 AuslG gehören."
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Diese Frage kann aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne
Weiteres bereits im Zulassungsverfahren beantwortet werden. Einer Zulassung der
Berufung bedarf es deshalb nicht.
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In seiner Entscheidung vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 - (BVerwGE 108, 77 = NVwZ
1999, 666) stellt das Bundesverwaltungsgerichts fest, dass individuelle Gefährdungen
des Ausländers, die sich aus einer allgemeinen Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2
AuslG ergeben, auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 53 Abs.
6 Satz 1 AuslG berücksichtigt werden können, wenn sie auch durch Umstände in der
Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt
werden, aber nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind. Diese
Situation liegt nach der Fragestellung des Klägers vor. Die aufgezeigte Gefahrenlage
beruht letztlich auf den schlechten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in der
Demokratischen Republik Kongo, auch wenn sie einen rückkehrenden Asylbewerber
auf Grund seiner individuellen Verhältnisse im stärkeren Maße als die übrige
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Bevölkerung betreffen kann. Nach der genannten Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts lässt es der Normzweck des § 53 Abs. 6 Satz 2 iVm § 54
AuslG nicht zu, den Ausländer aus der allgemein gefährdeten Bevölkerung oder
Bevölkerungsgruppe auf Grund zusätzlicher individueller "Besonderheiten" oder
Umstände auszugliedern, die bei wertender Betrachtung eine solche Differenzierung
nicht rechtfertigen, weil sie lediglich zu einer Realisierung der allgemeinen Gefahr für
den Einzelnen führen und die eine politische Leitentscheidung bedingte Typik unberührt
lassen. Dies verkennt der Kläger mit seiner Begründung und insoweit versteht er auch
die von ihm in Bezug genommene oben genannte Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts falsch.
Die weitere vom Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, "ob
Angehörige des oben beschriebenen Personenkreis(es) sogar alsbald nach einer
Rückkehr in eine extreme Gefahrenlage geraten werden, so dass sie gleichsam
sehenden Auges in den sicheren Tod geschickt werden würden", ist nicht mehr
klärungsbedürftig, weil sie durch Urteil des Senats vom 18. April 2002 - 4 A 3113/95.A -
geklärt ist. Danach lässt sich nicht feststellen, dass ein abgeschobener gesunder
Asylbewerber im Großraum Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine
extreme Gefahrenlage geriete und dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre.
Weiter hat der Senat entschieden, dass auch die in Kinshasa bestehende medizinische
Versorgungslage nicht die Annahme des Bestehens einer extremen Gefährdungslage
rechtfertige. Dies gilt auch hinsichtlich einer möglicherweise drohenden Erkrankung an
Malaria. Auch mit Blick auf die gegenwärtige Erkenntnislage, insbesondere den
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 4. August 2003, bestehen keine Anhaltspunkte
dafür, dass sich die Situation in der Zwischenzeit dergestalt zu Ungunsten
rückkehrender Asylbewerber geändert hat, dass ein Festhalten an der Rechtsprechung
des Senats im Sinne des o.g. Urteils nicht mehr gerechtfertigt ist. Das gilt auch im
Hinblick auf das vom Kläger wiedergegebene Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig
vom 22. Januar 2002 sowie auf den Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 13.
Februar 2003. Letzterem ist zu entnehmen, dass einerseits die Versorgungslage in
Kinshasa sehr angespannt sei, andererseits aber die NGOs, Kirchen und Private eine
gewisse Linderung der Situation vor allem in Kinshasa bewirkten (vgl. S. 7). Was das
Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig betrifft, so hat der Senat seiner Entscheidung im
Wesentlichen - jedenfalls soweit es vom Kläger wiedergegeben worden ist (vgl. S. 4 bis
S. 9 des Zulassungsantrags) - dieselben Erkenntnisquellen berücksichtigt. Er ist
allerdings auf Grund des anzulegenden Maßstabs einer "extremen Gefahrenlage" zu
einem anderen Ergebnis gelangt.
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Der 17. Senat des OVG NRW (Beschluss vom 15. November 2002 - 17 B 993/02 -) hat
nicht die Auffassung vertreten, dass Rückkehrer mit dem baldigen sicheren Hungertod
rechnen müssten. Vielmehr hat er lediglich ausgeführt, die vom Verwaltungsgericht
zitierten Lageberichte ließen offen - eine Einschätzung, die der beschließende Senat
nicht teilt -, welchen Inhalt die vom Auswärtigen Amt erwähnten Überlebensstrategien
hätten, so dass die genannten Gefahren jedenfalls nicht auszuschließen seien. Es
bedürfe weiterer Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob und gegebenenfalls in welcher
Weise der Antragsteller jenes Verfahrens auch unter Berücksichtigung seiner
persönlichen Situation für sich eine hinreichende Ernährungsgrundlage sicherstellen
könne. Der 17. Senat hat damit die vom Verwaltungsgericht entschiedene
Tatsachenfrage nicht gegenteilig beantwortet, sondern offen gelassen und ihre
abschließende Beantwortung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Hinsichtlich des
vom Kläger genannten Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 1. Juli 2003 ist
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darauf hinzuweisen, dass Rückkehrer, jedenfalls in der Anfangszeit, durchaus
Schwierigkeiten haben könnten, die für die einheimische Bevölkerung bestehenden
"Überlebensstrategien" für sich zu nutzen. Gleichwohl resultiert daraus aber keine
extreme Gefahrenlage, denn sie können sich an die in Kinshasa vorhandenen
Hilfseinrichtungen wenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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