Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.04.2007

OVG NRW: bekanntgabe, öffentliche bekanntmachung, systematische auslegung, umweltverträglichkeitsprüfung, unterrichtung, behörde, vorprüfung, form, begriff, gesetzesmaterialien

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 4859/04
Datum:
20.04.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 4859/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 3 K 2639/03
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 545,56 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen der in
§ 124 Abs. 2 VwGO aufgeführten Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des §
124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.
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1. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich zunächst nicht die geltend gemachten
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung
(Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) entnehmen. Ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit des angegriffenen Urteils sind gegeben, wenn die Umstände, die für die
Fehlerhaftigkeit der Entscheidung im Sinne des Entscheidungsergebnisses sprechen,
deutlich überwiegen. Nicht ausreichend sind Zweifel lediglich an der Richtigkeit
einzelner Begründungselemente oder Sachverhaltsfeststellungen, wenn diese nicht
zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses begründen.
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Die Klägerin hat nicht hinreichend dargelegt, dass die verwaltungsgerichtliche
Entscheidung im Ergebnis falsch sein könnte. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, §
3 a Satz 2 Halbsatz 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der
Fassung vom 18. Juni 2002, BGBl. I 1914, (UVPG) ermächtige die Behörde zu einer
öffentlichen Bekanntgabe der Entscheidung, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung
unterbleiben solle, wird durch die Antragsbegründung nicht ernsthaft in Zweifel gestellt.
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Der Einwand der Klägerin, aus der Wortwahl in § 3 a Satz 2 Halbsatz 2 UVPG im
Vergleich zu anderen Vorschriften folge, dass in der zitierten Regelung nur die
Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung an den Vorhabenträger gemeint sein
könne, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht verweist wegen der Verwendung des
Wortes Bekanntgabe zu Recht auf die amtliche Überschrift des § 41 VwVfG. Diese zeigt
in Verbindung mit den einzelnen Absätzen der Norm, dass der Gesetzgeber den Begriff
"Bekanntgabe" weit versteht und sowohl die Bekanntgabe an einen bestimmten
Betroffenen als auch die öffentliche Bekanntgabe in der Form der öffentlichen
Bekanntmachung erfassen will. Die von der Klägerin angeführten Vorschriften sind nicht
geeignet, das Gegenteil zu belegen. Keine von ihnen verwendet den Begriff der
Bekanntgabe ohne Zusatz. Alle Regelungen bezeichnen vielmehr im einzelnen, an wen
die Bekanntgabe zu erfolgen hat: die Eigentümer oder Erbbauberechtigten (§ 11 Abs. 3
VermKatG NRW a. F.), die festgehaltene Person bzw. den Wohnungsinhaber (§§ 37
Abs.1, 42 Abs. 3 PolG NRW), den Verurteilten (§ 18 Abs. 1 GnO NRW) oder eben die
Öffentlichkeit (§ 9 Abs. 3 Nr. 1 UVPG, § 10 Abs. 3 und 8 BImschG, § 8 Abs. 1 der 9.
BImschV). Insofern lässt sich aus den angeführten Vorschriften nicht herleiten, die
Verwendung der Formulierung "bekannt zu geben" ohne zusätzliche Angabe des
Adressaten schließe eine Bekanntgabe an die Öffentlichkeit aus.
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Zudem stützt das Verwaltungsgericht seine Auffassung maßgeblich auf die
systematische Auslegung von § 3 a Satz 2 Halbsatz 2 UVPG und verweist darauf, dass
der Vorschrift bei der von der Klägerin vertretenen Auslegung lediglich deklaratorische
Bedeutung zukäme. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass § 3 a Satz
2 UVPG in seiner Gesamtheit die Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Ergebnis der
Vorprüfung betreffend die UVP- Pflichtigkeit regelt, und zwar differenziert je nach
positivem oder negativem Ausgang. Im ersten Fall lässt er das passive Abwarten eines
Antrags auf Zugang zu den entsprechenden Umweltinformationen ausreichen, bei
negativem Ausgang sieht er ein aktives Handeln der Behörde vor.
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Vgl. Sangenstedt in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band III, Kommentar, Stand
August 2002, § 3 a UVPG, Rdnrn. 14ff., und Dienes in: Hoppe, UVPG, Kommentar, 2.
Auflage 2002, § 3 a, Rdnr. 7. Ebenso Balla u.a., UPR 2006, 17,19.
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Dass es in § 3 a Satz 2 UVPG insgesamt nur um die Unterrichtung der Öffentlichkeit
geht, wird bereits daran deutlich, dass beide Fälle im selben Satz lediglich getrennt
durch ein Semikolon behandelt werden. Beträfe lediglich der 1. Halbsatz die
Unterrichtung der Öffentlichkeit, während der 2. Halbsatz sich mit der Unterrichtung des
Vorhabenträgers hätte befassen wollen, hätte es nahe gelegen, wegen des
unterschiedlichen Regelungsgehalts getrennte Sätze zu bilden.
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Für diese Auslegung sprechen entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch die
Gesetzesmaterialien. Der Einwand der Klägerin, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit habe die Modifizierung des § 3 a Satz 2 Halbsatz 2 UVPG damit
begründet, dass es sich bei der Feststellung, ob eine UVP durchzuführen sei, nicht um
eine förmliche Entscheidung der zuständigen Behörde i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG
handele, deshalb sei zur Klarstellung - wie vorgeschlagen - zu formulieren, führt nicht
weiter. Die Art der Entscheidung gibt keinen Aufschluss für die Frage, wem diese
bekannt zu geben ist. Dieser Teil der Begründung bezieht sich zudem, wie sich aus der
Überschrift "Zu Artikel 1 Nr. 5 - § 3 a Satz 2 und 3 (neu) UVPG" in Verbindung mit dem
folgenden Text ergibt, auf Satz 3 von § 3 a UVPG. Letzterer schließt wegen der
fehlenden Verwaltungsaktqualität - insoweit tatsächlich klarstellend - ausdrücklich eine
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selbständige Anfechtbarkeit der Entscheidung aus. Erst der folgende Absatz der
näheren Begründung beschäftigt sich mit Satz 2 der Norm. Wie dem Einleitungssatz mit
dem Hinweis auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur
Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei
bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, Abl. L 73 vom 14. März 1997, S. 5-15,
zu entnehmen ist, geht es dabei nur um die Frage der Unterrichtung der Öffentlichkeit.
Insoweit wird festgestellt, dass es einer einzelfallbezogenen Bekanntgabe nur in den
Fällen eines negativen Ausgangs der Vorprüfung bedarf. Habe die Vorprüfung ergeben,
dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, sei eine gesonderte
Bekanntgabe nicht erforderlich, weil die Öffentlichkeit im weiteren Fortgang des
Verfahrens nach § 9 UVPG über diese Ergebnis unterrichtet werde. Im Übrigen kämen
die Vorschriften über das Umweltinformationsgesetz zur Anwendung.
Vgl. BT-Drs 14/5750, Seite 127.
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Hieraus folgt, dass die gesetzliche Regelung die umfassende Unterrichtung der
Öffentlichkeit sicherstellen will und nicht die Bekanntgabe der Entscheidung an den
Vorhabenträger im Blick hat.
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Das vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil vertretene Verständnis des § 3 a
Satz 2 UVPG entspricht im Übrigen dem "Leitfaden zur Vorprüfung des Einzelfalls im
Rahmen der Feststellung der UVP-Pflicht von Projekten". Diese von Fachleuten des
Bundes und der Länder für das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung im Anschluss
an die Einführung von § 3 a UVPG mit Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001 erarbeitete
Arbeitshilfe für den Vollzug des UVP-Gesetzes geht ebenfalls davon aus, dass für die
Behörde eine Pflicht zur aktiven Veröffentlichung (z.B. Amtstafel, Amtsblatt etc.) besteht.
Entspräche diese der Vollzugspraxis an die Hand gegebene Auslegung nicht dem
Willen des Gesetzgebers, hätte es sich aufgedrängt, dass dieser einen abweichenden
Willen gesetzlich klargestellt hätte.
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Die Rüge der Klägerin, der Gesetzgeber habe bewusst den Formulierungsvorschlag der
Ausschüsse im Bundesrat "soll eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterbleiben, ist
dies ortsüblich bekannt zu machen" nicht übernommen, sondern die Fassung " ..., ist
dies bekannt zu geben" gewählt, vermag ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufzuzeigen. Insoweit verkennt
die Klägerin, dass die Anforderungen an eine ortsübliche Bekanntmachung ggfs.
umfassender (und kostenintensiver) sein können als an die nun durch das Gesetz
eröffnete flexiblere Handhabungsmöglichkeit, die gerade keine bestimmte Form der
Bekanntgabe vorschreibt. Die Klägerin kann auch aus der Verwendung des
Formulierung "bekannt zu geben" statt "bekannt zu machen" nichts zu ihren Gunsten
herleiten. Wie sich aus § 41 Abs. 4 VwVfG ergibt, ist die (ortsübliche) Bekanntmachung
eine Form der öffentlichen Bekanntgabe, der Begriff Bekanntgabe also der
umfassendere.
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2. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich ferner nicht die behaupteten besonderen
tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (Zulassungsgrund nach
§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) entnehmen. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage nach
der tatsächlichen Bedeutung des § 3 a Satz 2 Halbsatz 2 UVPG zeigt keine Problematik
auf, die über den durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad verwaltungsgerichtlicher
Verfahren hinausgeht. Gleiches gilt für den Vortrag, es lasse sich nur schwer
nachvollziehen, was der Gesetzgeber mit der letztlich Gesetz gewordenen Fassung der
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Norm erreichen wollte. Der Regelungsinhalt lässt sich ohne Weiteres mit den
allgemeinen juristischen Auslegungsregeln ohne Durchführung eines
Berufungsverfahrens erschließen. Insoweit wird auf die Ausführungen zu 1. verwiesen.
3. Schließlich hat die Klägerin auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht hinreichend dargelegt. Die
Zulassungsschrift enthält keine durchgreifenden Erwägungen, weshalb zur Klärung der
von der Klägerin aufgeworfenen Frage,
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ob § 3 a Satz 2 Halbsatz 2 UVPG die öffentliche Bekanntmachung regelt,
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die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich sein sollte. Nach dem
vorstehend unter 1. Dargestellten lässt sich die Frage vielmehr bereits im
Zulassungsverfahren eindeutig anhand des Wortlauts der Norm, der Systematik und der
Gesetzesmaterialien im Sinne der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beantworten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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