Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 06.09.2001

OVG NRW: gewerbe, maler, verfügung, erstreckung, gesellschaft, einzelfirma, unverzüglich, zustellung, zwangsgeld, niederlassung

Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 2356/00
Datum:
06.09.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 A 2356/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 3 K 9173/98
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert.
Nr. I. der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 30. Juli 1998 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf
vom 14. September 1998 wird aufgehoben.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger und der
Beklagte jeweils zur Hälfte. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen
dem Beklagten zur Last.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit
in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Der Kläger war seit Januar 1960 in der Gemeinde Korschenbroich mit dem Gewerbe
"Maler und Lackierer" (Einzelfirma) selbstständig tätig. Durch bestandskräftigen
Bescheid vom 18. Mai 1977 untersagte ihm der Oberkreisdirektor des Kreises Neuss auf
Dauer die weitere selbstständige Ausübung dieses Gewerbes. Der Kläger meldete sein
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Gewerbe daraufhin ab.
Nachdem er am 17. April 1998 angezeigt hatte, dass er seit Anfang April 1998 im
Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Herrn O. T. das Gewerbe "Maler-
und Lackiererbetrieb" ausübe, traf der Beklage mit Ordnungsverfügung vom 30. Juli
1998 folgende Regelungen:
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"I. Auf der Grundlage meiner Ordnungsverfügung vom 18.05.1977, rechtskräftig seit dem
22.11.1977, mit der ich Ihnen auf Dauer die selbstständige Ausübung des Gewerbes
"Maler und Lackierer" untersagt habe, erstrecke ich die Gewerbeuntersagungsverfügung
hiermit auf die Ausübung aller Gewerbe. Darüber hinaus untersage ich Ihnen auch eine
Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und eine Tätigkeit als
mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person.
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II. Gleichzeitig ordne ich an, dass Sie ihre gewerblichen Tätigkeiten, ausgehend von
Ihrer Niederlassung in 5. L. , P. straße 15, unverzüglich nach Zustellung dieser
Verfügung einzustellen und den Betrieb zu schließen haben. Die Betriebsschließung
wird unter der Maßgabe angeordnet, dass eine Nutzung der Wohnung zu
Wohnzwecken nicht beeinträchtigt wird.
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III. Für den Fall der Nichtbeachtung der Gewerbeuntersagung oder der
Schließungsverfügung drohe ich Ihnen hiermit jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von
7.500,- DM an."
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Zur Begründung führte er u.a. aus, die Erstreckung der bestehenden
Gewerbeuntersagung sei erforderlich, da der Kläger deutlich gemacht habe, dass eine
eingeschränkte Gewerbeuntersagung nicht ausreiche, ihn dauerhaft von jeder
selbstständigen Tätigkeit fernzuhalten. Daher sei auch zu verhindern, dass er sich in
anderen Gewerben betätige und dadurch die Allgemeinheit erneut schädige. Eine
Untersagung jeder Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und
jeder Tätigkeit als mit der Leitung eines Betriebes beauftragten Person sei zwingend
geboten, da hierdurch ausgeschlossen werden solle, dass er unter dem Deckmantel
einer leitenden Tätigkeit weiterhin sein Gewerbe ausübe.
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Der Kläger legte Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Düsseldorf mit
Widerspruchsbescheid vom 14. September 1998 zurückwies und dabei den Tenor der
angefochtenen Verfügung unter II. und III. wie folgt änderte:
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II. Gleichzeitig ordne ich an, dass Sie ihre gewerblichen Tätigkeiten, ausgehend von
Ihrer Niederlassung in 5. L. , P. straße 15, unverzüglich nach Zustellung dieser
Verfügung einzustellen haben.
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III. Für den Fall der Nichtbeachtung der Gewerbeuntersagung und
Einstellungsanordnung drohe ich Ihnen hiermit jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von
7.500,- DM an."
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In der Begründung heißt es u.a.: Die Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO setze
allerdings in der Regel voraus, dass von der Verwaltungsbehörde mindestens ein
tatsächlich betriebenes Gewerbe untersagt werde ("auch"). Eine isolierte erweiterte
Untersagung sei bei der Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO grundsätzlich
unzulässig. Die Untersagung eines konkret ausgeübten Gewerbes sei in diesem Fall
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jedoch weder möglich noch erforderlich, da dem Kläger bereits durch die
bestandskräftige Untersagungsverfügung vom 18. Mai 1977 die selbstständige
Ausübung des Gewerbes "Maler und Lackierer" auf Dauer untersagt worden sei.
Der Kläger hat Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht durch das angefochtene
Urteil im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides
abgewiesen hat.
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Durch Beschluss vom 6. Februar 2001 hat der Senat die Berufung insoweit zugelassen,
als sich die Klage gegen die erweiterte Gewerbeuntersagung (I. der Ordnungsverfügung
vom 30. Juli 1998) richtet. Im Übrigen hat er den Antrag des Klägers auf Zulassung der
Berufung abgelehnt.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und Nr. I. der Ordnungsverfügung des Beklagten vom
30. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung
Düsseldorf vom 14. September 1998 aufzuheben.
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Der Beklagte stellt keinen Antrag.
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Er weist darauf hin, dass der Kläger nicht das frühere Gewerbe als Einzelfirma unter der
ehemaligen Betriebsanschrift fortgeführt, sondern ein gleich bezeichnetes Gewerbe im
Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an anderer Stelle neu begonnen habe.
Dem Wortlaut der angefochtenen Verfügung sei zu entnehmen, dass auch das erneut
betriebene Gewerbe habe untersagt werden sollen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte nebst Verwaltungsvorgängen Bezug genommen. II.
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Der Senat entscheidet gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die
Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich hält. Den Beteiligten ist zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
worden.
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Nr. I. der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 30. Juli 1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 14. September 1998 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Beklagte hat damit die am vom 18. Mai 1977 verfügte Untersagung der weiteren
selbstständigen Ausübung des Gewerbes "Maler und Lackierer" gemäß § 35 Abs. 1
Satz 2 GewO auf andere (nicht ausgeübte) Gewerbe und unselbstständig leitende
Tätigkeiten erstreckt.
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Entgegen der vom Beklagten jetzt vertretenen Auffassung kann keine Rede davon sein,
dass dem Kläger zugleich das im April 1998 neu begonnene Gewerbe "Maler und
Lackiererbetrieb" gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO untersagt worden ist. Angesichts der
bestandskräftigen Untersagungsverfügung vom 18. Mai 1977 haben die Behörden von
einer Untersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vielmehr ausdrücklich abgesehen.
Der Ausgangsbescheid vom 30. Juli 1998 spricht demgemäß von der "Erstreckung der
bestehenden Gewerbeuntersagung" und im Widerspruchsbescheid wird
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hervorgehoben, dass wegen der bestandskräftigen Untersagungsverfügung die
Untersagung eines konkret ausgeübten Gewerbes weder möglich noch erforderlich sei.
Dem liegt offenbar die - zutreffende - Erwägung zugrunde, dass die im April 1998
begonnene selbständige gewerbliche Tätigkeit ("Maler- und Lackiererbetrieb")
derjenigen entspricht, die der Kläger schon früher ausgeübt hat und die ihm dann im
Jahre 1977 untersagt worden ist ("Maler und Lackierer"). Dass der Kläger seinem
Gewerbe jetzt nicht mehr im Rahmen einer Einzelfirma, sondern im Rahmen einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts und an einer anderen Betriebsstätte nachgeht, ist in
diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Erstreckung
der Untersagungsverfügung auf andere Gewerbe oder unselbstständig leitende
Tätigkeiten aber nur in verfahrensmäßiger Verbindung mit einer Untersagungsverfügung
nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO erfolgen.
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Vgl. Urteile vom 19. Dezember 1995 - 1 C 3.93 -, BVerwGE 100, 187 = GewArch 1996,
241 = NVwZ 1997, 278, vom 16. März 1982 - 1 C 124.80 -, GewArch 1982, 303, 304 und
vom 2. Februar 1982 - 1 C 17.79 -, BVerwGE 65, 9 = DVBl. 1982, 698.
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Diese Auffassung wird auch in der Literatur geteilt.
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Heß in Friauf, GewO, § 35 Rn. 87 (Stand: März 2001); Marcks in Landmann- Rohmer,
GewO, § 35 Rn. 87/88 (Stand: Februar 2000).
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Eine erweiterte Gewerbeuntersagung ist deshalb nur zulässig, wenn in demselben
Verfahren zumindest ein tatsächlich betriebenes Gewerbe nach Maßgabe von § 35 Abs.
1 Satz 1 GewO untersagt wird. An dieser Voraussetzung fehlt es hier.
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Von diesen rechtlichen Erwägungen abgesehen bestand für eine isolierte erweiterte
Gewerbeuntersagung auch praktisch gar keine Notwendigkeit. Eine Gewerbeausübung
entgegen der Untersagungsverfügung vom 18. Mai 1977 konnte der Beklagte wirksam
durch eine Maßnahme nach § 35 Abs. 5 GewO - diese Vorschrift ist erst mit Wirkung ab
1. Oktober 1998 aufgehoben worden - und durch die Androhung bzw. Anwendung von
Zwangsmitteln verhindern. Von dieser Möglichkeit hat er in der angefochtenen
Verfügung unter Nrn. II. und III. auch Gebrauch gemacht. Sollte der Kläger ein anderes
als das im Mai 1977 untersagte Gewerbe ausüben oder unselbstständige Vertretungs-
oder Leitungstätigkeiten übernehmen und hierfür gewerberechtlich unzuverlässig sein,
bieten § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO und § 35 Abs. 7 a GewO hinreichende Handhaben, um
dies zu unterbinden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über deren
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und entspricht der
ständigen Streitwertpraxis des Senats.
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