Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.03.2005

OVG NRW: ausweisung, befristung, wiederholungsgefahr, aufenthaltserlaubnis, staatsangehörigkeit, bewährung, ausnahme, reststrafe, abschiebung, vollzug

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberverwaltungsgericht NRW, 18 A 4394/03
23.03.2005
Oberverwaltungsgericht NRW
18. Senat
Beschluss
18 A 4394/03
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 6203/01
Ausweisung Befristung der Wirkung Beurteilungszeitpunkt
AufenthG § 11 Abs. 1 Satz 3
Im Rahmen der Befristung der Wirkung einer Ausweisung beurteilt sich
die Frage, ob eine Ausnahme von der Regel des § 11 Abs. 1 Satz 3
AufenthG vorliegt und deshalb keine Befristungsentscheidung ergehen
darf, nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung in der Tatsacheninstanz, wohingegen für die Frage,
inwieweit im Rahmen des der Ausländerbehörde insoweit eröffneten
Ermessens die Wirkung der Ausweisung zeitlich zu befristen ist, der
Zeitpunkt des Erlasses der letzten behördlichen Entscheidung
maßgeblich ist.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 4.000,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 10. Juli 2001, mit
der die Wirkung der gegen den Kläger durch Ordnungsverfügung vom 29. Februar 2000
erlassenen Ausweisung nachträglich auf den 20. März 2010 befristet worden ist, als
rechtfehlerfrei angesehen. Hiergegen wird im Zulassungsantrag vorgetragen, im Rahmen
der Entscheidung über die nachträgliche Verkürzung der Sperrfrist sei zu Unrecht der
Umstand außer Betracht gelassen worden, dass die Ehefrau des Klägers seit dem
11. Dezember 2001 die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Ohne die Sperrwirkung der
Ausweisung hätte der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Auch sei unberücksichtigt geblieben, dass der Kläger wegen einer günstigen
Sozialprognose in den offenen Vollzug gekommen und die Reststrafe zur Bewährung
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ausgesetzt worden sei. Im Rahmen der getroffenen Ermessensentscheidung fehlten
Ausführungen zu allen diesen Punkten. Soweit auf eine von dem Kläger ausgehende
Wiederholungsgefahr abgestellt worden sei, würden dafür keine Tatsachen benannt. Aus
diesen Gründen sei die getroffene Ermessensentscheidung rechtsfehlerhaft.
Diese Einwände greifen nicht durch. Es ist in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, dass die
im Zeitpunkt der Abschiebung des Klägers noch nicht vollstreckte Reststrafe zur
Bewährung ausgesetzt worden ist. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft lediglich gemäß §
456 a StPO von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Ablauf des 13. März
2001 unter der Voraussetzung abgesehen, dass "die Ausweisung des Klägers tatsächlich
durchgeführt wird." Infolge dieser Entscheidung ist der Kläger dann am 20. März 2001 in
die Türkei abgeschoben worden.
Soweit der Kläger vor seiner Abschiebung einen Teil seiner Strafe im offenen Vollzug
verbüßt hat, fehlt es im Zulassungsantrag an nachvollziehbaren Darlegungen, inwieweit
diesem Umstand im Rahmen der gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG (jetzt § 11 Abs. 1 Satz 3
AufenthG) von dem Beklagten getroffenen Ermessenentscheidung mit Blick auf die mit der
Ausweisung des Klägers verfolgten Zwecke eine Bedeutung dahingehend beizumessen
wäre, dass deswegen die Wirkung der Ausweisung kürzer als von dem Beklagten verfügt
befristet werden müsste.
Ebenso wenig wird im Zulassungsantrag konkret dargelegt, welche nachträglich
eingetretenen Umstände die Annahme rechtfertigen könnten, dass von dem Kläger, der
wegen eines von ihm begangenen Rauschgiftdeliktes (Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) aus spezialpräventiven Gründen ausgewiesen
worden ist, die im Rahmen der Ausweisung festgestellte Wiederholungsgefahr nicht mehr
ausgeht. Die Ausführungen im Zulassungsantrag erschöpfen sich in dem Einwand,
Tatsachen für eine Wiederholungsgefahr seien weder in der Verfügung des Beklagten vom
10. Juli 2001 noch in dem angefochtenen Urteil benannt. Dies lässt unberücksichtigt, dass
im Rahmen der Ausweisung zuletzt durch Widerspruchsbescheid vom 10. August 2001
und damit zeitnah zu der Ordnungsverfügung vom 10. Juli 2001 sowie dem dazu
ergangenen Widerspruchsbescheid vom 24. September 2001 erfolgten Befristung der
Wirkung der Ausweisung eine von dem Kläger ausgehende konkrete Wiederholungsgefahr
aus der Art der vom Kläger begangenen Straftat, sowie vor allem aus seinen
Lebensumständen zur Tatzeit und seiner Bereitschaft, sich aus finanziellen Gründen am
Rauschgifthandel zu beteiligen, abgeleitet worden ist. Inwieweit unter Berücksichtigung
dieses Hintergrundes eine kürzere als die vom Beklagten verfügte Befristung rechtlich
geboten sein könnte, wird im Zulassungsantrag nicht dargelegt.
Der Umstand, dass die Ehefrau des Klägers seit dem 11. Dezember 2001 die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzt, konnte schon deshalb außer Betracht bleiben, weil diese
Tatsache erst nach Erlass des den Prozessbevollmächtigten am 1. Oktober 2001
zugestellten Widerspruchsbescheides und damit nach der letzten verwaltungsbehördlichen
Entscheidung eingetreten ist. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass bei
Verpflichtungsklagen, die auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung
gerichtet sind, insoweit auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen ist, als es um die Frage geht, ob schon
aus Rechtsgründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden muss oder keine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf. Demgegenüber ist für die Überprüfung von
Ermessensentscheidungen über Aufenthaltsgenehmigungen der Zeitpunkt des Erlasses
der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich ist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 1997 - 1 B 5/97 -, Amtliche Sammlung
der Rechtsprechung des BVerwG (Buchholz) 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 8
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Dies gilt in gleicher Weise für die Befristung der Wirkungen einer Ausweisung. Ob eine
Ausnahme von der Regel des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG (jetzt § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG)
vorliegt und deshalb keine Befristungsentscheidung ergehen darf, bestimmt sich daher
nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der
Tatsacheninstanz,
vgl. BVerwG, Urteil vom 11. August 2000 – 1 C 5.00 -, BVerwGE 111, 369 =
Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 19,
wohingegen für die Frage, inwieweit im Rahmen des der Ausländerbehörde insoweit
eröffneten Ermessen die Wirkung der Ausweisung zeitlich zu befristen ist, der Zeitpunkt des
Erlasses der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich ist.
Im übrigen ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein Ausländer, der mit einem deutschen
Staatsangehörigen verheiratet ist, nicht allein deswegen eine Befristung der Wirkung einer
Ausweisung verlangen kann.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 1996 – 1 B 194.95 -, Buchholz 402.240 § 8
Nr. 5 = InfAusR 1996, 303; Beschluss vom 27. Juni 1997 – 1 B 126.97 -, Buchholz 402.240
§ 8 Nr. 13; Urteil vom 11. August 2000 – 1 C 5.00 -, a.a.O.
Maßgeblich sind insoweit immer die Verhältnisse des Einzelfalles. Insoweit weist der Senat
ergänzend darauf hin, dass der Beklagte in durchaus sachgerechter Einschätzung der
Rechtslage mit Blick auf die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau dem Kläger eine
weitere Verkürzung der Befristung der Wirkung der Ausweisung auf den 20. März 2008
bzw. bei vom Kläger nachgewiesener Straffreiheit im Heimatland und Sicherstellung seines
Lebensunterhaltes auf den 20. September 2005 in Aussicht gestellt hat. Dass eine solche
in Aussicht gestellte Entscheidung rechtsfehlerhaft sein könnte, ist auch unter
Berücksichtigung des Vorbringens im Zulassungsantrag nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und
3 GKG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig.