Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.02.2004

OVG NRW: polizei, anwendungsbereich, rückgriff, vorrang, vernachlässigung, bewährung, anschluss, beförderung, erlass, datum

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 2395/03
Datum:
27.02.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 2395/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 4 L 1120/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außerge- richtlichen Kosten des Beigeladenen zu 3.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. tragen ihre außerge- richtlichen Kosten
selbst.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e:
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Die Beschwerde ist nicht begründet. Die mit ihr dargelegten Gründe, auf deren Prüfung
das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), führen nicht zu einem Erfolg des Rechtsmittels.
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Der Antragsteller erstrebt die vorläufige Nichtbesetzung von zwei im Bereich des
Polizeipräsidiums C. zu besetzenden Beförderungsplanstellen der Besol-dungsgruppe
A 12. Die Planstellen sollen mit den Beigeladenen zu 2. und 3. besetzt werden. Nach
der von dem Polizeipräsidium C. unter Berücksichtigung des Gesamturteils der letzten
sowie der vorletzten Regelbeurteilung getroffenen Auswahlentscheidung kommen der
Antragsteller und der Beigeladene zu 1. für eine Beförderung nicht in Betracht.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abgelehnt. Der Antragsgegner sei berechtigt und verpflichtet gewesen, die
Beigeladenen zu 2. und 3. bei der Auswahlentscheidung vorzuziehen, weil diese bei
der vorletzten Regelbeurteilung im Jahr 19 besser beurteilt worden seien. Nach der
Ausgestaltung des Beurteilungssystems im Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-
Westfalen sei es geboten, auch ältere Beurteilungen bei Auswahlentscheidungen
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maßgeblich heranzuziehen.
Mit seiner Beschwerde hat der Antragsteller innerhalb der Beschwerde-begründungsfrist
geltend gemacht: Der Antragsgegner sei mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass auf-grund des besseren
Gesamturteils in der vorletzten Regelbeurteilung zwingend die Beigeladenen zu 1. und
2. zu befördern seien. Da das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige
Rechtsprechung aber nicht ausdrücklich aufgegeben habe, könnten dessen
Entscheidungen vom 19. Dezember 2002 und vom 27. Februar 2003 auch dahingehend
interpretiert werden, dass der Gesichtspunkt der "Leistungsent-wicklung" zwar als ein
Beförderungskriterium zu berücksichtigen sei, aber eben nur neben den Hilfskriterien.
Hiermit habe sich das Verwaltungsgericht nicht ausein- andergesetzt. Darüber hinaus
habe das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinem Beschluss vom 6. Oktober 2003
(Az. 1 L 1950/03) zutreffend ausgeführt, dass der Leistungsentwicklung nach den
Beurteilungsrichtlinien für den Bereich der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen (vgl.
Runderlass des Innenministeriums vom 25. Januar 1996, MBl. NRW S. 278, in der
jeweils gültigen Fassung - BRL Pol -) kein zwingender Vorrang gebühre. Es sei auch
nicht mit § 25 Abs. 6 Satz 2 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen
(LBG) vereinbar, wenn dem Kriterium "Leistungsentwicklung" zwingend Vorrang vor der
Frauenförderung einzuräumen wäre.
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Dieses Vorbringen rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und
die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 6 B 2172/03 - (juris
Rechtsprechung Nr. MWRE204011732) im Anschluss an die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung älterer Beurteilungen Folgendes ausgeführt:
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"Für Auswahlentscheidungen sind nach dieser Rechtsprechung in erster Linie aktuelle
Beurteilungen maßgebend, die den gegenwärtigen Leistungsstand wiedergeben. Ältere
dienstliche Beurteilungen können daneben als zusätzliche Erkenntnismittel
berücksichtigt werden. Sie stellen keine Hilfskriterien für die Auswahlentscheidung dar.
Es handelt sich vielmehr um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche
Leistung des Beurteilten Aufschluss geben und die deswegen gegenüber Hilfskriterien
vorrangig heranzuziehen sind. Zwar verhalten sie sich nicht zum aktuell erreichten
Leistungsstand im gegenwärtigen statusrechtlichen Amt. Gleichwohl können sie
Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt
ermöglichen. Sie können im Rahmen einer Gesamtwürdigung der vorhandenen
dienstlichen Beurteilungen positive oder negative Entwicklungstendenzen aufzeigen.
Das gilt auch für in früheren Beurteilungen enthaltene Einzelaussagen über
Charaktereigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen. Die
zusätzliche Berücksichtigung vorangegangener dienstlicher Beurteilungen bei der
Auswahl ist deswegen mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG geboten, wenn eine
Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten
Beamten zu treffen ist.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, DÖD 2003,
200, Urteil vom 27. Februar 2003 - 2 C 16.02 -, IÖD 2003, 170; Urteil vom 21. August
2003 - 2 C 14.02 -, Juris-Dokument Nr. WBRE 410010345.
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Die bisherige Rechtsprechung des Senats stimmt mit diesen Erwägungen im Grundsatz
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überein. Der Senat hat es auch schon bisher für unbedenklich erachtet, dass bei
Auswahlentscheidungen dienstliche Beurteilungen, die mit gleichlautenden
Gesamturteilen abschließen, über die Endnote hinaus für den Qualifikationsvergleich
ausgewertet werden.
Vgl. Beschluss vom 27. September 1996
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- 6 B 2009/96 -.
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Das damit angestrebte Ziel einer Differenzierung bereits auf der Qualifikationsebene
und die hierfür maßgeblichen Gründe lassen ein ebensolches Vorgehen des
Dienstherrn auch in Bezug auf frühere Beurteilungen zu. Dabei bieten sich neben den
Einzelfeststellungen auch und gerade deren Gesamtergebnisse als Anknüpfungspunkt
für den Qualifikationsvergleich an. Die von dem Senat für möglich gehaltene
Heranziehung der Leistungsentwicklung als sogenanntes Hilfskriterium steht hierzu
nicht in Widerspruch. Für diese Praxis, die bei den Behörden im Geschäftsbereich des
Senats so gut wie keine Rolle spielt, verbleibt freilich nur ein eingeschränkter
Anwendungsbereich: Als Hilfskriterium kann die Leistungsentwicklung nur dann zum
Tragen kommen, wenn und soweit dieser Aspekt nicht bereits im Rahmen des
Qualifikationsvergleiches berücksichtigt worden ist oder hätte berücksichtigt werden
müssen."
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An dieser Rechtsprechung ist auch unter Würdigung des gegenteiligen Standpunkts der
Beschwerde festzuhalten.
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Die Berücksichtigung von Vorbeurteilungen nach dieser Rechtsprechung führt entgegen
der Ansicht des Antragstellers nicht zur einer unzulässigen Zurückdrängung des
Kriteriums der "Frauenförderung". Nach § 25 Abs. 6 Satz 2 LBG ist dieses Kriterium
(erst) bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorrangig
heranzuziehen. Die Vorbeurteilungen werden aber nicht im Rahmen des Hilfskriteriums
"Leistungsentwicklung", sondern bereits auf der Ebene des Quali-fikationsvergleichs
herangezogen. Dies erfolgt im Übrigen "geschlechtsneutral", kann also auch dazu
führen, dass eine Bewerberin als besser qualifiziert einzustufen ist.
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Die BRL Pol schließen eine Heranziehung von Vorbeurteilungen ebenfalls nicht aus.
Hierzu hat der Senat in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2003 (a.a.O.) mit Be-zug
auf den von dem Antragsteller angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen ausgeführt:
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"Der Senat vermag dem Verwaltungsgericht nicht darin zu folgen, dass das
Beurteilungssystem selbst die Vernachlässigung der Vorbeurteilungen rechtfertigte. Im
Gegenteil legte das Beurteilungssystem den Rückgriff auf frühere Beurteilungen gerade
nahe. Das Beurteilungssystem ist aufgrund der Beurteilungsrichtlinien stark
schematisiert, indem z.B. feste Beurtei-lungsstichtage mit einem relativ engen Abstand
von nur 3 Jahren vorgesehen sind, auf Bedarfsbeurteilungen weitgehend verzichtet
wird, Richtsätze für die oberen Notenstufen aufgestellt und ins Einzelne gehende
Vorgaben für die Vergleichsgruppenbildung gemacht werden. Das soll dazu dienen, die
dienstlichen Beurteilungen der Beamten auch behördenübergreifend, d.h. landesweit
vergleichbar zu machen. Die Einzelaussagen dürften dabei angesichts der Verwendung
eines standardisierten "Beschreibungskatalogs" freilich in den Hintergrund treten. Um
so bedeutsamer sind aber die Gesamturteile der früheren Beurteilungen. Sie
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ermöglichen nämlich gerade wegen der Schematisierung des Beurteilungssystems eine
vergleichende Betrachtung. Eine darauf gestützte Gesamtwürdigung kann deshalb
positive oder negative Entwicklungstendenzen aufzeigen, auf deren Grundlage
Qualifikationsunterschiede zwischen den Bewerbern feststellbar werden."
Hieraus folgt, dass im Anwendungsbereich der BRL Pol bei gleichen aktuellen
Beurteilungen der Rückgriff auf frühere Beurteilungen dem Regelfall entsprechen wird.
Demgemäß kann der Dienstherr - anders als im umgekehrten Fall - übrigens nicht
gehalten sein, eine solche Vorgehensweise gesondert zu begründen.
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Soweit sich der Antragsteller mit Schriftsatz vom 200 noch darauf berufen hat, dass der
Beigeladene zu 2. in der aktuellen Regelbeurteilung bei dem Hauptmerkmal
"Mitarbeiterführung" (nur) mit 4 Punkten bewertet worden sei, kann dies im vorliegenden
Verfahren keine Berücksichtigung finden, weil dieser Einwand nicht innerhalb der
Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO geltend gemacht worden ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen zu 1. und zu 2. sind - anders als die des Beigeladenen zu 3. - nicht
erstattungsfähig, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko
ausgesetzt haben (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 des
Gerichtskostengesetzes.
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