Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.11.2005

OVG NRW: berufliche ausbildung, konkurrierende zuständigkeit, genehmigung, berechtigung, bezirk, ausschluss, mechaniker, berufsausbildung, ermächtigung, handwerk

Oberverwaltungsgericht NRW, 4 A 2432/03
Datum:
30.11.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 A 2432/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 1 K 1906/99
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin möchte in ihrem Innungsbezirk für das Kraftfahrzeugtechniker-Handwerk
überbetriebliche Unterweisung im innungseigenen Bildungszentrum I. -H. durchführen
und als Trägerin dieser Maßnahme anerkannt werden. Auf Kammerebene - und damit
auch für den Innungsbezirk der Klägerin - wird diese Aufgabe bereits durch die Beklagte
wahrgenommen.
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Mit Schreiben vom 17. Dezember 1997 stellte die Klägerin für ihr Vorhaben einen
entsprechenden Antrag bei der Beklagten und wies zur Begründung darauf hin, dass die
ihrer Rechtsvorgängerin, der Kraftfahrzeuginnung C. , erteilte Genehmigung auf sie
übergegangen sei. Sämtliche für die Durchführung der Ausbildungsmaßnahme
erforderlichen Vorausetzungen lägen vor. Durch Bescheid vom 23. Juli 1998 lehnte die
Beklagte den entsprechenden Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus:
Die Klägerin sei nicht als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Kraftfahrzeuginnung C.
Trägerin der überbetrieblichen Unterweisung für ihren Innungsbezirk geworden. Denn
diese Innung habe mit der Schließung der überbetrieblichen Unterweisungsstätte in I1.
die Durchführung der überbetrieblichen Unterweisung endgültig aufgegeben. Im
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Anschluss daran habe sie anstelle der Innung diese Aufgabe wahrgenommen. Ein
Anspruch der Klägerin auf Übertragung der Trägerschaft ergebe sich auch nicht aus § 3
Abs. 1 der Rechtsvorschriften zur Durchführung der überbetrieblichen Unterweisung
(RVO), weil der danach erforderliche besondere unabdingbare Bedarf für die Errichtung
einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte im Innungsbezirk der Klägerin nicht bestehe.
Denn insoweit sei die Durchführung der Ausbildung bereits durch sie gewährleistet.
Eine positive Bescheidung des Antrags der Klägerin werde einen gravierenden
Auslastungseinbruch ihrer eigenen Ausbildungsstätte zur Folge haben und damit zu
einer erheblichen Mehrbelastung der Betriebe des Kraftfahrzeug- Handwerks im
Innungsbezirk L. führen.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, nach den gesetzlichen Regelungen
der Handwerksordnung und der dazu ergangenen Rechtsprechung könnten sowohl die
Handwerkskammern als auch die Innungen die überbetriebliche Unterweisung
durchführen. Eine Konzentration bei den Handwerkskammern dürfe gegen den Willen
der Innungen allerdings nicht erfolgen. Untergesetzliche Vorschriften, die dies vorsähen,
seien unzulässig. § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 2 RVO, die die Übertragung der
Trägerschaft vom Bestehen eines besonderen unabdingbaren Bedarfs und der
Sicherung der Auslastung bestehender Einrichtung abhängig machten, seien wegen
Verstoßes gegen die Handwerksordnung unwirksam.
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Mit Bescheid vom 8. Februar 1999 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin
zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Nach der Handwerksordnung
sei die Handwerkskammer für die Durchführung der überbetrieblichen Ausbildung
primär zuständig. Diese Aufgabe könne zwar auch von den Innungen wahrgenommen
werden; diese seien dazu aber nur insoweit berechtigt, wie dies im Einklang mit den
entsprechenden Vorschriften der Handwerkskammer stehe. Die von der Klägerin
genannten Bestimmungen der RVO verstießen nicht gegen die Handwerksordnung.
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Mit ihrer am 11. März 1999 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt,
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1. festzustellen, dass die Klägerin berechtigt ist, die überbetriebliche Unterweisung der
Lehrlinge des Kfz-Mechaniker-Handwerks des F. im innungseigenen Bildungszentrum I.
-H. durchzuführen,
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hilfsweise,
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2. die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 23. Juli 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1999 zu verpflichten, der Klägerin
zum nächstmöglichen Zeitpunkt die überbetriebliche Unterweisung der Lehrlinge des
Kfz-Mechaniker-Handwerks des F. im innungseigenen Bildungszentrum I. -H. zu
gestatten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. März 2003 (GewArch 2003,
256) abgewiesen.
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Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Hauptantrag sei unbegründet. Eine
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Berechtigung der Klägerin zur Durchführung überbetrieblicher Unterweisung ergebe
sich weder aus der RVO noch unmittelbar aus der Handwerksordnung (HwO). § 2 Abs.
4 RVO berechtige nur diejenigen Träger, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der RVO
im Jahre 1994 bereits Träger der überbetrieblichen Unterweisung gewesen seien, diese
Aufgabe weiterhin wahrzunehmen. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin nicht.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe mit Beschluss vom 18. Juni 1993 festgelegt,
dass die überbetriebliche Unterweisung ihrer Lehrlinge zukünftig im
Ausbildungszentrum der Beklagten erfolgen solle. Die auf § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO
beruhende Berechtigung einer Innung, überbetriebliche Unterweisung durchzuführen,
stehe nicht selbstständig neben derjenigen einer Handwerkskammer, sondern sei von
dieser abgeleitet. Daraus folge, dass die Klägerin ohne entsprechende Ermächtigung
der Beklagten die beantragte Maßnahme nicht durchführen dürfe.
Den Hilfsantrag hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, weil nach § 3 Abs. 1 RVO für
die Schaffung neuer überbetrieblicher Ausbildungskapazitäten erforderlich sei, dass ein
besonderer unabdingbarer Bedarf geltend gemacht und begründet werde und
außerdem dieser Bedarf nicht von einem anderen Träger im Bezirk der Beklagten mit
den vorhandenen Kapazitäten erfüllt werden könne. Letztere Voraussetzung liege mit
Blick auf die Ausbildungsstätte der Beklagten nicht vor. Eine "gesetzeskonforme
Auslegung" der Vorschrift sei bereits deshalb nicht möglich, weil diese nicht gegen § 54
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO verstoße. Dass dieses Verständnis von § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
HwO mit höherrangigem Recht nicht in Einklang stehe, sei nicht erkennbar.
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Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt die Klägerin
vor: Sie dürfe ohne vorherige Ermächtigung bzw. Genehmigung überbetriebliche
Unterweisung durchführen. Die Lehrlingsausbildung gehöre nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr.
3 HwO zu den hoheitlichen Aufgaben einer Innung. Sie sei deshalb berechtigt, neben
der Beklagten überbetriebliche Unterweisung durchzuführen. Die vom
Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, ihr stehe dafür lediglich ein von der
Beklagten abgeleitetes Recht zu, finde im Gesetz keine Stütze. Danach bestehe
vielmehr eine konkurrierende Zuständigkeit. Während § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO den
Innungen ausdrücklich die Lehrlingsausbildung übertrage, ergebe sich das Recht der
Handwerkskammer dafür nicht unmittelbar auf Grund des Gesetzes. Nach § 91 Abs. 1
Nr. 4 HwO habe die Handwerkskammer u.a. die Aufgabe, die Berufsausbildung zu
regeln, die Vorschriften hierüber zu erlassen und ihre Durchführung zu überwachen. Zu
der Frage, ob die Handwerkskammer auch selbst überbetriebliche Unterweisung
durchführen dürfe und Trägerin einer Einrichtung dafür sein könne, sei dieser Vorschrift
nichts zu entnehmen. Eine der Regelung des § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO
entsprechende Vorschrift zu Gunsten der Kammer fehle im Gesetz. Gegen die
konkurrierende Zuständigkeit und Berechtigung der Innungen spreche auch nicht der
Umstand, dass die Innungen die Lehrlingsausbildung gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
HwO "entsprechend den Vorschriften der Handwerkskammer" zu regeln hätten. Diese
Formulierung sei im Hinblick auf die Überwachungsfunktion der Handwerkskammer
erforderlich und nur in diesem Sinne zu verstehen. Ein Recht der Beklagten, die
überbetriebliche Unterweisung unter Ausschluss der Innung bei sich zu konzentrieren,
könne weder aus dem Vorbehalt des § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO noch aus der
Pflichtmitgliedschaft hergeleitet werden. Eine "Monopolisierung" der überbetrieblichen
Ausbildung bei der Handwerkskammer widerspreche der Zielsetzung und Aufgabe der
Kammer im Verhältnis zur Innung. Im Übrigen müsse ihr auch nach § 2 Abs. 4 RVO
Bestandsschutz zugute kommen. Zwar habe sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der
RVO tatsächlich keine überbetriebliche Unterweisung durchgeführt; sie habe sich aber
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in dem Zeitraum, in dem sie mangels einer geeigneten Ausbildungsstätte an der
Durchführung der Lehrgänge gehindert gewesen sei, stets als Trägerin der
überbetrieblichen Unterweisung verstanden.
Zur Begründung ihres Hilfsantrags weist die Klägerin darauf hin, dass nach der
Rechtsprechung die Einhaltung eines ausreichenden Qualitätsstandards maßgeblich
sei. Dieser sei gewährleistet. Ihr Bildungszentrum in I. -H. sei vom Zentralverband des
Deutschen Kraftfahrzeughandwerks als Ausbildungsstätte für Abgasuntersuchungen
anerkannt. Soweit § 3 Abs. 1 Satz 1 RVO für eine Kapazitätsausweitung neben dem
Qualitätsstandard noch weitere Voraussetzungen verlange, sei dies mit der
Handwerksordnung nicht vereinbar. Wenn das Verwaltungsgericht darauf abstelle, dass
die Lehrlinge aus den Betrieben des Innungsbezirks auch im Ausbildungszentrum der
Beklagten ausgebildet werden könnten, setze es sich über das vom Gesetzgeber primär
den Innungen zuerkannte Recht auf Lehrlingsausbildung in unzulässiger Weise hinweg.
Die Auslegung des Verwaltungsgerichts, nach der die Handwerkskammer grundsätzlich
die Durchführung der überbetrieblichen Unterweisung unter Ausschluss der Innung bei
sich konzentrieren dürfe, verstoße gegen höherrangiges Recht.
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen zu
erkennen.
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Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie weist darauf hin, dass es der Klägerin gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO
unbenommen sei, überbetriebliche Schulungsmaßnahmen durchzuführen, soweit die
Kammer dies nicht anders geregelt habe. Der Regelungsbereich der RVO umfasse
ausschließlich Ausbildungsmaßnahmen, für die staatlich anerkannte Rahmenlehrpläne
beständen und die von ihrer Vollversammlung gemäß § 5 RVO als verbindlich
beschlossen worden seien. Jenseits dieses Regelungsbereiches stehe der Innung ein
weites genehmigungsfreies Betätigungsfeld offen. Dies werde von den Innungen auch
genutzt. Von einer Konzentrierung oder gar Monopolisierung der
Schulungsmaßnahmen bei der Kammer könne bereits auf Grund der statistischen
Verteilung nicht gesprochen werden. Von den im Jahre 2002 im Kammerbezirk
durchgeführten 2.259 Kursen im Rahmen der überbetrieblichen Unterweisung habe die
Kammer nur 51 % durchgeführt; die übrigen Kurse seien von den Innungen durchgeführt
worden. Die RVO diene nicht einer Monopolisierung der überbetrieblichen
Unterweisung bei der Kammer, sondern vielmehr dem Bestandsschutz zu Gunsten
bestehender Träger. Diesen solle die für die Ausbildungsqualität erforderliche
Planungssicherheit gewährleistet werden. Die Klägerin könne sich im Übrigen auch
nicht auf einen Bestandsschutz nach § 2 Abs. 4 RVO berufen. Allein die Auffassung,
nach wie vor Trägerin zu sein - was im Widerspruch zu allen damaligen Handlungen der
Klägerin stehe - erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm nicht. Abgesehen
davon könne sich ein Bestandsschutz ohnehin nur von der ehemaligen
Kraftfahrzeuginnung C. , deren Innungsbezirk erheblich kleiner, als der heutige Bezirk
der Klägerin gewesen sei, ableiten. Denn durch eine Rechtsnachfolge könnten nur
bestehende Rechte übergehen, eine Rechtsausweitung könne aber nicht bewirkt
werden .
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil
und die Gerichtsakte nebst den Beiakten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist weder mit dem Haupt- (1.) noch mit dem
Hilfsantrag (2.) begründet und deshalb vom Verwaltungsgericht zu Recht abgewiesen
worden.
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1. Der Klägerin steht die mit dem Feststellungsantrag geltend gemachte Befugnis, die
überbetriebliche Unterweisung von Lehrlingen des Kfz-Mechaniker-Handwerks im F1.
im innungseigenen Bildungszentrum I. -Gleul durchzuführen, nicht zu.
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Eine solche Berechtigung folgt insbesondere nicht aus § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO.
Nach dieser Norm hat die Handwerksinnung entsprechend den Vorschriften der
Handwerkskammer die Lehrlingsausbildung zu regeln und zu überwachen sowie für die
berufliche Ausbildung der Lehrlinge zu sorgen und ihre charakterliche Entwicklung zu
fördern. Die Sorge für die berufliche Ausbildung der Lehrlinge umfasst grundsätzlich
auch die Durchführung von Maßnahmen der überbetrieblichen Unterweisung.
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Vgl. dazu etwa Kormann, Überbetriebliche Unterweisungen und außerbetriebliche
Ausbildung, München, 1985, Seite 28.
27
In der Rechtsprechung,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. August 1991 - 5 A 560/88 -, GewArch 1991, 303; OVG
NRW, Urteil vom 15. September 1993 - 25 A 1714/92 -, GewArch 1994, 480; vgl. weitere
Nachweise bei Leisner, GewArch 2005, 408, 409f,
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der sich der Senat anschließt, ist geklärt, dass die Durchführung von Maßnahmen der
überbetrieblichen Unterweisung auch zugleich zu den Aufgaben der Handwerkskammer
zählt. Dies ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Nr. 1 HwO. Nach dieser Vorschrift ist es nämlich
insbesondere Aufgabe der Handwerkskammer, die Interessen des Handwerks zu
fördern. Die überbetriebliche Unterweisung von Lehrlingen wird von dieser Bestimmung
umfasst. Die Sicherung eines qualifiziert ausgebildeten Nachwuchses ist für die
gesamte gewerbliche Wirtschaft, vor allem aber für das Handwerk von großer
Bedeutung. Die häufig aufwendige Durchführung solcher Maßnahmen legte es dem
Gesetzgeber nahe, die überbetriebliche Unterweisung der Lehrlinge jedenfalls auch in
die Hände der leistungsfähigen Handwerkskammern zu geben, und diese Aufgabe nicht
etwa ausschließlich den relativ kleinen und dementsprechend weniger leistungsfähigen
Innungen zu überlassen. Die Innungen sind in ihrer Leistungsfähigkeit nicht nur wegen
der fachlichen und räumlichen Begrenzung ihres Zuständigkeitsbereichs eingeschränkt,
sondern auch durch den Umstand, dass bei ihnen im Gegensatz zur Handwerkskammer
keine Zwangsmitgliedschaft vorgesehen ist.
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Vgl. zum Vorstehenden näher OVG NRW, Urteil vom 26. August 1991 - 5 A 560/88 -
a.a.O.
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Ob die danach im Ansatz für beide Körperschaften gegebene Kompetenz für die
Durchführung der überbetrieblichen Unterweisung der Lehrlinge („Trägerschaft" i.S.v. §
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2 RVO) konkurrierende Zuständigkeiten begründet - wie die Klägerin meint - oder aber
die Zuständigkeit der Handwerkskammer originären Charakter hat, diejenige der Innung
hingegen lediglich abgeleiteter Art ist - wie es das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt
hat -, muss der Senat anlässlich des vorliegenden Falles nicht entscheiden. Nach § 54
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO hat nämlich die Innung die ihr zugewiesenen Aufgaben
"entsprechend den Vorschriften der Handwerkskammer" wahrzunehmen. Dabei ist der
Senat davon überzeugt, dass sich dieser Vorbehalt nicht nur auf die Regelung und
Überwachung der Lehrlingsausbildung bezieht, sondern auch auf die übrigen in der
Norm angesprochenen Aufgaben und insbesondere auf die Sorge für die berufliche
Ausbildung der Lehrlinge und damit auch die Durchführung von Maßnahmen der
überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung. Es ist kein einleuchtender Grund dafür
ersichtlich, warum die Innungen insoweit von der Beachtung von Regelungen der
Berufsausbildung durch die Handwerkskammer gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 4 HwO - anders
als beim Erlass eigener Regelungen und der Überwachung der Ausbildung nach § 54
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 1. Alternative HwO - befreit sein sollen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Klägerin bei Maßnahmen der
überbetrieblichen Unterweisung an die von der Beklagten erlassenen
Rechtsvorschriften zur Durchführung der überbetrieblichen Unterweisungen im Bezirk
der Handwerkskammer zu L. vom 19. September 1994 gebunden. Diese u.a. aufgrund
der §§ 41, 91 Abs. 1 Nr. 4 HWO erlassenen Normen sind Vorschriften der
Handwerkskammer im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HwO. Bedenken gegen die
Wirksamkeit dieser Rechtsvorschriften - soweit sie vorliegend erheblich sind - hat der
Senat nicht. Der Einwand der Klägerin, die Rechtsvorschriften würden eine
"Monopolisierung" der überbetrieblichen Ausbildung bei der Handwerkskammer
bewirken und damit den gesetzlichen Aufgaben der Innungen nicht gerecht werden,
greift nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte die überbetriebliche
Unterweisung unter gänzlichem Ausschluss der Innungen bei sich selbst konzentrieren
dürfte. Denn § 2 RVO, wonach die Befugnis der Innungen zur überbetrieblichen
Unterweisung bestehen bleibt, soweit sie solche Maßnahmen bei Inkrafttreten der
Rechtsvorschriften bereits durchführten (Abs. 4), und zu diesem Zeitpunkt nicht
unterweisende Innungen dazu ermächtigt werden können (Abs. 3), sieht eben dies nicht
vor.
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Vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall OVG NRW, Urteil vom 15. September 1993 - 25 A
1714/92 -, aaO.
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Dabei ist es zur Überzeugung des Senats unbedenklich, dass § 2 Abs. 3 RVO das
Tätigwerden bisher nicht unterweisender Innungen von einer Genehmigung der
Handwerkskammer abhängig macht und § 3 Abs. 1 RVO des Weiteren bestimmt, dass
die Schaffung neuer überbetrieblicher Ausbildungskapazitäten nur dann
genehmigungsfähig ist, wenn ein besonderer unabdingbarer Bedarf geltend gemacht
und begründet wird, der nicht von einem anderen Träger der überbetrieblichen
Unterweisung im Bezirk der Handwerkskammer zu L. mit vorhandenen Kapazitäten
erfüllt werden kann. Diese Regelung dient dem berechtigten Anliegen, die Entstehung
vermeidbarer Überkapazitäten und damit unnötiger Kostenbelastungen zum Nachteil
der Handwerkerschaft zu verhindern. Sie ist nach den überzeugenden Ausführungen
der Beklagten in der mündlichen Verhandlung aber auch erforderlich, um zu verhindern,
dass bei einem „Wegbrechen" von Ausbildungskapazitäten bei einem Träger durch
Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten von diesem erhaltene Fördermittel
zurückgeführt werden müssen. Gemessen an diesem Ziel erweist sich der in Rede
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stehende Genehmigungsvorbehalt insbesondere als verhältnismäßig. Dass unter
Geltung der in Rede stehenden Rechtsvorschriften auch tatsächlich keine
"Monopolisierung" eingetreten ist, belegt der Umstand, dass nach den unbestrittenen
Angaben der Beklagten lediglich 53 % (1998) bzw. 51 % (2002) und gegenwärtig - wie
in der mündlichen Verhandlung vorgetragen - nur noch 44 % der
Unterweisungsmaßnahmen von der Kammer durchgeführt wurden bzw. werden.
Nach Maßgabe der nach alledem anzuwendenden Rechtsvorschriften der Beklagten ist
die Klägerin nicht berechtigt, überbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen durchzuführen.
Denn sie verfügt weder über eine Genehmigung nach § 2 Abs. 3 RVO noch unterfällt sie
der erwähnten Vorschrift des § 2 Abs. 4 RVO. Hinsichtlich der letztgenannten Regelung
nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts,
soweit darauf abgestellt wird, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin beschlossen
hatte, dass insoweit zukünftig diese Aufgabe von der Beklagten übernommen werden
solle. Wenn die Klägerin dagegen einwendet, sie habe sich seinerzeit als Trägerin der
überbetrieblichen Unterweisung "verstanden", reicht das nach der genannten Vorschrift
nicht aus.
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2. Der mit dem Hilfsantrag verfolgte Genehmigungsanspruch besteht jedenfalls deshalb
nicht, weil die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 RVO nicht vorliegen.
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Diese Norm ist vorliegend einschlägig. Mit der Durchführung von Maßnahmen der
überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung durch die Klägerin ist die Schaffung neuer
überbetrieblicher Ausbildungskapazitäten i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 RVO verbunden. Dass
die Klägerin über einen ihrer Auffassung nach ausreichenden Bestand sächlicher Mittel
zur Durchführung solcher Unterweisungsmaßnahmen bereits verfügt, ändert daran
nichts. Denn diese sächlichen Mittel stellen sich erst dann als überbetriebliche
Ausbildungskapazität im hier maßgeblichen Sinne dar, wenn sie mit Genehmigung der
Beklagten nach §§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 1 Satz 1 RVO für Maßnahmen der überbetrieblichen
Unterweisung eingesetzt werden. Dies ist bislang nicht der Fall.
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Die Anforderungen des mithin anwendbaren § 3 Abs. 1 Satz 1 RVO sind nicht erfüllt. Ein
„besonderer unabdingbarer Bedarf" ist von der Klägerin bereits nicht geltend gemacht
worden. Hiervon ausgehend kann dahinstehen, ob der Erteilung der begehrten
Genehmigung ferner § 3 Abs. 1 Satz 2 RVO entgegensteht, nach dem neue
Ausbildungskapazitäten vor Planungsbeginn bei der Handwerkskammer zu beantragen
sind.
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Die von der Klägerin gegen die Wirksamkeit der von der Beklagten erlassenen
Rechtsvorschriften erhobenen Einwendungen greifen nicht durch, wie unter 1. bereits
dargelegt worden ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über deren
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht geklärt ist, ob die
Handwerkskammer befugt ist, eine Innung von der Trägerschaft für die Durchführung
überbetrieblicher Unterweisung ungeachtet eines dafür ausreichenden
Qualitätsstandards auszuschließen.
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